[Auf den Straßen Romas] Tempelarchitektur für Anfänger

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    Die Herde junger Männer sah erstmal eher wie eine Herde Schafe drein, als Kephalos seine Frage gestellt hatte, und verfiel in dumpfes Schweigen. Vielleicht hatte er doch ein wenig viel von diesen jungen Römern erwartet? Oder war die frage tatsächlich so schwer? Kephalos war kurz davor, selbst zu antworten, als dann doch die ersten, zögerlichen Antworten kamen.
    Opus Implectum! “Ja, richtig, sehr gut!“ kommentierte Kephalos und hoffte, die anderen zu weiteren Antworten zu animieren.
    “Oh, [i]opus reticulatum
    ist doch dann auch eine Verschönerung?“ meldete sich dann ein weiterer Jüngling zu Wort, nachdem Opus Implectum als richtig bewertet worden war. Jetzt schien also der Dupondius da gefallen zu sein. Kephalos nickte also.
    Der nächste rief auch schon ein “Opus incertum!“ rein, woraufhin der vorherige Schlaumeier noch “Opus Certum“ kichernd anfügte. Von Kephalos erntete er einen sehr düsteren Blick dafür, und es kehrte Ruhe ein.


    Und es kam dann auch die erste Frage zum Schalenmauerwerk. “Nicht ganz, junger Mann. Die Schale dient in den meisten Fällen nicht nur der Verschönerung, sondern der Formgebung und der Stabilität. Opus Caementitium ist sehr hart und dauerhaft, aber nicht so hart und dauernd wie Granit. Opus Caementitium kann viel Gewicht tragen, aber nicht so viel wie Tuff oder Marmor. Für bestimmte Bauwerke müssen also die tragenden Teile aus Stein bestehen. Für nicht-tragende Teile kann man Caementium verwenden, da es leichter, billiger und vielseitiger ist. Nur sähe das dann sehr unschön aus.


    Da Caementitium nun aber flüssig ist, muss es von außen verschalt werden. Dies geht natürlich auch mit einfachen Brettern, die alles einfach in Form halten, bis es ausgetrocknet ist und welche man dann wieder entfernt, oder eben, man nimmt bereits hier Steine und Ziegel, die dem Ganzen auch ein wenig mehr Stabilität verleihen, mehr Härte, mehr... Kratzfestigkeit, wenn mal wieder irgendwelche Narren ihren Namen an der Hauswand verewigen wollen.“
    Kephalos Stimme machte deutlich, was er von derartigen 'Verschönerungen' hielt.


    “Es gibt also vielerlei Gründe, an bestimmten Stellen Opus Caementitium zu verwenden, und an anderen nicht. Und es hat sich durchgesetzt, der Ästhetik wegen eben nicht einfach nur Holz zum Verschalen zu benutzen, sondern Ziegel und Stein. Allerdings wird bei nicht-tragenden, oder nicht-schwer-tragenden Mauerstücken auch hier dann gerne am teuren Stein oder am teuren Ziegel gespart.


    Es wird nur die äußerste Schale an eine Holzschale vorsichtig geschichtet und hernach die Zwischenräume gleich angegossen, so dass die Ziegel oder Steine gleich im feuchten Caementitium in ihrer Form aushärten. Da nur die äußere Kante des Ziegels oder des Steins später nach außen sichtbar ist, können so nun auch an den anderen Seiten gespart werden. So sind die feinen Quader, die man beim opus reticulatum allenorten sieht, also gar nicht wirklich Quader, sondern eher... Pyramiden, deren Spitze tief im Caementitium steckt. So spart man Material.“


    Damit war hoffentlich die frage geklärt – und auch noch gleich ein wenig mehr dazu.


    Sonst noch Ideen zum formschönen Einsatz von Caementitium?“ fragte Kephalos dann noch einmal.



    Atticus hatte genau zugehört und das Wissen über Mauerwerk in seinem Gedächtnis verankert. Wie immer war er aber dabei sehr schweigsam gewesen. Zuhören lag ihm einfach mehr, als zu reden. Als Kephalos allerdings nun noch einmal nach weiteren Möglichkeiten fragte, und da alle außer ihm schon einen Beitrag geleistet hatten, sah er sich genötigt, sich auch einzubringen. Allerdings kam es ihm reichlich dumm vor, eine weitere Art der Vermauerung nun zu nennen, nachdem das Thema schon so ausführlich behandelt war. Also überlegte er einen Moment, ehe er schließlich sagte: “Sind Terrazzo-Böden nicht im Grunde auch nur Opus Caementitium mit besonders vielen Steinen?“


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    “Ja, richtig! Die Böden! Terrazzo-Böden können sowohl einfach aus verschiedenen, bunten, kleineren Steinen bestehen, die in einem Bett aus Caementitium liegen, oder aus bestimmten Steinen. Momentan sind schwarze und weiße Steine sehr beliebt als Boden-Belag. Auch können Mosaike in Caementitium eingelassen werden, wobei es hier sehr stark auf das Material ankommt, aus dem die Mosaiksteine bestehen, wie haltbar es dann letzten Endes ist.
    Zunächst wird für einen Terrazzoboden auf einen eventuellen Unterbau für Hypokausta ein feines, sehr leichtes Caementitium mit hohem Steinanteil aufgetragen und darauf weitere Steinbestandteile gleichmäßig aufgetragen und mit Walzen verfestigt. Bis zur endgültigen Aushärtung und Verfestigung eines solchen Bodens können mehrere Monate vergehen, in welchen der Boden nicht betreten werden darf. Es sei denn, man möchte später Mulden in seinem Boden vorfinden, oder Fußabdrücke. Danach wird der Boden fein abgeschliffen und mit einer Mischung aus Wachs und Balsamharz oder Kiefernharz eingerieben, um kleinere Unebenheiten auszugleichen, die Oberfläche zu glätten und einen schönen Glanz hervorzubringen. Zudem wird der Boden so sehr wasserdicht.“


    Kephalos klatschte einmal in die Hände. Er hoffte, dass damit die grundlegendsten Techniken der Architektur hinreichend erklärt waren. Wenn nicht, würden sicherlich noch fragen kommen. Aber bis dahin konnte er sich dann auch mal den höheren Bauelementen, also denen der Tempelverschönerungen, zuwenden.


