Sein Auftritt auf dem Forum beim Einzug in die Stadt hatte Cornelius Palma gezeigt, dass er in Rom durchaus willkommen war und als Hoffnungsträger gesehen wurde, aber noch lange nicht ganz Rom unter seiner Kontrolle hatte. Dazu war offenbar noch einiges zu tun und in Erfahrung zu bringen, um die Massen vollends auf seiner Seite zu haben. Zum Beispiel auch ein Gespräch mit Decima Seiana, der Auctrix der Acta Senatus, die er dafür zu sich hatte rufen lassen.
Vertrauliche Gespräche III: Decima Seiana
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- Officium Imperatoris
- APPIUS CORNELIUS PALMA
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Der Weg von der Castra zum Palast dauerte etwas – und schien Seiana gleichermaßen zu kurz wie zu lang zu sein. Zu kurz, um sich vernünftig vorzubereiten, zu lang, um ihre Nervosität einfach wegschieben zu können... Als sie dann schließlich zum Cornelius vorgelassen wurde, fühlte sie sich einfach nur merkwürdig, und wünschte sich vor allem, das Gespräch wäre schon vorbei, ganz egal wie es ausgehen würde. Ihr war bewusst, dass das eine Chance darstellte, und eine Ehre genauso, auch wenn sie einen bitteren Beigeschmack hatte, bedachte man die Umstände, unter denen diese Audienz zustande kam – aber es stand zu viel auf dem Spiel, als dass sie sich darüber hätte freuen können. Viel zu viel. Es ging um ihre Familie, um ihr künftiges Leben, und vor allem anderen um Faustus, denn sie hatte nicht vor, die Chance verstreichen zu lassen um sein Leben zu bitten, das hieß, wenn ihr die Möglichkeit dazu eingeräumt wurde... es war immerhin auch möglich, dass sie gar nicht zu Wort kommen würde, auch wenn sie es für unwahrscheinlich hielt, dass sich der Cornelius die Mühe machte sie persönlich zu empfangen, nur um ihr dann sein Urteil vorzusetzen.
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Es war nicht das erste schwierige Gespräch, das Cornelius Palma sich für diesen Tag vorgenommen hatte, aber trotzdem betrachtete er auch Decima Seiana mit einer ähnlichen Neugier, wie er alle anderen bisherigen Gesprächspartner betrachtet hatte. Im Gegensatz zu anderen, war sie keine Amtsträgerin im engeren Sinne, aber als Auctrix der Acta Diurna trotzdem sehr einflussreich und für Cornelius Palma damit auch wichtig.
"Decima Seiana, Mitglied des Ordo Equester, Auctrix der Acta Diurna und Rectrix der Schola Atheniensis, Nichte des Senators Decimus Livianus und Schwester des Decimus Serapio, richtig? Zweifellos kannst du dir vorstellen, dass mein Interesse an deiner Person in beidem begründet liegt, deinen Ämtern ebenso wie deiner Herkunft. Du wirst dir ebenfalls denken können, dass ich in den genannten Positionen Leute brauche, denen ich vertrauen kann. Kann ich dir vertrauen? Und wenn ja, warum?"
