Valeria Maximilla hakte Stella unter, brachte sie in den Umkleideraum und zeigte ihr die steinernen Bänke vor den Kleidungsaufbewahrungsnischen, auf die man sich setzen konnte. Da der Badebetrieb gerade in vollem Gange war, waren sie nur durch ein paar Dienerinnen belegt, die geduldig auf ihre Herrinnen warten. Sie hielten ein Auge auf die mitgebrachten Sachen. Auch in den Thermen wurde leider geklaut, selbst Tunikas oder Sandalen.
Während sich Valeria Maximilla von ihrer mitgebrachten Sklavin ankleiden ließ, war sie schwer am Überlegen. Zuhause in der Civitas Aquensis hätte sie gewusst, was zu tun war: Jemand hatte Hunger und man gab ihm zu essen, jemand hatte kein Obdach und man bot ihm Gastfreundschaft an. Aber Rom war nicht die Provinz. Hier war alles anders, und es gab viele schlechte Menschen. Man hatte Maximilla eingeschärft, nicht jedem zu trauen und schon gar nicht mit jedem zu reden, was sie nach provinzieller Art, da dort jeder jeden kannte, immer noch zu oft tat.
Auch wenn Stella eine Aurinia war und Maximilla in ihrer Lichtheit an die germanischen Mädchen erinnerte, sie würde vorsichtig sein:
„Meine Sklavin kann auch dir helfen, dich anzuziehen, Stella“,sagte sie: „Und ich lade dich gerne in die Casa Valeria ein zum Übernachten, es gibt so viele leerstehende Cubicula, wenn auch nicht alle wirklich bewohnbar sind, weil es einmal einen Brand gegeben hat, und Tiberius – Tiberius ist mein Cousin, dem die Casa Valeria gehört, noch nicht dazu gekommen ist, alles zu renovieren, aber Platz gibt es genug. Doch bevor ich dir die Porta der Casa Valeria öffne – bitte sag mir, welchen Standes du bist und wie deine Gens heißt.“
Sie schaute auf das blonde Haar und die edle Gestalt der jungen Frau. Sie ist bestimmt aus guten Haus, dachte Valeria Maximilla und fuhr fort:
„Oder wenn es dir lieber ist, kann ich dir Geld leihen, damit du dir in der Taberna Apicia ein Zimmer mieten kannst. Du wirst es mir irgendwann, wenn du kannst, zurück geben, nicht wahr?“
Nach einer langen Reise
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In der Distanz flimmerten die Lichter. Wie in dunklen Albträumen, verschwamm das Bild und diese schleichende Pein kroch durch ihren Verstand, als die Trauer der Erkenntnis verhalf, dass die Erinnerung zur Folter geworden war. Die Schatten huschten vorbei, in geschützten Kreisen, wie im kalten Hunger getrieben, sich an der Einsamkeit nährend, die ihr Herz zu ihrer Wüste machte. Stella konnte nicht mehr in vollem Bewusstsein auf ihre Umgebung achten, da dieses pochende Dröhne in ihrem Schädel hallte. "Gerne," antworte sie und versuchte im Flimmern die Sklavin auszumachen, die ihr helfen sollte. Stella konnte sich kaum aufrecht halten, denn Pluto wollte sie nicht gehen lassen. Noch nicht. Ihre Mission so (un)heilig sie auch war, war noch nicht abgeschlossen. Stella war verflucht dazu, den Tod zu begleiten und klar zu sehen, was passieren würde. Oder auch nur zu glauben, dass dies so war. Es war egal, was sie wollte oder hoffte, denn seitdem sie Pluto einen Eid geleistet hatte, war sie nicht mehr frei. In falschem Eifer hatte sie Pluto etwas versprochen, damit dieser ihr ein echtes Leben fern des Verstecks schenken würde. Ein Leben, welches sie führen konnte. Und nun führte sie zwar ein Leben aber nicht jenes, welches sie gewollt hatte. Aus Angst und Furcht war die Konzeption verklungen und es blieb nur dieser kalte Eifer übrig, dieses Leben endlich zu führen. Doch mit dem Leben kam der Schmerz der Erinnerung, der Trauer und auch der Erfahrung. "Casa Valeria, gut," war die knappe Antwort der Tiberia, die sich mühsam in ihre Kleidung kämpfte, um jeden Schritt und Bewegung ringend. Sie