Triclinium | Familia cenat

  • Da sein Teller bereits leer, sein Magen indes gefüllt war, ließ Gracchus sich nurmehr Wein nachschenken, unverdünnt, um den deliziösen Tropfen in der Gänze seines Bouquets auskosten zu können. Tief sog er den schweren Duft nach spätsommerlichem Gepränge der Natur durch die Nase, um sodann den ersten Schluck des unverfälschten Rebensaftes zu goutieren. Dies flüssige Vergnügen mochte aus apulischen Trauben gewonnen sein, doch die ausgewogene Harmonie und der lange Nachhall evozierte einen Hauch von rundem Ginstergelb, ließ Reminiszenzen an längst vergangene, unbeschwerte Tage - respektive Abende und Nächte - in Athena in Gracchus erwachen, aus welchen er nur ungern sich mit einem tiefen Seufzen zurück in die unerquickliche Thematik ließ zurückreißen.
    "Nun, einer der wohl bekanntesten Männer war Lucius Aelius Lamia, erster Ehemann der Domitia Longina, welcher nach dem Verlust seiner Gemahlin tiefen Groll gegen Domitianus hegte und zu dessen Kaiserzeit schlussendlich ein ra'hsüchtiges Komplott gegen ihn plante, welches indes glücklicherweise rechtzeitig konnte detektiert werden."
    Die Aelier selbst erzählten diese Geschichte selbstredenend ein wenig divergent.
    "Als der Aelier ob dessen ins Exil wurde ver..bannt, verloren auch seine Anverwandten das römische Bürgerrecht und musste mit ihm das Imperium verlassen - darunter sein Bruder Aelius Maccalus, Vater des Consularen Aelius Quarto und dessen Bruders, Aelius Valerianus, welcher bekanntermaßen später durch Imperator Iulianus adoptiert wurde, und ihm als Uplius Valerianus Aelianus als Kaiser na'hfolgte. Dass die Verbannung des Lamia zu Recht geschah, seine Hinrichtung indes eine weisere Wahl wäre gewesen, lehrt uns das Ende der flavischen Herrschaft, denn an der hinterlistigen Er..mordung Domitianus' waren die Aelier aus dem Exil heraus nicht unbeteiligt - obgleich sie dies bis heute selbstredend leugnen."
    Die Ironie des Schicksales, dass an dem Komplott, mit welchem Kaiser Valerianus letztlich eliminiert wurde, wiederum ein Flavius war beteiligt - so dass der Kreis sich schloss -, konnte Gracchus indes mit keinem der Anwesenden teilen.

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Augenscheinlich erschien das Sujet seinem Vater überaus ennuyant, wie der Knabe das parentale Seufzen rezipierte, weswegen er davon absah, es neuerlich zu vertiefen, sondern vielmehr die Informationen lediglich mit einem Nicken quittierte, obschon sie ihm überaus aufschlussreich erschienen, da eben dies doch einiges an familiären Zwistigkeiten und Konkurrenzen innerhalb der senatorischen Gemeinschaft zu klarifizieren geeignet war, womit sich neuerlich die weisen Worte seines Grammaticus bestätigten: Historia Magistra Vitae.


    Nach einigem Schweigen, welches der junge Flavius damit füllte, spitzfingrig einige weitere Happen sich einzuverleiben, kaute er gedankenversunken, ehe ihm doch eine neuerliche Erkundigung sich aufdrängte:
    "Mit den Cornelii verbindet uns aber kein Zwist, oder?"
    Selbstredend war Manius Minor sich darüber im Klaren, dass seine Verlobte eben zu jener Gens zu zählen war und einem engen Freund seines Vaters anverwandt obendrein, weswegen wohl ein Verdikt keineswegs grundsätzlich ausfallen mochte, doch war er sich ebenso aus seinem Unterricht gewahr, dass die Cornelii in zahllose Zweige unterteilt waren, angefangen bei den Lentuli, über die Maluginenses, die Scipiones, die Cossi, die Cinnae, die Cethegi, die Dollabellae bis hin zu den Sullae und zahllosen weiteren. Einen Überblick hierbei zu bewahren erschien dem Knaben doch überaus diffizil, selbst wenn manche inzwischen erloschen sein mochten.

