Priscas Gemach | Dies diem docet*

  • Noch auf dem Heimweg vom Markt hatte Tilla einen Mitsklaven angewiesen, dass dieser den flavischen Leibarzt zu Hilfe holen und zur Villa Flavia bringen sollte. Es war wirklich dringend und notwendig, dass dieser kam und ihnen durch diesen schweren Zusammenbruch der Herrin half! Prisca lag aphatisch in der Sänfte und rührte sich kaum mehr. Tilla strich ihr sanft eine Strähne aus dem Gesicht und überliess es dem stärksten Sklaven die Herrin in ihr Schlafzimmer zu tragen. Saba, die gerade auf einen Tratsch in der Villa Aurelia gewesen war, war ebenfalls informiert worden. Tilla war heilfroh, dass ihr die ältere Leibsklavin Priscas zur Seite stand, solange sie auf fachkundige Hilfe warten mussten. Sie vertrieben die männlichen Sklaven aus dem Zimmer und stellten sie dazu ab, dass sie kleinere Lappen, heißes Wasser und mehrere Laken brachten. Gemeinsam mit Saba schälte sie die Herrin aus den schönen und teuren Gewändern und zogen ihr ein einfaches Nachthemd an. Kaum, dass sie mit Umziehen fertig waren, kam der Leibarzt. Saba setzte gerade dazu an, dem Mann zu erklären was passiert war, als unerwartet Mutter Esther im herrschaftlichen Zimmer erschien. Die ältere Frau hatte gerade ihre Tochter Tilla besuchen wollen. Angesichts Priscas dramatischen Zusammenbruch erklärte sie sich bereit dem flavischen Leibarzt zu helfen und ihm zur Hand zu gehen. Tilla hoffte sehr, dass sowohl der Arzt als auch ihre Mutter wussten was zu tun war.


    Die junge Sklavin war angesicht der Menge an Blut oftmals drauf und ran hinaus und in den Garten zu laufen. Doch Esther wies ihr die Aufgabe zu, Priscas Stirn abzutupfen, die Lippen zu befeuchten. Alles zu tun, um der Herrin zu vermitteln, dass diese nicht alleine war und dass Tilla bei ihr war. Sie bangten die ganze Nacht hindurch. Dann war es vorbei. Die aufgehende Sonne schickte die Morgenstrahlen ins reich geschmückte Zimmer. Ächzend streckte Tilla ihren Rücken. Prisca war gerade dabei aus dem Schlaf aufzuwachen, verblieb jedoch in jenem seltsamen aphatischem Zustand. Tilla deckte ihre Herrin bis zur Brust mit ihrer Lieblingsdecke zu und gab ein paar Tropfen von dem teuersten Parfüm drauf. Die im Bett liegende Frau sollte sich trotz ihrem schlimmen geschwächten Zustandes wie zu Hause fühlen. Ein weiteres Mal wischte Tilla Priscas Stirn trocken und gebärdete Mutter Esther ihre drängendsten Fragen zu. Sie wird durchkommen, nicht wahr? Sie kann doch noch mal Kinder bekommen? Wird sie wieder die alte Prisca sein? Saba verabschiedete sich von allen, um sich zu reinigen und dann ein Frühstück für drei Frauen und einen Mann zu bringen. Die letzte Frage Tillas an ihre Mutter, die eine Bitte enthaltete lautete. Ich muss ihren Ehemann informieren! Könnte einer von euch beiden bitte mitkommen??



    *Ein Tag belehrt den nächsten Tag; Bedeutung: Jeder Tag gibt neue Lehren; am nächsten Tag ist man schlauer.

  • Prisca wusste vom ersten Moment an was mit ihr passiert war, doch diese Gewissheit fiel schwer und sie zu verarbeiten noch vielmehr: Ich habe es verloren. Ich habe mein Kind verloren. Unser Kind, sagte sie sich immer wieder vor während sie alles Andere um sich herum einfach ausblendete, als sei es einfach nicht existent. Als wäre sie durch eine Tür gegangen, hinter der sich nichts weiter als gähnende Leere befand. Ein schwarzes Nichts, welches sie fest in seinen Fängen hielt und ihren Verstand regelrecht lähmte, sodass sie nicht einmal fähig war eine Träne zu vergießen, über jenen Verlust ihres ungeborenen Lebens. Von dem Wirbel um sie herum nahm Prisca kaum etwas wahr. Sie spürte zwar wie Hände ihren Körper immer wieder berührten, ihn entkleideten und wuschen, ihn untersuchten, doch es war ihr völlig egal. Nichts und niemand konnte die schreckliche Wahrheit so einfach beiseite wischen wie das viele Blut, das sie in den vegangenen Stunden vergossen hatte.


    Ohne zu wissen wie lange sie schon so da gelegen hatte, öffnete Prisca irgend wann die Augen und sie bemerkte die Sonne, die warm durch das geöffnete Fenster schien. Ebenso nahm die Aurelia den Duft ihres Lieblingsparfüms wahr, sowie die Stimmen, die sich in ihrer Nähe miteinander unterhielten. Wo bin ich? Diese absurde Frage stellte sich Prisca tatsächlich und am liebsten wäre sie wieder in dem unendlichen Nichts verschwunden, aus dem sie augenscheinlich soeben erwacht war.


    "Ja sie wird durch kommen und sie kann durchaus wieder Kinder bekommen", erklang just in dem Moment die warme Stimme von Esther, als sie versuchte die drängenden Fragen ihrer Tochter zu beantworten: "Nein, ich fürchte sie wird nicht mehr die alte Prisca sein, Tilla, aber so ist nun mal das Leben. Alles was uns widerfährt, auf unserer Reise, verändert uns. Freud und Leid! Wir müssen es hinnehmen, so wie es unser Schicksal will", seufzte Esther leise, ehe ein leichtes Lächeln ihre Mundwinkel umspielte. "Aber das muss nicht unbedingt etwas schlechtes bedeuten. Sieh mich an. Ich glaubte einst mein Leben sei zu Ende, weil ich dich verloren hatte. Doch das Schicksal hat mir meine Tochter letztendlich zurück gegeben." Mit einer liebevollen Geste strich Esther ihrer Tochter über die Wange. "Und genauso wird deine Herrin wieder lachen und sich freuen können, … über ein Kind das ihr die Götter zum Geschenk machen. … Jetzt noch nicht. Aber irgendwann, … ganz bestimmt!"


