[Vicus Navaliorum] Aspectus Vici

  • An einem Novembernachmittag entschloss sich Pacatus, dem Ziegeleibesitzer Fecenius Chilo einen Besuch anzustatten. Eine gute Gelegenheit, auch den langgestreckten Vicus Navaliorum in Augenschein zu nehmen, denn dieser Chilo wohnte am südlichen Ende des Vicus, gleich beim Hafen. Aber Novembernachmittage sind kurz, noch dazu, wenn die Wolkendecke, wie heute, kaum zweihundert Fuß über dem Land liegt und schon mittags das Dunkelwerden ankündigt. Von seinem Haus bis zu dem des Chilo war es mindestens ein halbe Meile, weshalb Pacatus sich beeilte, um wenigstens bis zum Hafen zu kommen.


    Die Häuser waren hier selten aus Stein gebaut, meistens aus dick verputztem Fachwerk und oft mit Holzschindeln gedeckt. Den meisten konnte man ansehen, dass sie sich auf keinen Architekten berufen konnten. Oft waren es notdürftige Improvisationen ihrer Erbauer oder phantasievolle Umbauten aus Lagerschuppen und Werkstätten, in deren Nachbarschaft sie auch standen.


    Als er den Hafen erreichte, kam etwas Wind auf, der die herrschende Kälte noch verschärfte. Pacatus dachte an Roma, wo es sicher etwas wärmer war, aber genau genommen gab es dort auch solche Tage, an denen das Wetter bleiern auf der Seele lastete. Man kann nicht Alles haben, sagte er sich, denn er hatte ja in voller Absicht die Wärme des Südens gegen die Freiheit von den Schergen dieses verfluchten Kaisers eingetauscht. Hier konnte man wenigstens frei atmen. Kalte Luft zwar, aber gute, freie Luft. Und den Gestank der Gassen von Roma war er auch los. Er schaute über den Fluss. Der Rhenus war mächtiger als der Tiber und auf dem gegenüber liegenden Ufer war der ungebändigte Wildwuchs der Flusswälder zu erkennen. Eine freie Landschaft.


    Er musste jetzt das Haus dieses Chilo finden und begann, sich durchzufragen.

  • Octavena war spät dran. Der Tag war miserabel gewesen, sie hatte seit dem Morgen vor allem schlechte Laune gehabt, was sie im Stillen auf das kalte Wetter schob, an das sie sich nach wie vor nicht gewöhnen wollte, und irgendwann im Laufe des Nachmittags hatte sie einfach den Drang verspürt, sich ein wenig die Beine zu vertreten. Also hatte sie das Haus ihres Onkels verlassen und hatte stattdessen einen Spaziergang gemacht, bei dem sie ohne rechtes Ziel durch die Stadt gestreift war. Als ihr auffiel, wie spät es schon war, war mehr Zeit vergangen, als sie gedacht hätte.
    So eilte sie noch immer etwas in Gedanken und Erinnerungen an Tarraco versunken, das sie in dieser kalten Jahreszeit mal wieder besonders vermisste, durch Mogontiacum auf dem Weg zurück nach Hause. Sie hatte den Blick gesenkt, um ihr Gesicht vor dem kalten Wind zu schützen, und bemerkte den Mann in ihrem Weg nicht ehe es schon zu spät war und sie schmerzhaft gegen ihn prallte. "Autsch", fluchte sie leise, wobei sie eigentlich wütender über ihre eigene Unachtsamkeit als über ihr "Hindernis" war, "Entschuldigung."

  • Pacatus hatte gerade zu einer Kurve angesetzt, um einem alten Fuzzy mit Rauschebart nach dem Haus dieses Chilo zu fragen, als er einen kräftigen Stüber in den Rücken bekam. Er drehte sich um und hatte da eine junge Frau vor sich, die sich ganz bedröppelt entschuldigte.


    "Eh, was ist das denn? Äh, da kriegst Du einen Knuff ins Kreuz, drehst Dich um und was siehst Du? Das hübsche Mädchen von neulich, das mit dem muffligen Typ auf dem Forum herumstand. Machst Du das immer so, wenn Du jemand kennenlernen willst? Erst einen Rempler und dann ein freundliches Gesicht?" Pacatus setzte ein großzügiges Lächeln auf. "Kannst Du haben: Mein Name ist Titus Matinius Pacatus, ich freue mich riesig darauf, Deinen Namen zu hören. Und jetzt, wo ich Dich sehe, verzeih ich Dir auch den Rempler".

