Die letzten 160 Meilen bis Rom

  • Sim-Off:

    Ich laufe schon einmal los nach Rom, auch wenn in Misenum noch einiges auszuspielen ist. Machen wir dann parallel, damit es sich nicht ewig zieht.


    Nach einiger Überlegung hatte sich Cornelius Palma dafür entschieden, auch das letzte Wegstück von Misenum nach Rom auf dem Landweg zurückzulegen und das gleich aus mehreren Gründen. Sicherheitsbedenken waren einer davon gewesen, denn auch wenn er die Classis nun in sein Heer hatte eingliedern können und somit von einem schnelleren Transport zur See hätte profitieren können, wollte er die Kontrolle über sein Vorhaben schlicht nicht mehr aus der Hand geben. Auf See hätte er dies aber unweigerlich zu einem Teil tun müssen, so dass er lieber den langwierigeren Weg nahm. Dass er so noch die eine oder andere nicht ganz unbedeutende Stadt auf dem Weg würde sehen können, war ein weiterer Grund.


    Also lagen noch etwa 160 Meilen vor seinen Truppen, was eine Marschzeit von noch mindestens einer Woche bedeutete. Mit dem Rückenwind eines Erfolgs und der Aussicht auf einen siegreichen Einmarsch in Rom ließ sich dies allerdings für alle Beteiligten leicht aushalten. Einen Boten mit Briefen für seine treuen Mitstreiter vor Rom hatte er selbstverständlich schon voraus geschickt, um die frohe Kunde von seinem Sieg zu verbreiten.

  • Wie ein langer Wurm zog sich die marschierende Armee über den Weg. Malachi hatte sie am Morgen entdeckt, da die Straße hier in Richtung Süden leicht abfiel und somit einen weiten Blick auf die vor ihnen liegende Umgebung zuließ. Natürlich war es auf die Entfernung nicht mit absoluter Sicherheit zu sagen, dass Axilla mit ihrer Vermutung richtig lag, dass dies wirklich Palma war. Auf der anderen Seite: Welche Wahl hatte sie, außer es fest zu glauben und darauf zu hoffen, dass sie recht hatte? Sie wusste noch nicht einmal, wie der Mann aussah, so dass es auch nichts genutzt hätte, näher heran zu gehen. Und sollten diese Truppen zu Salinator gehören und sie nach Cornelius Palma bei ihnen fragen, war es gleichgültig, ob sie es dort oder hier oder sonstwo täte. Sie käme sicher auf ihrem Weg nicht weiter. Also musste es einfach Palma sein. Und Axilla musste Vorbereitungen treffen.


    Sie ritten ein Stück den Weg entlang zurück, zu einem kleinen Wasserlauf, in dessen Nähe sie die Nacht verbracht hatten. Es war nicht viel mehr als eine kleine Tränke für wilde Tiere, kaum als Bach zu benennen, aber es musste genügen. Trotz der Kälte, die noch immer am frühen Morgen herrschte, zog Axilla sich aus und wusch sich, so gut sie konnte, schrubbte jedes bisschen blaugefrorener Haut, rieb mit dem Bimsstein jedes kleine Schüppchen ab, bis sie sicher war, dass jedes weitere bisschen eine blutige Wunde reißen würde, wusch ihre langen Haare so gründlich es ging in dem eisigen Wasser, bis sie völlig durchgefroren war. Aber es war gleichgültig.
    Von Malachi ließ sie sich ihre Untertunika aus ihrem Bündel geben. Die feine weiße, die sie sich für diesen Moment aufgespart hatte. Die einzige, die noch rein und sauber und unbenutzt nach dieser Reise war. Viel zu dünn für diese Jahreszeit, zu dünn für diese Gegend. Aber das war nicht wichtig.
    Ihre Haare waren vom Wind und vom Wasser zerknotet, es fühlte sich fast angefroren an. Mit einem einfachen Kamm aus Bein kämmte Axilla sich die langen Strähnen, ignorierte das Ziehen und Zupfen. Sie hatte nicht so viel Zeit. Und es war nicht wichtig, ob es schmerzte.
    Schließlich trat sie barfuß an die Straße. Noch immer war die Straße leicht nass, immer wieder hatte es in den letzten Tagen geregnet. Der kalte Schlamm quoll zwischen ihren Zehen hindurch. Aber auch das war nicht wichtig.


    Malachi wartete bei den beiden Pferden mit dem ganzen Gepäck. Axilla sah ihn eine Weile lang an. Vor diesem Schritt fürchtete sie sich. Überhaupt fürchtete sie sich vor allem, was gleich noch folgen würde. Und die schrecklichste Vorstellung davon war, es ganz allein tun zu müssen. Ungeschützt, ohne Hilfe, ohne Unterstützung von irgendjemandem. Aber es wäre unfair von ihr, Malachi noch weiter mit hinein zu ziehen, als sie es schon getan hatte. Und auch, wenn ihr Sklave das nicht wusste, Axilla war ihm so unendlich dankbar für alles, was er schon für sie getan hatte. Und für alles, was sie noch von ihm verlangen würde, unabhängig davon, was hier und heute weiter mit ihr geschehen würde.
    “Malachi, gib mir die Rolle.“ Sie hielt ihm den ausgestreckten Arm entgegen, damit er ihr den Ledertornister reichen konnte. Ihren papiernen Schutzschild, hinter dem sie ihre Familie zu verschanzen gedachte. Ein dünnes Stückchen Pergament. Alles, was sie hatte.
    Malachi reichte es ihr wie immer schweigend. Überhaupt hatten sie auf der ganzen Reise – in der ganzen zeit überhaupt, die Axilla ihn besaß! - kaum miteinander geredet. Im Grunde wusste Axilla nicht mehr von ihm, als seinen Namen. Seltsam, dass ich dennoch so viel auf seine Ehre setze.
    Ihre Finger fuhren steif und kalt über das gehärtete Leder, trommelten kurz unsicher darauf, als sie den Tornister eng an den bibbernden Körper drückte.
    “Und jetzt möchte ich, dass du meinen Beutel dort hinter den Stein legst, und dann die Pferde nimmst und mit ihnen wieder zurück nach Ostia reitest. Zu meinem Sohn und ihm dienst“ Axilla meinte fast, an den Worten vor Angst ersticken zu müssen. Sie hoffte, dass ihre Stimme fest klang und nicht so zittrig, wie sie sich fühlte.
    “Dominus?“ fragte Malachi zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, auf einen ihrer Befehle nach – und dennoch korrekt nach ihrer Weisung, sie nicht mehr Domina zu nennen. “Soll ich dir dein Pferd nicht hier lassen?“
    Er hatte nachgefragt. Axilla hatte es nicht erwartet. Die Erkenntnis zauberte kurz ein Lächeln auf ihr Gesicht. Er hatte sich Sorgen um sie gemacht. “Nein, nimm es mit.“ Ich brauche es nicht mehr. Es war ein seltsames Gefühl der Ruhe, anzunehmen, dass man sterben würde. Axilla wollte hoffen, dass alles gut werden würde, wollte hoffen, dass sie ihre Familie retten konnte und alles sich zum guten wenden würde. Aber wenn sie ehrlich war, dann glaubte sie nicht daran, den heutigen Tag zu überleben. Aber zumindest zu kämpfen musste sie versuchen. Ein Soldat weicht nicht zurück.
    Malachi nickte, sah sie noch einen Moment an – und stieg dann auf, führte ihren Befehl aus.