    Ganz bestimmt?! Prisca hatte die Worte zwar vernommen, doch Trost konnten diese ihr im Augenblick nicht wirklich spenden. Es gab einfach keine Zukunft mehr für sie. "Ich will niemanden sehen! …Niemals mehr. Habt ihr das verstanden?! Lasst mich einfach allein. Für immer!, krächzte Prisca mit tonloser Stimme ehe sie sich - mit dem Gesicht zur Wand - einrollte und die Decke ganz über den Kopf zog. Sie begann zu schluchzen und schließlich rannen die ersten Tränen über ihre Wangen herab. Aulus wird mich hassen und mich verachten, dafür, dass ich sein Kind nicht zur Welt gebracht habe. , redete sich Prisca mit Erfolg irgend einen Blödsinn ein, nur, um der Realität nicht mehr weiter ins Gesicht blicken zu müssen.

  • Das ist gut, dass sie durchkommen wird und auch Kinder haben wird. Ja, das Schicksal hat zugeschlagen... diesmal bei ihr. stimmte Tilla gebärdend zu. Sie wusste nicht, wieviel Mal schon das Schicksal knallhart bei Prisca zugeschlagen hatte, jedenfalls schien es dieses Mal verdammt echt schwer zu ertragen zu sein. Tilla nickte Mutter Esther zu. Vollkommen richtig. ihre Mutter war in der Tat aufgeblüht, seit sie wieder beisammen waren. Für ihre Geste umarmte Tilla ihre Mutter mit liebevoller Hingabe und lauschte ihren weiteren Worten. Die Antworten lauteten so, dass es die Zeit war, die noch ein Wörtchen mitzureden hatte, wann ihre Herrin ein Kind gebären durfte. Muß es ein Kind sein? In letzter Zeit gab es häufig Zwillingsgeburten! Was ist dann? Schafft sie sowas lebend zu überstehen? flüsterte sie der älteren Frau stimmlos ins Ohr und beobachtete wie Prisca sich endlich regte. Zudem flüsterte sie beinahe ganz so wie Tilla immer flüsterte, deshalb war es kaum ein Problem die Worte der Herrin zu verstehen. Hat der Leibarzt noch etwas zu uns zu sagen oder wird er gleich gehen? gebärdete Tilla zu Esther. Der Mann zog immer die Augenbrauen zusammen, wenn sie gebärdete. Aber das und den Blick dazu kannte die junge Sklavin schon. Viele Leute hielten ihre Gebärden für mysteriöse Verzauberungszeichen. Tilla wechselte besorgte Blicke mit Mutter Esther und überliess es ihr mit dem Leibarzt der Flavier zu verfahren.


    Die junge Sklavin beugte sich schliesslich vor, um die Decke von Priscas Körper halbwegs wegzuziehen, sodass die Herrin wieder Luft bekam und nicht ersticken würde. Die Herrin weinte sehr. Tilla drückte ihr in Ermangelung eines Taschentuchs einen kleineren Lappen aus beigen Stoff in die Hände und wischte mit einem zweiten kleineren Lappen die Tränen von der Wange. Ganz sachte zog Tilla an der oben liegenden Schulter und wollte mit diesem Druck sagen, dass die Herrin sich zurück auf den Rücken drehen sollte. Du bist überhaupt nicht alleine, Herrin. Für immer ist nicht drin. Dein Mann wird dich sehen wollen. Er hat dir seine ewige Treue versprochen und wird diesen Schwur ganz bestimmt nicht wegen einem verlorenen Kind brechen. Er wird auch traurig sein und mit dir trauern. Doch ihr werdet sicherlich alles tun, damit es zur glücklichen Geburt kommt. Eure Liebe ist groß und stark, Herrin. klugscheisste Tilla genauso wie damals bei Blümchen Flora, was ihr allerdings eine Kurzhaarfrisur und Peitschenhiebe eingebracht hatte. Tilla griff nach einem Becher, um ihren Durst zu stillen und sah Prisca geradewegs an. Sie würde ihr denselben Becher reichen, wenn die Herrin trinken wollte. Oder wenigstens an deren Lippen setzen, wenn sie wegen der Ereignisse in der vergangenen Nacht zu schwach zum Becher halten war.

  • Esther genoss Tillas Umarmung, so, wie sie jede Minute genoss, die sie mit ihrer Tochter zusammen sein konnte. Allerdings war dies hier nicht gerade der passendste Zeitpunkt und Ort für solch ein glückliches Familienbild. Keine zwei Meter entfernt musste die Aurelia mit das Schlimmste ertragen was einer Frau und Mutter passieren konnte. Der Verlust des eigenen Kindes, selbst wenn es noch gar nicht geboren ward. "Psst! Nein, natürlich nicht ", schüttelte Eshter wispernd den Kopf. Die Bemerkung mit dem "einen Kind" hatte ihre Tochter wohl falsch verstanden. "Sie kann natürlich auch Zwillinge bekommen, oder aber noch viele Kinder nach einander. Sie ist jung, gesund und stark! Doch wir sollten darüber besser nicht jetzt sprechen, Mia." Wer konnte schließlich wissen oder auch nur ahnen, außer den Göttern, ob und wann der Aurelia dieses Glück vergönnt sein würde, oder nicht. Genauso gut könnte sie bei der Geburt sterben, so wie viele Frauen, das war nicht außergewöhnliches und so konnte man froh sein, dass sie die Fehlgeburt überhaupt unbeschadet überstanden hatte.


