[Horti Luculliani] Tempel der Fortuna Fausta - und immer dreht sich das Glücksrad

  • Tempestates templas deminuunt | Eine Inspektion des Fortuna-Tempels


    Ernst nahm Manius Flavius Gracchus Minor seine ädilizischen Obliegenheiten und ob seiner Furcht, den Ansprüchen der Götter nicht zu genügen und deren ewige Strafe auf sich zu ziehen, schenkte er jenen Pflichten, die mit dem Cultus Deorum verquickt waren, besondere Aufmerksamkeit. Selbstredend vermochte er nicht sämtliche Tempel in persona zu kontrollieren, doch einigen von ihnen stattete er doch selbst eine Visite ab, um sich vom baulichen Zustand jener Häuser der Unsterblichen zu überzeugen. Der Tempel der Fors Fortuna in den Horti Luculliani zählte auch zu ihnen, was indessen weniger der Sorge um jenen relativ jungen Bau als dem Vorwitz war geschuldet, da Manius Minor jenes Heiligtum bisherig niemals selbst hatte aufgesucht.


    Gemeinsam mit einem Architekten sowie seinen gewöhnlich ihn geleitenden Apparitoren erschien er somit zu einem angekündigten Termin vor dem kleinen, doch durchaus nicht unansehnlichen Tempel und sah, wo der zuständige Aedituus ihn erwartete.

  • Clemens saß an einer Säule nahe der Treppe, ein Bein ausgestreckt, das andere angezogen. Jeder außenstehende Beobachter wäre über so ein Hindernis in die heiligen Hallen der Schicksalsgöttin empört gewesen, doch - wie meist in den letzten Wochen - hat fast niemand den Weg zum Tempel gefunden.


    Ein wenig verloren schaute der Quintilier hoch zu der Göttin, der er sein Leben versprochen hatte. "Heute sind wir wohl wieder allein, was?"

    Keine Antwort.

    "Ach, sei doch nicht so." Irgendwo wusste Clemens, dass der sowieso schon magere Witz schon vor Tagen sein letztes Leben ausgehaucht hatte.

    War die Ruhe ein Zeichen dafür, dass er seine Arbeit gut machte oder hat sich seine Göttin schlicht jemand anderen gesucht?

    Tja, Roma wird wohl auch mit dem Besen verteidigt.

    Ein Lachen für einen Witz, den außer seiner "Partnerin" wohl niemand hören konnte, legte den Gedanken schnell zu Akten. Der Quintilier streckte seine Arme und wagte einen Blick auf die Welt.


    Zwei Figuren schienen den Weg zum Tempel gefunden zu haben.


    Clemens rieb sich kurz die Augen.


    Die Silhouetten manifestierten sich langsam an der Treppe. Einer von beiden wirkte etwas rundlicher und machte irgendwie einen wichtigen Eindruck. Den anderen konnte Clemens nicht so recht einordnen.

    Der Quintilier wandte sich zu seiner Angebeteten... im wahrsten Sinne des Wortes.


    "Siehst du? Man denkt noch an dich!"


    Ein betont lautes Gähnen erfüllte den bescheidenen Bau, bevor er die lange Reise auf seine Füße antrat. Doch so vorsichtig er sich auch erhob, sein Rücken rächte sich mit brennendem Schmerz für die Misshandlung, die er durch die Säule erlitten hatte. Mit einem leicht verzogenen Gesicht rief der Quintilier seinen Besuchern entgegen: "Salvete, mei amici! Welches Schicksal führt euch zur großen Fortuna?"

  • Anders als der erste, augenscheinlich fehlgeleitete Blick des Aedituus ihm vorgaukelte, erschien der rundliche Herr mit Toga praetexta als Ausweis seiner magistratischen Würden keineswegs allein mit jenem Architekten, sondern geleitet von einer ganzen Schar an Schreibern, Boten und Sklaven, welche ihm seine Sella curulis sowie alles weitere, was ein Mann seines Amtes bedurfte, beitrugen. Der wichtigste unter ihnen war jedoch zweifelsohne sein Leibsklave Patrokolos, welcher ihm nicht nur sein wichtigster Sekretär, sondern auch sein erweitertes Augenlicht war, da er doch an einer Fehlsicht laborierte, welche ihm lediglich auf die Distanz das scharfe Sehen gestattete. Ihm war es auch zu verdanken, dass er auf ein Zeichen hin eine leichte Unebenheit auf dem Pflaster vor dem Tempel überstieg und so zielstrebig auf den jungen Hüter jenes Heiligtums zugehen konnte.


