Dies Natalis Minimi | Iteratio tenax

  • Irresistibel schritt die Zeit voran, doch ebenso irresistibel offerierte sie dabei einen impermeablen Kreislauf, welcher Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr und Phase für Phase wieder Similäres offerierte. Manius Minor war herangewachsen in jenem hermetischen Zirkel, hatte Rom den Rücken gekehrt, jedes Mal involontär, doch stets war er zurückgekehrt, um jenes gleichförmige Leben neuerlich auf sich zu nehmen, welches von frühester Kindheit ihn umspannte, barg und zugleich fesselte. Innerhalb jener Periodizität ereilte ihn auch die alljährliche Feier seines Wiegentages an den Kalenden des September, die seit jeher in traditionaler Weise in der Villa Flavia Felix war zelebriert worden.


    Auch nun, da er als neuer Mensch in sein Vaterhaus war zurückgekehrt, war er jenem Protokoll unterworfen, obschon er weder die Existenz eines Genius, dessen Feier das römische Anniversarium eigentlich darstellte, noch die Necessität ein Opfer zu Ehren anderweitiger Wesenheiten als sinnvoll erachtete. Einer kurzen Disputation zwischen Manius Maior und Minor hatte es bedurft, jene Obliegenheit zu klarifizieren, doch da es als gänzlich inadäquat musste erscheinen, wenn ein Pontifex und designierter Magistratus Minor seinen Ehrentag ohne einen Salut an die Adresse der Unsterblichen zelebrierte, hatte der Vater den Sohn endlich übermächtigt und diesem abgerungen, dem Usus gemäß sich zu verhalten.


    Dennoch wagte der Jüngling, jenes Ritual zumindest in solcher Weise zu disturbieren, als dass er an diesem Morgen nach dem Erheben einen Becher von Opium zu sich nahm, sodass er jene familiare, doch nicht inkommode Schwere verspürte, als er kurz darauf das Atrium aufsuchte, um die Gratulationen seiner Anverwandten zu akzeptieren. Doch nicht nur psychisch zeigte der Thanatos-Trunk seine Wirkung, auch die Physis des jungen Flavius offenbarte seine Berauschtheit: Seine Augenlider waren halb geschlossen, sein Gang träge und schwankend einem Schlafwandler gleich. Doch immerhin gewährte jene innere, doch auch äußerlich schweißtreibende Wärme eine Gleichmut und Saturiertheit, welche ihn über die Heteronomie seines eigenen Festtages hinwegtröstete.

  • Dem Usus gemäß hatte das Gesinde dem ältesten Spross des Hausherrn seine favorisierte Pâtisserie gebacken: Ein superdimensionierter Käsekuchen, flach und triefend von Honig, dekoriert mit Mohn und besetzt von zwanzig Cerei, die bereits brannten, um die Lenze des Jubilars anzuzeigen. Größte Lust hätte es dem Jüngling bereitet, sich bereits jetzt ein Stück jener Köstlichkeit zu genehmigen, welche so seduktiv vor seinem Antlitz wurde präsentiert.


    Doch fortunablerweise vermochte er ebenso sein durch die Zwänge der Traditionen und missbilligenden Worte seiner Anverwandten geknechtetes materielles Ich hinter sich zu lassen, und beschwingt vom Opium schlichtweg über sich zu schweben gleich einem Geist, welchen die Sorgen und Nöte der Sterblichen nicht im minimalsten tangierten. Ein wenig desorientiert flog er folglich hinüber zum Lararium, wo Iuppiter Liber, dessen Standbild seit jeher ihm konfident an seinem Ehrentage entgegenblickte, ihn bereits erwartete. Zumindest, so ließ sich doch konzedieren, handelte es sich bei jenem Wesen um eine der verträglicheren Imaginationen göttlicher Mächte, symbolisierte der Göttervater in jener Gestalt doch üppige Abundanz und Freiheit, folglich zwei Aspekte, welche durchaus auch dem Epikureer zur Lust mochten gereichen.
    Versöhnt von der Wirkung seinem Morgenmahl blickte er somit selig lächelnd auf den Schemen, dessen Gestalt ihm aus Kindertagen noch wohl präsent war, gedachte seines Füllhornes und des Lorbeerkranzes, welcher ihn an die Festivitäten im Hause des Dionysios gewahrte, wo nicht selten sie bekränzten Hauptes sich dem Trunke hatten ergeben.