    “Nun, aber ich habe euch heute nicht hierher bestellt, um nur über Opus Caementitium zu reden. Vielmehr soll es um die großen Bauwerke gehen, die diese Stadt zur Ewigen stadt machen: die Tempel der Götter. Und wir fangen hier mit dem Tempel des Portunus hinter mir an. Weiß jemand schon etwas über diesen Tempel?“

  • Aufmerksam lauschte ich den Ausführungen und versuchte mir alles dabei erklärte vor dem geistigen Auge auszumalen. Viele dieser baulichen Dinge hatte ich natürlich in der Stadt schon gesehen, doch wann hatte ich mir einmal darüber Gedanken gemacht? Immerhin wurde ich in meinem mangelhaften Wissen über Schalenmauerwerk korrigiert. Römischer Beton konnte also nicht viel Gewicht tragen. Das wollte ich mir merken und ich nickte dazu, als Zeichen, dass ich verstanden hatte. Als es zur Kratzfestigkeit kam, musste ich grinsen. Das war natürlich ein Problem in römischen Städten und wenn ich ehrlich war, hatte ich selbst schon einmal meinen Namen in eine Wand gekratzt. Doch da war ich noch sehr jung gewesen und es war in Piräus geschehen und nicht in Rom. Terrazzo-Böden kannte ich natürlich und auch in dieses Mysterium wurde nun Licht geworfen. Mir war gar nicht bewusst, dass es mehrer Monate dauerte, bis ein solcher Boden aushärtete. Wie viel Arbeit auch dahinter steckte! Ich staunte nicht schlecht und kratzte mich am Kinn, während ich wieder zu Muckel sah, der noch immer eifrig schrieb. Unauffällig trat ich neben ihm und warf einen Blick auf seine Ergüsse. Hoffentlich konnten wir das hinterher auch noch entziffern! Dann hörte ich wieder dem Meister zu, dessen Schüler nun die Frage nach dem Portunus-Tempel erreichte. So auch mich. Dann betrachtete ich mir das Bauwerk und überlegte, was ich darüber wusste. Eigentlich nicht viel, wie ich gestehen musste.
    “Er unterscheidet sich auf jeden Fall von grieschischen Tempeln, die vollkommen freistehende Säulen haben,“ verbalisierte ich meinen ersten optischen Eindruck. “Und der Stein? Ist das Travertin?“, hakte ich dann nach und schaute den Meister an.

  • | Quintus Petilius Rufinus


    Weitere Lernwillige meldeten sich mit Vorschlägen zu Wort, nachdem nun auch Quintus einmal etwas Richtiges zum Unterricht beigesteuert hatte. Anschließend setzte der Kyrios an, eine Nachfrage zu beantworten. Der Petilier musste zugeben, dass er sich sodann beinahe etwas erschlagen fühlte von der Flut teils neuer, teils aus seinem Halbwissen bereits bekannter Fakten. Denn es waren doch durchaus viele Informationen und Details. Auf der anderen Seite jedoch war es wohl der mitreißenden Art des alten Mannes geschuldet, dass Quintus dennoch nicht innerlich abschaltete, sondern interessiert den Ausführungen zu folgen versuchte.


    Erst als der Meister noch ein paar Dinge über Terrazzo-Böden mit seinen Schülern teilte, schweiften die petilischen Gedanken für einen kleinen Moment ab und er erinnerte sich daran, dass auch die Feier am gestrigen Abend auf einem Terrazzo-Boden stattfand! Es war einer seiner Freunde gewesen, der erst ein paar Genussmittel zu viel zu sich genommen hatte, bevor er später am Abend dann auf allen Vieren auf dem Boden kroch und selbst überaus begeistert von jedem bunten Steinchen schwärmte, das sein Auge dort ausmachen konnte. Das war, diesen Eindruck hatte nicht nur Quintus geteilt, ein überaus lustiger Anblick gewesen. Er grinste leicht versonnen in sich hinein, während er sich so daran erinnerte.


    "Welcher Tempel?", konnte der Petilier im Ansschluss nicht ganz verbergen, für einen Augenblick nicht ganz bei der Sache gewesen zu sein. Doch ob er es wollte oder nicht, sein Nebenmann half Quintus aus, indem er seinen nachdenklich wirkenden Blick auf den Tempel des Portunus gerichtet hatte. "Ionische Säulen, oder?", warf er sogleich ein, um seine vorherige Abwesenheit zu überspielen. "Also sowohl die freistehenden des Porticus als auch die Halbsäulen der Cella, Kyrie.", ergänzte er anschließend noch, um nicht nur drei lose Worte in den Raum geworfen zu haben. Anschließend sah er gespannt zum Lehrer und hoffte, dass der von der kurzzeitigen Unaufmerksamkeit des Petiliers nichts gemerkt hatte.



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    Eigentlich hatte Kephalos schon damit gerechnet, dass nun erst einmal eine Beschreibung der dort verehrten Gottheit kommen würde oder dergleichen. Aber nein, seine eifrigen Schüler machten sich sofort daran, sich auf der architektonisch und baulich relevanten Teile zu beschränken. Das war eine äußerst erbauliche Überraschung für den alten Griechen.

    http://fs5.directupload.net/images/170727/bqfv8kck.jpg “Ja, alle tragenden Elemente – also Säulen, Ecken, Stylobat et cetera – sind aus Travertin, die restlichen Elemente aus dem wesentlich leichteren, wenngleich poröseren Tuff, die schmückenden Elemente teils aus Stuck – aus einer besonderen Mischung des uns bekannten Opus Caementitium - aufgebracht.“ bestätigte er den ersten Einwurf.
    Auch danach kam direkt ein sehr guter Einwurf. “Richtig, der Tempel ist nach ionischer Ordnung erbaut, am leichtesten Erkennbar an den Säulen.


    Der Tempel ist ein Pseudoperipteros. Ein echter Peripteros hätte einen umlaufenden Säulengang, während beim Pseudoperipteros die Außenwand der Cella mit den Säulen optisch verschmilzt. So kann man nicht mehr rund um den Tempel gehen, wie es in einigen Riten üblich ist zum Gebet. Dafür vergrößert man natürlich den Innenraum der Cella und spart gleichzeitig Material, da die Halbsäulen in der Wand natürlich weniger Material benötigen als volle Säulen außen UND eine Cella-Wand dicht daneben.
    Dies ist eine bevorzugte Bauweise für kleinere Tempel, die nicht ganz so klein sein sollen wie ein einfacher templum in antis. Die nächst größere Variante wäre dann ein Dipteros oder ein Pseudodipteros. Im Gegensatz zum Peripteros besitzt dieser dann eine Säulenreihe außen als Umgang mehr und eine zweiteilige Cella. Beim Dipteros auch häufig mit Säulen in der Cella und deren Vorhalle, beim Pseudodipteros aber nicht.


