[Nabataea] Die Rote Stadt – Man lebt nur zweimal

  • [Blockierte Grafik: https://www.bilder-hochladen.net/files/m625-5-f16f.jpg]| Viriates, der Karawanengehilfe


    Reqmu. Hoch über den roten Felsen flirrte die Hitze, doch im Schatten der hochaufragenden Felswände war der Weg erträglich. Aus den in den Stein geschlagenen Türen und Toren der Höhlen-Geschäfte, -Tempel und -Wohnungen war sogar dann und wann ein kühler Hauch spürbar. Weiter draussen, auf den umliegenden Terassen, drängten sich die kuppeligen Dächer der Steinhäuser, die noch immer an Nomadenzelte erinnerten.
    Oder an Maulwurfshügel. Und wie schon so oft, geriet ich darüber in das alte Grübeln: Wir müssen einen Maulwurf gehabt haben. Oder war es doch einfach nur verdammtes, exorbitantes Pech gewesen? Fortunas übellaunigster Tag? Die Pfeile waren parthischer Machart. Hatten zumindest genauso ausgesehen. Wie auch immer. Die Mission war gegen die Wand gefahren, gute Männer über dem Styx, Gamilat und Obodas wahrscheinlich längst "Gäste" in Ktesiphon, und ich....
    ... ich führte soeben einen Esel am Strick, von der Karawanserei aus über die Kolonnadenstraße, mitten durch das Menschengewühl aus aller Herren Länder, das sich hier in der Hauptverkehrsader drängte, flanierte, hastete, handelte, schwatzte, grüßte, schimpfte, sattbunt gekleidete Städter, hellenistisch drapierte Damen, sehnige Reiter im ausgebleicht wallenden Burnus, Mohren von nahe-des-Feuergürtel, Händler aus Punt, deren Kopfschmuck hell klimperte, bei jedem auf und ab ihrer ornamentalen Sänften.
    Phlegmatisch trottete das Tier hinter mir her. Ich behielt die Packtaschen im Blick. Unter meinen weiten Gewändern, die sich in ihren Ocker- und Rostfarben kaum vom Gestein abhoben, trug ich das kurze Krummschwert, ganz ähnlich wie eine Falcata, ein vertrautes Gewicht an meinem Rücken. Ein Leinentuch hatte ich um den Kopf gewunden, darunter quollen Haar und Bart lang, dabei sorgfältig geölt, hervor. Ich fügte mich hier mittlerweile nahtlos ein. Das Langohr fester fassend wich ich einem Kamelwagen aus, verharrte dabei kurz neben einer Baustelle, wo schneeweiße, offenbar importierte, Mamorblöcke neben einem festen Bambusgerüst aufgetürmt waren.
    Man hätte fast glauben können, in Antiochia oder in Alexandria zu sein (wenn man sich die Felswände wegdachte) an Warenvielfalt und Reichtum stand Reqmu diesen nicht nach. Kostbare Spezereien, Weihrauch, Myrrhe, Seide, Silber und Juwelen, Wagemut und Investitionsfreude waren das Blut, das kraftvoll durch die Adern dieser Stadt pulste.
    ...Und an ein Adergeflecht erinnerten natürlich auch die ausgeklügelten Bewässerungssysteme, Zisternen, Hoch- und Tiefleitungen und Brunnen die es erlaubten in dieser sonnenverbrannten Hügelöde zu existieren, ja nicht nur den Durst von Mensch und Tier zu stillen, auch luxuriöse Wasserspiele, Bäder und märchenhafte hängende Gärten (in den Anwesen der reichen Handelsherren, versteht sich) zu versorgen.



  • Auf einen solchen Felspalast hielt ich zu. Das monumentale Eingangsportal war geziert von gemeißelten Löwen und Mushussu, die drohend den doppelgehörnten Schlangenkopf und den Skorpionschwanz reckten. Zu Anfang meiner Zeit in der Stadt hatte ich mich – obschon als Bürger der Urs Aeterna an Grandiosität gewöhnt – arg zusammennehmen müssen um diese kolossalen aus dem Feld gemeißelten Bauwerke nicht mit offenem Mund zu bestaunen. Reqmu war ein Weltwunder, aber man gewöhnte sich eben an alles.


    Ich bog jedenfalls ganz bescheiden ab und führte den Esel zum Lieferanteneingang.
    "Baal-Dushara mit euch, ich bringe den weißen Weihrauch von Sospitos für die Herrin."
    Sie kannten mich, ließen mich ein. Im Innenhof mußte ich eine Weile warten, tränkte derweil den Esel und tauschte (gebrochen in der Landssprache) ein paar Floskeln mit einem der Torwächter, unterhielt mich dann auf Koine mit einer reisenden Singvogelverkäuferin, auf deren Handkarren aus abgedeckten Käfigen melodisches Zwitschern klang. Sie kam von Süden, sprach von Überfällen auf der Reise, bei Sadaqua sei eine ganze Karawane einfach spurlos verschwunden. Das hörte man öfter, in den königslosen Verhältnissen, wo die Machtkonstellationen von Stadtoligarchen und "Schutzherren" verschiedener Stämme sich in rascher Folge abwechselten. Ich fragte sie weiter aus, über Straßenverhältnisse und Gerüchte, bis der 'Maiordomus' des Hauses Zeit für mich hatte.


    Er prüfte meine Lieferung, wog genauestens nach, wobei seine schwerlidrigen Augen mit professionellem Mißtrauen an den feinen Gewichten auf der Waagschale hafteten, er prüfte die Konsistenz zwischen Daumen und Zeigefinger, verbrannte eine kleine Probe, fächelte, roch, schmeckte.
    "Es handelt sich um die beste Qualität, versicherte ich ihm auf Koine, "höchste Reinheit, ambrosianisches Räucherwerk, dem Atem der Götter gleich, nur das Beste für den erlesenen Geschmack deiner hohen Herrin, dafür garantiert das Handelshaus Sospitos mit seinem guten Namen, nur acht Maliki pro Unze."
    "Acht?! Ist dein Geist in der Sonne verglüht?! Beim letzten Mal waren es fünf."
    "Wie dir bekannt ist werden die Zeiten immer härter! Säbelbleckende Raubhunde schnappen nach den Handelszügen, gerade erst ist eine ganze Karawane bei Sadaqua den ruchlosen Würgern zum Opfer gefallen. Alle mausetot! Ja, und trotzdem wagen wir uns immer wieder aufs neue in die grausigen Einöden, kämpfen uns durch die Räuberhorden, trotzen Hunger, Durst, Entbehrungen, Wüstengeistern, unter jedem Stein eine Giftschlange um die edelsten Kostbarkeiten deiner Herrin zu Füßen zu legen! Sospitos ist großzügig, oh, weit wie der Himmel ist sein Großmut, und hell wie Al-Laats blitzendes Auge lodert seine Verehrung für deine noble Herrin - aber verschenken, nein verschenken wird er seine Ware nicht!"
    "Hier gibt es Einsprengsel." behauptete er, einen Weihrauchtropfen kritisch gegen die Sonne haltend, "Mehr als sechs pro Unze ist ausgeschlossen!"
    So ging das hin und her, bis wir uns erwartungsgemäß einig waren, er mir die Münzen hinzählte, und wir mit den besten Empfehlungen voneinander schieden.