    Und dann war sie allein. Der kalte Wind zerrte an ihrer Gestalt, zerzauste ihr offenes Haar, riss an der dünnen Tunika. Und das Heer rollte unablässig näher heran. Axilla konnte es auf der nächsten Hügelkuppe schon sehen. In nicht einmal einer Stunde wäre es hier.
    Ihr Herz schlug schnell und hart vor Aufregung in ihrer Brust. Obwohl sie seit zwei Tagen eigentlich nichts nennenswertes gegessen hatte, war ihr übel. Ihre Gedanken rasten. Sie wollte noch etwas tun, wollte sich noch besser vorbereiten, aber sie wusste nicht, was sie noch tun konnte.
    Vor ihr auf der matschigen erde lag ein scharfkantiger Stein. Ihr Blick fiel darauf und heftete sich daran fest. Die Gedanken rasten weiter, ebenso ihr Herz. Dem drang, etwas zu tun, folgend, hob sie den Stein auf und wendete ihren Blick zum Himmel.
    “Ihr Götter, hört mich an. Ich habe nicht viel zu geben. Im Grunde hab ich nichts, was ich euch geben kann. Alles, was ich habe, werde ich jetzt aufs Spiel setzen, und wenn es vergebens ist...“ Axilla sprach den Gedanken nicht aus. Was wird die Nachwelt wohl von diesem Treffen sagen? “Darum weihe ich euch kein Tier. Keinen Reichtum. Nur das hier.“ Sie schnitt sich mit dem Stein in den rechten Handballen. Es war nicht sehr tief, aber sie hatte Angst gehabt, sich zu tief zu verletzen, und es tat auch so weh. Dennoch blutete es kaum, und sie musste mit den fingern leicht drücken, dass überhaupt Blut kam. “Lares“, begann sie, nach Süden gewandt, streckte den Arm aus und ließ einen Tropfen Blut zur Erde tropfen. “Schützt diesen Ort nach Süden... Osten... Norden... Westen...“ Jeweils rechts herum gedreht ließ sie einen Tropfen Blut mit ein bisschen Nachdruck auf ihren Handballen zu Boden tropfen. Beim letzten wollte schon kaum mehr einer kommen, der Schnitt hatte sich schon wieder geschlossen, brannte nur noch ein wenig. Axilla hatte das Gefühl, das Blut wäre auf der Haut direkt festgefroren. Ob es wohl heißen würde, eine Zauberin hätte auf Palma gewartet?
    “Ianus, schließe die Schlösser der Himmel auf, damit alle sehen, was hier geschieht.“ Vielleicht auch eine Nymphe? Ein mythisches Wesen? “Mars, gib mir die Stärke, dass ich nicht kläglich oder jämmerlich wirke. Lass mich keine Schande über meine Ahnen bringen, indem ich furchtsam bin. Lass mich nicht zurückweichen. Ein Soldat weicht nicht zurück... Vielleicht auch nur eine Verrückte, ein irres, häßliches, altes Weib. Sie fühlte durch ihre Fußsohlen, wie die Erde leicht zitterte, als sich der Heerwurm langsam näher wälzte. Sie schloss die Augen und zwang sich, ruhig stehen zu bleiben, weiter zu flüstern. “Tellus, die du den Schmerz einer Mutter kennst, die von ihrem Kind getrennt ist, weihe diese Erde. Lass sie nicht an mir vorbeigehen. Hilf mir, meine Kinder zu schützen...“ Vielleicht auch gar nichts. Vielleicht war das hier zu unwichtig, um irgendwo aufzutauchen. Der Wind wehte den Geruch von Pferden, Rost, Leder und Schweiß heran. “Dis pater, halte deinen Blick auf mich, damit ich stark bleibe und keine Schande über meine Ahnen bringe. Lass mich aufrecht sterben, wenn es soweit kommt...“ Staub im Wind, nicht einmal ein Geist der Toten, wenngleich so bleich. Vergessen im Sand der Jahrhunderte... Axilla konnte jetzt die Stimmen schon hören, das erzittern der Straße unter den genagelten Sohlen und den Hufen fühlen. Ihre Finger klammerten sich enger um den Ledertornister. Der Druck auf ihren rechten Handballen ließ den leichten Schmerz in ihrer Hand wieder aufflammen, zeigte ihr, dass sie noch am Leben war, nicht träumte. “Isis, die du Schmerzen kennst, den Schmerz einer sorgenden Mutter, Isis, große Mutter, Isis, große Hüterin, wache über meine Kinder...“


    Ein Schatten fiel auf sie, und Axilla öffnete ihre grünen Augen, blickte fest auf den Mann, der den Schatten warf. “Ich warte auf Appius Cornelius Palma.“ Sie sagte es fest, laut, und ohne zittern, und rührte sich dabei kein Stück, wie eine Marmorstatue, die jemand hier auf die Straße gestellt hatte und die sich dazu entschieden hatte, plötzlich etwas zu sagen.

  • Der Mann, der den Schatten warf, gehörte zur Vorhut der marschierenden Truppen. Auf dem Weg nach Rom und auch vorher schon auf dem Weg nach Misenum hatten sie schon allerlei Menschen auf der Straße oder am Straßenrand gesehen, aber eine solche Erscheinung war bisher nicht dabei gewesen. Bauernburschen hatte es häufig gegeben, Händler ebenso, Hirten, zum Teil auch mit ihren Herden, und Reisende aller Art. Aber eine barfüßige Frau in weißem Gewand war ihnen noch nicht begegnet.


    Der Soldat tippte darauf, dass sie irgendeine Priesterin war und da er selber nicht hier aus dieser Gegend war nahm er zudem an, dass vermutlich irgendein Heiligtum in der Nähe war, zu dem sie gehörte. "Da bist du nicht die einzige", antwortete er dann aber trotzdem recht vorlaut. "Wer bist du denn?" schloß er als diestliche Frage dann gleich an, während sich weitere Männer der Vorhut hinzu gesellten, die bisher ein Stück neben der Straße gelaufen waren.