  • Nachdem schlussendlich niemand mehr nach den Speisen griff, wurde alsbald das Hauptmahl abgetragen - selbstredend waren noch immer einige Reste davon übrig, wurde auf flavischen Tischen doch niemals zu wenig oder gerade genügend aufgetragen -, was Gracchus eine willkommene kurze Zeit von einer Antwort befreite. Nachdem ein jeder seine Hände in einer Schüssel warmen Wassers hatte abwaschen können, folgte bereits die Nachspeise - pochierte Birnen mit Mandeln garniert und umringt von einer Sauce aus diversen Beeren.
    "Nein"
    , beantwortete Gracchus schließlich mit einem missmutigen Blick auf das Dessert - er war kein Freund süßer Speisen - die Antwort seines Sohnes.
    "Zumindest wäre mir kein Zwist mit einer der cornelischen Familien bekannt."
    Lediglich die Beteiligung an einer subversiven Konspiration mit dem derzeitigen cornelischen Kaiserhaus, sowie einige freundschaftliche Bande zur Familie der benachbarten Cornelii. Doch Gracchus war dieses Thema, - welches, wenn auch für alle anderen unerkannt, wider und wider um die Konspiration kreiste, dem anhänglichen Satelliten eines Planeten gleich - leid, so dass er beschloss, das Gespräch selbst in eine andere Richtung zu lenken, ehedem sein wissbegieriger Sohn weiter konnte nachhaken - eine Eigenschaft, welche ihn zweifelsohne noch weit würde bringen, seinen Vater an diesem Abend jedoch ein wenig enervierte.
    "Scato, Fusus, habt ihr euch gut eingelebt in Rom? Wie weit konntet ihr eure Pläne bereits verwirkli'hen?"
    Das Leben anderer schien weitaus weniger verfänglich zu sein - so hoffte Gracchus zumindest.

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Scato verfolgte das Gespräch mehr oder weniger aufmerksam, aß er doch noch ein wenig, und war zeitweise tief in Gedanken versunken. Als er jedoch seinen Namen hörte, horchte er auf, und blickte Gracchus an, dann ein kurzer Blick zu seinem Bruder, bevor er selbst einen kleinen Schluck trank um seine Stimme zu ölen..
    "Nun, Onkel Furianus hat mich unter seine Fittiche genommen, ich freue mich natürlich mein Tironicum Fori bei ihm absolvieren zu können, ich bin sicher dass ich viel lernen kann.", sagte Scato und schaute kurz zu Furianus hinüber, "Darüber hinaus habe ich einige Menschen kennengelernt, einige Patrizier, allen voran einen jungen Claudier, Quintus Claudius Felix, er ist, so würde ich sagen ein enger Vertrauter, ein Freund, wenn man so will, in jedem Falle aber ein Verbündeter. Er ist zum Magister der Salii Collini gewählt worden, und ich lud ihn ein uns demnächst bei der Cena beizuwohnen, wenn es recht ist." erklärte Scato und blickte sich mach etwaigen Einwänden um..

  • Leuchtende Augen erntet der Anblick des Desserts auf Seiten Flavius Fusus' und bannt dessen Aufmerksamkeit sekundenlang, bis schließlich auch er selbst mit einer Portion versehen ist. Freudig strahlend kostet er bereits von dieser verführerischen Süßigkeit, derlei Naschereien durchaus sichtlich zugetan. Indes vernimmt er die auch an ihn gerichtete Frage am Rande, nutzt aber noch gerne die gegebene Zeit seinem Bruder hinsichtlich einer Antwort den Vortritt zu lassen. Sich nach wenigen Bissen noch die Fingerspitzen genüsslich abschleckend, sieht er schließlich wieder auf und wäre sicherlich der letzte, der gegen eine neuen Bekanntschaft und einen Gast etwas einzuwänden hätte.
    "Was sollte schon dagegen sprechen? Selbstredend wäre ich interessiert, den Magister der collinischen Salier kennenzulernen." Ein Blick seinerseits gilt nach seinem Bruder dann dem jüngeren Gracchus, mit welchem er gewisse Überlegungen hinsichtlich seiner Sodalitätenwahl besonders intensiv ausgetauscht hat.


