Neptunalia DCCCLXIV A.U.C.

  • Kein noch so feiner Schleier aus Wolken trübte den Himmel an diesem frühen Nachmittage mitten im Sommer, ob dessen das Flimmern der Iulius-Hitze unbarmherzig über der gesamten Stadt lag als wollte Neptunus selbst sicher stellen, dass der Anlass seines Festes nicht in Vergessenheit geriet. Früh am Morgen bereits waren aus frisch geschnittenen Zweigen Pagoden, Hütten und Pavillons auf dem campus martis errichtet worden, um den Menschen ausreichend Schatten zu bieten, um die Feierlichkeit trotz der brennenden Sonne ausgiebig genießen zu können - denn seit jeher war es Tradition, dass je heißer der Tag, je trockener der Tiber war und je weniger Wasser noch in diesem floss, desto mehr Wein in die Kehlen der ausgedörrten Römer fließen musste. Vor dem ausgelassenen Vergnügen und Feiern jedoch galt es, Neptunus zu besänftigen, um sein Wohlwollen zu bitten, dass die triste Trockenheit des Sommers, an welche Rom seit Alters her gewohnt war, nicht zu einer katastrophalen Dürre sich würde ausweiten. Vor dem Neptuntempel am Marsfeld hatten sich darob bereits nicht nur die Kulthelfer, sondern gleichsam zahlreiche Zuschauer versammelt, dem Opfer beizuwohnen.


    M.F.G

  • Seit Tagen hielt sich die Hitze über Rom, brachten auch die schwülen Nächte keine Abkühlung mehr, dass wer immer es sich konnte leisten, die meiste Zeit im Inneren der kühlenden Mauern eines Hauses blieb, höchstens noch einmal am Abend nach einem lauen Luftzug heischend an die frische Luft hinaus trat - welche indes zumeist nur schwer und drückend zwischen den Gebäuden der Stadt hing und selbst in den Gärten auf den sieben Hügeln kaum zu einer Bewegung bereit war. Deplorablerweise zwang die Pflicht bisweilen selbst jene, welche sich dies konnten leisten, ihr Haus zu verlassen, und manches mal zwang sie jene gar dazu sich der prallen Sonne und Hitze des Tages auszusetzen - und auch der Sklave, welcher hinter Gracchus stand und unermüdlich mit einem Fächer diesem zumindest ein wenig Kühlung zu verschaffen, konnte nicht verhindern, dass dem Pontifex bereits Schweißtropfen auf der Stirne standen.
    "Gut"
    , befand er nach kurzer Begutachtung des weißfarbenen Stieres, welcher vor dem Tempel auf seinen Tod harrte - dabei von Sonne und Hitze gänzlich unbeeindruckt schien -, und wischte sich mit einem seidenen Tuch über das Gesicht, ehedem er die Flucht zurück unter ein Sonnensegel antrat, welches neben dem aedes aufgebaut war. Obgleich dort bereits ein Sklave mit den Stoffmassen seiner toga praetexta auf ihn wartete - selbst wenn die Sonne jeden Grashalm würde versengen, ein Pontifex hatte sich an den Kultritus zu halten, welcher unabhängig von den Jahreszeiten seine Tracht bestimmte -, rang Gracchus sich ein schmales Lächeln ab im Anblick seiner beiden Söhne und seines Neffen Fusus, welcher bei den Gracchen stand - allesamt bereit ihre Pflicht als Sprösslinge einer patrizischen Familie zu erfüllen. Denn wie Minor bereits seit Jahren immer wieder bei den großen öffentlichen Opfern, welche sein Vater im Dienste des Cultus Deorum vollzog, als minister fungierte, so würde auch Titus Gracchus an diesem Tage in diese Pflicht initiiert, gleichwohl wie Fusus zum ersten Male bei einem Staatsopfer in Rom würde assistieren.
    "Der Stier ist von erstklassiger Güte, selbst die Hitze scheint ihn nicht zu tangieren."
    Ganz im Gegenteil zu dem Pontifex pro magistro, welcher in diesem Augenblicke, da die Toga um seinen Leib wurde gelegt, bereits sich die Frage stellte, ob es in der Geschichte Roms jemals ein Opfer hatte gegeben, welches daran gescheitert war, dass der Opferherr der Hitze wegen schlichtweg die Besinnung hatte verloren. Noch einmal tupfte er mit dem Seidentuch über seine Stirn, ehedem er sich wieder seinen Anverwandten zuwandte.
    "Sofern ihr bereit seid, können wir beginnen."
    Es war nicht üblich, dass der Pontifex sich nach den Opferhelfern hatte zu richten - doch in diesem Falle verschwammen die offizellen Kultrollen mit den Beziehungen innerhalb der flavischen Familie.

