Trans Tiberim, auf dem Ianiculum – Villa Eutopia

  • Schon vor Jahren, ach was, Jahrzehnten hatte ich gesagt: Trans Tiberim ist groß im kommen! Und so war es auch, zumindest in dem Straßenzug oberhalb der Via Aurelia, durch den ich gerade hangaufwärts marschierte. Schmierige Garküchen wichen gepflegten Gaststuben, windige Wettbüros adretten Blumenläden, die letzten Gerber hatten ihre stinkigen Werkstätten aufgegeben, weil sie die steigenden Mieten nicht mehr stemmen konnten, und da wo früher neben der Staße ein Haufen von elend aus Brettern und Planen zusammengeflickten Behausungen gestanden hatten, da roch es nach Beton denn es wurde gerade eine Reihe neuer Atrium-Häuser hochgezogen.
    Auch ich war auf dem Weg zu einem Neubau – meinem neuen Haus! Glücklicherweise hatte ich nämlich hier in Grund und Boden investiert bevor das Viertel schick geworden war, ja, da konnte ich mir nur selbst dazu gratulieren. Ein weitläufiges Filet-Grundstück oben auf dem Hügel hatte ich erworben und mit dem Heidengeld, welches ich als Gardepräfekt verdiente, den Bau einer repräsentativen Stadtrand-Villa begonnen. Denn die altangestammte Casa meiner Familie, die war, seien wir doch mal ehrlich, sicherlich sehr schön und sehr gediegen, traditionell eben, aber eben doch in der Stadtmitte gelegen und damit vom Platz her beschränkt. Ausserdem war es für mein Empfinden - ganz gleich ob mein Vater nun hier oder in Germanien weilte - eben noch immer "Das Haus meines Vaters." Ich wollte einfach was eigenes, ein bisschen größer und ein bisschen moderner... (und mit einem Atrium im ägyptischen Stil, was ich zu Hause im Familienrat niemals hatte durchsetzen können. )
    "Villa Decima Serapio" klang lieblich in meinen Ohren. Meine Vorstellung war es gewesen, zusammen mit Valentina nach der Hochzeit dann in unser eigenes Reich zu ziehen, wo auch Borkan mit uns leben könnte...
    Das war ja nun alles anders gekommen als gedacht. Tja.


    Die Villa jedoch war grandios geworden, so stellte ich fest, als ich oben ankam und das Gebäude, vor meiner Abreise bloß Fundament, nun fertiggestellt sah. Meine Liberti Ravdushara (mit Tatkraft) und Icarion (mit Geschmack) hatten den Bau fortgeführt und vollendet.
    Schräg am Hang erhob sie sich, sienagelb und ockerfarben und mit roten Ziegeln gedeckt. Die Mauern waren vielleicht etwas wuchtig geraten, aber wenn das nächste Mal ein Aufstand über Rom tobte wären wir sicher dankbar dafür. Besonders der hochgezogene Torbogen gefiel mir. Doch der Name des Hauses, der darunter eingemeißelt war, umrankt von Geißblatt, irritierte mich. Wieso zum Hades stand da nicht "Villa Decima Serapio" sondern "Villa Eutopia"?!

  • Das Atrium war dann wieder ganz nach meinem Gusto, mit schlanken Säulen und wie gewünscht ägyptisch inspirierten Fresken und Stuckmotiven, einem kunstvollen Bodenmosaik allerlei wilder Tiere, Porphymöblierung und Durchgang zu dem herrlich weitläufigen Peristyl-Garten. Dieser wurde geziert von einem langgesteckten flachen Mamorbassin, in dem sich die ganze Pracht nochmal wiederspiegelte. Rote Lotusblumen schwammen darin. Der Sockel am Ende des Bassins, prädestiniert um dort eine Statue perfekt in Szene zu setzen, war noch leer. Zypressen, Oleander, Jasmin und Rosensträucher sowie Kletterrosen in allen Schattierungen (für Valentina vor allem waren die gedacht gewesen) wiegten sich der Sommerbrise, sogar ein Hain von Palmen, Feigen- und Pfirsichbäumen war angepflanzt (die jungen Bäumchen mussten allerdings noch wachsen), und ein halbrundes Rasen-Theater für private kleine Aufführungen ließ mich besonders frohlocken.


    Ravdushara und Icarion erschienen etwas derangiert durch meinen unangekündigten Besuch, sie beteuerten einstimmig, aber etwas nervös erscheinend, welche Freude es doch sei mich wiederzusehen.
    Das Haus erschien bewohnt und allgemein recht unordentlich, mit einem Haufen von Sandalen im Eingang, aufgeschlagenen Büchern auf einer Kline ("Kompendium des Gemüseanbaus" sowie "Brief an Menoikeus"), Tellern mit Essensresten und leeren Austernschalen, Gläsern mit eingetrocknetem Wein und vielen flüchtig auf Amphoren aufgesteckten Kerzen, deren Tropfen zu bizarren Wachsskulpturen geronnen waren, ausserdem einem zerknüllten zart veilchenvioletten Negligé in einer Ecke des Atriums auf dem Boden liegend... Ich hob den Hauch von einem Nichts auf und betrachtete ihn sinnend. Da sprang mir gleich noch was ins Auge: auf einer der ranken Säulen war groß und krakelig geschrieben:


    LIBERA TE! NEC DOMINUS, NEC SERVUS, NEC DEUS, NEC PATRIA!


    Meine Brauen wanderten in die Höhe und meine Lippen wurde schmal.
    Auch meine anderen Freigelassenen fanden sich nach und nach im Atrium ein: Akadios, Caluconius, Damon, Pelias und Styrkar. Nur Narcissus war nicht unter ihnen.
    Aalglatt sprach Ravdushara: "Wir haben das Haus für dich fertigstellen lassen, Patron, es eingerichtet und gehütet!"
    "Es ist sehr schön geworden. Ich danke euch meine Getreuen. - Doch..." Unheilvoll wies ich auf die revolutionäre Parole: "...was ist hier los?!"
    "Nun..." Er zögerte. "Es ist so: Wir sind jetzt Epikureer!"
    Ich sah ihn an wie ein Nilpferd.
    Akadios ergriff das Wort: "Du warst verschollen, Patron. Wir wollten das Haus nicht leerstehen lassen und sind gemeinsam hier eingezogen. Wir haben eine Communitas im Geiste epikureeischer Freundschaft gegründet, basierend auf Gemeinschaftssinn, Selbstgenügsamkeit, Einsicht und maßvollem Lebensgenuß."
    "Jedenfalls war das unser Grundgedanke." warf Pelias ein, mit vorwurfsvollem Blick gen Ravdushara und Styrkar. "Darum nannten wir das Haus Eutopia. - Aber manche verwechseln die Lust der einfachen Lebensweise mit unersättlicher Prasserei, Luxustafel und Gelage."
    "Wenn es nach dir ginge würden wir nur noch mickriges selbstgezogenes Gemüse essen!" verteidigte Styrkar sich empört. "Manche glauben anderen alles vorschreiben zu können! Wo bleibt da das glückliche Leben?! Wo bleibt die Gemeinschaft von Gleichen?! Chairedemos hat gesagt: 'Keine Lust an sich ist ein Übel!! Und ich für meinen Teil, ich bin sehr lustlos wenn ich jeden Tag welke Blätter essen muß. Und Narcissus habt ihr auch rausgeekelt. Du bist Lust-feindlich Pelias!"
    "Narcissus hat sich nicht in die Communitas eingebracht. Er hat die Grundidee nicht verstanden. Ebensowenig wie ihr!" brauste Pelias auf, und dann ergab ein Wort das andere und sie hieben mit Worten aufeinander ein wie Kampfhähne mit Eisensporen, bis auf Icarion und Damon, die hielten sich raus.


    Bona Dea. Ich rieb mir die Nasenwurzel. Eine Communitas hatten meine Liberti gegründet. Ich hätte sie niemals zu diesem epikureischen Philosophenzirkel um Chairedemos in den amafidischen Gärten mitnehmen dürfen. Ich war nur ein paar mal dagewesen, es war geistig sehr anregend gewesen aber für einen Soldaten Roms ganz ausgeschlossen sich näher darauf einzulassen. Bei meinen Freigelassen schien die Lehre, oder zumindest hedonistisch/umstürzlerisch verzerrte Bruchstücke davon, dagegen zum Teil auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein. Dass das solche Kreise zog!
    Wenn die Katze aus dem Haus ist tanzen die Mäuse.
    "Ruhe!" herrschte ich sie an. "Ich bin wieder hier! Euch gehts wohl zu gut! Es ist aus mit der Communitas! Unter meinem Dach, da herrscht Respekt für Kaiser, Götter und Patria! Basta!! - Wer hat diesen Blödsinn hier an die Säule geschmiert!?"
    Da wiederum hielten sie zusammen und taten alle ganz unwissend. Ich war nicht in der Stimmung für Spontan-Verhöre und -Ermittlungen, befahl nur barsch:
    "Macht das weg."


