[vor der Castra] Ein verirrter Sklave

  • Geblendet kniff Terpander die Augen gegen die tiefstehende Wintersonne zusammen, als er mit dem Brief in der Hand das Tor der Castra Praetoria hinaufschaute. Die Anlage als Militärlager zu bezeichnen, war eine Untertreibung, ihn erinnerte sie eher an eine Burg. Wie hoch mochten die Mauern sein, zehn Meter? Von den Wehrtürmen schauten die Wachposten auf die Straße hinab, genau wie ihre Kameraden zu beiden Seiten des Tores, die darauf achtgaben, dass niemand Unbefugtes die Castra betrat. Das ganze Bollwerk kommunizierte: Halt dich fern! Du bist hier unerwünscht. Und doch führte Terpanders Weg in diese Richtung. Wenn er Scato hier nicht fand, dann hatte er ein Problem. Nach der Reise von Mantua aus war er nicht nur müde, durchgefroren und verdreckt, sondern auch mittellos. Nichts davon würde sich ändern, wenn er zu seiner Herrin nach Mantua zurückkehrte - ihre Türen waren ihm seit seiner unfreiwilligen Abreise verschlossen. Das, was andere Sklaven sich wünschten - die Freiheit - wäre für Terpander eine Katastrophe. Er war pleite und er war alt, sein Wert sank von Jahr zu Jahr und war nun an einem Punkt angelangt, wo seine Herrin nicht länger bereit war, ihn durchzufüttern.


    Seine einzige Hoffnung auf ein menschenwürdiges Leben lag darin, ihren Sohn zu finden, der nach Rom aufgebrochen war, um bei den Cohortes Urbanae sein Glück zu versuchen. Allerdings hatte Scato, der zu seiner Familie kein sonderlich enges Verhältnis pflegte, nur einen einzigen kurzen Brief geschrieben, der bestätigte, dass er gut angekommen war und seine Ausbildung begonnen hatte. Ob er sie jedoch auch fortgesetzt hatte oder zwischendurch hatte abbrechen müssen, was nicht unwahrscheinlich war bei der harten Ausbildung einer Elitetruppe, wusste niemand.


    Als Sklave war es nicht gerade üblich, einen Bürger einfach abzufangen und anzusprechen, aber es war ein Notfall. An dieser Stelle kam er mit demütiger Passivität nicht weiter. Und so sprach Terpander einen der Soldaten an, die gerade die Castra verließen.


    "Salve, dominus", sprach er mit gesenktem Blick und anhand der Anrede wusste der Angesprochene, dass er einen Sklaven vor sich hatte und keinen Landstreicher. "Ich suche den Sohn meiner Herrin, einen Sisenna Iunius Scato, der in der Castra Praetoria vor einigen Wochen eine Ausbildung begonnen hat. Falls deine Zeit es erlaubt, könntest du mir dabei helfen, in Erfahrung zu bringen, ob ich ihn hier finden kann?"

  • Lurco musterte den Mann eingehend, der ihn angesprochen hatte. Der Ansprache nach war er ein Sklave und welcher Sklave sollte Scato suchen? Das Alter war passend, wie der ehemalige Lehrer von Scato ausgesehen hatte, das wusste Lurco allerdings nicht. Zur Sicherheit wollte er aber genauer nachfragen, nicht dass er nachher einen getarnten Schuldeneintreiber oder so etwas unangenehmes in Person zum arglosen Scato führte.


    "Salve. Wer genau ist Deine Herrin, aber noch wichtiger im Moment wer bist Du? Was möchtest Du vonSisenna Iunius Scato? Dir ist sicher bekannt, dass hier nicht jeder Zutritt hat. Und über Kameraden plaudert man nichts aus. Jedenfalls nicht ohne trifftigen Grund. Es geht hierbei um ihren persönlichen Schutz. Deshalb auch genau die Schutzmaßnahmen die Du hinter uns siehst. Drum wer bist Du? Dann sehen wir, ob ich Dir weiterhelfen kann", antwortete Lurco freundlich.

  • Terpander nickte. Diese Sicherheitsmaßnahmen hörten sich für ihn sinnvoll an. Und wäre dem nicht so gewesen, hätte er ebenso ruhig die Fragen des Legionärs beantwortet, wie er es nun tat.