    Zumindest körperlich, soweit der Arzt dies feststellen konnte. "Du, Weib! Kümmere dich gefälligst weiter um die Herrin, so wie ich es dir gesagt habe, anstatt dich hier mit deiner Tochter zu unterhalten!", blaffte der Arzt Esther an, während er seine Sachen zusammen packte. "Ich werde morgen früh wieder nach ihr sehen. Pass gut auf sie auf und wehe dir, wenn mir irgendwelche Klagen zu Ohren kommen …", hob der medicus warnend den Finger. "Nein Herr, natürlich, ich werde alles so machen, wie du es mir aufgetragen hast", versprach Eshter schnell und mit einer demütigen Verbeugung, um den Leibarzt ihre volle Unterstützung zu zu sichern. "Gut gut. Dann bis morgen früh! …Gute Besserung Aurelia. Es wird alles wieder gut! Ein paar Tage Ruhe und schön die Medizin nehmen, die ich für dich zusammen gemischt habe, und du wirst wieder völlig gesund", verabschiedete sich der füllige Mann mit der Halbglatze (die umrahmt war von einem feingelockten Kranz aus seinen verbliebenen Haaren) zufrieden nickend und einen letzten Gruß zur Patientin hin sendend.


    Endlich ist dieser Kerl weg! "Ruhe! … Pah! … Ich brauche keine Ruhe und … ich brauche auch keine Medizin. Ich brauche nichts und niemanden! Ihr könnt gehen! ALLE!", ertönte plötzlich Priscas krächzende Stimme. Mit einer unwilligen Bewegung versuchte sie gleichzeitig die tröstende Hand ihrer Sklavin abzuschütteln, die mit sanften Druck auf ihrer Schulter spürte. Eigentlich tat dies gut, aber auch wieder nicht, … es war wie ein Strudel der Gefühle "Bist du eigentlich nur stumm, oder auch taub, oder warum kannst du mich nicht endlich in Ruhe lassen? Du du … du ...?", keiffte Prisca unter Tränen ihre Sklavin an. Die gehauchten Worte verstand sie natürlich nicht, aber angesichts der Umstände konnte sie sich denken worum es ging. Tröstende Worte würde sie noch zur Genüge hören und irgendwie hatte sie Angst davor, denn jedesmal würde sie wieder an diesen schrecklichsten Tag in ihrem Leben zurück erinnert werden, …


    "Ach Tilla … ", stieß Prisca darüber einen lauten Schluchzer aus und mit ihm zusammen rollte sie sich plötzlich zu ihrer Sklavin herum. Sie suchte ihr tränenüberströmtes Gesicht in Tillas Schoß zu verbergen und klammerte sich dabei kraftlos an den Stoff der Kleidung ihrer Sklavin. Immer wieder wurde der Leib der Aurelia von Weinkrämpfen geschüttelt, doch für den Augenblick schien sie etwas zur Ruhe zu kommen.


    "Hier Mia! Versuche ihr das zu geben. Sie muss es ganz austrinken. Das wird ihr gut tun und sie wird tief und fest schlafen", meldete sich Esther leise zu Wort. Mit einem aufmunternden Nicken reichte sie ihrer Tochter eine kleine Schale. Die Rezeptur des Trankes hatte der Arzt ihr erklärt, doch die Ägypterin hatte sich nicht daran gehalten. In den vielen Jahren die sie in der Wüste leben musste, hatte Esther genügend Wissen über Kräuter, Salben und medizinische Methoden erlangt, um Menschen (auch ohne einen medicus) wieder gesund zu pflegen.

  • Tilla wäre gerne in Mutter Esthers Umarmung verblieben, doch sie hatte ihren Pflichten als Leibsklavin nachzukommen. Auch deshalb, weil Saba noch nicht zurückgekommen war und sich mit Sicherheit Zeit nahm, um zu verarbeiten was gerade der Herrin geschehen war. Dank Esthers erklärenden Worten verstand sie nun, wie das mit den hoffentlich baldigst eintreffenden Babys war. Sie zeigte ihrer Mutter deutlich ihre aufsteigende Skepsis, dass Prisca Zwillinge gebären würde können. Im aktuellen Zustand würde sie eine doppelte Geburt nicht schaffen, geschweige denn überleben. Ein Strahlen überflog ihr ernstes Gesicht, als sie ihren ursprünglichen Namen hörte und machte die Skepsis kleiner. Immer noch hörte sie auf den selbst erfundenen Namen Tilla. Der Name 'Mia' gehörte Esther und ihr allein.


    Mit schief gelegtem Kopf beobachtete sie den Abgang des Arztes und war erleichtert, als er endlich weg war. Kaum war er weg, gab Prisca kund was sie von ihnen wollte. Nix da! Wir bleiben bei dir! Die harschen Worte trafen Tilla, doch sie zeigte nichts davon. Lange schon diente sie der Herrin, wissend was ernst und was nicht ernst gemeint war. Mit einem Kopfschütteln drückte Tilla Priscas Schulterkopf und wischte die neuesten Tränen von den blassen Wangen ihrer geliebten Herrin. Dann endlich kam der Ruck, auf den die stumme Sklavin gewartet hatte. Sie tauschte einen Blick mit Esther und streichelte tröstend über Priscas gelockte Haare hinweg. Es tut mir alles so leid! flüsterte sie stumm.


    Schhhtt.. schhhtt.... Es war seltsam, höchst persönlich im Bett der Herrin zu sitzen und die Besitzerin während ihrem Weinkrampf zu trösten. Das herrschaftliche Lager war viel weicher und bequemer als das eigene. Mutter Esther riss sie aus den wirbelnden Gedanken. Shhht.. shhhttt.... Mit diesem Puste-Wort versuchte sie die Herrin zur Ruhe zu bringen. Nickend stellte Tilla den zuvor benutzten Becher weg, versuchte als nächstes Priscas Schultern zu umfassen und mit dem Arm Priscas Nacken sowie Kopf stützend anzuheben. Herrin.... du musst trinken. Es wird dir gut tun. Du wirst müde und einschlafen. Du wirst ruhen und wenn du aufwachst, werde ich da sein. Diese noch nie im Leben geflüsterten Worte kamen ihr einfach in den Sinn und hörten sich in Tillas Ohren richtig und gut an. Klang es auch für Esther gut? Machte Tilla zum Trost für die Herrin alles richtig? Behutsam setzte sie die Schale an Priscas Lippen, um ihr so die Medizin einzuflößen. Prisca ist jung, gesund und stark! wiederholte sie Esthers Worte und meinte es auch so.