    "Iup'ter Li'r, Va'er des Überfl'ss'."
    Erst jetzt wurde dem flavischen Jüngling gewahr, dass seine Kapazität zu sprechen augenscheinlich durch den nunmehrig formidablen Rausch war gemindert, ja seine Artikulation gar dem linguistischen Defekt seines Vaters nach dessen Krankheitsschube approximierte. Doch erfüllte dies konträr zu den Familiaren und Klienten der Gens Flavia ihn mitnichten mit Beunruhigung, da dies doch die Qualität seiner Sprache weder für ihn selbst, noch für das Erdenrund ein notables Problem repräsentierte.
    "h'te st'h ich vord' 'nd b't' um d'nen Sch'tz. H're m'ch h'te, da 'ch zw'nzig L'nze zähle."
    Erfreut nahm er Notiz von der korrekten Artikulation des letzten Wortes und interrumpierte seine Oration, um für einen Augenschlag versonnen zu lächeln.
    "W' W'rauch z'm H'mm'l st'gt, so st'ge m'n G'b't zu d'r auf."
    Nicht komplett Herr seiner motorischen Fähigkeiten griff er mit einer fahrigen Bewegung in die dargebotene Acerra, führte die Hand, unzählige jener bunten, wohlriechenden Steine verstreuend, zum Foculus und ließ sie endlich auf die Kohle stürzen.
    "S't zw'nz'g Jahren w'chst du m't L'r'n 'nd P'n't'n üb'r d's Haus 'nd m'ch. D' v'rl'hst m'r Kr'ft 'nd Fr'h't.
    N'mm d's'n Weeiin-"

    Letzteres Wort artikulierte er mit gesonderter Diligenz, was lediglich zur Folge hatte, dass es lauter und lallend in den Ohren der Umstehenden erklang. Nicht minder desavourierend wirkte indessen das Trankopfer, da er außerstande sich sah die Patera gerade zu halten, sodass mehr Wein den Mosaikboden benetzte als das Herdfeuer erreichte.
    Dessenungeachtet und jene Lage ohnehin gänzlich neglegierend fuhr der junge Flavius fort:
    "N'mm d's'n l'ck'r'n K'ch'n, w'lch'r zw'f'lsohn' s'hr g't sch'm'ckt!"
    Mit beiden Händen deutete er auf den bereits auf dem Altar drapierten Kuchen und fuhr sich voluptös mit der Zunge über die Lippen in der Begierde, jene Speise baldig zu verzehren. Doch verspürte er sogleich Patrokolos' Hand an seiner Schulter, weshalb er sich zügelte und fortfuhr:
    "'fd'ss 'ch d's'n Tag noch l'ng b'geh'n k'nn."
    Sein Diener reichte ihm final einen Blumenstrauß, welchen Manius Minor zu inspizieren selbstredend außerstande war, was ihm in jener Situation jedoch überaus deplorabel erschien, sodass er gleichsam als Indemnisation die Augen schloss und lustvoll an den Blüten schnupperte, ehe er das Gebinde auf dem Altar platzierte.
    "'hr P'n't'n 'nd L'ren, 'hr M'r's! N'hmt d's' Bl'men 'ls g'r'cht' G'b' 'nd w'cht 'b'r m'ch, 'fd'ss 'ch d's'n Tag noch l'ng' Z't beg'h'n k'nn!"
    Fortunablerweise hatte der Jüngling seine Stimme nicht übermäßig erhoben, weshalb lediglich die vorderste Reihe der Attendenten seine artikulatorische Inkapazität mochte observiert haben.
    Manius Minor jedoch bekümmerte jener beschämende Auftritt noch immer nicht. Vielmehr wandte er sich (zumindest nach rechts) um und blickte in die Visagen seiner Familiaren.
    "'ch d'nke 'ch l'g' m'ch n'ch 'tw's h'n!"

  • Dem umsichtigen Patrokolos war es zu danken, dass Manius Minor nach jenem denkwürdigen Auftritt während des Opfers sich in sein Cubiculum retirierte, um seinen Rausch solitär zu genießen, was ohnehin seinem Wohlbefinden keinen Abtrag leistete, da doch er selbst sich mehr denn genug war, während sein Geist in den Sphären des Morpheus schwebte. Die Klimax jenes Zustandes war indessen abgeklungen, als gegen Abend er aufs Neue sich in Gesellschaft zu begeben hatte. Zwar hatte er aufs Neue vom Kelch der Freuden gekostet, um jene vertraute Blümeranz, welche nach starkem Konsum sich stets einstellte, zu vertreiben, doch vermochte er zumindest nun wieder, sich seines Verstandes wie seiner Sprache hinreichend klar zu bedienen.


