Quirinal - Namenloser Park der Dryade Kraneia

  • Porta Casa Furia >>>


    Tiberios dachte, dass dominus Scato die Bank genauso einladend erscheinen würde wie ihm selbst. Er blieb stehen und wagte kaum, den Iunier anzusehen. Das war nicht aus einem Gefühl von Demut heraus, sondern um nicht mit seiner Hand den Nacken des Mannes zu umfassen, ihn an sich zu ziehen und mit den Lippen die seinen zu berühren.
    All das stand Tiberios nicht zu, und dennoch musste er sich beherrschen, es nicht doch zu tun. Stattdessen war er scheu und verlegen.


    Nun lächelte er über Scatos Scherz: „Leider habe ich nichts vom Leichenfreund für Dich, Dominus Scato. Es tut mir Leid, dich zu enttäuschen, da du doch extra bis zur Casa Furia gekommen bist.“, sagte er: „Bei dieser Schriftrolle handelt es sich nur um einen privaten Brief, den ich an dich geschrieben habe.“


    Er hoffte, dass der Römer lesen würde, dies war ihm lieber, als sprechen zu müssen.

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  • Schön war es hier. Die Sonnenstrahlen schienen ihnen trotz der herbstlichen Kühle warm ins Gesicht. Den Brief nahm Scato entgegen und reichte Tiberios den seinen. Doch er entrollte das an ihn gerichtete Schreiben noch nicht. Stattdessen lauschte er schweigend hinter das Rauschen der von einem bronzen Hauch überzogenen Baumwipfel. Keine Stimmen, keine Schritte, sie waren für sich. Als er sicher war, dass niemand in der Nähe weilte, schob er den Arm um den Rücken von Tiberios und zog ihn an sich. Scato vergrub Nase und Mund in Tiberios´ duftende Locken und hielt ihn fest an sich gedrückt.


    "Du hast mir gefehlt", gestand er leise. "Wie geht es dir? Ich hoffe, bei dir ist alles gut."

  • Dominus Scato setzte sich nicht und ließ ihn stehen, wie es üblich gewesen wäre - er zog Tiberios an sich.


    Der furische Sklave stand da ohne sich zu regen, spürte wie der Römer seinen Mund, seine Nase in seinen Locken vergrub, nahm die Wärme Scatos, seine Gegenwart und den vertrauten Geruch wahr, und er verging fast vor Hingabe. Wäre Medusa in diesem Moment vorbei geschritten, um ihn zu versteinern, hätte auf dem Antlitz der Statue bis in alle Ewigkeit ein seliges Lächeln gelegen.


    Tiberios konnte nicht verhindern, dass ihm die Tränen kamen. Nächtelang hatte er sich nach solch einem Moment gesehnt und dann kam das Geständnis des stolzen und großherzigen Römers: Du hast mir gefehlt
    „Mir geht es doch immer gut, Dominus Scato“, sprach der Jüngling, und plötzlich schluchzte er auf, wandte den Kopf ab und hielt sich fest wie ein Ertrinkender. Seine Finger streichelten den Nacken des Mannes, fuhren über sein Gesicht, so sanft, so langsam, als versuche er sich jede Kleinigkeit einzuprägen; er war bleich vor Kummer und strahlte vor Glück.
    Er hätte nicht gehofft, Sisenna Iunius Scato vor seiner, Tiberios‘, Abreise nach Alexandria noch einmal wieder zu sehen:
    Und dann sprach er es aus, sehr leise: "Du hast mir mehr gefehlt, als ich es sagen kann: Ego se philo
    Er sagte es auf Koiné, seiner Muttersprache. Der Satz hallte in seinen Ohren, als hätte er ihn laut gerufen, und er verstummte, nur seine schlanken hellen Hände streichelten weiter, als wäre er blind.

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  • "Ich bin auch dein Freund, Tiberios", raunte Scato in die dunkelblonden Locken, die seine Nase und seine Lippen kitzelten.


