Montes Lucretili – Omnia vincit Amor(?) – Szenen einer Jagdpartie

  • Verborgen von Zweigen und Ästen wartete Sciurus an der Aussicht über die Schlucht, gespannt wie eine Katze auf der Lauer vor dem Mäuseloch. Er hatte den Gürtel seiner Tunika gelöst und hielt ihn locker in seinen Händen. Es dauerte nicht lange bis die Maus angekrochen kam. Als Decimus Serapio sich nach dem Thymian bückte trat der Sklave aus seinem Versteck und näherte sich schnell und lautlos seinem Rücken. Mit einem letzten Schritt war Sciurus hinter ihm, schwang seinen Gürtel über dessen Kopf und zog ihn um seinen Hals zu. Es hatte lange gedauert bis Sciurus als Sklave ein eigenes Messer zugestanden worden war, daher hatte er damals längst andere Methoden der Gewalt perfektioniert. Mit einem Seil, oder auch einem Gürtel konnte man aus dem Hinterhalt sehr schnell agieren und sich jemandes entledigen. Doch Sciurus beherrschte es ebenso, die Luft seines Opfers nur ein wenig abzuschnüren, gerade soviel zum Atmen zu lassen, dass es noch zum Leben reichte, aber zu wenig war, um Widerstand zu leisten.


    "Keinen Laut und keine Bewegung", zischte der Sklave.
    "Hier und jetzt wird dieses Trauerspiel ein Ende finden. Du wirst ein Ende finden! Ich habe dieses Hasardspiel schon viel zu lange toleriert. Du und deine liebestolle Gier, du bringst meinen Herrn in Gefahr, sein Leben und seine Familie, alles was er je erreicht hat! Du hättest bleiben sollen wo der Pfeffer wächst, Decimus! Aber du musstest zurückkehren und diese Buhlerei auch noch vertiefen! Mag euer Techtelmechtel über die Distanz schon riskant und verantwortungslos gewesen sein, aber diese Tage sind zuviel! Und daher werden sie jetzt ein Ende finden. Ha, bei allen Bemühungen war es am Ende so einfach, euch endlich mit ein bisschen Salz zu entzweien! Manius wird froh sein, dich los zu sein!"
    Er lachte hämisch und schob Serapio auf den Rand der Klippe zu. Eine eingeschnittene Kehle wäre zu offensichtlich. Er musste den Decimer in die Schlucht stürzen lassen. Ein tragischer Unfall oder auch Selbstmord seines Freundes hätte Gracchus zuvor in tiefe, vermutlich lange währende Trauer gestürzt, doch nach dem Streit würde er dies schnell überwinden.
    "Ich werde nicht zulassen, dass du ihn in Schande stürzt!"

  • Ein Luftzug, eine Bewegung aus dem Augenwinkel – viel zu spät nahm ich liebeskummervernebelter Traumtänzer dies wahr, da zog sich schon die Würgeschlinge zu, ich rang um Luft, krallte die Hand gegen den Lederriemen, rammte einen Ellbogen spitz nach hinten gegen die Magengrube des Angreifers, traf aber nur Rippen, versuchte vergeblich, den Mann von mir zu stoßen, mich rücklings gegen den Fels zu werfen, das Rabenaas war zu stark.
    Sciurus, die elende Kanaille! Sciurus hatte mich kalt erwischt. Er begann mich vollzuquatschen, während um mich herum schwarze Flecken tanzten, immer mehr sich zusammenballende, immer höher wallende Schwärme schwarzer Flecken, verzweifelt kämpfte ich um Luft, hörte ein ekelerregendes Röcheln aus meiner abgeschnürten Kehle, dann nur das hämische Lachen des mörderischen Sklaven... hatte ich nicht von Anfang an gedacht, dass mit einem Typen mit so scheelen Fischaugen was nicht stimmen konnte? - Salz! Und dass mein Bogen gebrochen war! Doch Sabotage!
    Die Füße in jede Ritze im Fels grabend, stemmte ich mich gegen ihn, Steine rieselten über die Kante des Felsabbruches in die Tiefe, und während alles in mir einfach nur panisch nach Luft und Überleben schrie, erinnerte sich zumindest mein Körper an eingeschliffene Bewegungen, meine Hand griff nach hinten, fand tastend seinen Schädel, umkrallte ihn seitlich und mit aller Wucht meines Ich!Will!!Leben!!! bohrte sich mein Daumen brutal in seine Augenhöhle hinein.