    "Ist ihm nicht die Ankündigung meiner Inspektion zugegangen?"

    , fragte der Aedil ein wenig derangiert ob der Salutation und blickte, anstatt das Gespräch mit dem Quintilius zu suchen, fragend zu seinem Accensus, der seinen Stab leitete und sogleich beflissen antwortete:

    "Das Schreiben wurde ordnungsgemäß zugestellt."
    Dann wandte sich der Beamte dem Aedituus zu und erklärte:

    "Der ehrenwerte Aedilis curulis Manius Flavius Gracchus Minor ist zur Inspektion hier. Der Besuch wurde dir angekündigt. Es geht um die Inspektion der Bausubstanz des Tempels."

  • Vor dem so kleinen Tempel schien sich eine ganze Bande an Gehilfen versammelt zu haben.


    Dass Aufmerksamkeit für seine Umwelt nicht Clemens Steckenpferd ist, würde ihm der Ädil wohl unbesehen glauben.


    Mit gelegentlichem Nicken nahm der Aedituus das Anliegen von Gracchus entgegen. Ein kurzer Schock durchjagte den Quintilier, als das Wort "Aedilis" fiel. Welch Wunder für den Rücken Angst bewirken kann!

    Clemens atmete tief durch, ließ die Szene setzen und ging im Kopf noch einmal alles für sich durch.


    Natürlich haben sie ordnungsgemäß zugestellt...


    Wenn Clemens eines in seinem Leben gelernt hatte, dann das: Formelle Fehler sind ein Geschenk der Götter. Als einfacher Kritikpunkt, auf den die Konversation mit Offiziellen immer wieder kommen kann, geben sie einem vor allem eines: Zeit. Zeit, um irgendeine Geschichte für das eigene Versagen zu erfinden oder zumindest eine bessere Nebelkerze zu zünden.


    Doch diesen Luxus räumte ihm sein unerwarteter Besucher nicht ein.


    "Jetzt, wo du es erwähnst... Da war tatsächlich ein Brief vor ein paar Tagen. Ich hatte in letzter Zeit viele wichtige Anliegen, die mich den Überblick haben verlieren lassen."


    Dass Organisation nicht Clemens Steckenpferd ist, würde ihm der Ädil wohl unbesehen glauben.


    "Anders als meine Terminplanung ist der Tempel jedoch in tadellosem Zustand! Bei meinen Durchgängen, meiner Pflege und meinen Gebeten ist mir nichts aufgefallen."


    Sobald die Worte den Mund des aedituus verließen, wurde ihm der Wert seiner Bürgschaft bewusst. Schnell wie ein Pfeil und mit einem eingebübten Grinsen folgte daher:


    "...Ich führe dich und deine Kollegen gern persönlich durch das bescheidene Haus meiner Göttin, ehrenwerter Aedilis curulis Manius Flavius Gracchus!"

  • Ein kritischer Geist mochte die Replik des Aedituus als Unverfrorenheit erachten, da doch einem Magistraten des Cursus Honorum kaum etwas mochte in den Sinn kommen, was die Bedeutung seiner höchstpersönlichen Visite übertraf, doch der Flavius verfügte über hinreichend Gravitas und Dignitas, um über derartige Unzulänglichkeiten hinwegzusehen, sodass schlicht er über die Desorganisation des jungen Mannes lächelte und nickte.

    "Mein Kollege Lucretius Carus ist heute nicht mit mir."
    , bemerkte er noch, da doch keine Kollegen, sondern Bedienstete ihm folgten, während der Amtskollege auf dem Posten des Aedilis plebis sich anderen Sujets widmete.

    "Doch werden mein Architectus und ich dir gerne folgen!"

  • So sehr Clemens auch mit sich rang; die Welle der Erleichterung, die über ihn über die Abwesenheit des Kollegen herfiel, begrub jede Verteidigung unter sich. Der Anflug eines verstohlenen Lächelns im Gesicht des Quintiliers lässt den Kampf erahnen.


    "Ist dem so? Bedauerlich... Die Luft hier ist so viel angenehmer als im Herz der urbs aeterna. Auch der Seele tut sie Wunder."