    In jenem Zustand nun nahm er seine Gäste in Empfang. In Ermangelung neuer Kontakte seit seiner Rückkehr hatte er sich an der Gästeliste seiner letzten Feier in Roma orientiert. Tatsächlich erschien so auch sein ehemaliger Kommilitone Lucretius Carus, welchen der junge Flavius seit seiner Abreise nach Alexandreia weder schriftlich, noch mündlich hatte kontaktiert, wie jener bei der Präparation der Festivität hatte mit Schrecken erkannt. Ein wenig beschämt trat er somit dem neglegierten Freunde entgegen, als selbiger durch die Türen des Triclinium ward geführt:
    "Lucretius, wie schön dich wieder zu treffen!"
    , salutierte er den vergessenen Lieben, welcher seinerseits eine gewisse Distanz offenbarte, als er weitaus weniger cordial denn in alten Zeiten erklärte:
    "Flavius, ich danke für deine Einladung! Es ist schön, wieder von dir gehört zu haben."
    Er ließ von einem Sklaven sich ein ledernes Etui reichen, aus welchem er eine Rolle hervorholte, die augenscheinlich das Präsent repräsentierte, wie auch seine Explikationen erhellten:
    "Ich habe dir das neunte Buch der Nikomachischen Ethik mitgebracht."
    Selbstredend war dem Flavius jenes zentrale Werk Aristoteles' wohlbekannt, sodass auch der Fingerzeig, welchen diese Schenkung implizierte, ihm mitnichten entging: Philia, die Freundschaft, war das Sujet jener Schrift, genauer noch die Arten der Freundschaft, in welchen Gegenseitigkeit stets eine gewisse Rolle spielte. Für einen Augenschlag zögerte er und mühte sich, in jener formalen Distanziertheit zu verharren, seine Gefühle zu verbergen und den einst Vertrauten gleich einem jener pro forma Geladenen passieren zu lassen. Doch dann gedachte er des 27. Lehrsatzes des Epikur: Vor allem, was die Weisheit für die Glückseligkeit des ganzen Lebens bereitstellt, ist der Gewinn der Freundschaft das bei weitem Wichtigste.
    Lucretius war ihm stets ein treuer Freund gewesen, hatte ihm über manche Unzulänglichkeit in der Studierstube Quintilius Orators hinweggeholfen, hatte mit seinem wachen Geist und seinem feinen Humor nicht selten ihm mal die Freude eines Juxes, mal die einer intensiven Konversation bereitet. Zu deplorabel wäre es somit, seiner aus falschem Stolz, welcher doch auf nichts als leeren Meinungen basierte und keinerlei Lust ihm verhieß, verlustig zu gehen.
    "Verzeih, dass ich dich so lange so sträflich vernachlässigte."
    , gestand er somit endlich und fiel dem treuen Freunde in exponierter Emotion um den Hals, was dieser delektablerweise nach einem Augenschlag der Überraschung erwiderte.
    "Ich hätte dir selbst geschrieben, so du mir eine Anschrift hinterlassen hättest, mein Lieber."
    , hauchte Lucretius in das Ohr des Jubilars, welcher trotz seiner Übung nicht zu erkennen vermochte, ob jene Worte nicht weiterhin eine sanfte Klage mochten implizieren. In weiterer Zerknirschung klagte Manius Minor folglich:
    "Mir scheint, ich bin ein gänzlich miserabler Halter von Kontakten."
    Dennoch lösten sich die Leiber der beiden Jünglinge, welche nunmehr lächelnd sich in die Augen blickten. Lucretius war es endlich, der mit einem neuen Kommentar jenes unrühmliche Kapitel schloss:
    "Dies sind aber nicht die besten Voraussetzungen für den Cursus Honorum, mein lieber Flavius!"
    Nun erst erkannte Manius Minor, dass dem Freunde nichts bekannt sein konnte über seine Konversion zur Lehre des Epikur, über seinen Degout gegen jene Vita activa, in welche jener sich bereits mochte gestürzt haben und evidentermaßen als Sohn eines Senators präsumierte.
    "Ich muss dir so vieles berichten, mein Lieber!"