  • Wie von Serapio gewünscht, so glaubte er, hatte Gracchus sich ein wenig von der Hütte entfernt bis zu dem runden Felsblock am Wegesrand. Vor wenigen Tagen noch, bei ihrer Ankunft, hatten sie hier gescherzt, dass der Wald so üppig war, dass sogar die Felsen dick und rund wurden. Welch heitere Stimmung war dies gewesen, beinahe das vollkommene Gegenteil der jetzigen. Als der Flavier dort angelangte, war sein Gemüt bereits ein wenig abgekühlt, einem wehmütigen Bedauern des allmählich bewusstwerdenden Verlustes gewichen, und als er den Weg die Steigung hinauf zurück antrat, war Gracchus längst mehr als reumütig. War er hochmütig? Abgehoben? Nicht mit Bedacht, doch wie war seine Wirkung? Weshalb glaubte Serapio, dass er auf ihn hinabblickte, gleichwohl er ihn doch anhimmelte, ihn in alle Höhen der Lobpreisung wollte erheben? Zugegeben, dass ein Sklave ihm stets die Sandalen schnürte mochte von außen gesehen ein wenig übertrieben erscheinen, doch dass es ausgerechnet auf Faustus derart befremdlich wirkte, wäre ihm nicht in den Sinn gelangt. Und weshalb traf Serapio es so sehr, wenn er einen völlig versalzenen Puls ablehnte? Als er wieder an der Hütte war angelangt, war er bereits überzeugt, dass er Serapios Entschuldigung zwar würde annehmen - schlussendlich war zumindest auch dessen Wortwahl unangebracht gewesen -, doch seine eigene direkt würde folgen lassen. Die Hütte jedoch war leer. Nur Serapios Custos saß vor der Türe und schichtete Holzzweige.
    "Wo ist Faustus?"
    fragte er den Leibwächter, und es waren die ersten Worte, welche er je an ihn richtete. "Den Weg entlang zum Aussichtspunkt über die Schlucht", antwortete der Sklave. Gracchus linke Braue hob sich, doch er vermutete dass dies allfällig zu seiner Überraschung mochte gehören, und schlug daher jenen Weg ein. Schon vor den Storaxbäumen konnte er Sciurus' Stimme vernehmen, ohne jedoch Worte zu verstehen. Als er auf das kleine Plateau trat, stockte ihm der Atem.
    "Sciurus!"
    rief er erschrocken.
    "Was ... was soll das?"
    Hatte etwa Serapio seinen Sklaven aus Eifersucht angegriffen und dieser ihn überwältigt?

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  • Als der Decimer sich zur Wehr setzte, schnürte Sciurus instinktiv den Gürtel enger je stärker Serapios Druck auf sein Auge wurde. Der Schmerz, der sich über sein Gesicht ausbreitete, war wie ein Elixier, das die Brutalität in ihm antrieb. Erst Gracchus' Stimme brachte beide einen Moment lang aus dem Takt der Gewalt.
    "Bleib wo du bist, Manius!" brüllte der Sklave. "Du hast schon genug angerichtet! Ich werde beenden, zu was du nicht in der Lage bist. Merkst du nicht wie dieser Bauerntrampel dich in Gefahr bringt? Jahrelang habe ich dich geschützt vor allen Widrigkeiten, deinen Ruf, dein Vermögen, dein Haus, deine Kinder, deine Familie, dein Leben! Das hier geht zu weit! Der Decimus wird dich in Schande stürzen, dich und deine ganze Familie! Meine Bestimmung ist es, dich zu schützen, und das werde ich tun, auch vor dir selbst!"
    Wie viele Leben hatte Sciurus nicht schon beseitigt für seinen Herrn, ohne dass dieser je davon erfahren hatte. Wie viel Dreck hatte er weggewischt, wie viele Stimmen zum Schweigen gebracht. Sein Herr hatte nicht die geringste Ahnung, was Scurius alles für ihn hatte getan. Dies war sein Leben, seine Bestimmung, für nichts anderes war er geboren. Er würde nicht zulassen, dass Decimus Serapio das Leben seines Herrn, und damit sein eigenes zerstörte.