  • Die erste Antwort fiel recht pampig aus, aber Axilla durfte sich jetzt nicht verunsichern lassen. Sie hatte da gar keine Wahl, sie war zu weit gegangen, hatte zu viel riskiert – und sie würde noch sehr viel mehr riskieren müssen! - um sich davon jetzt abhalten zu lassen. Wenn sie zauderte, würde sie alles verlieren. Wenn sie unsicher war, würde sie alles verlieren. Jede noch so kleine Schwäche würde dazu führen, dass sie weichen musste. Und das war das einzige, was sie nicht konnte.
    Wer war sie also in diesem Moment? Eine Mutter, die um das Leben ihrer Kinder kämpft. “Ich bin fama. Ich bin fortuna. Ich bin Rom.“ Ich bin verrückt. Axilla blickte dem Mann fest und unnachgiebig in die Augen. “Also geh und sag Cornelius, dass hier das Schicksal auf ihn wartet, um zu bestimmen, ob er als Kaiser oder als Schlächter nach Rom einzieht. Ich warte hier auf ihn.“
    Axilla wusste, dass sie hoch pokerte. Aber angesichts der Tatsache, dass sie alles daran gesetzt hatte, um diese Begegnung so mythisch und sakral wie irgend möglich zu machen, um die Götter ihrer Sache auch gewogen zu machen (und nebenbei die Chance zu steigern, dass Cornelius Palma schon allein aus Religiosität nicht einfach an ihr vorbeimarschierte, ohne wenigstens mit ihr gesprochen zu haben und so böse Omen auszuschließen), war ein klein wenig Kryptik passend. Und erhöhte auch die Chance, dass Palma aus Neugier mit ihr sprach, und nicht einfach nur 'Welche Iunia? Nie gehört' sagte und weiterging.

  • Die Antwort war nicht von der Präzision, die der Soldat überlicherweise bei Antworten auf solche Fragen gewohnt war, aber sie schien ihn zu beeindrucken oder zumindest hinreichend zu irritieren, um den Fall an seinen Vorgesetzten weiter zu verweisen. "Warte besser neben der Straße, die Jungs überrennen dich sonst", gab er der seltsamen Priesterin trotzdem noch als guten Ratschlag mit, bevor er sich nach hinten begab, um von der Begegnung zu berichten.


    Der Centurio der Vorhut, dem er Bericht erstattete, machte sich selber seinerseits tatsächlich auf den Weg zu Cornelius Palma, der auf einem Pferd in der Mitte der Marschkolonne ritt. Er führte gerade ein durchaus lockeres und entspanntes Gespräch mit seinen Offizieren, als ihm die Meldung überbracht wurde.


    "Eine Priesterin mit einer Weissagung? Nun, wenn wir ohnehin dort vorbei kommen, dann hören wir uns das zumindest mal an. Es soll schon Männer gegeben haben, die eine Seherin nicht anhören wollten und wenig später tot waren."


    Cornelius Palma machte allerdings keine Anstalten, den Heerzug dafür zu verlassen, sondern wartete darauf, bis sie an der entsprechenden Stelle vorbei zogen und man ihn dann noch einmal auf die vermeintliche Priesterin hinweisen würde.

  • Vermutlich war es eine ausgezeichnete Idee, von der Straße zu gehen und zu warten, bis Palma zu ihr an den Straßenrand kam, während die Legionen vorbeimarschierten. Vermutlich hatte der Kundschafter hier recht, und die Legionen würden sie da überrennen, wenn sie es nicht tat. Aber – und das war der eine, große und entscheidende Grund – wenn sie von der Straße ging, konnte Palma einfach an ihr vorbeireiten. Und sie hatte dann absolut keine Chance, zu ihm zu gelangen. Wie ein Bettler, der versuchte, von einer vorbeiziehenden Sänfte einige Münzen zu erbetteln, würde sie einfach auf der Seite gehalten werden, und sie hatte nicht die Möglichkeiten, einfach mit ihnen mitzumarschieren, bis Palma sich ihrer erbarmte. Was er dann vermutlich auch nicht tun würde, sondern sie einfach weiterhin von sich fernhalten ließ. Nein, ein Soldat wich nicht zurück. Auch wenn er bisweilen schlotternde Knie hatte.
    Axilla sah dem Kundschafter nach, während das Heer näher heranrollte, blieb aber auf der Straße stehen. Es war ihrer Meinung nach ihre beste Chance, wirklich ein treffen herbeizuführen, wenn sie nur den Männern genug Angst und Unsicherheit einflößte, indem sie einfach nicht wich. Nichts war ehrfurchtgebietender als unnachgiebige Entschlossenheit und Disziplin, so hatte sie es gelernt. Auch wenn sie dabei fürchterliche Angst hatte.
    Axilla schloss die Augen und wartete, betete wieder leise murmelnd. “Marspiter, lass mich standhaft sein und nicht weichen. Iuppiter Optimus Maximus, schenke mir deine Ausstrahlung, so dass sie vor mir zurückweichen. Diana, große Jägerin, schenke mir deine Stärke und Entschlossenheit. Isis, große Göttin, gib mir die Kraft, dies für meine Kinder zu tun...“

  • Keine Segel, kein gleichmäßiger Ruderschlag, nur tausende von Schuhnägeln auf dem Pflaster der Straße. Monoton, wie jeder Marsch. Abwechslung bahnte sich an, als die Meldung von einer Priesterin die Runde machte. Die Augen offen halten war angesagt. Diese Frau wollte ich gerne aus der Nähe sehen. Ich ritt ein Stück vor und sah sie einer langen weißen Tunika am Straßenrand stehen. Sie drückte einen Ledertornister an die Brust. Schuhe trug sie keine. Beim näher heranreiten kam mir ihr Gesicht bekannt vor. Sie hatte sehr viel Ähnlichkeit mit einer Iunia, die ich vor längerer Zeit kennengelernt hatte. „ Bist du die Priesterin?“ War meine förmliche Frage vom Pferd herab. Ich rechnete nicht damit, genau diese Iunia, Iunia Axilla vor mir zu haben. „ Der Senator wird gleich hier sein.“ Ich winkte den heranreitenden Offizieren des Senators zu. „ Hier, ist die Priesterin.“ Es blieb zeit sie genauer anzusehen. so sahen also Priesterinnen aus die gutes oder böses bewirken konnten. Die das Schicksal beeinflussen konnten. Leid oder Glück über einen brachten. Ein merkwürdiges Gefühl jemandem gegenüberzustehen, der vielleicht sagen konnte wie das eigene Leben weiter ging. Ich wurde das Gefühl nicht los, das nicht alles so war wie es aussah.

  • Die gesamte Streitmacht machte sich auf den Weg in Richtung Rom, Palma wollte endlich seine neue Position als Herrscher beziehen und die Cohorte Urbanae war selbstverständlich auch auf dem Weg nach Hause um seine Stellung zu beziehen.