    Wieder machte ich mich auf den Weg durch die Stadt, lieferte weitere Waren aus, die Packtaschen leerten sich, während mein Geldgürtel schwerer wurde. Nicht zum ersten mal war da natürlich der Gedanke, mit der Summe das Weite zu suchen, ein trittsicheres Ross zu stehlen, es mit Glück über Sela und Mampsis bis Iudaea zu schaffen, oder über Aila nach Aegyptus. Mit sehr, sehr viel Glück.
    Die Schatten lagen schon lang, dunkelrot, in den Straßen, als ich zuletzt mit müden Füßen, staubtrockener Kehle, wachsam die Umgebung im Blick behaltend, den Esel zurück zur Karawanserei führte.




  • Sospitos, der Weihrauchhändler| [Blockierte Grafik: https://www.bilder-hochladen.net/files/m625-7-d04a.jpg]



    In Sospitos' Kontor lieferte ich ihm die Einnahmen ab.
    "Gute Arbeit, Viriates" befand er. Obgleich seine Miene unter dem schweren Stirnschmuck stets so grimmig war wie einstmals die unseres Primus Pilus, in Wort und Handeln zeigte sich der Händler für gewöhnlich recht jovial. Was ihn natürlich nicht davon abhielt, säumigen Schuldnern diverse Körperteile abhacken zu lassen. Das war hier so üblich. Mit ein Grund, der mich von einer tollkühnen Flucht abhielt.
    Er zählte, klackte auf seinem Abakus, trug die Ziffern im Geschäftsbuch ein und legte meinen, gegenüber der Hauptsumme leider verschwindendst geringen Anteil beiseite. Mein 'Peculium' sozusagen dachte ich, nach all der Zeit noch immer ärgerlich doch vor allem beschämt.
    "Soll ich es für dich verwahren?"
    "Diesmal nicht." Ich brauchte neues Schreibmaterial.
    "Mir solls recht sein." Zufrieden strich er sich den Bart, der von Duftölen getränkt wie ein Wasserfall von seinem weichen Kinn aus in Kaskaden auf den reichbestickten Schmuckkragen seines Burnus fiel. Natürlich war es ihm recht, je länger ich brauchte um mich aus der Schuldknechtschaft auszulösen, um so länger profitierte er von meiner Arbeitskraft.
    Händlerhandlanger! Ich! Oh, wenn das Tante Lucilla wüßte... Überaus blamabel – Aber naja, deutlich besser als tot, oder in der Hand parthischer Folterer. Und es gab ja auch den ein oder anderen Lichtblick:
    "Jarsiot und ich wollen morgen..." Es war Mishmele-Tag, das bedeutete: keine Geldgeschäfte. "...jagen gehen."
    "In Ordnung. - Sieh es mal so, du lernst hier von der Pike auf." erklärte er gutmütig. Später, da kannst du dann mal dein eigenes Geschäft gründen, dann kennst du alle Kniffe, wirst sehen."
    "Ja, das wäre schön." heuchelte ich, stellte mir vor der Weihrauchkönig von Tarraco zu sein. Ganz großartig.
    "Gute Jagd, fallt in keine Schlucht, seid rechtzeitig zurück. Übermorgen gehts gen Humima, und dann weiter nach Mada'in Sali ."


    Ich verbrachte den Abend im Innenhof der Karawanserei, trank etwas Dattelwein mit den anderen Gehilfen und Knechten, Karawanenwachen und Kameltreibern, eine bunt zusammengewürfelte Truppe, spielte ihnen ein Liedchen auf meiner Syrinx, schärfte dann meine Pfeilspitzen und mein Krummschwert. Der Weg nach Humima führte über Sadaqua.
    Später in meiner kleinen Felsenkammer vervollständigte ich beim Licht einer Öllampe meine Notizen. Sie waren mittlerweile überaus umfassend, mit Lageplänen und Karten, natürlich codiert soweit möglich. Am morgigen Tag wollte ich, die Jagdpartie zum Vorwand nehmend, mir mal noch genauer ansehen wie die Hauptzisterne oberhalb der Stadt zugänglich war.
    Die tiefe, enge Schlucht, die auf dem einzigen ordentlichen Zugangsweg zu passieren war, machte die Stadt auf herkömmlichem Weg natürlich fast uneinehmbar...
    Sinnierend fuhr ich über die feinen Linien der Hügel und Pfade, sah hier eine mögliche Heerespassage, dort einen Platz prädestiniert für eine Castra, vielleicht auch eine permanente... und schüttelte den Kopf, rollte seufzend alles wieder zusammen, versteckte es zwischen den doppelten Schilfrohren meiner Zweit-Syrinx. Das fabelhafte Speculatorendossier war gestrandet in der Fremde, zusammen mit seinem fabelhaften Ersteller, und ebenso nutzlos wie dieser.




  • Die Nacht war unruhig, in meinen Träumen raste wieder und wieder eine Lawine von Geröll, grau und grollend auf mich zu, meine Beine wie Blei, und dann war es auf einmal wie am Chaboras, es brannte, kein Durchkommen, Schreie, zuletzt glaubte ich mich wieder dem Ansturm der Panzerreiter gegenüber, behelmt, einer von tausenden, ein kleines Stück Menschenmaterial, panisch, eingekeilt zwischen Comilites, ein Scutum im Rücken das mich vorwärts drängte, keine Flucht erlaubte, und "Faustus, wir sehen uns dann auf der anderen Seite!" rief Lucullus, bevor die Lawine von Eisen und Tod mit unsagbarer Wucht auf uns prallte und uns zermalmte. Ich erwachte von meinem Schrei, naßgeschwitzt und bebend, trank in tiefen Zügen aus dem Tonkrug neben meiner Schlafmatte.
    Obgleich ich hier das Leben eines anderen führte, mein altes Ich allein aus Überlebensgründen in mir zu versiegeln bemüht war und und tagsüber so wenig wie möglich an die ferne Heimat zu denken versuchte... die Albträume waren noch immer fast die gleichen wie dort, früher, damals.