hörte nur den Namen Tiberius aber konnte dies nicht klar zuordnen. Konnte es tatsächlich ein Tiberius sein? Ein echter Tiberius aus ihrer Gens? "Tiberius, sagst du? Ein Mann aus der Gens Tiberia?" Das musste sie wissen und mit magischer Wundermacht ihres Herzens konnte sie für einen Augenblick das Flimmern bei Seite schieben und blickte Valeria aufmerksam an. "Ich brauche kein Geld," meinte sie, obwohl sie es doch brauchte. Aber Stella wollte keine Bittstellerin sein, da sie fest an die Geheimnisse ihres Vaters glaubte und dieser sicher vorgesorgt hatte. Das Dröhnen verschlimmerte sich in ihrem Schädel und das Flimmern kehrte in ganzer Intensität zurück. Angekleidet fiel sie sitzend auf die Sitzbank, stützte ihren Kopf in ihre Hände und schloss ihre Augen. "Ich begleite dich gerne. Lass uns zur Casa Valeria gehen," sagte Stella merklich erschöpft, während sich ihre Finger in ihre Haare gruben. Es war Stella nur wichtig, schnell von hier zu entkommen und Pluto vorerst allein zurück zu lassen. Doch Pluto würde Stella wieder finden. Immer wieder tat er das.
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„Tiberius ist der Name meines Cousins, bei dem ich wohne.“, sagte Maximilla kleinlaut: „Wir sind alle Valerier. Wir sind auch keine Patrizier, wir sind….“
Sie zog den richtigen Schluss:
„Ooooh bist du denn eine Tiberia? Eine Patrizierin? Und eine Aurinia wie wir sie in Germanien haben. Und weißt nicht wohin? Das klingt alles so verdreht. Aber ich mag das.“
Mittlerweile hatte die Sklavin der Valeria auch Stella geholfen. Maximilla nahm die Badehandtücher und legte sie ganz in Gedanken zusammen, bevor sie sie zurück legte. Daran merkte man, dass sie nicht wirklich in vornehmen Kreisen aufgewachsen war:
„Aber warum weißt du nicht wohin? Das….“ Sie unterbrach sich. Stella sah erschöpft aus, und es gehörte sich nicht, einen Gast mit Fragen zu löchern. Erst wurde er gelabt und durfte ruhen. Am nächsten Morgen dann konnte man ihn mit Fragen löchern.
Maximilla nahm Stella am Arm:
„Vor dem Eingang steht unsere Sänfte!“ Draußen vor der Porta pfiff sie schrill auf zwei Fingern. Es dauerte nicht lange bis die Reisetrage mit dem Zeichen der Quadriga auf den Vorhängen auftauchte.
Der jugendliche Sklave Remigius, der eigentlich immer in Valeria Maximillas Nähe war, stellte einen Podest auf den Boden, damit die Damen bequem einsteigen und sich zurechtlegen konnten.
„Nach Hause!“, befahl Maximilla: „Remigius, eil voraus und sag dem Maiordomus, dass er ein Cubiculum richten soll! Und eine leichte Cena in meinem eigenen Zimmer. Wir haben einen Gast, der länger bleibt!“
Der jugendliche Sklave nickte: " Ich renne, Domina!" und spurtete los. Leicht schaukelnd setzte sich kurz darauf die Sänfte Richtung Casa Valeria in Bewegung. Die Vorhänge waren dicht zugezogen, so dass niemand die Insassen erkennen konnte.Casa Valeria
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Es war ihr egal, ob sie nun enttarnt war. Es war egal, denn unter Plutos Nähe war alles bedeutungslos. Der Tod machte Dinge obsolet. "Ja," antwortete Stella halbherzig und kämpfte mit sich, nicht die Augen zu schließen, da das Flimmern vor ihren Augen zu ersten Gesichtsfeldausfällen führte. "Es ist nicht...," wollte sie entgegnen aber schaffte die Worte nicht mehr, da sie sich darauf konzentrieren musste, nicht in Gedanken zu vergehen, da der dröhnende Schmerz immer stärker wurde. Die Ereignisse überschlugen sich und Stella nahm davon nicht mehr viel wahr, sondern folgte fast bewusstlos den Anweisungen und der Federführung der Valeria. So brach die verhexte Tiberia Stella zur Casa Valeria auf.
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