  • In diesem Moment ging die Türe auf, und das bleiche Gesicht des Flavius Piso blickte in das Zimmer. Ein Sklave war von der Villa Flavia in den Senat gerannt, um ihm zu sagen, dass etwas Schlimmes passiert war. Piso hatte alles liegen und stehen gelassen, um wegzukommen. Seine Toga gerafft, war er in seine Sänfte gesprungen, und hatte die Sklaven angebrüllt, sie sollten rennen, bis seine Stimme komplett heiser war. Genutzt hatte es trotzdem nichts, bewegte sich eine Sänfte doch nur, wie es der Brauch war, gemächlich. Schlussendlich aber war die Villa Flavia erreicht. Piso hechtete hinein, zum Cubiculum, wo seine Frau war, und stieß die Türe auf. Mit einem Knall donnerte sie an die Wand, nachdem sie ganz und gar aufgegangen war.
    Piso stand nun im Türrahmen. Hätte das Wort „ungelenk“ Arme und Beine, es hätte ausgesehen wie der ausgedürrte Piso, der wie erstarrt in der Türe stand, die Arme nach vorne gestreckt, die Beine wie eingeeist, ächzend. Er sah, was passiert war, er sah es allzu gut.
    Durch sein Kopf rauschte ein Strom an Bildern aus der Hochzeit. Aurelia Floras Haar in Flammen. Der Sklave, der fast ertrunken wäre, wenn ihn nicht Decimus Verus herausgeholt hätte.
    Böse Omen. Böse Omen. Piso hatte sie in den Wind geschlagen. Er hatte sie in den Wind geschlagen und geglaubt, mit einem guten Opfer wäre alles in Ordnung. Doch die Götter waren grausam, und sie liebten es, das, was sie ankündigten, durchzuführen. Die Götter taten das ohne Rücksicht. Warum? Weil sie es konnten.
    Nun war es so weit. Piso stand hier. Vor den Trümmern seiner Existenz. Zumindest fühlte es sich so an.
    Die stumme Sklavin bemerkte er nicht, nur Prisca, wie sie auf dem Bett lag. Prisca, seine arme, arme Prisca.
    “M... m...“, würgte er hervor. “Mein Sohn...“ Ein paar Blutflecken. Das war alles, was übrig geblieben war von Aulus Flavius Piso Minor (beziehungsweise Flavia Fausta, denn wäre es eine Tochter gewesen, hätte er gewollt, dass sie nach seiner Mutter benannt war). Pisos Gesicht wurde nur noch bleicher.
    “Prisca“, brachte er hervor. Seine Kehle war staubtrocken. Langsam setzte er sich wieder in Bewegung.
    “Auf die Seite, Sklavin“, murrte er die ihm im Weg Seiende an, als er zu Prisca hinschritt. Und setzte sich anschließend an die Bettkante. Seinen rechten Arm streckte er aus, um Priscas Gesicht zu berühren. Er wusste nicht, was ihr momentaner Zustand war, ob sie bei Bewusstsein war oder nicht, ob sie noch bei Verstand war oder nicht. Egal. Sie war da, und sie war nicht tot, das zählte.
    “Meine arme Prisca...“ Fahl blickte er sie an. Alles war aus ihm verschwunden, seine Vitalität und seine Lebenslust, sowie seine stets währende Lust danach, Ästhetisches zu finden und sich dann daran zu ergötzen. Hier war seine Frau am Bett. Halb tot. Und sein Kind... “Unser armes Kind...“ Eine dicke Träne kullerte aus seinem rechten Auge und rollte über seine Wange. Es war aber der Anfang nur. Der Auftakt zu einer Träne aus seinem linken Auge, dann zu mehr aus beiden. Er weinte. Er weinte um das Kind. Piso vergrub seine Stirn in Priscas rechte Schulter und heulte sich aufs Bitterlichste aus.

  • Esther blieb noch einen Moment stumm neben dem Bett stehen, ehe sie sich dann etwas zurück zog und in dem Sessel am Fußende des Bettes Platz nahm. So konnte sie Blickkontakt zu ihrer Tochter halten - ohne im Weg zu stehen. Aufmunternd nickte die Ägypterin ihrer Tochter zu, denn Tillas Gesellschaft wäre im Moment das Beste für die Aurelia und sie machte das wirklich gut. Die Aurelia schien auch ein klein wenig zur Ruhe zu kommen, in Tillas Armen, wobei die Erschöpfung mit Sicherheit dazu beitrug, dass sie sich sogar (ohne Widerworte) den Trank von ihrer Sklavin einflössen ließ. Nur kurz verzog Prisca dabei das Gesicht ob des befremdlichen Geschmacks in ihrem Mund, ehe sie den Kopf langsam wieder in Tillas Schoß legte. Kraftlos und erschöpft, verzweifelt, so ohnmächtig und gleichzeitig mit einer gewissen Resignation die grausame Wahrheit erkennend, die sie nicht mehr ändern konnte. Niemals mehr. Prisca wusste nicht was sie tun sollte, außer die Augen zu schließen und zu hoffen, dass der Trank bald wirken würde. Hoffentlich würde Morpheus gnädig sein und ihr keine Träume schenken, keine Bilder, einfach nur Dunkelheit und totale Stille.


    Und was wäre, wenn ich nicht mehr aufwache? …Einfach so? Wenn der Trank mich für immer schlafen ließe?, kamen Prisca ganz wirre Gedanken und Wünsche, die sie so zuvor niemals gehabt hatte. Wäre der Tod wirklich die Erlösung? … Ein seltsames Gefühl, wenn die Angst vor dem eigenen Ende nicht mehr vorhanden war und man sich, im Gegenteil, regelrecht danach sehnte den letzten Schritt zu tun, hinüber ins ...


    Prisca! … arme Prisca, vernahm sie just in der Sekunde eine wohlbekannte und geliebte Stimme ihren Namen rufend. Aulus! Ein kurzer heftiger Ruck ging durch die Aurelia. Sie schlug die verweinten Augen auf und fand ihren Mann an ihrer Seite anstatt Tilla. Er saß da an ihrem Bett, den Kopf auf ihrer Schulter lastend und … Er weint! Er weinte um sein Kind. Um unser Kind. Das war zu viel. Wie konnte es Prisca ertragen, in diesen schweren Stunden, auch noch ihren geliebten Mann so leiden sehen zu müssen.


