Habt keine Angst, Zeugnis abzulegen | Das Konsil der Gerechten

  • Habt keine Angst, Zeugnis abzulegen!
    Über dieses Wort des Heilands hat Philotima heute vor der Gemeinde gepredigt. Danach haben die Gläubigen das Mahl geteilt. Nun ist es spät, und nur die getreuesten und entschlossensten Brüder und Schwestern sind in der Casa Didia verblieben. Sie haben sich im Kellergewölbe um einen Tisch versammelt. Ein Kandelaber spendet Licht.
    Philotima wiederholt:
    "Wir dürfen keine Angst haben, Zeugnis abzulegen!"


    In ihrem knochigen Gesicht glimmen die Augen mit dem Feuer der Gerechten. Nach der aufsehenerregenden Aktion beim Rednerwettstreit hat sie sich lange versteckt gehalten. Nun brennt sie darauf, das Wort des Herrn wieder zu verbreiten.


    "Es ist an der Zeit für eine neue Aktion. Lasst uns verkünden, und das nicht nur mit Worten."

  • Wie immer hing ich den ganzen Abend an Philotimas Lippen. Alles was sie sagte machte so viel Sinn! Ich war mittlerweile fest davon überzeugt, dass der Herr sie uns gesandt hatte. Und auch was sie jetzt sagte war wieder das einzig wahre. Wir mussten Zeugnis ablegen. Jawohl!
    "Unsere Botschaften an den Tempeltüren haben für viel Aufregung gesorgt. Lasst uns das wiederholen!"

  • Sciurus saß entspannt zurückgelehnt auf seinem Stuhl. In den zurückliegenden Wochen war er in der Gemeinschaft mit Liebe und Fürsorge bis zum Ersticken versorgt worden. Niemand fragte weiter nach seiner Vergangenheit. Niemand wunderte sich, dass er das Haus nur im Verborgenen verließ. Er hatte sich hier und dort nützlich gemacht. Doch niemand verlangte von ihm irgendetwas. Und niemand hegte Verdacht, dass er dies schamlos ausnutzte. Er wartete nur auf den passenden Moment, seine eigenen Pläne zu realisieren. Und an diesem Abend schien dieser Moment gekommen.


    "Botschaften - das sind wieder nur Worte", kommentierte er Volusus' Vorschlag mit nachsichtigem Ton. Auch wenn er alles tat was Philotima verlangte, im Grunde war der Didier viel zu weich, um die Welt zu bewegen.
    "Philotima hat Recht, wir müssen Zeugnis ablegen durch Taten! Durch deutliche Taten. Wir sollten beginnen, die Götzenhäuser nicht nur von Außen zu verurteilen, sondern im Inneren zu zerstören." Er ließ dies kurz wirken, bevor er fortfuhr. "Allerdings müssen wir vorsichtig sein. Durch unsere Aktionen wird vor den Tempeln der Trias und denen im Stadtkern häufiger patroulliert. Wir sollten ein Ziel wählen, das zwar wichtig ist, aber nicht direkt im Stadtinneren liegt. Wie wäre es mit einem Tempel der vergöttlichten Kaiser? In diesen Gebäuden werden nicht nur falsche Götzen angebetet. Nein, sie sind darüberhinaus auch Zeugnis der unglaublichen Unverfrorenheit Roms, das Menschen - Menschen! - auf eine Ebene mit dem einzig wahren Gott erhebt!"


    Noch einmal ließ er eine kurze, unverfänglich wirkende Pause folgen. "Der Tempel der vergöttlichten Flavier auf dem Quirinal wäre vielleicht eine Option. Ich könnte ... möglicherweise einen Schlüssel für das Tempeltor organisieren. Damit könnten wir unbemerkt bei Nacht eindringen und unser Werk ungestört vollbringen."
    Tatsächlich würde Sciurus keinen Schlüssel benötigen. Er würde jedes Tempeltor knacken können, denn die Mechaniken waren nicht sonderlich kompliziert, schlussendlich war üblicherweise niemand so dreist, einen Tempel etwa zu berauben. Doch der Schlüssel zum Tempel der vergöttlichten Flavier war Sciurus' Schlüssel zu seiner Rache.



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    VILICUS - MANIUS FLAVIUS GRACCHUS

    Einmal editiert, zuletzt von Sciurus ()

  • Myron hatte in der Gemeinschaft seiner neuen Brüder und Schwestern einen Halt gefunden. Zwar hatte er noch keine feste Bleibe, doch jede Menge Angebote, um für ein oder zwei Nächte ein Dach über dem Kopf zu haben. Im Grunde waren es wildfremde Menschen gewesen, die mit ihm ihr Brot, ihren Wein und ihr Zuhause mit dem jungen Griechen teilten. Gemeinsam beteten sie und versuchten denen zu helfen, denen es noch schlechter ging. Solche die niemanden hatten. Die ausgestoßen waren, oder von Krankheit und Elend gezeichnet waren. Myron sah in dem, was er tat, seine wahre Bestimmung.