    Er streichelte ihm die Tränen mit der Rückseite der Finger weg, als Tiberios ein wenig weinte. Vom Leben als Soldat waren Scatos Hände inzwischen sehr viel rauer geworden als während ihrer ersten gemeinsamen Zeit. Scato genoss das Gefühl, Tiberios wieder so nahe zu spüren. Einst waren sie sich noch viel näher gewesen und zu gern wünschte er sich eine Wiederholung ... hier und jetzt, auf dieser Wiese. Doch weder war der Ort sicher, noch war das vereinbar mit dem Versprechen, was Scato und Lurco verband. Ein Versprechen, was er aus freien Stücken gegeben hatte und nicht bereute.


    "Wann kommst du uns das nächste Mal in der Casa Leonis besuchen, Tiberios?", fragte er also. "Wir haben immer noch nicht die Einweihungsfeier gegeben und würden dich dazu gern ... mieten. So könntest du dabei sein, ohne dass jemand Anstoß daran nimmt."


    Das schien ihm ein guter Weg und der wahre Anlass war klar. Scato wollte Tiberios trotz des Versprechens nicht auf Abstand schieben, als wäre nie etwas zwischen ihnen geschehen. Nichts konnte falscher sein. Aber Lurco betrügen würde er auch nicht. So gedachte er, Tiberios ganz offiziell erneut in ihre Mitte einzuladen.

  • Dominus Scato sprach hervorragend Griechisch, aber die Bedeutung des Wortes philia erfasste er nicht völlig, und Tiberios schob die Schuld daran auf Lehrer Terpander, der da bestimmt seine Gründe gehabt hatte, die Bedeutung einzuengen.
    Ein wenig nachsichtig lächelte der furische Sklave. Scatos Hände waren rau und er war...stärker als bei ihren letzten Begegnungen, er schien in sich selbst zu ruhen. Diese Hände würden sich verletzter Kameraden annehmen. Sisenna Iunius Scato war Soldat und bald ein Medicus.


    Tiberios war beinahe, aber nur beinahe aus seiner Deckung gekommen, jetzt konnte er zurückweichen ohne jemals sein Innerstes preisgegeben zu haben. Fast erleichtert atmete er auf.


    An Scatos Reaktion erriet er, dass der Römer in einer festen Beziehung lebte. Einen Moment lang dachte er an Terpander, doch obwohl er Terpanders Treue und Hingabe an seinen dominus nicht anzweifelte, waren doch selbst die grausige Angelegenheit mit der Totenbeschwörung und die Fluchtafel nur aus dem Wunsch erwachsen, ihn nicht zu früh in Stich lassen zu müssen – Terpander war es nicht, der Halt und Sicherheit gab. Terpander verwirrte die Welt mehr als dass er sie hell und klar machte.
    Tiberios dachte an einen anderen Namen und vergrub ihn gleich wieder in seinen Gedächtnis – nicht einmal wenn sie ihn vierteilten würde er ihn verraten. Doch er wusste, wer der Betreffende war: loyal, tatkräftig, ruhig, von Ehre
    Und Tiberios war sehr froh darum, dass Scato nicht alleine bleiben würde.


    „Domina Stella ist verreist, aber ich kann Dominus Saturninus um Erlaubnis fragen, ob er mich zur Einweihungsfeier verleiht.“, antwortete Tiberios ernsthaft: „Welche Aufgabe genau hat man mir zugedacht?“
    Er sah zu Boden. Er hatte aufgehört zu weinen, aber auch aufgehört, so unsinnig glücklich zu sein. Nun war er zur galene zurückgekehrt, der Gemütsruhe, die war wie die blanke Oberfläche der völlig stillen See.


    Seine Stimme war sanft und klar:
    „Ich komme gerne, falls ich zu dieser Zeit noch in Roma weile, Dominus Scato. Meine Domina sendet mich mit einem Auftrag nach Alexandria.“


    Er wusste, dass so eine lange Reise für einen Sklaven ein unerhörter Vertrauensbeweis war, und er war durchaus stolz auf dieses Vertrauen.