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Seiana neigte grüßend ihren Kopf, als sie Cornelius dann endlich gegenüber stand, und musterte ihn – mit der gebotenen Zurückhaltung, selbstredend, was etwas schwierig machte einen vernünftigen Eindruck zu bekommen von dem Mann, der über ihr Schicksal und das ihrer Familie entscheiden würde. Sie nickte schweigend, als er kurz nach Bestätigung fragte zu den Angaben, die er über sie gemacht hatte, auch wenn sie nicht sicher war, ob er eine Reaktion darauf überhaupt erwartet hätte, und hörte ebenso schweigend weiter zu. Bis er ihr begann Fragen zu stellen. Vertrauen. Er fragte sie, ob er ihr vertrauen könnte. Und Seiana musste sich eingestehen, dass sie nicht so recht wusste, was sie darauf antworten sollte, und noch weniger wusste sie, was wohl hinter dieser Frage stecken mochte. Es klang fast danach, als wäre er gewillt, ihr eine Chance zu geben – aber es fiel ihr schwer daran zu glauben. Trotzdem antwortete sie, schon allein weil sie sowieso kaum die Wahl hatte es nicht zu tun. „Ich habe die Acta immer als eine Einrichtung gesehen, die vornehmlich dem Senat Rechenschaft schuldet, schon zu Zeiten, als ich noch unter Divus Iulianus für sie gearbeitet habe. Und so habe ich sie auch geleitet, seit ich vom Senat zur Nachfolgerin von Aurelius Corvinus bestimmt wurde. Ich habe versucht, das auch in den vergangenen Jahren so zu handhaben... auch wenn mir das sicher nicht immer gelungen ist.“ Sie hatte versucht, einen Mittelweg zu finden, irgendwie... aber es gab Momente im Leben, da war es nicht möglich, einen Mittelweg zu gehen. Es gab Momente im Leben, da wurde man gezwungen, eine Entscheidung zu treffen, und wenn man sich weigerte, nahmen einem die Umstände es irgendwann ab. Sie atmete leise, aber tief ein. „Ich war nie eine Anhängerin des Vescularius. Genauso wenig habe ich mich aber gegen ihn gestellt. Es hätte bedeutet, mich gegen meine Familie hier in Rom zu stellen.“ Vielleicht war es dumm, das zu sagen. Seiana wusste, dass sie ihr Schicksal damit an Faustus' künftiges Verhalten band, enger, als es das ohnehin schon war. Trotzdem sprach sie es aus. „Verzeih, wenn das deine Frage nicht zu deiner Zufriedenheit beantwortet.“ Genau genommen hatte sie ihm gar nicht wirklich geantwortet.
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Die Antwort ging ziemlich geradwegs an der Frage vorbei, musste Cornelius Palma feststellen, obwohl er seine Frage für ziemlich direkt gehalten hatte. Nun galt es also wohl herauszufinden, ob Decima Seiana ihm absichtlich ausgewichen war, oder die Frage vielleicht doch nicht so klar gewesen war, wie er gedacht hatte.
"Darf ich die Antwort so verstehen, dass du dich eher dem Senat verpflichtet siehst als dem Kaiser? Und kannst du mir ein Beispiel geben, wo es dir nicht gelungen ist, es so zu handhaben wie es deinem Wunsch entsprach? Am besten gleich mit den Gründen dazu?"
An Beispielen schienen sich Urteile am einfachsten ableiten zu lassen, hatte Cornelius Palma sich schon in anderen Gesprächen gedacht. Im Gegensatz zu dort war der Posten an der Spitze der Acta Diurna zweifellos auch der, der sich mit den wenigsten Nebenwirkungen neu besetzen ließ, wenn das Gesprächsergebnis keine andere Wahl zuließ, wobei die Einbeziehung des Senates hier wiederum deutlich wichtiger war als an anderen Stellen.
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Seiana presste die Lippen aufeinander, als sie die nächste Frage hörte. Sie hatte sich da selbst hinein manövriert, das wusste sie, nur leider war ihr das zu spät klar geworden. „Eigentlich sehe ich die Acta als beiden verpflichtet an, Senat und Kaiser gleichermaßen. Aber unter Salinator und Valerianus, unter dem auch schon Salinator die Zügel in der Hand hatte: ja. Da habe ich mich mehr dem Senat verpflichtet gefühlt“, antwortete sie langsam, machte eine kurze Pause und fuhr dann fort, seine Fragen zu beantworten. „Seine Version vom Tod des Kaisers oder die Proskriptionsliste beispielsweise wurden auf ausdrücklichen Wunsch von Vescularius veröffentlicht, der das durch einen Urbaner hat übermitteln lassen.