    Schluchzend und fast einer Ohnmacht nahe versuchte sich Prisca unter seinem Gewicht zu drehen. Ihre Glieder und Augenlider fühlten sich wie Blei an und ihre Sinne waren wie benebelt, doch irgendwie schaffte sie es sich so auf das Bett zu knien, dass sie ihre Arme um seinen Hals legen konnte. Prisca zitterte am ganzen Leib, doch sie versuchte stark zu sein. Stark genug um ihren Mann zu trösten. Das hielt sie für ihre Pflicht als seine Ehefrau, wenn ich schon nicht sein Kind zur Welt bringen konnte … "Vergib mir, Aulus. Vergib mir, dass ich dich so enttäuscht habe …", schluchzend suchte sie ihr Gesicht an seinem Hals zu vergraben, in der Hoffnung er würde sie nicht gleich von sich stoßen, sondern sie ganz fest halten und drücken. …


    Etwas abseits stand Esther. Sie war sofort aufgesprungen als der Flavier ins Zimmer gestürzt war. Er hatte sie nicht einmal wahr genommen, so wie auch Tilla in diesem Moment von den Herrschaften nicht mehr wahr genommen wurde. Die beiden trauerten um den Verlust ihres Kindes und das konnte Esther gut nach fühlen. In ihren Augen begannen zu glänzen als sie ihre Tochter ansah. Dankbar und voller Liebe ...

  • Offenbar machte sie alles richtig. Mutter Esther sagte nichts und war auch sonst sehr ruhig. Prisca trank alles aus der Schale. Tilla wollte gerade den Kopf ihrer Herrin sanft aus ihrer stützenden Umarmung auf das leere Kopfkissen gleiten lassen. Doch daraus wurde nichts. Denn Pisos plötzliches Auftauchen und die auffliegenden Tür erschreckte Tilla so sehr, dass sie prompt vom herrschaftlichen Bett rutschte und den eingenommenen Platz freigab. Mit gesenktem Kopf trat sie an die Seite von Mutter Esther.


    Als die beiden Erwachsenen weinend um das verlorenen Kind zu trauern begannen, erfasste sie Esthers Hand und zog ihre Mutter zu einer weiteren Tür im Zimmer ihrer Herrin. Komm! Die jetztige Situation, sie war voller wabernder Gefühle und sie spürte es. Hinter der Tür befand sich ihre kleine Kammer. Tilla öffnete die Tür so leise sie konnte und liess sie hinter sich angelehnt zurück. Ich hasse es, wenn sie weint...


    Mit einem tiefen Seufzer liess sich Tilla sitzend auf ihr eigenes Bett fallen. Sie weint so selten... sie weinte noch nie vor mir. Und jetzt.. jetzt weint auch ihr Ehemann. Ach, ich weiss nicht... das ist so seltsam jetzt! haderte Tilla mit sich, dass sie wenig mit der Situation im Nebenzimmer und den vielen herrschaftlichen Tränen anfangen konnte. Sie selbst verlor etliche Tränen und wischte diese schnell von ihrem Gesicht. Tilla fühlte wie erschöpft sie war, immerhin hatte sie nicht geschlafen und strubbelte mit beiden Händen ihre kurzen Haare durch. Ach Mama! Was machen wir denn nun??

  • Große, große Scheiße, dachte sich Piso rhetorisch vielleicht nicht fürchterlich brillierend, aber dafür zutreffend. Warum konnte er an nichts Dignifizierteres denken? Hier, was er in den Händen hielt, das war seine Frau, die gerade eine Fehlgeburt erlitten hatte! Wodurch er seinen Traum, Vater zu werden, nun als Gamsbart an seinen Hut stecken konnte.
    Was würden nun andere tun, dachte er sich. Der Stoiker würde dastehen und für seine Frau der Fels in der Brandung sein. Durch seine Akzeptanz des Unvermeidlichen würde er seiner Frau ein Beispiel geben, wie man die Situation meistern konnte. Der Epikureer würde sich abseilen und so lange sich besinnungslos saufen, bis alles gut war. Der Aristoteliker würde zu schimpfen anfangen, dass alles die Schuld seiner Frau war.
    Piso fing tatsächlich also an, in Philosophien herumzudenken, als er wie ein kleiner Junge plärrte und kreative Flüche in seinem Kopf entstanden. Irgendwann hatte er sich mal eingebildet, er wäre Pythagoräer, vielleicht gar ein Neopythagoräer. Alles Mathematik. Ein totes Kind plus ein totes Kind waren zwei tote Kinder... igitt! Piso beschloss, dass Philosophien eine denkbar schlechte Überwindungsmethode waren.
    Dann spürte er ihre Hände um seinen Hals. Sie hatte sich aufgerichtet. Hörte, wie sie ihm etwas ins Ohr flüsterte. Es tat ihr Leid. Musste jetzt tatsächlich seine Frau stark für ihn sein? War Piso ein Mann oder eine Memme? Eine Memme, wie es schien, denn er war nun unfähig, etwas zu tun, was nur den Anschein einer männlichen Aktion hatte. Während die Frau sich aufrichten musste, um ihrem Mann Trost zu spenden. Es war erbärmlich. Wenn das jetzt irgenjemand sehen würde... den Göttern sei Dank tat das niemand.
    Piso biss seine Zähne zusammen, als er wieder von ihr ein wenig abließ, und seine Züge nahmen eine etwas verlegene Qualität an, als er sie anblickte. Er hatte sie jetzt wirklich im Stich gelassen, dachte er sich mit einem mauen Gefühl im Magen. Tief atmete er ein.
    “Mir tut es Leid. Ich hätte wirklich was anderes tun sollen als reinkommen und einfach losheul... heul... *schluchz*“, stotterte er hervor und wischte sich mit seinem Togazipfel—er trug die Toga, man hatte ihn ja aus dem Senat geholt—das Gesicht ab, als es wieder aus ihm hervorbrach. Tief Luft holen, Aulus. Ja. So war es besser, viel, viel besser. Er umschloss sie abermals und drückte sie, jedoch vorsichtig, in etwa, wie man eine fragile Glasskulptur umarmen würde.
    “Es... es muss dir nicht Leid tun. Ehrlich nicht. Ist einfach so gekommen.“ Er blickte missmutig mit verquollenen Augen hinauf zur Decke, als ob dort was loswäre. “Das waren die Götter. Sie haben einen Pick auf uns. Sie haben es auf uns abgesehen.“ Noch einmal holte er tief Atem, dann blickte er noch einmal auf Prisca. Fürchterlich sah sie aus, und doch so schön. Er versuchte sich gar nicht erst an einem Lächeln, würde er doch wissen, dass es zu einer Grimasse verkommen würde.
    “Hauptsache, du lebst noch. Es hätte auch anders kommen können, Liebste. Du lebst noch...“ Ob sie noch mitbekam, was er sagte? Die eine Sklavin, die Stumme, hatte ihr irgendwas eingeflösst. Wie hieß die noch einmal? Tilla? Wo war denn die? Ach, sie war abmarschiert. Piso beschloss, keinen Gedanken mehr an sie zu verschwenden. Was nun zählte, dessen war er sich sicher, das war seine geliebte Frau.
    “Und jetzt... leg dich doch hin, Prisca. Bitte. Leg dich wieder hin“, bat er sie. Nicht auszudenken, dass sie nun auch dahinscheiden würde. Das würde Piso nicht packen. Nie und nimmer in seinem Leben.

