Als sie die Caupona des Disabithus endlich erreicht hatten, war der Sturm längst losgebrochen. Eisiger Schneeregen wurde vom Wind durch die Gassen gejagt, das vorher schon düstere Abendlicht war von den schwarzen Sturmwolken gänzlich verschluckt worden. Medis hatte Mühe gehabt, sich zurecht zu finden. Seit seiner Kindheit war er nicht mehr hier gewesen, Trans Tiberim hatte sich verändert. Einige der alten Häuser waren abgerissen und der Grund neu bebaut worden, andere hatten sich durch den bescheidenen Wohlstand der Besitzer in ansehnliche Insulae verwandelt. Die heulende Dunkelheit des Sturms hatte das ihre dazu getan, Medis die Orientierung zu erschweren. So waren sie zunächst an der Caupona Aluta vorbei getrabt. Erst am Ende der Gasse hatte er den Irrtum bemerkt und sein Pferd gewendet.
Nun hämmerte Vitu energisch an die verschlossene Tür, während sich Medis das Gebäude betrachtete. Sein Onkel hatte aus dem einst windschiefen einstöckigen Schuppen wirklich etwas gemacht in den vergangenen Jahren. Zwei Stockwerke waren hinzu gekommen, die Fassade war sauber verputzt und zweifarbig getüncht worden, zur Gasse hin durchbrachen breite Fenster die Ziegelmauer. Faul war Disabithus nie gewesen. Nur leichtsinnig und undiszipliniert was die Rückzahlung seiner Darlehen betraf.
Die Tür wurde aufgerissen. Vor ihnen stand ein grauhaariger Berg von einem Kerl. Narben im Gesicht und an den Armen, die kräftigen dunklen Finger bis zum ersten Glied mit Ringen besetzt. Ein schimmernder Reif zierte den muskulösen rechten Arm, um den breiten sehnigen Hals baumelte ein großer Schlüssel. Medis warf Vitu einen finsteren Blick zu. Das war nicht sein Onkel. Das war ein verdammter Grieche.
„Wir wollen zu Disabithus!“ brüllte Vitu gegen den Orkan an.
„Wer will zu ihm?“ brüllte der Grieche drohend zurück.
Medis nahm fluchend den Stock vom Pferd. „Medis Aculeus!“ schrie er dem Griechen zu, während er auf ihn zu humpelte. „Ich werde erwartet! Das weißt du ganz genau! Nicht wahr?“
Der graue Athlet musterte die späten Gäste mit deutlicher Abneigung im Blick, drehte sich dann aber widerwillig um und winkte ihnen zu, ihm zu folgen. Medis schlug ungehalten den Gehstock gegen den Türrahmen.
„Einen Moment, Grieche! Du zeigst meinem Begleiter, wo er unsere Pferde unterstellen kann!"
Der Grieche wirkte wenig begeistert, sich in den Sturm hinaus begeben zu müssen. Nach einem erneute Schlag gegen den Türrahmen fügte er sich aber. „Um die Ecke.“ brummte er Vitu zu und ging voraus. Vitu blickte Medis fragend an. Der nickte knapp und ging dann ins Haus.
Die Caupona war spärlich beleuchtet und menschenleer. Nur an einem der hinteren Tische saß schweigend ein älterer Mann mit dünnem grauen Haar und zerfurchten Zügen. Medis hinkte müde auf den Tisch zu.
„Chaire Onkel.“
Disabithus erwiderte den Gruß nicht. Er sah nicht einmal von seinem Becher auf, den er mit beiden Händen umklammerte. Medis ließ sich auf einen Stuhl fallen, legte sein Bein auf einen anderen. Schwieg. Wartete ab. Nach einem tiefen Zug aus dem Becher blickte Disabithus seinen Neffen schließlich feindselig an. „Da bist du also ..“
„Ja, da bin ich.“