Im Zelt:
Jasim übersetzte und ein zufriedenes Lächeln durchzog das faltige Gesicht des Ältesten. Nun kamen sie doch noch zu dem Geschäft, weswegen sie überhaupt noch in dieser Gegend lagerten. Eilig schenkte er den Herren nach und rief dann nach den Frauen. Eine schickte er, die Liste anfertigen zu lassen, eine nach Abays Vater und eine, Dakai zu reichen, eine Art Hirsebier, um auf die erfolgreichen Verhandlungen zu trinken. Betrunken würden sie davon wohl nicht mehr, denn ihre Vorräte neigten sich langsam dem Ende zu. Aber betrinken wollten sie sich an diesem Tage ohnehin nicht.
Nun ergriff auch der andere Römer das Wort. Er redete nicht viel, jedoch mit einer Leidenschaft, dass Sedath ungeduldig auf die Übersetzung wartete. Die Blemmyer alle vernichtet - keine Sorgen mehr um ihre Töchter und Söhne, nie wieder mit dieser Angst zu leben, davon konnten sie nur träumen. Im tiefsten Innern glaubte er nicht wirklich daran, doch durch die unbedingte Überzeugung der Soldaten klammerte er sich an die Hoffnung, an das Versprechen und hob sein Glas. "So sei es. Mögen die Götter euch beistehen." Mit einem letzten, langen Zug war das Glas geleert und in diesem Moment kehrten auch die Frauen zurück. Eine trug einen großen Tonkrug bei sich, den sie in einer Ecke abstellte. Unterdessen trat auch Abays Vater ein und verbeugte sich leicht in die Runde. "Du hast mich rufen lassen? Was kann ich für euch tun?" Dabei musterte er einen nach dem anderen neugierig. Wann bekam man schon einmal diese Römer in natura zu sehen. Sedath bat ihn, ebenfalls Platz zu nehmen und erklärte ihm dann seine Aufgabe. Abays Vater nickte nachdenklich, stimmte dann aber zu. Er kannte sich zwar nicht mit Karten aus, aber mit seinem Wissen und der Hilfe der Römer würden sie das sicher hinbekommen.
Wieder war es an Sedath, zufrieden zu lächeln. "Gut, dann lasst uns darauf trinken. Die Liste werden wir in Kürze bekommen, nur die Karte wird längere Zeit in Anspruch nehmen. Wielange könnt ihr bleiben?" Die junge Frau, die sich bislang unscheinbar im Hintergrund hielt, brachte nun eine Schale gefüllt mit Dakai an den Tisch, die der Älteste an den Präfekten übergab, um ihm den ersten Schluck zu überlassen...
Vor dem Zelt:
Sie sah in erstaunte Augen, oder war da etwas anderes? Er zögerte, ihr Herz pochte. Was würde sie tun, würde er ihren Vorschlag zurückweisen? Sie wollte das Tuch um jeden Preis. Gut, vielleicht nicht jeden, aber zumindest würde sie sehr viel dafür geben. Dann endlich bewegte sich etwas, er nahm sein Tuch ab. Neriman wäre fast vor Freude aufgesprungen, ihr Herz tat es in diesem Moment auf jeden Fall. Ihre Hände zitterten leicht, so groß war die Erleichterung darüber. Für einen kurzen Augenblick nur, denn er gab es ihr nicht. Er malte etwas in den Sand, wie sie es oft tat. Neugierig verfolgte sie Strich um Streich. Ein Dolch? Ihr Dolch? Entgeistert starrte sie ihn an. Nun war es ihr Mund, der offen stand. In ihrem Kopf ratterte es. Der Dolch war etwas besonderes, er war nicht nur wertvoll, er war so etwas wie ein Erbstück und vor allem auch überlebenswichtig, hier in der Wüste. Andererseits, der Dolch war zu ersetzen, ihre Eltern lebten noch. Zögernd griff sie nach ihrem Gürtel und zog das gute Stück heraus. Sorgsam strich sie über den Griff, der reich verziert war mit buntem Glas und leuchtenden Steinen. Abay wird mich umbringen...
Vorsichtig legte sie den Dolch auf das Tuch und beugte sich zu ihm, legte beides vor ihm in den Sand. Ihr Herz wurde schwer. Wenn sie ihm hätte er zählen können, wieso ihr das Tuch so wichtig war, vielleicht hätte er es ihr dann auch so gegeben. Wenn sie wenigstens die gleiche Sprache sprechen würden, dann könnte sie sicher auch mehr über ihn erfahren. Neriman sah zu ihm hoch, sah in seine tiefbraunen Augen. Nur schade, dass er seinen Helm nicht abnehmen durfte. Was darunter steckte, hatte ihr gefallen. Gerade, als sie sich wieder aufrichtete, kamen die Frauen aus dem Zelt und eilten in unterschiedliche Richtungen. Sie hielt eine am Arm fest, und auf ihren fragenden Blick schenkte die ihr ein Lächeln. "Es ist alles gut, sie sind sich einig und unsere Waren wollen sie auch." Ein wenig erleichtert und doch wehmütig folgte sie ihr noch mit ihrem Blick, bevor sie dem Römer wieder ihre volle Aufmerksamkeit schenken konnte. Manchmal wünschte sie, sie wäre ein Mann, andererseits, gerade jetzt... vielleicht doch nicht.