  • Einige Herzschläge lang blickte Gracchus Sciurus derangiert an. Seinen Sciurus. Seinen Sciurus? Der die Absicht hatte Faustus zu töten. Etwas fügte sich nicht recht ein in dieses Bild. Etwas. Passte. Nicht. Die Welt zerfiel in die Disharmonie einer mephistischen Kakophonie. Rot. Rotfarben tönend zerbarst ein Funken, entzündete die Glut des flavischen Ingrimms, welcher aus Gracchus' tiefstem Innersten sich emporfraß in Bruchteilen eines Wimpernschlages, seinen Leib zu umfassen, seinen Geist und sein Herz. Faustus, schlug es in seinen Ohren, Faus-tus hämmerte sein Herz, FAUSTUS hallte es von allen Wänden seines Gedankengebäudes wider.
    "Lasse - ihn - sofort - los!"
    knurrte er unwirsch und trat auf den Sklaven zu. In seinem Blickfeld gab es nur noch Faustus, der um sein Leben bangte, Faustus und das Ungeheuer, welches sein Leben verschlingen wollte. Gracchus' Leben. Seine Seele. Seine Herz. Er registrierte kaum, das Serapio die Ablenkung des Sklaven nutzte, um seinen Daumen nochmals mit einem Aufbäumen an Kraft fest in Sciurus' Auge zu drücken, dass mit einem Male Blut daraus rann, der Sklave aufschrie, einen Augenblick die Kontrolle verlor und der Decimer sich aus seinem Griff konnte entwinden. Noch ehedem Sciurus seinen nächsten Zug konnte ausführen war Gracchus bei ihm und fixierte ihn aus zornig lodernden Augen.
    "Du schlangenzüngiger Typhon! Brut der Echidna! Ich habe dir alles anver..traut, alles! Wie kannst du es wagen, mich derart zu hintergehen!?"
    Mit einer Wucht, welche weder der Sklave, noch sein Herr bei vollem Verstande je hätten erwartet, schlug er seinen Leibsklaven ins Gesicht, dass dieser einen Schritt zurück trat. Voll Ingrimm, zornentbrannt setzte der Flavier ihm nach und stieß ihn gegen die Brust, brüllte ihm seine Rage entgegen.
    "Er ist kein Bauerntrampel! Er ist ein Heros! Er ist mein Hephaistion, mein Meleagros! Teil meiner Seele!"
    Von der Wucht des Stoßes strauchelte Sciurus weiter zurück und verlor mit einem Male den Halt, als unter ihm die Steine am Rand der Schlucht wegbrachen. Innerhalb eines Herzschlages rutschte der Sklave ab und konnte sich nur noch mäßig halten an dürrem Wurzelwerk und Geröll. Das eine Auge blutunterlaufen und bereits zuschwellend blickte er noch aus dem gesunden zu Gracchus empor, doch dieser sah nicht mehr die klare, erfrischende Luft an einem Wintermorgen darin, nicht die Spiegelung eines hellen Himmels auf ruhigem Wasser, nicht die zarte Verlockung unumstößlicher Sicherheit - er sah nur noch das grauenvolle Monstrum darin und tat keinen Schritt.

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  • Mit der Kraft des Verzweifelten hielt sich Sciurus am Rand des Felsens fest. Sein Herr blickte ihn an voller Verachtung. Er hatte ihn verloren. Er hatte sein Leben verloren. Verloren an Faustus Decimus Serapio. Mochte der Iberer dafür tausen Jahre im Hades schmoren!


    Sciurus löste seinen Griff und fiel, fiel hinab in die Tiefe.

  • Mit einem Male waren Sciurus' Augen verschwunden. Sciurus war verschwunden. Ein Ruck durchzog Gracchus' Leib, er drehte sich hektisch um nach Serapio.
    "Faustus!"
    Mit wenigen Schritten war er bei seinem Geliebten und schlang seine Arme um ihn.
    "Faustus! Geht es dir gut? Bei allen Göttern, ich hatte sol'he Angst um dich! Er ... er wollte dich umbringen! Ich ... ich hatte solche Angst, dich erneut zu ver..lieren!"
    Er konnte seine Worte nicht unterbinden, sie flossen aus ihm heraus als können nur seine Worte die Welt wieder ins Gleichgewicht bringen.
    "Bitte ver..zeih mir, Faustus! Ich war so ein Narr! Ich liebe dich, Faustus! Ich liebe dich mit allem, mit deiner Ver..gangenheit und Zukunft, mit deinen Vorzügen und Unzulängli'hkeiten, mit allen Eigenheiten, in Perfektion oder ohne, mit salzigem Puls, so wie du bist, und ich will mich ändern für dich, meine Welt ver..lassen, deine Welt aufsaugen in mich, gleich ob es hinauf oder hinab, oder nur einen Schritt zur Seite geht. Bitte, bitte verzeih mir, lasse mich zu dir emporschauen, carbunculus meus, zum Firmament deiner miramanillianten Welt, lasse mich daran teil..haben, an dir und deinem Leben teilhaben."
    Er zitterte am ganzen Leib und hielt Faustus fest umschlungen, aus Furcht jener könne sich in jedem Moment auflösen. Was mit Sciurus geschehen war kümmerte ihn nicht einen Augenblick.