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  • 'Welch glühende Hitze... Welch sengende Qual... Unsägliches Schwitzen... - Wo war ich nochmal...?' wird Flavius Fusus aus seinen zähfließenden, nunmehrig unvollendeten Gedanken gerissen und bemüht sich, schnell wieder das Wesentliche zu fokussieren. Von dem drückenden Wetter hat er sich während der Wartezeit ablenken wollen durch ein paar kleine, leichte Reime - ist jedoch wiederholt und nachhaltig gescheitert an der seine Gedanken hartnäckig dominierenden Themenwelt.


    Umso gelegener kommt dem jungen Mann diese deutlich konkretere Ablenkung in Form der sich ankündigenden Aufgabe, wie sie ihm für das bevorstehende Opfer zugeteilt ist. Ein etwas erschöpftes, aber dennoch strahlendes Lächeln seinerseits gilt sodann dem würdigen Pontifex Flavius, sowie auch Manius Minor und Titus. Seine Körperhaltung ist nach wie vor tadellos und angesichts des großen Publikums hat er freilich besonderen Aufwand investiert, um selbst in seiner eher untergeordneten Rolle bei diesem Zeremoniell möglichst makellos zu erscheinen. Dieses Ansinnen wurde durch die herrschenden Temperaturen jedoch empfindlich sabotiert, insofern als dass auch Fusus mittlerweile - nicht zuletzt zu seinem ganz persönlichen und insgeheimen Ungemach - der Schweiß aus allen Poren strömt. Immerhin hat er die Umsicht besessen, bei diesen Randbedingungen auf Kosmetika in seinem Antlitz zu verzichten.


    Dank seiner begeisterungsfähigen Veranlagung vermag er es also tatsächlich, die mit dem Wetter verbundenen Unfährnisse spontan gedanklich beiseite zu schieben und dem erfahrungsreichsten seiner drei anwesenden Onkel zu entgegnen: "Allzeit bereit, Pontifex."
    Eifer und Fleiß demonstrierend hebt er die Amphore an, welche er für seinen Part im bevorstehenden Voropfer wird benötigen. (Das Flötenspiel hatten sie ihm nicht erlauben wollen. Das hätte der Gravitas nicht Genüge getan. Eine Weile hatte Fusus deswegen geschmollt. Doch das ist nun auch schon wieder ein paar Tage her und somit hat er seinen vergänglichen Groll auch schon wieder fast vergessen.)


    Nun, da sein Geist wieder erwacht, wird er sich indes auch des präsenten Panoramas erneut bewusster, welches sich gestaltet aus den mehr oder minder erwartungsvollen Gesichtern ihres Publikums. Fusus müsste wohl lügen, wollte er behaupten dass ihm diese Aufmerksamkeit nicht gefiele. Vielmehr lässt sie ihn sichtlich strahlen und veranlasst ihn sich bewusster zu bewegen, sowie eine gute und gravitätische Haltung einzunehmen.

  • Konträr zu Manius Maior war Manius Minor auch in der Hitze des Iulius bisweilen genötigt, die kühlenden Wände der Villa Flavia Felix hinter sich zu lassen, um etwa auf dem Forum die Taberna des Quinctius Rhetor zu besuchen, dessen Lektionen selbstredend von jedweden meteorologischen Unwägbarkeiten gänzlich independent sich erwies, sofern man davon absah, dass diese bisweilen genutzt wurden, um die Schülern das Räsonnieren in unterschiedlichsten Umständen exerzieren zu lassen. Zutiefst verabscheute der korpulenteste der jungen Flavii diese Wetterlagen, welche ihm mehr als allen anderen den Schweiß auf die Stirn, zugleich aber auch auf den gesamten Leib trieben, was auch durch leinene Gewänder nur bedingt zu kalmieren war.