    Während sie schrubbten und aufräumten, schenkte ich mir ein Glas Wein ein und besichtigte weiter das Anwesen. Ich war aufgewühlt. Wer hätte nicht in der Jugend mal mit den Ideen von Gleichheit in universeller Freundschaft und romantischer Rebellion gegen alles Etablierte geliebäugelt? Ich war da beileibe keine Ausnahme gewesen. Aber wie sagt man noch: wer in der Jugend nicht an diese Ideen glaubt, der hat kein Herz, und wer im Alter noch immer daran glaubt, der hat kein Hirn.

  • Zwei unendlich lange Tage waren vergangen seit der Einladung Serapios, angefüllt mit gedehnten Stunden und zähem Ausharren. Unkonzentriert und fahrig suchte Gracchus seinen Pflichten nachzukommen, hörte indes nicht zu, um was die Klienten ihn ersuchten, konnte nicht folgen, was Sciurus ihm vorlas und hatte bereits kurz darauf vergessen, was um ihn her geschah. Sein einziger Fokus, seine Gedanken und Betrachtungen galten dem Abend, nach welchem er so lange sich hatte verzehrt. Stunden verbrachte er mit der Vorbereitung seiner selbst - im Balneum, mit dem Tonsor, dem Barbier und dem Masseur des Hauses, und eine halbe Ewigkeit mit der Wahl seiner Kleidung, welche in einer fein gewebten, luftigen Tunika in dunklem Türkis endete, deren Säume mit goldenem Muster waren verziert, und einer dazu passend dunkelblaufarbenen chlamys - nur umwickelt und nicht mit einer Brosche gehalten, welche im Zweifelsfalle nur würde aufhalten. Auf dem Weg durch die Stadt konnte Gracchus kaum still sitzen in seiner Sänfte, nestelte nervös an den Rändern der chlamys und schob ab und an die Vorhänge beiseite.
    "Sciurus!"
    rief er seinen Sklaven auf dem Weg zu sich.
    "Weshalb überqueren wir den Tiber? Die Casa Decima liegt auf dem Caelimontium!"
    Das letzte, was Gracchus in diesem Augenblicke ertragen mochte, war eine Verzögerung auf dem Weg.
    "Decimus Serpio wohnt nicht mehr in der Casa Decima auf dem Caelimontium, Herr, er hat eine Casa in Trans Tiberim bauen lassen." Wie stets war der flavische Vilicus gut unterrichtet.
    "In Trans Tiberim?"
    wiederholte Gracchus wenig begeistert. Zweifelsohne, das Viertel war en vogue, doch sich dort ein Haus zu errichten doch ein wenig zu viel des Guten aus der traditionellen Sicht des Flaviers. Doch er ließ sich nur zurück in die Kissen sinken. Für Faustus würde er überall hingehen, auch nach Trans Tiberim. Erst vor dem Haus angekommen hob sich Gracchus' linke Braue in neuerlicher Verwunderung, glich es doch mehr einer Festung, was zweifelsohne eine Folge Serapios' Werdegang war. Während der Flavier noch die Sänfte verließ, kündigte Sciurus den Gast an der Porta an.

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  • Tropf. Tropf. Tropf. Das Geräusch der verinnenden Zeit. Ich saß in meinem Atrium auf einer Porphyrkline, blickte auf die Wasseruhr, und wartete sehnsüchtig auf Manius. Dabei war ich unsäglich nervös. Der Gedanke einer neuen Chance, der bei unserem unverhofften Treffen bei den Furinalia so leicht und hoffnungsvoll aufgeblitzt war, hatte sich in den letzten zwei Tagen in mir gewandelt zu der Furcht: es ist unsere letzte Chance. Ich durfte es nicht vermasseln. Diesmal nicht. Alles mußte perfekt sein.
    Aber anders als sonst so oft würde unser Rendez-vous nicht in einer Nacht des Rausches oder des Aufruhrs oder hinter schillernden Masken stattfinden. Was wenn Manius mich... ohne deren verklärenden Schleier, ohne die prickelnde Würze unmittelbarer Gefahr... gar nicht mehr so besonders spannend fände? Er war ein hochkultivierter Mensch von exquisitestem Geschmack, Nachfahre von Kaisern... - Und was wenn er gar nicht käme?! ...wenn die Harpyie ihn zurückhielte, das verschlagene Weib war zu allem fähig.


    Um den Kreis der Mitwisser so gering wie möglich zu halten, waren lediglich Ravdushara und Icarion im Haus. Den beiden war sowieso keines meiner dunklen Geheimnisse fremd. Die Speisen für die Cena hatte ich aus dem Deversorium Delectationum an der Alta Semita holen lassen, denn ich meinte mich zu erinnern, dass Manius die dortige Küche schätzte. Alles war vorbereitet für eine romantische Garten-Cena mit nicht nur literarischen Höhepunkten.
    Um mich selbst ins rechte Licht zu rücken, hatte ich aus meiner Kleidertruhe einen raffinierten dorischen Chiton gewählt, aus korallenroter Seide, locker gegürtet – sonst kam ich ja nie dazu so was Schönes anzuziehen, heute war endlich die Gelegenheit dafür. Dazu ein dezentes Duftöl mit Sandelholz-Note.


    Da, Stimmen von der Porta. Er war wirklich gekommen. Stürmisch sprang ich auf und ging ihm entgegen. Mein Herz wurde ganz weit. Er sah so gut aus (und überaus elegant natürlich). Während Icarion die Begleit-Sklaven und Sänftensklaven in Empfang nahm, hieß ich Manius aber zuerst, solange die Sklaven noch in Hörweite waren, ganz unverfänglich willkommen.
    Erst als wir dann für uns waren, da nahm ich seine Hand, seine Hand zwischen die meinen, hielt sie andächtig und murmelte überwältigt, ein bisschen benommen davon, dass so viel Gewünschtes mit einem mal wirklich war, unfassbar wirklich: "Manius, dich wiederzusehen ist ein Geschenk der Götter. Du siehst so gut aus! Ich freu mich so dich zu sehen, ich könnte bersten vor Glück! War das nicht unerträglich bei den Furrinalia, nur reden zu können, und nicht mal das richtig?! Ich hätte dich am liebsten gleich zu mir verschleppt! Oh, ich bin so unsäglich froh dich wiederzusehen!"

  • Gracchus lächelte verzückt, dann zog er Serapio an sich, um ihm den Kuss abzuringen, der seit Jahren noch auf seinen Lippen lag, ein inniglicher, langer Kuss. Als er sich Iöste und wieder einen halben Schritt zurück trat echappierte ein erleichtertes Seufzen seiner Kehle.
    "Ich bin durchaus ein geduldiger Mensch, doch ich bin zu alt dafür einem verliebten Jüngling gleich den ganzen Abend lang in Herzklopfen und Nervosität auszuharren in Erwartung der erlösenden Evidenz dessen, was offensi'htlich ist."
    Sein linker Mundwinkel hob sich ein wenig empor, dann hob er seine Hand und strich über die Narbe auf Faustus' Wange, die ihn stets daran erinnerte wie verschieden ihre Leben waren.
    "Offensichtlich sind deine Lippen so deliziös wie eh und je, und ich teile dein Glück über diesen Augenblick! Ich habe nicht mehr zu hoffen gewagt, dass es... je dazu kommen wird. Und noch immer scheint es mir mehr wie ein Traum denn die Realität. Könnte dieser Augenblick für immer währen, ich würde die Zeit anhalten, denn es dauert mich der Gedanke, was unweigerlich ihm nachfolgen wird. Doch lasse uns nicht an die Zukunft denken, lasse uns diesen Abend genießen als wäre es der erste und letzte der uns ver..gönnt wäre."
    Er blickte ein wenig im Raum umher.
    "Dies ist also dein neues Heim? Ist es nicht ein wenig zu groß für dich allein?"
    Serapios Verlöbnis mit Quintilia war kein Geheimnis gewesen, doch eine Ehe war Gracchus' Kenntnis nach nie in das Register eingetragen worden.

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  • Selig war ich in seinen Armen und gab mich ganz diesem heiß ersehnten herrlichen Kuss hin. Überströmendes Glück vernebelte meine Sinne. Ich lehnte meine Wange in seine Hand und war noch immer damit beschäftigt dies alles zu fassen. Erlösende Evidenz? Wie vornehm er immer sprach.
    "Die letzten zwei Tage waren die längsten meines Lebens!" Ich lies meine Hand in seinem Nacken liegen, wollte mich weiter seiner vergewissern, strich ihm selbstvergessen über die Schultern und den Rücken hinab, legte meinen Arm halb um ihn, hatte nicht vor ihn jemals wieder loszulassen. All die Jahre der Entfernung schienen zu einem Nichts verflogen, es war die gleiche überwältigende, in ihrer Macht geradezu beängstigende Wucht, die mich zu ihm zog. Manius haute mich um, immer.
    Und auch, dass er es nicht lassen konnte, schon im ersten Moment des Wieder-vereint-Seins von der Vergänglichkeit zu sprechen, auch das war genauso wie früher.
    "Die Frage nach dem Morgen sei nicht gestellt, nimm alle... Abende ja als Gewinn, die dir Fortuna schenkt!" zitierte ich leichthin und leicht abgewandelt den alten Horaz. Dabei hatte ich sehr wohl schon viele Gedanken an den Morgen, beziehungsweise die Zukunft an sich, verschwendet. Die Sache war die: Ich liebte Manius, und ich wollte ihn behalten. Ich wollte, dass diesem Abend noch viele, viele, viele weitere folgten. (Vorzugsweise ohne dass wir dafür den Preis des gesellschaftlichen Ruins bezahlen müßten.)
    Aber das würde Planung erfordern und ein bedachtes strategisches Vorgehen. Da durfte ich nicht sogleich nach meiner Rückkehr mit der Tür ins Haus fallen...