    Wir marschierten bereits eine ganze Weile, bis zwischen den Reihen eine interessante Neuigkeit von einer Priesterin die Runde machte. Mit einem Schlag wurde allerhand darüber erdacht, war sie jene, die Palma zu dieser unbesiegbaren Armee verhalf? war wohl das wichtigste Thema hierbei, diesem schloss ich mich ebenfalls an.
    Das Gerede darüber, wurde von einem unserer Offiziere mit einem "Silencium!" unterbrochen, was dafür sorgte das sich jeder mit seinen eigenen Gedanken den Kopf darüber zerbrach, was wohl eine Priesterin mitten im Nirgendwo macht.
    Wenn sich eine Priesterin vor ein Heer dieser ausmaßen stellt dann muss es aufjedenfall etwas wichtiges sein sagte ich mir immer wieder, dieser Gedanke setzte sich fest und verursachte ein immer stärkeres Verlangen danach, zu erfahren was sie hier tatsächlich machte.
    Aber sollte sich kein Offizier dazu herablassen es uns zu erzählen, werden wir es nie in Erfahrung bringen.

  • Der Heerzug zog voran, als gemischte Truppe aus den Legionären des Cornelius Palma, einem Teil der Marineinfanterie der Classis Misenensis und Soldaten der Cohortes Urbanae. Cornelius Palma hatte sie centurienweise gemischt sortiert marschieren lassen, weil ihm dies am sichersten erschien. Die vermeintliche Priesterin war trotzdem unter allen von ihnen schnell Gesprächsthema, selbst unter jenen, die weiter hinten marschieren als der Befehlshaber selber. Dessen Neugier stieg auch ein wenig, bis man ihm schließlich meldete, dass man die Stelle erreicht hatte und die Frau noch immer auf der Straße stehen würde, so wie man sie angetroffen hatte.


    Auf den ersten Blick vermutete Cornelius Palma, dass es sich um eine Vestalin handeln könnte, was sich bei einem zweiten Blick auf die Kleidung jedoch schnell als falsch herausstellte. Dafür hatte er mehr als genug Vestalinnen gesehen um zu wissen, dass diese anders aussahen. Zumal sie nicht barfuß auf Staatsstraßen kurz vor Misenum herumzustehen pflegten. Er ordnete noch rasch an, dass sich der Heerzug von seinem Stop nicht aufhalten lassen solle und sprach die Frau dann kurzerhand an, ohne vom Pferd hinab zu steigen.


    "Salve! Man meldete mir, du würdest mit einer Botschaft auf mich warten, die mein Schicksal entscheide. Ist dies die Wahrheit?"

  • Das Heer kam immer näher heran. Bald war Axilla sich nicht mehr sicher, ob sie aus Aufregung oder der Kälte leicht zittern mochte, oder ob die Straße so vibrierte, dass es ihr wie Zittern vorkam. Sie hielt die Augen geschlossen, um so ihren Mut zu bewahren und nicht am Ende angesichts der Armee, die auf sie zuhielt, zurückweichen würde. Und so fühlte Axilla nur, dass die armee sie schließlich erreicht hatte, die Augen fest geschlossen haltend, bis wieder ein Schatten auf sie fiel und ihr eine Frage gestellt wurde. Ob sie eine Priesterin sie. Nein, vielmehr die Priesterin. Das war es also, was sie sein würde? Eine Priesterin? Sie hatte nie gesagt, dass sie eine wäre, und es war ein seltsames Gefühl, jetzt wohl eine sein zu sollen. Aber auf der anderen Seite, es war etwas sakrales, was sie tat, Axilla verstand ihr Handeln durchaus als religiöse Tat. Sie hütete das Testament des verstorbenen Kaisers, wie es eine Vestalin tun würde. Abgesehen von der Sache mit der Jungfräulichkeit.
    Sie öffnete also die Augen und sah Reiter um sich. Sie blinzelte leicht gegen die Sonne und sah zu dem Reiter auf, der sie so neugierig betrachtete. Und sie kannte den Mann. Einen Moment nahm sie sich Zeit, ihn genau anzusehen, bevor ihr wieder einfiel, woher sie ihn kannte. Das war der Vetter von Decimus Serapio. Sie hatte ihn vor langer Zeit bei Gladiatorenspielen getroffen. An und für sich wäre ihr die Begegnung nicht im Gedächtnis geblieben, aber angesichts der Tatsache, dass Decimus Serapio sie an dem Tag so schwer beleidigt hatte, hatte sie es sich doch gemerkt. Aber was machte er hier. War er noch bei der Classis? Axilla verstand es nicht, aber es war auch nicht wichtig. Eine Antwort stand noch aus. “Jede Frau ist eine Priesterin, Appius Decimus Massa.“ Wenn er sie erkannt hatte, wusste er, wen er vor sich hatte und was sie hier wollte. Aber warum sollte er sie dann gefragt haben, ob sie Priesterin sei? Nein, vermutlich hatte er sie nach all der Zeit schon lange vergessen.


    Und es war auch keine Zeit, lange darüber nachzudenken. Weitere Männer rückten nach und betrachteten sie mehr als neugierig. Axilla zwang sich, still wie eine Marmorstatue dazustehen und zu warten. Sie unterdrückte jedes Zittern, dass ihr flatterndes Herz ihrem Körper aufzwingen wollte, verbannte jede Unsicherheit aus ihrem Blick. Sie war eine Mutter, sie konnte sich Zweifel nicht leisten. Sie tat das hier für ihre Kinder, und für die würde sie wilder kämpfen als jede Wölfin, Löwin oder Bärin. Und daraus schöpfte sie Kraft.
    Es war auch nicht lange, bis ein weiterer Mann ihr eine Frage stellte, die darauf schließen ließ, dass dies Cornelius Palma wäre. Axilla nahm sich auch die Zeit, zu ihm hoch zu blicken. Er war alt, die wenigen Haare auf seinem Kopf waren grau, und sein Gesicht hatte etwas Strenges, wenn auch nicht Abweisendes. Axillas Nervosität nahm zu, aber sie zwang sich weiter zur Ruhe. Jetzt zählte es. Sie hatte nur ein Schild aus Papyrus gegen diese ganze Armee. Sie musste es weise einsetzen, damit es dem Ansturm standhielt und ihre Familie beschützte.
    “Ich habe mehr als eine Botschaft. Durch mich wird der Unterschied gemacht, ob du als Eroberer oder als Kaiser nach Rom einziehst.“ Auch wenn er das vermutlich anders sehen würde. Er hatte Rom schon erobert, keiner konnte ihn wohl mehr daran hindern, Kaiser zu werden. Und trotzdem wählte Axilla ihre Worte so. Sie merkte, wie ihr Körper zittern wollte, dass sie die Anspannung nicht in alle Ewigkeit halten würde können. Um ihn herum war seine halbe Armee, sie alle würden Zeuge sein von dem, was sie sprachen, sie alle hingen an ihren Lippen. Sie atmete einmal tief durch, und wandte jedes bisschen inneres Stärke auf, um jetzt nicht zu zögern und hoffentlich die Stärke auszustrahlen, die sie hierfür brauchte. Sie öffnete den Tornister und holte das in weiches Leder eingeschlagene Papyrus hervor. Den Tornister ließ sie einfach fallen, weil sie hierfür ihre beiden Hände brauchte. Das Siegel des Kaisers hing groß und gut sichtbar schon jetzt herunter. “Dies ist das Siegel des Imperator Caesar Augustus Gaius Ulpius Aelianus Valerianus! Es wurde gebrochen!“ Axilla wartete einen kurzen Moment, schätzte die Reaktion der Männer ab, hoffte, ihre stimme hielt, als sie das Papyrus aufrollte und laut vorlas. “Testamentum des Gaius Ulpius Aelianus Valerianus, Imperator Caesar Augustus, Divi Iuliani Filius Pontifex Maximus, Tribuniciae Potestatis Imperii Proconsulare Censor!