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  • Um mich war alles schwarz. Dann ein rötliches Pulsieren, das langsam größer wurde, rot bis zu den Rändern meines Blickes. Luft! Ich sog sie ein, mit einem furchtbaren Röcheln rang ich um das Lebenselixier. Verschwommenes Grau erschien, mit zwei helleren Flecken, die langsam die Form meiner Hände annahmen, eine blutig, auf dem Felsen, wo ich zusammengebrochen war. Die Schlinge war fort, aber meine zerschundene Kehle ließ kaum genügend Luft ein, jeder Atemzug pfiff wie ein Blasebalg, langsam, langsam... versuchte ich mich zu beruhigen, dann kam wie ein Schlag die Erinnerung an den Angriff zurück, und mit blutunterlaufenen Augen sah ich gehetzt um mich.
    Manius. Da war Manius. Wie der Zorn der Götter stieß er den Sklaven in den Abgrund.
    'Mein Hephaistion.' hatte er gesagt. 'Teil meiner Seele.'
    Dann war er bei mir, seine Arme um mich, zitternd, und sagte mir all die Sachen, nach denen ich schon immer gehungert hatte, sie von ihm zu hören, es mir aber gar nicht zu wünschen gewagt hatte, weil ich immer gedacht hatte, dass so einfache und kitschige und wunderbare und heißersehnte Allerweltsworte unter seiner Würde seien.
    Auch mein Körper begann zu beben, als die Furcht und die Schmerzen, die während des Kampfes weit weg gewesen waren, sich verspätet einstellten. Es war nicht gerade das erste Mal, dass einer versuchte, mich zu töten, aber das machte es nicht besser. Oh ihr Götter, wie hatte ich nur so leichtsinnig sein können, hier ohne Waffe herumzuspazieren, obgleich es doch bereits Verdachtsmomente gegen den Sklaven gegeben hatte. Liebe machte blind! Wenn Manius nicht gekommen wäre... Und gleichzeitig kam mir das alles so unwirklich vor, dass mir so was passierte, als wäre ich mit einem Mal von den Zuschauerrängen im Theater mitten auf die Bühne geworfen, mitten hinein in eine blutige Tragödie... nein, eine Tragödie war es nur für Sciurus... für Manius und mich hingegen ein glückliches Ende. Oder? Er wolle Manius beschützen, hatte der elende Würger immer wieder gerufen, beschützen vor mir. 'Ich lasse nicht zu, dass du ihn in Schande stürzt'


    Vollkommen fertig lehnte ich mich an meinen Geliebten, meinen Retter, mein Alles, in seine Umarmung, umschlag ihn selbst mit aller Kraft, ließ meine Stirn an seine Schulter sinken. Wenn ich langsam atmete, ging es wieder einigermaßen, aber als ich versuchte, etwas zu sagen – denn ich wollte ihm ganz viel sagen, und erklären und um Verzeihung bitten und bekennen und beschwören und versprechen – brannte meine Kehle wie Feuer und es kam nur ein Krächzen heraus.
    "...chchkchch... chikch... kchkchbe...chkchich... chauchkch..."