    Und in den schlaflosen Stunden vor dem Morgengrauen schweiften meine Gedanken dann natürlich doch wieder nach hause und zum hätte ich doch nur und wäre ich doch nicht.
    Hätte ich die vermaledeite Mission doch an einen Tribun delegiert. So kurz vor der geplanten Hochzeit. Welcher Daimon hatte mich nur geritten. Kein Felsenreich, und mochte es noch so krösusgleichen Reichtum und strategische Vorteile mit sich bringen war das wert... jedenfalls nicht solange man es nicht gewann. Hätte ich doch die Geheimhaltung noch strenger gewahrt! Wer hatte uns verraten... ein "Kamerad" gekauft von den Schergen des Shah-in-Shah? Ein kaiserlicher Scriba mit doppelter Gehaltsliste? Ein aufstiegshungriger Tribun? Ein später Rächer?


    Meine arme, arme Verlobte, da war sie noch vor der Eheschließung schon vom Schicksal so vieler Decimer-Frauen erwischt worden – warten und bangen. Ich hoffte nur, dass sie genug praktischen Sinn besaß, um sich anderweitig umzusehen solange ihre Jugend noch in Blüte stand. Eine tugendhafte Penelope, die zehn Jahre lang an der tunica recta webte, das war zwar eine romantische Vorstellung, wäre an mich aber verschwendet.
    Die Wahrheit war ja auch – die Mission war mir nicht gerade unwillkommen gekommen. Denn meine menage à trois hatte sich in der Praxis als deutlich komplizierter als in der Theorie herausgestellt, Borkan und ich hatten uns entfremdet, neben der Verantwortung und Bürde meines Postens hatte ich seinen Befindlichkeiten wohl nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt, ja und dann noch das große Drama nur wegen meiner Saturnalieneskapade...
    Leidig zog ich mir die grobe Wolldecke übers Gesicht. Das war alles lange her und sehr weit weg. Mein Rücken schmerzte, ich wälzte mich hin und her auf der Suche nach einer erträglichen Position.
    Hätte ich mich doch bloß mit meiner Schwester versöhnt, mit meiner lieben Seiana, solange ich dies noch gekonnt hätte.
    Hätte ich doch einfach alle Pflicht zum Hades fahren lassen und wäre mit Manius 'durchgebrannt', hätte ich doch diesen einen einmaligen Moment beim Schopfe gepackt als er sich bot, anstatt kleinmütig vor ihm zurückzuscheuen, ich Tonto... dann würde ich jetzt in Manius' Armen auf der Terasse einer Landvilla, auf weißen Klippen, unter Palmen, über azurblauem Meer, Falerner schlürfen und Meeräsche schlemmen... dann der Liebe frönen... und dann, oh ja, dann vielleicht zusammen eine avantgardistische Theatervorführung besuchen...
    hätte...
    wäre...
    wenn...




  • [Blockierte Grafik: https://www.bilder-hochladen.net/files/m625-5-f16f.jpg| Viriates, der Karawanengehilfe

    und Jarsiot, der Jägersmann |  [Blockierte Grafik: https://www.bilder-hochladen.net/files/m625-6-526d.jpg%20]


    Frühmorgens brachen wir auf, zu zweit, auf drahtigen Pferdchen, Pfeilköcher und Bogen am Sattelknauf. Jarsiot ritt vorne weg, machte unterwegs an einer Kultsäule halt und umrundete diese zeremoniell... Sie verehrten hier mehrere Inkarnationen der Venus (und den Dionysos, den sie Dushara nannten), so wie ich das verstanden hatte, aber welche Heiligkeit genau nun gerade in den roten Steinquader hier drin wohnte entzog sich meiner Kenntnis. Jarsiot knüpfte murmelnd ein gelbes Band am Sockel fest, dann übernahm er wieder die Führung. An einer Bäckerei nahmen wir ein paar Fladenbrote mit. Wir verließen die Stadt durch die enge Klamm (so etwa hatte ich mir immer die Engstelle an den Thermopylen vorgestellt), schlugen dann einen Pfad in die Berge ein.


    Jarsiot war der jüngste Schwiegersohn des Sospitos, nobler Nabatäer. Auf einer Handelsreise am Ufer des großen Salzsees hatten wir Sandsturm und Sandflohplage gemeinsam überstanden, meuternde Kameltreiber gebändigt, das verband. Mittlerweile konnte man wohl von Freundschaft sprechen – eine assymetrische Freundschaft auf Basis von Täuschung, versteht sich, nichtsdestotrotz mit soviel ehrlicher Sympathie wie man sie sich... seinerseits als Edelmann gegenüber einem peregrinen Gehilfen, und meinerseits darauf spekulierend dass unser Imperium sich auch sein Barbarenland einverleiben würde... eben leisten konnte.
    Dies hatte viel dazu beigetragen mein Dasein hier erträglich zu machen, weniger niedere Tätigkeiten und mehr Vertrauensaufgaben zu bekommen.


    Zudem war er ausgesprochen heiß, durchtrainiert, mit nachtschwarzem Haar und feurigem Blick. Zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort hätte ich ihm gewiss Avancen gemacht, aber hier und jetzt wäre das eine mehr als dumme Idee gewesen. Die Leute hier waren (für mein Empfinden) zwar mal extrem frivol, dann aber wieder erschreckend prüde, ich war rechtlos, aufzufallen konnte erneut die feindlichen Geheimdienstler auf meine Spur bringen, und Überleben stand auf meiner Prioritätenliste ganz oben!


