Grundausbildung - Lurco und Scato

  • Scato hätte sich ernste Sorgen gemacht, wenn Maro nicht in wenigstens einem Satz auf irgendwen geschimpft hätte. Interessant wäre zu erleben, wie der Centurio reagierte, wenn er es mit kriminellen Halunken zu tun bekam. Entweder er potenzierte seine Schimpftiraden in so einem Fall noch, oder das Gegenteil geschah und er schimpfte überhaupt nicht mehr. Beides eine unheimliche Vorstellung.


    Der Schild war extrem schwer und der Gladius kaum angenehmer zu halten aufgrund der Hebelwirkung auf das Handgelenk. Die notwendigen Muskelgruppen wurden im Alltag in der Regel nicht weiter beansprucht. Die Übungsschilde und Übungswaffen wogen vermutlich auch noch deutlich mehr als die Echten. Scato drängelte sich an den Pfahl neben Lurco. Er schaute kurz, wie es die anderen machten und stach in das Holz. Autsch, die Erschütterung für die Knochen und Gelenke war nicht ohne. Dann hob er den Schild so hoch, dass er Deckung bot, was ein Kraftakt war. Er ließ ihn wieder sinken und stach ein weiteres Mal zu, diesmal nicht ganz so tief ins Holz, so dass der Schlag nicht dermaßen durch Mark und Bein ging. Die im ersten Moment recht banal erscheinende Übung hatte es in sich. Nach einigen Wiederholungen merkte Scato, wie die Trageriemen tief in seinen Arm schnitten, woran man sich auch erstmal gewöhnen musste.


    Die Ausbildung bestand vor allem daraus, auch unter Schmerzen und Erschöpfung zuverlässig zu funktionieren, das begann Scato zu begreifen. Es ging nicht nur um die Kampftechniken und das Wissen, sondern auch um pure Zähigkeit und eisernen Willen. Darum, trotzdem weiterzumachen, ganz gleich, wie dieses Trotzdem aussah. Die Ausbildung musste weh tun und vielleicht war das auch der Grund, warum Maro die Rekruten verbal so rund machte. Das mussten ihre künftigen Gegner erstmal toppen, ihre Beschimpfungsversuche würden an den angehenden Urbanern abperlen wie das Wasser von einer geölten Rüstung. Zumindest motivierte Scato sich mit dieser Annahme und biss sich weiter durch die Wiederholungen.

  • Zustechen - hinter den Schild ducken und wieder zustechen... der Befehl klang so einfach und die ersten Übungen waren dies auch. Allerdings nur die ersten, denn jeder einzelne Stich und jede Deckung musste so exakt wie möglich ausgeführt werden.


    Es war wie bei allem, dass einem irgendwann in Fleisch und Blut übergehen sollte, zuerst musste man Präzision bekommen, die Schnelligkeit folgte später von allein. Das hieß für sie als Rekruten, es durfte sich kein Fehler in der Handhabung einschleichen. Dieser Fehler würde einen vermutlich zig Jahre oder gar dauerhaft begleiten. Oder dessen Ausmerzung würde mehr Zeit in Anspruch nehmen, als der Drill der Grundübung in absoluter Perfektion.


    Lurco bemühte sich jeden Stich und jedes Ducken so sauber hinzubekommen, wie es nur möglich war. Nach einiger Zeit wurden jedoch die Arme und Hände müde. Verständlich, die Bewegungen waren ungewohnt und wer hielt den ganzen Tag schon die Hände erhoben? Nun ab heute würden sie es tun, bis Maro ihnen etwas anderes befahl.


    Wie schwer ein Schild und ein Holzschwert werden konnten, zeigte sich nach einer Reihe Übungen, aber Lurco biss sich eisern durch, auch wenn sich seine Arme taub und seine Finger verkrampft anfühlten. Es war der Anfang, sie mussten hinter den Schmerz kommen. Nur war das leichter gedacht als getan. Am liebsten hätte er Maro angeschaut und stumm um eine andere Übung gebeten, oder jedenfalls etwas im Wechsel. Aber Maro würde schon wissen, was gut für sie war und falls nichts, würde er trotz steinschwerer Arme versuchen mitzuziehen.