    Sodann will Fusus sich nicht länger vor einer seinerseitigen Beantwortung der Frage des älteren Gracchus drücken. Mit einem zuversichtlichen Lächeln und dem Brustton der Überzeugung wendet er sich sodann insbesondere an selbigen: "Durchaus, lieber Gracchus. Ich habe hier schon viel gesehen und erlebt. Rom ist eine aufregende Stadt und es wird hier wohl immer noch etas Neues zu entdecken und erleben geben. Allein die Architektur ist überwältigend und die Vielfalt meiner gesammelten Eindrücke atemberaubend." Freilich mag diese Erfolgsmeldung dadurch gezeichnet sein, dass die von Fusus wirklich ernsthaft gefassten Pläne nicht allzu ehrgeizig waren, sowie er die Dinge gerne in geschöntem Licht sieht. Nach der allgemeinen Einschätzung und einer kleinen Pause, lässt der junge Flavier sich dann doch noch zu etwas konkreteren Äußerungen hinreißen. "Mit meinem großen Bruder bin ich wieder vereint, in Manius habe ich einen wundervollen Freund gefunden und in euch allen eine herzliche Familie. Darüber hinaus habe ich mit Manius und Caius auf unserem gemeinsamen Stadtrundtgang mit glimpflichem Ausgang ein kleines Abenteuer erlebt." Scato würde diesen Vorfall vermutlich mit etwas anderen Worten beschreiben. "Allein mein Fortschritt hinsichtlich der Kontaktaufnahme zu Angehörigen der anderen patrizischen Familien ließe sich möglicherweise optimieren..." räumt der Optimist schließlich doch noch einen Makel seines Vorankommens ein.

  • Augenscheinlich hatte der Wechsel auf dem imperialen Thron in der Tat der flavischen Gens vornehmlich günstige Perspektiven bereitet, was den Knaben mit gewisser Saturiertheit erfüllte, da er doch inständig hoffte, nimmermehr die Strapazen einer Flucht aus Rom ausgesetzt zu sein, wobei jener Gedanke bereits jetzt ihm ein leichtes Schauern bereitete, da er an das bärtige Haupt zurückdachte, welches ihn in seinen Träumen jagte.


    Indessen gelang es Manius Maior schlussendlich, ein differentes Gespräch zu initiieren, welches nun auch die Milonen in stärkerem Maße einzubinden geeignet war. Was Manius Minor hier vernahm, ließ seine düsteren Gespinste einer Wolke im Sturme gleihc rasch verfliegen, da die dargebotenen Informationen ihm ebenfalls überaus aufschlussreich erschienen, hatte er doch bishero keinerlei Kenntnis von dem Tirocinium Fori seines 'Neffen' erlangt, ebensowenig über dessen Bekanntschaften, welche durchaus auch seinen Vorwitz weckten. Dementgegen erwiesen sich die Worte von Iullus keineswegs ennuyant, vielmehr erwärmte es das kleine Herz des Knaben, mit welchen Worten er ihre Relation pries, weshalb er sich genötigt fühlte, dies freiheraus zu erwidern, obschon dies wohl eher dem Pater Familias angestanden wäre:
    "Auch wir freuen uns, dich... oder vielmehr euch in unserer Mitte zu haben."
    Mit einem warmen Lächeln blickte er in die Runde, ehe er den Faden aufgriff, welchen Fusus durch seine Interjektion entfallen sein mochte, zumal auch dieses Sujet seit ihrer Erkundungsexpedition in die Stadt ihm unter den Nägeln brannte:
    "Oh, Scato, wolltest du uns nicht ohnehin auch von dem anderen Zwischenfall mit dem Pöbel berichten?"
    Dies hatte Scato ja nach der Rangelei auf den Mercati Traiani angedeutet und eben auf die Gelegenheit einer gemütliche Cena prokrastiniert, womit nunmehr einem Rapport nichts mehr im Wege stehen mochte.