    "Mein Name ist Terpander und Seia Sanga ist meine Domina", antwortete er. "Sie und der Vater von Sisenna Iunius Scato waren aufgrund des Militärdienstes von Scatos Vater nicht verheiratet, daher kommt die Namensungleichheit zwischen ihm und seiner Mutter. Ich war Scatos Paedagogus und bin hier, um ihm einen Brief meiner Herrin zu überreichen."


    Er hoffte, dass dem Manne das genügte. All die Zeit über blieb Terpander ruhig, auch wenn er innerlich brannte. In wenigen Augenblicken würde er erfahren, ob er noch eine Zukunft hatte oder ob die lange Reise und seine Hoffnung vergebens gewesen waren.


    "Dass ich in die Castra keinen Zutritt habe, ist eine gute und wichtige Vorsichtsmaßnahme. Mir wäre sehr geholfen, wenn man Iunius Scato zu mir schicken oder mir zumindest mitteilen könnte, ob er überhaupt noch hier wohnt, so dass ich vielleicht auf ihn warten könnte. Der Brief ist sehr wichtig. Sollte das deine Zeit und die deiner Kameraraden nicht erlauben, würde ich zumindest gern den Brief für ihn hinterlassen. Ich gebe ihn zwar ungern aus der Hand, ohne zu wissen, dass er hier überhaupt seinen Adressaten erreicht, doch sollte dies die einzige Möglichkeit sein, so muss es wohl so geschehen."


    Terpanders Handflächen wurden trotz der Kälte feucht. Für den Legionär wäre es nur ein kleiner Aufwand, sich nach einem Kameraden zu erkunden, für Terpander hingegen hing vom Willen oder Unwillen des Mannes die Zukunft ab.

  • Lurco hörte dem Mann aufmerksam zu, während er ihn dabei genau beobachtete. Er achtete darauf wie er sich hielt und wie er schaute. Als Terpander geendet hatte, nickte er zustimmend.


    "Korrekt, durch Deine Informationen kann ich Dir antworten. Du bist mir bekannt, Scato hat von Dir mehrfach erzählt. Du warst sein Lehrer und hast ihm auch den Kult des Faunus näher gebracht. Scato lebt hier, er ist sogar mein bester Kumpel und lebt mit mir in der gleichen Baracke.


    Wie Du richtig erklärt hast, darfst Du unsere Castra aus Sicherheitsgründen nicht betreten. Aber ich überreiche Scato gerne den Brief für Dich. Wobei ich davon ausgehe, dass er Dich auch gerne persönlich wiedersehen würde, anstatt nur einen Brief seiner Mutter zu erhalten.


    Pass auf, warte hier, ich bin gleich mit Scato zurück", erklärte Lurco und verschwand umgehend wieder in der Castra.


    Auf schnellstem Weg ging er zurück zur Baracke VII und schaute sich um. Er hoffte dass Scato anwesend war und nicht in den Latrinen oder den Thermen. Er hatte Glück, sein Kumpel war vor Ort.


    "Scato! Schön dass Du hier bist. Du musst mich sofort begleiten. Ob Du es glaubst oder nicht, vor dem Tor der Castra steht Dein ehemaliger Lehrer Terpander und hat einen Brief für Dich. Ich habe ihn bewusst nicht entgegen genommen, da ich mir dachte, dass Du ihn gerne wiedersehen würdest", sagte Lurco gut gelaunt.

  • Scato beaufsichtigte gerade Tarpa, der mit Staubwischen dran war. Scato machte sich den Spaß, ihn für jeden einzelnen Handgriff herumzukommandieren. Da Tarpa inzwischen neben Lurco und Ramnus zu seinen engsten Freunden zählte, machte der den Spaß mit - und wischte zielsicher um die genannten Stellen drumherum. Das ergab einige lustige akrobatische Übungen.


    "Na?", grüßte Scato, als Lurco in die Baracke kam. "Das war ja ein kurzer Ausflug."