    Es war noch früh, aber nach zig Übungen in Zeitlupe stand auch ihm der Schweiß auf der Stirn.

  • Auch bei den Schwertübungen ergaben sich bei jedem Durchgang die gleichen Diagnosen.


    "Proculus. Was fällt dir ein, das Schwert fallen zu lassen?! Auf dem Boden nützt es dir nichts. Der einzige er hier Schwerter wirft, bin ich. Und zwar in deinen Kopf Proculus, wenn du das Teil noch mal fallen lässt."
    Nach diesem Muster schritt er die Rekruten korrigierend die Reihen ab.
    "Titius, du verfluchter Hornochse. Das ist ein Schwert. Kein Holzprügel. Fließende Stichbewegungen hab ich gesagt. Die prügelden Schränke erwischt es auf dem Schlachtfeld immer direkt nach den Offizieren, wenn sie sich nicht beherrschen können. Also beherrsch dich."
    Als er genug gesehen hatte, gab er das Zeichen zu einhalten. Es war noch kein Schwertmeister vom Himmel gefallen. Die Tirones stellten im Moment eine größere Gefahr für sich selbst dar, als für andere. Aber das würde schon noch werden.
    Es war Zeit für die nächste Übung.
    "Da ihr jetzt immerhin alle zu wissen scheint, an welchem Ende man das Ding anpackt, kommen wir zur nächsten Übung. Paarweise zusammen. Immer abwechselnd wird einer auf den anderen einstechen. Der andere wird mit dem Schild blocken. Versucht euch bitte nicht am zweiten Tag schon gegenseitig umzubringen. Schlecht für die Statistik. Los jetzt. Bis ich sage, dass es genug ist."

  • Trotz der extremen Anstrengung musste Scato kurz grinsen, als Maro lamentierend durch die Reihen schritt. Natürlich in einem Moment, da dieser ganz weit weg war. Im Blickfeld des Centurios zu grinsen, wagte schon längst niemand mehr, selbst Grinsebacke Scato war es vergangen. In ihm formte sich die Auffassung, dass das notorische Gemecker tatsächlich Maros Art war, den Tirones seine Fürsorge angedeihen zu lassen. Letztlich war es die Aufgabe des Centurios, sie zu Elitesoldaten heranzuziehen und nicht, einen Ersatzvater oder Freund vorzuspielen. Er sollte sie für den Ernstfall stählen. Abgesehen davon, benötigten auch Söhne und Freunde manchmal auf den Deckel.


    Als sie sich paarweise zusammenfinden sollten, wandte Scato sich Lurco zu. "Wie sieht's aus mit uns zwei Hübschen?" Im nächsten Moment fiel ihm auf, dass er sich das Rumblödeln für die Zeit auf dem Exerzierplatz vielleicht auch langsam abgewöhnen sollte, selbst wenn er dabei nicht grinste. Sich vollkommen anders zu verhalten, als er es im Alltag gewohnt war, bildete für Scato eine Herausforerung für sich. Er stellte sich gegenüber von Lurco in ausreichender Entfernung zu den Nebenmännern und den Pfählen hin und nahm Deckungspose ein, so dass Lurco als erster angreifen konnte.

  • Lucro war froh als Maro ohne Korrekturbrüllen an ihm vorrüber gezogen war. So schlecht war dann nicht gewesen. Nicht gemeckert war gelobt genug. Nach dem Motto war er erneut etwas stolz auf sich, denn er hatte sich wirklich alle Mühe gegeben, jeden Stich so präzise wie möglich auszuführen, obwohl sich seine Arme nun anfühlten als wären sie mit Steinen gefüllt.


    Lurco lockerte etwas seine Muskeln, da trat ihm Scato entgegen. Mann gegen Mann hieß es nun. Stechen und Blocken. Bei dem Spruch und dem Angebot verkniff sich Lurco jeden Kommentar, sondern zog nur fragend eine Augenbraue hoch, ehe er leicht schmunzelte.