  • Jetzt tat es ihm auch noch ihm leid und schuld daran waren Götter. Die Götter. Ja genau DIE! Iuno höchstpersönlich hatte das Opfer verschmäht und damit das Schicksal ihres Kindes besiegelt. Aber warum? Prisca musste unwillkürlich stärker weinen wie sie Piso so reden hörte. Die Götter haben es auf uns abgesehen? "Die ..Götter? Aber… w.wieso? Wa.was ha.haben wir ih.ihnen denn geta.an?", stammelte Prisca von Schluchzern unterbrochen. Sie wollte es nicht wahr haben und sie konnte es nicht verstehen. Bin ich schuld? … Sind wir schuld? Nur weil wir glücklich sind und uns lieben? Sind jetzt auch schon die Götter der Ansicht, dass Gefühle und Liebe in einer aristokratischen Verbindung nichts verloren hätten?!, schossen wirre Gedanken durch Prisca´s Kopf, immer wieder unterbrochen von phantastischen Bildern. Bilder von ihrem Kind, das niemals das Licht der Welt erblicken würde. Wie hätte es wohl ausgesehen und wie seine Stimme geklungen? Hauptsache du lebst noch …, hörte sie Pisos vertraute Stimme ganz nah. "Ja …" Ich lebe noch, gab Prisca tonlos zurück denn sie fand nur wenig Trost in dieser Tatsache, doch liebte sie ihren Mann über alles dafür, dass er bei ihr war und sie hielt.


    Der Trank begann zu wirken und deshalb folgte Prisca auch ohne jeden Widerstand Pisos Bitte. Langsam sank sie zurück in die weichen Kissen und dabei begann sie am ganzen Leib zu zittern. Oh nein! "Bitte … bitte halt mich. Halt mich ganz fest …", wimmerte Prisca schon halb im Schlaf und mit geschlossenen Augen, während ihre Hände sich hilfesuchend um die seinen krampften. Es fühlte sich einfach grausam an, so als würde sie in ein weiches Nichts eintauchen, in einen bodenlosen Abgrund stürzen und ihren Liebsten für immer verlieren. "Bitte bleib bei mir … Ich liebe dich… Ein letztes gehauchtes Wort, dann hatten die schwarzen Schwaden Prisca´s Verstand fest umschlungen und zogen sie hinab ein schwarzes Loch, wo Morpheus gnädig ihr ein traumloses Bett gerichtet hatte.



    ~ Tilla´s Kammer ~


    Unbeachtet von den Herrschaften ließ Esther sich von ihrer Tochter in die angrenzende Kammer führen. Ein kleiner Raum den die Ägypterin im übrigen das erste Mal betrat. Hier schlief ihre Tochter also, die Sklavin einer Römerin, unfrei und doch hätte sie es viel schlimmer treffen können. Der Anblick der Kammer versetzte der Ägypterin dennoch einen kleinen Stich ins Herz, da sie Tilla so gerne aus diesem Dasein erlöst hätte. Zudem spürte Esther deutlich wie aufgewühlt Tilla war und sie wollte nicht, dass ihre Tochter weinte ebenso, wie Tilla nicht wollte, dass ihre Herrin dies tat. Das Leid der Aurelia ging Tilla augenscheinlich sehr nahe und das konnte die sanftmütige Ägypterin sogar gut verstehen.


    "Tränen sind kein schöner Anblick, Mia, doch sie haben auch ihre gute Seiten", versuchte Esther ihre Tochter zu trösten. Sie setzte sich auf das Bett und legte vorsichtig die Hand auf jene Stelle zwischen Tillas Schultern während sie selbst ein paar Tränen vergoss. Die Erinnerungen an das Vergangene, sie waren lebendiger denn je. "Tränen vermögen unseren Körper und unsere Seele zu reinigen, indem sie all das fort spülen was tief in uns nagt und uns traurig macht, damit wir irgendwann wieder fröhlich sein können. Manchmal dauert es sehr lange und manchmal geht es ganz schnell. Wir können es nicht beeinflussen und doch können wir darauf vertrauen, dass deine Herrin und ihr Mann irgendwann wieder fröhlich sein werden", versuchte Esther ihre Philosophie vom Leben der eigenen Tochter näher zu bringen. Leicht gesagt. Natürlich konnte sie nicht wissen, wie stark die Seele der Aurelia durch den Verlust des eigenen Kindes gelitten hatte doch spürte sie deutlich, dass die Aurelia bei ihrer Tochter in besten Händen wäre. "Du wirst ihr dabei helfen, Mia. Du wirst sie pflegen und für sie da sein, so wie eine gute Freundin und eine Vertraute. Das wird deiner Herrin helfen und dafür wird sie dir sehr dankbar sein, auch wenn sie es vielleicht nicht so zeigen wird", redete Esther weiter als könne sie die Gedanken der Römerin lesen.