    Mit einem theatralischen Schwenk lenkte der aedituus alle Blicke auf seine marmone Angebetene, die es wie ihren Wächter im Moment nur hier weg zu ziehen schien.


    "Hier ist das Herzstück meines bescheidenen zweiten Heimes: Eine ergreifende Statue der Fortuna fausta. Sehen Sie nur, wie sie nach all den Jahren noch immer voller Energie in die Welt zu ziehen versucht! Mit Füllhorn und Steuerruder bewaffnet trägt sie ihren Willen in die Welt!"


    Während die Zeit die Seele matter werden lässt, waren es bei ihr vor allem Wind und Wetter, die der Schicksalsgöttin ihre Macht demonstrierten. Durch den offenen Bau erhielten sie weiter Zutritt und waren - anders als der Rest der Stadt - treue Begleiter. Sicher, Fortunas Schwung scheint noch immer den Wind selbst durch den heiligen Bau zu treiben... Doch der genaue Beobachter, zu denen Clemens inzwischen seinem stillen Bedauern nach zählte, bemerkt auch den kleinsten Verfall.


    "Die Farbe zu erneuern würde ihr dennoch gut tun... Wen würden die Elemente nicht langsam zugrunde richten, wenn er ihnen Tag und Nacht ausgeliefert wäre?"


    Der Quintilier senkte seinen Kopf zum Sockel der Statue, was ihm jedes Mal ein sanftes Lächeln auf die Lippen brachte.


    "Manche Tempel bleiben wohl in der Familie..." Ob der Satz mehr für ihn oder seine Begleiter gedacht war, konnte der Quintilier selbst nicht einschätzen.


    Stattdessen wandte er sich wieder seinen Besuchern zu.


    "Wie sind die ersten Eindrücke meiner Gäste?"

  • Die Bemerkung des Aedituus quittierte der Flavius mit einem Nicken, schätzte doch auch er die beruhigende Kühle der Gärten, die er freilich als Spross eines edlen Hauses nicht allein am Rande der Urbs, sondern ebenso in den Horti seines eigenen Anwesens konnte genießen.


    Er folgte indessen dem Quintilius hinauf zu dem Tempel und blickte seinerseits der Fortuna ins Auge. Wenig intensiv war seine Relation zu jener Wirkmacht des Schicksals, obschon sie in seinem Leben einige Überraschungen hatte bereitet, begonnen bei der glücklichen Fügung, in eine Familie von Aristokraten geboren zu werden über seine alexandrinischen Eskapaden bis hierher, wo er nun wieder als getreuer Diener der Res publica seine Pflicht erfüllte.

    "Der Tempel ist eine Stiftung des Decimus Serapio? Trägt er ebenso die Kosten des Unterhalts?"

    , fragte er, als der Aedituus die Bedarfe an Restauration erwähnte und fügte, an die eigenen flavischen Tempel unweit der Villa Flavia Felix denkend, ob seiner Bemerkung an:

    "Sie sind Ehre und Bürde zugleich!"


    Da Clemens sodann noch ein finales Urteil erfragte, bemerkte diesmalig der Architekt, nachdem sein prüfender Blick durch den Monopteros war gestreift:

    "Die Bausubstanz scheint noch recht gut und stellt keine Gefährdung für die Besucher dar."

    "Ein wenig Farbe würde der Göttin indessen durchaus gut zu Gesicht stehen, wie du bereits sagtest."

    Sim-Off:

    Verzeihung, mir war dieser Thread gänzlich entfallen!

  • Die Frage nach den Unterhaltskosten ließ ein mehr oder weniger gut verstecktes Schaudern über Clemens kommen. In der Hoffnung, dass ihm seine Göttin auch hier nicht im Stich lassen würde, öffnete er bereits den Mund; irgendwas würde sich auf dem Weg schon finden.

    All die Energie, all die Spannung wichen aus dem Körper des Quintiliers, als sein Besucher seine Frage selbst zu Fall brachte.

    Clemens wollte gerade schon seiner marmornen Beschützerin einen dankenden Blick zuwerfen; doch schon einen Moment später wäre das allein im Lichte des Dienstes, der ihm heute erwiesen wurde, eine Beleidigung.