  • Noch bevor Tiberios wieder die glasklare Stimme erhob, bemerkte Scato, dass etwas sich verändert hatte. Es war, als sei etwas in den Augen von Tiberios erloschen, wie eine ausgeblasene Kerzenflamme. Scato betrachtete ihn verwirrt, ohne ihn loszulassen und fragte sich, ob er etwas Falsches gesagt oder getan hatte. Die Selbstzweifel verschwanden, als Tiberios verkündete, seine Domina würde ihn nach Alexandria schicken. Sie verschwanden zusammen mit der Freude, die Scato empfunden hatte, als er Tiberios nach so langer Zeit endlich wiedersah.


    "Nach ... Alexandria?!"


    Scatos Finger krallten sich fest in Tiberios´ schmale Schultern und er starrte ihn fassungslos an.


    "Wieso schickt sie dich an den Arsch der Welt? Was kann so wichtig sein?!"


    Eine irrationale Wut packte Scato. Obwohl er der Herrin von Tiberios noch nie begegnet war, überfiel ihn ein abgrundtiefer Hass auf die Frau, weil sie ihm Tiberios entriss. Jetzt ließ Scato den Sklaven mit einer Hand los und schüttelte mit der anderen den Brief auf, um ihn mit zusammengezogenen Brauen zu lesen. Am Ende zerknüllte er das Papyrus ohne hinzusehen, als könne er den Inhalt damit ungültig machen. Einen Moment blieb er still, dann verlor er seine Selbstbeherrschung.


    "Diese scheiß Weiber machen immer alles kaputt", schrie er. "Was anderes können die nicht!"


    Er warf den zerknüllten Brief weg, setzte sich auf die Bank und starrte düster vor sich hin, nicht wissend, wohin mit seinem Hass, während seine Nasenflügel vor Wut zitterten.

  • Dominus Scato hatte ihn losgelassen, als er sich auf die Bank setzte.


    Tiberios versuchte es halb scherzhaft, halb ernst: „Bitte beleidige meine domina nicht, sonst muss ich ihre Ehre verteidigen und werde gegen dich den Kürzeren ziehen.“ Es war natürlich ein Scherz, denn nie hätte er die Hand gegen einen civis erheben dürfen.


    Aber dann war ihm nicht mehr nach Scherzen zumute. Als Scato ihn losließ, tat er, was er lange nicht mehr getan hatte, da es in Roma selbst für einen Sklaven unüblich war, er sank auf die Knie.


    Dominus Scato wirkte so wütend, so überaus hasserfülllt und düster, dass Tiberios es nicht wagte, ihn anzusprechen geschweige denn zu berühren.


    Und dennoch wünschte sich der furische Sklave seltsamerweise, dass dieser Moment nicht vorbei gehen sollte.
    Gerade gab es nur sie beide, und niemals wieder würde Dominus Scato jener junge Mann sein, der er an diesem Tag in dem kleinen Park noch war; no humilis, ohne Niedrigkeit.
    Noch war er auf gewisse Weise unschuldig, denn er hatte noch nie oder zumindest noch nie routiniert getötet.
    In ein paar Jahren würde der Iunier vermutlich einer dieser milites sein, wie es so viele gab, abgebrüht und roh, vielleicht sogar zynisch und mit einer unausgesprochenen Verachtung allem gegenüber, was nicht römisch oder militärisch war.


    Niemals wieder würden sie sich ansehen , wie sie sich gerade angesehen hatten, der römische Urbaner und der griechische Sklave.


    Tiberios ahnte gerade wegen der heftigen Reaktion von dominus Scato, dass er ihn so lieb hatte wie er ihn, und der Kummer, ihm Kummer zu bereiten, zerriss ihn beinahe. Alles hätte er lieber getan, als Dominus Sisenna Iunius Scato zu kränken.
    Aber er blieb gefasst und still, den Kopf gesenkt, nur sein Atem ging schneller. Durch den Schleier der Tränen konnte er kaum etwas sehen.


    Dum loquimur, fugerit invida aetas*
    Immer noch kniete er. Dann legte er bittend seine schmale Hand auf dominus Scatos Knie.