    Und darum, schäfte ich mir erneut ein, war ich tagsüber nur: Viriates. Ich war ein anstelliger Händlergehilfe. Ich arbeitete daran meine Schulden zu tilgen. Ich träumte nur davon, irgendwann meinen eigenen Weihrauchhandel zu eröffnen und als gemachter Mann in mein heimatliches Alexandria zurückzukehren.
    Mein altes Ich hatte schon deutlich übleres überstanden, es würde auch dieses Intermezzo hier irgendwann hinter sich lassen, die Demütigungen und Entbehrungen würden abperlen wie Wassertropfen von einer Ente, ach was, wie die Asche vom Phönix, und das zerrupfte Gefieder würde neu geglättet...
    Bestimmt!
    ...
    Hoffentlich.
    ...
    Oder wenn nicht: so schlecht war das Leben des Viriates im Grund nun auch nicht, mal unter uns gesagt. Keiner verlangte viel von Viriates. In Viriates' Verantwortung lagen kleinere Eskorten, Lieferungen, Feilscherei. Niemand erwartete von Viridates dass er irgendwelche abartig hochgestochenen Familienerwartungen erfüllte, er hatte keinen heroischen Triumphatorenonkel und keinen reichsweit gerühmten Legatenvater, weder oblag ihm der Schutz von Leib und Leben des größten Herrschers der Welt, noch harrte seiner eine liebreizende Verlobte die er niemals würde glücklich machen können.
    Viriates war ein beneidenswerter Mensch, der heute mit seinem edlen Freund auf die Jagd ritt, der sich an der Weite des Himmels über ihm erfreute, an den rötlich-ocker-orange-glutfarben schroffen Zacken der Felsenberge um ihn, und an dem elastischen Muskelspiel des Pferdes unter ihm.


    Da, ein Hase! Er sprang aus dem Gestrüp, schlug einen Haken quer über den Pfad und hoppelte ins Geröll. Ich griff zum Bogen, Jarsiot hatte schon einen Pfeil auf der Sehne, ließ ihn losschnellen...
    Zack!
    "Erwischt!" Mit breitem Grinsen sprang er vom Pferd, packte das sauber getroffene Tier an den Löffeln.




  • Wir scheuchten noch ein paar Hasen auf, die uns aber knapp entwischten. Pfeil und Bogen waren seit jeher nicht gerade meine größte Stärke.
    "Wenn meine Jagdleoparden erst ausgewachsen sind, und trainiert, dann wird uns kein Getier mehr entkommen!" prahlte Jarsiat. Er hatte sich vor kurzem zwei - derzeit noch tapsige und wollknäuelige - kleine Gepardenkätzchen zugelegt, um sie zur Jagd abzurichten. Das gab es häufiger hier, auch in meiner Zeit in Alexandria hatte ich dies schon gesehen. Die Tiere konnten ganz zahm werden.
    "Sie werden schnellfüßig wie der Wind jedes Wild zur Strecke bringen. Hast du dich nun entschieden wie sie heißen sollen?"
    "Aretas und Nimrod."
    "Aretas war..."
    "...nach Aretas dem Vierten, Aretas dem Großen, der sein Volk liebte."
    Er begann mit seiner dunklen, klangvollen Stimme Verse zu zitieren, übersetzte mir fragmentarisch ins Griechische wie der kühne König Hedschas bis Haura und den ganzen Sinai für das Nabatäerreich hinzu erobert hatte, ja sogar in Judäa glorreiche Siege errungen hatte. Unsere Geschichtssschreibung sah das zwar etwas anders, doch die patriotische Begeisterung, die da aus ihm sprach, war allerliebst.
    "Wie lange ist das her?"
    "So achzig Jahre. Meiner Mutter Vater ist als junger Mann mit ihm geritten. Aretas der Große war ein wahrer König. Die danach kamen konnten ihm das Wasser nicht reichen."
    "Sagt man nicht immer, die Großväter gründen, die Söhne erhalten, die Enkel verspielen..."


    Die Aretiden waren nach meinen Informationen zuletzt ausgesprochen degeneriert, womöglich auch wegen der bei ihnen üblichen Geschwister-Ehen, vielleicht war es doch kein so großer Verlust für uns, dass sich die Parther an unserer Stelle den Sohn des verstorbenen Rabbel, unseres letzten Klientelkönig hier, unter den Nagel gerissen hatten. Es hieß er sei nicht ganz richtig im Kopf. Seine Mutter (und zugleich Tante) war aber ein anderes Kaliber.
    "Nun seid ihr ganz ohne König." gab ich zu bedenken. "Die Zeiten sind unruhig, die Straßen zerbröckeln, für den Handel ist das nicht gut."
    "Das ist noch immer besser als zuvor, unter einem Herrscher von rhomäischen Gnaden." entgegnete er stolz. "Du kannst das nicht verstehen, mein Freund, für euch geschmeidige Alexandriner zählt ja nur die klingende Münze, aber es gibt wichtigeres im Leben! Die Vasallenzeit ist vorbei, und das ist gut. Ausserdem: Tayim, meiner Mutter Cousin ist kurz davor die Versammlung der sieben mal sieben Edlen für sich zu gewinnen, das Votum der Priesterschaft hat er bereits, mein Schwiegervater investiert und die Banu Tulul stehen treu zu uns. Wenn Tayim die Königswürde erringt, wird eine neue Zeit alter Glorie anbrechen. Warum sollten wir nicht erneut das jasminumrankte Dimàsqa erobern, und das goldprangende Jerusalem! Mir hat er das Kommando über die königlichen Schützen zugesagt."
    Interessant. Aber die Fraktionen waren zahlreich.
    "Eine große Ehre mein Freund."
    "In der Tat. Vielleicht werde ich auch Verwendung für dich haben, ich überlege mir nämlich dann auch eine Einheit von Fremdländern ins Leben zu rufen. Warst du nicht mal Soldat?"
    Meine Narben ließen sich nicht verstecken.
    "Nur bei der Miliz." wehrte ich treuherzig ab, "Ich danke dir, aber weißt du, ich sehe mich in der Zukunft ja doch eher im Weihrauchgeschäft."





  • Zu Mittag stand die Sonne gleißend im Zenit, brannte mit brutaler sengender Hitze auf die zerklüfteten Felsen. Trotz unserer weiten Leinengewänder, und obgleich wir die Turbane aus unseren Wasserschläuchen befeuchteten, war die Hitze unerträglich. Kein Lufthauch wehte.
    Wir rasteten oberhalb der Stadt, an einem der in den Felsen gemeißelten "Aquädukte". Die reichten natürlich bei weitem nicht an die alles überragende Baukunst unserer römischen Wasserkonstrukteure heran. Aber sie funktionierten auch sehr gut. Beeindruckt lag mein Blick auf der Stadt in ihrem Talkessel unter uns - Reqmu, eine gigantische künstliche Oase, wie eine Fata morgana in dieser lebensfeindlichen Umgebung, wie ein funkelndes Kleinod von Rubin und Smaragd.