    Mit einigen seiner neuen Brüdern war auch er zur Casa Didia gekommen. Sie hatten, wieder einmal dort gemeinsam das Mahl geteilt. Bei seinem letzten Besuch vor einigen Wochen war ihm eine junge impulsive Rednerin aufgefallen. Philotima war ihr Name. Nicht nur die Wahl ihrer Worte und ihr forsches Auftreten hatten ihn damals beeindruckt, auch ihre Anmut hatte ihn gefangen genommen. So gerne hätte er sie bei ihrer ersten Begegnung angesprochen. Doch dazu hatte ihm der Mut gefehlt. Wer war er denn schon?


    Dieses Mal war er nach dem Mahl geblieben. Nicht unbedingt deshalb, weil er besonders mutig oder entschlossen gewesen wäre, um sich mit einem Imperium anzulegen. Nein, sie war es gewesen. Ihre pure Anwesenheit. Ihre klug gewählten Worte. Für sie hätte er so einiges gewagt. Zumindest redete er sich das ein. Vielleicht würde sie ihn so eines Tages bemerken.


    Myron nickte zustimmend. Wir dürfen keine Angst haben, Zeugnis abzulegen! Zeigen, dass die Worte des Herrn nicht nur leere Worte waren. All die verirrten Seelen da draußen auf den rechten Weg bringen. Ihnen aufzuzeigen, wie sehr sie sich irrten, wenn sie ihren falschen Götzen opferten.
    Er hielt sich zunächst mit einer Äußerung zurück. Vielmehr konzentriert er sich auf einen Mann mittleren Alters, dessen hellblondes Haar und die grauen Augen sofort aufgefallen waren. Sein Äußeres hatte dem jungen Griechen zunächst erschauern lassen, als er ihn zum ersten Mal erblickte. Er konnte nicht genau erklären, was es war. Vielleicht waren es die kalten Augen oder die übermäßig hellen Haare. Seine kalte Entschlossenheit zur Radikalität tat ihr Übriges. Die Schändung eines römischen Tempels. Die Zerstörung der verhassten Götzenbilder. Das war mehr als revolutionär!
    Myron ließ sich von solchen Reden mitreißen. Das Reich Gottes würde nicht einfach so über sie kommen. Es lag an ihnen selbst, etwas dafür zu tun! Notalls eben auch mit Gewalt! Was hätte er dafür gegeben, doch auch so stark zu sein, wie der Blonde!
    Plötzlich, ganz unerwartet hörte er sich selbst sagen: „Ich bin dabei!“

  • Die Tempel von Innen zu zerstören. Puh, das war ja ... ja was eigentlich? Gewagt? Halsbrecherisch? Selbstmord? Oder einfach nur genial? Ich glotzte Ultor einen Moment lang mit offenem Mund an. Seit er bei uns war hatte er gezeigt, dass er das Herz am rechten Fleck hatte. Auch wenn er mir manchmal etwas unheimlich war. Aber irgendwie war er ja auch mein Findelkind. Trotzdem war ich jetzt gerade auf ihn sauer. Das war wohl genau so eine Art Tat wie Philotima gemeint hatte. Warum war mir das nicht eingefallen?


    Und schon zeigten Brüder und Schwestern ihre Bereitschaft.


    Ganz ruhig, Volusus! Du wirst jetzt wohl nicht den Todsünden verfallen nur weil ein Bruder eine bessere Idee hatte!
    "Genial!" pflichtete ich deswegen bei. Immerhin hatte ich das ja tatsächlich gedacht. Wenn auch erst etwas später.
    "Dann können wir auch ein bisschen Tempelschmuck mitgehen und noch in der Nacht bei Meister Tempsanus einschmelzen lassen. Die Flavier vom Quirinal tragen da immer noch regelmäßig ein kleines Vermögen rein. Der Winter wird früher kommen als uns lieb ist und das wird uns ein schönes Polster für die Versorgung der Armen und Waisen geben."
    Ich war stolz auch was zum Plan beizutragen. Philotima sollte immerhin merken, dass ich aufs Ganze gehen würde und sowieso immer das große Ganze im Blick hatte!