    Einen entsprechenden Anblick bot der Knabe so auch am heutigen Tage, als er der Sänfte entstieg und auf seiner Tunica Praetexta feuchte Ringe präsentierte, wo diese beim Sitzen in den Ritzen zwischen den Rollen des abdominalen Körperfettes verschwunden waren. Auch ihm reichte Patrokolos ein seidenes Tuch, mit welchem er den Schweiß von der Stirn, aber auch im gesamten nasalen Umfeld bis hin zu den Wangenknochen tupfte, um dann endlich den Lorbeerkranz aufs durchnässte Haupt zu setzen. Für einen Augenschlag bedachte der junge Flavius die Ironie, dass just am Tage des Neptun er ein salziges Wasser schmeckte, welches hingegen nicht den Meeren entstammte, was in ihm die Frage aufwarf, ob nicht der Herr der Fluten auch jener des Schwitzens war.


    Dessenungeachtet reichte man ihm nun auch die Acerra, ein Kästchen aus Erz, welches augenscheinlich für eine Weile in der Sonne ward vergessen worden, da es die Temperatur der Luft beiweitem übertraf und den Knaben erschrocken zurückweichen ließ und ihm einen gedämpften Schrei entlockte, ehe er sich zwang die Finger um das kantige Artefakt zu schließen und es gleichsam durch seine ihrerseits erhöhte Körpertemperatur zu kühlen. Erst als er somit seiner eigenen Kapabilität die ihm obliegenden Aufgaben zu erfüllen versichert war, blickte er zu Fusus und Titus, deren genaue Tätigkeiten er ob seiner Fehlsicht selbstredend nicht exakt erkennen konnte, deren Hexis ihm aber doch offenbarte, dass sie zumindest irgendetwas in Händen hielten.
    "Bereit."
    , stimmte er somit in die Erklärung seines Neffen ein und blickte zu seinem kleinen Bruder, welcher heute seinerseits sein Debut als Minister feierte, was den Knaben erinnerte, wie er selbst vor vielen Jahren erstmalig assistiert hatte. In jener Zeit hatte sein Augenlicht sich noch nicht getrübt und Valerianus, dessen Dies Natalis an jenem Tage zelebriert worden war, hatte den Thron der Caesaren besetzt.

  • Einen kurzen Augenblick war Gracchus' Aufmerksamkeit irritiert durch Minors Reaktion auf die erhitzte accera - denn obgleich sein Sohn offiziell kein Kind mehr war, so trieb insbesondere nach dem Tode Antonias den Vater doch beständig die Furcht um, den beiden jüngeren Gracchen könne ebenso ein Unglück oder Leid widerfahren -, doch nachdem der ältere der beiden Brüder seine Bereitschaft hatte versichert, nickte der Pontifex, um sodann aus dem Schatten vor den Tempel hin zu treten, einem der Herolde dabei das Zeichen gebend, dass die Opferung konnte beginnen. Drei kurze Fanfarenstöße zogen die Aufmerksamkeit aller Zuschauer zum Opferplatz, ehedem die fidicines ihre Saiten zupften und die tibicines mit ihrem gleichtönenden Flötenspiel begannen, welches den Beteiligten dabei sollte helfen, sich auf ihr Wirken zu konzentrieren. Doch obgleich Konzentration zweifelsohne ein Teil Gracchus' Wirken war, so bestand es größtenteils doch mehr aus der monotonen Gewohnheit langjähriger Erfahrung, war der Handlungsablauf der meisten Zeremonien doch stets similär - so auch die kleine Prozession aus Pontifex, ministri und weiteren Kulthelfern, welche sich nun anschickte die Stufen empor, das Tempelgebäude zu be- und vor die steinerne Statue des Neptunus hinzutreten. Angenehm schlug die durch die dicken Mauern gekühlte Luft ihnen entgegen als sie die cella betraten, durchzogen von dem süßlichen Duft nach Räucherung und dem herben Rauch der Öllampen und Kerzen, wiewohl Gracchus kurz inne hielt, seine Augen nach der grellen Sonne an das Halbdunkel des Raumes zu gewöhnen. Er selbst hatte ein durchaus zwiespältiges Verhältnis zu Neptunus - mochte er die Notwendigkeit fließenden Gewässers zwar durchaus anerkennen, wiewohl frisches Wasser im Allgemeinen überaus schätzen, indes war ihm das endlose Meer weit mehr als suspekt, überaus missliebig geradezu - doch persönliche Präferenzen oder Aversionen hatten ohnehin keinen Platz im öffentlichen Opfer.
    "Neptunus aeternus, Herr allen Wassers, Herrscher über Ozeane und Flüsse, Gebieter aller Quellen und fließenden Gewässer, Dir geben wir unsere Gaben zum Tag Deiner Ehren!"

