Domus Cornelia | Pacta sunt servanda oder die flavisch-cornelische Hochzeit

  • Bevor der Bräutigam antworten konnte, ergriff sein Vater das Wort. Menecrates wandte seine Aufmerksamkeit dem älteren Flavier zu und zeigte sich überrascht. Er kannte viele Menschen, die dem Regen nichts abgewinnen konnten und gerade hörte er noch eine andere Begründung, weswegen Regen auch schöne Eigenschaften besaß.


    Er nickte deutlich, um seine Zustimmung zu signalisieren. Sprechen mit vollem Mund endete häufig genug in einem Desaster. Vor seinem bildlichen Augen sah er den Straßenstaub hinabfließen und unwillkürlich nahm er einen tiefen Atemzug.


    "Deine Aussage besaß nicht nur Richtigkeit, sondern auch Poesie", stellte er fest, nachdem sein Mund leer war. Er wollte noch etwas erwidern, aber Ovius Lyso kam ihm zuvor. Wieder nickte Menecrates, um anschließend der Reaktion des Brautpaares zu harren.


    Gracchus Minor erinnerte ihn an die Zeit in Germanien, indem er auf Geschichtliches verwies. Wieder musste er nicken und als der Kaiser eine Anekdote über Wetterunbilden beisteuerte, lachte Menecrates auf. "Damals, in Germanien... Ein Schritt neben dem Weg und der Fuß wird nach Regengüssen in Windeseile in den Erdboden gesogen. Man muss das selbst erlebt haben, es ist schwer vorstellbar. Vor allem aber", er hob den Zeigefinger, bevor er weitersprach, "germanischer Wald und Regen… ein Genuss für die Sinne. Duftender Wald…" Er blickte zwischen dem Kaiser und Gracchus Minor hin und her. "Besitzt ihr Erinnerungen diesbezüglich?" Menecrates wusste vom Tribunat des Jüngeren. Auch dessen Verhandlungserfolge hatte er sich gemerkt. Während der Kaiser seine Rergenerfahrungen selbst äußerte. "Schlussendlich bedeutet der jetzige Regen, dass der Brautzug bei qualitativ besserer römischer Luft stattfinden wird als sie es bei Trockenheit ist." Damit blickte er zur Braut, um sie mit einzubeziehen.

  • Die Erwähnung des germanischen Waldes erweckte in dem jungen Flavius Reminiszenzen an zahllose Märsche durch die Dickichte jener Vegetation, entsann sich jenes Duftes nasser Bäume, welchen der Claudius lobte, jedoch ebenso der Unannehmlichkeit durchtränkter Kleidung bei kühlen Temperaturen.
    "Durchaus!"
    , konfirmierte er somit und fügte an
    "In Sommertagen durchaus erquicklich, doch im Herbst, Lenz und Winter kreucht der Regen bis unter die Haut und scheint geradehin von innen heraus zu kühlen."
    Er blickte hinauf zum Gebälk, wo noch immer das monotone Klopfen der Regentropfen war zu vernehmen.
    "Wie gut, dass wir die Hochzeit nicht in den Winter gelegt haben."

  • Das Dessert war soeben abgetragen worden, als der Herold hereintrat, sich vor der festierenden Gemeinschaft verneigte und mit klarer Stimme erklärte:
    "Die Venus ist aufgegangen!"
    Dies war das Zeichen für den finalen Schritt des Rituals: der Domum Deductio der Braut. Nichts an diesem Tage fürchtete Manius Minor mehr als diesen Schritt, implizierte er doch diverse Probleme, welche zu extinguieren auch seinem getreuen Patrokolos impossibel waren: So würden einerseits sie durch das nächtliche Rom schreiten müssen, was für den fehlsichtigen Gracchen die Gefahr zu stolpern oder zu stürzen und sich damit zum Gespött der gesamten Gesellschaft zu machen, mit sich brachte. Hinzu kamen die Spottverse, welche zu diesem Anlass zu singen gepflogen wurden und in dem Jüngling die Furcht erweckten, man würde die augenscheinliche Hässlichkeit seiner Angetrauten offen thematisieren, was zweifelsohne sie noch scheuer und furchtsamer würde erscheinen lassen. Schließlich symbolisierte dieser Zug jedoch die letzte Station vor dem Vollzug der Ehe selbst, welche ihm am meisten Bedenken bereitete, da er sich außerstande sah, Begehren für Cornelia zu erwecken, sodass die Hochzeitsnacht zwangsläufig würde desaströs enden müssen.