    Ich lockerte den verschwitzten Pferden die Gurte und tränkte sie, während Jarsiot es sich auf selbstverständliche Weise bereits im Schatten bequem machte. Er ergab sich der Mittagsruhe. Als die Augen ihm zugefallen waren, kämpfte ich die lähmende Hitzeträgheit nieder, nahm Pfeil und Bogen zur Hand und folgte der Wasserleitung ein Stück bergauf.
    Kleine rote Steinchen knirschten unter meinen Füßen. Die Leitung ging als geschlossene Terrakottaröhre weiter. Ich kraxelte um einen Felsen herum, einen steilen Hang hinauf, mich keuchend an Steinvorsprüngen und spärlichem Gestrüp festhaltend. Der Schweiß perlte mir in die Augen.
    Dann erreichte ich ein Stufenplateau, hörte Wasser rauschen. Ein klarer Quell sprudelte aus einer Felsspalte, floss in eine gemauertes Reservoir, um dann durch die Röhre, der ich hinauf gefolgt war, die Stadt zu versorgen. Sattgrünes Gewucher umrahmte die Quelle, und eine Art von violetten Lilien, mit messerförmigen Blättern, beugte sich zu der sonnenflirrenden Wasseroberfläche, als wollten sie sich vor diesem Geschenk der Natur verbeugen. Ich ging ebenfalls auf die Knie und schöpfte das Wasser, trank ausgiebig. Es war ein wildromantischer Ort. In einem homerischen Hymnus wäre diese Quelle gewiss Wohnstatt einer Najade gewesen.


    Doch sobald ich wieder zu Atem gekommen war, schenkte ich der Naturschönheit keine Aufmerksamkeit mehr, ich trat zum Rand des Plateaus, folgte dem Verlauf der Leitung mit den Augen bis zu einem Zusammenfluß im Tal, den ich vor Wochen bereits ausgespäht hatte. Aus meiner Gürteltasche zog ich dann Papyrus und Kohlestift, skizierte den Verlauf hinein in den größeren Plan, den ich Stück für Stück zusammengetragen hatte.
    Schwachstellen.
    Sollten hypothetische Belagerer der Stadt die Wasserzufuhr(en) abschneiden, würde das blühende Reqmu verdorren. Natürlich würde dies die einfachen Leute als erstes treffen, denn die vornehmen Häuser verfügten über private Zisternen und würden sicher eine Weile ausharren können. Aber nicht ewig. Ein Druckmittel war es allemal. Gute Logistik wäre entscheidend – sowie die Reaktion der unberechenbaren Nachbargroßmacht... Ich riß mich los von diesen gedanklichen Eroberungsszenarien, die wohl noch ein wenig verfrüht waren, verstaute den Plan sorgfältig in einer verdeckten Innentasche und machte mich auf den Rückweg.


    Als ich staubbedeckt an unserem Rastplatz eintraf, war Jarsiat schon wieder auf, sah mir ungeduldig entgegen.
    "Wo warst du?"
    "Da war ein Bock." fabulierte ich, "Ein großer! Ich wollte mich ranpirschen, aber er hat mich zu früh gewittert."




  • Wir ritten nach Osten, wieder bergab durch die Ausläufer der Felsenberge. Am späten Nachmittag dann fanden wir uns an deren Fuß, in einer Ebene mit feinrötlichem Sand, in der gigantische rotverwitterte Steinblöcke aufragten, wild übereinander getürmt als hätten hier in der Urzeit der Erde die Titanen mit Bauklötzen gespielt. Ein grandioser Anblick!
    Hier erblickten wir tatsächlich einen Bock, einen prachtvollen Gazellenbock, und hetzten ihn lange. Jarsiat war von Jagdfieber gepackt, eigentlich hätten wir längst umkehren sollen. Am morgigen Tag sollten wir schließlich mit der Karawane früh aufbrechen. Aber er schien gerade taub dafür.


    So herrlich es anfangs auch war, auf einem feurigen Pferd durch den Sand zu preschen – alsbald meldeten sich wieder meine Rückenschmerzen, wie letzte Nacht, und verleideten mir den Spaß. Ich hatte die schon seit Jahren, und jeder Medicus in Rom hatte mir immer nur gesagt, dass das eben der Preis dafür war, als Jüngling sub aquila wie ein Maultier bepackt durch die Lande gezogen zu sein... Was gäbe ich jetzt für eine Therme und eine wohltuende Massage...
    Mit verkniffenem Gesicht sah ich dem wilden nabaäischen Jäger hinterher, der einfach nicht aufgeben wollte, trieb mein Pferd wieder an und zockelte ihm hinterher.


    Zuletzt, da wurde es schon dämmrig, erwischten wir die Gazelle aber doch, nach langer Hatz wurden die eleganten Sprünge immer schleppender, wir holten das Tier ein und unsere Pfeile trafen. Von Schweiß und Blut überströmt brach es tot zusammen.
    Für den Rückweg war es heute schon zu spät, die Bergpfade waren im Dunkeln halsbrecherisch, so beschlossen wir wohl oder übel hier in der Ebene die Nacht zu verbringen und beim ersten Schimmer des Morgens eilig zur Stadt zurückzukehren.
    Sospitos würde nicht erfreut sein, wenn die Karawane wegen uns später loskam, so dachte ich bang bei mir, während ich das erlegte Wild ausnahm, stinkendes Gedärm entfernte. Ich säbelte aus dem Wild heraus was wir gleich essen wollten, knüpfte dann ein Seil um die Hinterläufe, warf das andere Ende über eine Felsnase und zog das Tier hoch bis es senkrecht in der Luft hing. Aus der aufgeschlitzten Kehle rann das letzte Blut, eine rote Pfütze. Ich rieb meine Hände mit Sand ab.
    Und wenn ich die Gelegenheit nutze? Mich einfach aus dem Staub mache?
    Wobei mein treffsicherer nabatäischer Freund dies gewiss nicht einfach machen würde.