“ Was zeigte, wie ausdrücklich der Wunsch gewesen war. Es kam ja schon selten genug vor, dass so etwas von einem Boten überbracht wurde, geschweige denn einem Soldaten der Cohortes Urbanae. „Ein weiteres Beispiel ist das Gespräch mit meinem Bruder, das ich publik gemacht habe, über seine Ermittlungen zum Consular Vinicius Lucianus.“ Dass sie nicht hätte veröffentlichen sollen. Nicht zu jenem Zeitpunkt, als ihr Bruder mit den Prätorianern schon abmarschiert war aus Rom und der Bürgerkrieg in vollem Gang, nicht, so lange sie nicht wusste wie der Ausgang sein würde... aber sie hatte es Faustus versprochen gehabt. „Und meine Gründe... das ständige Bewusstsein darüber, dass das Wohl meiner Familie unter Vescularius auf Messers Schneide stand. Auch wenn er meinen Bruder gefördert hat, ich glaube nicht, dass er vergessen hatte, wie sich mein Onkel mit ihm angelegt hat, und das in der Curia Iulia, vor allen Senatoren. Und ihm hat auch nicht gefallen, wie die Acta lange berichtet hat. Er hat die Prätorianer zu mir geschickt, zwei Mal ins Haus meiner Familie, einmal ins Gebäude der Acta, und alles von oben bis unten durchsuchen und beschlagnahmen lassen, weil ihm zu kritisch war, was geschrieben wurde. Ich bin beide Male verhört worden, und die Drohungen in diesen Gesprächen wurden sehr explizit.“ Seiana räusperte sich leise und versuchte, den Kloß in ihrem Hals wegzubekommen, der sich gebildet hatte bei diesen Worten. Sie sprach nicht gern über diese Dinge, so wie sie generell über nichts gern sprach, was ihr persönlich unangenehm war. Was sie schwach sein ließ. Und das hier ließ sie schwach sein, weil sie sich immer noch lebhaft an die Angst, die Panik erinnern konnte, die sie gehabt hatte, wenn sie sich so wie jetzt daran erinnerte, ohne die Möglichkeit es wegzuschieben. Trotzdem wusste sie, dass sie diese Dinge erzählen musste, um deutlich zu machen dass sie keine andere Wahl gesehen hatte als sich zu fügen, weit genug, dass der Vescularius zufrieden gewesen war. „Ich war allein in Rom damals, und nach der zweiten Begegnung mit der Garde... nach den Drohungen mir gegenüber habe ich keine Wahl gesehen als mich Vescularius' Wünschen schließlich doch noch anzupassen. Also habe ich getan, was ich für nötig hielt, um mich und meine Familie zu schützen. Ich habe den damaligen Praefectus Praetorio geheiratet, um einer Anklage zu entgehen und zu zeigen, dass ich gewillt war mich zu beugen. Und ich habe begonnen Dinge in der Acta zu veröffentlichen, die ich davor nicht veröffentlicht hätte.“
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Das Bild, dass Decima Seiana zeichnete, erschien Cornelius Palma durchaus klar und schlüssig und entsprach im übrigen auch dem, was er aus anderen Quellen für andere Personen gehört hatte, die unter Vescularius Salinator in einem Abhängigkeitsverhältnis arbeiten mussten. Auch wenn seine ursprüngliche Frage noch immer nicht beantwortet war, gab ihm dieses Bild jetzt zumindest etwas mehr Klarheit über das, was er von Decima Seiana halten konnte.
"Du sprichst interessante Sachverhalte an. Dein Bruder ist Praefectus Praetorio, du hast ebenfalls einen Praefectus Praetorio geheiratet und trotzdem wurde also die Acta Diurna durch den Einsatz der Garde unter Druck gesetzt. Wie ist dein Verhältnis zu deinem Bruder und wie ist seines zu Vescularius Salinator gewesen? Welche Rolle spielte er in diesen Sachen, abgesehen davon, dass seine vorgeblichen Ermittlungsergebnisse über die Acta Diurna publik gemacht wurden?"
Letzteres war zweifellos ein Umstand, der Cornelius Palma so oder so nicht gefallen konnte und mit dem er ohnehin umzugehen hatte, ganz gleich wie es mit der Führung der Acta Diurna weitergehen würde.
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„Der Druck ließ nach, nachdem ich den damaligen Praefectus Praetorio geheiratet hatte und er, wie er es zu nennen pflegte, direkten Zugriff auf die Acta hatte dadurch. Mein Bruder war damals noch Tribunus angusticlavius der XXII... erst kurze Zeit später wurde er zu den Prätorianern versetzt.“ Seiana sah flüchtig auf ihre Hände hinunter. Welche Ironie, dass das, was sie getan hatte um sich und ihre Familie zu beschützen, ihr nun so vor die Füße fiel.