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  • Erfreulicherweise hatte die winzige Perturbation, welche Manius Minors Reaktion auf die erhitzte Acerra evoziert hatte, nicht den Ablauf des Opfers, welches erst durch die folgenden Fanfarenstöße initiiert wurde, perturbiert, sodass jener gemeinsam mit Manius Maior und den übrigen Ministri den Tempel ersteigen und endlich die kühle Halle betreten konnten, in der das Voropfer stattzufinden pflegte. Unmittelbar war der mediokre der jungen Flavii hier geneigt, neuerlich ein Schweißtuch zu verlangen, um den verbliebene Feuchtigkeit seiner Transpiration, welche nun in der veränderten Temperatur erst ihre volle, refrigierende Wirkung entfaltete, aufzusaugen, was indessen jenseits jedweder Diskussion stand, da dies doch einer Disturbation des Opfers gleichgekommen wäre. So leckte der Knabe lediglich das salzige Fluidum von seinen Lippen und verharrte schweigend neben Manius Maior, welcher nun das Gebet begann.


    Ob seiner Expertise hinsichtlich der ministerialen Obliegenheiten, die aus zahlreichen Assistenzen bei den kultischen Pflichten seines Vaters herrührte, wusste der junge Flavius selbstredend, dass man seiner Gabe gleich zu Beginn bedurfte, weshalb er den flachen Deckel des Kästleins wohlweislich bereits eröffnete, um die vielfarbigen, opaken Körnlein in dessen Inneren dem fahlen Licht der Cella auzusetzen. Obschon er diese nun anblickte und bereits eine Spur jenes Duftes vernahm, den das pretiöse Baumharz auch ohne seine Temperierung verströmte, so war er doch ob der luminösen Umstände, insonderheit aber seiner Fehlsicht außerstande, die einzelnen, irregulär geformten, kantigen Brocken zu distinguieren und ihre leuchtende, gemmengleiche Pracht zu würdigen, die in seinen Augen zu einem indefinablen gelblichen Einheitsbrei verschwamm, doch genügte die Remineszenz an bessere Tage, da ihm dies nicht verschlossen gewesen war, sich ihrer zu erfreuen.


    Doch schon war seine Intervention gefordert und er streckte dem Vater und Pontifex das Kästlein entgegen, sodass dieser einige der Körnlein entnehmen und in die Glut des Tragealtars zu streuen, wo unmittelbar sich ein grauer Rauch entwickelte, der zuerst zögerlich, dann unter Knistern und Poppen immer intensiver sich erstreckte, Schwaden bildete und mit sich jenen süßlichen Duft verströmte, der divine wie humane Nasen gleichermaßen erfreute. In der Tat vermeinte Manius Minor gar zu erkennen, wie eine jener Wölklein, die generell nach den Seiten hin expandierten, auch hinauf stieg zum Kultbild des Neptunus, dessen Dreizack wie das güldene Antlitz umspielte und so womöglich geeignet war, die Gunst der Gottheit auf die Opfernden herabzurufen. Und durchaus verspürte der Knabe nun jenen wohligen Schauer, den der intensive Konsum einer derartigen Inzenz in ihm evozierte, einen leichten Schwindel, welcher durchaus annehmlich sich erwies, obschon er auch des Umstands eingedenk blieb, dass dieser bei zu intensivem Konsum sich in Übelkeit wandeln würde, weshalb er sorgsam sich durch einen winzigen Schritt jener Bahn entzog, die die Hauptmacht des Weihrauches sich vom Altar in Richtung der Tempelpforte bahnte.