    Während ich die Pferde versorgte, hatte Jarsiat einen Haufen Dorngestrüpp zusammengetragen. Er schlug mit Feuerstein und Stahl Funken und entzündete ein Lagerfeuer, abgeschirmt zwischen den Felsblöcken. Wir grillten uns Gazellenleber und -lende, das schmeckte, obgleich noch ziemlich roh, auf dem Fladenbrot ganz köstlich.
    Für weitere Fluchtgedanken war ich, so muß ich gestehen, an dem Abend dann einfach zu erschöpft. Wir rollten uns in die Satteldecken und lagen neben den Flammen, deren roter Widerschein huschte über die Felsen, zuckte und züngelte, warf verzerrte Schatten. Das Feuer brannte rasch herunter, bald glomm nur noch die Glut. Meinem Rücken ging es auch wieder besser. Über uns ersteckte sich der unglaublichste Sternenhimmel. So wie schon damals in Parthien und auf dem Feldzug gegen die Blemmyer im Dodekaschoinos war ich immer wieder aufs Neue fasziniert und hingerissen von der funkelnden Fülle der Sternenpracht am unendlichen Firmament.
    "Wer hat die Gestalten der Sterne geschaffen ..." klang in meinen Ohren ein fernes Echo des so oft gesungenen Hymnus.
    Unwillkürlich ging meine Hand zu der Stelle auf meiner Brust, wo ich immer mein Serapis-Amulett getragen hatte. Doch da war nichts mehr. Ich hatte es - zusammen mit meinem Mars-Ancilium-Amulett und meinem Eques-Ring - auf der Flucht vor den Attentätern abgelegt, um nicht so leicht erkannt zu werden, in großer Hast unter einem Stein im Wadi Ifdan verscharrt. Auch nach so langer Zeit fühlte die Stelle sich noch immer leer an.


    "Da ist der Schütze..." Ich deutete zu dem Sternbild über uns.
    "Da die Himmelsschlange."
    "Wo?"
    Jarsiat stützte sich auf einen Ellbogen auf und wies hinauf ins Sternenmeer.
    "Da.
    "Das? Das ist Theseus, im Kampf mit dem Minotauren. Hier der Helmbusch, und da die Keule..."
    So manches war ähnlich, dieses Reich war ja auch in vieler Hinsicht griechisch geprägt (sonst hätten Jarsiot und ich uns nicht unterhalten können), aber manches war auch komplett anders.
    "Du blinder Alexandriner," lachte Jarsiat, "siehst du nicht, dass das was du Keule nennst der Rachen der Schlange ist? Hier sind ihre Windungen, und dort der Anzu-Vogel, dessen Nest sie plündern will."
    "Diese Geschichte kenne ich nicht."
    "So höre: Einst wandelte die goldene Königin am Saum des himiyarischen Meeres. Da fand sie einen Hulupu-Baum, der von einem schrecklichen Unwetter entwurzelt worden war. Sie hob ihn auf und pflanzte ihn in ihren Garten. Denn sie wollte sich später einmal ein Bett und einen Throhn aus seinem Holz schnitzen. Doch zwischen seinen Wurzeln grub sich eine Schlange ein..."
    So erzählte er mir die alte Sage. Gebannt lauschte ich seiner dunklen Stimme. In der Ferne heulte ein Schakal. - Meinerseits erzählte ich ihm dann davon, wie Theseus mit seinem Ariadnefaden den Weg durch das Labyrinth des Minotaurus gefunden hatte und heroisch das Monstrum erschlagen.
    Dann lag Stille über unserem Lager.
    Und so langsam verstand ich, wie es manchmal dazu kam, dass Speculatores bei langen Einsätzen im Feindesland verloren gingen. Nicht im Sinne von umkommen, nein, dadurch dass sie, je weiter sie eintauchten in das Fremde, dort um so heimischer wurden, um so un-römischer, dort Freundschaften knüpften, sich verliebten vielleicht, die neuen Gefährten nicht verraten wollten und am Ende die alten Bande kappten, die alten Loyalitäten vergaßen. Ob mir das auch passieren könnte? - Nein, gewiss nicht....




  • Und wieder suchten mich wirre Träume heim. Und wieder raste die tödliche Front der parthischen Panzerreiter auf uns zu, und wieder stand ich zwischen den anderen Soldaten, hilflos eingekeilt, von Grauen erfüllt, und konnte nicht fort, als die zertrümmernde Woge über uns herein brach, mein Scutum weggerissen wurde, Holzsplitter und Blutstropfen durch die Luft wirbelten, Kameraden um mich herum starben. "Faustus, Faustus, wir sehen uns dann auf der anderen Seite!" klang Lucullus' Ruf in meinen Ohren.
    Und wieder fuhr ich auf. Es war noch stockdunkel und eiskalt dazu. Die Glut war erloschen. Nur ein Traum. Immer wieder nur ein Traum. Wir haben gesiegt. Ich bin am Leben. Nur ein Traum.
    Bebend zog die Pferdedecke ganz eng um mich und driftete schließlich wieder in einen flachen Schlaf.