  • Sulamith war an diesem Abend alleine erschienen. Graecina war nach dem feigen Mordanschlag auf Mitglieder ihrer Familie einfach nicht fähig dazu gewesen, das Haus zu verlassen. Und auch Sulamiths Gedanken schwirrten im Moment überall und nirgends herum. Doch als sich Molliculus neuer Schützling zu Wort meldete, bündelte sie ihre Aufmerksamkeit auf ihn. Die Zeiten waren schon schwierig genug. Warum also noch mehr Hass und Gewalt? Hatten die Brüder und Schwestern, die sich solcher radikalen Methoden bedienen wollten, denn kein Vertrauen auf das Wort des Nazareners? ‚Wenn dich einer auf die linke Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin!‘


    „Es tut mir leid, aber ich kann mich nicht dafür erwärmen! Gewalt erzeugt noch mehr Gewalt! Die meisten von uns haben eine Familie. Wollt ihr etwa noch mehr Leid über sie bringen?“ Die Geschichte ihres eigenen Volkes hatte sie gelehrt, wohin Gewalt führte. Der Aufstand der jüdischen Zeloten hatte letztendlich dazu geführt, dass tausende Hebräer in der Sklaverei gelandet waren und viele ihrer Landsleute ihre Heimat verloren hatten. Nein, Sulamith konnte so etwas nicht gutheißen. Sie war entsetzt darüber, dass Molliculus, den sie bisher als besonnen und friedliebend wahrgenommen hatte, solche Taten guthieß.
    „Du willst dich des erbeuteten Diebesguts auch noch bedienen? Auch wenn du es für einen guten Zweck nutzen willst, ist es doch dennoch immer noch Diebesgut! HaShem verlangt aber von uns du sollst nicht stehlen!Was war nur alle in sie gefahren?


    Dann wandte sie sich an Philotima, die zu Anfang weise Worte gesprochen hatte. Doch war sie sich auch bewusst, was sie damit anzetteln konnte? „Du hast Recht Philotima! Wir sollten uns nicht davor fürchten Zeugnis abzulegen! Wir alle sollten uns darauf besinnen, wie stark wir im Glauben sind. Doch wir sollten nicht den Hass predigen! Denn das war es nicht, was der Nazarener uns auf den Weg gegeben hat!“ Mit jedem Wort war ihre Stimme lauter geworden, so dass es auch wirklich alle hörten. Vielleicht konnte sie somit doch noch einige von ihrem Plan abbringen.

  • Ein mildes Lächeln auf den Lippen, verfolgt Philotima die Diskussion unter den Brüdern und Schwestern. Hört den treuen Molliculus. Den geheimnisvollen Ultor, der wie vom Himmel gefallen ein wertvoller Teil der Gemeinschaft geworden ist. Den begeisterten Myron. So rein ist seine Seele. Und Sulamiths beherzte Gegenrede.
    "Du hast recht, Sulamith, uns muß die Liebe leiten. Der Hass sei uns fern, wie der Heiland es uns lehrt. Doch dürfen wir uns nicht verschließen vor der Offenbarung: das Ende ist nahe. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit. Nicht aus Hass, aus Liebe zu den verirrten Seelen wollen wir ihre sündhaften Götzenbilder stürzen!"


    Sie schlägt die Augen nieder, hektische rote Flecken erblühen auf ihren Wangen. Ihr Stimme wird leise, beklommen, und um so eindringlicher.
    "Keine Gens hat so viel Schuld auf sich geladen wie... die Familie der Flavier. Hat nicht... ihr Ahn Vespasian Krieg, Blut und Verderben über das heilige Land gebracht? War es nicht sein Sohn Titus, der das auserwählte Volk dahinmordete, Jerusalem verwüstete, den Ersten Tempel plündern und brandschatzen ließ, seine Schätze raubte und nach Rom verschleppte? Ultor spricht wahr, welch unsäglicher Irrsinn, welch blasphemische Narretei, diese beiden und den zu recht nicht genannten Dritten zum Zerrbild von Göttern zu erheben!"


    Philotima blickt auf.
    "Sie vom Sockel zu stürzen, wird ein Werk der Gerechtigkeit sein! Und vergessen wir nicht: all das Gold und Gut in ihrem Götzentempel ist Raubgut! Geplündert aus dem Allerheiligsten, und den Unterjochten abgepresst. Wenn es das Leid der Armen dieser Stadt ein wenig lindern kann, wenn wir damit auch nur einen Frierenden wärmen, vielleicht ein Kind vor dem Verhungern bewahren können – dann ist es recht getan in den Augen des Herrn."

  • Ob es Myron wirklich bewusst war, wozu er sich soeben bereit erklärt hatte? Bisher war er vornehmlich als friedfertige Natur in Erscheinung getreten. Ein verträumter junger Mann, der sich am liebsten dem Schönen hingab und dieses dann in seinen Zeichnungen festhielt. Eines Tages würde er das Antlitz Philotimas für die Ewigkeit in Stein hauen. Ja, so hatte er es sich in seinen Träumen vorgestellt. Doch selbst nun, nach seinem verwegenen Vorstoß, hatte sie nicht einmal ein persönliches Wort für ihn übrig gehabt. Lediglich ihr sanfter Blick hatte ihn gestreift.