    Dann machte Tillas Mutter eine Pause und sie atmete tief durch. Es fiel ihr schwer die Vergangenheit zu verdrängen, hatte sie doch vor langer Zeit eine ganz ähnliche Situation erlebt. Damals, als sie Neith gesund pflegen musste (kurz nach Tillas Geburt) und sie trotz ihrer Fürsorge nur Hass und Undank als Lohn zurück bekam. Und schlimmer noch, wurde ihr das Liebste genommen das sie hatte. Ihr Kind! Das war schrecklich gewesen und dennoch hatte Esther den Glauben an das Gute nicht verloren, da sie ihre Tochter nach vielen Jahren endlich wieder gefunden hatte. Liebevoll strich die Ägypterin ganz in ihren traurigen Erinnerungen versunken durch Tillas kurzes Haar und versuchte so ihre Tochter und sich selbst ein wenig zu trösten. "Wie geht es eigentlich deinem Hektor? Und wie war eure Reise nach Mantua? " Diese Fragen bewusst aufmunternd stellend, wechselte die Ägypterin schließlich spontan das Thema. Es konnte nicht schaden wenn Tilla und auch sie selbst wieder auf andere Gedanken kämen, denn die Nacht würde noch lang werden und ihnen blieb nichts weiter übrig als zu warten ...

  • ~ Tilla´s Kammer ~


    Mutter Esther setzte sich zu ihr aufs Bett. Sofort lehnte sich Tilla an sie an und genoß die Berührung an die Stelle zwischen den Schultern, wo ihr Muttermal war. Mit gespitzten Ohren vernahm sie ihre Worte und liess sie sich durch den Kopf gehen. Es war nicht schön, dass Esther mitweinte, aber wenn es der Älteren gut tat Tränen zu verlieren, dann musste es so sein. Sie hatte es ja gerade selbst gesagt. Tränen vermögen unseren Körper und unsere Seele zu reinigen, indem sie all das fort spülen was tief in uns nagt und uns traurig macht, damit wir irgendwann wieder fröhlich sein können. Manchmal dauert es sehr lange und manchmal geht es ganz schnell. Wir können es nicht beeinflussen und doch können wir darauf vertrauen, dass deine Herrin und ihr Mann irgendwann wieder fröhlich sein werden. Tilla hob den Kopf und sah ihre Mutter traurig und hoffungsvoll lächelnd an. Ja, irgendwann wird sie wieder lächeln und fröhlich sein können. Ich hoffe fest darauf, dass das was du gesagt hast wahr wird. Ich werde mein Bestes geben, um sie wieder auf die Beine zu bringen. versprach sie als letztes ihrer Mutter. Deren Liebkosungen vermisste Tilla schmerzlichst, denn sie hatten sich in letzter Zeit nicht sehr oft sehen können.


    Als die stumme Sklavin Esthers Fragen hörte, versiegte ihr Tränenstrom und machten einem glücklichen Strahlen in den schwarzen Augen Platz. Es gab so viel zu erzählen. Tilla drängte die Erschöpfung und Müdigkeit weg. Hektor geht es gut. Ich will Prisca seit langem dazu bringen, ihn wieder als Leibwächter ins Haus zu holen. Die Gelegenheiten mit ihr ganz privat darüber zu sprechen sind recht rar gesät. Wir waren zu den Gladiatorenkämpfen in der Arena. Ich musste wegschauen und habe mit aufgepasst, dass uns keiner zu nahe kommt. Prisca hat mit einer Freundin gewettet und mir ihren Gewinn geschenkt. Einfach so 500 Sesterzen verschenkt! Du kannst den Münzsack für deinen Kräuterladen haben oder für Äpfelchen verwenden. Er befindet sich unter meinem Bett am Fußende. Ohja, der Ausflug nach Mantua! Es war wundervoll mit Hektor unterwegs zu sein. Ich habe ihm irgendwann einmal verraten, dass ich mir wünsche, einen schönes Tages mit ihm und auf Priscas Pferden Pegasus und Luna quer durch ein herrlich duftendes Feld zu reiten. Dieser Traum ist durch Priscas Auftrag unterwegs wahr geworden. Wir haben einen ganzen Tag und eine Nacht am Lavendelfeld unter dem einzigen Baum weit und breit verbracht. Hektor las mir jeden Wunsch von meinen Augen ab. Die Pferde grasten in der Nähe. Diese Stunden waren wunderschön und wir konnten vergessen, wer wir sind, woher wir kommen und wohin wir gehen.


    Tilla holte tief Luft und nahm Esthers Hände in die ihren. Nur wir beide waren dort unterm Baum. Wir haben uns zum ersten Mal geliebt, Mama. Es hat ganz kurz nur wehgetan. Er ist so zärtlich und liebevoll zu mir, so herrlich besorgt um mein Wohlergehen. Hektor liebte und liebt mich! verriet Tilla die intimen Details ihrer Mutter. Seit drei Tagen wartete Tilla auf ihre monatliche Blutung und war guter Hoffnung, dass diese schon noch kommen würde. Bloß nicht daran denken was geschah, wenn sie vor den Augen ihrer Herrin schwanger wurde. Nein, sie wollte noch kein Kind. Sie fühlte sich nicht reif genug Mutter zu sein. Aber Mama, ich kann jetzt nicht schwanger werden. Ich wäre keine gute Mutter für mein Baby. Ich muss mich zuerst um Priscas Glück kümmern...

  • Zitat

    Original von Tilla Romania
    ~ Tilla´s Kammer ~


    Wie sehr Esther diese Momente vermisste in denen sie ihrer Tochter so nah sein konnte wie eben jetzt, auch wenn heute mehr Grund zur Trauer bestand. Das Leid der Römerin ging ihr durchaus nahe, wenngleich sie darüber nicht vergessen konnte, dass Tilla dieser Frau gehörte und sie nichts dagegen unternehmen konnte. Einfach schrecklich! Das eigene Kind in der Sklaverei zu wissen, auch wenn es ein schwacher Trost war, dass Tilla es offensichtlich gut bei ihrer Herrin hatte. Ganz im Gedanken versunken streichelte Esther mit ihrer Hand sanft über Tillas Rücken, während sie mit der Anderen versuchte ihre eigenen Tränen weg zu wischen, ob der traurigen Gewissheit, der eigenen Ohnmacht als Mutter. Als Tilla jedoch wieder zu strahlen begann kehrte auch das Lächeln auf Esthers Lippen zurück.