    Und eine Minute später wusste er, warum. Sein alter Lehrer hatte ihn am Tor abgepasst, um sich nach Scato zu erkundigen und ihm einen Brief zu überreichen. Aber weshalb war Terpander nur dafür den langen Weg von Mantua nach Rom gereist? Scato konnte es sich nicht anders erklären, als dass es sich um einen Notfall handeln musste. Vielleicht war seine Mutter erkrankt und wollte nun, dass er seine Ausbildung abbrach und zurück zu ihr zog. Und Scatos alter Lehrer sollte die Verstärkung dieses Ansinnens bilden.


    "Also wenn meine Mutter will, dass ich hier alles hinschmeiße, hat sie sich geschnitten", murrte Scato und folgte Lurco nach draußen. "Die will nur, dass ich hier entlassen werde, damit ich wieder frei bin zum Heiraten."


    Am Tor stand tatsächlich Terpander in seinen Reisekleidern - und er sah schrecklich aus. Egal, was für ein Ansinnen er hatte, Scato sah ihm an, dass es etwas Ernstes sein musste. Neue Heiratskandidatinnen allein würden nicht solche Spuren in seinem Gesicht hinterlassen haben. Er griff Terpander an den Schultern und drückte ihn. Das war nicht ihre übliche Begrüßung, aber nach so langer Trennung war das Scatos Meinung nach legitim, besonders, wenn einer so unglücklich dreinblickte. Scato freute sich, den Griechen nach all der Zeit wieder zu sehen, doch gleichzeitig übermannte ihn die Sorge. "Was ist denn los, Terpsi?", fragte er leise.

  • Terpander war erleichtert, dass Scato zugänglich gestimmt war. An einem schlechten Tag hätte das durchaus anders aussehen können. Was immer ihn einst von zu Hause fortgerufen haben mochte, schien er gefunden zu haben. Zumindest wirkte er gesünder und glücklicher als je zuvor, was vielleicht auch Terpander nun zugutekommen würde. "Herr, deine Mutter bat mich, einen Brief für dich abzugeben." Er überreichte ihn Scato. Nervös beobachtete er ihn hernach beim Lesen.


    Mein lieber Scato,


    über deinen letzten Brief habe ich mich sehr gefreut, auch wenn er schon eine Weile her ist. In meiner heutigen Antwort geht es um unseren griechischen Sklaven Terpander, der uns so lange begleitet hat. Als Witwe und Mutter dreier Kinder sind meine Finanzen nicht die besten. Wenn ein Sklave seine Funktion nicht mehr erfüllt, ist er unwirtschaftlich. Terpander hat euch Drei unterrichtet, doch nun seit ihr erwachsen.


    Ich wollte ihm die Freiheit schenken zum Dank für seine jahrelangen Mühen, doch du kannst dir die griechische Tragödie nicht vorstellen, die er darob veranstaltet hat. So schenke ich ihn eben dir. Ihr beide hattet ja ein gutes Verhältnis zueinander. Was du mit ihm anstellst, ist dir überlassen. Behalte ihn, lass ihn frei oder verkaufe ihn, falls auch du seiner nicht mehr bedarfst.


    Ich hoffe, bald wieder von dir zu lesen.


    Deine Dich liebende Mutter
    Seia Sanga

  • Scato las den Brief zunächst leise, dann wiederholte er ihn in etwas abgewandelter Form laut für Lurco:


    "Scato, du faule Sau, könntest deiner armen alten Mutter auch mal öfter schreiben. Weil ich mich dermaßen über dich geärgert habe, drücke ich dir die Verantwortung für den alten Sack Terpander aufs Auge. Der wird immer älter und hässlicher und sein Lurch ist auch nicht mehr so zuverlässig wie früher. Nicht mal seine Nebenfunktion als Lehrer kann er noch ausüben, seit du mieser Hund mich allein gelassen hast.


    Um mein Gewissen zu erleichtern und mir seine Altersversorgung zu sparen, wollte ich ihn auf die Straße setzen, aber der undankbare Mistkerl hatte etwas dagegen. Er hat mir gedroht, dass du davon erfahren wirst und sicher nicht erfreut sein wirst. Wie jeder weiß, kannst du ausgesprochen nervig werden, was ich mir nicht antun will, jetzt, wo ich doch alt, schwach und krank bin. Indem ich dir den Schlappschwanz schenke, schlage ich drei Fliegen mit einer Klappe: Ich bin Terpander los, ich spare mir das Geld für seine Versorgung und du hast einen Klotz am Bein, der dich finanziell ausbremst. Ich hoffe, das bringt dich zum Nachdenken.


