[Horti Luculliani] Tempel der Fortuna Fausta - und immer dreht sich das Glücksrad

  • Die Gedanken Ravillas resonierten mit einer Intuition, die Clemens auch bei seiner Rede damals in Worte zu fassen versuchte. Es leuchtet ein, dass der Welt eine tiefere Ordnung zugrunde liegt. Dichter wie Denker loben gleichermaßen eine wohlgeordnete Welt, bei der jedes Teil das andere in liebevoller Detailarbeit ergänzt.


    Doch warum sehnt sich nahezu jede Seele dann nach mehr? Der Gedanke scheint als einziges Teil keinen Platz im Ganzen zu haben; aber doch ist er da. Wenn alles einen Sinn hat, dann doch auch das.


    Die Sonne schoss aus dem Wolken hervor und hüllte den Tempel in einen warmen, matten Glanz. Zusammen mit den warmen Worten seine Freundes hielt damit auch eine leicht berauschende Schwerelosigkeit Einzug, die den aedituus - ganz seiner Göttin getreu - mitzog.

    "Ist es wirklich so schlimm bestellt um die Gleichheit? Verglichen mit den Alten und den Göttern ist mein Leben kurz. Doch sah ich so viele Menschen, die sich nach Neuem und Größeren sehnen. Gewisse Bedürfnisse sind auch jedem gemein: Alle sehnen sich beispielsweise nach Obdach, Essen, Trinken. Ein wenig Unterhaltung wäre sicher auch für niemanden falsch. Wenn wir alle etwas nach demselben streben, dann reicht das schon aus, um uns irgendwo alle zu vereinen.

    Braucht es dann wirklich eine Hierarchie, um das zu befriedigen?"


    Wie die Stimmung einen doch die Umstände vergessen ließ! Keinen Gedanken schenkte Clemens an die Stellung des aedilis, den er einen Moment zuvor noch zum Gespräch einlud. Ihm war dessen Person und Präsenz durchaus bewusst; doch hatten Einladung und Stimmung jede Vorsicht vor dem Amt, das hinter Flavius Gracchus wie ein schlafender Löwe lauerte, verschwinden lassen.

  • Ravilla fand die Frage durchaus erörternswert, die für ihn weniger ein philosophisches, als vielmehr ein realpolitisches Thema ausmachte.


    "In deinen Ausführungen setzt du voraus, lieber Clemens, dass ein jeder Mensch nach dem Gleichen streben würde. Auf Nahrung und Obdach bezogen würden in der Tat die gleichen Voraussetzungen genügen, um die Bedürfnisse aller Menschen zu erfüllen, nehmen wir ein kleines Haus und täglich drei ausgewogene Mahlzeiten zur Basis. Dies könnte man auf weitere grundlegende Bedürfnisse ausweiten, wie sie in jedem gesunden Geiste schlummern. Wären diese für jeden erfüllt, so könnte man annehmen, sei das Dasein des Menschen vollkommen.


    Jedoch gebe ich zu bedenken, dass der Geist des Menschen sich im Detail ganz beträchtlich unterscheidet. Die Menschen streben, realistisch betrachtet, eben keineswegs alle nach dem Gleichen. Was dem einen genügt, schürt den Unmut des Nächsten. Was den einen erfreut, erfüllt den anderen mit Abscheu. Es würde vermutlich bereits beginnen bei der Frage, wie die täglichen drei Mahlzeiten zusammengesetzt sein müssten, damit die gesamte Menschheit ein Leben lang davon gesund und glücklich bliebe.


    Nicht vernachlässigt werden dürfen niedere Triebe, wie sie zweifelsohne in vielen Menschen schlummern und welche Untaten gebären. Nur wenige sind tatsächlich mit dem zufrieden, was sie haben, wie viel das auch sein mag. Eine Gesellschaft ohne Hierarchie würde es schwierig machen, Vergehen auf zivilisierte Weise, einheitlich", hier warf er Clemens einen bedeutungsschweren Blick zu, "und somit gerecht zu regeln.


    Doch muss ich einräumen, dass deine Idee einer Gesellschaft ohne Hierarchie ein durchaus interessantes Gedankenexperiment darstellt und ich würde gern mehr von deinen Ansichten dazu hören. Hast du eine vergleichbare Gesellschaft auf deinen Reisen kennengelernt oder woher rührt diese kühne Idee?"

  • Clemens schaute über die Anlage hinweg, die ihm anvertraut wurde. Der Ädil und der Rest seiner Entourage schienen noch vor Ort zu sein... Es war ein flüchtiger Blick, der allenfalls die Seele beruhigen konnte, aber zu mehr nicht taugte. Alles andere wäre den Umständen nach zu auffällig gewesen. Dem Quintilier war das, getrieben von den Zwängen sozialer Konventionen und dem warmen Gefühl in seinem Herzen, jedoch gut genug.