Als der Kaiser weiter sprach und nun nach ihrem Bruder fragte, presste sie kurz die Lippen aufeinander. Sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, wusste nicht, was das Richtige war, für ihre Familie, ihren Bruder. Zugleich gehörte das nun aber genau zu der Sorte Fragen, die sie erwartet hatte. Jetzt fragte er nicht einfach nur, ob er ihr vertrauen konnte – was sie ihm gar nicht konkret beantwortet hatte, aber sie bezweifelte ohnehin, dass ein einfaches Ja von ihr auf diese Frage hin ausgereicht hätte –, er stellte die Sorte Fragen, die sie zwangen Farbe zu bekennen. „Mein Verhältnis zu meinem Bruder... er ist der einzige meiner engsten Familie, der mir noch geblieben ist. Ich liebe ihn“, gestand sie offen. In dieser einen Sache wollte sie nicht lügen, wollte nicht so tun, als wäre ihr Verhältnis distanzierter als es war, auch wenn es vielleicht klüger gewesen wäre, für sie persönlich jedenfalls.Was ihr Verhältnis zu ihrem Bruder betraf, war in ihren Augen damit alles gesagt – was seines zum Vescularius anging, musste sie nun allerdings wieder ausholen. „Sein Verhältnis zu Vescularius war, nach allem was ich weiß, kaum vorhanden. Er ist lange Zeit fort gewesen von Rom, zuerst als Tribun der XXII, später auch als Tribun der Prätorianer, als er einen Auftrag zu erfüllen hatte. Und auch als Praefectus Praetorio hatte er meines Wissens nach nur dienstlich mit ihm zu tun. Er war nie bei Festlichkeiten hier im Palast zu Gast, ich bin mir nicht einmal sicher, ob er je eine Einladung erhalten hat.“ Seiana hob den Blick, sah dem Kaiser ins Gesicht und versuchte irgendeine Regung festzustellen, die ihr einen Aufschluss darüber hätte geben können, was er von ihrem Bruder dachte. Ob es eine Chance gab für ihn. „Ich glaube, es war nicht einfach für ihn. Was mit unserem Onkel, seinem Adoptivvater, geschah, hat ihn erschüttert. Trotzdem... hat er sich geschmeichelt gefühlt, als er befördert wurde. Mein Bruder ist Soldat durch und durch. Bei seinen Treffen mit Vescularius hat dieser als Mann des Militärs offenbar Eindruck auf ihn gemacht.“ Seiana flehte zu allen Göttern, dass sie die richtigen Worte fand. Mochte ihr Bruder sie später dafür hassen, wenn er davon erfuhr, aber sie wollte, dass er lebte. „Und Faustus ist ein Mann von Ehre. Seinem Kaiser hätte er niemals geschadet.“ Ganz gleich was in Wahrheit passiert war: die offizielle Lesart hieß, dass Vescularius hinter dem Mord steckte. Und das wiederum hieß, dass man im Zweifel auch ihrem Bruder Mitwisserschaft unterstellen könnte, einfach um jemanden zu haben, den man noch hinrichten konnte. Seiana wollte dem vorbauen... und gleichzeitig deutlich machen, dass sie nicht so idiotisch war die offizielle Lesart anzuzweifeln. „Es hat ihn tief getroffen, dass der Kaiser ermordet wurde, ohne dass die Prätorianer, ohne dass er es hatten verhindert können. Umso erpichter war er darauf, wenigstens die Schuldigen zu finden und ihrer gerechten Strafe zuzuführen, weswegen er sich so in die Ermittlungen gestürzt hat... die ihn auf die falsche Fährte gebracht haben.“
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Es waren sehr interessante Informationen, die Cornelius Palma hier erhielt und er bemühte sich, jedes kleine Detail zu erfassen und zu behalten, um es später beim ruhigen Nachdenken über dieses Gespräch in das große Puzzle einzufügen, das sich in seinen Gedanken ausbreitete.
"Das sind offene Worte, die du sprichst und dafür muss ich dir danken. Doch kommen wir von den Taten deines Bruders noch einmal zurück zu dir und der Acta Diurna. Was lag dir an dieser Arbeit? Darum hast du den Druck auf dich genommen und den direkten Zugriff zugelassen, anstatt die Aufgabe einfach jemand anderem zu überlassen?"