    "Viel zu groß und zu leer." Ich nickte. "Ich weiß noch nicht, ob ich wirklich hier einziehe...- Komm mit..."
    Den Arm hatte ich noch immer halb um ihn gelegt, als wir aus meinem ägyptischen Atrium hinaus in den Peristylgarten traten. Auf dem langgestreckten Bassin trieben zwischen den roten Lotosblüten kleine, ebenfalls ägyptisch anmutende Binsenbarken, mit Lichtern bestückt, und der weiße Sand des Weges war mit funkelnden Splittern von Bergkristall bestreut. Hoffentlich gefiel ihm ihm das so.
    "Eigentlich wollte ich es nach der Hochzeit mit Valentina beziehen. Aber nun ja, ich war einfach zu lange fort." erklärte ich. Auch mich einfach nur mit ihm zu unterhalten war eine Labsal! "Meine Mission lief nicht so gut, ich bin sozusagen... gestrandet in der Fremde. - Valentina ist ein Schatz, eine treue Seele, sie muß sehr lange gewartet haben, bevor sie mich aufgegeben hat. Aber ein bisschen praktischen Sinn hat sie schon auch, und ist jetzt mit Casca zusammen." Ich zuckte die Schultern und behauptete: "Offenbar haben die Götter beschlossen, dass ich als Hagestolz enden werde." (Natürlich war das Quatsch. Wenn ich hier im Rom wieder mit den großen Fischen schwimmen wollte, war es dringend angeraten diese Blöße zu decken, indem ich mir schleunigst eine neue Braut suchte, aber dieses Thema hatte hier und heute nichts verloren.)
    "Und du wirst es nicht glauben, was meine Freigelassenen gemacht haben, während ich fort war: die haben hier allen Ernstes eine 'Communitas' gegründet, so eine pseudoepikureische Lebens-Gemeinschaft, aber komplett mit radikalen Auswüchsen. Kannst du dir das vorstellen, hast du sowas schon mal erlebt?"
    Ob ich die Villa überhaupt behalten würde, da war ich noch zu keinem Entschluß gekommen. Sie hatte das Kaliber Gardepräfekt+Familie+jede Menge Personal, und verschlang die Aurei wie Charybdis das Wasser. Alle unsere Sklaven, die sich mit Finanzen auskannten, hatten mir einstimmig empfohlen, sie zumindest zu vermieten. - Wie schön wäre es doch, so träumte ich verstohlen, wenn ich gemeinsam mit Manius hier einziehen könnte...

  • Zwei waren sie, und doch nur eins, eine Seele aufgeteilt in zwei Körper, dazu geboren nach der Vereinigung zu streben - dies war es, was Gracchus wieder in den Sinn gelangte als sie gemeinsam in das Perstyl traten, Serapios Arm angenehm um seinen Körper spürend.
    "Es ist fulminant ... oppulent... und verspielt"
    , kommentierte er das Anwesen.
    "Ganz wie sein Besitzer."
    Als würden sie über einen hellen Sternenhimmel schreiten schien es als sie über den sandigen Weg traten und unter ihnen die Kristalle im Licht funkelten, jeder Schritt geleitet von einem Knistern und umspielt von glitzerndem Schimmer.
    "Nur den Liebenden ist es vergönnt, auf Sternen zu wandeln"
    , zitierte er ein altes archaisches Gedicht, von welchem längst der Verfasser war vergessen, was sogleich ein wenig Wehmut evozierte - denn Serapio würde alsbald in anderer Begleitung hier wandeln.
    "Dieses Haus wird zweifelsohne jede Frau mit Freude er..füllen, welcher du es als Heim angedeihen lässt, und du ... du wirst kaum wohl Schwierigkeit haben, eine geeignete Gemahlin zu finden."
    Immerhin war Serapio nicht nur kein unbeschriebenes Blatt, sondern ebenso der Sohn und Erbe eines überaus einflussreichen Mannes. Doch auch Gracchus wollte dieses Thema nicht weiter vertiefen, denn selbst wenn dieses Leben zu ihnen gehören musste, so musst es ebenso eine Zeit geben, in der all das konnte vergessen sein.
    "Oh"
    , echappierte Gracchus jedoch sodann ein tiefer Seufzer bezüglich der Communitas, welche gleichwohl fern der Zeit des Vergessens lag.
    "Die Auswü'hse des Epikureismus musste ich deplorablerweise bereits ebenfalls in meinem eigenen Hause erleben. Als Minimus in Aegyptus weilte erkor er sich eben dies als Subjekt seiner Studien, mit durchaus verheerenden Folgen für ihn und seine Reputation. Bei seiner Rückkehr hätte ich ihn beinahe aus der Familie verbannt. Kannst du dir dies vor..stellen, dein eigen Fleisch und Blut zu verstoßen? Ich habe meinen Vater stets bewundert dafür, dies bei meinem Bruder vollendet zu haben, doch als ich selbst in jener Lage war, war ich mir nicht mehr sicher, ob dies Selbsta'htung oder Selbsthass würde evozieren. Nun, ich bin froh dass mein Sohn sich für seine Familie entschieden hat. Auch er muss einen Kompromiss finden, zwischen dem was er geben muss, und dem, was er ein..fordern darf."
    Er blieb stehen und wandte sich Serapio zu. Gleich in welche Richtung sie auch wanderten, ihre Gedanken schienen letzlich stets bei diesem Konflikt zu enden, in der Realität, welche auch sie selbst einengte. Neuerlich seufzte Gracchus leise.
    "Wir beide, wir haben schon so viel gegeben. Und doch scheint es mir so schwer, etwas einzu..fordern - und sei es nur ein unbeschwerter Abend in Zweisamkeit. Hier stehen wir, nur wir beide, carbunculus meus, in einem Palast der Sterne, durch dicke Mauern getrennt von aller Niedertracht Roms, nur uns selbst verpflichtet, frei von allem Morgen - und doch kann ich nie vergessen, wer ich bin. Weshalb nur ist dies so schwer?"

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  • 'Fulminant, oppulent und verspielt', das konnte man so oder so verstehen. Etwas verunsichert blickte ich im Gehen seitlich zu ihn, auf der Suche nach einem Hinweis, ob ihm das Ambiente des Anwesens zusagte, oder ob es ihm nicht doch zu extravagant und un-klassisch war, so dass es zwar 'jede Frau' mit Freude erfüllen würde, aber nicht Manius' erlesenem Geschmack gerecht wurde, was er nun auf seine unnachahmliche Weise ganz dezent kundtat. Vielleicht hatte ich es mit dem Bergkristall tatsächlich ein wenig übertrieben. (Auch die Residenz des Voluptarianus Suavis mit seinen vergoldeten Latrinen hätte man als 'oppulent' bezeichen können. Sie stand übrigens nur zwei Straßen weiter.)
    Doch aus Manius noblem und reserviertem Profil war nichts herauszulesen, ausser, dass ihm der Besitzer des Anwesens zusagte, und das sollte mir wohl genug sein. Auch eine gewisse Schwermut überschattete seine Züge, trotz der glücklichen Stunde. Aber die würde ich schon zu vertreiben wissen.
    Wir hatten das Ende des Bassins erreicht, passierten den leeren Sockel, gingen in Richtung der Laube, wo alles für unsere Cena vorbereitet war.
    Ich hatte mir ja überlegt, einen Obelisk aus Ägpten importieren zu lassen, und den hier aufzustellen. Thematisch passend wäre dann auch ein kleines Krokodilgehege... falls ich mich dafür entschied, hier zu wohnen natürlich... und mich der Imperator nicht gleich wieder nach sonstwohin schickte.
    An einem Jasminstrauch vorübergehend streckte ich die Hand aus und strich durch die blütenübersäten, duftenden Zweige. Oder ich könnte einfach komplett umdekorieren, und alles statt dessen im nabataeischen Stil einrichten, mit hängenden Gärten, roten Felsfassaden, Treppengiebeln und glasierten Fliesenmosaiken, das wäre gewiss auch sehr schön und einzigartig hier in Rom.