    Pars Prima. Meine Betriebe, Grundstücke und Immobilien, mein Privatvermögen, Lagerbestände und aller beweglicher Besitz sollen meinem Sohn und Thronerben Publius Ulpius Maioranus zufallen.
    Pars Secunda.Sollte das Erbe aus Gründen der Unvolljährigkeit oder des Todes meines Erben nicht auszahlbar sein, so wird mein nächster agnatischer Verwandter aus der Gens Ulpia als Verwalter bis zur Vollstreckung des Erbes bzw. selber als Gesamterbe eingesetzt.
    Pars Tertia. Sollte die Gens Ulpia zum Zeitpunkt meines Todes erloschen sein, setze ich den Consular Appius Cornelius Palma ein, der meinem Vater und Großvater in Krieg und Frieden tapfer und treu gedient hat, als meinen Gesamterben und Thronfolger ein.
    Dies verfüge ich im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, niedergeschrieben und gesiegelt mit eigener Hand.
    Unterschrieben und gesiegelt vom Kaiser am sechsten Tag vor den Iden des Mai im Jahr Achthundertachtundfünfzig.


    Vescularius wollte dieses Testament zerstören, aber die Götter ließen dieses Sakrileg nicht zu und gaben es in meine Hände zur Aufbewahrung.“
    Axillas Stimme fühlte sich heiser an, aber sie war noch nicht fertig. Sie musste noch mehr sagen, und die Männer um sie herum mussten nicht nur das Testament des Kaisers hören, sondern auch alles weitere. “Als Gnaeus Marcius Coriolanus nach Rom zog, kamen seine Frau und Mutter ihm entgegen, um ihn abzuhalten, Rom zu zerstören. Ich bin weder deine Frau, noch deine Mutter. Und doch stehe ich hier aus demselben Grund.
    Mein Name ist Iunia Axilla, Tochter des Atticus Iunius Cassiodor, Witwe des Caius Aelius Archias, Ehefrau des Procurator a libellis Gaius Pompeius Imperiosus und Mutter zweier Kinder.
    Kaiser Valerianus glaubte, du bist ein guter Mann und ein würdiger Nachfolger. Also sage mir, Cornelius, bist du der Mann, für den Valerianus dich hielt. Bist du ein Kaiser, der Großmut, Treue und Mut anerkennt, der nicht kommt, um alles zu zerstören, was ich an Rom liebe, der nicht das Erbe des letzten Kaisers Ulpius Valerianus zerstört? Denn wenn ja, dann bitte ich dich darum, eben jene Kaiserlichkeit und Großmut auch zu zeigen, die meinen Söhnen eine Zukunft und einen Vater erhält. Und wenn nein, dann bitte ich dich darum, nach meinem Verwandten Iunius Priscus zu fragen, der für dich in der Legio Prima gekämpft hat, damit ich von der Hand eines Verwandten sterben kann, wie es mir nach Rang und Namen als Iunia und Frau eines Ritters zusteht, und nicht von der Hand eines Schlächters.“

    Axilla hielt ihm am langen arm ausgestreckt das Testament entgegen. Das Papyrus bog sich leicht in der sanften Brise, die erste Frühlingsluft zu ihnen brachte. Axilla hatte keine Ahnung, ob er das Testament ergreifen würde. Mehr als diesen dünnen Schild hatte sie nicht, und sie hoffte, dass sie ihn weise eingesetzt hatte und die Anwesenheit all dieser Männer, die sie gehört hatten, ihn zu Milde zwang und er der Mann war, den Kaiser Valerianus in ihm gesehen hatte.

  • Bei Minerva und Neptun, sie kannte meinen Namen! Nach nochmaligem Mustern war ich mir relativ sicher. Es war Iunia Axilla. Was trieb sie hier, Barfuß, in einfacher Tunika? Was verbarg sie in diesem Ledertornister? Und seit wann war sie Priesterin? „ Iunia Axilla?“ weitere Fragen waren nicht möglich Senator Cornelius Palma war eingetroffen. Ihre Eröffnung ließ nicht nur mich aufhören. Um uns herum war es still geworden. Kein Laut, alles hörte gespannt zu. Dann brach es über uns herein. Ihre Offenbarung, dieses Schriftstück. Ich stand nahe genug um das gebrochene Siegel teilweise zu erkennen. Es war das Siegel des Imperator, des Ulpiers. Was sie vorlas war im ersten Moment unfassbar. Je mehr sie vortrug, desto deutlicher wurde die Tragweite dieser Enthüllung. War dieses Dokument echt, saß unter uns der rechtmäßige Imperator. Sie sprach nach der Verlesung weiter, appellierte an den Cornelier. Alle Augen hingen am Senator. Was tat er nach dieser Offenbarung? Sein Ansehen war in den eigenen Reihen hoch. Die dazu gewonnenen könnte er mit einem Akt der Milde voll auf seine Seite ziehen. Es wäre ein triumphaler Einzug in Rom.


    Meine Blicke wanderten zur Iunia. Die Tat einer verzweifelten Mutter? Ein geschickter Schachzug, ihre Familie aus dem Schlamassel heraus zu holen? Sie hatte ihre Chance genutzt. Nun lag es in der Hand des Senator’s.

  • Cornelius Palma war sich ziemlich sicher, dass er mehr wusste als alle anderen Anwesenden. Das einzige, was er nicht wusste, war, was Iunia Axilla eigentlich genau von ihm wollte. Ihr Appell hörte sich in seinen Ohren reichlich vage an, was es andererseits leicht machen würde, ihm nachzukommen. Aber das andere, was sie zuvor verkündet hatte, war ohnehin viel wichtiger. Sehr viel wichtiger als jede bisher geschlagene Schlacht sogar. Er nahm zwar nun nicht mehr an, dass es sich bei der Frau um eine tatsächliche Priesterin handelte, aber von den Göttern gesandt schien sie allemal und das war das einzige was zählte und was es nun zu nutzen galt. Schwungvoll und trotzdem mit der nötigen Portion Würde und vor allem auch einer Prise Demut stieg Cornelius Palma daher von seinem Pferd herab und schritt auf Iunia Axilla zu, um das Testament aus der Nähe zu betrachten.


