Meine Miene wurde zu Eis. Als meine Schwester das was ich da erlebt hatte während des Bruderkrieges, den vielfachen feigen Verrat, zu dem auch der des Iunius zählte, und die Treuebrüche all der "Freunde", die endlose Einkerkerung, die noch immer nicht überwundene Verleumdung, die ungeheuerliche Einsamkeit meiner Vefemung... als sie das was meine gesamte Existenz in einen Trümmerhaufen zerschlagen und mich selbst an den Rande des Vernichtung gebracht hatte, dies alles tatsächlich ins Lächerliche zu ziehen versuchte. Um nur ja auf ihren kostbaren Liebhaber nichts kommen zu lassen.
Ich fuhr nicht auf und ich brüllte sie nicht an. Ich wurde sehr reglos und sehr kalt und schüttelte langsam, wie benommen den Kopf.
Wer hat die Gestalten der Sterne geschaffen?
begann ich im Geiste den Hymnos des Ewigen herzusagen, so wie ich es im Tempel gelernt hatte zu tun, wenn die Kälte und der Abgrund nach mir griffen,
Wer hat ihren Weg erfunden?
Wer war der Erzeuger der Früchte?
Wer hat die Berge in die Höhe gehoben?
Wer hat den Winden befohlen, ihr Werk nach den Jahreszeiten zu vollführen?
Wer ist der Gott der Ewigkeit, der die Ewigkeit hervorbringt und in Ewigkeiten herrscht?
Dann erhob ich mich, und ging zu dem kleinen Serapisschrein, den ich in der Ecke meines Zimmers eingerichtet hatte. Ich setzte mich auf den Boden davor, entzündete ein wenig Räucherwerk, und atmete tief ein. Und ich erinnerte mich, dass dies alles schon lange zurücklag. Dass ich die Solidarität, bei der meine Schwester so versagte, an anderer Stelle gefunden hatte. Bei Borkan, der meinen Leichnam aus dem Abgrund aufgeklaubt hatte, mich Stück für Stück wieder zusammengesetzt und mir neuen Lebensatem eingehaucht hatte. So dass ich mich Schritt für Schritt zurückkämpfen hatte können. Es ging wieder. Anfangs nur am seidenen Faden, dann einigermaßen, mittlerweile sogar wieder gut - solange ich das Geschehene ausblendete und nur nach vorne sah.
" Ich will nicht mehr zurückdenken Seiana. Es war wie es war. Dass er die Waffen strecken mußte, das werfe ich ihm nicht vor, andere bestimmten dieses Schicksalslos. Doch du weißt selbst, dass es eine Wahl gibt, dazwischen bis zum Tode zu kämpfen und dem Überlaufen mit fliegendem Fahnen. Überlaufen zur Streitmacht des Ulpiermörders, sich einreihen in ein Heer, das unterwegs ist um das ewige Rom zu schänden. Andere, bessere Männer, waren zwar auch gezwungen die Waffen zu strecken. Doch haben sie nicht ihren heiligen Schwur gebrochen."
Wie der Centurio Iulius Antoninus, von dem ich vorher alles andere als eine hohe Meinung gehabt hatte. Doch als es hart auf hart kam, war er standhaft geblieben.
"Fakt ist: Dein Geliebter schon. Er hat bedingungslos kapituliert. Seinen Eid verraten. Seinen Kommandanten verraten. Rom verraten.
Fakt ist auch: Du liebst, Seiana, und bist vor Liebe blind. Du verteidigst deinen Geliebten. Um jeden Preis. Wie damals bei dem Aelier." Dem sie verfallen war, vor dem ich sie warnte, dem sie sich trotzdem an den Hals warfst, der sie dann abservierte, wahnsinnig wurde und zuletzt vom tarpeischen Felsen sprang
"Du verlierst dabei jedes Maß, und schreckst nicht einmal davor zurück, deinen eigenen Bruder von dir zu stoßen. Du stürmst hier auf mich los wie ein gereiztes Panzernashorn, bloß weil du nicht wahrhaben willst, dass dein Geliebter damals umknickte.
Aber sie meinte es gewiss nicht so. Sie war nur der Liebesblindheit und der Liebesblödigkeit ins Netz gegangen, das konnte ja auch den Klügsten passieren. Und eine alternde Frau, die gerade den Antrag eines feschen jüngeren Mannes erhalten hatte... war dafür wohl besonders leichte Beute.
"Und Fakt ist zuletzt: der Duccier hat dich erpresst. Er hatte Macht über dich, du warst machtlos, und hast dich von ihm erpressen lassen. Du verbrämst es dir als 'Handel', aber du glaubst doch selbst nicht, dieser pöbelnde Popanz habe ernsthaft was für uns getan. - Livianus und Flavius Gracchus, die sind es, denen wir alles verdanken, sowie dem Umstand, dass ich den Ulpiermörder glauben machte, ich hätte lupenreine Beweise seiner Schuld, die bei meiner Ermordung vor dem Senat landen. - Duccius hingegen ist nur ein sadistisches, machtgeiles, gerissenes Dreckschwein, das unserer Familie schon viel zu oft ans Bein gepisst hat. -"
Und dem ich eines Tages die Leber aus dem Leib schneiden und sie ihm in kleine Stückchen geschnitten in den nimmersatten Schlund stopfen würde. Oder etwas in der Art. Aber das musste ich meiner Schwester jetzt nicht auf die Nase binden. (Es geschah ja gar nicht selten, dass Gefangene, vor allem Frauen, ihren Kerkermeistern so enorm hörig wurden – aber seltsam war es doch immer wieder.)
"Unterm Strich, Seiana – du willst den Iunier heiraten, du bist eine freie Frau, und davon abhalten kann ich dich offensichtlich nicht, ebensowenig wie ich dich damals davon abhalten konnte, dich von dem Aelier unglücklich machen zu lassen.
Wenn du aber willst, dass ich Iunius als den Mann an deiner Seite akzeptiere, dann sorge dafür dass er sich akzeptabel macht!" So vieles ließ sich sich am Ende mit den gebührenden Riten und Worten doch irgendwie sühnen, bereinigen oder vergeben. Wenn denn der Wille dazu da war.
"Dann sorge dafür, dass er zu seinem Eidbruch steht, und die Schande, die er damals auf sich geladen hat, sühnt. Und dass er sich... Livianus wäre doch eine gute Wahl... einen anständigen Patron sucht. Bevor ihr Hochzeit haltet."