    Den eigenen Sohn zu verstoßen?! "Nein, natürlich nicht!" rief ich aus, entgeistert allein über eine solche Vorstellung. "Bona Dea, ihr seid aber streng..." Das hatte er ersthaft erwogen? Der arme Junge. "Haben wir nicht alle mal... so ein paar Jugendsünden begangen..."
    Wenn Livianus damals auch nur halb so rigoros gewesen wäre, dann hätte er mich aber in hohem Bogen aus der Gens werfen müssen! Mehrfach.
    Mir war schon bewußt, dass diese versnobten alten Patrizierclans ihre ganz eigenen Moralvorstellungen hatten, aber... Sein Vater hatte seinen Bruder verstoßen und Manius hatte das stets bewundert?! Das war, gelinde gesagt, verstörend.
    Es gab diese Momente, wo sich urplötzlich der Abgrund erahnen ließ, den mein Geliebter mit sich herum trug, und wo es mir mit einem mal vor ihm graute, und das war einer dieser Momente.
    Ich biss mir auf die Zunge, um jetzt nichts falsches zu sagen. Es ging mich ja nichts an, ich kannte nicht die Hintergründe, und vor allem wollte ich Manius nicht vor den Kopf stossen. Nein, es ging mich nichts an. Hatte ich nicht selbst große Bewunderung gehegt für den Primus Pilus Artorius Avitus, der grausame Disziplinierungen mit kühler Gelassenheit befahl?
    Und letztendlich hatte Manius ja auch davon abgesehen, und sein Sohn hatte offenbar die Kurve gekriegt und war nun Senator.


    "Wer viel gibt, muß sich auch mal beschenken lassen." versuchte ich die schweren Gedanken ein wenig zu zerstreuen, blieb mit ihm stehen, trat dicht an ihn heran und schlang einen Arm um seinen Nacken, den anderen um seine Hüften, ihn innig an mich ziehend, und mich zugleich verlangend an ihn schmiegend.
    "Mein Geliebter," flüsterte ich, näherte mein Gesicht dem seinen, streifte seine Lippen, "mein Erastes, meine goldene Sonne, mein Rätselkönig, mein Ein, mein Alles! Du sollst nicht vergessen wer du bist, denn genauso wie du bist, versetzt du mich... in unbändige Begeisterung, und immer neues Staunen und dahinschmelzende Sehnsucht! Wer ausser dir verbindet so den aufopferungsvollen Dienst am Staat und den ätherischsten Feinsinn, und das treue Sorgen und Schützen für deine Familie und den leuchtendsten Glanz der Redekunst, wer verbindet so uralte Tradition und Kaiserblut mit der nobelsten Bescheidenheit und Gleichmut gegen leeren Ruhm und mit dem allerliebenswürdigsten Humor und wer ausser dir..." Ich hatte den Faden verloren, atmete tief ein, mit bebenden Lippen, berauscht von seiner Nähe... "...ist immer in meinen Träumen und kann küssen wie Eros selbst...!!" hauchte ich und suchte seine Lippen, um die meinen in einem langen, langen und hingebungsvollen Kuss heiß mit ihnen zu verschmelzen. Oh, bei Eros und Anteros, ich war so ausgezehrt nach ihm!

  • Es gab kaum Zeit für Gracchus die Details des Freiluft-Interieurs näher zu begutachten, noch über seine eigenen Jugendsünden - eine einzige, um genau zu sein, als er ein nicht unbeträchtliches Vermögen hatte verspekuliert - eingehend zu reflektieren, da ihn Faustus mit Liebesbezeugungen, gefolgt von einem endlosen Kuss überschüttete und zwischen ihnen das gegenseitige Begehren deutlich zutage trat. Es geschahen darob einige Dinge gleichzeitig in Gracchus' Gedankengebäude: zum einen begann er durch die weitläufigen Flure zu tanzen, sich zu drehen vor Glück, in Spiralen und Kreisen, die Schritte durch kleine Sprünge verbunden, die Arme weit ausladend euphorisch um den Körper schwingend zu einer Melodie des Chorals aus einer Aufführung von Pyramus und Thisbe, welcher er einst bei einem Besuch Thebaes hatte beigewohnt, und die ihn nachhaltig hatte beeindruckt - sonderbar, dass er sich just in diesem Augenblicke ganz genau des phrygischen Zopfmusters konnte entsinnen, welches das Bühnenbild thematisch hatte bestimmt; ebenso stand er in einem kargen Raum, der über und über gefüllt war mit beschriebenen Pergamenten, welche mit goldenen Nägeln in mehreren Schichten an die Wände waren geschlagen, und analysierte die Kaskade Faustus' preisender Worte, inspizierte sie von allen Seiten, zerpflückte sie in einzelne Buchstaben und kategorisierte sie nach ihrer Klangfarbe, ehedem er sie wieder zusammen setzte und darüber sinnierte, ob dies einzig die durch Venus' Düfte und Cupidos Wolkenschleier getrübte Betrachtung seines Geliebten war, oder dies dem extrinsischen Eindruck mochte entsprechen, den auch andere von ihm hatten; weiters stand er auch in einem Garten, nicht unähnlich jenem, in welchem sie sich befanden, und hielt ein sublimes Lächeln auf den Lippen, verzückt im Augenblick, gänzlich ergeben dem elektrisierenden Kribbeln, welches sich über seine Haut ausbreitete da eine Schar von Schmetterlingen mit ihren zarten Füßchen eine Prozession darauf abhielt. In der Realität indes fügten sich Gracchus' Lippen in den Kuss seines Gegenübers als wüssten sie genau, wohin sie gehörten, während seine Hände die Schultern Serapios umfassten, seinen Leib, dass sie nie wieder würden aufhören mit ihm zu verschmelzen.
    "Oh, Faustus, ... Iasse uns ... nicht warten..."
    , stieß er nach Atem suchend zwischen dem Kuss, der längst nicht mehr nur einer war, hervor.
    "Lasse dich ... beschenken... und mich ... jetzt ..."
    Als würde die Zeit ihnen herrnachjagen blickte Gracchus sich um, entdeckte die Laube, welche wie geschaffen war für zwei Liebende - allfällig da sie geschaffen war für zwei (oder mehr) Liebende - und drängte Serapio dorthin ohne von ihm zu lassen. Eine Hitze hielt ihn umfasst, welche selbst für den heißen Sommer zu intensiv war, ein fiebriges Verlangen nach der höchsten Erfüllung, nach dem Einssein, und er spürte eine Lebendigkeit in sich wie seit langem nicht mehr. Der Raum und die Zeit um ihn her schienen sich zu dehnen, zu strecken und biegen, alles schien gleichzeitig und doch in einzelnen Herzschlag, dass er jeden Augenblick, jede Empfindung und jede Wahrnehmung in sich konnte zugleich auskosten und konservieren - der Atem Faustus' auf seiner Haut; das helle Zirpen einer Grille im Garten, allfällig der Lockruf eines anderen Liebespaares; die elektrisierende Berührung ihrer Leiber; die blaufarbenen Himmelsfetzen außerhalb der Laube über ihnen; der sublime Duft nach einer Melange aus Sandelholz, Jasmin und ureigenem Faustus; ein Schweißtropfen, der sich in seinem Nacken sammelte, um von dort sein Rückgrat hinabzuperlen, wo er durch eine Berührung Serapios wurde gestoppt; das zaghafte Rascheln der Blätter in einem Windhauch, der sich in den Hortus hatte verirrt; der Schlag seines Herzens, welcher mehr und mehr sich beschleunigte; und schlussendlich der Klimax der Sinnenlust, der einzige Augenblick, in welchem er letztlich sich selbst doch noch gänzlich konnte vergessen. Erfüllt und befreit zugleich lag er hernach neben Serapio auf der breiten Kline, lauschte dem Hauch seines eigenen Odems, wie dem Faustus', und seufzte schlussendlich zufrieden.
    "Welch ein überragendes Präsent... Du, Faustus, du bist überragend. Nein, magnifik. Berückend. Superb? Unvergleichlich? Grandios?"
    Betrübt legte er seine Stirn in Falten.
    "Ach, es ist wahrhaft deplorablel! Es existiert schli'htweg kein Wort, weIches dir könnte gerecht werden!"
    Gracchus rollte sich zur Seite, um Serapio anzublicken.
    "Allfällig sollte dies mein Vermächtnis an die Welt sein: ein neues Wort, dazu geschaffen, dich zu umfassen?"

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  • Eigentlich hatte ich mir ja vorgenommen, heute mal etwas seriöser zu sein, und mit Manius erst ein stilvolles Abendessen und eine erhebende Rezitation zu genießen. Denn betörend ist die Sehnsucht, köstlich das Zaudern, kurz die Erfüllung.
    Doch innerhalb eines einzigen Atemzuges waren diese Überlegungen nichtig, verzehrt wie eine Handvoll Stroh in der tosenden Feuersbrunst, die meinen Geliebten und mich entflammt hatte, als wir auf die Kline sanken, eng umschlungen, die Kleidung in alle Himmelsrichtungen flog, und die Laube erfüllt war von den genussvollen Lauten unseres Liebesspiels, als wir hitzig unsere Leidenschaft ineinander stillten.
    Selig lag ich sodann neben ihm, verschwitzt und zerzaust, auf meiner Haut noch den Nachklang seiner Berührungen erspürend, in mir ein luftig leichtes Jubeln, eine entspannte Euphorie, ein Glück, so vollkommen, dass ich es nicht zu beschreiben gewusst hätte. Ein strahlendes Lächeln stand breit in meinem Gesicht und ich lachte auf, heiter und geschmeichelt über seine kosende Wortsuche, stützte mich auf einen Ellbogen, versuchte, eine ähnlich gravitätische Miene aufzusetzen und prustete:
    "Man tut was man kann!"
    Das schelmische Funkeln in seinen Augen war so schön, dass sich fast schmerzhaft etwas in meinem Brustkorb zusammenzog. Mit Wucht war mir bewusst, wie unendlich ich diesem Mann verfallen war. Ich hätte für ihn sterben wollen, in dem Moment... und zugleich war mir das unheimlich, es war zu groß und zu gewaltig um es fassen zu können, und war es nicht auch blödsinnig, im Augenblick höchsten Glückes Gedanken ans Sterben zu haben?
    "Ein neues Wort, für mich?! Was könnte das sein? Du wirst mich unsterblich machen, Manius!" erwiderte ich sein Scherzen, wobei meine Bewegtheit meine Stimme seltsam belegt machte. "Dabei bereicherst du auch so schon meinen Wortschatz! Bei jedem Rendez-vous lerne ich... jählings etwas hinzu."