Die Frage drängte sich schließlich ebenso auf wie die umgekehrte Frage, warum Vescularius Salinator Decima Seiana nicht einfach durch jemand anderen ersetzt hatte, um die Acta Diurna unter seine Kontrolle zu bringen. Nur dass letztere Frage wohl kaum Decima Seiana selber beantworten konnte.
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Nichts. Der Kaiser zeigte keine Regung, die Seiana irgendetwas verraten hätte. Wobei sie ehrlicherweise zugeben musste, dass sie zwar darauf gehofft, aber nicht wirklich damit gerechnet hatte. Und sie wollte auch keine Nachfrage stellen... sie war gar nicht in der Lage, in der sie sich so was hätte erlauben können. Wenn sie Glück hatte, hatte sie am Ende vielleicht die Chance ihn zu bitten, ob sie ihm auch eine Frage stellen durfte... und wenn der Kaiser daraufhin ja sagte, dann erst konnte sie ihn überhaupt das fragen, was ihr auf dem Herzen lag.
Sie nickte also nur leicht bei seiner Antwort, ohne etwas zu erwidern, und konnte nicht anders als ein weiteres Mal stumm darum zu bitten, dass sie den richtigen Weg gewählt, die richtigen Worte gefunden hatte. Dass sie mehr bewirkten als nur, dass er ihr für die Offenheit dankte. Sie hasste die Unsicherheit, die in diesen Tagen ein ständiger Begleiter war. Sie hasste es im Unklaren darüber zu sein, was sie zu erwarten hatte. Und sie hasste es vor allem nicht zu wissen, ob sie gerade wirklich das Richtige tat oder sagte... oder ob es nicht vielleicht doch besser gewesen wäre, rundheraus zu lügen. Aber immerhin hatte sie keine Ahnung, wie ihr Bruder sich verhalten würde, wenn er verhört werden würde. Sich größtenteils an der Wahrheit zu bewegen und diese nur... nun ja, zu beschönigen wo es ging, erschien ihr von allen Möglichkeiten immer noch als die beste. Sie hätte nur gerne einfach gewusst, woran sie war.Als die Rede nun wieder auf sie kam, zögerte sie ein wenig. Warum genau sie sich nicht zurückgezogen hatte, wusste sie auf Anhieb gar nicht – es war ihr einfach nie in den Sinn gekommen. Dazu kam die generelle Vorsicht in diesem Gespräch, die Überlegung, was am besten war. Aber auch hier entschloss Seiana sich für die Wahrheit... entsprechend schön formuliert. „Der Gedanke aufzuhören kam mir nie, um ehrlich zu sein. Es wäre mir vorgekommen, als würde ich aufgeben, und das zu tun, nur weil es schwierig wird... ist feige. Honor et fortitudo ist der Leitspruch meiner Familie, so bin ich erzogen worden. Dazu kam, dass ich die einzige Vertreterin der Decimi in Rom war zu jenem Zeitpunkt. Die einzige, die hier dafür gesorgt hat, unseren Namen in Erinnerung zu halten. Ich konnte mich nicht einfach zurückziehen.“ Nach einem weiteren, kurzen Zögern fügte sie noch hinzu: „Und ich bin schon lange bei der Acta tätig, ich habe angefangen kurz nachdem ich das erste Mal nach Rom kam, vor über zehn Jahren inzwischen. Ich mag die Arbeit. Und ich wollte auch nicht dabei zusehen, wie jemand anderes die Acta übernimmt und Rom und das Reich überflutet mit einseitigen Berichten und Lobliedern auf Vescularius. Ich habe wenigstens versucht, die Berichterstattung zurückhaltender zu gestalten.“
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Aus seiner eigenen Zeit als Senator, in der er in Rom weilte und nicht in einer der Provinzen, war Cornelius Palma die Gens Decima selbstverständlich ein Begriff und die verschiedenen großen Namen, die sie hervorgebracht hatte, waren ihm nicht unbekannt. Von daher konnte er die Antwort von Decima Seiana verstehen, hatte sie sogar so in etwa erwartet und nickte daher leicht, ohne damit zwangsläufig emotionale Zustimmung signalisieren zu wollen.