    "Ja, dies ist das Siegel des Imperator Caesar Augustus Gaius Ulpius Aelianus Valerianus. Und dies ist nicht das Testament, welches im Senat von Rom verlesen wurde."


    Beides Feststellungen verkündete er laut, so dass die Umstehenden sie hören konnten, nachdem ja ohnehin alle Augen auf ihn und Iunia Axilla gerichtet waren. Erst dann sprach er etwas leiser und direkt an eben jene Frau gerichtet.


    "Die Götter mögen es gefügt haben, dass du dieses Testament vor der Vernichtung gerettet hast, aber nun wird es deine Aufgabe sein, Rom genau dies wissen zu lassen. Begleite uns, so dir dies möglich ist, und trage in Rom eben jenes vor, was du hier öffentlich bezeugt hast. Du kannst dir gewiss sein, dass ich den hier niedergeschriebenen Willen und Wunsch getreulich erfüllen werde und nicht komme, um Rom oder das Erbe des Ulpius Aelianus Valerianus zu zerstören."


    Das Testament nahm Cornelius Palma nicht an sich, denn in der Hand von Iunia Axilla war es weitaus mehr wert als in seiner eigenen. Und genau auf diesen symbolischen Wert musste er setzen, denn juristisch war es im Moment gleich aus mehreren Gründen nicht mehr wert als jenes, was im Senat veröffentlicht worden war. Immerhin hatte Iunia Axilla ihm mit ihren Worten den Ansatzpunkt geliefert, um genau das zu ändern, doch zumindest hier, knapp 160 Meilen vor Rom, wusste das wohl tatsächlich nur Cornelius Palma alleine.

  • Titus war ausgeschlafen, endlich wieder einmal ausgeschlafen. Die letzten Tage in der Castra hatten gut getan und der Wechsel hin zu ihrem neuen Befehlshaber war erstaunlich reibungslos vonstatten gegangen. Irgendwie hatte sich eigentlich gar nichts geändert. Im Grunde kämpften sie selbst immer noch für einen Mann, den sie gar nicht kannten. Nun gut, im Gegensatz zum Vescularier konnte Titus nun wenigstens behaupten, seinen Befehlshaber einmal in Echt zu sehen und nicht nur eine Statue, die von irgendwoher auf ihn herunterschaute.


    So marschierte Titus an seinem Platz im Tross der Classis und begann plötzlich zu lachen. Seinen Kopf zu Coriolanus drehend meinte er laut:


    "Sag mal, ist dir eigentlich aufgefallen, dass wir mittlerweile beinahe mehr zu Fuß unterwegs waren, als auf einem Schiff?"


    Titus fand diese Tatsache äußerst amüsant. Schließlich wurden sie auch jetzt noch vielfach, vor allem von den Cohortes als Wasserratten bezeichnet. Doch hatten sie auch bewießen, was diese Wasserratten auf dem Land zu leisten im Stande war.


    Urplötzlich, nachdem sie so angenehm ruhig marschiert waren gab es einen kleinen Tumult und Hektik. Titus konnte nicht genau erkennen was gerade passierte, doch allem Anschein nach hielt eine Frau den ganzen Tross auf. Er konnte erkennen, dass der Cornelier von seinem Pferd stieg, sah aber nicht an die Stelle an der sie nun standen. Titus versuchte sich lang zu machen, konnte aber nicht über die Köpfe der anderen hinwegsehen. Entnervt fragte er deshalb:


    "Was ist da vorne los?"

  • Der Cornelier stieg ab und kam auf Axilla zu. Jeder ihrer Instinkte riet ihr, zurückzuweichen, die direkte Begegnung zu vermeiden. Wegzulaufen, so lange sie dazu noch die Chance hatte, heim, zu ihren Kindern, die sie vermisste, und die sicher auch sie vermissten. Aber standhaft und aufrecht blieb sie stehen, nicht einmal ein Zittern war ihr anzusehen, als sie den neuen Kaiser des römischen Imperiums auf sich zukommen ließ. Er berührte das Testament nicht einmal, oder machte Anstalten, es an sich zu nehmen. Lediglich stellte er fest, was Axilla ja schon wusste: Dass dieses Testament nie verlesen worden war und das Siegel des Kaisers echt war.
    Warum er es nicht an sich nahm, das erklärte er auch sogleich danach, wenngleich leiser. Das war also der Preis, den er verlangte. Axilla hatte nicht einmal damit gerechnet, so weit zu kommen, und auch nicht damit, es zu überleben. Dann so gesagt zu bekommen, dass sie nun wohl eine Geisel war, um später die Legitimität des Corneliers noch einmal öffentlich zu bezeugen, war nun nicht wirklich überraschend, aber eben auch nicht erwartet. Aber Axilla war nicht dumm genug, um nicht zu erkennen, dass sie wohl kaum eine andere Wahl hatte, als zu tun, was der Cornelier von ihr erwartete.
    Dennoch wollte sie nicht gleich ganz mitspielen. Seine Worte waren ihr zu vage, zu allgemein. Was er sagte, konnte alles oder auch nichts heißen. Es konnte heißen, dass er Rom nicht abfackelte – was sie ohnehin nicht geglaubt hatte – aber es hieß nicht unbedingt, dass ihre Familie gerettet und in Sicherheit war. Oder eine angemessene Zukunft hatte. Er konnte ihren Mann ins Exil stecken, ihre Söhne zu Peregrinen erklären. Oder töten lassen. Nichts davon würde das Erbe von Valerianus ernsthaft ankratzen. Von daher war Axilla seine Einlassung zu ungenau. Allerdings war sie auch nicht so dumm, ihn da herauszufordern und laut mehr zu fordern, vor all seinen Männern. Wenn sie es leise tat, ließ sie ihn besser sein Gesicht wahren, und vielleicht war er dann großzügiger.
    Also trat sie noch ein wenig näher an ihn heran, während sie das Testament herunternahm und vorsichtig einrollte. Sie wollte nicht jammerig oder ängstlich klingen, und sie hoffte, dass ihre Stimme nicht ihre Unruhe widerspiegelte. “Und was ist mit meinen Söhnen, Cornelius? Werden sie unter deiner Herrschaft Ritter sein können mit entsprechenden Posten, wenn sie alt genug sind? Und mein Mann? Er ist Procurator a libellis. Wirst du ihm die Gelegenheit geben, dir auf diesem Posten weiterhin zu dienen? Ebenso habe ich zwei Vettern bei den Prätorianern. Wenn sie noch leben, werden sie ihre Karriere dort fortsetzen können?“
    Axilla wollte etwas definitiveres als das gesagte. Sie wollte wenigstens ein klein wenig Hoffnung haben. Sie erwartete ja gar nicht, dass er auf den Stein des Iuppiter schwor, ihr all das im Gegenzug für ihre Dienste zu geben. Aber wenigstens sein Wort als Mann, das wollte sie.