    Sulamiths Gegenrede war dies zu verdanken! Ausgerechnet sie, die als Sklavin geboren worden war und deren Familie seit Jahrzehnten in Sklaverei lebte. Myron konnte kaum glauben, dass sie keinen Groll gegen die Flavier hegen sollte. Eigentlich sollte sie Genugtuung spüren, wenn die flavischen Götzenbilder zerschmettert wurden!


    „Du redest nur so, weil du nicht weißt, wie es ist, Hunger zu leiden, Sulamith! Nicht dass ich die Sklaverei gutheiße, doch du hast durch deinen Dominus ein Dach über dem Kopf und erhältst täglich eine Mahlzeit! Die Flavier sind diejenigen, die Schuld auf sich geladen haben und es noch tagtäglich tun – nicht wir!“ Myron hatte sich getraut und das Wort ergriffen. Dabei hatte er sich auch mehrmals in Philotimas Richtung umgewandt, so als ob er sich versichern wollte, ob sie ihn und dass was er sagte, tatsächlich auch wahrnahm. Letztendlich hatte auch er schlechte Zeiten erlebt, wenn der Verdienst seines Vaters für sie alle nicht ausgereicht hatte, so dass all seine Geschwister ausreichend zu Essen hatten. Es gab so viel Elend in Rom. Es war an der Zeit, dass die Schuldigen nun bluten sollten!

  • "So ist es" stimmte ich Philotima und Myron zu.


    Dann legte ich meine Hand sanft auf Sulamiths Unterarm. "Wir werden keinem Menschen etwas antun, Sulamith. Aber die falschen Götzenbilder müssen zerstört werden! Es stimmt, in den Tempeln ist so viel Raubgut aus früheren Tagen. Aber es ist ja noch schlimmer. Jeden Tag kommen Menschen in die Tempel, die wenig bis nichts haben. Und das wenige, das opfern sie den Göttern in der Hoffnung darauf Hilfe zu erhalten." Ich schüttelte grimmig den Kopf. "Aber sie bekommen gar nichts, Sulamith, nichts! Sie werden beraubt, jeden Tag aufs neue, denn ihre Gaben nähren nur die Pontifices und den Kaiser, die immer fetter und fetter werden! Wir geben also nur denjenigen ihr Habe zurück die darum betrogen wurden."


    In der letzten Zeit hatte ich ziemlich mit meiner Aufgabe im Tempel gehadert. Ich wollte nicht mehr Teil dieses Systems sein. Menschen vorgaukeln, dass ihnen im Tempel ein Gott zuhört und sich ihrer annimmt. Ich wollte nur noch im Haus des einzig wahren Gottes meinen Dienst tun. Dort wo ich mir sicher war, dass Gott die Menschen hörte und sich ihrer annahm. Aber wir brauchten das Geld. Dieses Haus und die Menschen, die darin lebten, mussten schließlich versorgt werden. Ganz zu schweigen von unseren Gaben an andere. Und das finanzierte hauptsächlich mein Einkommen und das was ich aus dem Tempel mitnahm. Nachdem das Dach des Waisenhauses saniert war hatte ich nicht mehr ganz so viel auf einmal mitgehen lassen, aber doch immer genug, dass wir unser Werk tun konnten. Das war mein einziger Trost. Und natürlich, dass Philotima mir immer wieder versicherte wie wichtig mein Anteil für die Gemeinschaft war.


    "Wir müssen den Menschen die Augen öffnen. Wenn wir den Tempel schänden und kein göttlicher Zorn bricht aus, dann werden die Menschen erkennen dass ihre Götzen nur Trugbilder sind! Dann werden sie bereit sein zu erkennen, wie falsch dieses System ist und dass es nur einen Gott gibt!"

  • Sein Plan ging auf - zumindest schien es anfangs so als er den Zuspruch des bisher zurückhaltenden Myrons fand und sogar Volusus sich zu etwas mehr Aktionismus aufraffen konnte. Als Philotima nicht nur zustimmte, sondern einen rechten Groll gegen die flavischen Kaiser offenbarte, musste Sciurus sich beherrschen, dass auf seinem Antlitz nicht eine Braue nach oben wanderte. Zwar hatte er nicht erwartet, dass sie den Plan ablehnen würde, doch solcherlei Emotionalität mochte beinahe einer göttlichen Fügung gleichkommen. Indes glaubte Sciurus nicht an Gott - weder den in diesem Haus verehrten, noch irgendeinen anderen, so dass er den Zufall schlichtweg als solchen begrüßte.