    Weder der werte aedilis noch seine zahlreichen Kollegen konnten irgendwelche Mängel feststellen. Mehr noch: Fortuna würde endlich wieder in ihrem vollen Glanz erstrahlen!


    ...Doch war es nicht etwas zu einfach? Zwar schien es nicht völlig ausgeschlossen, dass ihm die Schicksalsgöttin seinen Vorschlag - wohl aus eigenem Frust über den Mangel an Respekt, den man ihr hier zollte, - fürstlich entlohnen wollte; irgendwie ließen seine Gäste den sonst so ruhigen Tempel aber eigenartig eng und beklemmend erscheinen.

    Vielleicht war es nur Clemens Einbildung: Aber irgendwas lag in der Luft. Kein Staatsdiener ist so großzügig.


    "Ist der werte Herr aedilis schon fertig mit seiner Untersuchung? Schade, schade... Gesellschaft ist hier draußen so selten. Sollte er wirklich nichts mehr finden, könnte ich zumindest ein Trankopfer zum Abschied anbieten."



    Sim-Off:

    Kein Stress; ist mir tatsächlich auch erst kürzlich passiert...^^

  • Ein wenig im Hintergrund heute, doch nicht minder aufmerksam, fand sich auch Ravilla im gewohnten Gefolge des Flaviers, die Tabula in der Hand und den Leibsklaven im Schlepptau, der ihm nicht nur die Toga zu richten und eventuelle sonstige optische Makel zu begleichen beauftragt war, sondern auch bei der Verschriftlichung von Ravillas Überlegungen half - wenig fachkundig zum Leidwesen des Seius - und ihm auf Wunsch hin und wieder ein kühlendes Getränk organisierte. Das Wetter war durchaus dazu geeignet, Ravilla ins Schwitzen zu bringen. Darüber hinaus war die Hilfe des Seius heute wenig vonnöten, doch Ravilla verfolgte lernend das Gespräch des Magistrats und des Geistlichen, der ihm bekannt vorkam.


    Ein Weilchen sinnierte er, bis es ihm einfiel - dies war Quintilius Clemens, dessen Rede Ravilla beim Rhetorenwettstreit ganz ausgezeichnet gefallen hatte, wiewohl es seine rhetorische Pflicht gewesen war, sie nach den Regeln der Kunst zu zerpflücken. Anschließend hatten die vormaligen Kontrahenten den Abend entspannt im Gespräch ausklingen lassen, wobei der Quintilier sich als spendabel erwiesen hatte, was ihn gleichwohl in die Reihen der Sympathieträger aufsteigen ließ. Ravilla lächelte Clemens zu und nickte zum Zeichen, dass er ihn erkannt hatte.

  • Der Aedil vermochte nicht die Bemerkung des Architekten zu verifizieren, doch unternahm dieser es selbst, nun immediat vor der Kultstatue stehend, das Mauerwerk wie die Säulen intensiver zu inspizieren. Dem Flavius hingegen blieb lediglich, seine beschränkte Impression in eine Aktion zu verwandeln:

    "Ein Trankopfer zum Ausklang ist eine formidable Idee. Indessen fürchte ich, wir sind noch nicht zur Gänze saturiert."

    Er lächelte entschuldigend und wiederholte sodann seine erste Frage, welche der Aedituus bisherig zu beantworten unterschlagen hatte:

    "Wird Decimus Serapio für die Farbarbeiten die Kosten tragen? Oder bauliche Korrekturen? Oder müssen hierfür Gelder des Aerarium bemüht werden?"

  • Clemens Augen zogen sich für den Bruchteil einer Sekunde mit der scharfen Beobachtung seines Gegenüber zusammen, bevor der Krampf in seinem Gesicht sich in einem leblosen Lächeln auflöste. Wer trägt denn jetzt die Kosten?


    Clemens wüsste es selbst gerne.


    Zwei Optionen - beide mit ihren Risiken. Mit jeder Sekunde ohne Antwort schlugen Sorge und Angst lauter auf seine Seele ein.

    Instinktiv schaute Clemens zum Sockel. Serapios Name schien einen Sog zu haben, den der aedituus so nie vorher wahrgenommen hatte.

    Der hat schon genug Geld, wisperte eine Stimme im Kopf des Quintiliers.