  • "Wir müssen dich zur Hütte bringen"
    , schaffte Gracchus es halbwegs sich einen Plan zu überlegen, was zu tun sei. Bis auf den Bürgerkrieg hatte er keinerlei Erfahrung mit den Folgen von Gewalt, und auch damals schon war er dem hilflos gegenüber gestanden. Er stützte Serapio und ließ diesen die Geschwindigkeit bestimmen, rief von weitem schon nach dem Custos, der einzigen Hilfe, welche im Umkreis zu erwarten war. Glücklicherweise hatte Serapio in seinem Leben bereits weitaus schlimmeres erlebt und war bald in der Lage, leise Anweisung zu geben, was ihm Linderung verschaffte. Obgleich Gracchus am liebsten noch am gleichen Tage zurück geritten und den Geliebten in die fachkundigen Hände eines Medicus hätte übergeben, konnte Serapio ihn davon abbringen und die Reise auf den nächsten Morgen vertagen, was der Flavier nur deswegen akzeptierte, da dem Decimer nicht wohl war in seiner Verfassung allzu schnell auf ein Pferd zu steigen. Einzig Armastan sandten sie nach Tibur, um einige Kräuter und Lebensmittel für den Abend zu besorgen, denn auch an eine Jagd war nicht mehr zu denken.
    "Ich kann es noch immer nicht fassen"
    , räumte Gracchus schlussendlich ein als sie in der Hütte ein wenig Ruhe fanden, in einem provisorischen Lager, das er aus Fellen, Kissen und Decken vor dem Kamin hatte aufgeschichtet. Faustus lag in seinem Arm und war noch immer schweigsam, um seine Kehle zu schonen. Gracchus indes flüchtete um so mehr in Worte, um die dräuende Stille zu vertreiben.
    "Sciurus war ... mehr Teil meiner selbst als mein eigener Schatten. Stets konnte ich mich auf ihn ver..lassen, ihm vertrauen. Ich ... ich hätte ... ich habe ihm alles anvertraut. Alles."
    Resigniert, ein wenig verloren dazu blickte er in die Flammen.
    "Wie konnte er nur mich derart hintergehen? Nicht auszu..denken, hätte er seinen Plan in die Tat umgesetzt! Wie konnte er nur annehmen, dein Tod ... dies... dies würde mich nicht tan..gieren!"
    Allein die Vorstellung derangierte ihn erneut derart, dass er noch näher an Serapio heran rückte und das Thema suchte von sich zu schieben, gleichsam aber auch keine Stille mochte aufkommen und damit den Gedanken freien Lauf zu lassen.
    "Faustus? Ich möchte nicht, dass du annimmst, ich sei ho'hmütig"
    , schnitt er jenes Thema an, das ihn seit ihrem Streit am Morgen schon umtrieb. Hochmut war die Umkehr einer Tugend, und obgleich es Gracchus im Laufe seines Lebens durchaus bisweilen schwer gefallen war, alle Tugenden in sich zu vereinen, so mühte er sich doch, nicht in ihr Gegenteil zu verfallen.
    "Dies sei zugestanden, es mag einiges geben, das ich nicht selbst auf mich nehme, schli'htweg da es nie notwendig war, es dafür andere gibt, welche es gelernt haben und deren Dasein es ist, während es das meine nicht ist. Doch letztlich ist es doch bei dir nicht anders, nicht wahr, es gibt Dinge, die du selbst tust, und solche, welche du ausführen lässt."
    Er begann über Serapios Schopf zu streichen, vermied jedoch die Nähe seines Nackens, an welchem das Würgemal sich dunkel abzeichnete.
    "Schuhe indes ..."
    Ein Seufzen echappierte seiner Kehle.
    "Einige Jahre bevor wir uns kennenlernten"
    , deutlich noch erinnerte Gracchus sich an diesen bezaubernden Hephaistion, welchem er damals wie heute verfallen war,
    "hätten die Parzen mich beinahe ins Elysium gesandt. Ich ... war sehr schwach danach, wie gefangen in meinem Leibe, und es dauerte lange bis dass meine Kraft zurückkehrte, gleichwohl meine Rechte mir lange noch ihren Dienst ver..sagte. Ich lernte mit der Linken zu agieren, und mit viel Geduld und Mühewaltung nach Jahren die Rechte wieder zu nutzen. Doch ... das Aufbringen übermäßiger Kraft, aber auch diffizile Fingerübungen enervieren mich auch heute noch und ... nun, das Binden von Knoten und Verschließen kleiner Schnallen gehören zu jenen Dingen, gegenüber welchen ich schli'htweg irgendwann kapitulierte. Aus diesen Grunde lasse ich meine Sandalen noch immer schnüren und ... zugegeben gebe ich wohl eher dem Anschein von Hochmut den Vorzug gegenüber dem Eingeständnis der Schwäche."
    Gleichwohl seine Vergangenheit kein Geheimnis war, so würde ein Senator und Pontifex Roms, welcher eine halbe Ewigkeit nach dem Thermenbesuch an seinen Sandalen herumnestelte, zweifelsohne eher für Belustigung oder Gerüchte sorgen als für Verständnis.
    "Dass ich selten mehr schreibe als meine Unterschrift ist dem ebenso geschuldet."
    Zwar hatte Gracchus gelernt mit der Linken zu schreiben, doch war seine Schrift derart krakelig und unansehnlich, dass er sie keinem Auge mochte zumuten.
    "In deinem Falle jedoch möchte ich nicht dem Hochmut Vorzug geben, sondern der Wahrheit - auch auf die Gefahr hin, dass vor deine strahlende Sonne sich graufarbene Wolken schieben. Doch auch die Sonne kann nicht stets nur brennen ohne dass die Welt darunter würde leiden."
    Er drehte sich zur Seite und suchte mit seinen Lippen Serapios Wange.
    "Und mit Ver..laub, ich wollte ohnehin nie eine Sonne sein, ich möchte bei dir sein auf dem Boden der Welt, Teil deiner Welt. So war es und ... daran hat sich nichts geändert."