  • Scato hatte gehofft dieses Thema im kleineren Kreis besprechen zu können, eventuell mit den jüngeren Flaviern, vor denen er sein Gesicht nicht unbedingt so sehr zu wahren hatte wie vor Gracchus, oder mehr noch, seinem Mentor Furianus. Etwas verhalten suchte er deshalb seine Worte zusammen, ruhig, bedacht, und blickte Manius mit einem zaghaften Grinsen an, hatte er ihn doch in eine unangenehme Situation gebracht, auch wenn er nun wohl eine Geschichte zu erzählen hatte.
    "Manius... Natürlich.", sagte er knapp, und trank noch kurz einen Schluck, bevor er fortfuhr, "Als ich, frisch aus Griechenland heimgekehrt, einige Bedienstete suchte, du weißt, Leibwachen, Boten, eben Leute für niedere Aufgaben aller Art, welche sich für einen kleinen Lohn für nichts zu schade sind, riet mir einer dieser Plebejer doch einmal ein Gasthaus aufzusuchen, die Taverna Apicia, da ich noch neu war, und eventuell auch etwas naiv hinsichtlich der Brisanz einer solchen Situation, folgte ich seinem Rat, und begab mich mit einigen Leibwächtern dorthin. In der Taverna suchte ich nach Kontakten, es gab wohl viele die Arbeit suchten, doch soweit kam es nicht. Es war kurz nach dem Krieg, und feiernde Soldaten betranken sich in allen Wirtshäusern der Stadt. Sie waren unhöflich, primitiv, und verkörperten nicht gerade die römische Eleganz. Nun ja Manius, meine Leibwächter gingen voran, wir wollten zu einem abgelegenen Tisch, doch wären sie an der Meute des Plebs vorbeiliefen, stolperte einer der Soldaten in mich hinein, und er machte mich dafür verantwortlich! Plötzlich, ohne Vorwarnung, schlug er zu und ich landete auf dem schmutzigen Boden dieser Spelunke. Wie dem auch sei, meine Leibwächter, die Soldaten und alle anderen Gäste prügelten sich schlimmer als bei den Spielen in der Arena, während ich meinen Weg nach draußen bahnte. Lange Rede kurzer Sinn, bedenke immer deinen Stand Manius, meide den Plebs."

  • "Mehercle, wie grässlich!"
    , kommentierte der Knabe mit aufrichtiger Compassion den scatonischen Rapport, um in demselben Augenblicke eine gewisse Relaxation zu verspüren, dass er selbst in jenen Zeiten des schlimmsten Wütens des Bellum Civile sich jenseits der römischen Mauern aufgehalten hatte, sodass nur eine kurze Zeitspanne er in der besetzten Stadt hatte leben müssen. Mit einer derartigen Unverfrorenheit, einen Mann von Stand in derartig grober Weise zu attackieren, hatte der junge Flavius indessen zu keinem Zeitpunkt erwartet, zumal seine Imagination des Miles Romanus jenes eines glänzenden Heroen und keinesfalls eines groben Söldners bishero gewesen war, wie dies auch die Literatur, welche er sich rezitieren zu lassen pflegte, diesbezüglich keinerlei Hinweise geborgen hatte.
    "Handelte es sich um römische Bürger oder etwa jene germanischen Söldner, welche in der Schlacht von Vicetia das Blatt gewendet hatten?"
    , informierte er sich somit weiter in der Hoffnung, zumindest die kaiserlichen Legionen als Refugium seiner idealisierten Attribuierungen zu wahren.

  • Fusus schenkt auf dessen Entgegnung hin dem Manius Minor ein warmes Lächeln. Anschließend ist er bereits im Begriff noch von den Resten seiner Nachspeise zu naschen, da verharrt er mit einer Beere in der Hand. Die kurz darauf folgende Erzählung seines Bruders ruft indes gänzlich andere Emotionen bei dem jungen Mann hervor. Seine Augen weiten sich vor Schreck und er lauscht gebannt der Schilderung des Tathergangs. "Meiner Treu! Welch Impertinenz! ...und ich ging bis dato davon aus, dass die Taverna Apicia einer der gehobeneren ihrer Art sei." Fassungslos schüttelt der Flavier sein Haupt und verarbeitet noch die gebotenen Tatsachen. Allein die Nachfrage seines 'Oheims' lässt ihn noch einmal aufhorchen und einen Funken Hoffnung entstehen, dass die besonderen Umstände jener Zeit womöglich zu einem äußerst unglücklichen Zufall geführt haben mögen. Langsam schiebt er sich die Frucht in den Mund und kaut nachdenklich und besorgt.