"Dein Einsatz für deine Familie ist ehrenwert und dass du nicht einfach so vor Vescularius Salinator weichen wolltest, war zweifellos eine richtige Entscheidung. Kannst du mir ein Beispiel nennen für eine Veröffentlichung der Acta Diurna, die du erfolgreich zumindest zurückhaltender gestalten konntest, als sie der Kaiserhof wünschte?"
Zumindest einige der Artikel der Acta Diurna aus der Herrschaftszeit des Vescularius Salinator schien man in Abschrift bereitliegen zu haben im kaiserlichen Arbeitszimmer. Ob es offizielle Abschriften waren, die ohnehin im Palast lagerten, oder solche, die Cornelius Palma als Informationsquelle zugesandt worden waren, war dem Stapel nicht anzusehen. Für den Inhalt würde es aber wohl auch egal sein, solange es sich um getreuliche Abschriften handelte.
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Seiana hörte, was der Kaiser sagte – ehrenwert, richtige Entscheidung –, aber zu hoffen wagte sie immer noch nicht wirklich. Schon gar nicht für ihren Bruder. Vielleicht sagte er das einfach nur, ohne es zu meinen, oder vielleicht meinte er es, dachte in Bezug auf Faustus aber völlig anders... So sehr sie auch hoffen wollte, verbot sie es sich schlicht selbst. Trotzdem spürte sie aber, dass ihre Anspannung geringer wurde. Das Gespräch immerhin verlief so weit ganz gut, hatte sie den Eindruck, und auf mehr hatte sie kaum hoffen können. Wie hatte sie zu ihrem Bruder gesagt? Dass sie glaubte, Cornelius wäre der bessere Kaiser. Und zumindest sein Verhalten in diesem Gespräch bewies das. Seiana wollte sich gar nicht vorstellen, wie das hier laufen würde, wäre Vescularius ihr Gegenüber.
„Bei den Berichten über die Proskribierten wurde darauf geachtet, dass sie so neutral wie möglich gehalten sind. Dass sie einfach nur die Fakten darlegen, höchstens noch Mutmaßungen darüber, welche Provinz sich wie positioniert... aber keine Bewertung. Nichts, was die Proskribierten oder deren Leistungen in der Vergangenheit verrissen hätte. Ebenso wenig wurde in Berichten über Senatswahlen positiv über die Günstlinge des Vescularius geschrieben, die er als Direktkandidaten durchgeschleust hatte“, antwortete Seiana. „Und auch über Vescularius selbst war die Berichterstattung zurückhaltend. Was er direkt sandte, wurde auch so veröffentlicht, aber Artikel, die von Acta-Mitarbeitern geschrieben wurden, waren so neutral wie möglich.“
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Beim Stichwort Proskriptionslisten begann Cornelius Palma im Stapel mit den Abschriften zu blättern, während er weiter Decima Seiana zuhörte. Tatsächlich fand er wohl eine Tafel, die ihm zu diesem Stichwort zu passen schien und überflog sie, bevor er sie wieder weglegte und seine Aufmerksamkeit wieder komplett auf Decima Seiana richtete.
"Gut, danke für diese Beispiele. Ich denke, damit kann ich mir nun in der Tat ein besseres Bild machen. Worüber wir bisher noch gar nicht gesprochen habe ist deine Funktion an der Schola Atheniensis. Gab es dort eine ähnliche Einflussnahme oder wurde diese Institution von Vescularius Salinator als politisch bedeutungslos wahrgenommen, so dass er dort keine Eingriffe vornahm?"
Cornelius Palma tippte auf letzteres, denn von einem politischen Einfluss der Schola hatte er bisher auch in seiner eigenen Zeit in Rom wenig wahrgenommen, auch wenn die rhetorische und juristische Ausbildung, die dort vermittelt wurde, zweifellos nicht unwichtig war. Gerade auch für Cornelius Palma, der gut gebildete Jungpolitiker durchaus schätzte.
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Während Seiana erzählte, folgte ihr Blick flüchtig den Bewegungen des Kaisers, hin zu den Abschriften, in denen er blätterte, sah dann allerdings wieder zu ihm. Es hätte einen schlechten Eindruck gemacht, sich ablenken zu lassen, und erkennen konnte sie ohnehin nicht wirklich etwas.