  • Als wenn Cornelius Palma sie darum gebeten hätte, machte Iunia Axilla nun einen weiteren Anlauf ihm zu erklären, was genau sie eigentlich von ihm wollte. Verglichen mit der Größe und Tragweite dessen, was hier gerade vorgefallen und öffentlich erklärt worden war, nahmen sich ihre Wünsche außerordentlich klein aus, aber trotzdem wusste Cornelius Palma noch immer nicht recht etwas damit anzufangen. Er kannte all die Personen nicht, die sie ihm vortrug, hatte nie von ihnen oder ihren derzeitigen Aufgaben gehört, kannte nicht einmal ihre Namen. Und da er es nicht mochte, über Leute zu urteilen, die er nicht kannte und das auch noch auf Empfehlung von anderen Leuten, die er eine Stunde zuvor ebenfalls noch nicht kannte, wollte er auch keine großen Versprechen abgeben, auch wenn sein ehrliches Interesse geweckt war.


    "Es wird mir eine Freude sein, deine Söhne kennenzulernen wenn du sie für alt genug hältst und es Zeit ist, über ihre Zukunft zu entscheiden. Wenn sie nur ein wenig vom Mut ihrer Mutter geerbt haben, wird Rom sie nicht entbehren können. Auch über deinen Mann und deine Vettern möchte ich gerne wohlwollend entscheiden, wenn mir ihre Fälle vorgelegt werden und wünsche dir, dass sie noch am Leben sind und dich in Rom wiedersehen können."


    Cornelius Palma schaute sie dabei mit festem Blick und freundlichem Gesichtsausdruck an, auch wenn ihm bewusst war, dass er letztlich nicht mehr versprochen hatte als später zu entscheiden. Aber es entsprach seiner eigenen Erwartung an sich selber, dass er in Dingen, die anderen Menschen wichtig schienen, keine übereilten Entscheidungen treffen wollte ohne verschiedene Seiten gehört zu haben. So wollte er es später als Kaiser auch tun, wenn es sich einrichten ließe und deshalb wollte er mit diesem Vorsatz nicht schon brechen, bevor er überhaupt begonnen hatte.

  • Das war weniger als gar nichts, was er ihr gab. Nicht das kleinste bisschen, was sie als Ehrenwort auffassen konnte, nicht die kleinste Beruhigung. Im Grunde genommen vertröstete er sie nur aus später und sagte – versprach es noch nicht einmal – dass er, sofern ihm die Fälle ihrer Lieben vorgelegt wurden, dann wohlwollend sein wollte. Was nicht viel mehr hieß, als dass er sie vielleicht nicht tötete, sondern nur ins Exil schickte. Da mochte auch seine freundliche Art nicht darüber hinwegtäuschen, dass er Axilla nicht das geringste Zugeständnis machte.
    Die Iunia fühlte sich ob dieser Erkenntnis alles andere als gut. Im Grunde war sie froh, dass sie sowieso schon stand, wäre dies im Laufen geschehen, sie wäre gestrauchelt. Und ihre Knie fühlten sich so weich an, dass sie sich sehr konzentrieren musste, nicht zu wanken oder die Verzweiflung über sie hereinbrechen zu lassen und gänzlich zu fallen.


    Ihre Antwort stand noch aus auf seine 'Einladung'. Noch immer war die Aufmerksamkeit der Männer auf sie beide gerichtet. Sie musste antworten. Und natürlich gab es auch keinen Zweifel daran, wie sie antworten musste.
    Axilla zwang sich zu einem freundlichen Lächeln, bei dem man sie allerdings nicht einmal zu kennen brauchte, um zu sehen, dass dies nicht echt war. Selbst zu ihrem gefälschten Lächeln war sie im Moment nicht in der Lage. Ihre Gedanken waren ganz bei ihren Kindern und ihrem Mann, bei ihren Vettern und all dem, was sie für sie zu tun bereit gewesen war. Und dass es doch nichts genützt hatte.
    “Wer wäre ich, die Einladung meines Kaisers auszuschlagen? Sofern du einen Platz für mich in deinem Zug hast, begleite ich dich gerne nach Rom.“ Es war wieder so laut, dass alle um sie herum es hören konnten. Es war ja auch die einzig passende Antwort gewesen, noch dazu freundlich vorgetragen. Wenngleich ihr Herz etwas anderes sagen wollte.
    So blieb Axilla aber erst einmal nur die Hoffnung, dass Palma wenigstens den Anstand besaß, sie während ihrer Geiselhaft vernünftig unterzubringen und ihr einen standesgemäßen Platz finden würde. Er konnte kaum von ihr erwarten, bis nach Rom zu laufen.

  • Das Lächeln auf den Lippen der Frau kam Cornelius Palma nicht ganz entspannt vor, aber er hatte genau in diesem Augenblick selber auch schon wieder andere Sorgen im Kopf, um sich darüber Gedanken zu machen. Ganz pragmatisch wollte er der Frau mit dem wertvollen Dokument nämlich ein guter Gastgeber sein, hatte aber auf einem Feldzug keinen dafür notwendigen Reisewagen dabei. Da ein Gepäckwagen seiner Meinung nach auch keine angemessene Alternative war, zumal er nur ganz wenige davon im Tross hatte, die er in Süditalien hatte requirieren können, verlange er erst einmal nach einem zusätzlich Pferd, nur um dann gleich wieder fragend zu Iunia Axilla zu blicken.


    "Kannst du reiten? Ansonsten müssten wir dir einen der schweren Gepäckwagen herrichten. Benötigst du sonst noch etwas? Kannst du überhaupt einfach so mit uns kommen oder musst du noch Gepäck abholen?"


    Erst in diesem Augenblick fiel Cornelius Palma auf, dass Iunia Axilla wohl kaum einfach so ohne Gepäck aus dem Nichts hier erschienen wäre. Irgendwo musste es also Gepäck geben, was abzuholen war und womöglich vorher auch noch gepackt werden musste. Also wies er schon einmal einen Offizier aus seinem Stab an, sich für eventuelle Extrawege bereit zu halten. Vielleicht würde er bei einem Bauern in der Nähe auch einen angemessenen Wagen auftreiben können.

