Inzwischen war einige Zeit vergangen. Ich hatte es zumindest wieder in Scatos Cubiculum zurück geschafft. Auch mein Äußeres sah nun wieder gepflegt aus, wenn man einmal von meiner leicht wild anmutenden Haarmähne absah, die Scato scheinbar so zu gefallen schien. In mir drinnen aber herrschte noch immer die gleiche Verlorenheit, die mich zu Morrigan getrieben hatte, um ihr zu sagen, dass es keine Zukunft mehr gab für uns. Niemand hier in der Villa wusste davon, wie ich mich fühlte. Denn darüber sprach ich nicht. Wahrscheinlich interessierte es auch niemand. Also behielt ich es für mich und daher nagte es an mir und würde mich eines Tages von Inneren heraus ganz aufgefressen haben.
Bevor ich in Scatos Cubiculum eingetreten war, hatte ich, wie üblich, seine Post abgeholt. Dabei war mir gleich eine Schriftrolle aufgefallen, die schon eine längere Reise hinter sich haben musste. Allerdings dachte ich mir nichts dabei und legte sie, inzwischen im Cubiculum angekommen, dann mit der anderen Post auf Scatos Tisch ab. Danach tat ich das, was ich immer tat – dumm in der Ecke herumstehen, bis ich wieder gebraucht wurde. Immer, wenn ich dort stand begannen meine Gedanken wieder um das Erlebte zu kreisen und auch das, was ich erst kürzlich bei meinem Besuch bei Morrigan erlebt hatte. Aber ich sann auch über den Flavier nach. Eines war mir nämlich an Scato in der letzten Zeit aufgefallen. Er war nicht mehr wie sonst. Irgendetwas beschäftigte, nein bedrückte ihn. Er verließ sogar kaum noch das Haus und mied das Zusammentreffen mit anderen Leuten. Anfangs dachte ich noch, es läge an mir und meiner Unfähigkeit, ihn zu beschützen. Für ein zartes Gemüt wie ihn war das doch schon eine ziemlich harte Sache gewesen. Entführt und mit dem Tode bedroht zu werden. Das steckte nicht jeder so leicht weg. Und schon gar nicht, wenn der eigene Leibwächter einem dann auch noch im Stich ließ, weil er was Besseres zu tun hatte. Allerdings konnte es auch an dieser Frau liegen, die er sich vor der Nase hatte wegschnappen lassen. Aber dass er es so schwer nahm, hätte ich nicht geglaubt.
Ich registrierte ihn erst wieder, als er nach der Schriftrolle gegriffen hatte, die mir zuvor schon aufgefallen war. Offenbar löste sie bei ihm so etwas wie Freude aus. Und ehe ich mich versah, hielt er sie mir vor die Nase und verlangte von mir, den Brief laut und deutlich vorzulesen.
Auch das noch, dachte ich. Inzwischen klappte es ja ganz gut mit dem Vorlesen. Jedenfalls wenn die Schrift nicht zu krakelig war und keine schwierigen Wörter oder Namen meine Zeilen kreuzten.
Ich nahm also die Rolle, brach das Siegel und öffnete die Rolle. Nach einem kurzen Räusperer konnte es los gehen:
„Manius Claudius.Maecenas“ Wer war das denn? Musste man den kennen? „Villa rustica Claudiana Eleusis Achaia Ad Caius Flavius Scato Villa Flavia Felix Roma Italia Salve Caius, mein geschätzter Freund!” ,las ich ohne Punkt und Komma weiter. Aha, ein Freund also! Aus Achaia, wo immer das auch liegen mochte. Kurz sah ich zu ihm auf, um seine Reaktion zu sehen. Dann las ich weiter.
„Wie lange ist es her, seit wir zuletzt voneinander gehört haben? Ich für meinen Teil denke gerne an die schöne Zeit unserer gemeinsamen Studien in Athen zurück. Im Nachhinein übertreibe ich sicherlich nicht, wenn ich behaupte, diese Zeit war die schönste, in meinem bisherigen Leben. Tagsüber widmeten wir uns den Schriften der Philosophen und abends und abends dem Wein, Weib und Gesang.“ Sieh an sieh an! Weib Wein und Gesang! So hatte ich ihn gar nicht eingeschätzt.
Nun begann ich doch etwas langsamer und vor allen Dingen betonter zu lesen. Schließlich war das ja scheinbar doch ein ganz „netter“ und vor allen Dingen ein interessanter Brief, der dieser Maecenas geschrieben hatte.
„Letztendlich aber müssen wir in die Zukunft schauen. Wie mir zu Ohren gekommen ist, hast du bereits erfolgreich begonnen, den Cursus Honorum zu beschreiten. Ich indes werde aber wohl meine Karrierepläne in Rom vorerst hinten anstellen müssen. Unglücklicherweise haben die Götter meinen Vater vor einigen Monaten ganz unerwartet zu sich genommen. Auf einen Schlag war es vorbei, mit dem süßen Lotterleben. Seitdem lastet nun die Aufgabe auf meinen Schultern, mich um unsere Ländereien und unser Anwesen in Athen zu kümmern.“ Oha, es war jemand gestorben. Mein Beileid! Nun, wie ich diesen Maecenas so einschätzte, war er all die Jahre vorrangig mal „Sohn“ gewesen. Und jetzt, da Papi tot war, ging ihm der Arsch auf Grundeis. Willkommen im Leben, konnte ich ihm da nur zurufen!