    Hatte das Gastmahl mit der erquicklichen Konversation seinen Trübsinn ein wenig gemindert (insonderheit ob des Umstandes, dass Cornelia Philonica kaum sich hatte beteiligt), kehrten Melancholie und Furcht somit rasch zurück, als er sich erhob und die jüngeren Gäste sich um ihn scharten, um die Braut ihrer nächsten Verwandten, der Gattin Scapulas, zu entreißen.
    "Auf, Flavius, holen wir uns deine Braut!"
    , rief Lucretius Carus vergnügt und schob den jungen Gracchen vorwärts, sodass er mäßig lustvoll den Arm seiner Gattin ergriff und sie nach kurzem Widerstand zu sich zog, woraufhin scherzhaft die Braut rief:
    "Zu Hilfe, Onkel Scapula!"
    Dem jungen Flavius erschien dieser Raub indessen als ein ridikulöser Brauch, welchen zwar manch volkstümlicher Narr lustvoll zelebrierte, doch insonderheit in seinem Falle ihm als groteske Verkehrung der Wahrheit sich darbot, da doch jener inszenierte Raub einer ungestüme, zweifelsohne erotisch konnotierte Begierde Ausdruck verlieh, derer er gänzlich entbehrte. Vielmehr hätte er noch Stunden und Tage sich in den vergnüglichen Gesprächen des Brautmahles ergehen können, um jene Stunde zu prokrastinieren, in welcher er allein mit seiner Gattin würde sein müssen.
    "Talassio!"
    , rief bereits Cornelius Philonicus, der Bruder der Braut und klopfte seinem Schwager auf die Schulter.

  • Nachdem nun die Braut ihren Platz an der Seite ihres Gatten hatte gefunden, formierte sich der Brautzug. Als die drei Knaben, welche aus der Verwandtschaft der Cornelii stammten und somit Manius Minor weithin unbekannt waren, ihren Platz einnahmen, dachte er zurück an seinen eigenen Dienst auf jenem Posten, welcher Jahrzehnte zurück lag. Noch trefflich vermochte er den heiligen Ernst zu memorieren, mit dem er die Hochzeitsfackel getragen hatte und die Unkenntnis über jene Dinge, welche die Spottverse auf dem Zuge thematisierten. Inzwischen war jene infantile Unschuld von ihm gewichen, das vorwitzige Unwissen war durch eine allzu genaue Kenntnis der Geschehnisse ersetzt worden, die in jenem vor ihm liegenden Tête-a-tête die Gefahr des Versagens identifzierte. Schon bei seinem ersten Mal mit einer überaus ansehnlichen Lupa, jener mysteriösen Morrigan, deren Weg sich kürzlich wieder mit dem seinen hatte gekreuzt, hatte seine Virilität ihn für eine ganze Weile im Stich gelassen und seither war derartiges mit mancher Sklavin selbst in seinen sorgenfreien alexandrinischen Tagen geschehen, weshalb er geradehin gewiss war, dass dies bei der unattraktiven Cornelia neuerlich der Fall würde sein. Er wusste von Giftmischern, welche Mittel zur Hebung der Potenz vertrieben, doch hatte er bisher nicht gewagt, derartiges zu erwerben, zumal die Medici überaus kontrovers über deren Wirksamkeit disputierten.


    Womöglich ließ der Vollzug der Ehe jedoch sich ohnehin prokrastinieren, wie der junge Gracche beim Betreten der Straße sich dachte, als der unvermindert prasselnde Regen ihn schlagartig aus den Gedanken riss. Sogleich eilte Patrokolos herbei und hielt über das Brautpaar einen Sonnenschirm. Dennoch befahl Philonica sogleich:
    "Einen Mantel!"
    Zweifelsohne wollte sie ihr sorgsam gewirktes Kleid und ihre aufwändig geordnete Staffage vor dem Verlaufen bewahren, während Manius Minor mitnichten bemüßigt sich fühlte, dem Regen weiter Resistenz zu leisten. Mochten die Temperaturen durch die permanente Humidität dieses Tages abgekühlt sein, so fröstelte ihn kein bisschen ob der externen Umstände.
    Dennoch würden sie sich eilen müssen, um nicht allzu durchnässt die Villa Flavia Felix zu erreichen.

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