    "Angenommen, achte aber auf Deine Deckung, ich will Dich nicht verletzten oder versehentlich abstechen, klar?", erklärte Lurco nervös.


    Jemand anderes anzugreifen als einen Kameraden oder ausgerechnet noch Scato, wäre ihm sicher leichter gefallen. Irgendwie hatte die Übung einen seltsamen Beigeschmack. So vorsichtig wie möglich stach er zu, damit Scato auch ja blocken konnte. Und falls nicht, war er langsam genug um den Stich noch zu unterbrechen. Lurco blinzelte selbst und fragte sich, ob es für die anderen genauso seltsam aussah wie für ihn. Und ob sich die Kameraden auch so komisch fühlen, einen der ihren zu stechen.

  • Lurcos Mienenspiel war göttlich. Und Scato grinste wieder. "Das war ja wohl nichts", johlte er. Er selber war weit weniger zögerlich, zuzustechen. Er fand diese Übung sehr unterhaltsam und ging vielleicht ein Stück weit zu begeistert an die Sache heran. Für eine Zeitlang war der Schmerz in seinen Armen wie weggeblasen. Nachdem sein Übungsgladius donnernd auf Lurcos Schild geprallt war, ging er rasch zur Hälfte hinter seinem eigenen Schild in Deckung. "Mach jetzt, Mann", feuerte er Lurco an, bereit, vollständige Deckung einzunehmen, wenn er das Schwert auf sich zusausen sah. "Stich zu!"

  • "Du hast es so gewollt!", blaffte Lurco und stach mit seinem Schwert so fest zu wie er konnte, so dass Scato einige Ausfallschritte nach hinten machen musste.


    Das gab es doch nicht, eben noch waren Scatos Arme Wabbel und jetzt bedrängte er ihn. Das konnte Lurco nicht auf sich sitzen lassen. Durfte man eigentlich auch mit der flachen Seite des Schwertes schlagen? Lurco verzog sich schutzsuchend hinter seinen Schild und lauerte mit breitem Grinsen.

  • Tatsächlich schafften es die Rekruten sich nicht mit ihren Übungsschwertern gegenseitig in die Unterwelt zu befördern. Die meisten hatten dazu auch viel zu viel Angst, den Gegenüber zu verletzten.


    "Ach, ihr Memmen. Stecht doch mal richtig zu. Der andere hat ein Schild und ist außerdem nicht aus Glas. Wenn er seinen Schild nicht hochkriegt und dann eins in die Fresse bekommt ist das grade gut. Dann lernt er es vielleicht."


    Maro sah sich das Ganze noch eine Weile an. Dann gab er das Signal zum aufhören.


    "So. Reicht jetzt. Bevor Mars euch für eure Lahmarschigkeit mit dem Schwert hier und jetzt zu bestrafen beschließt. Wir machen jetzt mit dem Pilum. Lurco. Erzähl uns alles was du über das Pilum weißt."

  • Gerade hatte sich Lurco noch darauf vorbereitet, Scato eins mit der flachen Seite des Schwertes auf den Kopf zu geben, da mussten sie aufhören. Schade drum, aber vielleicht auch besser so. Zeit zu entspannen hatte er nicht, denn schon hatte Maro eine Frage an ihn. Nun war er es, der eine Waffe erläutern sollte und zwar das Pilum.


    "Das Pilum ist eine Art Speer und die Fernwaffe des Legionärs. Die Anwendung erfolgt folgendermaßen. Aus einer Entfernung von rund 10 bis 20 Schritt werfen die in Reih und Glied stehenden Legionäre gleichzeitig ihre Pila. Dadurch werden einige Gegner bereits vor dem Gefecht verwundet oder getötet wenn man Glück hat. Da das abgeschleuderte Pilum seine Energie auf eine kleine Spitze konzentriert und somit in der Lage ist, auch die Schilde zu durchschlagen.


    In vielen Fällen wird der Feind kaum oder überhaupt nicht verwundet. Dafür wird er jedoch stark behindert, denn viele Pila verbiegen sich beim Eindringen in den Schild. Grund hierfür ist dass der Eisenschaft im Gegensatz zur eigentlichen Spitze nicht gehärtet ist.