„Die Schola Atheniensis wurde in Ruhe gelassen. Ich gehe davon aus, dass Vescularius sie für bedeutungslos hielt... oder zumindest nicht so eingeschätzt hat, als würde es ihm viel bringen, wenn er dort Einfluss nimmt. Es gab keine Vorgaben, wie die Praeceptoren oder ich uns zu äußern haben, keine Anordnungen, dass die Schüler explizit auf Vescularius eingeschworen werden sollten.“ Was durchaus eine von mehreren Möglichkeiten gewesen wäre, sich den Nachwuchs zu sichern. Dass Salinator das nicht getan hatte, wunderte Seiana allerdings wenig – sie hatte nie den Eindruck gehabt, als ob der Mann Bildung sonderlich zugeneigt gewesen wäre. „Natürlich hat gerade in den letzten Jahren kaum jemand gewagt, allzu deutlich Dinge in Frage zu stellen oder gar Kritik zu üben. Aber die Schola war ein Ort, für den Vescularius sich einfach nicht interessiert hat. Man konnte... offener reden.“
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Es war also tatsaächlich so, wie Corelius Palma es erwartet hatte, was die Schola Atheniensis allerdings auch ein wenig uninteressanter für die aktuen Betrachtungen machte. Ansich war Cornelius Palma durchaus daran interessiert, dass Bildung und Wissen in Rom gepflegt wurden, aber aktue Handlungen schienen diesbezüglich dann wohl nicht notwendig zu sein, um das Erbe seines Vorgängers geradezurücken. Aber über ein Sorgenkind weniger beschwerte sich Cornelius Palma derzeit sicher nicht.
"Wenn dies so ist, dann ist es mein ausdrücklicher Wunsch, dass die Tätigkeit der Schola Atheniensis soweit wie möglich in geordneten Bahnen weiter läuft. Bist du in der Lage, mir in den nächsten Tagen schriftlich Bericht zu erstatten, ob in den Wirren der letzten Tage und Wochen wichtige Schlüsselpersonen der Schola abhanden gekommen sind?"
Zumindest in diesem Punkt gab es für Cornelius Palma nach dem bisherigen Gesprächsverlauf keinen Grund, Decima Seiana nicht zu vertrauen.
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Seiana nickte leicht. „Wenn ich Kontakt mit den Mitarbeitern in der Schola aufnehmen darf, dürfte es kein Problem sein, dir Bericht zu erstatten.“ Sofern sie die notwendigen Informationen bekam, konnte sie auch in der Castra einen solchen Bericht schreiben. „Wenn ich gleich die Gelegenheit nutzen darf: ich würde die Struktur der Schola gerne grundlegend ändern.“ Eigentlich wollte sie die Schola in ihrer jetzigen Form abschaffen lassen, aber so direkt zu formulieren, hätte geheißen mit der Tür ins Haus zu fallen. Grundlegend sagte schon deutlich genug aus, dass ihr etwas Größeres vorschwebte. „Senator Duccius Vala, mit dem ich während meiner Haft sprechen konnte, hatte sich bereit erklärt dieses Projekt politisch zu vertreten und voranzutreiben. Zusammen mit dem Bericht über das Personal der Schola könnte ich dir einen Überblick darüber zukommen lassen... so dass du Senator Duccius oder mir mitteilen kannst, ob dies mit deinen Vorstellungen überein stimmt.“
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Cornelius Palma war einigermaßen erstaunt, dass Decima Seiana offenbar trotz der Zwangslage der letzten Tage und Wochen Gelegenheit und vor allem auch Muße gefunden hatte, über Reformen der Schola nachzudenken. Noch erstaunlicher war es allerdings, dass sie dafür offen bar Duccius Vala gewinnen konnte, der ja nun erst seit kurzem in der Stadt war und zweifellos auch andere Pflichten gehabt hatte, als sich über die politisch Durchsetzung von Änderungen an der Schola Atheniensis Gedanken zu machen. Aber offenbar war es so oder wurde zumindest von Decima Seiana so dargestellt.