    , erwiderte er somit, inkapabel, all jene Wandlungen und Novitäten hiesig zwischen Tür und Angel zu explizieren. Womöglich würde es erstlich dem Freunde an Verständnis mangeln, es würde zweifelsohne einer hitzigen Debatte bedürfen, ehe er seinen neuen Standpunkt mochte klarifiziert haben. Doch fühlte er die Pflicht, Lucretius jene fundamentale Evolution nicht vorzuenthalten, da doch eben dazu Freunde existierten, derartige Lasten wie die seinige mitzutragen.
    "Ich ebenfalls. Sicher kann ich dir auch einige Ratschläge für dein bald beginnendes Amtsjahr geben. Meinen Glückwunsch übrigens zur Wahl!"
    "Die Gelegenheit wird sich zweifelsohne ergeben!"
    , erwiderte der junge Flavius freimütig. Glück, das erstrebte er in der Tat, obschon er jenes mitnichten im Resultat jener Wahlen zu ersinnen vermochte, welches ihn zu den Mühen des Staatsdienstes verdammte.

  • Neben Lucretius war Manius Minor selbstredend auch genötigt worden, seine Verlobte und deren cornelische Familia zu laden. So erblickte der Jüngling kurz nach der Begrüßung seines Freundes bereits jene charakteristische Entourage, welche sofort er zu identifizieren imstande war, obschon Cornelia Philonica sich erst beim Eintreten in den Raum mit ihren knochigen Händen die Palla vom Haupte nahm, denn bereits ihre unfeminine Silhouette, deren mangelndes Volumen eine weite Tunica zu cachieren sich mühte, in diesem Falle hingegen lediglich den Eindruck von Dürre amplifizierte, da der luftige Stoff vernehmlich zu weites Spiel besaß.
    "Gracchus Minor, meinen herzlichsten Glückwunsch zu deinem Geburtstag"
    , salutierte erstlich Cornelius Scapula Manius Minor mit einem jovialen Lächeln, um sodann sich Manius Maior zuzuwenden und seine Nichte allein zurückzulassen.
    "Salve, Flavius Gracchus. Meine Gratulation zum Geburtstag. Und natürlich zum Vigintivirat!"
    , begrüßte die Cornelia ihn mit einem freundlichen Lächeln und trat achtsam einen Schritt nach vorn, um sich zur rundlichen Wange ihres künftigen Gatten hinabzubeugen, auf welche sie einen sanften Kuss hauchte. Jene unexpektierte Nähe gewährte es dem Jüngling, auch eine olfaktorische Impression seiner zukünftigen Matrona zu erhaschen, welche konträr zum Visuellen indessen durchaus attraktiv ausfiel, da sie augenscheinlich ein liebliches Rosen-Parfum für den heutigen Anlass hatte aufgelegt. In der Tat erweckte er Remineszenzen, denn eben jenen Odeur verströmte auch seine Wüstenblume, welche Tante Domitilla ihm zu seinem sechzehnjährigen Anniversarium hatte zum Präsent gemacht, stets, wenn er ihrer verlangte, was seit seiner Rückkehr aus Alexandreia, wo er in den carnalen Dingen einige Experienz hatte erworben, nicht mehr lediglich erfolgte, um durch sie sich Speisen und Getränke servieren zu lassen.
    "Ich danke dir, Cornelia."
    , erwiderte er daher ein wenig beschämt, da es ihm doch jene Konvergenz des Duftes zwischen seiner werdenden Gattin und seiner Bettgespielin ein wenig unzüchtig erschien, zumal noch immer er mitnichten sich geneigt sah, Begierde gegen jenes dürre Pflänzlein zu entwickeln, mit welcher einst er einen Erben sollte zeugen.
    "Ich habe dir einen Armreif mitgebracht. Er ziert den flavischen Caduceus und den cornelischen Wolf als Zeichen unserer geplanten Verbindung."
    Die Cornelia präsentierte ein Lächeln, welches neuerlich dem jungen Flavius ihre Zahnlücke zwischen den enormen Schneidezähnen präsentierte, was seine Freude über das Präsent angesichts jener Remineszenz an die geplante Vereinigung mit ihr weiter schmälerte. Dennoch nötigte er sich ein freudloses Lächeln ab, um das Mädchen nicht zu indignieren, nahm den Reif entgegen und streifte ihn sogleich über sein feistes Handgelenk, wo es einen überaus inkommoden Druck ausübte, da augenscheinlich es für einen feingliedrigeren Träger war geschaffen worden.
