Es war wieder einmal soweit und die Kandidaturfrist für die anstehenden Wahlen war abgelaufen. Nach administrativer Sichtung der Kandidaturen fiel es daher nun den Consuln zu, die Kandidaten zur Rede im Senat aufzufordern. Consul Iullus Curtilius Victor kam dieser Aufgabe gerne mit der nötigen Würde nach und rief daher mit kräftiger Stimme auf: "Es kandidiert der Pontifex und gewesene Praetor Manius Flavius Gracchus für das Consulat. Verehrter Flavius, tritt in unsere Mitte und sprich."
Kandidatur zum Cursus Honorum [02/16] Manius Flavius Gracchus
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Lange hatte Gracchus auf diesen Augenblick gewartet - ebenso angetan wie bangend. Einmal war er bereits kurz davor gewesen und die Entscheidung, auf Bitte Tiberius Durus‘ dies nicht zu tun, hatte er lange noch bereut - wie auch so vieles andere, was hernach gefolgt war. Nach langem Zaudern, ob er überhaupt noch genügend Integrität konnte aufbieten für ein solches Amt, hatte letztendlich die Überzeugung gesiegt, welche seit Kindesbeinen ihn geleitete - dass es seine Pflicht war, Rom in dieser Weise zu dienen, dass dies einzig die Berechtigung seiner Existenz, seines gesamten Lebenslaufes war, dass er Rom dies schuldig war - von Geburt an, doch in weitaus größerem Maße noch nach dem Bürgerkriege. Und obgleich er gewohnt war vor dem Senat zu sprechen, obgleich er gewohnt war vor halb Rom große Opfer zu zelebrieren, so war er doch nervös an diesem Tage als er vor die Senatoren hin trat.
"Senatoren Roms, Patres Conscripti! Am heutigen Tage stehe ich, Manius Flavius Gracchus, Sohn des Titus Vespasianus, vor euch, euch darum zu ersu'hen, mir im kommenden Amtsjahr die Möglichkeit zu gewähren, Rom als Consul zu dienen. Ich möchte euch nicht ennuyieren mit meiner Abkunft oder meiner Vita, mit dem, was ich für Rom bereits getan habe oder allfälligem Bedauern über das, was ich unterlassen oder noch nicht getan habe. Sofern dazu Fragen bestehen, bin ich indes selbst..redend bereit, diese zu beantworten."
Schlussendlich kam er nicht gerade frisch aus einer Provinz, um nun sein erstes Amt anzutreten.
"Viel eher möchte ich die Gelegenheit nutzen, euch darzulegen, was ich mir für dieses Consulat vorgenommen habe, so ihr mir denn euer Ver..trauen schenken werdet. Es ist wohl bekannt, dass ich kein großer Reformer umfänglicher Gesetze bin, und obgleich ich es nicht gänzli'h ausschließen möchte, so werdet ihr kaum wohl die Ausformung eines neuen Gesetzeskataloges oder auch nur die umfassende Überarbeitung eines bestehenden zu erwarten haben."
Gracchus war der Ansicht, dass die Vorväter Roms überaus verständige Männer gewesen waren, und darob bereits beinahe alle möglichen, wie unmöglichen Gegebenheiten und Gesetzmäßigkeiten des Lebens, der Wirtschaft, des Militärs und der Religio zur genüge und durchaus passabel geregelt waren, ob dessen er die Notwendigkeit zu Anpassungen nur dann gegeben sah, sofern sie sich in der Realität als ungenügend herausstellten, nicht jedoch um ein Consulat damit zu füllen, um sich hernach damit zu rühmen.
"Den tradierten Pfli'hten eines Consules - die Leitung des Senates oder Überprüfung der stadtrömischen Magistrate etwa - werde ich selbstredend hinlänglich nachkommen, doch darüberhinaus möchte ich die Gelegenheit nutzen, Rom weitaus mehr zu bieten als nur diese consularische Routine."
Seit Schaffung des Cursus Honorum waren die Aufgaben der Consuln mehr und mehr auf andere Ämter verteilt und reduziert worden, doch letztendlich bot dies auch neuen Raum für anderweitige Inhalte.
"Es ist das Privileg derjenigen, welche in Zeiten des Friedens und Wohlstandes leben, sich jenen Themen zuwenden zu können, welche den Menschen zum Menschen erheben: Kultur und Wissenschaft, schöne Künste und Philosophie. Unser ho'hgeschätzter Augustus Aquilius Severus hat uns in Frieden und Wohlstand zurückgeführt, ob dessen es nun an der Zeit ist, dass ganz Rom seinen Geist jenen wertvollen Gütern wieder zuwendet!"
Dies war bereits die Essenz seines Vorhabens, welche der Flavier sodann ein wenig genauer elaborierte:
"Einen Anfang sollen ludi scaenici bilden, denn allzu oft noch ist das Theatrum Marcelli ver..waist, während im Amphitheatrum Flavium die Löwen Verbrecher zerreißen oder Gladiatoren das Blut sich aus den Leibern schlagen. Ich möchte die Bürger dieser Stadt - gleich welchen Standes oder Profession - dazu anspornen ihren Geist zu ertü'htigen statt nur ihre Leiber - ein Vorhaben, dies umzusetzen, soll etwa ein rhetorischen Wettstreit auf den Stufen des Forum Romanum sein -, um in gleicher Weise wie Roms Macht über die Welt wächst auch unseren Geist empor zu heben über die Masse, dass in Hunderten von Jahren diese unsere Ära jene der klassischen Zeit Achaias in Philosophie und Wissenschaft als die bedeutendste ver..drängt hat!"