  • Tief sog Gracchus den Duft der Räucherung durch seine Nase, die süßliche Leichtigkeit goutierend, welche dies evozierte, eine Reminiszenz an dutzende, hunderte vergangene Tage, an karge und extensiven Opfern, private und öffentliche Gelegenheiten, eigene oder fremde Opferherrschaft - ein Spiegel seines eigenen Lebens, seiner eigenen Existenz, die bisweilen nur auf dieses eine Ziel ausgelegt zu sein schien und doch beständig weitab dieser Bahn verlief.
    "Neptunus aeternus, gewähre uns Deine Bea'htung!"
    Ein wenig Stolz durchzog ihn als nach Minor nun Titus hervortrat, eine Schale mit Speltkeksen seinem Vater entgegen hebend und erwartungsvoll mit großen, runden Augen anblickend. Gracchus quittierte dies mit einem marginalen Lächeln und Nicken, gleichermaßen in wehmütiger Art und Weise an seine Gemahlin erinnert, deren Augen stets ebenso tief und dunkel gewesen waren wie die ihres Sohnes und die gleichsam Teil jener vordefinierten Bahn gewesen war, welche er nicht zu halten im Stande schien. Während all dies durch Gracchus' Sinne zog, wurde sein Tun indes nicht bestimmt von Gedanken, seine Hände griffen wie in den Riten determiniert nach dem Gebäck und brachten die Gaben unter dem faszinierten Blicke Titus' der gewaltigen Götterstatue zu Füßen dar.
    "Neptunus aeternus, Dir geben wir unsere Gaben zum Tag Deiner Ehren, dass Du uns deine Aufmerksamkeit gewährst!"

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  • Obschon noch immer winzige Schweißperlen seinen Poren entfleuchten und mitnichten sein Puls, erregt durch die Last der meridialen Hitze, völlig kalmiert war, so war die Einförmigkeit des Rituals doch geeignet, den Knaben zur Ruhe zu bringen und seine Appetenz weg von den Unzulänglichkeiten seiner eigenen Person sowie dem eigenen Laborieren an den klimatischen Umständen hin zu jenem unfasslich Numinosen zu bewegen, an welchem sein Bruder heute erstmalig partizipierte. Sofern dies Manius Minor im Rahmen seines bescheidenen sensuellen Potentials vernehmlich war, erwies sich jener hierbei als durchaus kapabel, was auch seine fraternalen Belehrungen als keineswegs erfolglos erwies. In der Tat wäre es dem nicht eingeweihten Beobachter, welcher in diesem Falle selbstredend inexistent war, da die Flavii selbst nahezu sämtliche Ministri des Voropfers aufboten und auch die weiteren attendierenden Pontifices als persönliche Bekannte des Gracchus Maior im Bilde waren, zweifelsohne nicht aufgefallen, dass einer der Assistenten seinen Dienst erstmalig versah.

  • Den unendlichen Tiefen des Ozeans entstieg der Herr des Meeres, dessen Aufmerksamkeit der Weihrauch und die persönliche Ansprache des Flavius geweckt hatten. Neptun erblickte einen Stier, einen kräftigen, weißen Stier, der ihm sehr zusagte. Wer ganz genau hinsah, mochte sich einbilden, dass Neptuns Götterabbild einen besonders gründlichen Blick auf diese Zeremonie warf.