    Unmittelbar vor einem Angriff lassen sich diese verbogenen Eisen nicht mehr schnell genug entfernen, so dass der betroffene Feind gezwungen ist, seinen Schild fallen zu lassen und ohne diesen wichtigen Schutz den Kampf aufzunehmen.


    Kurz zusammengefasst die Vorteile des Pilum.
    Massives Eigengewicht.
    Verhakt sich in feindlichen Schilden und Rüstungen.
    Knickt um und zieht den Schild oder den Feind selbst nach unten.
    Hängt am Schild fest und nervt herum, sprich stört und behindert den Feind.
    Wegen dem Knick, der Sollknickstelle kann er vom Feind nicht wiederverwendet werden.


    Fast vergessen, neben der Verwendung als Wurfwaffe kann das Pilum auch als Stich- und Nahkampfwaffe eingesetzt werden. Besonders gegen Kavallerie ist das Pilum eine gute Waffe", erklärte Lurco.

  • Scatos Mund wurde schmal. Lurco degradierte Scatos zuvor mühsam gegebene Erklärung zum Gladius, auf die er stolz gewesen war, zu einer Randnotiz, indem er einen nahezu perfekt ausformulierten Vortrag über das Pilum hielt, einschließlich korrekter Entfernungsangaben und Materialeigenschaften, die sonst wohl nur Gelehrte kannten. Lurco konnte einfach nicht anders, er musste am Ende immer der Beste sein und Scato zeigen, was für eine Niete er war!


    Streber, formten Scatos Lippen lautlos.

  • Maro nickte ungeduldig während Lurco seine Erklärung abgab.


    "Ihr Götter, ich glaube unser Lurco hier ist ein verdammtes Genie was? Ich hoffe ihr anderen habt euch das gemerkt. War nämlich alles korrekt."


    Mental machte er sich eine Notiz, dass Lurco auf die Liste mit denen kam, die nicht ganz hohl in der Birne waren und daher tatsächlich vielleicht zu etwas zu gebrauchen.


    "Aber geschwafelt ist noch nicht geworfen. Deswegen werden wir genau das jetzt üben. Da hinten sind die Ständer mit den Pila. Jeder fünf. Dann stellt ihr euch 15 Schritt vor den Zielen dort drüben auf und werft. Auf das Ziel. Nicht auf eure Kameraden, auf das Ziel. Keiner betritt den Raum zwischen euch und den Zielen, bis ich das sage. Wenn das doch jemand wagen sollte, spieß ich seinem Kopf auf einer gallischen Kavallerielanze auf. Ich denke ich hab mich klar ausgedrückt. Und jetzt los."

  • Nicht nur Scato glotzte ungläubig, sie alle glaubten, sich verhört zu haben. War das gerade ein Lob aus dem Munde des Centurios gewesen? Und Scato hatte immer geglaubt, dass Maro in jeder Gefühlslage vor sich hin wettern würde. Die ersten Gerüchte machten in ihrer Baracke die Runde, wie der Centurio Marcus Octavius Maro in der Castra gelandet sein mochte. Eines davon besagte, er sei einst ein verheirateter Mann gewesen. Als er am Morgen nach der Hochzeitsnacht als erster aufgewacht sei und seiner noch friedlich schlafenden Frau verliebt ins Gesicht gebrüllt hätte, wäre sie vor Schreck gestorben. So sei er zum Militär gegangen.


    Aber offenbar konnte er auch anders, so dass diese Anekdote ins Reich der Legenden zu verweisen war.