    Sim-Off:

    *Noch während wir hier reden, ist uns bereits die missgünstige Zeit entflohen.

  • Scato griff nach Tiberios´ Hand und zog sie an sein Gesicht, um sie zu küssen, ehe er sie sich an die Wange legte und dort festhielt. Sein Gesicht war voller Schmerz.


    "Ich wünschte, ich könnte die Dinge so gelassen sehen wie du. Aber da ist nur grenzenlose Wut."


    In seinen Gedanken schlug Scato Tiberios mit einem Fausthieb nieder, um ihn nach Hause zu tragen und im Keller der Casa Leonis einzusperren, wo er ihn jeden Tag besuchen könnte. Wer auch immer nach ihm suchte - niemand würde je erfahren, was aus dem Sklaven geworden war, bis man ihn für entlaufen oder tot hielt. Doch Tiberios würde leben. Er würde einen Schreibtisch zur Verfügung haben, Papyri und Tinte, dazu würde Scato ihm nach und nach eine Bibliothek aufbauen. Ein weiches Bett würde auch dazu gehören und Terpander kochte köstlich für sie alle. Auch Charislaus könnte Tiberios sehen. Es würde ihm gut gehen dort unten, von allen verwöhnt und den ganzen Tag zur Verfügung habend für seine Studien. Er wäre endlich frei von dieser Herrin, die ihn dafür vergeudete, Tabellen für das Handelshaus in Ostia aufzustellen oder als Vorleser zu fungieren oder was auch immer sie sonst mit ihm trieb, das Tiberios´ Naturell nicht würdig war. Sie schändete diesen klugen Geist regelrecht. Bei Scato aber ginge es Tiberios gut ...


    Scato hob die Lider und suchte Tiberios´ Blick. "Dies ist ein Abschied für immer, nicht wahr?"

  • Ich war gut gelaunt aus dem Balneum gekommen, hatte nach Tiberios verlangt, damit er mir etwas vorlas, während ich vor der Cena zu ruhen gedachte - und vom Ianitor erfahren, dass der furische Maiordomus mit einem miles(!) namens Scato in Richtung Porta Salutaris fortgegangen war, um über irgendwelche Schriftrollen zu diskutieren, die er übersetzt hatte. Ich schüttelte leicht den Kopf. Tiberios arbeitete gut und viel, aber er war für meinen Geschmack entschieden zu eigenmächtig in seinen Entscheidungen, er war ein Sklave, kein Angestellter.
    Ich winkte Andreas herbei, meinen Cubicularius: „Dann lass uns vor dem Essen noch eine Runde gehen.“, ordnete ich an:
    „Vielleicht treffen wir ja zufällig euren Maiordomus .“
    Meine Stimme triefte vor Sarkasmus.
    Da mich Tiberios auf dem Sklavenmarkt verärgert hatte, war ich ohnehin nicht wirklich gut auf ihn zu sprechen, und Andreas machte in bekümmertes Gesicht:
    „ Ich weiß vielleicht, wo sie hingegangen sein können, Dominus.“, sagte er, während er mir meinen Mantel umlegte und sich dann bückte, mir die Schuhe zu schnüren:
    „Es gibt einen kleinen Park auf halber Strecke, in dem man in Ruhe reden kann.“
    „ Tatsächlich? Führ mich dorthin!“
    Es war nicht weit, und der Park hatte den Charme des Halbvergessenen, Verwilderten.


    Als ich Andreas weiter hinein ins Grüne folgte, hörte ich zwei Stimmen, und als ich näher trat, sah ich, dass ein mir unbekannter blonder junger Soldat auf einer steinernen Bank saß. Tiberios kniete vor ihm, und der Miles hatte seine Hand genommen, küsste sie und führte sie an seine Wange.
    Ich war nicht aus Stein wie das Abbild der Dryade hinter ihnen, und die Szene hatte etwas Anrührendes.
    Armer Miles. Eros verschoss seine Pfeile wohin es ihm die launische Venus befahl.
    Dieser Scato war aber nicht der erste Römer in der Geschichte, der sich in einen fremden Sklaven verguckte, und es gab durchaus Wege, statthafte Wege, solch ein Dilemma zu lösen.
    Ich trat auf Beide zu, verschränkte die Arme und ignorierte den Tiberios völlig. Stattdessen blickte ich den Soldaten an und sprach:
    „Salve, Miles Scato! Ich bin Aulus Furius Saturninus, primicerius ab epistulis in der Kaiserlichen Kanzlei und wäre dir sehr verbunden, wenn du mir verrätst, was das mit furischem Eigentum gerade werden soll.“