    "Oh, natürlich zahlt Serapio die Wartungsarbeiten. Auch wenn er es nur selten zeigt: Dieser wunderbare Tempel spricht Bände über die Liebe zur größten aller Göttinnen. Diesem heiligen Auftrag nachzukommen, wird ihm eine große Ehre sein."


    Valentinas knallrotes Gesicht zog an Clemens innerem Auge vorbei. Doch die Scham wich bei dem Gedanken, dass er mit ihr und ihrem Ehegatten besser als mit einem etwas zu neugierigen Staatsbediensteten reden kann.

    Nichtsdestotrotz schien der Körper des Quintiliers schwerer, seine Kleidung dicker und unbequem. Sein Herz schrie nach Ablenkung oder zumindest ein paar Sekunden Ruhe. Ohne konkrete Richtung zog sein Blick durch die Anlage und blieb bei jedem Fremden stehen. Der gesamte Tempel schien wie besetzt.


    Bis ihm das Lächeln eines vertrauten Gesichts entgegenstrahlte.


    Das erste Mal seit diesem endlos erscheinenden Besuch kam dem Quintilier ehrliche Freude über die Lippen.


    "Ravilla? Was hat dich denn so weit raus getrieben?"

  • Der Flavius vermochte sich des Eindrucks nicht zu erwehren, dass der Aedituus nicht recht bei der Sache war, wenn er die gemächlichen Denkpausen wie seine gesamte Gestik und Mimik ponderierte, welche auf ein gewisses Unwohlsein hindeuteten, ehe zu seiner Überraschung neuerlich sein Tiro fori dem Interrogierten ins Auge fiel.


    Augenscheinlich kann der junge Seius bereits eine beachtliche Zahl an Quiriten, welche alle ihn in gutem Gedächtnis zu haben schienen, was wiederum den Aedil erfreute. Wohlwollend lächelte er daher seinerseits in die Runde, zumal seine amtliche Intention ja bereits zu einem Gutteil war saturiert.


    "An dieser Säule müssten auch noch ein paar Löcher zugeschmiert werden."
    , warf indessen der Architectus ein, welcher bereits sich hatte daran gemacht, die Bausubstanz einer näheren Inspektion zu unterziehen.

  • Die neuen Erkenntnisse des Aedils, die dem Wächter des Tempels verborgen geblieben waren, ließen Clemens Kopf zum Ursprung des Klanges schießen.

    Eine wuchtige Shilouette bewegte sich in seinem Augenwinkel in Richtung des Klangs. Getrieben von Instinkt und Sorge zog es auch Clemens dorthin - jedoch nicht ohne hin und wieder einen Blick in Richtung seines ehemaligen Wettstreiters zu werfen.

    Sei es der Sog des Loches oder der Unterhaltung, früher oder später würde er schon dazustoßen. Etwas in der Art sprach sich Clemens auch zu.


    Der aedituus begutachtete die Säule, die der Architekt ins Visier nahm, genau. Tatsächlich fanden sich einige kleinere Löcher in ihnen. Ob Zeichen der Zeit oder Nachlässigkeit beim Bau, konnte Clemens nicht sicher sagen. Leider konnte er nie so recht die Kunst und Präzision lieben lernen, die hinter einer so einfach anmutenden Konstruktion wie diesem bescheidenen Tempel steckt. Bei jedem Versuch zog ihn entweder die idyllische Landschaft oder die voranstürmende Fortuna mit sich.

    Unwissenheit ist in diesem Fall kein Segen, wie auch der Quinitilier schmerzhaft lernen durfte. Erste Schweißtropfen ronnen von seinem roten Gesicht.


    "Wie schlimm ist es?" Fragte er in die Runde, sein Blick noch immer auf der bemakelten Säule.

  • Ravilla erwiderte das Lächeln des Quintilius herzlich. "Die Pflicht war es, werter Freund! Ich habe die Ehre, mein Tirocinium fori beim verehrten Aaedilis Curulis Flavius Gracchus Minor absolvieren zu dürfen. Was aber verschlug dich in diesen Tempel?"


    Jener genannte Magistrat vollzog indes die Kontrolle in der ihm eigenen Sorgfalt, wobei sein Architectus tatkräftige Unterstützung walten ließ. Ravilla folgte diesem, um den Makel ebenfalls in Augenschein zu nehmen. In der Tat waren einige oberflächliche Abplatzungen zu verzeichnen. Die minimale Beschädigung seines Tempels schien den bedauernswerten Aedituus bis ins Mark zu erschüttern. Ravilla interpretierte dies als einen Ausdruck besonderer Frömmigkeit.