    Rutsch mir den Buckel runter.
    Deine Mutter.


    P.S. Falls du wieder nach Hause kommst und dir die Braut anschaust, die ich für dich habe organisieren lassen, können wir noch einmal über alles reden."


    Er hielt Lurco den Brief vor die Nase.


    "Genau das steht da!"

  • "Das ist der ehrlichste Brief aller Zeiten. Aber wenn ich mir Terpander so anschaue, sieht er doch total fit aus. Zudem ist er den weiten Weg bis nach Rom gelaufen, nur um den Brief Deiner Mutter zu überbringen. Und das alles, obwohl er einen Tritt in den Hintern damit in der Tasche hatte.


    Natürlich kann ich die Qualitäten seines Lurchs nicht beurteilen, aber als ehemaliger Lehrer und vor allem als Freund, darfst Du ihn nicht hängen lassen. Ungewollter Wortwitz. Irgendwie bekommen wir Terpander schon durch. Und ich denke er würde uns sicher auch unterstützen oder?
    Die Frage ist nur, wo soll er unterkommen? In die Castra können wir ihn nicht mitnehmen. Hast Du eine Idee Scato?", fragte Lurco und knuffte Terpander aufmunternd.


    "Wir hatten vor später eine kleine Taberna zu gründen, möglicherweise wäre es sogar mit Deiner Unterstützung früher möglich. Du hättest eine Aufgabe und ein Dach über dem Kopf und wir hätten eine Absicherung und ebenso ein Heim. Auch wenn unsere Castra und unsere Baracke VII unser Zuhause ist. Man kann ja mehrere Orte Zuhause nennen.


    Wie steht es dahingehend mit Deinen Qualitäten?", fragte Lurco.

  • Terpanders Herz wurde ein wenig leichter, als der Soldat, der sich als bester Freund von Scato bezeichnete, für ihn sprach. Er neigte ein wenig das Haupt zum Dank, sagte jedoch nichts dazu, da die Entscheidung letztendlich bei Scato lag. Und wie auch immer dessen Wahl ausfallen würde - Terpander stand es nicht zu, seine Entscheidung durch Kommentare zu beeinflussen.


    "Ich würde meinen Herrn selbstverständlich nach Kräften unterstützen, egal, wobei. Ich mag nicht mehr der Jüngste sein, aber ich kann noch sehr gut für mein Brot arbeiten. Griechisch ist meine Muttersprache, ich beherrsche Griechisch und Latein in Wort und Schrift, ebenso die Grundlagen der Mathematik. Haushaltsführung hat bisher nicht zu meinen Aufgaben gehört, aber ich bin fleißig und lernfähig und traue mir zu, eine Taberna in Ordnung zu halten und mich um die erforderlichen Schreiben und Rechnungen zu kümmern. Kochen kann ich allerdings überhaupt nicht. Falls das erforderlich sein sollte, empfehle ich, mir Bücher mit genauen Anleitungen zur Verfügung zu stellen oder jemanden, der es mir beibringt, sonst verjage ich euch am Ende die Kundschaft. Bis ich kochen gelernt habe, könnte die Taberna von einer Garküche beliefert werden oder man bietet fertige Speisen an, wie Kuchen, Brot, Wurst, Käse."


    Terpander war sonst niemand, der jammerte oder bettelte, aber mit einem Fuß schon in der Obdachlosigkeit stehend, beschloss er, noch ein wenig für sich zu werben.


    "Falls du dich dafür entscheiden solltest, mich zu behalten, schwöre ich, soll es dein Schaden nicht sein, Herr. Ich verspreche, ich werde keine zusätzliche Arbeit machen, sondern alles dafür tun, euch so viel wie möglich Arbeit abzunehmen und so wenig Kosten wie möglich zu verursachen, dafür aber so viel wie möglich zu erwirtschaften. So wäre es ein Gewinn für dich. Ich benötige kein Bett und erst recht kein eigenes Zimmer, ein Dach über dem Kopf genügt vollauf, ich könnte auch in einem Lagerraum nächtigen und mir genügt es, mich von Puls zu ernähren."