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  • Scato ließ Tiberios los und erhob sich. Die Körperhaltung des anderen Mannes wirkte offensiv und seine höflich gewählten Worte änderten nichts an dem Eindruck. Wenn Scatos Laune zuvor schon schlecht gewesen war, sank sie nun in frostige Gefilde. Ein entsprechender Blick traf den Furius.


    "Da ich keine siebenhundert Sesterze habe, habe ich das furische Eigentum auf wertmindernde Umstände geprüft. Die Schreibhand eines Scriba muss tadellos funktionieren."


    Jene hatte er in sein Gesicht geführt.


    "Was willst du mir unterstellen?", fragte Scato lauernd.

  • Dieser Scato schaute mich beinahe wütend an. Der ganze Mann hatte so etwas Ernsthaftes an sich, als wäre er direkt den Tagen der frühen Republik entsprungen, als die Virtus, die Vortrefflichkeit, noch allgegenwärtig gewesen war. Er war auch noch etwas jünger als ich selbst und garantiert kein Politiker.
    Ich hatte ihn nicht beleidigen wollen.
    „Gemach, gemach!“, lachte ich und hob beide Hände:
    „Dann hast du wohl diesen Park mit dem Sklavenmarkt verwechselt? Bist du gar kurzsichtig? Wo dienst du, Miles?“, wollte ich wissen. Der Blonde trug zwar Soldatenstiefel- und Gürtel, aber ich war nicht nahe genug, um die Aufschriften lesen zu können.
    Ich fand die ganze Situation zu komisch.
    Ich ging natürlich nicht davon aus, dass da irgendein menschliches Interesse bestand sondern schrieb das Verhalten des Soldaten eher altmodischer Zurückhaltung zu.


    „Ich bin nicht dein Feind.“, fügte ich an:
    „Und ich kann verstehen, dass du Furia Stella, die eine zurückgezogen lebende Dame von tadellosem Ruf ist, nicht mit deinem Anliegen belästigen wolltest. Aber nun bin ich hier, und ich habe für die Wunden durch die Pfeile des Eros und die Suche nach dem Heilmittel Verständnis. Obwohl ich dir der Fairness willen gleich sage, dass Tiberios nicht zum Verkauf steht und älter ist als er aussieht.“

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  • Scato senkte leicht das Haupt, den Blick unablässig auf die Augen seines Gegenübers gerichtet. Noch ging es hier nur um einen Sklaven, doch wenn irgendjemand auf die Idee kam, weiter nachzuforschen, was Scato noch so trieb, könnte das Ergebnis verheerend enden.


    "Vielleicht bin ich zu kurzsichtig, um zu sehen, wenn ein bestimmter Mann dereinst in Not ist. Es sind gefährliche Zeiten für gut betuchte Bürger. Helvetius Archias, ein guter Wirt ... Tiberius Caudex, Iulius Caesoninus, Iulia Phoebe. Nichts weiter mehr als Namen in einer Statistik. Vielleicht bin ich aber auch dermaßen kurzsichtig, dass ich in anderen Situationen besonders genau hinsehen muss, damit mir auch kein Detail entgeht, kein noch so winziges Indiz für eine Straftat ... wir arbeiten gründlich. Sehr gründlich."