    Nun wurde ja bereits gesagt, dass dies ein ionischer Tempel ist. Woran erkennt man das am einfachsten? Und kann mir jemand vielleicht noch die anderen Ordnungen sagen?“


    Sim-Off:

    Sorry, grade ein bisschen im Chaos versumpft. Teilt euch die 2 Fragen bitte untereinander auf, damit jeder was hat :D
    **Bild CC-Licence Wikipedia User Fjellfross

  • Aufmerksam lauschte ich dem Meister und betrachtete mir dabei den Tempel. Also hatte ich doch auch ein wenig recht gehabt. Immer wieder nickte ich und schaute dann meinem Muckel über die Schulter. Dann versuchte ich mir die verschiedenen Bauweisen vorzustellen und nickte dann wieder. Diese ganzen Dinge hatte ich zuvor noch nicht gewusst, doch dann kam die Frage nach dem ionischen Tempel. Ich schürzte meine Lippen und dachte fieberhaft nach. “Ich meine irgendwann einmal gehört zu haben, dass es innerhalb der ionischen Ordnung eine attische und eine römische gibt. Dann gäbe es da noch die dorische und die korinthische Ordnung. Aber woran erkennt man das alles?“ Fragend schaute ich zu meinem Mitstreiter, der bisher den Eindruck auf mich machte, als würde er dies wissen, dann schaute ich wieder dem Lehrer entgegen.
    Hatte es etwas mit den Kapitellen zu tun oder mit den Säulen an sich? Hier wusste ich nur, dass jede Säule eine Basis hatte, die Säule an sich und ein Kapitell. Mehr vermochte ich jedoch nicht zu sagen.

  • | Quintus Petilius Rufinus


    Der Senatorensohn freute sich innerlich, dass er offenkundig wieder eine dem Unterrichtenden gefällige Antwort gefunden hatte. Die Säulenordnung war das erste und für ihn persönlich einfachste gewesen, das er hatte ausmachen können. Das Auge für verschiedene Gesteinsarten besaß er indes eher weniger - und beneidete den Mitschüler, der als erstes auf den Travertin kam, insgeheim ein wenig darum.


    "Ähm.", begann Quintus auf die folgenden Fragen zunächst wenig eloquent, da er seine Gedanken vom Unterrichtsstoff über den Neid zurück zum Unterrichtsstoff erst einmal neu sortieren musste. Das dauerte einen gewissen Moment. "Am einfachsten erkennt an die Ordnung an den Säulen, meine ich.", fand der Petilier letztlich zunächst eine allgemeine Respons. "Denn dorische Säulen haben im Gegensatz zu den anderen keine Basis. Die stehen direkt mit dem Säulenschaft auf dem Boden. Ionische Säulen erkennt man eigentlich immer an den zwei schneckenförmigen Voluta oben am Kapitell. Und korinthische Säulen zeichnen sich aus durch einen Kapitellkern, der von zwei versetzt angeordneten Kränzen aus Acanthusblättern umgeben ist.", spezifizierte er anschließend das aus seiner Sicht wichtigste. "Außerdem könnte man natürlich auch noch die etruskischen Säulen nennen. Die haben ein eher schlichtes Kapitell wie die dorischen Säulen, eine Basis wie die ionischen und korinthischen Säulen; aber", hob er seinen Finger für das eine Merkmal, mit dem er selbst die Säulenordnungen immer auseinanderhielt, "keine Kanal... Kanne... äh... keine senkrechten Streifen am Säulenschaft." Quintus Ohren erröteten leicht. "Säulenkapitelle mit sowohl ionischen Voluta als auch korinthischen Acanthusblättern gehören zur kompositen Säulenordnung.", beendete der Senatorensohn in der Folge möglichst schnell seine Wortmeldung. Sein Blick war dabei nicht länger auf den Kyrios gerichtet, sondern tendierte stark abwärts zum Boden, da es Quintus dezent peinlich war, erst mit Fachwissen glänzen zu wollen, bevor er stammelte wie jemand, der zum ersten mal im Leben eine Säule sah.



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    Und wieder bewiesen seine Schüler, dass sie nicht ganz so ungebildete Tölpel waren, wie Kephalos zunächst befürchtet hatte. Der erste Schüler wusste sogar von verschiedenen Unterordnungen innerhalb einer Ordnung, wobei deren Unterscheidungsfeinheiten zuviel für einen ersten Überblick wären. Und der zweite bekam sogar ziemlich brauchbare Erläuterungen zustande, woran man die einzelnen Ordnungen unterscheiden konnte.
    “Die 'senkrechten Streifen' heißen Kanneluren. Und es stimmt, am Einfachsten lassen sich die Ordnungen an ihren Säulen unterscheiden, insbesondere an deren oberen Ende: Den Kapitellen.


    Schnörkellose Kapitelle deuten auf die dorische Ordnung hin, wobei auch die Etrusker auf ausgeprägte Kapitelle verzichten. Allerdings sind deren Tempel insgesamt nur schlechte Kopien des griechischen Originals.“ Nunja, zumindest war das die Überzeugung dieses einen Griechen.
    “Korintische Kapitelle sind mit Arcanthusblättern kunstvoll ausgestaltet. Später werden wir zum Tempel des Apollo Sosianus gehen, dann werdet ihr diesen Unterschied deutlich sehen.


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    Hier am Tempel des Portunus haben wir einen ionischen Tempel, am einfachsten zu erkennen an den bereits erwähnten Voluten am Kapitell (6).


    Aber wenn wir uns den einzelnen Bauelementen widmen, beginnen wir von unten.“ Aus den Weiten seines Gewandes zauberte Kephalos einen langen Rohrstock hervor. Ohne irgendwie auf seine Jünglinge zu warten, marschierte er auch schon schnurstracks zur Vorderseite des Portunus-Tempels und begann, zu zeigen.


    “Den untersten Teil eines Tempels, das Fundament, nennt man Stereobat. Bei Häusern oder anderen Bauwerken wird üblicherweise nur dort ein Fundament gemauert oder gegossen, wo später einmal tragendes Mauerwerk stehen soll. Bei einem Tempel jedoch wird das Stereobat nicht immer, aber doch häufig, unter dem kompletten, späteren Bauwerk aus behauenen Steinen verlegt, so dass quasi ein geschaffener, gerader Steinboden so entsteht. Die oberste Schicht des Stereobats, die Euthyntherie, ist das einzige, was aus dem Erdboden herausschaut. Daher ist sie üblicherweise aus fein behauenen Steinen und besonders sauber gearbeitet. Und sie bildet die unterste Stufe der üblicherweise dreistufigen Krepis (11).
    Die oberste Stufe wiederum nennt sich Stylobat. (10). Auf ihr ruhen die Säulen und das Mauerwerk des Tempels. Wenn es einen Rundgang um den Tempel gibt, dann ist dieser auch auf dem Stylobat. Hier bei diesem Tempel erübrigt sich das natürlich.