    Dann jedoch kam das Zögern - in Form der kleinen Hebräerin, die vor dem Aufbegehren scheute. Mit eiskaltem Blick durchbohrte Sciurus Sulamith, die ihm schräg gegenüber saß. War es wahrhaft ihre Überzeugung und der merkwürdige Glaube, der sie sprechen ließ - oder war es nicht eher die Feigheit einer verwöhnten Sklavin? Sciurus hasste feige Sklaven. Nur seinen Herrn, seinen ehemaligen Herren, diesen hasste er augenblicklich noch mehr, und er weidete sich bereits an dem Gedanken, wie Gracchus auf eine Verwüstung des flavischen Tempels reagieren würde.



  • Aus Liebe wollten sie den Tempel schänden? Die Hebräerin sah Philotima ungläubig an und begann den Kopf zu schütteln. Das konnte doch nicht sein! Das widersprach allem, was Yeshua sie gelehrt hatte. Es musste doch einen anderen Weg geben, die Menschen zu überzeugen, dass sie den falschen Götzen dienten.


    Philotima versuchte ihr ins Gewissen zu reden. Ja, es war ihr sichtlich unangenehm, da es ihre Familie war, die so viel Leid über die Hebräer gebracht hatten. Es war ein Flavier gewesen, der die Heilige Stadt geplündert und den Tempel zerstört hatte. Es war ein Flavier gewesen, der die hebräischen Freiheitskämpfer drei Jahre lang in Massada belagert hatte und durch das Blut unzähliger hebräischer Sklaven eine Rampe erbauen ließ, um die Festung dann doch noch zu stürmen. Doch sie fanden dort nur den Tod vor. Alle hatten sich vor dem Eindringen der Römer das Leben genommen. Sulamith hatte die Geschichte als Kind oft genug gehört. Doch würde sie Gerechtigkeit empfinden, wenn sie nun die flavischen Götzenbilder stürzten? Nein, sie würde nichts dabei empfinden können, denn es würde nichts ändern. Ihre alte Heimat war verloren und ihr Volk war geknechtet. Nichts in der Welt hätte dies wieder rückgängig machen können.
    Doch bevor sie etwas hätte einwenden können, griff Myron sie heftig an. Selbst Molliculus, den sie bisher immer als gemäßigt eingeschätzt hatte, sprach sich für die Schändung des Tempels aus. „Und was ist, wenn es HaShem ist, der euch zürnen wird? Was glaubt ihr, wird geschehen, wenn ihr einen ihrer Tempel schändet? Ihre Soldaten werden uns verfolgen und jagen. Uns, die wir Peregrine oder Sklaven sind, werden sie ans Kreuz schlagen. Euch die ihr Römer seid, werden sie den Kopf abschlagen oder in der Arena von wilden Tieren in Stücke reißen lassen! Ist es das, was ihr wollt?“, warf sie ein. Ihre Wangen hatten sich gerötet, denn sie hatte sich so hineingesteigert. War dies das Ende, von dem Philotima sprach. Wenn es das war, dann war es nicht unausweichlich, sondern geplanter Selbstmord!

  • "Schwester. Aus dir spricht die Furcht."
    Philotima sieht, wie sich ein Riss durch die Gemeinschaft zieht. Noch ist er fein. Doch sie ahnt, dass eine tiefe Kluft aus ihm entstehen wird.
    Es schmerzt sie. Sulamith ist ihr lieb.
    Nur ihr hat sie sich anvertraut. Nur Sulamith gegenüber hat Philotima ihr Herz erleichtert und von ihrer eigenen sündhaften Abkunft aus der Gens Flavia gesprochen. Sonst verschließt sie dies in ihrem Innersten, in einem stillen tiefen Schacht, ebenso wie den Ekel, den sie verspürt, wenn sie die Aussätzigen pflegt, ebenso wie die Zweifel, die auch sie bisweilen plagen, ebenso wie die ordinären Regungen, die sie verspürt, wenn der Blick Myrons wie der eines Engels auf ihr liegt.


    "Wir alle kennen diese Furcht. Die Furcht davor, diese Welt zu verlassen. Und wer könnte uns dafür schelten? Diese Welt ist voll Leid, und doch ebenso erfüllt von Schönheit und Wärme.
    Du bist nicht allein in deiner Furcht, Sulamith. Wenn ich den Glanz der Morgenröte sehe... die Freude eines von Krankheit genesenen Kindes... wenn ich die Mauersegler, die ihr Nest hier unter dem Giebel haben, sich im Winde tummeln sehe... dann wünsche auch ich mir, teilzuhaben an dieser irdischen Welt und... fürchte den Tod."

    Philotima blickt in die Runde.
    "Geht es euch nicht ebenso?"