  • Octavena blinzelte ein paar Mal überrascht ehe sie den Fremden vom Forum wieder erkannte. Der, zu dem Lucius so unfreundlich gewesen war.
    Sie lächelte flüchtig. Immerhin schien er die Tatsache, dass sie ihn unabsichtlich angerempelt hatte, halbwegs mit Humor zu nehmen. "Wie großzügig", erwiderte sie leicht ironisch, "Und eigentlich lerne ich andere Menschen auch lieber durch ein Gespräch als dadurch, dass ich sie anremple, kennen."
    Nun erwiderte Octavena auch sein freundliches Lächeln."Ich bin Petronia Octavena."

  • Der Alte mit dem Rauschebart spuckte aus, stand von seinem Hocker auf und ging ins Haus. Blöd. Sonst war momentan keine Seele am Hafen zu sehen, die man nach dem Haus von Chilo fragen könnte. Wie auch immer, irgendwas würde sich finden.


    "Salve Petronia Octavena. Wie Du siehst, geht's auch mit einem Knuff ganz fabelhaft. Das Gespräch kann man ja auch später nachholen, oder? Ich habe mir den Vicus hier mal ein bißchen angeguckt, obwohl es heute etwas duster ist. Und ich suche das Haus von Fecenius Chilo. Er soll hier irgendwo wohnen. Kennst Du den zufällig?"

  • "Fecenius Chilo?"
    Octavena überlegte kurz und durchforstete ihre Erinnerungen, ob ihr der Name in dem Klatsch und Tratsch, den sie von Zeit zu Zeit auf dem Forum aufschnappte, schon einmal unter gekommen war, doch sie konnte sich beim besten Willen nicht entsinnen, schon einmal von dem Mann gehört zu haben.
    "Nein, tut mir leid. Hab nie von ihm gehört."

  • Die Dame schien lakonische Antworten zu lieben. Pacatus war's egal. Er spähte an der Straßenfront entlang und entdeckte eine Kneipe mit dem schönen Namen 'Ultimum Naufragium', die sich an ein großes Lagerhaus drückte. Vielleicht konnte er dort mehr erfahren.


    "Du scheinst nicht aus diesem Viertel hier zu kommen, Petronia Octavena. Du würdest auch besser in den Vicus Apollinensis passen, wo ich Dich neulich gesehen habe, richtig? Ich wohne hier, aber am anderen Ende des Vicus. Zu diesem Fecenius Chilo will ich, weil er einer der einflussreichsten Männer im diesem Vicus ist. Vielleicht kann er mir helfen. Ich will nämlich als Magister Vici kandidieren". Pacatus ärgerte sich jetzt, dass er das mit dem Magister rausposaunt hatte. Nun war diese Petronierin der erste Mensch, der davon erfuhr. Wer weiß, wohin die Tante das noch rumerzählen würde. Beim Hades, den Lapsus hätte er sich auch sparen können.


    "Vielleicht kann ich in der Kneipe dahinten etwas erfahren. Ein warmes Süppchen oder ein Schlückchen Honigwein wären bei diesem verfluchten Germanenwetter vielleicht auch nicht uneben, ganz nebenbei gedacht. Wenn Du Lust dazu hast, dann komm mit".

  • Interessiert nahm Octavena die Information darüber, dass der Matinius der Magister Vici hier werden wollte, zur Kenntnis. Gut zu wissen. Mit etwas Glück schaffte er das sogar. Und wenn Lucius sich als Magister Vici aufspielen konnte, dann konnte das der Fremde hier bestimmt.
    Sie lächelte. "Dann wünsche ich dir viel Glück dabei."


    Ein weiterer kalter Windstoß streifte Octavena und sie fröstelte kurz. Vielleicht war es ja wirklich eine gute Idee, mit ihm mitzugehen. So bald würde sie zu Hause auch wieder niemand vermissen und so würde sie sich zumindest ein wenig aufwärmen können. "Gerne."