    "Ich danke dir. Nimm doch dort bei deinem Oheim Platz."
    Mit der nun bereiften Hand wies er auf die Klinen in der Mitte, wo man die Scapulae immediat den Lectus summus hatte zugewiesen, da sie inmitten der juvenilen Gäste und Familiaren den höchsten Rang einnahmen. Diesmalig, da die Gesellschaft ein wenig bescheidener ausfiel als bei der letzten Festivität des jungen Flavius, würde er nicht umhin kommen, mit seiner Angetrauten ein wenig mehr zu parlieren.
    Doch zuvor musste er sich von jenem unsäglichen Armreif liberieren, welcher seine Venen derartig bondierten, dass bereits jetzt seine Hand sich rötlich verfärbte und einen pulsierenden Schmerz vernehmen ließ! Welch ein grässliches Omen!

  • Die Feier schritt voran und Manius Minor musste konzedieren, dass er trotz mangelnden Opiums er sich durchaus hier und da amüsierte, während er mit seinen alten Freunden und Familiaren parlierte, sich der köstlichen Speisen und des lieblichen Weines erfreute und final gar seinen Geburtstagskuchen kostete. Dennoch kam er nicht umhin, als Cornelius Scapula von seinem Ehrenplatze sich erhob, um jenen Ort zu visitieren, wo selbst der Princeps sich keiner Sänfte zu bedienen pflegte, die verbliebene Philonica an seiner Seite zu haben und ein Gespräch mit ihr zu initiieren:
    "Nun, wie ist es dir ergangen seit-"
    Er hielt einen Augenschlag inne, um zu realisieren, dass ihr letztes Rendez-vous sein Dies Natalis vor nunmehr vier Jahren war gewesen, da augenscheinlich weder sie, noch er sich hatte genötigt gesehen, seinen zu ehelichenden Partner separat zu treffen, obschon ihn einmalig eine Einladung zu ihrem Wiegenfeste hatte ereilt, an dessen Termin er deplorablerweise unpässlich war gewesen.
    "-unserem letzten Zusammentreffen?"
    , vollendete somit er den Satz ein wenig nebulös, da es ihm doch ein wenig ungehörig erschien, sich binnen vier Jahren nicht ein einziges Mal persönlich oder literal bei seiner Verlobten gemeldet zu haben. Konträr zu ihm schien Philonica indessen wohlpräpariert auf jene Frage, denn anstatt ihrerseits zu spintisieren zu beginnen, replizierte sie prompt:
    "Gut. Ich lebe noch immer bei Onkel Scapula und er umsorgt mich nach wie vor wie eine eigene Tochter. Mein Bruder Caius hat vor zwei Jahren geheiratet und im letzten Jahr die Quaestur bekleidet. Ich habe ihm ein wenig bei den Hochzeitsvorbereitungen geholfen, was mich doch ziemlich beschäftigte. Mein anderer Bruder Publius hat vor einem halben Jahr auch mit dem Rhetorenunterricht begonnen. Seither bin ich häufig sein Publikum und seine Ratgeberin."
    Der junge Flavius lauschte interessiert, doch während er ihr mediales Diastema zwischen ihren schmalen Lippen auftauchen und wieder verschwinden sah, hing sein Geist doch fest an seiner similär duftenden Wüstenblume, welche zwar ebenfalls schmal tailliert und über eine mäßig sinuierte Silhouette verfügte, doch immerhin kleine, noch immer feste Brüste und ein einladend formiertes Becken ihr Eigen nannte, was Philonica gänzlich missen ließ, wie sie insonderheit in der aktuellen Position, da sie auf ihrer Kline lag, allzu deutlich ließ erkennen. Jener Gedankenstrom jedoch komplizierte es, sich auf das eigentliche Sujet ihrer Unterredung zu konzentrieren, sodass er ein leicht disturbiertes Gesicht präsentierte, als ihre Lippen sich final wieder schlossen und ihr unansehnliches Gebiss verbargen.
    Die Cornelia war es, welche deshalb erwartungsvoll aufs Neue das Wort ergriff, um den Dialog nicht ersterben zu lassen, ehe er an Fahrt gewann:
    "Tante Virginia berichtete mir, du wärst in Alexandria gewesen?"