    "Aus Roma kam ich nie raus; die Stadt selbst hat mir dafür umso mehr gezeigt. Vom Inneren der prächtigsten villae bis zum Hinterhof von tabernae, in den sich manch ein Mensch leise und einsam nach dem Tod sehnt, habe ich alles erleben dürfen. Wie es dazu kam lässt sich hier" - Clemens schwenkte mit der Hand über den Boden des Tempels hinweg - "nicht allzu gut erklären. Sagen wir es so: Pass auf, wem du Geld schuldest."


    Verheißungsvoll ließ der Quintilier am Ende seines Satzes die Stimme fallen. Für einen kurzen Moment lebte die alte Rampensau wieder auf, die sich seit seinem Amtsantritt nur noch mit Bacchus Segen heraustraut. Das Grinsen des Quintiliers wirkte breiter, die Augen voller und glänzender.

    Das Publikum brauchte eine kurze Verdauungspause, die er gewährte. Nach ein paar Sekunden - genug, um nicht das Thema zu verlieren und ungezielten Folgefragen auszuweichen - fuhr er mit einem einleitenden Schwenk fort:


    "Meine Abenteuer mit Geld und Lust haben mich eines erkennen lassen: Wir fangen alle gleich an, verlieren aber die anfängliche Einfachheit mit unserer Rolle in der Gesellschaft gegenseitig aus den Augen. Der Eine begnügt sich mit Brot, der Andere braucht ein Gelage. Dem Einen liegen die Künste, der Andere muss sich im Sport oder im Krieg beweisen."


    Clemens hielt kurz inne. Soll er wirklich fortfahren? Leider war alle Vorsicht längst von Bord.


    "...Und doch ging es im Goldenen Zeitalter anders. Auch soll es noch Menschen geben, die das einfache Leben genießen und sich in kleinen Gruppen in Gärten versammeln, nur einander haben und von den Früchten des Landes leben. Epicurus sieht es zumindest ähnlich und lebte es auch vor, auch wenn er mir manchmal wie ein Langweiler vorkommt. Wenn es vor langer Zeit und bei dem Epicurus anders gewesen ist, sind die Umstände, die uns kompliziert machen - nicht die Natur des Menschen."


    Auch wenn Clemens mit den Briefen Epikurs nur oberflächlich vertraut war, war ihm die Brisanz* des Namens durchaus bewusst. Lebhaft erinnert er sich noch an die Runzeln in seiner Stirn, die quasi von selbst auf selbst auf seinem Gesicht sein einnahmen, dass die Menschen die Götter angleichen². Was auch immer der Mensch verbockt hat, war sein Problem.

    Und doch war der Raum für Missverständnisse groß. Beide Augen des Quintiliers ruhten in angespannter Erwartung in denen von Ravilla.


    Sim-Off:

    Auch wenn es im Volksmund gern so propagiert wird, war Epikur kein Verfechter des Atheismus. Für ihn war die Existenz von Göttern sogar so offensichtlich, dass man sie nicht ernsthaft hinterfragen konnte (Siehe Vers 123 in Epikurs Brief an Menoikeus, Griechisch-Deutsche Reclam-Ausgabe). Seine Götter waren formlose Wesen, die die Fähigkeit für Schmerz dank fehlendem Körper nicht haben und vollkommen in sich versenkt mit keinem Gedanken an die Welt leben. In seiner Philosophie haben sie - wie eigentlich alle philosophischen Schulen der damaligen Zeit - eine Art Vorbildfunktion gehabt. Trotzdem ein brisantes Gottesbild.


    ²Brief an Menoikeus, Vers 124 in der Griechisch/Deutschen Reclam-Ausgabe.

  • Die Konversation mit dem ehrenwerten Aedituus Lucius Quintilius Clemens hatte Ravillas Geist vortrefflich erquickt. Die Verabschiedung erfolgte in herzlicher Weise und mit der zum Ausdruck gebrachten Hoffnung, man möge einander bald wieder sehen, um die Gedanken zu vertiefen oder durch neue zu ergänzen.


    Vom Aedil Manius Flavius Gracchus Minor hingegen verabschiedete der Seius sich weniger schwungvoll, zum einen aufgrund von dessen exorbitant zu nennender Amtswürde, an welcher ein Übermaß an Enthusiasmus zu kratzen geeignet wäre, zum anderen, da sie sich bereits am morgigen Tag wieder sehen würden.


    Das Haupt voll frischer Gedanken begaben Ravilla und sein Sklave sich zum Standort ihrer wartenden Mietsänfte, um heim in die traute Wohnung zu kehren, die zu beziehen ihm großmütig gestattet worden ward.


    Sim-Off:

    Der Abschied aus jenem erbaulichen Gespräch erfolgt vor dem Hintergrund des Exils des geschätzten Aedituus Lucius Quintilius Clemens. In der Hoffnung auf eine Fortsetzung zu gegebener Stund verbleibt nicht nur Ravilla, sondern auch dessen Spieler. :)

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