  • "Danke, vielleicht kann ich's brauchen". Nachdem die Petronierin bekundet hatte, dass sie eine Kneipe nicht scheute, ging Pacatus mit ihr hinüber. Es war ein einfaches Haus mit einem Holzporticus, wie es Pacatus schon in der Stadt gesehen hatte. An der Außenwand waren die üblichen Graffiti zu lesen, auf denen der Wirt seinen Laden anpries oder Gäste sich ihrer vergangenen Saufgelage brüsteten. Irgendeine Pomponia bot auch ihre Dienste an, samt Preis. Pacatus trat ein und suchte einen Platz. Der Gastraum war ziemlich voll, was man schon am Lärm der durcheinander redenden Gäste bemerkte, lange bevor sich die Augen an das dustere Licht gewöhnt hatten.


    Pacatus rief den Wirt, der bei seinem Eintreten ohnedies schon einen langen Hals gemacht hatte und sich gleich in Bewegung setzte. Er fand auch einen Platz an einem langen Tisch, an dem schon einige Leute saßen und tranken. Nachdem sie Platz genommen hatten, sagte er zu Petronia Octavena: "Etwas Besseres wird man hier kaum finden, glaub ich. Ich hoffe, es stößt Dich nicht ab".


    Zum Wirt sagte er: "Salve Caupo, wir möchten uns hier etwas aufwärmen, hast Du vielleicht ein warme Suppe?" Der Wirt bot eine Knochenbrühe mit Zwiebeln, Pastinaken und Speck an. "Einverstanden, Petronia Octavena?"

  • "Nein. Tut es nicht", erwiderte Octavena scheinbar völlig unbewegt, auch wenn die Kneipe nun, da sie sie betreten hatten, ihr im ersten Moment doch ein ganzes Stück zu laut, voll und dunkel war. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an das schummrige Licht und sie entspannte sich damit auch wieder ein wenig. So schnell war sie dann eben doch noch nicht aus der Fassung zu bringen. Der Wirt kam und kurz blinzelte Octavena überrascht, als sie, die sie eigentlich noch ein wenig ihre Umgebung in Augenschein nahm, bemerkte, dass Matinius Pacatus sie angesprochen hatte. Stumm nickte sie nur und ließ ihren Blick weg von den anderen Gästen wieder zu ihrem Begleiter gleiten.


    Noch während der Wirt dann wieder verschwand kam ihr dabei ein ganz anderer Gedanke. Nämlich woher er wohl kam, dass er so sehr wie vorhin auf das hiesige Wetter geschimpft hatte, denn sie hatte bisher eher die Erfahrung gemacht, dass die Einheimischen oder Leute, die aus Germania im Allgemeinen kamen die Kälte mit einer gewissen Gleichgültigkeit betrachteten. Er musste also eher aus dem Süden kommen.
    Einen Moment überlegte sie, ob er etwas in der Richtung auf dem Forum auf eine von Lucius' Rückfragen erwidert hatte, aber sie konnte sich nicht erinnern. Damals war sie wohl zu sehr mit ihrem Ärger auf ihren Vetter beschäftigt gewesen, um ihm richtig zu zuhören.
    Und weil sie des Grübelns müde war, fragte sie ihn also einfach direkt: "Woher kommst du eigentlich? Du scheinst das germanische Wetter nicht gewöhnt sein - Oder zumindest nicht zu mögen."

  • Klar, die üblichen Fragen. Woher. Wieso. Pacatus war das in der letzten Zeit öfter gefragt worden. Wenn man irgendwo neu ist, muss man den Leuten verklickern, wo man herkommt. Das lässt irgendwann mal nach. Wenn man dann wieder weggeht, fängt die Fragerei wieder an. Warum gehst Du weg, wohin gehst Du. Da ist Gleichmut gefragt. Inzwischen war der Wirt mit zwei dampfenden Schüsseln zurückgekommen, die er mit einem 'Wohl bekomm's' auf dem Tisch abstellte. Pacatus nahm seine Schüssel zwischen seine Hände, bevor er zum Löffel griff.


    "Nein, das germanische Wetter bin ich nicht gewohnt. Wie sollte ich auch? Ich komme aus Roma, da gibt's zwar auch mal trübe Tage, aber nicht ganz so kalt". Er begann vorsichtig zu löffeln. "Man kriegt hier kalte Finger und es tut verdammt gut, wenn man sie an so einem Kump mit heißer Suppe aufwärmen kann".