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  • Wie ein kranker Vogel lag ich in dem Nest, dass Manius uns vor dem Kamin gebaut hatte, lag in seinen Arm geschmiegt, einen kalten Lappen um den malträtierten Hals. So schrecklich das alles gerade auch gewesen war – es war ganz schön, so zu liegen. Es war schön, mal nicht so tun zu müssen, als könne einen Prätorianer rein gar nichts erschüttern. Ich fühlte mich erschöpft aber geborgen, heilfroh dass Manius rechtzeitig aufgetaucht war. Die Hüttentüre hatte ich trotzdem verriegelt und mein Jagdmesser lag griffbereit neben dem Kamin. Nur so.


    Tröstend streichelte ich seine Hand. War es das erste mal, dass er – eigenhändig – wen getötet hatte? Und dazu der Verrat! Mein armer Geliebter. Und wieder hörte ich die gehässigen Worte an meinem Ohr: 'Manius wird froh sein, dich los zu sein.' Was für ein durchgeknallter Irrer. Und dann noch zu behaupten, er tue es um Manius zu schützen. Das war doch blanke Eifersucht gewesen! Sciurus hatte ihn geliebt, das war doch sonnenklar (und auch leicht zu verstehen), hatte Manius auf hündische Art geliebt, und es nicht verkraftet, dass ich ihm seinen Platz in Manius' Bett streitig gemacht hatte. Gut, dass er tot war! Mochte sein Leib am Grunde der Schlucht verrotten. Von oben hatte man keine Leiche sehen können, aber das war kein Wunder in dem Felsenwirrwarr, und vielleicht hatte auch der Fluss sie mit sich getragen, den Fischen zu Fraße. Mochte seine tote Seele im Tartaros ewige Marterqualen erleiden.


    Ich solle nicht annehmen, dass er hochmütig sei? Überrascht.... und noch immer beschämt über den Schwall der Vorwürfe, die da heute morgen aus mir rausgebrochen waren... sah ich zu ihm auf. Der rote Schein des Kaminfeuers huschte über seine edlen Züge, das Spiel von Licht und Schatten hob die markanten Linien hervor, wie bei einer Kaiserbüste.
    'Es gibt Dinge, die du selbst tust, und solche, welche du ausführen lässt.'
    Natürlich. Ich nickte andeutungsweise. Schanzen zum Beispiel.
    Ganz leicht lehnte ich meinen Kopf gegen seine Hand, die mir so zärtlich durchs Haar strich, und hörte aufmerksam, dann sehr erschrocken, wie er mir das Geheimnis offenbarte, das erklärte, warum er seine Sandalen binden ließ... Meine Augen weiteten sich. Erst kam nur ein Hüsteln, aber dann gelang es mir, leise flüsternd Worte zu formen.
    "kchkch......ich.. chatte.. ja.. kcheine... Ahnung...!"
    Wie Schuppen fiel es mir von den Augen. Ich erinnerte mich, dass es mich anfangs maßlos irritiert hatte, dass er die wundervollen, tiefempfundenen Liebesbriefe, die uns über das Mare Nostrum hinweg verbunden hatten, dass er diese nicht selbst zu Papyrus brachte. Auch seine Unterschrift war seltsam unschön gewesen. Später hatte ich einfach nicht mehr darüber nachgedacht, hatte mein Bild seiner Perfektion durch nichts trüben lassen. (War es damals schon Sciurus gewesen, dem er diktiert hatte? Was für eine unheimliche Vorstellung, dass dieser Irre die ganzen Jahre schon unsichtbar Teil unserer Liaison gewesen war, und jede Regung unserer Herzen gekannt hatte. Nochmal: wie gut dass er tot war!)
    "kchkch... verzeih... mir...!" bat ich zutiefst zerknirscht. "...ichkch... war... ein dummer... schrecklich... kchch... eifersüch..kch..tiger... zorniger... Narr..." flüsterte ich. "Ich... kchkck... liebe dich... ich bin... kchkch... dein... auf immer dein... lass uns... unsere Welten... unsere Leben... teilen... kchch... miteinander..."
    Mit einer kleinen Drehung des Kopfes fanden meine Lippen seine... - 'Ich lasse nicht zu, dass du ihn in Schande stürzt.' hörte ich wieder und dachte: Schnauze, du Leichnam! - ... und wir küssten uns zart und innig.
    Wenn das überhaupt möglich war, so liebte ich ihn um so mehr, nach diesem Geständnis seiner Versehrung und Verletzlichkeit, und genauso wie er keine Sonne sein wollte, so wollte ich im übrigen auch kein Heroe sein, ob Hephaistion oder Meleagros, die starben alle viel zu früh den Heldentod. Ich wollte lieber weniger heroisch leben, und das mit Manius zusammen. Möglichst viel mit Manius zusammen. Nein, zum Hades mit dem 'möglichst', ganz mit Manius zusammen. Und was, wenn ich wirklich das Undenkbare tat und den Dienst ganz quittierte? Und was, wenn wir uns wirklich einfach zusammen nach Achaia aufmachen würden?!
    Dort in seinen Armen in der kleinen Hütte im tiefen Wald in den lucretilischen Bergen, im Schein des Kaminfeuers wie zwei Schiffbrüchige auf einem Floß, fern den Ufern der Welt dahintreibend... kam mir das gar nicht mehr so abwegig vor.