    Zwischen dem blütenübersäten Rankenwerk der Laube erschien wie durch einen Vorhang nun mein Libertus Ravdushara. Auf silbernen Platten servierte er uns allerlei Vorspeisen, unter anderem Venusmuscheln, Seeigel, sauer marinierte Sepiascheiben und Möweneier, dazu schenkte er einen goldenen Massiker in Kelche aus Flußspat. Blütenblätter schwammen auf dem parfümierten Wasser, in dem ich meine Finger säuberte. Nachdem wir miteinander angestoßen hatten, vergnügte ich mich damit, Manius neckisch den ein oder anderen Leckerbissen anzubieten und abwechselnd selbst einen zu verspeisen...

  • Gracchus hob verwundert die linke Braue, war er doch mitnichten sich gewiss, ob Serapio mit ihm scherzte oder im Ernst sprach - erachtete er seinen Wortschatz selbst doch keinesfalls als sonderlich außergewöhnlich. Bisweilen war ihm Faustus ob solcher Bemerkungen gar ein wenig fremd und es machte ihm bewusst aus welch unterschiedlichen Welten sie stammten.
    "Fastilliant allfällig?"
    suchte er sich im Scherz abzulenken.
    "Oder womöglich miramanios?"
    Er legte Serapio ein Möwenei auf die Lippen und angelte sich selbst eine Sepiascheibe, genoss das Kribbeln, welches sie kurzzeitig in seiner Kehle hinterließ.
    "Mhm, köstlich! Du überrascht mich nicht nur mit diesem prä'htigen Anwesen, sondern ebenso mit einem begnadeten Koch. Kennst du das Deversorium Delectationum an der Alta Semita? Dort gibt es einen ganz ähnlich deliziösen Tintenfisch."
    Im Ansinnen, sich ein weiteres Stück zu genehmigen streckte er seine Hand aus, hielt jedoch vorerst inne.
    "Ich kann es noch immer nicht recht fassen. Letzte Woche noch glaubte ich dich ver..loren bis zum Ende meiner Tage und nun Iiegen wir hier und laben uns an Ergötzlichkeiten. Könnte es nur immer so sein, fastilliant miramanios tagein, tagaus."
    Seine erhobene Hand streifte Serapios Wange und die Couleur seiner Stimme war schwer von Ernst.
    "Oh, Faustus, versprich mir, dass wir nicht wieder auseinander gehen ohne Aussi'ht auf ein Wiedersehen. Nie wieder. Lasse uns alle Opportunitäten nutzen, welche sich uns bieten, und so sie uns nicht sich bieten, im Zweifelsfalle sie uns selbst erschaffen."
    Selbstredend hatte sich nichts gewandelt an der Verfänglichkeit ihrer Liaison, gleich ob Serapio noch Praefectus Praetorio war oder nicht. Doch Gracchus war es leid, sein eigenes Sehen stets hinten an zu stellen, respektive war er schlichtweg nicht fähig dieses Sehnen nach Faustus zu verdrängen, geschweige denn zu negieren.

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  • Kurz war mir so, als wehe ein leiser Missklang durch unsere Zweisamkeit... Konnte es sein, dass Manius das, was mir da so treuherzig herausgerutscht war, irgendwie... unangemessen fand? Vielleicht glaubte er, ich wolle mich über seine überaus gediegene, gehobene, wohlklingende, aristokratische, und das ein oder andere Mal auch echt altmodische Art sich auszudrücken lustig machen... will sagen mokieren. - Was natürlich nicht meine Absicht war. Im Grunde hätte ich ihm gerne gesagt, dass ich es schön fand, durch ihn neue Dinge zu erfahren... Natürlich waren wir schon viel (viel!) zu alt, um uns noch Eromenos und Erastes zu nennen, ich war ein gestandener Soldat und Kommandant, aber ich schätzte eben trotzdem diesen Aspekt, durch ihn meinen Horizont zu erweitern.
    Schon war dieser kurze Moment aber vorübergezogen, und Manius schmiedete Worte, wobei ich ihm fasziniert zuhörte und unwillkürlich vor meinem inneren Auge erst eine Figur meiner selbst aus einem einzigen funkelnden Brillianten geschliffen auftauchte... - Narziss aus der Sage wäre neidisch geworden bei dem Bild, aber Gedanken sind frei... - zugleich erinnerte mich der Klang wehmütig an meinen verstorbenen Bruder Appius, wie er mich stets 'Faustillus' genannt hatte... Darauf formte sich aus wundersamem Farbengeflirr ein kaiserlicher Manius, umhüllt nicht von Purpur sondern von einem märchenhaft blaugrün schillerndes Isis-Gefieder, der weite Schwingen ausbreitete...
    Dabei hatte ich gar nichts genommen. Und nur ein paar Schluck Wein getrunken.


    "Miramanilliant..." murmelte ich verblüfft, und nahm mit den Lippen das Ei von seinen Fingern. Es war mit einer raffinierten Paste gefüllt, die nach Rauke und Pinienkernen schmeckte. Ich kaute genüsslich, war froh, dass das Essen auch Manius' verfeinerten Gaumen zusagte, stockte jedoch, als er meinen Koch pries, den nicht-existenten. Ins Deversorium Delectationum hatte er mich ja selbst eingeführt, bei einem unserer Treffen, das weniger erquicklich gewesen war, wobei das keineswegs am Essen gelegen hatte.
    Obschon nun wirklich nichts dabei gewesen wäre, zu erwähnen, dass ich die Speisen von dort hatte holen lassen... nickte ich nur und lächelte nichtssagend. Alles sollte doch perfekt sein....


    Und es lief auch wirklich gut. Was er aussprach, das waren doch genau meine Wünsche. Ich hatte genug von gehetzten gestohlenen Augenblicken am Rande irgendwelcher Feste, oder dem echt unbequemen Schreibtisch in seinem Officium. Nicht, dass das nicht alles extrem heiß gewesen wäre. Aber ich wollte... mehr, viel mehr eben. Glücklich spürte ich die zarte Berührung an meiner Wange, streckte selbst die Hand nach ihm aus, barg die Kontur seines Gesichtes in meiner gewölbten Hand, strich ihm zärtlich über den Nacken, und kraulte ihn verliebt an den Schultern, immer weiter. Ganz dicht lagen wir uns gegenüber, sahen uns in die Augen, und tiefbewegt gelobte ich:
    "Ich verspreche es, Manius. Ich bin dein. Ich will... einfach nur mit dir zusammensein, soviel wir nur können. Ich will noch mehr als... Nächte, die berauschend sind, aber ohne Morgen... - Und ich habe mir gedacht, allfällig überschätzen wir in unserer Angst vor der fama die Gefahr, einfach offen auch einen Umgang als 'gute Freunde' zu pflegen. Wer könnte etwas dagegen sagen, wenn wir uns häufig besuchen? Zusammen ins Theater gehen? Oder vielleicht... einen Kultverein gründen, bei dem wir uns sehen können, zum Beispiel... einen Kultverein des Apoll, mit Dichterlesungen und Vernissagen und Mäzenat..... Oder nein, sicher ist es riskant, das will ich nicht schönreden. Es gibt doch so einige, die über mich bescheid wissen, meine Familie, und auch dem ein oder anderen alten Kameraden ist es nicht verborgen geblieben, und dann natürlich meine ehemaligen Liebhaber, und Valentina, und die Sklaven nicht zu vergessen... sicher könnte sich manch einer etwas zusammenreimen, wenn man uns viel zusammen sieht."
    Manius' Reputation war meines Erachtens doch deutlich tadelloser als die meine. Wenn seine Senatskollegen, mein Vater Livianus oder sogar der scharfzüngige Dives sein Geheimnis erraten würden... oh je. Doch auch ich hatte richtig viel zu verlieren. Als der Jüngere von uns beiden, dem man natürlich den sich hingebenden Part zuschreiben würde, da wäre die Schande für mich noch viel größer.
    "Wer weiß eigentlich über dich bescheid, außer deinem Sciurus?" erkundigte ich mich vorsichtig.


    "Eine andere Idee: was hältst du davon, wenn wir einfach mal für ein paar Tage aus der Stadt entfliehen. Wir könnten eine Jagdpartie unternehmen! In den Montes Lucretili, in der Gegen von Orvinium, da ist es wunderschön. Menschenleere Bergwälder, viel Wild... Wir könnten uns eine einsame Jagdhütte mieten, so ganz rustikal, ohne Gefolge, ohne Zwänge, weit weg von Rom, nur wir beide! Das wäre doch fabelhaft! Was meinst du dazu?"
    Oh, kaum hatte ich es ausgesprochen, da fiel mir wieder ein, dass seine werte Frau Gemahlin ja hochschwanger war. Wohl kaum der richtige Zeitpunkt, um sich zum Jagdvergnügen zu verabschieden. Beim Geifer des Cerberus, diese Frau war eine Plage.