  • Meine Anwesenheit war nicht mehr von Nöten. Der Cornelier beauftragte einen seiner Offiziere. Die Vorhut war ein gutes Stück voraus. Das Pferd bekam meine Fersen. Iunia Axilla zog auf eindringlichen Wunsch des Senator’s mit unserem Tross. Mein Weg führte an Iunia Axilla vorbei. „ Vale Iunia Axilla, solltest du Hilfe benötigen oder dergleichen. Mein Zelt steht neben dem des Praefectus der classis.“ Das war das einzige was ich ihr anbieten konnte, falls sie abends Lust zum Reden und auf ein bisschen Gesellschaft hatte. Unterwegs war es für uns immer der gleiche Ablauf, Lagerplatz suchen, Lager aufbauen, morgens Abbau und weiter marschieren. Einiges an Proviant hatten wir dabei. Gemüse und Fleisch wurde requiriert oder zu Niedrigstpreisen eingekauft. So ging es bis nach Rom. Seit ich wusste, dass ich mit nach Rom ritt, beschäftigte mich der Gedanke wie es den anderen Decimern ergangen war. Viel hatten wir nicht erfahren, Gerüchte über Plünderungen und tobenden Mob. Festnahmen von Anhängern und Günstlingen des Vescularier‘s. Es war nicht zu leugnen, dass es den Decimern unter dem Vescularier gut ging. Umso größer war meine Sorge, dass es allen gut ging. Wie ging es Faustus, Seiana, auch wenn ich mich im Streit von ihnen getrennt hatte. Casca, mein kleiner Bruder den man ab und zu die Richtung geben musste. Venusia, die Kinder, Unbeteiligte, die hoffentlich ohne Schaden davon gekommen waren. Mein Versprechen mit Secundus zu den Kämpfen der Gladiatoren zu gehen hatte ich nicht vergessen und Sevilla’s Stickerei trug ich ständig bei mir. Die zwei Tunikae leisteten mir gute Dienste. Bei der Vorhut angekommen ging es wieder ums frei machend er Straße. Befehle, alles wurde beiseite geräumt. Ein ochsen karren wurde unsanft von der Straße auf die Seite verfrachtet. Der Wagenführer verkniff sich lauthalse Beschimpfungen, das war auch besser so. Weiter ging der Marsch.

  • Das Heer blieb stehen und noch immer kamen nur gerüchteweise Fetzen von dem an was sich weiter vorne abspielte.
    Bis zu dem Zeitpunkt als eine Rolle mit kaiserlichem Siegel die Runde machte, welche den Cornelier als rechtmäßigen Erbe herausstellte, entflammten wieder überall kleine Gespräche, selbst der ein und andere Offizier konnte es sich hier nicht nehmen, ein oder zwei Worte dazu zu äußern. Denn sollte das wahr sein, so konnte sich Palma spätestens nun der vollen Unterstützung aller Mannschaften sicher sein.
    Nach einiger Zeit ging es dann wieder weiter gen Rom, noch ein weiter Marsch, aber immerhin konnte man es ein wenig genießen denn auch wenn es nicht warm war, war die Landschaft schön anzusehen.

  • Der Decimus verabschiedete sich von Axilla und verwirrte sie damit doch ein wenig mehr, als sie erwartet hätte. Er bot ihr seine Hilfe an. Er. Ein Decimus. IHR. Axilla sah ihm mit einem gemurmelten “Vale“ kurz abgelenkt hinterher und überlegte, wie das wohl gemeint gewesen sein mochte. Decimus Serapio und seine Schwester Seiana hatten mehr als klar gestellt, wie das Verhältnis der Decimer zu ihr war, und Massa war deren beider Vetter. Folglich hätte er ihr vielleicht einen Dolch zum erstechen anbieten können, aber eigentlich keine Hilfe. Aber das Angebot war so eindeutig, und dazu so öffentlich, dass es eigentlich nicht mißzuverstehen war.
    Während Axilla also dem davonreitenden Centurio nachschaute, hätte sie beinahe die frage von Palma nicht gänzlich mitbekommen. Sofort aber zwang sie ihre gesamte Aufmerksamkeit wieder auf den Cornelier. Reiten? Axilla konnte reiten. Nachdem sie über hundert Meilen bis hier her geritten war, konnte sie es sogar wieder so gut wie in ihrer frühen Jugend auf dem elterlichen Hof, wo sich niemand darum geschert hatte, dass sie als Frau nicht zu reiten hatte. Allerdings war reiten etwas, was eine feine Dame nicht zu können hatte, und sie als Frau eines der wichtigsten Ritter in Rom hatte eigentlich nicht zu reiten. Die passendere Antwort wäre also gewesen, zu behaupten, dass sie es nicht könne. Das war wohl das, was auch erwartet wurde. Aber Axilla hatte keine Lust, irgendwo hinten beim Gepäck zu sitzen wie eine eroberte und mitgebrachte Trophäe.
    Der Ledertornister lag immer noch vor ihr auf dem Boden, den Papyrus mit dem Testament hatte sie soweit wieder zusammengerollt, so dass sie ihn eigentlich verpacken konnte. Aber sie würde sich auf keinen Fall vor Palma verbeugen, und sei es nur, um das Ding aufzuheben. Axilla sah ihr gegenüber also noch immer fest an, blickte kurz hinunter zu der Rolle und schummelte ihren Fuß unter das Leder. Mit einem geschickten, kleinen Ruck – begleitet von einem Schmatzgeräusch, als ihr Fuß sich vom lehmige Boden trennte – flog die Lederhülle gerade auf, so dass Axilla sie fangen konnte. Und den zuvor angerufenen Göttern danken konnte, dass ihr Plan geklappt hatte und es einigermaßen lässig aussah, und sie nicht ihren künftigen Kaiser mit einem Ledertornister beschossen hatte. “Ich kann es, wenn es nötig ist“, kommentierte sie also seine Frage, während sie das Testament wieder sorgfältig und vorsichtig einpackte. “Für die Ankunft in Rom wäre ein Wagen allerdings vorzuziehen. Doch bis dahin ist noch etwas Zeit.“ Es war mehr eine Feststellung als ein Rat, wenngleich Axilla es unfreiwillig auch als Rat meinte. Es würde wirklich seltsam anmuten, wenn die Frau des Procurators nach Rom hineinritt mit den Männern Palmas und dort dann noch das Testament des verstorbenen Kaisers vorlegte. “Mein Gepäck ist gleich hier drüben, kein Grund für Verzögerungen. Wenn mir einer deiner Männer aufs Pferd helfen und es dann anreichen könnte, wäre ich dankbar.“
    In der langen Tunika zu reiten würde schon schwer. Sie würde sie bis über die Knie hochziehen müssen und den Männern dabei sehr exklusive Blicke auf ihre Beine gestatten müssen. Und sie konnte in diesem Ding definitiv nicht allein aufsteigen und dabei auch noch irgendwie mit ihrem Beutel und dem Bärenfellhantieren. Allerdings wollte Axilla noch viel ungerner auf einen Gepäckwagen verfrachtet werden, als sich jetzt einfach schnell helfen zu lassen.

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