    Ein paar Tische weiter schien es Streit zu geben und es wurde laut. Der Wirt, der ein paar beachtlich breite Schultern sein eigen nannte, bewegte sich gemächlich auf die Streithähne zu, worauf der Lärm gleich wieder verebbte. Pacatus löffelte noch ein Weilchen. "Der etwas eigenartige Mensch, mit dem ich Dich auf dem Forum gesehen habe, ist das Dein Bruder?"

  • Die Wahlen rückten näher und Pacatus musste sich etwas einfallen lassen, wie er an die Stimmen der Bewohner von Navaliorum rankommen könnte. Das letzte Mal war er ja mit Schmackes auf den Bauch gefallen, weil er nur bei den SEHR WICHTIGEN PERSONEN Reklame gemacht und darauf gebaut hatte, dass die ihre Klientel dazu bringen würden, ihm ihre Stimme zu geben. Das war aber keine gute Idee gewesen und war dann auch richtig in die Hose gegangen.


    Als erstes streifte er durch den Vicus und schrieb an jede halbwegs weiße Wand: "MATINIUS PACATUS ZUM MAGISTER VICI! WÄHLT IHN UND KEINEN ANDEREN!" Darunter machte er jedes Mal einen dicken roten Punkt.


    Oft hatten sich an den betreffenden Wänden schon andere verewigt. Als er an eine Wand kam, auf die der Hausbesitzer 'Cacator cave malum*' geschrieben hatte, zögerte er ein bißchen, aber scherte sich dann nicht weiter darum. Schließlich waren hier die Wände überall und von oben bis unten mit noch kreativeren Graffitti vollgekritzelt.


    Dann schickte er seinen Sklaven Struthas herum und ließ ihn an jeder Hausecke, auf jeder Säule eines Porticus (sofern vorhanden), auf jeden Bretterzaun und auf jeden Prellstein dicke rote Punkte malen.


    Ein paar Tage später kündigte dann Struthas im ganzen Vicus laut brüllend an, dass Pacatus im Hafen eine Rede halten würde und dass das der Kerl mit dem roten Punkt wäre.


    An dem betreffenden Tag stieg Pacatus im Hafen auf eine Eselskarre und begann:


    "Navaliori!
    Ihr seid in Mogontiacum diejenigen, die am übelsten dran sind. Eingequetscht zwischen Stadtmauer und Rhenus erleidet ihr nur Nachteile von beiden, vom Rhenus und von denen, die hinter der Stadtmauer wohnen. Ich meine die, welche mit wenig Malooche viel Geld machen und unter sich im Ordo Decurionum auskungeln, was Sache ist. Aber das ist auch Eure Sache und es ist deshalb wichtig, dass Ihr einen Mann wählt, der Eure Sache dort einbringt. Das letzte Mal habt Ihr einen gewählt, der sich das ganze Jahr nicht getraut hat, das Wort zu ergreifen, weil er zu blöd dazu ist. Das wird Euch mit mir nicht passieren!"


    Er legte eine kurze Pause ein.


    "Jetzt zum Rhenus. Wenn der Hochwasser hat, dann kommt er jedesmal ohne Gruß in Eure Hütten. Es ist auch jedesmal so, dass die meisten von Euch dann von Mogontiacum abgeschnitten sind, weil die Zuwege vom Hafentor und vom Gassentor überschwemmt sind. Und das, obwohl die Civitas schon vor Jahren versprochen hat, diese Wege zu erhöhen. Aber nichts ist geschehen. Weil der Dödel, den Ihr letztes Mal gewählt habt, seine Zähne nicht auseinander gekriegt hat".


    Wieder eine kurze Pause. "Ich jedenfalls werde im Ordo laut und deutlich zu hören sein, verlasst Euch drauf. Also tut das Richtige und wählt diesmal mich, den Matinius Pacatus! Den mit dem roten Punkt!"


    Sim-Off:

    * Kacker, paß auf, dass es dir nicht an den Kragen geht

  • Als Pacatus seine Wahlrede hielt, war Lucius wieder einmal mit einer Patrouille unterwegs, um auch im Vicus Navaliorum für Ordnung zu sorgen. Als er die Rede hörte, blieb er stehen und sah dem jungen Mann interessiert zu, der scheinbar sehr unzufrieden mit der Arbeit des amtierenden Magister war. Der junge Petronier wusste nicht einmal, war das war - als er noch amtiert hatte, war es dieser Magonide gewesen, mit dem er zur Zusammenarbeit gezwungen worden war. Lucius hatte ihn auch für unfähig gehalten, aber er war der Klient des Alten gewesen.


