Es war ein kühler Februartag, an dem Caius sich in einer Mietsänfte an den Rand des Forums tragen ließ. Dort entstieg er dem Transportmittel und strebte in Begleitung seines Sekretärs Polydorus der Rostra entgegen. Caius fröstelte. Nicht wegen der - für römische Verhältnisse - kühlen Luft, sondern wegen einer Aufregung, die er so noch nie verspürt hatte. Er wollte heute eine Rede zum Volk halten, um sich den Römern vorzustellen. Er, der für das Vigintivirat kandidierte, wollte sich den Leuten vorstellen, denen er hoffentlich demnächst im Tagesgeschäft begegnen würde. Als Tresvir Capitalis, Decimvir oder einer der anderen Amtsträger. Aber zuvor galt es eine Wahl zu gewinnen.
Zu diesem Zweck hatte er natürlich nicht nur seinen Sekretär dabei. Caius hatte einige Freunde und Bekannte eingeladen, seiner Rede beizuwohnen. Außerdem hatte er auch ein paar Anhänger der Veneta dazu motivieren können, heute auf das Forum zu kommen, um ihm zu lauschen. Und natürlich hoffte er auf die Anwesenheit seines Patrons. Das Forum Romanum war aber auch ohne diejenigen, die auf Caius' Anfrage gekommen waren, gut gefüllt. Ein paar Sonnenstrahlen brachen sich hier und da Bahn und der kühle Tag wurde etwas angenehmer. Viele Menschen hielten sich auch bei diesen noch wenig frühlingshaften Temperaturen im Stadtzentrum auf. Caius hoffte, dass sich auch einige Senatoren darunter befanden, die ihn hören würden.
Als Caius die Rostra bestiegen hatte, spürte er wie sein Magen vor Aufregung rebellierte. Jetzt bloß keine Peinlichkeiten! Er legte die Hand kurz auf das Rabenamulett, das er unter der Toga um den Hals trug - Wodan, steh mir bei. Einer seiner Sklaven verschaffte ihm nun das Gehör der Menge:
"HERGEHÖRT! Caius Duccius Callistus wird nun zu euch sprechen! Er kandidiert für das Vigintivirat!"
Caius nickte dem Sklaven zu, trat einen Schritt vor und sah von der Brüstung der Rostra über die Menge hinweg. Einige Leute hatten tatsächlich innegehalten. Sie warfen neugierige Blicke hinauf auf das Rednerpodest. Sie sahen dort einen jungen Mann in schlichter Toga ohne Färbung, auf der der frisch verliehene Latus Clavus gut zur Geltung kam. Caius war von unbändigem Stolz auf die Verleihung erfüllt. An seiner rechten Hand war der duccische Siegelring zu erkennen, sonst trug er keinen Schmuck. Er war bemüht, keine Aufmerksamkeit durch sein Auftreten auf sich zu ziehen, sondern wollte durch seine Worte überzeugen. Und das tat er dann auch:
"Ihr Römer, hört her!
In Kürze finden die jährlichen Wahlen für die Ämter des Cursus Honorum statt. In diesen Tagen sind Sicherheit und Ordnung wieder in aller Munde. Nicht lange ist es her, da wurde Rom von Feuer und Tod heimgesucht. Ich sage, als Staatsmann ist man unserer Res Publica dazu verpflichtet, Recht und Gesetz hochzuhalten, um Misse...Missetaten zu strafen und Randalierer abzuschrecken! Die Tresviri Capitales sind als niedere Amtsträger dazu berufen, für die ordnungsgemäße Vollstreckung von Urteilen zu sorgen und auf den Straßen Diebstähle und Schlägereien einzudämmen!"
Kurze Pause, tief einatmen, ein Blick über die Menge. Jetzt bloß nicht den Faden verlieren. Was kam als nächstes? Missetaten zu strafen. Strafen. Genau!