  • Etwas bedauernd blickte Scato seinen jungen Verwandten an, sicher, jeder Junge bewunderte die Legionen, den ehrbaren römischen Soldaten in seiner glänzenden Rüstung, kein Weg zu weit, keine Bürde zu beschwerlich, doch Scato hatte mittlerweile erkannt dass dies wohl nur für die Männer der hohen Ränge gelten konnte, wenn überhaupt, während die Mannschaften einfach nur ungehobelte Saufbolde waren..
    "Nun Manius, es waren Soldaten der zweiten Legion aus Germanien, wilde, jedoch mit dem Bürgerrecht ausgestattet welches jedoch kaum ihre primitiven Charakterzüge zu verbergen vermochte.", kommentierte Scato seine Erfahrung und rieb sich kurz über das damals äußerst schmerzende Kinn..
    "Und Iullus, auch ich saß diesem Trugschluss auf. Eine Taverna voller betrunkener, überheblicher Horden muss ich jedoch diesen Ruf absprechen."

  • Schweigend folgte Gracchus dem Gespräch, welches sich nun unter den jungen Flaviern entwickelte, erfreut darüber, dass Scato augenscheinlich bereits festen Fuß hatte gefasst in der römischen Gesellschaft, und auch Fusus auf bestem Wege dorthin war. Gedanklich vermerkte der ältere Flavier sich, den jüngeren Milonen bei passenden gesellschaftlichen Anlässen mit sich zu nehmen, denn augenscheinlich fiel ihm dieser Anschluss noch ein wenig schwer, während sein Bruder zweifelsohne als Tiro des Furianus in diese Kreise würde eingeführt werden. Ein wenig abgelenkt wurden seine gedanklichen Erwägungen schlussendlich durch den Hinweis auf einen Zwischenfall, einen anderen Zwischenfall mit dem Pöbel noch dazu, so dass seine Aufmerksamkeit gänzlich wieder Scatos Bericht galt, er nicht konnte verhindern, dass zuerst ein sublimes Schmunzeln sich um seine Lippen kräuselte - jene Naivität, welche der junge Flavius eingestand, schien ihm durchaus nicht unbekannt -, alsbald jedoch im Fortgang der Erzählung dies sich löste, sein Antlitz regelrecht erstarrte, die Farbe daraus zu weichen schien. Der Bürgerkrieg. Römische Soldaten. Prügelnde Soldaten. Mitten in Rom. Randalierende Soldaten. Schlachtende Soldaten. Mitten in Rom. Mitten. In. Rom.
    "Wenn in Friedenszeiten der Mensch dem Menschen ein Wolf ist, so ist er in Zeiten des Krieges ein weitaus schlimmeres Monster, voll..kommen gleich, wo seine Wurzeln liegen"
    , kommentierte Gracchus trocken, ehedem er seinen Weinbecher hob und diesen zur Gänze leerte - obgleich das Gefäß etwa bis zur Hälfte noch angefüllt war mit purem Wein, dessen Nachhall dem Flavius nunmehr überaus bitter erschien. Wenn der einfache Soldat, welcher vorwiegend Befehlen folgte, im Krieg zu einem Monster wurde, was war dann er, welcher diesen Krieg hatte mit angezettelt? Auffordernd hielt Gracchus den Becher zur Seite, dass ein emsiger Sklave sogleich ihm nachschenkte, das grünfarbene Glas sich durch die Flüssigkeit dunkel färbte, konnte indes derart an sich halten, nicht augenblicklich erneut anzusetzen, sondern das Gefäß zurück auf den Tisch zu stellen. Bisweilen beneidete Gracchus jene Männer, welche fähig waren, ihre Sorgen in den Armen des Bacchus zu ertränken, erlag er selbst in solchem Falle doch mit jedem Becher mehr der Melancholie, alsbald der Übelkeit und spätestens am nächsten Morgen unendlicher Tortur und Qual. Flucht, stets blieb der einzige Ausweg die Flucht - Flucht vor Menschen, vor Ereignissen, vor Handlungen, vor Gefühlen, vor Themen, vor der Wahrheit - an allem Ende stets nur Flucht.
    "Früher einmal war die taverna apicia ein überaus empfehlenswertes Etablissement, von den besten Köchen Galliens betrieben, welche die er..lesensten Speisen servierten und nicht selten Angehörige der Nobilitas und Senatorenschaft zu ihren Kunden konnten zählen, zumindest jedoch gut betagte Bürger. Doch ich entsinne mich, dass es schon während meines Aedilates"
    , er wollte lieber nicht darüber nachdenken, wie lange dies bereits zurücklag,
    "nurmehr eine durchschnittli'he taberna war. Vermutlich haben die letzten Jahre das Ihrige dazu beigetragen, den Pöbel anzuziehen."