    Alles, was er wollte, war Abschied nehmen von einem Menschen, der ihm wichtig war und den er nie wieder sehen würde, stattdessen musste er sich auslachen und beleidigen lassen. Da der Furius obendrein Recht hatte mit seinen Unterstellungen, so dass eine unausgesprochene Drohung im Raum stand, schlug Scatos Herz bis zum Hals. Der Mann war verwandt mit seinem Vorgesetzten. Die Reaktion der Offiziere konnte in so einem Fall von einer bloßen Ermahnung über eine unehrenhafte Entlassung bis hin zur Todesstrafe alles beinhalten. Gute Soldaten waren für die falschen Vorlieben schon von ihren eigenen Kameraden zu Tode gesteinigt worden. Eine solche Aussage konnte und durfte er nicht auf sich sitzen lassen.


    "Schließe nicht von dir auf andere, Furius Saturninus. Zu erfragen, was Tiberios bei dir mit seiner Schreibhand noch so anstellt, verstößt gegen die guten Sitten, aber bei mir hätte er die Buchführung machen sollen. Tiberios steht also nicht zum Verkauf, danke für die Information. Dann kannst du jetzt gehen. Tiberios wird dir sicher folgen, sobald wir die Übersetzung fertig besprochen haben."

  • „Du erwähnst Straftaten – so bist du ein Urbaner?“, fragte ich: „Dann kennst du vermutlich meinen Verwandten, Optio Appius Furius Cerretanus? Grüß ihn schön von mir, sollte er dir über den Weg laufen. Es verstößt übrigens keineswegs gegen die guten Sitten, mit seinem Eigentum zu tun, wonach einem ist – wozu auch gehört, es an Freunde zu verleihen.“
    Das seinem und Freunde betonte ich.
    Ich hatte zuvor mit dem Gedanken gespielt, dem Soldaten im Interesse der Stoßkraft (schönes Wortspiel) unserer Streitkräfte Tiberios ein, zwei Tage zu überlassen, bis er ihn über hatte.
    Doch der Ton des Miles war nichts weniger als unverschämt. Weshalb sollte ich ihm jetzt noch einen Gefallen tun?
    Leider hatte ich nur Andreas und keine Custodes mit Knüppeln und Stangen bei mir. Gegen einen trainierten Urbaner würde ich nicht antreten können, ohne den Kürzeren zu ziehen.
    Irgendwie kam ich vor wie ein Junge, dem ein anderer Junge sein Spielzeug geklaut hat, und der zu schwächlich ist, es sich wiederzuholen.
    Also tat ich zähneknirschend so, als hätte ich nicht gehört, dass mich Scato quasi nach Hause schickte und sprach nur zum Maiordomus:
    „Eine halbe Stunde, Sklave, nicht länger. In dieser Zeit werde ich über deine Bestrafung nachdenken. “
    Ich warf Scato einen spöttischen Blick zu, bevor ich ging.
    Ich wusste, dass Tiberios nicht wirklich etwas Verbotenes tat, doch darum ging es nicht. Es ging schlicht darum, wer am längeren Hebel saß.


    Nicht ohne Hintergedanken hatte ich dem Blonden bei meiner Begrüßung verraten, dass ich in der kaiserlichen Kanzlei tätig war. Er musste wissen, dass sämtliche imperialen Ernennungsurkunden über meinen Schreibtisch gingen.
    Auf seine nächste Beförderung würde der Mann lange warten können, zumindest wenn ich das Dokument ausstellen sollte.

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  • Tiberios, der blieb, wo er war, wusste, dass sich alles um ein großes Missverständnis drehte:
    Für dominus Scato waren sie beide einfach zwei Männer, die sich Lebewohl sagten, und ein dritter störte dabei. Das kam weder aus philosophischen Überlegungen noch aus Kalkül; Scato hatte ihn, Tiberios, seit ihrer ersten Begegnung wie einen Menschen behandelt, ohne dass er es großartig begründet hatte.
    Vielleicht lag es an Terpander und der Tatsache, dass sein Lehrer der einzige in der Familie gewesen war, der den jungen Scato wirklich verstanden und geliebt hatte. Vielleicht war es nach einer solchen Erfahrung schwieriger, in Unfreien nichts weiter als sprechende Habe zu sehen.