    Wie ihr weiter seht, stehen die Säulen hier auf Plinthen. (9) Diese sind quadratisch, wie meistens in der ionischen Ordnung. In seltenen Fällen kann sie auch rund sein, bei den ältesten ionischen Tempeln oder in dorischen Tempeln entfällt sie ganz.
    Das untere Ende der Säulen besteht hier aus einem ausladenden unteren Torus – das ist diese dicke Wulst hier -, gefolgt von einer Hohlkehle, dem Trochilus, und einem etwas kleineren Torus. (8 ) Erst jetzt kommt die eigentliche Säule mit ihren senkrechten Kanneluren. (7)
    Und an ihrem oberen Ende nun befindet sich das bereits erwähnte Kapitell mit den für einen ionischen Tempel typischen Voluten.(6) Für die unwissenden unter euch, das sind diese eingedrehten Schnecken an den Ecken, während das feine Muster zwischen den Voluten Echinus genannt wird.“


    Erst hier machte Kephalos wieder eine kleine Pause und sah nach, ob seine Schüler denn noch da waren. “Soweit, so gut, also. Aber genau hier, bei diesen Voluten, ergibt sich ein Problem für die Ästhetik. Wer kann sich vorstellen, warum gerade diese Elemente, die ja der Ästhetik wegen überhaupt erst angefügt wurden, ein Problem darstellen könnten? Und weiß jemand vielleicht sogar, wie man es lösen könnte?“

  • | Quintus Petilius Rufinus


    "Die etruskische Ordnung ist eine schlechte Kopie; und die komposite gibt es gar nicht.", tuschelte der petilische Senatorensohn belustigt zu seinem Nebenmann und hoffte, dass der nicht ebenfalls so ein geblendeter Grieche war, der kein Auge für die auch römischen Errungenschaften hatte. In der Ars Oratoria hatten die Römer die Griechen bereits überflügelt - am deutlichsten zu erkennen daran, dass das Zentrum der Redekunst längst Roma und keine griechische Stadt mehr war. Alle anderen Gebiete, davon war Quintus als privilegierter Senatorensohn überzeugt, würden diese Entwicklung auf kurz oder lang ebenfalls noch durchlaufen.


    "Im Gegensatz zu den Kapitellen der anderen Ordnungen sehen die ionischen nicht von allen vier Seiten gleich aus. Denn von vorne und hinten sieht man die beiden Voluta, während man von rechts und links immer nur eine dieser Schnecken von der Seite sieht.", ergriff Quintus bei der folgenden Frage möglichst schnell das Wort, um sein vorheriges Tuscheln zu überspielen. "Das macht natürlich an den Ecksäulen Probleme, weil man da die beiden Voluta nicht an zwei gegenüberliegenden Seiten des Kapitells - vorn und hinten - sondern an zwei angrenzenden Seiten des Kapitells - vorn und rechts oder vorn und links - sehen will.", versuchte der Senatorensohn durch Gestiken unterstützt zu verbalisieren, was er meinte.


    "Ich glaube, um den Arcus Titi machen wir heute einen... Bogen.", ließ er anschließend die zweite Frage des Kyrios offen, um sich stattdessen - ganz Schüler - lieber wieder dem über die Griechen lästernden Tuscheln hinzugeben. Nur allzu bereitwillig ignorierte er dafür sogar, dass die Architektur eines Triumphbogens gewiss auch nichts in einem Kurs über den Tempelbau zu suchen hatte. Doch wo wäre der Wortwitz, wenn jemand einen Bogen um einen Tempel machte - statt einem Bogen um einen Bogen?



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  • Wieder einmal hatten wir also nicht falsch gelegen, doch ich musste für mich feststellen, dass Säulen eine ganz schön komplzierte Sache sein konnten. Hilfesuchend schaute ich zu Muckel, doch dieser voll und ganz in seine Schreibarbeit vertieft. Dann schaute ich wieder zum Magister, der den die korinthischen Kapitelle beschrieb. Dabei hatte ich noch nie etwas von Voluten gehört und ich kratzte mich am Kinn. Schließlich holte er einen Stock hervor und wir schritten näher an den Tempel heran. Mit dem Kopf im Nacken ließ ich meine Blicke schweifen und versuchte nachzuvollziehen, was nun an Wissen über uns hereinbrach. Dabei ging es vom Fundament der Säule bis hinauf zu ihren höchsten Höhen. Dann tuschelte der Schüler neben mir etwas und ich grinste ihm entgegen, auch wenn ich nicht ganz verstand was er meinte. Auf jeden Fall überflügelte er mich mit seinem Wissen, was mir natürlich gar nicht so recht passte. Schon bei unserem Hauslehrer war ich jemand gewesen, der es nicht leiden konnte, wenn ein anderer besser war als ich. Schließlich war ich ehrgeizig was diese Dinge betraf. Vielleicht war ich auch in der letzten Zeit einfach zu faul gewesen, um mich auf diesen Kurs vorzubereiten. Während der andere eine Antwort auf die gestellte Frage gab, stieß ich ein “Hm...“ aus und wartete ab. Dann kramte ich meinem Gedächtnis, ob ich nicht vielleicht auch etwas beizutragen hätte. Dem war aber zunächst nicht so. Wieder erreichte mich das Tuscheln und wieder musste ich grinsen. Letzten Endes runzelte ich die Stirn, ehe ich versucht war mit den Schultern zu zucken. Mir fiel wirklich nicht ein, wie man das dargetellte Problem lösen könnte, also schwieg ich einfach und schaute betreten auf den Boden vor mir, um anzuzeigen, dass ich nicht derjenige war, der hier und jetzt mit Wissen glänzen konnte.