  • Den restlichen Tage verbrachten sie gemütlich in ihrem kleinen Nest, erst später wagten sie sich wieder hinaus in den milden Nachmittag, als Armastan mit den Lebensmitteln zurückkehrte. Sie sandten den Custos hinab in die Schlucht, doch außer einer blutigen Spur auf den Felsen am Wasser konnte er nichts entdecken. Sciurus' Leichnam war von den kühlen Wogen des Flusses verschluckt worden. Gracchus war durchaus erleichtert über diese Tatsache, entband ihn dies doch von der Entscheidung, was mit dem toten Körper zu tun sei - hatte doch einerseits Sciurus schweren Verrat geübt, für welchen es keine Entschuldigung gab, doch andererseits hätte es ihn durchaus belastet, dem langjährig treuen Sklaven die Bestattung zu verweigern. Gleichwohl würde auf diese Weise auch die notwendige Erklärung über den Verbleib des Sklaven zurück in Rom eine einfachere sein - er war schlichtweg abgestürzt in die Schlucht und im reißenden Flusse versunken, denn auch hier hätte die Wahrheit viel zu viele Fragen aufgeworfen, und zu viele Erklärungen über Hintergründe, welche besser im Verborgenen blieben, eingefordert. Befreit indes von all solchen Entscheidungen - wenn auch in Gracchus' Falle nicht von unterschwellig brodelnden Gefühlen - widmeten die beiden Liebenden unter der leisen Anweisung Serapios sich der Zubereitung eines Abendessens und begannen für den nächsten Tage des Aufbruchs ein wenig ihr Gepäck zusammenzupacken. Während der Flavier die Bedeutsamkeit Sciurus' Verlustes den Tag über hatte von sich geschoben, wurde ihm erstmalig zum Abend hin gewahr, wie essentiell der Sklaven für sein Leben gewesen war, als es ihm unmöglich schien seine Güter in die vorhandenen Taschen zu verpacken. Glücklicherweise war Serapio darin geübt, Reisegepäck auf den Rücken eines Pferdes zu lasten, und gemeinsam konnten sie durchaus über die Situation lachen. Der Schlaf indes bis zum nächsten Morgen war unruhig, auf beiden Seiten - auf der einen ob der Geschehnisse eines vergangenen Lebens, auf der anderen ob der Geschehnisse des vergangenen Tages.

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  • Am nächsten Morgen brachen wir auf. Wir verschlossen die Hüttentüre und schlugen zu Pferd den Weg ins Tal ein. Zum Abschied beschenkten uns die Montes Lucretili mit einem milden Herbstmorgen. Hinter uns schob sich die Sonnenscheibe über die Gipfel, und das bunte Laub der Bäume säumte unserem Pfad mit blassem Gold. Wir ritten unseren langen Schatten hinterher und sprachen wenig.
    Der vergangene Tag erschien mir unwirklich. Vier waren wir gewesen auf dem Hinweg. Jetzt nur noch drei. Ich hatte miserabel geschlafen in der letzten Nacht, und geträumt der rachsüchtige Geist des mörderischen Sklaven wäre aus der Schlucht herausgestiegen, um mich zu erdrosseln. Schaurig! In Wahrheit jedoch ging es meinem Hals wieder viel besser, zwar prangten an ihm fette blaue Würgemale wie eine besonders ausgefallene Halskette, aber meine Stimme war wieder zu gebrauchen, wenn auch heiser. Manius führte in sich gekehrt die Zügel seines Rosses. Liebevoll sah ich ihn, und zugleich mit anderen Augen. Ohne Zögern hatte er den irren Sklaven – der zugleich sein langjähriger... länger als wir uns kannten... Vertrauter gewesen war – in den Abgrund gestoßen. Für mich. Und ich sah, wie ihn das erschütterte, aber zugleich fand ich es ungeheuer romantisch! Ja, es war so ziemlich das Romantischste, das jemals jemand für mich getan hatte... (Wobei man bei sowas wohl keine Vergleiche anstellen sollte.) Wie in aller Welt sollten wir jetzt einfach zum Alltag zurückkehren?