  • Um die Gaben zu vervollständigen trat sodann Flavius Fusus heran und reichte eine silberne Kanne angefüllt mit Wein. Gracchus kam nicht umhin einen Augenblick lang am Spiel des Kerzenlichtes um die markanten Wangenknochen und langen, dunklen Wimpern seines Großneffen sich zu delektieren, ehedem er die Kanne entgegen nahm und dem steinernen Koloss sich wiederum zuwandte.
    "Neptunus aeternus, Dir geben wir unsere Gaben zum Tag Deiner Ehren, dass Du uns deine Aufmerksamkeit ge..währst!"
    Dunkel und blutrotfarben floss der Wein hinab in die Vertiefung des steinernen Altares, wirbelte dem unerbittlichen Sog folgend in Kreisen durch das eingelassene Gefäß bis dass der letzte Schluck mit einem leisen Glucksen durch das Loch am Boden hin abgeflossen war. Gracchus wandte sich um, straffte die Schultern und trat zurück aus dem Tempelgebäude hinaus in die pralle Hitze des Sommers. Einen Moment lang musste er inne halten, da nicht nur die Helligkeit des Tages ihn blendete, sondern gleichsam auch die Hitze auf ihn hernieder drückte und sogleich einige Schweißperlen ihm aus den Poren trieb.
    Contenance, Manius, Contenance!
    Ein wenig beschlich ihn das Gefühl, dass diese Contenance aufrechtzuerhalten mit jedem Sommer ein wenig mühseliger wurde, und er war durchaus dankbar, dass an diesem Tage nur eine Opferung ihm wurde abverlangt und nicht etwa der Tanz der Salier. Zurück am Fuße des Tempels hatte sich auf Gracchus' Rückgrat ein kleines Rinnsal aus Schweißperlen gebildet, welches glücklicherweise unter den Stoffmassen der Toga verborgen blieb, so dass er äußerlich gänzlich ungerührt von einem minister den Pinsel aus Rosshaar entgegen nahm. Sorgsam tunkte er ihn in die dargebotene Schüssel voll klarem Wasser und besprengte sodann - einige Beschwörungsformeln murmelnd - zuerst die Opferhelfer und hernach auch die umstehenden Zuschauer der ersten Reihen damit, sie auf diese Art rituell zu reinigen - obgleich es beinahe zweifelhaft war, ob an diesem Tage auch nur ein Tropfen des Wassers sein Ziel erreichte, ehedem er verdunstet war. Nach einem kurzen Blick auf seine ministri gab Gracchus den Pinsel zurück.

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  • Auf ein Nicken Gracchus' hin verkündeten die Herolde das "favete linguis!" bis dass auch das letzte Gemurmel auf dem Tempelvorplatz erstarb oder von den eintönigen Klängen der tibicenes übertönt wurde, den Pontifex nicht mehr störte in seiner Konzentration auf die uralte, rituelle Opferformel in der alten Sprache der Latiner, deren wortgetreue Bedeutung seit langem bereits vergessen war. Minor war es, welcher hernach ihm eine Schüssel mit Wasser zur Handwaschung, wiewohl das mallium latum reichte, mit welchem Gracchus sich zweifelsohne am liebsten nicht nur die Hände, sondern ebenso den Schweiß aus dem Nacken hätte getrocknet. Ohne indes dies auf seinem Antlitz auch nur anzudeuten, wandte er sich dem Opferstier zu, welcher nun ebenfalls Anzeichen zeigte, dass die pralle Sonne ihm nicht gänzlich bekam. Aus der Nase des Tieres perlten feine Schweißtropfen und auch das gekalte Fell glänzte nicht ganz so schimmernd im Lichte der Sonne, da Schweiß sich darin hatte abgesetzt. Titus reichte seinem Vater die mola salsa an, mit welcher dieser über die Stirne des Tieres strich und es somit dem Neptun überantwortete, sodann übergab Fusus ihm das Opfermesser, womit der flavische Priester die rituelle Entkleidung durchführte und den Stier somit zumindest von der wollenen dorsule befreite, welche auf seinem Rücken lag, ehedem er sich dem heißen Sommerhimmel zuwandte, um das Opfergebet zu sprechen.
    "Neptunus aeternus, Herr allen Wassers,
    Herrscher über Ozeane und Flüsse,
    König über das blaue Gold,
    Gebieter aller Quellen und fließenden Gewässer!
    Dir weihen wir unsere heiligen Riten,
    Unsere Gebete und Entsühnungen, erhabenster Ursprung allen Flusses,
    Für Deinen lebenspendenden Segen, der durch unsere Stadt fließt,
    Mannigfaltiger, der Du uns erquickest uns mit endloser Fülle im Übermaß!
    Denn Dein quellendes Nass ist unser Anfang,
    Dein endloser Fluss ist unser Leben,
    Dein tiefes Reich ist unser Rei'htum!
    Mannigfaltiger, nimm Du unsere Gabe,
    Glückverheißender, hör unser Gebet, und gib uns schuldloses Heil,
    Mit Frieden, divus Neptunus, und dem notwendigen Wohlstand!"