    Jene Frage nun erweckte ihn aus dem Sinnieren, sodass er ob seiner Ertapptheit ein wenig errötete, sich sogleich jedoch räusperte und nun seinerseits zu sprechen ansetzte:
    "Korrekt, es war letztlich doch eine beachtliche Zeit, zwei Jahre insgesamt."
    "Oh, dann hast du sicherlich das Museion besucht?"
    "Durchaus. Dies war die Intention meines Aufenthalts."
    , erwiderte der Jüngling ein wenig mirakulös, wobei ihm die Frage sich stellte, ob die Cornelii in irgendeiner Weise Notiz von seinem Betragen in der Stadt des Alexander hatten erhalten, da doch jenes ehrwürdige Haus nicht different zu den Flavii eine penibel kultivierte Fassade, konstruiert aus leeren Meinungen und vermeindlichen Tugenden, hütete, auf welcher ein epikureisch gesinnter Tochtermann als ein similärer Makel mochte gelten wie innerhalb des flavischen Stammbaums. Doch keinen Hinweis darauf bot das Betragen Philonicas, denn durchaus interessiert führte sie ihre Interrogation fort, was Manius Minor zudem zu dem Schlusse ließ gelangen, dass sie in den vergangenen vier Jahren ein gewisses Maß an Autokonscienz hatte gewonnen:
    "Bei welchen großen Lehrern hast du denn studiert? Unser Hauslehrer studierte auch am Museion, ehe er nach Rom kam, und berichtete uns gelegentlich von dort."
    Wieder zögerte Manius Minor. Er vermochte nicht zu ästimieren, ob jene Kenntnisse aus zweiter Hand genügten, seinen einzigen wahren Lehrer als Epikureer zu identifizieren, zumal es ihm inkalkulabel erschien, welche Wirkung das Faktum, dass er die Lehren des Samiers hatte studiert, bei dem Mädchen mochte entfalten. Da ihm doch kein weiterer Name in den Sinn kommen wollte, wagte er es schlussendlich dennoch und erklärte:
    "Ich habe einen Kurs über Philosophie bei Aristobulos von Tyros besucht."
    Cornelia neigte das Haupt zur Seite.
    "Den hat unser Hauslehrer nie erwähnt. Ist er bekannt?"
    "Nicht sehr."
    Scheinbar in den Remineszenzen schwelgend blickte der flavische Jüngling beiseite, um zu signalisieren, diesbezüglich nicht weiter befragt werden zu wollen, was in der Tat gelang, denn Philonica alternierte nunmehr das Sujet ein wenig:
    "Hast du auch die Weltwunder besucht? Den Pharos? Und die Pyramiden?"
    Kurioserweise hatte der junge Gracche, soweit seine Remineszenzen reichten, niemals ernstlich erwogen, die Zeit in Alexandreia mit dem Visitieren von Monumenten zu füllen, da anfangs ihm die Zeit seines Aufenthaltes schier infinit war erschienen, selbige später jedoch ein derart abruptes Ende hatte gefunden, dass auch hier kein Raum war verblieben, um die versäumte touristische Aktivität nachzuholen, sodass letztlich lediglich der Besuch des Mausoleum Alexanders als solche war zu ponderieren. Die Pyramiden hingegen lagen allzu fern der aegyptischen Kapitale, weshalb er, der, wie ihm nun gewahr wurde, die gesamten zwei Jahre seines Aufenthaltes über keinen Fuß aus der Stadt Alexanders hatte gesetzt, auch das den Schriften zufolge imposantere Globalmirakel der Provinz ihm war verschlossen geblieben.
    "Nun, der Pharos ist wahrhaftig von stupender Leuchtkraft, wie ich bereits bei meiner Ankunft auf dem Meer zu erkennen vermochte. Die Pyramiden sah ich dagegen deplorablerweise nicht."
    Augenscheinlich erachtete Philonica jene Replik als unergiebig, denn nun blickte sie hinab auf ihre sorgsam manikürten Finger und evozierte dadurch eine innatural lange Pause, was dem jungen Flavius das inkommode Gefühl bereitete, seine Gesprächspartnerin durch die Inspektakularität seiner Bildungsreise zu ennuyieren und durch die Kürze seiner Explikationen, welche doch nicht der Antipathie (obschon er nicht zu negieren vermochte, dass er jene in gewisser Weise für jenes hässliche Entlein verspürte), sondern vielmehr der Qualität seiner Impressionen, die im römischen, von leerer Meinung bestimmten Tugendraster als unschicklich mochten gelten, war geschuldet, gar zu desillusionieren.