  • Wenn Atticus' Kommilitone recht hatte und die Voluten tatsächlich das ganze, angesprochene Problem darstellten, dann war die Lösung sehr simpel. Vor allen Dingen hatten sie sie direkt vor der Nase, denn bei eben diesem Tempel, vor dem sie standen, wurde es genau so gelöst: “Wenn man die Voluten an der betreffenden Ecke nach außen verdreht, im Winkel um fünfundvierzig Grad, sieht man die Volute von beiden Seiten gleich gut.“


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    “Richtig und richtig“ strich sich Kephalos zufrieden durch den Bart. “Indem die Eckvoluten herausgedreht werden, ist es optisch von beiden Seiten möglich, sie zu sehen. Allerdings sieht man so noch immer, dass diese Eckvoluten aus den übrigen herausstechen und somit ist keine echte Symmetrie gegeben. In vereinzelten Tempeln wird dies nun so gelöst, dass sämtliche Voluten um 45 Grad herausgedreht sind. Hierdurch ist es natürlich wieder symmetrisch, allerdings sehr auffällig. Ich bezweifle, dass sich diese Lösung durchsetzen wird.“ Kephalos konnte ja nicht wissen, dass in etwa 100 Jahren diese Lösung tatsächlich zum Standard werden würde.


    “Nungut, widmen wir uns dem weiteren Aufbau. Auf den Kapitellen ruht der Architrav (5). Das ist der Stützbalken für den kompletten Dachaufbau. Dieser leitet das Gewicht der gesamten Dachkonstruktion auf die Säulen weiter und muss daher mit besonderer Sorgfalt ausgewählt werden. Wenn dieser das Gewicht nicht tragen und verteilen kann, wird früher oder später das gesamte Dach sonst einstürzen. Daher war man in den ältesten, noch dorischen Tempelkonstruktionen aus Holz hierbei auf die Länge und Tragfähigkeit entsprechender Bäume beschränkt, und die Suche nach passenden Stämmen und deren Transport konnte Monate dauern. Erst mit der Steinbauweise konnten die Bauten insgesamt vergrößert werden.
    Während im dorischen Stil der Architrav einfach nur glatt gehauener Stein – oder eben Holz – ist, sieht man hier sehr schön den Unterschied in der ionischen Ordnung: die drei Fascien, also die eingearbeiteten Rillen in den Stein, die der Verschönerung dienen.
    Darüber nun kommt der Fries (4), der allerdings auch entfallen kann. Doch macht dieses Fries die meisten Tempel erst zu wirklichen Augenweiden. Häufig ist er plastisch gestaltet, indem in den Stein entweder plastische Figuren gehauen werden, oder aber mit Stuck aufgebracht werden. In jedem Fall, auch bei glatten Friesen, wird es bunt bemalt. In unserem Fall nun sehen wir Fische und Ranken und – weil sie ein Zeichen des Portunus sind – Schlüssel. Bei anderen Tempeln sehen wir neben typischen Symbolen der Gottheit gerne auch Darstellungen von Sagen die Gottheit betreffend, oder aber auch Darstellungen desjenigen, der einen Tempel gestiftet hat, im Treffen mit der Gottheit.
    Über dem Fries nun ist eine kleine Zierleiste, das Kymation, das direkt an den Zahnschnitt, genannt Geisipodes, anschließt (3). Dieses Element wiederum ist rein ästhetischer Natur, um die Dachkonstruktion noch besser vom Architrav abzuheben, und als weitere Verzierung des Gebäudes.


    Darüber nun kommt die prismatische Konstruktion des Daches. Um den Eindruck des Prisma zu verstärken, sehen wir nun hier an der Stirnseite des Gebäudes das dreieckig umlaufende Geison (2) als dicken Balken, von dem das Hauptfries im Dachgiebel, das Tympanon, nach innen deutlich abgesetzt ist.
    Und erst darauf, noch einmal deutlich abgesetzt erkennend, kommt das eigentliche Dach mit der Rinnleiste, Sima genannt (1). Diese kann auch wiederum verziert sein, häufig beispielsweise mit Löwenköpfen oder Fischköpfen, die als Regenauslässe dienen.
    Teilweise sitzen auch kunstvolle Steinfiguren wie Sphingen, Vasen oder Palmetten auf der Sima zu dem Zweck, die Eckpunkte des Giebels besonders zu betonen. Diese nennt man dann im Fachjargon Akroter. Allerdings finden sich an diesem Tempel weder besonders gestaltete Regenauslässe, noch Akroteria.“


    Kephalos machte kurz eine Verschnaufpause. So viele Fachworte in so kurzer Zeit unters Volk zu bringen, das tat man dann ja auch nicht alle Tage.


    “Gut, wenn jemand noch Fragen zur ionischen Tempelordnung hat, kann er diese gerne jetzt stellen, ansonsten machen wir uns auf zum Tempel des Apollo Sosianus, um den Vergleich mit einem korinthischen Tempel uns vor Augen zu führen.“

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    Nachdem niemand eine Frage vorbrachte, ging Kephalos davon aus, dass die ionische Ordnung hinreichend geklärt war und schritt los in Richtung Norden zum Theatrum Marcellum und dem Apollinar. Der Weg war nicht allzu weit, aber weit genug, dass sich seine Schüler bis dahin kurz unterhalten konnten, wenn sie denn wollten.
    Für einen Mann seines Alters und seines Bauchansatzes war Kephalos nämlich noch recht flott unterwegs. So langsam füllten sich die Straßen, aber noch immer war es früh genug, dass es nicht völlig überfüllt war. Insbesondere wollten die meisten Menschen ja ohnehin eher in Richtung der Märkte und des Forum Romanum mit der Basilica und nicht daran vorbei, so dass sie doch ziemlich gut voran kamen.

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    Nach einer Weile also war die Gruppe am Tempel des Apollo direkt neben dem Marcellus-Theater angekommen. Kephalos blieb stehen und ließ einen bewundernden Seufzer beim Blick auf den Tempel ertönen und begnügte sich damit, den Tempel einen Moment lang nur anzusehen. Erst nach einigen Augenblicken der stillen Bewunderung drehte sich Kephalos wieder zu seinen Schülern um.


    “Hier nun befinden wir uns am Tempel des Apollo Alexikakos, oder Apollo Medicus, wie die Römer ihn rufen. Im Gegensatz zum Tempel des Portunus haben wir hier einen Tempel der korinthischen Bauordnung vor uns, am einfachsten zu erkennen an den korinthischen Kapitellen. Wo zuvor die gedrehten Voluten den einzigen Schmuck dieser Kapitelle darstellten, sehen wir hier – sehr weit über uns, zugegeben – fein geschmückte Arkanthus-Blätter in zwei verschiedenen Größen. Dazwischen finden sich Darstellungen von Lorbeerbüscheln, bis schließlich die Kapitelle mit einer verschnörkelten Zierleiste unter dem Architrav abschließen.