  • Ich bin dein - einem güIden-purpurfarben schimmernden Schmetterling gleich flatterten Faustus' Worte dahin und ehedem er in die Lüfte konnte entschwinden hatte Gracchus ihn eingefangen, trug ihn vorsichtig zwischen seinen gewölbten Händen haltend hinein in sein Gedankengebäude und schuf ihm einen neuen Raum. Er öffnete leicht seine Hände und blies den Schmetterling hinaus, dann noch einen, und noch einen und noch ein Dutzend und mehr. Ich bin dein. Ich bin dein. Ich bin dein, flatterten sie golden und purpurfarben um ihn her, mehr und mehr bis dass der gesamte Raum eine Symphonie aus samtig weichen Flügelschlägen war. Er war glücklich.
    "Niemand könnte etwas gegen eine Freundschaft einwenden. Es gibt letzendlich auch andere Freundschaften, welche gänzlich unver..fänglich sind."
    Ob nun eine Freundschaft, die ihren Höhepunkt oder Ursprung in einem gemeinsamem Kaisermord hatte, als unverfänglich zu bezeichnen war, mochte zweifelhaft sein - doch in anderem Sinne sicherlich.
    "Der Unterschied in ... in unserer Herkunft mag ein eigen Ding sein, indes habe ich nie auf solcherlei insistiert, sondern stets nur auf einen verständigen Geist. Meine ... Freundschaften haben sich nur eben in diesen Kreisen ergeben. Indes ist es ein offenes Geheimnis, dass der Bürgerkrieg uns verbunden hat, und ebenso wie jenen selbst wird niemand wagen, die Hintergründe unserer Ver..bindung erforschen zu wollen."
    Gracchus stockte und dachte über Serapios Frage nach dem Mitwissertum um die Verlänglichkeit seiner Vorliebe nach.
    "Meine Vettern Caius Aquilius und Marcus Aristides kennen alle Höhen und Tiefen meiner selbst, sie waren mir stets wie Brüder."
    Genau genommen waren sie ihm die Brüder gewesen, welche er in seinen Brüdern nie hatte, Caius darüberhinaus später noch viel mehr.
    "Indes leben sie schon lange fort von Rom, und würden zudem niemals eine Diffamation meiner Person zulassen."
    Er dachte über die Freudenjungen nach, die jedoch im Laufe seines Lebens selten geworden waren, zudem hatte Sciurus stets für höchste Anonymität Sorge getragen. Sciurus, der ihm für die Bedürfnisse seines Leibes in den Letzen Jahren hatte genügt.
    "Meine Gemahlin Prisca selbstredend, doch durch die Verbindung unseres Kindes wäre jede Schmach meinerseits eine noch größere Schmach ihrer selbst."
    Insbesondere da dies bereits ihre zweite Ehe war würde sie kaum wohl einen Bruch dieser zulassen.
    "Und in unserem Haushalt... allfällig gibt es Beoba'htungen und Konklusionen, doch unsere Sklaven stammen aus unserer eigenen Zucht und kennen den Wert ihres Hauses, sowie die Dependenz von seinem Ruf."
    Darüber hinaus verließen flavische Sklaven den Haushalt für gewöhnlich nur tot - als Teil der Familie oder exekutiert.
    "Ich... habe stets versucht mich bedeckt zu halten, nicht nur meiner Laufbahn, sondern insbesondere ob der Familie wegen."
    Nach einem Schluck des exquisiten Weines lehnte Gracchus sich etwas zurück und blickte durch die Decke des Baldachins an einen Ort, welchen nur er konnte sehen, um sich angenehmeren Dingen als dem Versteckspiel zuzuwenden, respektive einer neuen Dimension des Versteckspiels.
    "Eine Jagdpartie? Das kling vorzüglich. Ich war... seit Ewigkeiten nicht mehr auf der Jagd."
    Doch auch Gracchus fiel in diesem Moment seine Gemahlin ein.
    "Allerdings … ich kann Prisca unmöglich auf der Höhe ihrer Gravidität alleine lassen, um mich auf der Jagd zu ver..gnügen. Allfällig …"
    Zögerlich nur sprach er weiter.
    "Womöglich gibt es einige Inkonsistenzen in unserer Villa Rustica nahe Tibur, welche eine prioritätre und unbedingte Anwesenheit meinerseits erfordern. Von dort aus ist es nicht mehr weit in die Berge und wenn ich tatsächlich dort vorbeisehe, wiewohl einer vertrauenswürdigen Seele meinen Aufenthalt hinterlasse, um im Falle des Falles eine Benachri'htigung zu erhalten, dann könnte wohl niemand etwas gegen ein wenig Zerstreuung einwenden. Immerhin könnte ich binnen eines halben Tages zurück in Rom sein."
    Während der Geburt war er ohnehin zu nichts nütze, und seinen Sohn in die Arme zu nehmen und ihm einen Namen zu geben, dafür gab es noch genügend Zeit. Und hatte nicht Prisca einst ebenfalls ein Landgut vorgeschützt, um das Orakel in Cumae zu visitieren?
    "Besitzt nicht Voluptarianus eine Jagedhütte in den Montes Lucretili? Er schuldet mir noch einen Gefallen für ein überaus wohlwollend empfangenes Opfer..."

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  • Solche Liebesschwüre sind doch immer heikel. Kaum hatte ich die fatalen drei Worte ausgesprochen, da verspürte ich schon das Ungleichgewicht, das ich damit geschaffen hatte, denn nun wartete ich natürlich wie ein blind verliebter Jüngling sehnlich darauf, von ihm zu hören, dass er mein sei... doch er ging darüber hinweg, wahrscheinlich war es ihm zu schwülstig, so etwas derart unornamentiert kund zu tun.
    Statt dessen erklärte er mir, dass er über die Unterschiedlichkeit unserer Herkunft hinwegsehen konnte. Wie überaus großmütig. Meine liebkosende Hand an seinem Rücken zog sich zurück, und ich setzte mich auf, mit untergeschlagenen Beinen.
    "Dann kann man ja nur hoffen, dass mein Geist verständig genug ist, damit dieser plebeische Umgang deine Kreise nicht allzusehr schockiert." bemerkte ich sarkastisch, bemüht dies als Scherz zu verschleiern, doch im Grunde ernsthaft gekränkt. Schließlich gehörte ich der Nobilitas an, mein Vater war Konsular, Onkel Meridius Triumphator, ich selbst hatte die höchste - die allerhöchste! - Reichspräfektur inne gehabt, aber für seinen patrizischen Standesdünkel waren diese Errungenschaften anscheinend nicht von Relevanz.
    Indigniert lenkte ich mich damit ab, die letzten Seeigel auszuschlürfen. Ravdushara trug als nächstes gebratene Muräne in Weinsauce mit gestampften Zwetschgen auf, außerdem ein luftiges Barrakuda-Soufflé in Fischform, und allerlei andere maritime Gerichte dazu. Es duftete würzig, und ich probierte alles mal durch, noch immer damit beschäftigt, die Kränkung herunterzuschlucken.
    Manius hatte es gewiss nicht so gemeint. Wenn man von Kaisern abstammte, dann hatte man eben andere Maßstäbe, nicht wahr? Das Wichtige war doch, dass er ebenfalls wollte, dass wir uns regelmäßig sahen. Oder zumindest häufiger.
    "Marcus Flavius Aristides war mein Centurio in Parthia. Der beste Centurio den man sich nur wünschen kann. Ein Jammer, dass er nach der Beinverletzung aus dem Exercitus ausscheiden musste." erinnerte ich mich an meinen tapferen Centurio. Der hatte nie raushängen lassen, dass er ja ach so hochgeboren war. Ganz so verklärt wie früher sah ich ihn aber nicht mehr. Seitdem er damals Hannibal so grausam hatte exekutieren lassen.
    Zwei Vettern, die Frau, die Sklaven. Manius war wohl deutlich diskreter gewesen als ich. Ich selbst war in der Zeit nach dem Bürgerkrieg, als ich meine Reputation sowieso für unwiederbringlich zerstört hielt, viel zu unvorsichtig gewesen, hatte mich zumindest in der Familie nicht mehr verstellen wollen, hatte ihnen Borkan offen vorgestellt.... Im Nachhinein betrachtet, war das nicht gerade der Gipfel der Klugheit gewesen.
    'Unsere Sklaven stammen aus unserer eigenen Zucht.' Das war befremdlich zu hören... als ob er über Pferde oder Hunde spräche.
    Überraschend schmiedete er einen Plan, die Idee einer Jagdpartie doch umzusetzen. Da hätte einem die garstige Aurelia, so hinters Licht geführt, ja förmlich leid tun können – tat sie mir aber nicht.
    "Das trifft sich gut." bemerkte ich einsilbig.
    Obschon es mich natürlich freute, dass Manius zustimmte – meine Verstimmung umwölkte mich noch immer hartnäckig. Superb und miramanilliant fand er mich, wenn ich mit ihm in die Kiste sprang, aber gesellschaftlich schaute er steil auf mich herab.
    Mit einer langstieligen Gabel stach ich in ein Stück Muräne, tunkte es in den Zwetschgenstampf und aß es.