    Jenes negative Gewissen indessen nötigte ihn nun doch, seinerseits das Gespräch aufs Neue zu reanimieren und mit dem ersten, was spontan ihm in den Sinn gelangte, zu beginnen:
    "Studiert dein Bruder bei Menenius?"
    Absurderweise hatte die Information bezüglich der cornelischen Präferenz jenes Lehrers der Beredsamkeit die lange Zeit seit ihrem letzten Treffen in einem klandestinen Winkel seines Geistes überdauert, um nun surprenanterweise glänzend zum Vorschein zu kommen.
    "Ja. Du warst bei Quinctius Rhetor, nicht wahr?"
    "Durchaus. Er scheint mir noch immer nicht sehr bekannt, doch gewährte er mir eine solide rhetorische Edukation."
    In Wahrheit vermochte Manius Minor selbstredend nicht zu ponderieren, ob Quinctius gegenüber anderen Oratoren war zu präferieren, da er über keinerlei Expertise hinsichtlich der Alternativen verfügte, doch jenes Diploma, das er zum Ende seines Studiums hatte erhalten, war doch geeignet ihm nicht lediglich zu schmeicheln, sondern ebenso annehmen zu lassen, ein hinreichendes Maß an Beredsamkeit erworben zu haben.
    "Ja, der Bruder meiner Freundin Priscilla besucht ihn ebenfalls und ihr Vater ist ebenfalls zufrieden."
    Der junge Flavius nickte. Der Name Priscilla erinnerte an seine natterngleiche Stiefmutter, obschon selbiger Cognomen nicht einen Diminutiv bildete, welcher angesichts der Größe ihres Ehrgeizes wie der Arroganz, die sie zerfraß, zweifelsohne auch blanker Hohn wäre gewesen. Diese neue Similität zu thematisieren erschien ihm indessen ebenfalls nicht geboten, weshalb er wieder schwieg, die Last der Reaktivierung ihres Dialoges neuerlich der Cornelia überlassend, die sie nach einigem betretenen Schweigen endlich auf ihre knochigen Schultern lud:
    "Und im kommenden Jahr wirst du als Vigintivir amtieren? Steht bereits fest, welches Amt die übernehmen wirst?"
    Ein wenig zaghaft fügte sie noch an:
    "Du hattest die Triumviri Monetales als Ziel genannt, nicht wahr?"
    "Durchaus. Vater unterrichtete mich kürzlich, dass meinem Wunsch entsprochen wird."
    Der Jüngling hatte es mit Gleichmut ertragen, denn was sonst wäre ihm verblieben?
    "Und dein Wahlkampf? Hattest du einen professionellen Wahlkampf-Organisator an deiner Seite? Mein Bruder Caius hatte einen gewissen Quintilius engagiert bei seiner letzten Magistratur."
    "Mein Vater übernahm diese Aufgabe gewissermaßen für mich. Er war der Meinung, dass eine akzeptable Kandidaturrede sowie einige Visiten bei den bedeutsamsten Senatoren, welche amikable Relationen zu uns pflegen, genügen würde."
    In der Tat hatte Manius Minor auch nicht sonderlich darauf gedrungen, professionelle Unterstützung zu gewinnen, da doch im Stillen er stets hatte gehofft, mit seiner Kandidatur zu scheitern und somit dem Schicksal der Politik für ein Jahr noch zu entrinnen. Die Reputation der Gens Flavia war indessen derart hoch, dass selbst sein mäßiges Engagement sich als suffizient hatte erwiesen, ihn zum Hilfsmagistraten zu designieren.
    "Oh, ich dachte mir auch, dass die Leistungen dieses Quintilius ihr Geld nicht wert waren. Sicher hatte er einige Kontakte, aber am Ende hätte wohl der Einfluss Onkel Scapulas und der gute Name meines Vaters genügt. Glaube ich zumindest."
    Nun vernahm der junge Flavius doch wieder die Insekurität in der Stimme des Mädchens, welche sie bei ihrem letzten Rendez-vous so klärlich zutage hatte trete lassen, diesmalig hingegen geradehin verschwunden war gewesen. Augenscheinlich behagte ihr die politische Thematik ebenso wenig wie ihm selbst, womöglich weil es ihr als Frau unschicklich erschien, Urteile über die Ränke der Vita activa zu fällen.

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