    "Löcher, welche wie empfohlen durch Verputzung kaschiert werden können, tangieren nicht die Statik des Tempels", mühte er sich, Clemens zu kalmieren. Womöglich imaginierte dieser ein pekuniäres Desaster für seinen kleinen Tempel.

  • "Und Ravilla leistet jene mit größter Sorgfalt und höchstem Erfolg, wie ich ergänzen darf!"

    , bemerkte der Aedil nicht ohne Stolz, einen derart emsigen Tiro fori seinen Adlatus nennen zu dürfen und präsentierte ein saturiertes Lächeln. Die Neugierde ob jener wechselseitigen Unkenntnis über die Tätigkeit, die doch dem vertrauten Unterton der Fragen konträr ging, evozierte indessen nun doch die vorwitzige Frage:

    "Ihr seid bekannt?"


    Die Bemerkung des Architectus indessen hatte der Flavius mit weniger Sorge als der Aedituus aufgenommen, zumal ihn die Details der statischen Kontrolle ohnehin wenig kümmerten, insonderheit wo sich ihm weitaus interessantere soziale Relationen darboten wie in jenem Falle. Insofern verzichtete er auf eine Konfirmation der tröstlichen Worte Ravilla, während der Architectus sich hier in seiner Expertise gefragt sah und konfirmierte:

    "Allerdings, wie schon gesagt genügt sicherlich ein wenig Putz. Man sollte es allerdings zeitnah tun, denn erfahrungsgemäß werden solche Fugen und Löcher durch Witterung und Abnutzung eher größer, bis sie vielleicht eines Tages doch ein statisches Problem darstellen."

  • Ravillas Worte taten ihren Beitrag; der Ädil, die Säulen nicht einmal mehr weiterer Erwähnung würdigend, nahm die Spannung aus der Luft.


    Clemens wandte sich von der Säule weg zu seinem Bekannten. Den Dank für seinen Einwurf konnte ein freudenstrahlendes Gesicht besser ausdrücken als jedes Wort.

    Auch den dargebotenen Gesprächsstrang nahm er gern an: "Habe ich bei unserem Redewettstreit erwähnt, dass ich aedituus bin? Bei größeren Tempeln ist das sicher anstrengender, aber dafür auch eher dem Ansehen helfend. Mit der Stelle hier kann man nicht wirklich hausieren. Der Tempel ist bescheidener, aber auch mein morgendliches Opfer und Reinemachen erhalten im Kleinen die pax deorum."


    ...Hoffentlich. Allerdings wusste Clemens durchaus den Wert vom Unscheinbaren zu schätzen; nur geziemte es sich für einen civis der Ewigen Stadt seiner Erfahrung nach meist nicht, dem Streben nach Ruhm öffentlich vollends zu entsagen.


    Auch wenn seine Rede im Geiste bereits auch Gracchus Minor galt, schwenkte der Quintilier mit vorsichtigem Elan aus seiner Hüfte in Richtung des Ädils.


    "Der werte Herr Aedilis wird dir sicher mehr zu bieten haben als meine täglichen Abenteuer, oder?"

  • "Dem Bacchus haben wir beide an jenem erquicklichen Tage gehuldigt, lieber Clemens. Bezirzt von seinem rebenreichen Segen, vermochte mein Geist nicht jede Einzelheit des Abends zu memorieren. Doch dass du Aedituus bist, hattest du, so mein Verstand nicht trügt, erwähnt. Die Größe des Tempels ist für den Dienst an den Göttern nicht so entscheidend wie die Größe des Herzens, auch wenn die Unsterblichen den Prunk durchaus zu schätzen wissen - weil es Zeichen dessen ist, was die Sterblichen bereit sind, dem Gotte an Ehre zu erweisen. Ein Zeichen dessen, was der Segen den Sterblichen wert ist.


    Zu bedenken ist an dieser Stelle aber, dass die Götter sehr wohl zu urteilen imstande sind, wie viel dem Gebenden möglich ist, an Opfern darzubringen. Das kleine Opfer eines armen Mannes, wiegt, aufrichtigen Herzens erbracht, mehr als die geschauspielerte Zeremonie eines reichen Mannes, die nur seinem Ansehen unter den Sterblichen gilt und nicht jenen denen, die tatsächlich die Geschicke der Welt lenken. Gleichsam gilt es für den Dienst in den Tempeln. Jeder noch so kleine Schrein ist von Bedeutung.