    Umso mehr wurmte es Scato, dass Lurco ein Lob eingeheimst hatte und er nicht. Na warte. Man konnte Scato ja viele unschöne Eigenschaften nachsagen, aber an Ehrgeiz mangelte es ihm nicht. Er folge seinen Kameraden zu den Ständern. Einige versuchten, fünf Pila gleichzeitig zu ihrem Platz zu schleppen, aber Scato fand, dass die Ständer nah genug standen, um nach jedem Wurf einen neuen Wurfspieß zu holen. Die übrigen vier würden sonst nur rumliegen und beim Werfen zur Stolperfalle werden. Ob seine Interpretation richtig war oder ob es schlichtweg keine Rolle spielte, wusste er natürlich nicht. Notfalls würde Maro sich schon melden. Scato schaute sich die Wurftechnik bei Stilo ab, der aussah, als würde er nicht zum ersten Mal ein Pilum werfen. Schien gar nicht so schwierig zu sein. Scato holte Schwung und warf. Aufgrund seiner noch immer schmerzenden Arme nicht sehr gut, aber auch nicht völlig unmöglich. Nach und nach flogen vier seiner Pila in Richtung der Zielscheibe. Das Letzte traf. Im äußersten Ring bohrte sich die Spitze durch das Stroh, bis zum hölzernen Griff. Freudig fuhr Scato zu Lurco herum, um zu sehen, wie der sich anstellte.

  • Lurco spürte wie er aufgrund des Lobes rot wurde, mit allem hätte er gerechnet, damit nicht. Es freute ihn sehr und er war stolz darauf. Nach dem Befehl sich fünf Pila zu holen, tat Lurco genau das. Anstatt sich fünf einzelne Pila zu holen, nahm er sich seine fünf und legte sie neben sich ordentlich zur Seite, damit weder er noch seine Kameraden versehentlich darüber spolpern konnten.


    Fünfzehn Schritt vor dem Ziel stellte er sich auf, so wie es Maro ihnen aufgetragen hatte. Lurco nahm ein Pilum zur Hand und wog es. Die Waffe war schwer und er balancierte sie einen Moment aus, als er warf. Der erste Wurf ging daneben, die nächsten beiden auch. Die letzten beiden Pila fanden ihr Ziel und bohrten sich in das Stroh.


    Nicht gut und auch nicht schlecht überlegte Lurco. Für den Wurf mit einem Speer musste man erstmal ein richtiges Gefühl und die passende Technik bekommen. Aber er war guter Dinge. Er schenkte Scato ein Lächeln, dieser hatte ebenfalls ein Pilum versenkt. Lurco grinste kurz, verkniff sich aber jeglichen weiteren gedanklichen Kommentar zum Versenken von Waffen.

  • So wie immer waren einige gut, andere weniger gut.


    "Ahala, du bist der einzige, der noch nicht getroffen hat. Einen hast du noch. Auf geht's alle schauen zu."


    Das machte den armen Kerl natürlich nervös. Fürs Pilum-Werfen brauchte man einfach ein gewisses Gefühl. Und so warf Ahala auch den letzten Speer zu kurz und Maro wandte sich ab.


    "Wenn dein Centurio und deine Kameraden dich schon so nervös machen, was wird dann passieren, wenn du einem Feind gegenüber stehst? Naja. Ahala wird später sie Speere einsammeln.
    Wenden wir uns nun einem anderen Thema zu. Formationen. Scato. Was kennst du für Formationen?"

  • Der bedauernswerte Ahala guckte geknickt, als Maro sich fast schon angewidert abwandte, aber da musste er durch. Früher oder später bekam jeder hier sein Fett weg. Scato wühlte in seinem Gedächtnis, um die möglichen Formationen der römischen Infanterie lückenlos aufzuzählen, die der Centurio von ihm zu wissen verlangte.


    "Die bekanntesten Formation für die Kohortentaktik ist Testudo, die Schildkröte. Sie dient zum Schutz vor starkem Beschuss und zum geschützten Vorrücken auf befestigte Stellungen. Sie muss im Nahkampf jedoch rechtzeitig aufgebrochen werden, sonst sind die Legionäre hilflose Opfer von Feinden, die in offenen Formationen angreifen. Die Keilformation dient zum schnellen Durchbrechen feindlicher Schlachtlinien, die vor allem von den Auxiliareinheiten verwendet wird. Die Gegenformation ist das V, um den Keil darin aufzunehmen und zu umschließen.