    Eine strenge Falte tritt zwischen ihre Brauen, als sie weiterpredigt.
    "Doch wir dürfen nicht haften am irdischen. Die Wärme dieser Welt ist nicht für uns bestimmt. Diese Welt ist nur... das Vestibulum, durch das wir hindurch schreiten, die Schwelle auf der wir uns bewähren müssen, auf dem Weg in die ewige Seligkeit.
    Das wahre Glück ist nicht von dieser Welt. Wir haben das Wort des Herrn vernommen. Unsere Aufgabe, ja unsere heilige Pflicht ist es, Zeugnis abzulegen und dadurch so viele Verirrte wie nur möglich auf den Pfad der Rettung zu führen. Ich sage: lasst uns hinauswachsen über die Furcht! Wenn uns das Martyrium erwartet... dann sind wir in Gottes Hand.
    Lasst uns frei sein von der Angst. Lasst uns die Götzen stürzen! In der nächsten Neumondnacht schlagen wir zu! Lasst uns Zeugnis ablegen!!

  • Die Furcht, o ja, die kannte ich auch! Die Schönheit der Welt und die Furcht vor dem Ende. Als hätt ich nicht schon Stunden im Bett wach gelegen und über das alles nachgedacht! Aber dann dachte ich wieder an Philotima, an Philotimas Worte. Ganz ehrlich, ich verstand nicht ganz wie direkt sie das mit der Seligkeit und dem Jenseits meinte. Aber ich war mir sicher, dass wir die Welt umgestalten und zu einem besseren Ort machen mussten. Wenn erst unser Glaube die Welt beherrschte dann wäre sie eine bessere. Ohne habgierige Kriege. Ohne Sklaverei. In friedlichem Miteinander mit allen Menschen. Wir würden die Mächtigen und ihre Götzen stürzen! Und mit allen Brüdern und Schwestern das Paradies errichten!


    Und jetzt wo Philotimas Augen glühten und ihre Stimme über sie hinaus wuchs gab es keine Furcht mehr in mir. Nicht in meinem Herzen. Nicht im letzten Winkel meiner Seele! Nein, ich Volusus Didius Molliculus würde Zeugnis ablegen ohne Furcht und Philotima bis ans Ende der Welt folgen!


    "Jawohl! Lasst uns die Götzen stürzen!" stimmte ich feurig zu. Noch vier Tage bis Neumond!

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    Abgekämpft und außer Atem nach ihrem Weg vom Aventin erreicht Binah das Haus der christlichen Gemeinschaft. Man kennt sie. Lässt sie ein. Die Andacht ist schon vorüber. Achatius druckst herum, als sie nach Philotima und Molliculus fragt. Doch Binah lässt nicht locker. Schließlich zeigt er ihr die Kellertreppe. Binahs Hand gleitet an der Wand entlang, als sie Stiege um Stiege hinabsteigt. Gen Kerzenschein und aufgepeitschter Stimmen.


    Resolut tritt Binah in das Konsil der selbsternannten Erlöser.
    "Schwestern, Brüder! Friede mit euch. Das Waisenhaus braucht eure Hilfe. Die Prätorianer waren bei mir. Sie suchen dich, Philotima!"
    Anklagend zeigt sie auf die Vordenkerin der Gemeinschaft.
    "Ihr habt sie herausgefordert, und nun drohen sie, mich zu verhaften, wenn ich nicht..."
    Kurzatmig sinkt Binah auf einen Stuhl. Ringt ihre Hände.
    "Wenn ich euch nicht verrate. Sie wollen meine Kinder in die Sklaverei schicken. Ihr habt sie herausgefordert! Auf dem Forum! Das haben sie nicht vergessen! Und nun sollen meine Kinder dafür leiden! Wir haben hier so lange gelebt, uns arrangiert, es war nicht leicht, aber wir haben es vollbracht, und nun kommt ihr und glaubt... und glaubt ihr könnt ihnen offen die Stirn bieten! Und was plant ihr nun schon wieder als nächsten Wahnsinn? Den Preis bezahlt nicht ihr, den Preis bezahlen die Schwächsten. Eine Woche habe ich Zeit, dann kommen die Prätorianer wieder. Es gibt nur einen Ausweg. Du musst dich stellen, Philotima!"




  • Stoisch blickte Sciurus drein als die Frau aus dem Waisenhaus kam. Er kannte sie nicht bisher, nur aus Erzählungen der anderen, aus Berichten über Sorgen - über einen Mangel an Essen, Kleidung oder Schutz für die Kinder. Indes drohte sie den ganzen Plan, den guten Plan zu vernichten. Was scherten Sciurus die Kinder und die Schwächsten? Niemand hatte sich je um ihn geschert - außer sein Herr, der ihn verraten und fallen gelassen hatte für eine Bettgeschichte.