    Doch nicht nur die Kapitelle zeichnen sich durch eine viel größere Detaildichte und Verspieltheit aus, jedes einzelne Bauelement des Tempels ist reicher, besonderer, schöner gestaltet. Natürlich, ist Apollo auch ein Gott der Schönheit!


    Beginnen wir also mit den offensichtlichen Dingen: Der Tempel steht erhöht auf einem Sockelbau aus Travertin an allen tragenden Stellen, aus Tuff und opus caementitium an den nicht-tragenden Stellen. Dieses Podium gehört zum ältesten Teil des Tempels, der insgesamt 3 Mal umgebaut wurde, zuletzt vor rund achtzig Jahren von Caius Sosius, weshalb der Tempel häufig auch der Tempel Apollo Sosianus genannt wird.
    Vor diesem Umbau besaß der Tempel an der Frontseite eine große Freitreppe, die hinaufführte. Da aber diese Abscheulichkeit genannt Marcellus-Theater hier den Platz beanspruchte, wurde die Fronttreppe aufgegeben, der Tempel bei diesem Umbau ein Stück gen Norden versetzt – was an und für sich schon ein Affront ist, werden geweihte Gebäude doch nicht einfach so 'versetzt' – und der Zugang zum Tempel durch zwei Seitentreppen gewährleistet.


    Begeben wir uns nach oben. Und wenn jemand Fragen hat, dann fragt.“

  • Die Fachbegriffe fielen und ich gab mir die größte Mühe, sie alle nachzuvollziehen. Bestimmt würde ich mich später hinsetzen und sie aus den Notizen noch einmal repetieren müssen. Einige der Begriffe hatte ich noch nie gehört und somit wurde es für mich ein wenig schwer zu folgen, doch ich gab mir die größte Mühe. Immer wieder waren meine Blicke über das Äußere des Tempels geglitten und ich musste gestehen, dass ich mich noch niemals so lange und in verstehender Absicht vor einem Bauwerk aufgehalten hatte. Die Steinfiguren, die der Meister als Akroter bezeichnete, hatten es mir irgendwie angetan. Vielleicht ließe sich mit sowas auch im Hause Decima etwas machen. Doch im Moment hatte ich keine Fragen mehr, denn ich war noch am Verarbeiten des Gehörten. Also folgte ich nun unserer kleinen Truppe hin zum nächsten Tempel. Es ging so schnell, dass ich kaum hinterher kam mit meinem Knie und schnell geriet ich auch ins Schnaufen, doch ich hielt durch. Für Wissen galt es immerhin Opfer zu bringen.
    Vor dem Tempel des Apollo Alexikakos angekommen, hätte ich mich am liebsten irgendwo hingesetzt, doch das war nur schwer möglich. Für den Moment des Schweigens unseres Lehrers war ich sehr dankbar, wie ich zugeben musste, doch dann konnte es auch schon weitergehen. Dies war also ein Tempel der kointhischen Bauordnung. Prüfend ließ ich meine Blicke schweifen und nickte anerkennend. Natürlich erkannte ich die Arkanthusblätter und auch die Lorberbüschel. Alles in allem war dieser Tempel anders als der vorherige. Er war dem Auge gefälliger. Schließlich schaute ich unter den Erklärungen dem Sockelbau entgegen und stellte mir die Frage, wie man denn einen solchen Bau versetzen konnte. “Wie ist das möglich?“, fragte ich deshalb erstaunt. “Also, wie versetzt man denn einen solchen Bau?“

  • | Quintus Petilius Rufinus


    Einer der anderen Wissbegierigen grinste den Petilier an.
    "Immer diese Griechen, nicht wahr?", legte daraufhin Quintus in Richtung des jungen Mannes nach, bevor er neuerlich doch lieber den Ausführungen des Kyrios seine Aufmerksamkeit schenkte. Denn während die Unterschiede bei den Säulen dem Senatorensohn bereits einigermaßen vertraut waren, konnte er hinsichtlich der Unterschiede beim restlichen Tempelbau durchaus wohl noch viel lernen. So hielt er sich in der Folge auch mit weiterem Gerede zurück - bis der Lehrmeister einen Ortswechsel ankündigte.


    "Ich bin übrigens Petilius Rufinus.", stellte sich Quintus dem ihn zuvor angrinsenden Mitschüler vor, während die Gruppe also vom Tempel des Portunus zum Tempel des Apollo Medicus umzog. Für viel mehr als eine Vorstellung reichte die Gelegenheit von Seiten des Petiliers jedoch nicht, da er das Gefühl hatte, sehr aufpassen zu müssen, dass ihm der alte Grieche nicht verbal für das viele unaufgeforderte Reden auf die Finger schlug.


    So widmete sich der Senatorensohn daher bald wieder den erklärenden Worten des Kyrios.
    "Ist das nicht ziemlich aufwändig?", schloss sich Quintus bald darauf den Nachfragen an. "Es mussten doch sicherlich erst die Auguren befragt werden, die ihrerseits dann Apollo befragen, ob der mit dieser Versetzung einverstanden ist, oder?", spekulierte der Petilier über das Maß an bürokratischen Hürden für einen derartigen Vorgang. "Wäre es da nicht deutlich einfacher gewesen, man hätte dieses 'abscheuliche Marcellus-Theater' an den Tempel des Apollo angepasst und nicht umgekehrt den Tempel an das Theater?", implizierte er anschließend die Frage nach dem Warum, während er durchaus nicht unbewusst die Wortwahl des Kyrios kopierte und ebenfalls eher abfällig über das Theater des Marcellus sprach. Gewiss, so scheußlich fand er das Theater eigentlich gar nicht. Doch der Senatorensohn rechnete sich eine bessere Beurteilung durch den Kyrios aus, wenn er diesem wenigstens hin und wieder ein wenig nach dem Mund redete...