    Dagegen war für dominus Saturninus das, was er wahrnahm, einfach nur, dass ein Fremder Hand an seinen Besitz legte. Dabei war er weder ungefällig noch geizig, er hätte ihn, Tiberios, sogar verliehen. Aber er wollte – und das war wichtig – um Erlaubnis gefragt werden.


    Wenn Tiberios ehrlich war, hätte er nichts dagegen gehabt, für eine Weile dominus Scato überlassen zu werden, um Abschied zu nehmen. Der Urbaner hätte einen dummen Witz über Lustknaben reißen und das Angebot akzeptieren können, und damit zwar Tiberios zu einem Gebrauchsgegenstand degradiert, der kein Mitspracherecht hatte, aber sich in Saturninus‘ Augen benommen wie ein typischer Römer.


    Doch Dominus Scato hatte Dominus Saturninus verjagt, als falle er lästig.
    Vermutlich hatte er sich den Furius zum Feind gemacht. Tiberios hätte sich deswegen schlecht fühlen müssen, aber dieses eine Mal versagte seine Selbstlosigkeit: Es war ein so großer Liebesbeweis.


    Vor Saturninus hatte Tiberios wenig Angst. Ohne die Erlaubnis seiner Domina würde er ihm nicht viel tun können.


    Tiberios legte seine Hand zurück an die Wange des Urbaners, streichelte sanft sein Gesicht.
    Kurz zitierte er Petronius Arbiter. „Qui asinum non potest, stratum caedit *“ um das Thema Aulus Furius Saturninus abzuhaken, dann beantwortete er Scatos Frage:
    „Für immer – nein. Es ist eher ein längerer Aufenthalt geplant. Du kannst mir schreiben: Casa Sergia, Broucheion Neapolis Alexandria ad Aegyptus. Wir werden irgendwann zurück kommen. Die Casa Furia wartet auf uns.“
    Es konnten Jahre ins Land gehen, das sprach er nicht aus.


    Sim-Off:

    *Wer den Esel nicht prügeln kann, prügelt den Sattel.

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  • Immerhin war der Mann so gnädig, Tiberios bei Scato zu lassen. Das hätte er nicht gemusst. Das gegenseitige Gezicke - beide drohten mit ihren beruflichen Vollmachten - war für Scato ein Abstecken von Grenzen. Weder hatte er vor, dem Primicerius irgendetwas anzuhängen, noch nahm er an, dass dieser seinerseits ihm beruflich in die Kniekehlen zu hacken gedachte. Solche Rangeleien gehörten für Scato zum Sozialverhalten dazu. Es war ein Säbelrasseln, ein gegenseitiges Präsentieren der Waffen, ein Zähnefletschen, ohne diese einzusetzen, wenn es nicht sein musste. Ob Saturninus das genau so sah, hinterfragte er nicht. Besonders, da die weiche Hand von Tiberios in seinem Gesicht ihn wieder ablenkte und beruhigte.


    "Ich werde dich sehr vermissen, Tiberios. Bitte komm noch einmal her. Diese Furier wissen nicht, was für einen Goldschatz sie mit dir haben, der durch keine 700 Sesterzen aufzuwiegen ist und auch durch keine 700 000."


    Die wichtigsten Dinge konnte man von keinem Geld der Welt kaufen. Man bekam sie geschenkt oder man bekam sie nie. Ohne die Reaktion abzuwarten, setzte Scato sich auf die Bank und zog Tiberios zwischen seine Beine, um ihn um den Bauch zu umarmen und das Ohr auf sein Herz zu legen. Er fürchtete, dass sein Gesicht allzu viel verraten mochte. Die finsteren Gedanken, die er gehegt hatte, waren fort. Sanft kraulte er Tiberios´ schmalen Rücken, während er versuchte, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass das vorbei sein würde. Nach wie vor ging Scato davon aus, dass sie sich niemals wiedersahen und dass Tiberios nur versuchte, ihm einen kleinen Funken Hoffnung zu erhalten.