Zweifelsohne war dies ein hoch gestecktes Ziel weit über ein Consulat hinaus, dessen Erreichung zudem niemand von ihnen mehr würde erleben, doch es war nie zu früh, die ersten Schritte zu wagen.
"Zum letzten Drittel der Amtszeit hin plane ich zudem Spiele zu Ehren unseres Augustus im Stile eines Wett..kampfes in Kunst und Schönheit, zu welchem sich Dichter und Musiker messen sollen, Tänzer und Künstler aller Art."
Bei alledem war Gracchus letztlich nicht gänzlich sicher, ob Rom bereit war, dies zu ästimieren, oder am Ende der Amtszeit nach einem Consul würde gieren, welcher Gladiatoren-Blut und Auriagae-Schweiß versprach. Indes würden die üblichen Spiele zu Feiertagen und von den Aedilen ausgerichtet schlussendlich nicht wegfallen, wiewohl sein eigenes Vorhaben nur dann konnte gelingen, sofern er sich selbst würde treu bleiben.
"Dies ist es, was ich mir zur Aufgabe gestellt habe - Rom auf den re'hten Weg zurück zu bringen zur Blüte seiner wundervollen Kultur, eine Rückbesinnung auf eine glorreiche Zukunft!" -
Der Kaiser war wie gewöhnlich auch unter den Senatoren, als die Kandidaten des Jahres sich vorstellten. Und natürlich war er sehr erstaunt, als er von seinem Stellvertreter in religiösen Belangen als Kandidat für das Consulat hörte. Und noch erstaunter, als er ein eher unkonventionelles Programm vortrug, das aber nichtsdestotrotz recht interessant klang. Nicht nur das übliche Wagenrennen und die hundert Gladiatorenpaare. Obwohl der Pöbel natürlich auch das liebte.
"Ein innovatives Programm, geschätzter Flavius." kommentierte er seine Ankündigungen deshalb wohlwollend. Natürlich war er sehr zufrieden mit seinem Pro Magistro (sonst wäre er es ja nicht mehr), aber als Kaiser wusste er natürlich auch, dass jeder Wink vom Senat als Zwang gewertet werden konnte, seinen dezenten Hinweise blind zu gehorchen. Deshalb verzichtete er auf eine Lobesrede für den Flavier. Der hatte so etwas aber sowieso nicht nötig, da er zuletzt immerhin eines der besten Wahlergebnisse aller Zeiten eingefahren hatte und jeder eigentlich nur darauf wartete, dass er seine Karriere krönte. "Möchtest du diese musischen Initiativen auch durch dauerhafte Weichenstellungen in unserem Staat flankieren? Etwa durch neue gesetzliche Regelungen?"
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Dass ausgerechnet der Kaiser das Wort erhob, welcher sonstig im Senat sich eher beobachtend zurückhielt, evozierte neuerlich die Nervosität in Gracchus, welche im Laufe seiner Rede durch die Konzentration auf eben jene sich gelegt hatte.
"Nun"
, setzte er zu einer Antwort an, dabei über eben diese noch sinnierend und in Bruchteilen eines Herzschlages diverse Gedanken konstruierend, von allen Seite betrachtend, verwerfend oder neu strukturierend.
"Ich bin der Ansicht, dass Geistesleben, Kunst und Kultur keine Gesetze benötigt, res..pektive sie benötigen sollten. Es war seit jeher eine Angelegenheit passionierter Mäzene, dies zu fördern, gleichwohl bestimmt zweifelsohne auch die Appetenz der Rezipienten das Angebot. Im Falle der zahlrei'hen Ludi etwa, welche uns durch das Jahr hindurch geleiten, ist nur in wenigen Fällen staatsgesetzlich oder kultgesetzlich determiniert, nach welcher Art diese Spiele ausgerichtet werden müssen - so die Equirria oder die Megalesia mit ihren Wagenrennen -, dennoch werden zu den arbiträren Ludi seit Jahren überwiegend Gladiatorenkämpfe und Wagenrennen ver..anstaltet. Zweifelsohne wäre es eine Option, dies durch eine Gesetzesinitiative zu ändern und einen vorgeschriebenen Anteil an feinsinnigeren Spielen zu erzwingen, doch ich bin der festen Überzeugung, dass Rom schli'htweg nur einen Anstoß benötigt, um an dieser Art der Aufführungen Gefallen zu finden, so dass auch die Anzahl dieser sich ohne weiteres staatliches Eingreifen regulieren wird."
So wie das Volk Roms sich längst nicht mehr durch einen einzelnen Löwen hinter dem Ofen hervorlocken ließ, so träumte der Flavier - ein wenig naiv zweifelsohne - bereits gar schon davon, dass Aedilats-Kandidaten, welche nichts als schnöde Gladiatorenkämpfe in ihrem Wahlprogramm versprachen, in den kommenden Jahren einen mehr als schweren Stand würden haben, die Bürger auf den Jahrmärkten nicht mehr nach derben Mimus und Atellane gierten, sondern nach niveauvollen Fabulae praetextae sich verzehrten, und die allabendlichen Cenae überall in der Stadt nicht erfüllt waren von Klatsch und Tratsch, sondern von den Dialogen und Disputen über die Paradoxien der Welt und des Geistes. -
Augenscheinlich gab es keine weitere Fragen, was entweder ein gutes Zeichen war - da sein Wahlprogramm schlichtweg verständlich war -, oder aber ein sehr schlechtes Zeichen - da es derart dürftig war, dass ohnehin niemand ernsthaft seine Wahl in Erwägung zog und weitere Fragen sich darob erübrigten. Wie auch immer, Gracchus blieb nichts weiter als das Ergebnis der Wahl abzuwarten.
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