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    CIVIS
    DECURIO - OSTIA
    INSTITOR - MARCUS IULIUS LICINUS
    IUS LIBERORUM
    VICARIUS DOMINI FACTIONIS - FACTIO VENETA

    Klient - Marcus Vinicius Hungaricus

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    “Du musst dir diese Scheußlichkeit da drüben wegdenken. Dann stellst du dort einige Baukräne auf und nimmst einige hundert Arbeiter zur Hand, entfernst die Teile vorsichtig, die du wiederverwenden willst, und haust die anderen kurz und klein, um dann weiter nördlich alles neu aufzubauen“, antwortete Kephalos etwas lapidar beim Aufstieg. Erst oben angekommen drehte er sich zu seinen Schülern um und beantwortete auch den zweiten Einwurf.
    “Natürlich war das teuer und aufwendig. Aber ihr müsst euch in diese Zeit hinein versetzen vor über hundert Jahren! Gaius Iulius Caesar hatte dieses Stückchen Land zwischen dem Tempel und dem Tiber gekauft, um dort ein Theater zu errichten, und sein Sohn, der göttliche Augustus, hat es dann nach seinem Triumph über Sextus Pompeius und Iunius Brutus und nach seinem Aufstieg zum Herrscher des weströmischen Reiches in Auftrag gegeben und nach seinem Schwiegersohn und gewünschtem Nachfolger Claudius Marcellus benennen lassen. Wie hoch war da wohl die Wahrscheinlichkeit, dass ein Augur verkündet, Apollo wäre dagegen? Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass Imperator Caesar Augustus sein gedachtes Theater absichtlich kleiner baut, weil auf der anderen Seite eben der Tiber ist, den man nicht verrücken kann?“
    Er wollte die kleinen Römer zwar nur ungern desillusionieren, was die Macht der Götter anging, aber vielleicht öffneten ihnen diese Fragen doch ein wenig die Augen für die Wirklichkeit. Apollo hätte schon höchstselbst vom Olymp herabsteigen und die Bauarbeiter mit Pfeilen beschießen müssen, um eine Verlegung dieses Tempels abzuwenden.


    “Gaius Sosius, der im übrigen ein Anhänger von Marcus Antonius war, nutzte allerdings dann die Gelegenheit, diesen Tempel hier wieder aufbauen zu lassen, und zwar nicht einfach nur als Kopie, sondern noch strahlender als alles bisher in Rom gesehene. Er war einer der Ersten, der Marmor aus Luna hierher einführen und in großem Stil verbauen ließ. Sämtliche Säulen, der Pronaos – oder Porticus, wie ihr sagen würdet – und der Eingangsbereich, all dieses wundervolle, strahlende Weiß, sind ihm zu verdanken. Insgesamt benötigte der Wiederaufbau des Tempels 14 Jahre, und man kann von Glück reden, dass Gaius Sosius nicht das Schicksal seines Freundes Antonius teilte, sondern begnadigt wurde. Ansonsten könnten wir diesen Tempel wohl nicht bewundern.
    Widmen wir uns nun zuerst den Säulen. Beginnen wir unten: Die Tori an den Säulenfüßen sind als Taue ausgearbeitet, die Trochilen zwischen ihnen sind mehrteilig und hier, wenn ihr genau hinseht, als Eierstab ausgearbeitet. Selbst dieser kleinste Raum wurde also genutzt, um ihn mit einem Muster zu verschönern!
    Die Kanneluren der Säulen wiederum sind abwechselnd breit und schmal. Normalerweise kommt so etwas nur an Innensäulen bei einem Tempel vor, doch hier auch bei den Außensäulen. Doch das besondere wartet, wenn wir unseren Blick bis ganz nach oben wandern lassen. Seht an die Unterseite des Architravs!“
    Kephalos deutete nach oben, wo jede noch so kleine Fläche der Decke des Porticus mit diversen Mustern verziert war. “Diese Muster nennt man Soffitte. Jedes dieser Bilder ist umrahmt von einem Kymation, also einem gemusterten Band. Dazwischen sehen wir auch Bukranien, also Stierköpfe, oder Palmetten.“
    Wieder ließ Kephalos seinen Schülern Zeit, über die Vielfalt der gebotenen Muster zu meditieren und ihre Schönheit und Kunstfertigkeit auf sich wirken zu lassen.

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    Nach einem Moment des Schweigens fuhr Kephalos fort.
    “Nun, von hier aus können wir jetzt das Tympanon – also das Flächenfeld im Dachgiebel – nicht sehen. Aber wie ihr vielleicht von außen bemerkt habt, sind dort auch nicht lediglich Muster, sondern viele, fein ausgearbeitete, plastische Figuren. Überhaupt wurde bei diesem Tempel jede mögliche Art der Verzierung auch wahrgenommen. Einzig die Sima besitzt außer den Löwenkopf-Wasserspeiern keine weiteren Verzierungen.
    Aber widmen wir uns nun weniger der Fülle an kleinen Details, die wir hier vorfinden, und kommen auf etwas anderes zu sprechen: Den Säulenabstand. Denn ein guter Architekt weiß: Man kann nicht nur einen Eindruck durch das vermitteln, was man baut, sondern auch durch das, was man weglässt.
    Kann mir jemand eine der gängigen Bauarten eines Intercolumnium nennen?“

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    Seine Schülerschaft hüllte sich in Schweigen. Kephalos wippte auf seinen Füßen vor und zurück, verschränkte die Hände hinter seinem Rücken und wartete. Trotzdem gaben sich seine Schüler reichlich Mühe darin, möglichst unsichtbar zu sein und zu bleiben. Schließlich seufzte Kephalos und beantwortete seine eigene Frage.
    “Vitruvius beschreibt fünf verschiedene Verhältnisse des Intercolumniums:
    Das pyknostylos, wie wir es auch hier vorfinden. Man nennt es auch engsäulige Bauweise, weil hier die Säulen zueinander nur Abstand der eineinhalbfachen Säulendicke haben.
    Als nächstes das systylos mit dem doppelten Säulendurchmesser als Abstand zwischen den Säulen. Diese Art nennt man auch ein gedehntes Intercolumnium.
    Die gängige, schönsäulige Art mit einem Abstand von zweieinviertel Säulendicke nennt sich eustylos.
    Dann gibt es noch die weitsäulige Bauweise mit dreifachem Abstand, genannt diastylos, und schließlich noch den araeostylos mit dem dreieinhalbfachen Abstand.
    Noch weitere Abstände würden die Tragfähigkeit der Säulen bezüglich des Gewichtes des Architravs und des Daches übersteigen.


    Nun, warum also wurde bei diesem Bauwerk nun die engsäulige Bauweise gewählt und nicht etwa die als am schönsten befundene Bauweise des eustylos? Ganz einfach: Durch diesen engen Abstand erhält man hier im Pronaos stehend den Eindruck, sich bereits in einem geschlossenen Raum, also IM Tempelinneren zu befinden. Es ist geschützter, vertrauter... privater. Außerdem blendet es diese Monstrosität dort drüben besser aus.“ Eine wedelnde Handbewegung machte deutlich, dass das Marcellus-Theater gemeint war.