    Natürlich würde er gern anders leben, aber wenn er die Wahl hatte, als Sklave wie Dreck behandelt zu werden oder als freier Mann auf der Straße als Bettler zu enden, so war ihm die erste Variante doch weitaus lieber. An die dritte Variante, in seine Heimat zurückzukehren, dachte er lieber gar nicht erst. Scato war eigentlich ein lieber Kerl, aber Terpander wusste, dass er durchaus seine dunklen Seiten hatte. An die vergangenen Zeiten und ein fast schon freundschaftliches Verhältnis zu erinnern, wagte er nicht, das konnte genau so gut das Gegenteil bewirken. Oder vielleicht würde im Notfall auch der andere sich seiner annehmen, falls Scato bereit wäre, ihm Terpander zu schenken?

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    SKLAVE - SISENNA IUNIUS SCATO

    Einmal editiert, zuletzt von Terpander ()

  • "Wir wollten wenn klein anfangen, gute Getränke mit einer warmen Mahlzeit. Für den Anfang gingen auch Getränke und kalte Speisen. Das würdest Du sicher hinbekommen, daran zweifele ich nicht. Und wenn Du bereit bist in einer Ecke zu schlafen, dann kann es ja auch das Hinterzimmer sein, wo die Kasse und das Kassenbuch verwahrt wird. Dagegen spricht nichts. Je nachdem auch was wir für eine Taberne finden und wie diese geschnitten ist.


    Eine grobe Vorplanung können wir treffen, alles weitere würde ich vorschlagen, wenn wir unseren Laden von innen gesehen haben. Sprich er sollte ja auch über Privaträume verfügen, weil wir vorhatten dort später zu leben. Solange wir Dienst bei den Cohortes schieben, werden wir sie vermutlich nur sporadisch nutzen bei Ausgang oder so. Trotzdem sollten sie vorhanden sein.


    Möglich wäre auch sie während der Dienstzeit anders zu nutzen, aber ich wäre schon dafür, trotz Dienst und so weiter einen kleinen persönlichen Bereich zu haben. Wer weiß schon, was später ist?", sagte Lurco freundlich.

  • "Auf jeden Fall behalte ich ihn." Scato schüttelte den unsäglichen Brief. "Du hättest deine Herrin nicht dermaßen Feuer unterm Hintern gemacht, um bleiben zu dürfen, Terpander, und wärst diesen weiten Weg nicht gegangen, wenn es dir nicht wirklich wichtig wäre. Ich kann das verstehen. Viele entsorgen ihre alten Sklaven, indem sie ihnen die Freiheit schenken. Mit Dankbarkeit und Gnade hat das meist nichts zu tun, sondern mit dem Gegenteil. Es geht nur um das Sparen von Geld und darum, sich das Elend eines Sterbenden nicht antun zu müssen. Es ist grausam, jemanden im Lebensabend aus seiner Familie zu reißen und vor die Tür zu setzen. Richtig gemein. Lurco hat Recht, irgendwie kriegen wir dich schon auch noch durchgefüttert. Mach dir keine Sorgen. Nur habe ich überhaupt keine Ahnung, wo wir dich einquartieren sollen, bis wir die Taberna hochgezogen haben. Irgendwer eine Idee?"


    Er schaute betreten, in seinem Hirn arbeitete es. Dann kam er zu einem merkwürdigen Zwischenergebnis und guckte er Lurco an.


    "Du sag mal, wenn du ganz sicher bist, dass Sklaven zur Castra keinen Zutritt haben - wer waren dann die Typen in den Thermen, von denen wir uns haben rasieren, einölen und striegeln lassen?"

  • Lurco nickte und guckte dann bei der Frage bezüglich der Therme verdutzt.
    "Vermutlich unbewusst genötigte Kollegen?", lachte er leise.


    "Was die Unterbringung angeht, was kostet irgendwo ein Zimmer? Oder zumindest ein Bett? Das müssten wir doch aufbringen können. Besser wäre es natürlich, wenn wir schnellstmöglich an die Taberna kämen. Damit wären alle Probleme auf einen Schlag gelöst.