    Ein Schluck Flüssigkeit, dies war es tatsächlich nach was Gracchus nun dürstete, doch noch war der Pflicht nicht genüge getan. Der Schlächter forderte das "Agone?", was der Flavier mit dem
    "Age!"
    beantwortete, woraufhin ein Opferhelfer den Stier mit einem Schlag des bronzenen Opferhammers auf den Hinterkopf betäubte, während beinahe im gleichen Augenblicke noch der cultrarius das Opferbeil in die Kehle des Tieres schlug. Nicht das Wasser des Neptunus war es, welches auf den ausgedörrten Boden spritzte, sondern rotfarbenes Blut, welches sich über die Steine verteilte und ob der großen Hitze bereits nach wenigen Augenblicken zu gerinnen begann. Nicht nur ob dessen eilten sich die Opferhelfer mehr als sonstig, das Tier auszunehmen, denn der Geruch toten Fleisches zog in dieser Jahreszeit nur allzu schnell Mücken und Ungeziefer an. Gracchus wartete derweil am steinernen Opferaltar auf die vitalia und er glaubte die Luft über dem massigen Stier flimmern zu sehen, fragte sich einen Augenblick, ob dies nur die Hitze war oder ein göttliches Zeichen.

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  • Auf vergoldeten Schalen wurden die vitalia dem Pontifex vorgelegt und jener erhob einen Augenblick die linke Braue empor, denn auf der Leber obenauf saß eine dicke, schwarze Schmeißfliege, vermutlich nicht einmal ihrer Dreistigkeit sich bewusst. Gracchus scheuchte sie mit einem Wink seiner Hand hinfort, ehedem er begann die Eingeweide genauer zu betrachten, sie zu drehen und zu wenden, zu befühlen und zu begutachten. Die Fliege indes ließ noch nicht ab von ihrer fetten Beute, versuchte mehrmals auf den Fleischteilen zu landen und gereichte dazu, Gracchus ein wenig zu sekkieren, wenn auch er seine Irritation ob der Störung hinter einer undurchdringlichen Maske der kultischen Contenance verbarg, um den Ablauf des Opfers nicht in Gefahr zu bringen. Er suchte darob nicht allzu lange nach Makeln an den vitalia - letztendlich war es für das Volk ohnehin belanglos, in welchem Zustand die Eingeweide tatsächlich waren - hob alsbald den Blick und verkündete laut:
    "Litatio! Neptunus aeternus ist uns gewogen und wird uns auch weiterhin mit seiner Fülle erquicken!"
    Begeisterte Rufe und Klatschen tönten über den Tempelplatz, denn es gab wohl kaum schlimmeres im sommerlichen Rom als eine ausgeprägte Dürre, welche Quellen und Wasserströme versiegen ließ. Gleichwohl kündete die Annahme des Opfers selbstredend auch von dem angenehmen Feste, welches nun würde folgen - den freien Speisen - darunter Stücke des Opfertieres -, welche der Staat seinen Bürgern spendierte, der Musik, Schaustellern und Gauklern zwischen den Laubhütten, und den Massen von Wein, welche würden verköstigt werden. Nachdem die vitalia dem Neptunus im Feuer waren überantwortet und das Opfer somit sein Ende hatte gefunden, flüchtete Gracchus zu seinen Söhnen und seinem Neffen unter einen schattigen Baldachin. Er hatte ihnen versprochen, das anschließende Fest mit ihnen zu besuchen - insbesondere Titus, welcher unbedingt zu Ehren des Neptunus noch seine eigene Laubhütte wollte errichten -, so dass die Flavier sich alsbald unter das feiernde Volk mischten.

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  • Als Fusus endlich den Wein reichte und der Knabe das plätschernde Geräusch des der Opferspalte zumäandernden Rebensaftes vernahm, wurde er der Aridität seines Mundraumes gewahr und spürte in sich die drängende Neigung, seinem Vater den Gutus aus den Händen zu reißen, um dessen Inhalt begierig in den eigenen Schlund zu ergießen, seinen Durst zu stillen und endlich ein Substitut zu erhalten für jene Congii an Wasser, welche seine Poren bereits der sengenden Sonne hatten preisgegeben. Doch selbstredend motivierten nicht nur die Pietas gegenüber den Rezipienten des köstlichen Nasses, sondern insonderheit sein Wissen um Anstand und Sitte, davon abzusehen und lediglich zu imaginieren, wie der schwere Rotwein ihm wohl goutieren würde, sein herber Geschmack auf der Zunge ihm indessen ohnehin nur zu größerem Verlangen nach einem Becher Wasser treiben denn saturieren mochte, womit seine Begierde pünktlich mit dem glucksenden Versiegen des Weinstromes ohnehin wieder verflogen war.