    Drum halte die Fackel deines Dienstes an der Göttin hoch und bedecke nicht ihr Licht, so klein es auch erscheinen mag. Die Unsterblichen wissen, welchen Wert dein Dienst tatsächlich hat."


    Mit einem freundlichen Lächeln trat Ravilla ein wenig zurück, da Clemens sich nun dem Aedil zugewandt hatte.

  • Obschon keiner der beiden Jünglinge seine Frage einer direkten Replik würdigte, vermochte Manius Minor zu schließen, dass jener Redewettstreit es war gewesen, der die beiden zusammen hatte geführt. Beinahe schien es, als hätten die beiden geradehin sich danach verzehrt, endlich wieder einmal zu parlieren, weshalb nur kurz er auf die Bemerkung des Quintilius bemerkte:

    "Nun, man staunt, mit welchen drögen Nihilitäten ein Aedil viele Stunden des Tages genötigt ist zuzubringen!"

    Für einen Aristokraten, dem sämtliche Angelegenheiten des Handels wie der Vermögensverwaltung stets lästig waren gewesen, der das Privileg genoss, über derartige Reichtümer zu verfügen, dass er schlicht nicht die Not empfand, um Summen zu feilschen, die den meisten Quiriten als Vermögen hätten gegolten, galt jene Einschätzung umso mehr, da eben diese Schlichtung marktlicher Konflikte das Gros der ädilizischen Tätigkeit repräsentierte.


    Den altklugen Worte seines Tiro fori wohlwollend mit einem Nicken konfirmierend, beschloss er indessen, der Jugend die Freiheit zu gönnen und fügte an:

    "Doch wie mir scheint, hast du für den heutigen Tag bereits eine Lehre gezogen, mein lieber Ravilla, nämlich dass selbst im verdrieslichsten Amtsgeschäft das Potential steckt, einen alten Gefährten zu treffen und ihm womöglich einen Dienst zu erweisen. Insofern sage ich dich für den Rest des Tages von deinen hiesigen Pflichten los, aufdass du deinem alten Co-Bacchanten ein wenig Gesellschaft leisten kannst, da mir doch scheint, dass ihr euch nicht wenig zu berichten habt!"

    Obschon jene Lektion eher trivial war, erschienen seine Worte dem Aedil als adäquate Überleitung jener Freistellung.


    "Ich selbst werde mich wieder in die Villa Flavia Felix zurückbegeben. Sind wir hier ans Ende gelangt?"

    , fragte er sodann den Architectus, welcher mit den Schultern zuckte.

    "Wir könnten Decimus Serapio eine Aufforderung senden wegen der Farbarbeiten und dem Putz."

    Der Flavius machte eine wegwerfende Geste und lächelte.

    "Nun, einen Tribunus und Stifter sollten wir nicht wegen derartiger Nihilitäten mit einem amtlichen Schreiben torquieren! Quintilius, du wirst ihm zweifelsohne ein wenig sachter bei Gelegenheit jene Punkte soufflieren können, nicht wahr?"

    , ging nun wieder die Adresse an den Aedituus.

  • Mit Ravillas warmen Worten wandte sich Clemens mit dem Kopf der Statue zu, die den gesamten Tempel mit ihrer Präsenz einnimmt. Sicher, die Worte leuchteten ein und tief in seinem Herzen wusste der Quintilier auch um ihre Wahrheit.


    Allerdings ziehen Zeitgeist und Monotonie an keiner Überzeugung spurenlos vorbei.


    "Mein Herz stimmt dir zu, Ravilla; doch manchmal folgt die Seele nicht mit." begann Clemens, noch immer die Augen der Abbildung seiner Göttin suchend.

    "Irdische Güter und Ruhm sind Zeichen des Glücks, nicht wahr? Nicht jeder Gott drückt seine Gunst gleich aus - dazu sind ihre Gemüter zu verschieden. Sicher sind solche Ehren nicht die einzige Möglichkeit, einen treuen Diener zu entlohnen. Doch wundere ich mich manchmal, wie solche Unterschiede zustande kommen."