    Ach und einfache aber effektive Regel, nur direkt zur Klärung am Anfang Terpander, unsere Taberna ist ein Refugium für den Mann. Ein Rückzugsort von keifenden, unlogischen Wortschwallen. Ein Ort wo man sich gesittet unterhalten oder in gemütlicher Runde sogar schweigen kann. Kurzum - Frauen haben keinen Zutritt", sagte Lurco ernst.

  • Terpander wagte ein Lächeln, als der Freund von Scato sich über die Damenwelt echauffierte. Als Grieche hatte Terpander dafür vollstes Verständnis. In der Gesellschaft, der er entstammte, fand das Leben der Frauen abseits der Öffentlichkeit statt, während die Männer untereinander in einer regelrechten Parallelwelt lebten. Er fand diese Trennung der Geschlechter richtig und sinnvoll und verstand nicht, warum manche Menschen danach strebten, sie aufzuweichen, wo die Gesellschaft doch seit Beginn der Aufzeichnungen damit bestens funktionierte.


    "Diese Regel wird einfach umzusetzen sein", bestätigte Terpander. "Ich kenne mich nicht mit allen römischen Sitten gleichermaßen gut aus, aber ich glaube, einmal gehört zu haben, dass ehrbaren Frauen der Zutritt zu Tabernae ohnehin verwehrt ist. Was sollten sie auch an einem Ort, an welchem Wein getrunken wird und leichte Mädchen ihren Gatten umgarnen? Welche Freude sollte sie dort empfinden? Auch die Gespräche sind nicht für zarte Ohren geeignet. Im besten Falle ruiniert man nur ihren guten Ruf, da man sie mit Dirnen auf eine Stufe stellt, im schlimmsten Falle gefährdet man das Leben des Ungeborenen. Man tut als verantwortungsbewusster Mann seiner Frau keinen Gefallen, sie in die Taberna mitzunehmen und sich selbst auch nicht."


    Das alles sagte er in wohlmeinendem, väterlichen Ton. Im Gegensatz zu Lurco mochte er Frauen, nur war er der Ansicht, die römische Gesellschaft würde sie in vielerlei Hinsicht völlig falsch behandeln und damit die meisten familiären Probleme fahrlässig verursachen. Darum war er über Lurcos Einstellung erfreut. Sein Herr Scato hatte schon genug mit seiner Nervosität zu kämpfen und die Erfahrung hatte gezeigt, dass die Anwesenheit junger Mädchen nicht dazu beitrug, sein Gemüt zu beruhigen. Da war es gut, die Taberna konservativ zu gestalten. Generell schien Lurco ein guter Umgang für Scato zu sein, dem ersten Eindruck nach.

  • "Wir können Terpander im Blinden Esel einquartieren, bis wir ein Alternative gefunden haben. Ich werde mal in der Domus Iunia nach einem Plätzchen für ihn fragen, dann würde er dort kostenlos wohnen können. Allerdings ist es schwer, dort jemanden anzutreffen, darum muss ich einen Brief dalassen und die Antwort könnte ein wenig auf sich warten lassen."


    Er stieß Lurco mit dem Ellbogen an. "Wir scheinen Autorität zu besitzen, wenn es uns gelungen ist, die Kameraden zur Körperpflege zu zwingen! Man kommt mit den merkwürdigsten Dingen durch, wenn man nur tut, als ob alles normal sei. Womöglich waren das ganz frische Tirones, die sich vor uns gefürchtet haben und dachten, das wäre in der Castra so üblich, dass die Jüngeren die Alteingesessenen wie Sklaven bedienen müssen." Da er auch außerhalb der Castra in den Thermen dazu neigte, sich sehr junge Sklaven für die Körperpflege herauszupicken, war es gar nicht unwahrscheinlich, dass er überforderte Neulinge erwischt hatte, die aus Angst den Mund nicht aufgemacht hatten.

  • Lurco warf Terpander einen vielsagenden Blick zu.


    "Guter Terpander, glaubst Du wirklich, es gibt nur ehrbahre Frauen? Eines kann ich Dir sagen, unter den leichten Mädchen habe ich mehr Anstand gefunden als unter sogenannten ehrbaren Frauen oder Sklavinnen. Die einen tragen ihre Ketten in Form von Schmuck die anderen tragen ihre Marke um den Hals. Und beide lassen die Unzufriedenheit ihres unerfüllten Lebens an unschuldigen Männern aus.