    "Pah!" lachte er auf. "Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass Philotimas Leben sie befriedigt? Sie werden nicht aufhören euch zu bedrohen - niemals! Sie werden wieder kommen und wieder, sie werden euch als Sündenböcke heranziehen für jeden kleinen Fehltritt, sie werden euch ihrem Wohlstand, ihrer Bequemlichkeit, ihren Göttern opfern! Die Kinder, die Schwächsten, wir alle haben nur eine Chance! Wir müssen die Menschen zum rechten Glauben führen, dass sie beginnen sich aufzulehnen gegen diese Ungerechtigkeit! Wir müssen die Menschen wachrütteln!"
    Er senkte seine Stimme. "Wenn Philotima sich stellt werden sie sie benutzen. Sie werden sie vorführen und ausschlachten, sie nutzen um Furcht zu verbreiten und unsere Sache um Jahre zurückwerfen! Und sie werden auch die Kinder benutzen - wieder und wieder um ihre Ungerechtigkeit zu verbreiten. Nein, es gibt nur einen rechten Weg und der ist furchtlos voran. Wir müssen stark bleiben und weiter machen. Wir müssen die Menschen wachrütteln und ihnen die Augen öffnen. Nur wenn die Menschen das Falsche erkennen, werden sie den rechten Weg finden und die Schwachen beschützen!"


    Was für ein ausgemachter Unsinn! Doch wenn dieser Unsinn ihm nutzen würde, mochte Sciurus ihn gerne ertragen.



  • Ich mochte Binah wirklich. Und die Waisen natürlich auch. Allesamt. Aber was Binah nun verlangte war zu viel! Philotima sollte sich stellen. Nein, also wirklich nein! Wer weiß was die mit ihr anstellen würden! Ausgerechnet die Prätorianer, die ja nicht gerade für ihre Zimperlichkeit bekannt sind. Oder dafür Menschen nett zu befragen. Oder überhaupt dafür dass jemand ihre Kaserne wieder lebend verließ!


    "Nein! Philotima darf sich nicht stellen! UItor hat recht, wenn die Prätorianer einmal anfangen dann hören sie nicht auf bis sie den Ietzten von uns in ihren Kellern erledigt haben!" Ich schaute Philotima flehend an. Nein, sie durfte sich nicht stellen!
    "Wir machen weiter! Und dann wechseln wir einfach die Unterkunft. Die Casa ist zwar nett, aber wir können überall wirken. Wenn Binah nicht mehr weiß wo wir sind, dann kann sie uns auch nicht verraten und die Kinder sind sicher!"


    Die Kinder! Die armen Kinder! Der Herr sollte diese elenden Prätorianer-Schweine strafen, die nicht einmal vor Kindern halt machten!

  • Betreten sah Myron zu Binah hinüber. Er traute sich kaum, ihr in die Augen zu schauen. Sie hatte ihm einige Tage Unterschlupf geboten und ihn mit Essen versorgt, kurz nachdem er seiner Familie den Rücken gekehrt hatte. Und dass, obwohl sie genug Mäuler zu stopfen hatte. Bei ihr hatte er die vielbeschworene Nächstenliebe der Christen am eigenen Leib erlebt. Doch was Binah nun verlangte, war nicht akzeptabel! Philotima solle sich stellen! Was die Prätorianer-Schweine mit ihr dann machten, konnte man sich an fünf Fingern abzählen!


    „Wenn Philotima sich stellt, dann können wir alle einpacken! Sie hat es geschafft, dass den Leuten die Augen geöffnet wurden. Ultor hat recht! Diese Schweine werden sich mit ihr nicht zufrieden geben! Sie werden nicht eher ruhen, bis sie uns alle ans nächste Kreuz geschlagen haben. Wir müssen jetzt handeln, Brüder und Schwestern! Jetzt müssen wir ihre Götzen in den Staub treten! Dann sehen sie, dass ihre Götzen nur aus kaltem Stein sind!“
    Verstohlen sah er zu Philotima hinüber, um zu sehen, ob sie bemerkt hatte, dass er es war, der so gesprochen hatte. Für sie würde wirklich alles tun. Sogar steren, wenn es sein musste.
    Was mit den Kindern aus Binahs Waisenhaus wurde, war ihm herzlich egal. Ein paar elternlose Schreihälse mehr oder weniger in dem Gassen von Rom. Wen juckte das schon groß!

  • Sulamith nickte. Ja, Philotima hatte sie verstanden. Natürlich hatte sie Furcht. Was war sie denn schon? Eine schwache hilflose Frau. Eine Sklavin noch dazu. Nach allem, was ihr in den letzten Monaten zugestoßen war, hatte sie wieder neuen Lebensmut geschöpft. Graecina war dabei nicht untätig gewesen. Sie hatte alles Mögliche in Bewegung gesetzt, ihrer Sklavin und Schwester zu helfen. War nicht genau das, was erstrebenswert war im Leben? Am Schönen und Guten in der Welt teilzuhaben? Ein Teil davon sein! Jede gute Tat in dieser Welt machte sie etwas besser, etwas schöner. Sahen das die Brüder und Schwestern nicht? Waren sie mit Blindheit gestraft?