"Doch nicht nur Strafe ist wichtig. Recht und Gesetz umfassen auch Erbstreitigkeiten. Was hilft mir eine Erbschaft, wenn ich so lange auf ihre Auskehr warte, bis ich arm bin?"
Nochmal eine kurze Pause, bevor er verkündete:
"Mein Name ist Caius Duccius Callistus, Sohn des Eques Imperii Numerius Duccius Marsus. Ich kandidiere für das Vigintivirat und ich verspreche euch, dass ich mich für die Durchsetzung von Recht und Ordnung einsetzen werde!
Ich stamme aus Mogontiacum in der Provincia Germania Superior. Dort erhielt ich das... das Rüstzeug, um den Cursus Honorum zu beschreiten, wozu neben der Rhetorik insbesondere eine juristische Bildung zählt. Ich will mich dafür einsetzen, dass rechtstreue Römer wieder gut und gerne in der Urbs Aeterna leben können. Sei es als Decemvir Stlitibus Iudicandis oder als Tresvir Capitalis: Mein Name steht für die schnelle Durchsetzung eurer Ansprüche. Verschleppte Prozesse und quälende Wartezeiten sind zu verhindern. Mein Name steht für die Bestrafung krimineller Subjekte in unseren Straßen. Stehlende Sklaven, prügelnde Säufer, Mörder, Betrüger dürfen wir nicht tolerieren!"
Puh, da hatte er sich nun in Rage geredet. Zum Glück, denn sonst hätte er vor Aufregung wohl beinahe seine Zunge verschluckt. Auch so hatte er ein, zwei Mal kurz gestockt und nach dem nächsten Wort suchen müssen. Aber bislang war alles ganz gut gegangen. Auch die klassischen Vorurteile gegen Sklaven und die langsame Verwaltung hatte er seinem Empfinden nach gut untergebracht. Jetzt musste er nur noch zeigen, dass er sich nicht allein auf die Juristerei verstand. In etwas gemäßigterem Ton verkündete er daher:
"Aber auch als Tresvir aere argento auro flando feriundo oder Tresvir viis in urbe purgandis würde ich mich nach bestem Wissen und Gewissen in den Dienst der Res Publica stellen. Es kommt nämlich nicht darauf an, welche Aufgaben mir am meisten liegen oder welche ich gerne erfülle. Es kommt einzig darauf an, was der Res Publica nützlich ist und den Menschen, die in unserem Reich leben. Würde mir die Münzprägung oder Straßenreinigung angetragen, so würde ich auch diese Aufgaben mit Tatendrang und Hingabe angehen, denn das ist es, was unsere Res Publica groß gemacht hat."
Nochmal ein kurzes Innehalten, bevor Caius schließlich endete:
"Darum, ihr guten Leute, sagt es weiter: Caius Duccius Callistus zum Vigintivir! Sagt es eurem Nachbarn, sagt es eurem Patron. Danke! Die Götter mögen euch schützen!"
Damit trat er einen halben Schritt zurück, winkte kurz in die Menge und holte erstmal tief Luft, um seinen Magen zu beruhigen. Sein Sekretär raunte ihm ein paar aufmunternde Worte zu. Einige Leute applaudierten, andere unterhielten sich angeregt über seine Worte - oder über sein Aussehen?
Es dauerte einen Moment, bis Caius wieder klar denken konnte, da schob Polydorus ihn schon von der Rostra herunter in die Menge. Hände schütteln, Lächeln, Komplimente verteilen, Lächeln, noch mehr Hände schütteln. Caius musste sich bekannt machen, also musste er von vielen Leuten gesehen werden. Natürlich hielten seine Wahlkampfhelfer dabei explizit nach wichtigen Personen ausschau, die man womöglich ins Gespräch verwickeln konnte. Der einfache Römer hatte immerhin für gewöhnlich keinen direkten Kontakt zu einem Senator. Und auf deren Stimme kam es letztlich ja an. Caius jedenfalls würde noch einige Zeit auf dem Forum verweilen und seinen Namen so oft sagen, bis er ihn selbst nicht mehr hören konnte.