    Die Hochwasserproblematik, die Matinier aber ansprach, war durchaus ein interessantes Problem: Es hing offensichtlich dem dem Regen zusammen, aber warum nicht bei jedem Regen Hochwasser kamen, hatte er noch nicht recht durchschaut. Auch die Ausbreitung dieses Phänomens war interessant, denn angeblich war es in Borbetomagus früher als in Mogontiacum und hier wieder eher als in Colonia - ob sich die Ausbreitung berechnen ließ? Vor allem aber war es natürlich eine interessante Frage, ob sich auch das Ansteigen des Spiegels vorhersagen ließ, denn dann würden die Forderungen des Kandidaten rationaler durchgeführt werden können...


    "Wirst du auch für Getreidespenden sorgen, wenn's ein Hochwasser gibt und wir keine Arbeit haben?"


    rief einer der Hafenarbeiter von der Seite herein - typisch: Der Pöbel dachte natürlich wieder nur an seinen Magen. Lucius rümpfte die Nase und überlegte bereits, ob er mit seinen Männern weitergehen sollte - es war widerlich, wie man sich als Kandidat dem Pöbel anbiedern musste, weil dieser manchmal doch nicht so wählte, die die Patrone es ihnen vorgaben!

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    Klient - Herius Claudius Menecrates

    DECURIO - MOGONTIACUM

    MUNICEPS - MOGONTIACUM

  • Pacatus wollte gerade von dem Eselskarren heruntersteigen, als dieser Zwischenruf kam. Er hielt inne und schaute hinüber zu dem Schreihals. Na, den kannte er. Das war Antonius Corone aus Agrippina, der oben gleich neben dem Gassentor wohnte, wo alle zwanzig Jahre das Hochwasser, wenn es wirklich mal zur Sache ging, große Mühe hatte, die Schwelle seines Hauses zu benetzen. Und selbst dann wäre das für den Schreier kein Problem, weil der ein fürstliches Auskommen von seinem Lupanar hatte, das nicht weit vom Castellum lag.


    "Ja, natürlich gibt's Getreidespenden, aber für Dich nur dann, wenn bei Dir das Hochwasser zum Fenster reinkommt. Und ich komme kontrollieren, verlass Dich drauf!"

  • Pacatus war am ersten Tag seiner Vicomagistratur in sein Officium zurück gegangen und hatte sich um den üblicherweise anstehenden Kram gekümmert. Er hatte auch über seine Vereidigung, die Wahl und über seine Wahlreden nachgedacht. Ja, die Wahlreden machten seiner Laune etwas zu schaffen. Hatte er da nicht vielleicht doch den Hals zu voll genommen? Es ließ ihm keine Ruhe und er konnte den Nachmittag kaum abwarten, weil er sich die Situation im Vicus doch noch mal ansehen wollte.


    Sobald die Stunde des Arbeitsendes gekommen war, entwischte er aus der Curia, ging über das Forum, dann vorbei am Tempel, vorbei an der Regia hinunter zum Hafentor. Das Hafentor führte keineswegs direkt zum Hafen, sondern auf eine nach rechts abbiegende breite Straße, über die man am Ufer des Rhenus entlang nach vielleicht einer knappen halben Meile zum Handelshafen kam. Bis kurz vor dem Hafen lag sie so tief, dass sie fast jedes Jahr überschwemmt wurde. Parallel dazu ging eine schmalere Straße unterhalb der Mauer, die auf den ersten eineinhalb Stadien genau so tief lag, dann aber anstieg. Pacatus schaute sich das genau an. Er schätzte, dass man diese Nebenstraße auf diesen lächerlichen eineinhalb Stadien um drei bis vier Fuß anschütten musste, um trockenen Fußes zum Gassentor zu kommen.