    Daneben gibt es noch Rotate, die Rotation von Legionären innerhalb der Einheit, so dass sie regelmäßig durch ausgeruhte Kameraden von hinten ersetzt werden. Die Erweiterung davon ist Quincunx, die Rotation von ganzen Zentrurien. Bei der schiefen Schlachtordnung werden Schwerpunkte durch den Feldherren gesetzt, anstatt alle Kräfte gleichmäßig auf der gesamten Linie zu verteilen. Bei der ungeordneten Formation erfolgt der Einzelkampf Mann gegen Mann."

  • Maro nickte.
    "Mhm. Schiefe Schlachtordnung ist meistens eine höfliche Bezeichnung für: "Eine Flanke ist zu zu schnell oder zu langsam". Da reißt es dann unvermeidlich die ganze Linie auseinander. Sowas erfordert höchste Disziplin von allen Beteiligten. Und "Ungeordnete Formation" ist eine höfliche Bezeichnung für "Verfluchtes Scheißchaos bei dem keiner mehr weiß wo hinten und vorne ist." Da gehts dann ums nackte Überleben, meine Herren.Wir fangen aber mit dem wichtigsten für uns hier in der Stadt an.
    Das urbane Schlachtfeld,"

    dozierte er,
    "ist eines mit ausgeprägter Vertikalität. Heißt übersetzt: Alles Gute kommt von oben. Wenn ihr Lappen wüsstet, was man allein schon auf meinen bedauernswerten Schädel geworfen hat, würdet ihr es nicht glauben.
    Und oft reicht der Helm einfach nicht aus. Deswegen sind enge Formationen mit gehobenen Schilden überlebenswichtig zu beherrschen. Es kommt hierbei auf makellose Ausführung und höchste Geschwindigkeit an. Jeder einzelne Miles muss zu jedem Zeitpunkt genau wissen, was er zu tun hat und bereit sein. Wenn eine Legio in irgendeinem gottverlassenen Acker in Parthien nach der Ansprache des Feldherren so langsam den Feind auf sich zu latschen sieht, kann man sich schon mal ein paar warme Gedanken machen und die Muskulatur vorbereiten. In der Stadt kommt der Feind blitzartig von allen Seiten, von oben und von unten. Also. Disziplin und Geistesgegenwart. Hier ist was wir üben.


    Alle nehmen Schilde und Schwerter auf und stellen sich in Fünferreihen hintereinander auf. Und zwar ein bisschen zügig. Dann wird die zweite Reihe ihr Scutum über die Köpfe der ersten Reihe halten, und zwar so, dass möglichst nur geringe Lücken bleiben. Die hinteren Reihen machen das entsprechend. Auf geht's im Laufschritt.

  • Bei Maros Erklärung stellte sich Lurco die absonderlichsten und widerlichsten Dinge vor, mit denen man sie aus allen Himmelsrichtungen bewerfen konnte. Von einem geleerten Nachttopf bis hin zu ranzigen Küchenabfällen oder Steinen war alles dabei. Das ein Helm solchen Unrat nur bedingt, wenn überhaupt abhalten konnte, war klar.


    Lurco konnte nachvollziehen was Maro ihnen erklärte. Die Schlacht auf offenem Feld, war übersichtlich, jedenfalls sah man den Feind kommen. Ein immenser Vorteil. Der Kampf in der Stadt hingegen war Häuserkampf auf zig Ebenen, in verwinkelten Gassen und das zu jeder Tages- und Nachtzeit. Wer in den Straßen lebte, kannte sich darin aus, wie in seinem Brotbeutel. Das Gleiche musste ihnen gelingen, zudem mussten sie eine unbrechbare Einheit werden. Wie ein Mann musste die ganze Truppe agieren, dass war die Stärke Roms, das war die Stärke die sie dem Feind entgegensetzen mussten.


    Sie stellten sich in Fünferreihen auf, nachdem sie die Schilde und Schwerter aufgenommen hatten. Das Scutum über die Köpfe der vorderen Kameraden zu heben, war leichter gesagt als getan. Immerhin musste man es so anheben, dass der Vordermann dabei nicht einen Nackenschlag kassierte. Lurco hatte etwas zu fummeln und sein Vordermann bekam einige ab, aber dafür würde es ihm gleich auch nicht besser ergehen. Lieber einen wunden Nacken, als ein Loch im Schädel war seine Auffassung.