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Obschon dem Knaben trunkene, überhebliche Horden keineswegs unbekannt waren, da er doch allzu oft seine Eltern zu diversen Gastmählern mehr oder minder kultivierter Aristokraten zu begleiten hatte, so erschien es ihm doch gänzlich ferneliegend, derartige Etablissements des Pöbels aufzusuchen, zumal die Elektion geeigneter Bediensteter ihm in seiner infantilen Naivität, die noch nicht um den unschätzbaren Wert adäquater Diener, mit denen man Tage und Nächte zuzubringen hatte, wusste, als Aufgabe des Vilicus erschien und somit kein Grund der Erde ihm in den Sinn kam, sich derartig dem gemeinen Volk zu approximieren.


    Viel unerquicklicher traf ihn indessen die Information, dass augenscheinlich ungehobelte Barbaren in den Genuss der Civitas Romana gelangt waren, was zwar ihm keinesfalls so abstrus erschien wie die Existenz respektloser Soldaten, da ihm doch von seinen Expeditionen in die Urbs bekannt war, dass römische Bürger keineswegs in jedem Falle etwa einen Griechen oder Phönizier an Kultiviertheit zu übertreffen imstande waren.
    "Zweifelsohne hat der Aufenthalt im kalten Norden sie zu derartigen Bestien verrohen lassen. Ich hoffe, der Centurio wird sie für diese Impertinenz windelweich prügeln."
    Allein das Nachsinnen über die germanischen Provinzen evozierte bei dem Knaben ein Frösteln, da doch bereits die Gegend um Cremona ihm des Winters als eisiger Ort erschienen war, was er, den griechischen Autoren folgend, auf die nördliche Lage zurückgeführt hatte, sodass ihm eine um ein Vielfaches nördlichere Position entsprechend unwirtlicher erscheinen musste.


    Der Kommentar seines Vaters war indessen seinem Usus entsprechend gravitätisch, doch vermochte der Knabe diesbezüglich keine spontane Replik zu formulieren, weshalb er sich weiters in Schweigen hüllte und einen Augenschlag bedachte, ob jene Sentenz sich auch auf seinen Autoren selbst zu münzen war, was die Frage implizierte, ob der Wolf als feiges Tier zu deklarieren war. Bei diesem Unterfangen kam ihm allerdings eine Mär seiner Amme in den Sinn, welche sich auf die Historie von Remus und Romulus und deren Zeit in der Obhut jener legendären Wölfin bezog. Jene Narration war erfüllt gewesen von adventurösen Begebenheiten, darunter mehrfachen Attacken von Ratten, Füchsen, aber auch Bären und den Schergen des Amulius Silvius, die die Wölfin in höchster Tapferkeit abwehrte. Und obschon dem Knaben selbstredend bewusst war, dass es sich hierbei nicht zwingend um reale Begebenheiten handeln musste, da doch auch andere Geschichten sich als wenn nicht Lügen, so doch zumindest eigenwillige Interpretationen der Realität entpuppt hatten, so genügte dies Manius Minor, um Manius Maior nicht einer wölfischen Gesinnung zu bezichtigen, sondern vielmehr einer gänzlich konträren, wie etwa der eines Eichhornes.
    Die Imagination, seinen Vater auf einem Baume verweilend und beim geringsten Anlasse in die Blätter entschwindend zu sehen, ließ die Winkel seines Mundes sich leicht in die Höhe neigen, ehe er, als habe ihn der Magister beim Schwatzen ertappt, eine schuldbewusste Miene aufsetzte, da ihm doch nur allzu gut bekannt war, dass derartige Gedanken höchst pietätlos und ungehörig waren.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!