    Aus dem erwachte ich durch eine Bewegung in meiner Nähe... ein Rascheln, eine leichte Erschütterung des Bodens, ein metallisches Geräusch.
    Verschlafen blinzelte ich ins Morgengrau. Ein Gesicht war nahe über mir, edle Züge, von schwarzem Haar umrahmt. Jarsiat war es, der da über mir kniete und mit stechendem Blick auf mich herabsah.
    Zuerst.... im ersten Augenblick... da dachte ich tatsächlich, noch so halb schlafumfangen, dass sich meine geheimen Wünsche plötzlich erfüllt hatten, dass Cupido mir unversehens eine große Gunst erwiesen hatte und eine verbotene Leidenschaft für mich in dem feschen Nabatäer entfacht hatte....
    Dann spürte ich den kalten Stahl an meiner Kehle.
    Oh.
    Erschrocken riss ich die Augen auf.
    "Was bei allen Göttern... -"
    "Ja, was bei allen Göttern" schnitt er mir hitzig das Wort ab, "ist das hier, hm?!"
    Es raschelte wieder, als er in der linken ein Papyrusblatt schwenkte. Dieses kam mir auch im fahlen Morgenlicht sehr bekannt vor. Meine Skizze. Meine Aquäduktskizze. Wie zum Hades war sie ihm in die Hände gefallen? Er mußte meine Tasche sehr genau durchsucht haben, um das zu finden.
    "... Was soll der Blödsinn? Was ist in dich gefahren, Freund, welcher Djinn hat dir den Sinn verwirrt?!" begehrte ich auf, blieb dabei jedoch starr wie ein Stein. Sein Dolch drückte empfindlich in die weiche Grube unter meinem Kinn. Ich schluckte trocken. Ganz ruhig. Ruhig Blut, Faustus.
    "Dann sag mir doch mal – Freund Viriates - warum du hier unsere Quellen kartographierst." forderte er mich schneidend auf.
    Bona Dea. Jetzt nichts falschen sagen.
    "Das kann ich dir gerne erklären," behaupte ich, "aber nimm verdammt noch mal das Messer da weg, du drückst mir die Luft ab!"
    "Sprich." forderte er mich grimmig auf, die Waffe einen kleinen Deut zurückziehend.
    "Also. Du weißt dass ich aus Alexandria komme." So nah wie möglich an der Wahrheit zu bleiben war immer gut. Ich hatte ja eine Weile dort gedient.
    "Und da gibt es das Museion."
    "Ja und?"
    "Und dort leben Gelehrte, die sich für nahezu alles auf der Welt interessieren, von Zahlenspielen über die Frage der Unsterblichkeit der Seele bis hin zu... Reiseberichten, Schilderungen der Begegnungen mit hundsköpfigen Wüstenvölkern, jegliche Geographie, Kultur, Naturphilosophie, Mechanik! Sie können stundenlang über abstruse Frage streiten, zum Beispiel warum ein Stock den man ins Wasser hält geknickt aussieht! Natürlich werden sie ganz bestimmt auch daran interessiert sein, etwas über die nabatäische Wasserbaukunst zu erfahren, es grenzt ja an Zauberei wie ihr hier die karge Einöde in eine blühende Oase verwandelt. Ich will ihnen das schlichtweg verkaufen, wenn ich endlich wieder heim komme, sie zahlen gut, ich will nicht ewig Gehilfe bleiben, das weißt du doch."
    "So? Dich schickt das Museion?"
    "Nein, aber ich dachte ich kann mir so etwas hinzuverdienen. Ich habe ihnen schon mal was verkauft, an die Philologa Theokleia, über..." Mein Kopf war wie leergefegt. Alles was ich gerade denken konnte war... ich wollte nicht sterben. Nicht hier, nicht so, mit aufgeschlitzter Kehle wie eine tote Gazelle, sang- und klanglos in der Fremde. Ich hatte auf meinen Missionen so viel haarsträubenderes schon überstanden, sterben mußte wir alle, aber oh ihr Götter, bitte nicht heute, bitte an einem anderen Tag!!"
    Irgendwie brachte mich das auf: "... den Orontes." schloß ich matt. "Die Hafenanlagen von Antiochia und die Versandung der Orontesmündung."
    "Aha. Und warum die Heimlichkeit?"
    Ich seufzte schuldbewußt. "Es tut mir leid. Ich hatte schon geahnt dass du nicht erfreut wärst darüber."
    Er schüttelte den Kopf, ließ die Hand mit dem Papyrus sinken.
    Hatte er es geschluckt?


    "Dann bleibt ja nur noch die Frage:" fuhr Jarsiat mit trügerischer Ruhe fort, "Warum sprichst du, Viriates, des nachts so bang von Kataphrakten? Rufst nach einem Lucullus?" Ein Ausdruck von Spott trat in sein Gesicht. "Mir ist nicht bekannt dass die Parther jüngst einen Angriff auf Alexandria veranstaltet hätten, aber weißt du, manches geht ja auch an uns hier hinter den Bergen vorbei, also erleuchte mich..."
    Oh nein. "Ich... -"
    "Erspar mir die Lügen. Du arbeitest für die Rhomäer, nein, du bist Rhomäer! Ein Spion bist du! Einen neuen Marionettenkönig wollt ihr!" stellte er zornig fest. "Ich habe dich im Schlaf rufen gehört, doch ich wollte es nicht glauben, darum nur habe ich deine Sachen durchsucht. Wer bist du wirklich?! Antworte, oder der Sand wird rot von deinem Blut!"
    "Ja, ich bin Römer." gestand ich ihm widerwillig. "Ja, ich war früher Legionär, aber ich habe... - Jarsiath!" Mit furchtgeweiteten Augen zuckte ich heftig zurück, riss abwehrend einen Arm hoch, in Richtung des Gazellenkadavers, und "Leopard!" kreischte ich panisch, "Leopard!!"




  • Ein Klassiker. Altbewährt. Schlicht. Etwas ausgelutscht vielleicht. Aber nichtsdestotrotz: nützlich, wenn man ihn richtig rüberbringt. Ich war überzeugend genug, um für einen Wimpernschlag seinen Blick gen Kadaver abzulenken – wo natürlich kein Leopard war – die Spannung in der Hand, mit der er den Dolch hielt, ließ in dem Augenblick um ein weniges nach, ich packte sein Handgelenk, stieß es mit aller Kraft zur Seite, so dass die Klinge ihm selbst den Oberschenkel ritzte, konnte mich seiner entwinden und aufspringen.


    Meine Waffen, die ich gestern neben mich gelegt hatte, waren fort, mein Blick hastete über den Lagerplatz und fand sie an einen Stein auf der anderen Seite des erloschenen Feuers gelehnt. Mit einem Hechtsprung landete ich neben ihnen und riss mein Krummschwert an mich, zugleich zog Jarsiath nun das seine, setzte mir nach, holte aus, seine Klinge sauste wie eine silberne Himmelsschlange auf mich zu, ich parierte mit zusammengebissenen Zähnen, fester Stand, und mit lautem Klirren schlugen die Klingen aufeinander, mit schrillem Schaben glitten sie voneinander ab.
    Zornig drang er auf mich ein, mit einem Hagel von Schlägen, die ich zurückweichend parierte, und einem Strom von Verwünschungen.
    "Möge deine falsche Zunge zur Viper sich wandeln und dich von innen verzehren! Möge dein lügnerisches Herz von sieben mal sieben Shayatín zerrissen werden! Möge dein Geschlecht verdorren und euer Name in der Zeit verwehen als ob er nie erklungen wäre!"
    Doch er redete zu viel. Meine Klinge biss sich in seiner Schwerthand fest, tief, und die Waffe entglitt ihm, er stand dann gekrümmt, schmerzverzerrt, rote Fäden von Blut troffen herab.