  • Es klang wie ein Scherz als Serapio über die mögliche Konsternierung seiner Kreise sprach, doch für einige Augenblicke verdarb dies Gracchus den Appetit. Abwesend nur lächelte er über die Erinnerung an Marcus - der beste Centurio! - und bediente sich spärlich an der Muräne, zögernd seine Gedanken zu offenbaren.
    "Diese Hoffnung ist vergebens"
    , gestand er schlussendlich, denn so er nicht gegenüber Faustus konnte ehrlich sein, wem dann?
    "Dass... unsere Freundschaft niemanden schockieren wird"
    , fügte er an, da seit dem Thema immerhin bereits ein neuer Gang aufgetragen war.
    "Schockieren ist allfällig nicht gänzlich korrekt. Doch so wir offen eine Freundschaft pflegen wird es zweifelsohne ab..schätzige Missbilligung oder spöttische Erheiterung geben, wenig vermutlich offen geäußert, doch um so mehr in meiner Absenz oder hinter meinem Rücken. Dies ist... schwer zu erklären, es ist... eine eigene Welt, mit eigenen Regeln und eigenen Normen, allfällig ein wenig überholt und doch so hochmögend und unumstößli'h, dass kaum jemand je stark genug ist, sie zu durchbrechen."
    Cornelius Scapula, der seit dem Bürgerkrieg ohnehin reserviert geworden war, würde sich allfällig noch mehr von ihm distanzieren. Der konservative, patrizische Flügel im Senat ihn nicht mehr Ernst nehmen. Und es war wohl ein Glück, dass Minor bereits verheiratet war, würde so mancher Pater familias doch künftig Zweifel hegen mögen, ob seine Tochter in Gracchus' Haushalt gut aufgehoben wäre.
    "Doch... es ist mir einerlei, Faustus. Mögen sie klatschen und lästern, meine Einladungen ausschlagen und mir keine mehr senden, meine Worte nicht mehr anhören oder res..pektieren, mich gar einen Narren schimpfen - es ist mir einerlei wenn ich im Gegenzuge mit dir zusammen sein kann. Du bist ... miramanilliant, Faustus, in allen Belangen - und wer dies nicht zu schätzen weiß ist es nicht wert, in meinem Kreise willkommen zu sein."
    Ein wenig ängstigte Gracchus seine eigene rigorose Entschlossenheit, immerhin hatten diese Kreise sein Leben lang ihn zwar eingeengt, aber letzlich auch Sicherheit, Orientierung und Stabilität geboten, und er war sich nicht sicher, ob einmal ihre Grenzen überschritten es je wieder ein zurück würde geben - insbesondere da er selbst eben dies bei einem anderen vermutlich kaum hätte toleriert.

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  • "Ein wenig überholt kann man wohl sagen. Wie lang sind die Ständekämpfe her? Ach, nur vierhundert Jahre..." bemerkte ich konsterniert.
    Wir sprachen ja nicht davon, händchenhaltend übers Forum zu spazieren, oder dass ich ein Patrizierprinzesschen freien wolle, lediglich davon, uns auch mal offen zu treffen, auch wenn nicht gerade Saturnalien waren. Bona Dea, was für ein megalomaner Standesdünkel! Dabei waren die wirklich so richtig alten Patrizierfamilien, von den hochedlen Claudiern abgesehen, meines Wissens nach doch fast alle an ihrer eigenen Degeneriertheit, Kinderlosigkeit oder in den End-Republiks-Wirren ausgestorben. Senatsaristokratie, ob plebeisch oder patrizisch, das zählte. Und die Zukunft gehörte sowieso dem Ritterstand. Aber das sahen die Patrizier selbst wohl ganz anders. Je bedeutungsloser, umso blasierter. Schon bei einer sogenannten Freundschaft mit mir drohte ihm die soziale Ächtung??!
    Der Appetit war mir vergangen. Mit finster gerunzelter Stirn und mahlenden Wangenknochen hörte ich, wie er das Szenario beschrieb, rückte dabei unwillkürlich ein Stück von ihm ab, schwang die Beine von der Kline, stolz aufgerichtet und im Sitzen halb von ihm abgewandt.
    "Aha, so blamabel ist also der Umgang mit mir. Was zum Hades sind das denn für verstaubte Snobs?!"
    Soviel zum perfekten Abend. 'Ein wenig überholt' nannte er diese Welt. Als ob ich ein iberischer Schafzüchter wäre, so mit Schafscheiße an der Sandale, so kam ich mir vor. Ob es Borkan ebenso gegangen war, mit mir, wenn wir zusammen waren...?
    Manius' leidenschaftliche Versicherung, dass er dieses Opfer zu bringen gewillt sei, mir zuliebe, klang... süß... und zugleich fiel es mir schwer, ihm das abzunehmen. Jetzt, hier nackt auf der zerwühlten Kline, meinte er es wahrscheinlich wirklich so, aber wenn er wieder unter seinen Schnösel-Kumpanen wandelte, dann sah es vielleicht anders aus... In den lucretilischen Bergen würden wir zumindest für uns sein. Da musste sich der edle Herr Hochwohlgeboren vor niemandem für seinen proletigen Iberer schämen!
    Niedergeschlagen stützte ich den Kopf in die Hände, grub die bloßen Zehen in den weißen Sand und hoffte inständig:
    "Omnia vincit Amor."
    Vielleicht sollten wir wieder ein paar Götter- und Heroenmasken aufsetzen, damit war alles viel einfach gewesen, so ohne schnöde Realität. Aber ich wollte ihn ja ganz. Womöglich oder allfällig würde ich mich damit abfinden müssen, dass nicht nur die goldene Sonne Ägyptens, und der Wort-Künstler und der feurige Liebhaber und all seine anderen strahlenden Facetten ein Teil des Manius Flavius Gracchus waren, sondern auch der verstaubte Snob.....
    ...
    Auf dem Tisch lag noch die Rolle mit dem großen Atonshymnus, schön auf Velum kopiert. Das war nämlich nicht nur ein Köder gewesen, nein, er war mir tatsächlich in Alexandria beim Stöbern in die Hände gefallen, in einer klangvollen Übertragung ins Griechische.
    "Möchtest du noch den Hymnus hören, den ich dir versprochen habe?"

  • Serapio schien ein wenig verstimmt über Gracchus' Umgang, was wiederum auch jenen ein wenig verstimmte, denn jeder Verstoß auf seine Freunde war immerhin ein Angriff auf seine Welt, auf ihn selbst gleichsam.
    'Verstaubte Snobs wie ich einer bin'
    , mochte er zuerst entgegnen, biss jedoch die Zähne zusammen, ergriff die Flucht in Schweigen. Er war hin und hergerissen. Er Iiebte Faustus, ohne Zweifel, in allen Facetten, zutiefst. Doch konnte er darüber sich selbst verleugnen? In der fernen Provinz wemöglich, doch in Rom? Würde dies tatsächlich dem Alltag standhalten? Wie sollte diese Liebe funktionieren, wenn schon eine Freundschaft derart diffizil sich gestaltete? 'Omnia vincit Amor' - bemühte Faustus die Dichtung, doch Gracchus war nicht überzeugt, insbesondere da die physische Distanz, welche Faustus zuvor hatte geschaffen ihm nicht verborgen geblieben war.
    "Den Hymnus?"
    repetierte Gracchus schlussendlich verwirrt, da er zuerst keine Relation zu dem zuvor gesagtem konnte herstellen.
    "Oh, du meinst den Atonshymnus? Ich ... nahm an dies sei nur ... eine Metapher."
    Allfällig würde es ihnen helfen, sich darin zu flüchten, waren die Zeiten Hephaistions und Atons doch ihre einfachsten gewesen.
    "Ich würde ihn sehr gerne hören."
    Er suchte ein wenig gelöster zu klingen als er es noch war, was jedoch nur mäßig gelang.

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  • "Es ist beides..." murmelte ich, noch immer damit beschäftigt, über die Kränkung hinwegzukommen. Meine Familie hatte so viel geleistet für Rom und so viel erreicht, und so viele von uns hatten einen so hohen Preis dafür bezahlt, auch ich. Mein Vater hätte während der Thronvakanz nur die Hand ausstrecken müssen um Kaiser zu werden! Da traf es mich hart, von Manius zu erfahren, dass man uns in seinem Milieu anscheind für sozial völlig indiskutabel ansah. Und dass er das... als so selbstverständlich voraussetzte. 'Möglicherweise ein wenig überholt' nannte er es verniedlichend, und streckte mir die Hand hin, gönnerhaft wie ein Prinz, der im Bewusstsein seines eigenen Großmutes einem Bettelknaben aus der Gosse die Hand reicht. Oder wie Zeus, der sich einen Ganymedes als Gespielen auf den Olymp holt, mögen die anderen Olympier ihn auch auslachen.