"Du kannst mir gerne einen Überblick dazu zukommen lassen und in der Tat bin ich daran auch interessiert, denn es ist durchaus mein Bestreben, dass Bildung und Wissen in Rom auf gesunden Füßen steht, um unsere Zukunft auf dieser Basis ebenso wie auf der Basis von Religion und Traditionen gestalten zu können. Aber mit einer lurzfristigen Einschätzung meinerseits dazu werde ich nicht dienen können, da mich andere Aufgaben aus der Vergangenheit noch etwas beschäftigen werden, bevor ich mich unbeschwert der Zukunft zuwenden kann. Aber wenn ohnehin für eine politische Vertretung der Anliegen im Senat gesorgt ist, ist ja bereits sichergestellt, dass sich viele weitere kluge Stimmen dazu werden melden können."
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Seiana nickte erneut. Mehr als das, was er ihr zusagte, hatte sie ohnehin kaum erwartet. Wichtiger war, dass sie das Thema überhaupt hatte anbringen können und der Kaiser so nicht nur über ein Schreiben oder gar erst im Senat davon hörte. „Es ist mir vor allem wichtig, dass du vorab informiert bist über das Vorhaben, Imperator.“ Es sollte insbesondere nicht der Eindruck entstehen, sie würde derartige Dinge hinter seinem Rücken machen. Mal völlig unabhängig von dem, was ihr Bruder tun oder sagen würde: so wie die Decimi gerade da standen, konnte es sich keiner von ihnen leisten den Eindruck zu erwecken, sie würden irgendetwas hinterrücks machen. „Eine Einschätzung deinerseits wäre zwar sicher wünschenswert, aber es ist verständlich, dass weit wichtigere Dinge deine Zeit in Anspruch nehmen im Moment.“
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Mit der Antwort von Decima Seiana war zu diesem Thema wohl auch schon wieder alles gesagt, was dazu gesagt werden konnte und musste. Auch darüber hinaus oder zu den bisherigen Gesprächsinhalten hatte Cornelius Palma keine Fragen mehr, so dass er das Gespräch nun beenden konnte.
"Dann haben wir alle Themen abgehandelt, denke ich. Ich danke dir für deine offenen Worte auf meine Fragen. Ich werde dich von meinen Entsacheidungen in Kenntnis setzen lassen, sobald diese getroffen sind."
Einen Zeitrahmen dafür nannte er bewusst nicht, denn er konnte dazu einfach noch keine Schätzung abgeben, weil es zu viele verschiedene Einflussfaktoren gab, die er zumindest potenziell berücksichtigen musste. Es konnte eine Entscheidung von Stunden sein oder auch eine von Wochen. Wobei er letzteres nicht hoffte, weder für sich noch für Decima Seiana oder das Wohl Roms.
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Und damit schien das Gespräch beendet zu sein. Seiana war nicht klar gewesen, wie groß ihre Anspannung die ganze Zeit über gewesen war, bis sie in diesem Augenblick spürte wie sie nachzulassen begann. Es war vorbei... nun, nicht ganz, denn die Entscheidung stand noch aus, aber immerhin war der Teil vorbei, den sie irgendwie noch hätte beeinflussen können. Auch wenn sie sich gewünscht hätte, wenigstens irgendeinen Hinweis zu bekommen, in welche Richtung die Gedanken des Kaisers gingen, irgendetwas, woran sie sich hätte klammern können. Das Gespräch war ruhig verlaufen, aber das allein war Seiana zu wenig, um daraus Hoffnung zu schöpfen. Dennoch: ihr Part war vorbei, und das allein war schon erleichternd.
Nur eine Sache gab es noch. „Verzeih mir bitte, wenn ich noch etwas anfüge...“ Seiana räusperte sich leicht. Sie wagte nicht ihn zu fragen, wagte nicht einmal eine Bitte auszudrücken, nichts, was eine negative Antwort hätte provozieren können, also formulierte sie einen schlichten Satz, der von vornherein keine Antwort nötig machte. „Wenn du meinem Bruder Gnade erweisen könntest, würde meine Familie, würde ich zutiefst in deiner Schuld stehen.“
Sim-Off: Kann Seiana dann heim oder zurück in die Castra?
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