    Indessen folgte nun ein erneutes Rendez-vous mit Helios, denn schon trat die flavische Opfergruppe wieder hinaus auf den Tempelvorplatz und Manius Maior ergriff den Aspergill, um die Menge zu reinigen, was seinerseits in Manius Minor eine vergebliche Hoffnung erweckte, durch das rituelle Besprengen einige Kühlung zu erhalten, denn obschon ihn als Minister in der ersten Reihe einige Tropfen gar sein Antlitz erreichten, so wurden sie doch unvermittelt eins mit dem bereits renovierten Schweißfilm, der den gesamten Leib des Knaben ohne Lücken bedeckte, noch ehe er die unterste Stufe des Tempels hatte erreicht.
    Patrokolos war es nun, der ihn aus jener Desillusion erweckte, als er ihm die Wasserschale als ein neues seduktives Element jener Zeremonie reichte. Begierig blickte der junge Flavius auf die sanfte Wasseroberfläche, wünschte sich sie mit seinem gesamten Kopf zu durchstoßen und die wohlige Kühle, die ihm durch das Metall der Schüssel überaus deutlich vernehmlich war, auf seinen Wangen, der Nase, der glühenden Stirn zu spüren und seine salzumrandeten Augen im klaren Nass zu reinigen. Doch statt dem gesamten Antlitz vereinte sich lediglich eine kleine Perle seines Sudes, welche während seinem Starren das Kinn verließ, mit der Menge des Wassers, in dem sie mit einem kaum vernehmlichen Glucksen verschwand. Dann aber war Manius Maior zur Stelle und tauchte seine Hände ein, wo sie einen Augenblick länger verweilten denn für gewöhnlich, versanken darin zur Gänze, anstatt lediglich die Fingerspitzen zu benetzen. Nun folgte das Mallium Latum, das Manius Minor Manius Maior mit feuchten Händen überreichte, es jedoch nicht wagte, den eigenen Schweiß mit ihm abzuwischen, sondern erst nach der neuerlichen Rezeption es ein wenig länger in Händen behielt, um die leichte Kühle, die das hinterlassene Wasser von den Händen seines Vaters darin bewahrt hatte.


    Während er dann verfolgte, wie die niederen Ministri den Stier entkleideten, kreuchte in dem jungen Flavius das inadäquate Gefühl des Neides empor, da das Tier doch nun der erhitzenden Kleidung entledigt wurde, was doch letztlich lediglich geschah, um dem Vieh dem quiritischen Ritus gemäß den Garaus zu machen.
    Sodann erfolgte die gebräuchliche Opferhandlung, wie gewohnt erklang das Wort, erschoss jenes grausige Krachen des Schädels, ein diesmalig eher schwächliches Klagen, sodann das Geräusch spritzenden Blutes. Doch während das Vieh aufgebrochen wurde, um die Vitalia zu entnehmen, vermeinte der Knabe einen besonders ungoutierlichen Odeur aus dem Wanste zu vernehmen, sodass er seinen Vater keineswegs beneidete, jene insonderheit pestiziösen Innereien einer genaueren Inspektion zu unterziehen, was entsprechend nur einen geringen Zeitraum okkupierte, ehe die Litatio wurde ausgegeben und der erquicklichere Teil des Festes beginnen konnte.


    Erfreulicherweise dispensierte Gracchus Maior seine Anverwandten nämlich von der Last, die Kremation der Vitalia zu durchleiden, bei welcher Opferherr und Equipage recht nahe an dem aufgeschürten Altare zu verweilen hatten, um nicht nur der Hitze des Sonne, sondern dazu der des Feuers sich auszusetzen. Stattdessen marschierten die Flavii im Gänsemarsch zu einem kühlenden Baldachin, Manius Minor warf den angesichts der kurzen Zeit beachtlich welken Lorbeer von sich und ließ sich eine Waschschüssel sowie einen großen Becher kühlen, mit Zitronenscheiben garnierten Wassers reichen. Nun erst vermochte er voller Dankbarkeit zu ermessen, welch überaus große Bedeutung der Gott der Meere und Gewässer für die Menschen hatte...

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