    Eigentlich war mir nicht nach weiteren Huldigungen für den großen Sonnengott, er war so schon gigantisch genug, aber ich wollte diesen Abend auch nicht völlig den Bach runter gehen lassen. Der Genius der zweiten Chancen war schon großzügig genug zu uns gewesen.
    "Ich wollte dir etwas mitbringen aus Alexandria, aber du hast ja schon alles. Da ist mir in einem kleinen Buchladen im Broucheion das hier in die Hände gefallen."
    Halbherzig griff ich nach der Schriftrolle und zog die Elfenbeinstäbe etwas auseinander, überflog im Licht des nahen Kandelabers die ersten Zeilen und holte Luft.... Dann wiederum stockte ich, denn ich dachte daran, dass mein Griechisch nach den Jahren in der Fremde, wo ich ständig Koine gesprochen hatte, auch nicht mehr das sauberste war, wahrscheinlich hatte ich selbst schon einen nabataeischen Akzent. Nicht dass Manius gleich schon wieder ein Demonstration bekam wie unfein ich war.
    "Icarion kann das machen."


    Ravdushara holte ihn, und Icarion rezitierte uns dann sehr gekonnt die archaischen, geheimnisvollen, manchmal unverständlichen Kultverse. Klangvoll und weich erfüllte die Stimme meines Libertus die Laube. Ich blieb auf dem Klinenrand sitzen, aber irgendwann so in der Mitte des Vortrages näherte sich meine Hand doch wieder wie magisch angezogen meinem persönlichen Aton und legte sich, wenn auch zögerlich, auf dessen Knie.



    "Schön erscheinst du
    im Lichtland des Himmels,
    du lebende Sonne, Ursprung des Lebens
    Du bist aufgegangen im östlichen Lichtland,
    und du hast jedes Land mit deiner Schönheit erfüllt.


    Du bist schön, gewaltig und funkelnd,
    du bist hoch über jedem Land.
    Deine Strahlen, sie umfassen die Länder bis ans Ende deiner ganzen Schöpfung,
    als Re dringst du an ihre Grenzen
    und unterwirfst sie deinem geliebten Sohn.
    Du bist fern, aber deine Strahlen sind auf Erden,
    du bist in ihrem Angesicht, aber man kann deinen Gang nicht erkennen.


    Gehst du unter im westlichen Lichtland,
    ist die Erde in Finsternis,
    in der Verfassung des Todes.
    Die Schläfer in der Kammer, verhüllt sind ihre Köpfe,
    kein Auge sieht das andere.
    Ihre Habe wird ihnen unter den Köpfen weg gestohlen, und sie merken es nicht.
    jedes Raubtier ist aus seiner Höhle herausgekommen,
    alles Gewürm sticht.
    Die Finsternis ist ein Grab,
    die Erde liegt in Schweigen:
    ihr Schöpfer ist untergegangen in seinem Lichtland.
    Am Morgen bist du aufgegangen im Lichtland
    und bist strahlend als Sonne des Tages.
    Du vertreibst die Finsternis, du gibst deine Strahlen,
    die beiden Länder sind im Fest täglich.


    Was auf Füßen steht, erwacht: du hast sie aufgerichtet,
    sie reinigen ihre Körper und ziehen Leinengewänder an;
    ihre Arme sind in Lobgebärden bei deinem Erscheinen,
    das ganze Land tut seine Arbeit.


    Alles Vieh befriedigt sich an seinen Kräutern,
    Bäume und Pflanzen grünen.
    Die Vögel fliegen auf aus ihren Nestern,
    ihre Flügel in Lobgebärden für deinen Ka.
    Alles Wild hüpft auf seinen Füßen,
    alles, was auffliegt und niederschwebt,
    sie leben, wenn du für sie aufgehst.


    Die Schiffe fahren stromab
    und stromauf in gleicher Weise.
    Jeder Weg ist offen durch dein Erscheinen.
    Die Fische im Fluß springen vor deinem Angesicht;
    deine Strahlen sind im Innern des Ozeans.


    Wie zahlreich sind deine Werke,
    die dem Angesicht verborgen sind,
    Du einer Gott, dessengleichen nicht ist!
    Du hast die Erde erschaffen nach deinem Herzen, der du allein warst,
    mit Menschen, Herden und jeglichem Wild,
    allem, was auf Erden ist und auf Füßen läuft,
    allem, was in der Luft ist und mit seinen Flügeln auffliegt.


    Die Fremdländer von Syrien und Nubien
    und das Land von Ägypten:
    du stellst jedermann an seinen Platz und sorgst für ihren Bedarf,
    jeder Einzelne hat zu essen, seine Lebenszeit ist festgesetzt.
    Die Zungen sind verschieden im Sprechen,
    ihre Eigenschaften desgleichen;
    ihre Hautfarbe ist unterschieden, denn du unterscheidest die Völker.


    Du schaffst den Nil in der Unterwelt
    und bringst ihn herauf nach deinem Willen,
    um die Menschheit am Leben zu erhalten, wie du sie geschaffen hast;
    du bist ihrer aller Herr, der sich abmüht mit ihnen.


    Du Herr eines jeden Landes, der aufgeht für sie,
    du Sonne des Tages, gewaltig an Hoheit!
    Alle fernen Länder, du schaffst ihren Lebensunterhalt:
    du hast einen Nil an den Himmel gesetzt, daß er herabsteige zu ihnen
    er schlägt Wellen auf den Bergen wie der Ozean,
    um ihre Äcker zu befeuchten durch seine Berührung.


    Wie wirksam sind deine Pläne, du Herr der unendlichen Zeit!
    Der Nil am Himmel, du gibst ihn den Fremdvölkern
    und den Wildtieren eines jeden Berglandes, die auf ihren Füßen laufen.
    Der Nil des Landes, er kommt
    aus der Unterwelt nach Ägypten.


    Deine Strahlen säugen alle Wiesen;
    wenn du aufgehst, leben sie und wachsen um deinetwillen.
    Du erschaffst die Jahreszeiten, um alle deine Geschöpfe sich entwickeln zu lassen,
    den Winter, sie zu kühlen,
    die Sommerglut, damit sie dich spüren.


    Du hast den Himmel fern gemacht, um an ihm aufzugehen,
    um alles zu sehen, was du erschaffst, indem du allein bist.
    Du bist aufgegangen in deiner Verkörperung als lebende Sonne,
    du bist erschienen und strahlend,
    du bist fern und nah zugleich.


    Du erschaffst Millionen Verkörperungen aus dir, dem Einen,
    Städte und Dörfer,
    Äcker, Weg und Fluß.
    Alle Augen sehen dich ihnen gegenüber,
    indem du als Sonne des Tages über der Erde bist.


    Wenn du gegangen bist, ist kein Auge mehr da, dessen Sehkraft du geschaffen hast,
    damit du nicht deinen Leib als einziges deiner Geschöpfe sehen müßtest,
    aber auch dann bist du in meinem Herzen, denn es gibt keinen, der dich kennte,
    außer deinem Sohn, vollkommen an Gestalten ist Re, Einziger des Re,
    Du läßt ihn kundig sein deiner Pläne und deiner Macht.


    Die Erde entsteht auf deinen Wink, wie du sie geschaffen hast:
    du gehst auf für sie - sie leben,
    du gehst unter, sie sterben.
    Du bist die Lebenszeit selbst, man lebt durch dich.


    Die Augen ruhen auf Schönheit, bis du untergehst,
    alle Arbeit wird niedergelegt, wenn du untergehst im Westen.
    Der Aufgehende, er läßt alles Seiende wachsen für den König;
    Eile ist in jedem Fuß, seit du die Erde gegründet hast."

  • Er hatte alles - wie wahr dies war bezogen auf materielle Güter, und doch fühlte Gracchus bisweilen sich so arm und leer, dass ein Abend mit Faustus ihm schien wie unermesslicher Reichtum, auch ohne Prunk und Luxus. Als dann auch noch der Strom der Verse aus dem kunstfertigen Freigelassenen floss und seine Sinne umschmeichelte gab es nichts, über das er in diesem Augenblicke sich mehr hätte gefreut. Leicht öffnete sein Mund sich als er in seinen Gedanken dem strahlenden Aton folgte durch Tag und Nacht, über Ländereien und Meere, Himmel und Erde und aller Anmut der Schöpfung. Einige Herzschläge in Stille und Ergriffenheit folgten, ehedem ein unscheinbarer Ruck durch Gracchus' Leib ging und er zurück in die Gegenwart fand.
    "Es ist ... überragend schön."
    Erst nun wurde Gracchus sich der Hand bewusst, die auf seinem Knie lag. Er ergriff sie, hob sie zu seinen Lippen und küsste Serapios Finger.
    "Und dass du an mich geda'ht hast in Alexandria... Ich ... könnte mir kein schöneres Geschenk vorstellen."
    Er ließ ihre Hände wieder sinken.
    "Ich weiß, du darfst nicht über deine Mission berichten, doch ... war sie zumindest erfolgreich?"
    Die eigentliche Frage, die Gracchus durch den Sinn ging war eher, ob sie es wert gewesen war Faustus' Leben zu riskieren - doch letztlich würde er damit nur Rom und den Augustus infrage stellen, was wiederum ihm fern lag.

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    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

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