    Ja, sie waren es! Die Augen der Hebräerin weiteten sich vor Schrecken, als Philotima weitersprach und vom wahren Sinn des menschlichen Daseins predigte. Sie rief erneut die Geschwister dazu auf, sich an den fremden Götzen und Tempeln zu vergreifen. Darin sollten sie Zeugnis ablegen. Sulamith schüttelte fassungslos ihren Kopf. Nein, das war der falsche Weg, den sie gehen wollten. Gewalt hat selten zum Erfolg geführt, um die Menschen zu überzeugen und sie auf sie eigene Seite zu ziehen. Doch die Geschwister hingen begeistert an Philotimas Lippen.


    Als habe HaShem einen letzten Versuch unternommen, die Geschwister zur Raison zu bringen, betrat plötzlich Binah den Raum. Sie wirkte erschöpft und strahlte Furcht aus. Die Worte aus ihrem Mund waren eine Bestätigung ihrer Warnung an die Gemeinschaft gewesen. Schneller als gedacht, waren ihnen die Prätorianer bereits auf den Fersen. Philotima hatte sie zu sehr gereizt! Nun verlangte das Imperium nach Rache! Was würde es erst verlangen, wenn sie die Tempel und Götzen geschändet hatten!


    Offenbar war Binah die Einzige, die sich traute, der Gemeinschaft ins Gewissen zu sprechen und in ihren Worten steckte so viel Wahrheit! Die Schwächsten dort draußen würden die Zeche zahlen für den Wahnsinn, den Philotima und ihre Anhänger forderten. Sulamith musste miterleben, wie sich alle gegen Binahs Forderung wandten. Die Hebräerin selbst machte sich schuldig, dass die in diesem Moment nicht mehr ihre Stimme erhob und sich für das Waisenhaus und deren Hausmutter aussprach, denn ihr war bewusst, wie schwach sie doch war. Es hatte keinen Sinn, denn niemand würde auf sie hören.

  • Philotima erblasst bei Binahs Apell. Sie war oft im Waisenhaus. Hat mit den Kindern gebetet und die kranken unter ihnen gepflegt. Sie möchte nicht, dass ihnen ein Leid wiederfährt. Doch sich stellen? Was wird dann aus der Sache?
    Zum ersten Mal seit langer Zeit fehlen der Predigerin die Worte.
    Die Gemeinschaft spricht für sie.
    'Es gibt nur einen rechten Weg und der ist furchtlos voran.' sagt der unerschrockene Ultor.
    Und voll Überzeugung Molliculus: 'Philotima darf sich nicht stellen! UItor hat recht, wenn die Prätorianer einmal anfangen dann hören sie nicht auf bis sie den letzten von uns in ihren Kellern erledigt haben!'
    Güte und brüderliche Sorge spürt Philotima in Molliculus' Worten, als würde eine warme Hand die ihre drücken.
    Flammend stimmt Myron ihnen zu: 'Wenn Philotima sich stellt, dann können wir alle einpacken! Sie hat es geschafft, dass den Leuten die Augen geöffnet wurden.'
    So tapfer seine Worte, so verstohlen ist der Blick, mit dem er Philotima streift. Sie erwidert ihn dankbar.
    Nur Sulamith schweigt.


    Philotima erhebt sich und tritt an Binah heran. Sie legt der zusammengesunkenen Frau sacht die Hand auf die Schulter.
    "Liebe Schwester, mein Herz blutet vor Sorge um dich und deine Kinder. Ich wünschte ich könnte deiner Bitte willfahren. Doch ich kann es nicht. Unsere Sache ist größer als jeder einzelne von uns. Die Gemeinschaft hat gesprochen."

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    Verzweifelt krallt Binah ihre Hände in das Umschlagtuch, als einer nach dem anderen der jungen Leute laut seine Verblendung offenbahrt. Flehend sieht sie zuletzt zu Sulamith, doch diese sagt nichts.
    "Die Sache, die Sache!" schnaubt Binah und schüttelt Philotimas Hand ab. "Ihr seid doch alle vollkommen übergeschnappt. Nicht nur euch selbst werdet ihr ins Unglück stürzen, sondern uns alle gleich mit dazu!!"
    Binah steht auf, schüttelt zornig den Kopf.
    "Das wird böse enden!" sind die letzten Worte, die man noch von ihr hört, als sie die Kellertreppe hinaufsteigt und die Versammlung verlässt.




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