    Ich hatte keine Ahnung. Aber bei einer anderen Sache war ich mir ganz sicher: ich musste Armastan loswerden. Er wußte zu viel. Viel zu viel! Nicht nur kompromitierendes, damit war ja zu rechnen gewesen, auch peinliches... Undenkbar, ihn in die Casa Decima wieder mitzunehmen.
    Am schlausten wäre es gewesen ihm die Kehle durchzuschneiden, aber dafür war ich nicht der Typ. Auch die sizilianischen Schwefelminen, mit denen ich gerne mal drohte, waren, nun ja, doch eher eine leere Drohung, in Wirklichkeit hatte ich noch nie jemanden dorthin geschickt. Und wenn ich ihn als Gladiator verkaufte... bestand die Gefahr, dass er siegreich überleben und berühmt wurde, und irgendwann seine Memoiren veröffentlichen würde, gewürzt mit einer pikanten Anekdote von den amourösen Eskapaden eines gewissen F.D.S., Prätorianer, mit einem gewissen M.F.G., Pontifex.


    "Armastan." Ich trieb mein Pferd an, neben seines. Wir ritten auf einem Weg mit tiefen Karrenspuren und sahen am Horizont schon den Rauch der Herdfeuer von Tibur. Das Bergparadies lag hinter uns.
    "Ja Herr?" Mein Custos erschien wie immer recht unbeteiligt. Ich hätte ja schon etwas Zerknirschung erwartet, schließlich hatte ein Leibwächter, der meinen Leib nicht bewacht hatte, nicht unbedingt einen Lorbeerkranz verdient. Aber Sciurus hatte uns alle hinters Licht geführt.
    "Was würdest du tun, wenn du ein freier Mann wärst?"
    "Frei? Heimkehren. Und wiederfinden... zurückerobern... mein... Tlwarysan... Wie sagt ihr..."
    Oase? Kamelherde? Mandeläugige Herzallerliebste?
    "Seele."
    Aha. Na dann.
    "Ich lasse dich frei, unter der Bedingung, dass du Italia auf schnellstem Wege verlässt. Ich schenke dir das Pferd, für deine treuen Dienste. Du kannst damit deine Schiffspassage bezahlen. Wenn du aber jemals zurückkehren solltest, lasse ich dir die Kehle aufschlitzen, von hier..." Ich zeigte auf sein eines Ohr. "... bis hier." Ich zeigte auf sein anderes Ohr. "Verstanden?"
    Nun kam doch eine Bewegung in seine stoische Miene, Überraschung, Freude, ungläubiges Erstaunen. Er schien etwas fragen zu wollen... sprach dann aber nur:
    "Ich habe verstanden. Mein Schweigen... es wäre dir auch ohne dies sicher."
    "Tja, manchmal hat man eben Glück im Leben."
    Verkündete ich, und zwinkerte dem edlen Barbaren gönnerhaft zu. Es war schon sehr schade, meinen Garamanten, der sich in meiner Sammlung exotischer Schöner so gut machte, so schnell wieder loszuwerden... aber ich könnte mir ja einen neuen kaufen. Er war mir nicht mal einen Bruchteil so unersetzlich, wie es das Rabenaas Sciurus für Manius gewesen war.
    In Tibur rasteten wir, und dort besorgte ich mir auch Schreibzeug und setzte eine Freilassungsurkunde für Armastan auf. Er nahm sie, führte sie an sein Herz und ritt davon. Nun waren Manius und ich nur noch zu zweit, auf dem weiteren Weg zurück nach Rom.


    Aus Geheimhaltungsgründen wäre es wohl besser gewesen, sich vor der Stadt zu trennen, aber nach all dem Durchgestandenen... und da es schon sehr spät war, ritten wir einfach zusammen weiter, nebeneinander auf der Via Tiburtina. Ich band mir ein Tuch um den Hals, wie ein Focale, bevor wir im letzten Licht des schwindenden Tages die Porta Viminalis durchquerten. Wir stiegen ab und führten die Pferde hinter uns. Am Fuß des Quirinal war es Zeit, auseinander zu gehen. Wie gerne hätte ich meinen Geliebten noch einmal in meine Arme geschlossen und mit Küssen überschüttet, aber dafür war hier zu viel Öffentlichkeit. Wie wir es uns geschworen hatten, gingen wir nicht auseinander, ohne das nächste Treffen zu verabreden, leise und schon jetzt wieder sehnsüchtig. In einer Woche, in der Villa Eutopia.
    Berauschend schön und unvermittelt mörderisch war diese unsere "Jagdpartie" gewesen, und nun war sie zu...


    ~ Ende ~





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