„Dennoch gibt es auch Gutes zu berichten. Stell dir vor, in wenigen Monaten schon werde ich endlich in den Hafen der Ehe einlaufen! Meine Zukünftige, Sempronia, entstammt einem traditionsbewussten Zweig der Gens, die sich bereits vor zwei Generationen in Athen niedergelassen hat. Ihre Mutter ist…. oh, das "ist" ist durchgestrichen! …war um drei oder vier Ecken mit dem verblichenen Prinzeps verwandt! Mit ihr habe ich einen wahren Glücksgriff gemacht. Erinnerst du dich noch an die üppige Statue der Aphrodite im Park nahe der Agora? Dann kannst du dir auch ungefähr das Aussehen meiner Braut vorstellen. Noch vor der Olivenernte wollen wir uns das Jawort geben. Wie du siehst bin ich schon voll in meiner neuen Rolle als „Bauer“ aufgegangen.“ Soso, eine Frau hatte er auch schon, naja fast. Die Umschreibung ihrer Kurven trieb mir dann doch ein Grinsen ins Gesicht. Ich kannte zwar diese Statue nicht, konnte mir aber lebhaft vorstellen, wie sie ausschaute.
„Wie steht es mit dir, guter Freund? Bist du schon in festen Händen? Einem so ansehnlichen jungen Mann, der mit deinen Qualitäten ausstaffiert ist, laufen die Frauen Roms sicherlich scharenweise hinterher.“ Ja sicher! Schön wär´s.
„Für meine Schwester wird es nun auch langsam Zeit, sich zu binden. Auf dem Totenbett meines Vaters habe ich versprochen, einen geeigneten Gatten aus einem traditionsgebunden und standesgemäßen Haus für sie zu finden.“ Aha, eine Schwester gab es also auch noch!
„Du erinnerst dich doch sicher noch an meine Schwester Agrippina? Jenes kleine nervige Gör, das uns ständig beim Lernen störte und dich jedes Mal angehimmelt hat, wenn du uns besucht hast. Inzwischen ist aus dem hässlichen… also äh, das war jetzt auch durchgestrichen… das "hässlich" meine ich. ….Entlein ein schöner prächtiger Schwan geworden. Süße sechzehn ist sie nun, also in einem perfekten Alter, endlich vermählt zu werden. Unsere Stiefmutter, der es selbst all die Jahre verwehrt geblieben ist, eigene Kinder zu gebären, war und ist uns eine aufopferungsvolle Mutter. Unter ihren Fittichen hat sich Agrippina zu einer gebildeten, tugendhaften und sittsamen Frau entwickelt. Du würdest sie kaum wiedererkennen.“ Wie hieß die kleine Kröte? Agrippina? Das klang wie eine gefährliche ansteckende Krankheit Auf jeden Fall wollte er sie an den Mann bringen, das war klar.
„In Kürze schon werde ich sie, in Begleitung eines Klienten meines Vaters, zu unseren Verwandten nach Rom senden. Leider kann ich sie nicht selbst begleiten, da mir die Arbeit hier über den Kopf wächst. Solange ich keinen fähigen Verwalter für die Latifundien gefunden habe, wird sich daran so schnell auch nichts ändern. Maevius Tullinus, eben jener Klient, wird sich in meinem Auftrag nach einer guten Partie für sie umsehen und mich auf dem Laufenden halten.“ Ach du liebes bisschen, uns blieb auch nichts erspart!
„Da sie in Rom niemanden kennt und ihr selbst die dortigen Familienmitglieder fremd sind, möchte ich dich bitten, hin und wieder ein Auge auf sie zu haben. In einer Zeit, da die Rechte unseres Standes immer weiter beschnitten werden, müssen wir Patrizier zusammenstehen und uns gegenseitig unterstützen. Außerdem wird sich Agrippina wahnsinnig freuen, dich wiederzusehen. Sie ist eh schon ganz aus dem Häuschen, endlich nach Rom reisen zu dürfen. Nun, du weißt ja, wie Frauen so sind...“ Aber es sollte noch schlimmer kommen, wie es schien. Wetten, zum Schluss konnte ich mich noch mit der kleinen Kröte herumärgern! Sechzehnjährige waren nicht zu unterschätzen! Erst recht nicht wenn sie römische Patrizierinnen waren.
„In diesem Sinne würde ich mich freuen, bald von dir zu hören. Vielleicht schaffe ich es auch irgendwann einmal nach Rom. Dann können wir gemeinsam in den Erinnerungen guter alter Zeiten schwelgen. Mögen die Unsterblichen dich stets begleiten! Herzlichst Manius Claudius Maecenas.“ Wenn das keine Neuigkeiten waren!