    “Nun, zum Abschluss begeben wir uns noch ins Tempelinnere.“

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    Schien das Äußere des Tempels den Betrachter schon mit seiner Detailfülle schier zu erschlagen, wurde dieser Effekt hier im Inneren des Tempels noch einmal um ein vielfaches übertroffen. Nicht nur die zahlreichen Kunstwerke, die hier ausgestellt waren - mehrere Gemälde von Aristides von Theben, mehrere Statuen von Philiskos von Rhodos, eine Apoll-Statue von Trimarchos und eine aus feinstem Zedernholz aus dem fernen Seleukia, darüber hinaus noch eine atemberaubende Statuengruppe, die die Niobiden darstellten – sondern auch die Vielzahl der baulichen Details, auf die Kephalos nun einging:
    “Wenn ihr euren Blick nach Oben wandern lasst, seht ihr, dass die decke entgegen dem äußeren Anschein des Tempels gewölbt ist. Dies wurde mittels einer speziellen Mischung aus opus caementitium bewerkstelligt, die als Stuck aufgetragen wurde, der anschließend kunstfertig bemalt wurde.
    Die Decke wird unterstützt von jeweils einer Säulenreihe aus afrikanischem Marmor am Rand. An der Wand seht ihr dahinter noch jeweils Ausbuchtungen. Dies sind diejenigen Stellen, an denen an der Außenseite der Wand die Halbsäulen sich befinden. Jeweils zwischen diesen Ausbuchtungen nun sehen wir kleine Tempel im Tempel, sogenannte Aedicula. Diese stellen jeweils eine – verkleinerte – Tempelfront dar mit zwei äußeren Säulen und einem reichhaltig verzierten Tympanon – also Giebelfeld. Ihr werdet feststellen, dass sich keine zwei Aediculae hierin gleichen und bei einigen sogar auf die klassische, dreieckige Giebelform verzichtet wurde. Stattdessen finden wir hier auch halbrunde Giebel – sogenannte Segmentgiebel – und geschwungene Giebel – sogenannte Pagodengiebel. Letztere stammen aus dem Osten, wo ja auch der Kult des Apollo ursprünglich beheimatet war.
    Jeder Giebel nun zeigt durch die bemalten Statuen darin eine der zahlreichen Geschichten, die dem Apoll zugeschrieben werden.
    Bei den Säulen wiederum finden wir nicht nur den weißen Marmor aus Luna wie im Eingangsbereich, sondern auch mehrfarbigen, insbesondere mit roten oder schwarzen oder violetten Linien durchzogenen Marmor aus Docimium in Asia oder gänzlich roten Marmor aus dem griechischen Chios oder gelben marmor numidicum aus dem africanischen Simittu.


    Kurzum: Es wurden keine Kosten gescheut, um diesen Tempel reicher auszustatten als alles, was Rom bis dahin gesehen hatte. Allein die einzelnen Bauteile wurden aus der gesamten Welt herbeigeschafft, um die Pracht dieses Tempels sicherzustellen. Dazu noch die Kunstwerke diversester Künstler.


    Ich hoffe, dass ihr bei eurem nächsten Besuch hier die Anstrengungen und Mühen der Erbauer und ihre 14 Jahre währende Bauzeit etwas mehr zu schätzen wisst. Nun, wenn ihr noch abschließende fragen habt, könnt ihr diese jetzt stellen und ich werde sie gerne mit euch erörtern. Andernfalls sind wir hiermit am Ende unseres kurzen Ausfluges in die diversen Bauelemente der Tempelarchitektur angelangt.“

  • “Schreib das auch auf, Muckel!“, wies ich meinen Sklaven an, nachdem dieser mich fragend angesehen hatte. Offenbar hatte er mein Nachhaken darüber, wie man einen Tempel versetzte nicht ganz ernst genommen. Dennoch wurde mir diese Frage beantwortet, also sollte er sie auch festhalten. Doch was dann kam gefiel mir nicht sonderlich. Wie konnte dieser Meister auch nur andeuten, dass die Auguren den Kaisern nach dem Munde redeten. Ich hielt viel vom Flug der Vögel und von den Weisungen der Götter. Ohne Götter hätten wir nicht einmal eine Kultur gehabt, der wir unsere wahre Größe verdankten! Der Kultur und unserem militärischem Geschick. Rom war groß und das verdankte man nicht nur einige Männern, sondern vor allem auch den Göttern! Doch ich hatte gar eine Zeit nun beleidigt dreinzublicken. Immerhin ging die Lehrstunde schon weiter und folgsam lauschte ich, während meine Blicke zur Unterseite des Achitrays empor hob. Das war wirklich bezaubernd. Normalerweise schaute ich nicht oft nach oben, während ich einen Tempel betrat und auch sonst schien ich wohl ein arger Kretin gewesen zu sein. Wie gut, dass ich diesen Kurs besuchte, denn sonst wären mir wohl niemals die Augen geöffnet worden für diese wundervollen Dinge.


    Also atmete ich tief ein und aus und ließ das Ganze auf mich wirken, ehe es nun auch schon weiter ging. Mit dem Säulenabstand, und schon sinnierte ich über die Frage nach den gängigen Bauarten eines Intersolumniums. Fragend schaute ich Muckel entgegen, doch der wusste es offenbar auch nicht. Während der Meiser nun diese Frage beantwortete, schweiften meine Blicke verträumt zwischen den Säulen hin und her. Wahrscheinlich würde ich nun jeden Tempel mit anderen Augen sehen und ich würde mich gewiss auch im Tempel der Minerva umschauen, deren Aedituus ich war. Ich! Innerlich freute ich mich noch immer über diesen Schritt, denn ich dank der Kaiserin und meinem unhaltbarem Ehrgeiz gegangen war. Infolge dieses Gedanken lächelte ich glücklich, bis Muckel mich anstieß. Offenbar sollten wir uns nun in das Innere des Tempels begeben.


    Ich raffte mich auf und folgte der Gruppe. Innen angekommen, drehte ich mich einmal um meine eigene Achse und bewunderte die schiere, reine Kunst. Wieder schaute ich dann empor, dann tasteten meine Blicke an den Wänden entlang, der Weisung des Meisters folgend. Das alles war wirklich wunderschön. Die Erbauer hatten tatsächlich keine Kosten und Mühen gescheut und sich hier regelrecht verausgabt! Einen Moment lang schmachtete ich meinen Umgebung noch an, ehe mir dann doch noch eine Frage einfiel: “Wie lange hat es denn gedauert, diesen Tempel zu errichten?“ Wenn die Bauelemente aus der ganzen Welt kamen, dann musste es doch schon einen Moment gedauert haben.

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