    Natürlich gibt es überall solche und solche und man selbst möchte auch nicht mit der Masse verglichen werden. Trotzdem sprechen Erfahrungswerte für sich.


    Anständige, umgängliche Frauen denen ich begegnet bin, kann ich an einer Hand abzählen Terpander. Zicken, neunmalkluge Klugscheißerinnen, Pseudo-Heldinnen und was es da alles gibt, die findest Du zu Hauf.


    Deshalb gleich was die Tradition, die Sitte, der Anstand, das Gesetz oder unser aller geliebter Kaiser sagt, in unserer Taberna ist frauenfreie Zone. Bei uns herrscht Friede, Freiheit und Freundlichkeit. Iss, trink, hab Spaß und rede worüber Du reden möchtest.


    Niemand wird Dir keifend und besserisch ins Wort fallen oder murmelnd einwenden, wie bescheiden doch Dein Volk ist. Wobei Dein eigens völlig bei Deinem Schutz versagte.


    Ich wollte Scato ja von einem Löwen überzeugen, so einen alten ausgedienten Veteranen aus der Arena, der sich bei uns seinen Lebensunterhalt erschnurren kann. Aber Scato ist noch in der Überlegungsphase. Ich glaube er ist nicht so der Katzenkerl, aber wer einmal in der Arena war, kann die Effektivität und Durchschlagskraft einer Löwenpranke nicht von der Hand weisen.


    Es mag böse klingen, aber so mancher Begegnung aus letzter Zeit wünsche ich einen Besuch in der Arena... als Katenspielzeug.


    Ein gutes Beispiel war eine Matrone, die sofort handelte als eine Frau hochschwanger auf einem Fest zusammengebrochen war. Die Frau hatte Anstand und wusste was zu tun war. Sie hat die Schwangere sofort aus der Öffentlichkeit entfernen lassen. Zudem hat sie auch ihre Tochter zurückgepfiffen, damit diese sich nicht auf dem Fest herumtreibt. Es gibt sie also, die anständigen Frauen.


    Aber wie Du schon sagst, sie treiben sich nicht draußen herum, wie läufige Hündinnen, sondern sie gehen raus, wenn sie rausgehen müssen. Junge römische Frauen haben eine Begleitung dabei, so wie es sich gehört.


    Sklavinnen sollten die Dinge die sie draußen zu erledigen haben, schnellstmöglich erledigen und dann umgehend nach Hause zurückkehren. Du hättest erleben sollen, was wir erlebt haben. Ich sage Dir, der nächste Sklavenaufstand ist nicht mehr weit und zu verdanken haben wir es den laschen Herren, die ihre Sklavinnen nicht zur Ordnung rufen. Die Hand sitzt da nicht locker genug, um ihnen zu verdeutlichen was sie sind.


    Gute Frauen allen vorran Sklavinnen darf man nur sehen und nicht hören!


    Schon wieder sind wir bei dem Thema. Das ist Deine Schuld Scato, Du verleitest mich ständig dazu, mich zu ärgern", grübelte Lurco.


    "Terpander bei Deiner Verwandten? Gut das wäre möglich, sonst müssen wir ihn mit unserem Sold einquartieren. Schreib den Brief aber freundlich, Terpa muss dort leben. Nicht dass er wegen Deiner Schreibkünste die Knute zu schmecken bekommt Scato.


    Autorität? Ja dass will ich doch hoffen, immerhin haben wir eine Aufwieglerin auffliegen und in den Kerker wandern lassen. Dieses Weibsstück wird es sich dreimal überlegen, ob sie noch einmal Rom selbst herausfordert. Und heute sind wir keine Tiro mehr, heute sind wir Miles. Wir dürfen also mit solchem kriminellen Pack ganz anders verfahren Scato.... völlig anders", grinste Lurco finster.

  • Terpander war überglücklich, dass Scato sich seiner annahm und darin sogar von seinem Freund unterstützt wurde. Sein neuer Herr wollte ihm sogar von seinem vermutlich nicht sehr üppigen Sold ein eigenes Gästezimmer mieten anstatt nur eines Strohsacks in irgendeinem Hinterhof oder Lagerraum. Das war mehr, als Terpander zu hoffen gewagt hatte.