    Es mag an der Luft und dem offenen Bau liegen, die auch den Geist in richtungslose Weiten zu entführen scheinen, doch gerade Fortuna war für ihre eher unkonventionellen "Liebesbeweise" bekannt. Beides trug jedoch auch dazu bei, dass Clemens eine überraschende Klarheit hatte, die seinen Blick in Richtung des aedilis zog. Wie wäre es wohl gewesen, wenn er auf redliche Weise an sein Amt gekommen wäre?


    Der Quintilier riss die Augen auf, als ihm sein Versäumnis auffiel.


    "Farbe und Putz, natürlich. Wie viel kosten diese Arbeiten ungefähr? An den pax deorum lässt sich zwar kein Preis setzen - an den Willen einer Person leider schon."


    Den Quintilier beschlich das Gefühl, dass ihm von irgendwoher heute ein großer Dienst erwiesen wurde. Wie viel der werte Herr aedilis curulis wohl wusste? Es überraschte ihn selbst ein wenig, doch ihm wirkte der Staatsbedienstete, der so unverhofft in sein Leben geschneit ist, glatt ein wenig sympathisch.


    "Nach der Geduld, Sorgfalt und Gutmütigkeit, die du heute gezeigt hast, kann ich dich nicht einfach gehen lassen! Wie wäre es, wenn du uns Gesellschaft leistet, Gracchus?"


    Auch wenn der Aedil nicht wusste, welchen Dienst er dem zierlichen Aedituus im wohl unscheinbarsten Tempel von Roma geleistet hat... Clemens war sich dessen bewusst.


    ...Abgesehen davon konnte es nie verkehrt sein, den Mensch hinter dem Amt für sich zu gewinnen. Fortunas Segen zeigt sich wirklich immer in unerwarteten Formen.

  • "Hab dank, Aedil", sprach Ravilla erfreut ob der Aussicht, die Dienstpflichten für heute beenden zu dürfen.


    Und so nutzte er die freie Zeit sogleich für den vom Magistraten angedachten Zweck. Die Worte des Aedituus rührten an Ravillas Herz, der als Spross eines Priestergeschlechts für die Diener der Götter stets besondere Sympathie empfand. Ein frommer, nachdenklicher und melancholischer Mann verbarg sich hinter dem fröhlichen Zecher aus der Taberna Palindromos, welcher vor ihm stand. Der Seius, welcher mit dem Konzept bewusst kultivierter Ungleichheit aufgewachsen war, kannte freilich die Antwort auf die Frage des Aedituus.


    "Ungleicheit ist die Essenz der Zivilisation, denn Gleichheit gebiert Barbarei. Selbst die Spartiaten, welche sich die Gleichen nennen, wissen darum, dass ihre Gesellschaft auf der Arbeitskraft der Heloten basiert und dass ihr Ideal der Gleichheit nur eine kleine Gruppe zum Ziel hat.


    Das Staatsgefüge aller Zivilisationen gleicht einer Pyramide. Geht es dem Volk an der Basis gut, so floriert auch die Wirtschaft. Floriert die Wirtschaft, stehen genügend finanzielle Mittel zur Sicherung des Staates und zur Optimierung seiner Prozesse zur Verfügung. Und dann geht es auch den Lenkern des Staates wohl. Der kluge Staatsmann weiß darum: Wer seinem Volk schadet, der schadet am Ende auch sich selbst.


    Verachtung für das einfache Volk ist meinem nicht ganz unbedeutenden Hause fremd. Unsere Bauern achten wir für ihre Leistungen und mühen uns darum, dass es ihnen an nichts mangelt. Doch die Erfordernis, einen jeden Bauern zum Fürsten zu erheben und die Ungleichheit zu beenden, will mir nicht einleuchten. Denn dies würde bedeuten, dass es keine regulierende Macht mehr gäbe, um Probleme zielgerichtet und mit Sachverstand anzugehen und letztlich auch, um das Bedürfnis nach innerer und äußerer Sicherheit zu befriedigen."


    So hoffte er, Clemens Trost und vor allem Verständnis geschenkt zu haben, doch war er auch gespannt, welch Sicht der Aedituus womöglich hegen würde, die ihn dazu brachte, in der Gleichheit aller ein erstrebenswertes Ideal zu sehen, so der Quintilier seine Gedanken darzulegen geneigt wäre.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!