  • Was Maro erzählte, war interessant, die Tirones lauschten gebannt. Doch wer nun auf Anekdoten hoffte, welche Abscheulichkeiten bereits auf das behelmte Haupt des Centurios geregnet waren, wurde enttäuscht. Scatos erste Assoziation waren die berühmten Blumentöpfe aus Terracotta, gefolgt von Nachttöpfen, die zwar stinkenden Inhalt verspritzten, aber weitaus weniger Schaden verursachten als duftende Blumen in ihren schweren Wurzelbehausungen.


    Bei der folgenden Übung bekam Scato einen Vorgeschmack dessen, wie es sich anfühlte, mit Gegenständen von oben bombardiert zu werden. Es machte DONG und Scato hatte eine Beule mehr. Trotz Helm würde er heute abend mit Kopf- und Nackenschmerzen heimgehen. Ein Scutum wog so viel wie ein voller Wassereimer, die Übungsschilde noch einmal deutlich mehr als jene, die später zum Einsatz kommen würden. Scato hatte gewaltig damit zu kämpfen, seines vernünftig in Position zu bringen, ganz so, wie offenbar sein Hintermann - und es dann auch noch dauerhaft so zu halten und nicht einfach auf dem Helm des Vordermanns abzulegen.


    DONG.


    Noch eine Beule mehr. Als er sich verärgert über die Schulter umdrehte, sah er Lurco hinter sich stehen. War ja klar. Sein grimmiger Blick verwandelte sich in ein kurzes Grinsen, ehe er wieder ernst nach vorne blickte, darum bemüht, nicht seinerseits den Helm von Tarpa zu verbeulen.

  • Maro schüttelte den Kopf. "So viel motorisches Feingefühl wie ein Haufen thrakischer Lastenträger - Minus die Kraft. Ihr müsst euch vorstellen, dass da Pfeile, Steine und Wurfspeere kommen. Wären meine Truppe beim Sklavenaufstand vor ein paar Jahren so herum gelaufen, wäre der ganze Haufen platt gewesen, noch bevor die anderen Cohorten ihren Hintern aus der Castra in die Stadt bequemt hätten und ich wäre mit dem ungewaschenen Sklavenmob alleine gewesen. War ich aber nicht. Weil Milites die besten Soldaten der Welt sind. Ist das klar."
    Das war keine Frage.
    "Aber ihr seid noch keine Milites so wie ihr den Schild da herum schwenkt wie eine kaputte Amphore. Aber gut. Formationen werden täglich geübt und irgendwann könnt vielleicht sogar ihr sowas halbwegs damit zu Rande. So, genug geschwafelt. Ihr verbreitet mir noch zu wenig Kampfgeist. Deswegen werdet ihr jetzt die Ausrüstung ablegen - und zwar fein säuberlich - euch partnerweise zu sammen finden und ringen. Drei Runden. Wer den anderen zwei mal wirft, gewinnt. Los."

  • DARAUF hatte Scato Bock! Jeder Rekrut träumte an irgendeinem Punkt seiner Ausbildung begeistert davon, sich im Dreck zu wälzen. Warum das so war, wusste niemand, vielleicht das Feuer der Jugend, das da brannte und den Krieg für ein Abenteuer hielt, während altgediente Legionäre nichts so sehr hassten wie Regentage, an deren Ende sie ihre Ausrüstung doppelt so lange reinigen durften wie sonst. Davon war Scato allerdings noch weit entfernt, er freute sich auf das Ringen und auf den Dreck.


    "Hilf mir mal mit dem Panzer", bat er Lurco und drehte ihm den Rücken zu, damit sein Kamerad ihm die hinteren Verschlüsse auffriemelte, während Scato das zeitgleich vorne machte, ehe sie tauschten und Scato seinerseits Lurco aus der Rüstung half. Wenig später waren sie so weit. Die Schilde, Schienenpanzer und Helme lagen im Sand und Scato wartete vor Aufregung hibbelnd darauf, dass Lurco endlich Bereitschaft signalisierte.

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