    Der Themenwechsel hatte den gewünschten Effekt erzielt und nun staunte Esther nicht schlecht, was sie da von ihrer Tochter zu hören bekam. "Was? Fünhundert Sesterzen?!", stieß sie überrascht aus. Das war wirklich sehr viel Geld und sofort kam Esther der Gedanke es aufzusparen, um ihre Tochter damit schneller frei kaufen zu können. Doch Tilla war es, die ganz selbstlos zuerst an ihre Mutter und an Pumilio dachte und der Ägypterin so einen tiefen Seufzer entlockte. "Ach Mia ... Mehr konnte sie dazu nicht sagen, außer ihrer Tochter dabei zärtlich über die Wange zu streichen während diese weiter von Hektor erzählte.


    Nicht von ungefähr hatte sich Esther nach ihm erkundigt, denn sie hatte so eine Ahnung, welche sie nun bestätigt fand. Er war also der erste Mann gewesen mit dem Tilla geschlafen hat. Einerseits war die Ägypterin erleichtert und glücklich, dass das erste Mal für ihre Tochter zu einem schönen Erlebnis geworden war, doch andererseits erkannte sie auch die schwerwiegenden Folgen die ihre Verbindung nach sich ziehen konnte. Eine Schwangerschaft in ihrem Alter? Sie eine Sklavin und der Vater ebenfalls unfrei! Ein Kind, dass folglich als Sklave zur Welt kommen würde?! Esther fröstelte bei dem Gedanken daran, dass ihr Enkelkind den Römern würde gehören und diese damit machen konnten was sie wollten. Nein, soweit würde sie es nie kommen lassen, nicht, wenn es in ihrer Macht stünde das zu verhindern! Doch wie? Zwar kannte Esther Mittel und Wege eine Schwangerschaft zu beenden, doch diese Alternative kam für sie nicht in Betracht. Nein, niemals würde sie ihr eigenes Kind den vielen Nebenwirkungen und den möglichen Risiken aussetzen wollen ... niemals!


    Blieb nur zu hoffen, dass noch nichts passiert war und zusammen mit diesem Wunsch behielt Esther ihr gütiges Lächeln bei, mit dem sie den Worten weiter lauschte um ihre Tochter nicht unnötig zu beängstigen. "Hektor ist ein lieber Kerl. Ich freue mich so für dich, Mia und ich werde den Göttern ein Opfer bringen, damit sie eurem gemeinsamen Glück hold sein mögen", versprach sie anschließend und schüttelte leicht den Kopf, als Tilla ihre Bedenken äußerte. "Oh doch, du wirst eine gute Mutter sein, Mia, wenn es soweit ist! Glaub mir. Du wirst es fühlen und du wirst dieses Gefühl, Mutter zu sein, niemals mehr missen wollen wenn du nach all den Strapazen der Geburt dein Kind in den Armen hältst. … Und mach dir keine Sorgen wegen deiner Herrin! Ich bin ja auch noch da und werde immer für dich da sein. Wir werden schon einen Weg finden", wiederholte Esther das Versprechen das sie ihrer Tochter schon damals gegeben hatte, kurz nachdem sie das Licht der Welt erblickt hatte.
    "Aber nun sollten wir uns schlafen legen denn morgen wird es ein langer Tag werden und deine Herrin wird dich brauchen. Ich bleibe heute Nacht bei dir und werde dir noch ein paar von meinen Heilrezepten verraten, ehe ich mich wieder auf den Weg mache. Um Pumilio brauchst du dir keine Sorgen zu machen, er ist gut versorgt", entschied Esther schließlich, dass es das Beste wäre hier zu bleiben und mit diesen Worten legte sie sich auf das Bett und streckte beide Arme nach ihrer Tochter aus, dass diese sich zu ihr kuscheln könnte und um ihr Geborgenheit zu schenken - zumindest diese eine Nacht ...

  • Ein Opfer für uns zwei? Ach Mama, dass muss nicht sein. tat Tilla mit einem leichten Kopfschütteln ab und wusste, dass sie ihre Mutter sicherlich nicht vom Opfer abhalten konnte und würde. Mit geradem Rücken saß sie auf dem Bett und hörte Esther über das 'Mutter sein' sprechen. Vielleicht kommt dieses Gefühl von dem du sprichst...


    Esther wollte bei ihr bleiben.Tilla begann wieder zu strahlen und war begeistert über die Idee. Warte noch. Ich mache es uns bequem. Tilla holte ein grünes Kissen aus der einzigen Truhe, die sie besaß und gab es Esther. Für deinen Rücken. Zudem stellte sie den Wasserkrug neben dem Bett auf den kleinen Nachttisch ab. Sie war wegen dem Flüstern ganz schön durstig geworden und bot dennoch ihrer Mutter ohne Worte zu verlieren das Wasser zuerst zu Trinken an. Mit rascher Bewegung zog sie außerdem die lila-beige-grünen Gardinen vor dem Fenster zu. Die Stoffe sind aus Priscas altem Zimmer in der Villa Aurelia. Sie sind zu lang und liegen auf dem Boden auf, aber ich komme nicht zum Nähen. merkte Tilla mit stolzem Gesichtsausdruck an.


    Erst nachdem sie die zwei Öllampen an der Wand über der Truhe, von wo sie die kleine Kammer erhellten, auf deren Befestigung kontrolliert hatte, was ein kleiner Tick von ihr war, legte sie sich endlich zu Mutter Esther ins Bett. Wie sehr sie von den vergangenen Stunden und wechselnden Emotionen kaputt war, das merkte sie jetzt erst und kuschelte sich nahe an ihre Mutter. Hektor ist wirklich toll. Meine Güte, du hast ihn seit der Reise nicht mehr gesehen. Ägypten ist schon ewig lange her. Vielleicht kommt er morgen her und schaut nach dem Rechten, wenn er gehört hat was unserer Herrin passiert ist. Er ist als Stallbursche nicht glücklich. Ich merke, er will wieder rundum für Schutz von Leib und Haus verantwortlich sein. dachte Tilla laut flüsternd nach und bemerkte, wie ihr junges Herz schneller klopfte, wenn sie an ihn dachte. Sie unterhielten sich, bis Tilla in Esthers Armen einschlief.

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