  • Dominus Scato zog Tiberios an sich, legte seinen Kopf an dessen Brust, und der Jüngling verging fast vor Seligkeit. Er streichelte das kurzgeschnittene blonde Haar des Urbaners, seine Ohren, seinen Nacken, in dem feine helle Härchen wuchsen, und nun wagte er es auch, mit den Lippen den Spuren seiner Finger nachzufahren.
    „Die Furier sind gut zu mir.“, erinnerte Tiberios flüsternd: „Dominus Furius Philus hat mich gekauft, obwohl er dachte, ich würde ihm gleich in der ersten Woche wegsterben, und Domina Furia Stella vertraute mir ihren ganzen Hausstand an.“
    Er hätte einer der vielen namenlosen Sklaven sein können, die schon auf dem Transport umkamen, und deren Leichen irgendwo zwischen Alexandria und Roma über Bord geworfen wurden. Stattdessen war Roma ihm zur zweiten Heimat geworden. Tiberios glaubte an die Führung von Tyche und an seinen persönlichen daimon.
    Das süße Gewicht von Scatos Haupt und die Wärme seiner Arme und Beine ließen sein Herz bis zum Halse schlagen. Der Urbaner war sanft mit ihm, so unendlich vertraut.
    Tiberios konnte nicht mehr sprechen, es schnürte ihm die Kehle zu, er konnte nicht einmal sagen, wie sehr er Scato vermissen würde. Nur seine Hände und sein Herzschlag sprachen: Niemals, solange er lebte, würde er diesen Mann vergessen, niemals aufhören, ihn zu lieben. Vielleicht war es deshalb sogar besser, dass er fort ging.
    Vielleicht war Tyche nicht ganz so erbarmungslos, wie es schien.

  • Nur der Herzschlag war zu hören für Scato und alles, was er spürte, war Nähe. Den Augenblick saugte er in sich auf und blendete die Welt um sie herum aus. Doch unablässig verstrich die Zeit und dann war der Moment des Abschieds unaufschiebbar gekommen. Scato erhob sich und nahm Abschied mit einem letzten tiefen Blick. Das Antlitz des Jünglings brannte sich wie ein glühendes Eisen in sein Gedächtnis, mit dem gleichen Schmerz und die gleiche Narbe hinterlassend. Dann trat Scato einen Schritt zurück und gab Tiberios frei.


    "Danke für alles. Für die Übersetzungen, deren zarte Handschrift mir viel lieber ist als ihr Inhalt, für die Kürbisse und für alles, was ich heute und hier nicht sagen darf. Lebwohl, Tiberios. Mögest du glücklich sein."

  • Als dominus Scato Tiberios frei gab, war es für ihn, als fiele ein Schatten über die Welt, und als würde der Park in plötzliches Dunkel getaucht. Wie Asche sah es in Tiberios‘ Gemüt aus, grau, kalt und kraftlos fühlte er sich, aber die über so viele Jahre eingeübte Haltung ließ ihn nicht in Stich, er verbeugte sich lächelnd wie ein Mime – acta est fabula, plaudite* - und dann sagte er mit klarer Stimme:
    Chairete, Dominus Scato. Jeden Buchstaben, den ich für dich schreiben durfte, habe ich mit Freude geschrieben, da Du ihn lesen würdest. Ich danke Dir für jeden einzelnen Moment. Es gibt kein Glück auf dieser Welt, das ich dir nicht wünsche! Chairete!

    Er hob die Hand und lächelte noch immer.


    Doch als Scato ihm Lebewohl gesagt hatte und er dachte, es könne ihn niemand mehr hören, rief er voller Zorn zum Himmel: „Grausamste Tyche, warum ließest du mich alles erreichen, was ich erreichen kann, um dich dann über mich lustig zu machen?! Wann habe ich es dir gegenüber an Respekt fehlen lassen?!“
    Er lehnte seine heisse Stirn gegen die steinerne Dryade, aber dem Stein war es gleich, dass ein Mensch an ihn gedrückt lautlos weinte.


    Erst nach einer ganzen Weile eilte Tiberios zur Casa Furia.



    Sim-Off:

    * Das Stück ist vorbei, applaudiert

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