    Ich hatte nicht vor ihn zu töten wenn ich nicht mußte, und während er, ganz bleich im Gesicht, dabei war die Blutung zu stillen, schnappte ich mir einen Sattel, warf ihn übers Pferd (seines, das war edler und schneller), zurrte zurecht, schnallte den Mantelsack fest, in dem auch meine Syrinx steckte, zerschnitt die Sehne an Jarsiats Bogen. Das zweite Pferd nahm ich als Handpferd, den Proviant dazu – ließ Jarsiat aber einen der Wasserschläuche da. Zu Fuß zur Stadt zurückzukehren wäre langwierig aber möglich, wenn die Verwundung nicht zu schwer wäre, und gewiss würde Sospitos ja auch bald nach uns suchen lassen...
    Zeit mich schleunigst aus dem Staub zu machen. Ich schwang mich in den Sattel.
    "Mögen deine Götter dich behüten, Jarsiat. Sag deinem Schwiegervater er wird sein Geld bekommen. Auch für die Pferde. Ihr hört von mir."
    Aber für einen tränenreichen Abschied war er nicht zu haben.
    "Möge die Wüste dich verschlingen, die Karawanenwürger dir den Hals umdrehen und die Geier deine Knochen blankfressen!" verwünschte er mich mit zornsprühenden Augen, den blutigen Lumpen um seine Hand umklammernd. "Niemals wieder werden wir eure Vasallen."
    "Bona Dea, Jarsiat, es ist nie verkehrt sich einen starken Patron zu suchen! Der Shah-in-Shah, der verspeist euch doch zum Frühstück. Und euren Straßen könnte es auch nur gut tun!"


    Mit diesen Worten trieb ich mein Ross an, und Jarsiats letzten Flüche verklangen im Trommeln der Hufe, als die Pferde in einen wiegenden Galopp verfielen, der Sand um uns herum hoch aufstob. Feuerfingrig tastete die Morgensonne nach dem Horizont (nein, ich ritt nicht hinein in den Sonnenaufgang, aber er erstahlte herrlich zu meiner Linken), und wie ich so dahin preschte, schnell wie der Wind, der Hufschlag Musik in meinen Ohren, da fühlte ich hell den Triumph in mir aufsteigen. Entkommen. Am Leben. Und - mit viel Glück – schon in ein paar Wochen wieder in der Heimat....




  • Vieles gäbe es noch zu erzählen, von meiner Flucht durchs wilde Nabatäa, von der sengenden Hitze, dem mörderischen Durst (und wie ich meinen Großmut, den zweiten Wasserschlauch meinem gewesenen-Freund überlassen zu haben, verfluchte), von dem labyrinthischen Irrgarten der Felsenschluchten, von den Strapazen, sich durch die Einöde an den Wachtposten auf der großen Weihrauchstraße vorbeizuschmuggeln, davon wie ich meine Pferde an die Beduinenräuber verlor, mein Leben aber behielt, und von der Wette mit ihrem Stammesführer, von der Legende vom geflügelten Kamel und den mysteriösen Erlebnissen in der Kupferminenstadt Ghadyan, von der endlosen Aravawüste, den Gebeinen am Wegesrand und den widerwärtigen Sandspinnen, von der Weisheit der Bettlerin in Aila-am-Korallenmeer, davon wie ich als blinder Passagier zwischen dem Dörrfisch Blut und Wasser schwitzte, als die fetten Ratten über mich liefen, davon wie ich in Myos Hormos an Land wankte und erst mal den imperialen Boden küsste (wirklich), von den monotonen Gesängen der Nilschiffer und dem ungeheuerlichen Glück den Pharos von Alexandria am Horizont zu erblicken...
    Aber all dies ist eine andere Geschichte, und soll vielleicht ein anderes mal erzählt werden.



    Kurzum:
    Ich erreichte Alexandria vier Wochen später, zerlumpt und abgemagert. Dort suchte ich einen Gastfreund in seiner Villa auf. Duronius war Eques wie ich, und einer der vielverhassten Steuerpächter. Früher hatten wir gerne mal zusammen einen drauf gemacht.
    Sein Ianitor wollte mich zuerst gleich wieder verjagen, ja, der freche Bursche drohte mir Schläge an! Doch als mein Gastfreund mich erkannte, da nahm er mich in allen Ehren auf. Unbeschreiblich die Wonne zum ersten Mal endlich wieder ein Bad in einer richtigen Therme zu nehmen, einen samthäutigen Lustsklaven zu vernaschen, endlich wieder hocherhobenen Hauptes und gut gekleidet durch die Welt zu gehen...!
    Jedoch blieb ich in der Stadt incognito, ließ Haar und Bart lang und band meine Anwesenheit ausser meinem Gastgeber niemandem auf die Nase. Auch den örtlichen Kontaktmann der Speculatores vermied ich, denn ich hielt es durchaus für möglich, dass hinter dem Verrat einer meiner Tribunen steckte – der wäre dann gewiss wenig erfreut über meine Rückkehr, könnte mir gar einen bösen Empfang bereiten. Lediglich an meinen alten Kameraden Musca – hoffentlich noch immer Gardeoptio und Speculator - sandte ich per cursus publicus eine lange codierte Botschaft.
    Dann suchte ich das gewaltige Serapeion auf, um dem All-Gott zu opfern und an einer Abendzeremonie teilzunehmen, aber ich fand dort keine innere Einkehr, zu viel ging mir durch den Kopf. Jedenfalls erwarb ich ein neues Serapis-Amulett .
    Duronius statte mich mit Geldmitteln überreich aus (er spekulierte anscheinend auf meinen baldigen Wideraufstieg in Rom, ich hoffte nur dass er sich da nicht zu viel versprach), wogegen ich mich nicht verwehrte und mich statt innerer Einkehr äusseren Vergnügungen zuwandte. Auf den Luxusmärkten der Stadt verschleuderte ich die Denarii für mannigfaltige exquisite Mitbringsel. Askese war gestern!
    Nach all den Entbehrungen konnte ich mir das wirklich mal gönnen! Inspiriert durch den Lebensstil der nabatäischen Edlen erwarb ich sogar ein Paar zahmer Geparden, noch halbwüchsig und verspielt, samt Tierpflegerin, um sie Valentina mitzubringen, die, wenn ich mich recht erinnerte, ein Faible für Katzen hatte.
    Als ich mich dann einschiffte, da war mein Gepäck gewaltig angewachsen, von einem zerlöcherten Stoffbeutel (mit einem Kanten Brot und meiner Syrinx drin) bei der Ankunft war es angewachsen auf circa eineinhalb Karrenladungen, und meine Begleitung hatte sich von ein paar Flöhen bei der Ankunft verändert zu drei schmucken neuen Sklaven bei der Abfahrt.
    Der Wind stand günstig und das Schiff stach in See...

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