    ... Scato und sein Kamerad waren zudem offenbar beide der Redseligkeit zugeneigt, denn kaum hörte der eine auf, fing der andere schon wieder an.


    Geduldig und glücklich hörte Terpander zu, bis man ihm wieder signalisieren würde, dass sein Wort erwünscht war. Lurco war seinen Worten nach zu urteilen offenbar der einzige Mann des Orbis Terrarum, dem es gelungen war, anständige Huren zu treffen, wie Terpander belustigt feststellte. Er schaute weiterhin freundlich, während der Mann eine Tirade puren Abscheus zum Besten gab. Am Ende sollte auch noch Scato Schuld an dem Ausbruch gewesen sein. Was auch immer dem Manne widerfahren war - Terpander tippte darauf, dass es etwas Ernstes gewesen sein musste, denn niemand schwelgte wegen Nichts in derartiger Abneigung. Vielleicht würde Terpander es früher oder später erfahren, wenn sie sich besser kannten und falls Scatos Kameraden danach war, mit ihm über private Dinge zu sprechen.


    "Einen Löwen, Herr?", fragte Terpander am Ende rückversichernd, nicht sicher, ob es sich um einen Scherz oder um ein ernstes Ansinnen handelte. Die Aussicht, mit einem Löwen im selben Gebäude leben zu müssen, entbehrte irgendwie jedweden Reizes.

  • Terpander war ein ausgesprochen guter und höflicher Zuhörer. Das mochte auch daran liegen, dass er kaum zu Wort kam, aber Lurco meinte es nicht böse. Er war nur erneut mit der Schnauze in den Dreck getunkt worden und da musste er ihn auch wieder loswerden.


    "Du hast richtig gehört, einen Löwen. Die Idee hat was oder? Er wäre das Markenzeichen unserer Taberna. Und mal ehrlich, in der Arena werden sie auch gehalten. Ich habe schon von Leuten gehört, die sie sich sogar als Haustiere halten. Wäre das nicht möglich, wären sie wohl keine Haustiere. Das einzige Problem wäre der Platz, aber da finden wir schon was. Eine gute Ecke, wo er auf seinem Platz hockt und alles überblickt.


    Eine einfache Taberna hat jeder, man benötigt etwas Außergewöhnliches. Und wie ich von einem Kumpel hörte, zahlen viele Leute um exotische Tiere zu sehen. Was sich wiederum im Arenabesuch bestätigt. Vielleicht hätten wir den einen oder anderen Kunden mehr, weil er unseren Löwen besichtigen möchte.


    Wo man ein zahmes Tier herbekommt, weiß ich nicht. Also theoretisch wüsste ich jemanden, der für Geld alles besorgen kann, aber dem Kerl möchte ich nicht mal mehr bei Mondschein begegnen. Naja ist auch gleich.


    Ein anderes exotisches Tier ginge auch, falls Du eine Idee hast, nur heraus damit.


    Also wie verbleiben wir jetzt Scato und wo lassen wir Terpa die ganze Zeit über? Er kann ja schlecht vor der Castra hausieren, bis wir eine Lösung gefunden haben. Ich schlage vor, wir gehen zum Esel und fragen dort mal nach einem Zimmer für ihn und was uns das kostet.


    Na los abrücken, auf zum Esel", entschied Lurco.

  • "Zebras sind ähnlich wie Pferde zu halten und zu ernähren", schlug Terpander vorsichtig vor. "Man kann sie mit ein wenig Fingerspitzengefühl sogar reiten." Ein Löwe hingegen müsste täglich große Mengen Fleisch fressen. Fleisch war sehr teuer und nur begrenzt lagerfähig. Das Sprach Terpander allerdings nicht aus, von seinen übrigen Sorgen ganz zu schweigen, dass der Löwe nicht nur Kunden anlocken, sondern sie auch dezimieren könnte. Es zeigte sich, dass Lurco durch und durch Soldat war, indem er kurz und bündig eine Entscheidung für sie alle traf, wohin sie nun gehen würden. So begaben sie sich zum Gasthaus zum Blinden Esel.

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