    Am Gassentor lag die Nebenstraße hoch genug. Dort wohnte ja der Schreihals, der Getreidespenden verlangt hatte. Von da ging eine schmale Straße hinunter zum Hafen. Die wurde im unteren Teil aber auch oft überschwemmt, bevor sie auf die breite Uferstraße traf, die man vor Jahren direkt am Hafenbecken höher angeschüttet hatte. Aber leider nur dort. Wahrscheinlich hatte damals der Quaestor wieder einen Sparanfall gekriegt und damit erreicht, dass der Hafen von Mogontiacum bei Hochwasser nur über einige lausige Feldwege zugänglich war. Pacatus schaute sich das Treibsel an, das noch vom letzten Hochwasser in den Büschen und Zäunen hing. Auch hier brauchte man den Weg nur auf einem halben Stadium um zwei bis drei Fuß zu erhöhen.


    Pacatus hatte jetzt seinen Plan und beschloss, den gleich mit einem Bier zu feiern. Er ging hinauf durch das Gassentor und siehe da, gleich dahinter gab's eine Kneipe.

  • Pech gehabt, die Kneipe war geschlossen. Und jetzt? Der Gedanke an ein Bier ließ sich aber nicht so leicht aus Pacatus' Kopf vertreiben. Im Gegenteil, er fing an, mächtig zu rumoren. Es musste eine Lösung her. Da kam ihm sein geschultes Gehör zu Hilfe, das weiter oben in der Straße gedämpften Kneipenlärm geortet hatte. Jeder weiß ja, wie das klingt.


    Schnellen Schrittes näherte er sich der Kneipe. Gegenüber stand ein Haus mit blauen Läden und auf der Wiese dahinter zupfte ein Maultier am Gras herum, während es über die Welt nachdachte. Pacatus hatte schon den Türgriff in der Hand, als ihm die Notiz einfiel, die er in den sechsten Stapel einsortiert hatte. Dort war etwas gestanden von einem Haus mit bla ..., ja das war es, blaue Läden waren mit dem unleserlichen Gekritzel gemeint gewesen. Hier war das also. Er würde das im Officium noch mal nachlesen.


    Er ging hinein, suchte sich einen Platz und rief: "Wirt, einen Krug Bier!"

  • Der Wirt nickte, schenkte einen Krug ein und stellte ihn vor Pacatus auf den Tisch. "Dich hab ich hier noch nie gesehen", meinte er. Er musterte ihn noch genauer, dann sagte er: "Ach doch, Du bist der Typ mit dem roten Punkt. Ich war unten im Hafen, als Du Deine Rede gehalten hast. War ja ganz ausgeschlafen, Deine Rede. Hat mir gefallen. Und jetzt hast Du's geschafft und bist der Magister Vici, na Glückwunsch".


    Pacatus nickte. Das Ding mit dem roten Punkt hatte also doch Wirkung gehabt. Jetzt hatte er sein Markenzeichen weg. Er lachte: "Danke für Deinen Glückwunsch. Aber Du kannst Dir denken, dass die Leute jetzt kommen und mich auf dem festnageln, was ich da raustrompetet hab".


    Der Wirt breitete kurz die Arme aus: "Mach Dir deswegen keinen Kopp, komm ab und zu vorbei und trink ein Bier, das hilft immer. Der letzte Magister Vici hat hier auch manchmal ausgiebig einen zu sich genommen".

  • Das Bier schmeckte. Deshalb sagte sich Pacatus, dass man einen Plan ohne weiteres auch mit zwei Bier begießen kann. Und das war ja auch ein Beschluss, den man ohne Umschweife verwirklichen konnte. Und so kam bald ein zweiter Krug auf den Tisch.


    Bei der Gelegenheit fragte Pacatus den Wirt: "Sag mal, das Haus gegenüber, ich meine das mit den blauen Fensterläden, wem gehört das eigentlich?"


    Der Wirt stützte sich kurz auf den Tisch auf und erzählte: "Das gehört Domitius Massula. Er benutzt es als Lagerhaus für seinen Handel. Ne Zeitlang hat da ne junge Germanin drin gewohnt, Alwena oder so ähnlich. Die ist dann in die Cabanae umgezogen. Ich hab aber neulich von jemand gehört, dass sie gestorben sein soll".


    Irgendjemand in der Gastsube schrie nach Bier und der Wirt nahm sofort wieder seinen Geschäftsbetrieb auf. Viel Zeit, mit seien Gästen zu plaudern, hatte der nicht. So gab sich Pacatus mit den Auskünften zufrieden, zahlte und ging nach Hause.

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