Tote schlafen fest – oder: Das Mysterium des verblichenen Optios

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    Der Morgen dämmerte trüb, und die Luft über unserem geliebten Moloch Roma war rußig vom Rauch der Kochfeuer, als ich auf die Castra zuhielt. Der ganze Komplex mit den gedrungenen Mauern erinnerte an ein fettgewordenes Raubtier, das da über Rom lauerte, und mein Kopf schmerzte von zu viel Massiker am Vorabend.
    Ein Miles meiner Kohorte hastete mir entgegen, seine Caligae schlugen Funken auf dem holprigen Pflaster, seine Miene war verkniffen. Auf den ersten Blick wußte ich: das bedeutete Ärger.
    "Tribun Decimus!" Er stoppte auf dem Absatz, grüßte vorschriftsmäßig, senkte die Stimme. "Miles Ursanius, fünfte Centurie, dritte Kohorte. Unser Optio, Optio Iulius, er ist tot, er hat einfach tot im Bett gelegen."
    So begann also dieser wirklich miese Tag.
    In der Castra steuerte ich die Baracke an, wo ich einen betretenen Centurio Paeonius vorfand. Ich nahm ihn mit hinein. Die Stube des Optios war so wie jede andere, seine Ausrüstung mehr oder minder ordentlich aufgereiht, ein tintenfleckiger Tisch mit Schreibzeug, kaum persönliches. Iulius war ja auch vor einigen Tagen erst bei uns eingetroffen, mit seinem unverschämten Matrosenzopf, aber durchaus einer Menge Potential. Welches sich nun nicht mehr entfalten würde, das stand fest.
    Mausetot lag er auf seiner Pritsche. Die Züge waren schon entstellt, das Kinn zu einer schaurigen Grimasse herabgesackt, der Mund ein dunkles Loch. Ich trat näher, wunderte mich wieder einmal wie schnell der Tod uns verwandelt. In der wahrlich leichenblassen Fratze war kaum noch Ähnlichkeit mit dem Mann, den ich doch fast gestern erst im Sacellum vereidigt hatte.

  • Kein Zweifel, Charon hatte den Optio letzte Nacht an Bord genommen. Ich murmelte ein Abwehrformel gegen etwaige Flüche und schloss die Finger um die Amulette des Mars und des Serapis, die ich stets um den Hals trug. Dann ließ ich den Signifer rufen, der in seiner Centurie auch kultische Aufgabe wahrnahm. Mit einem Zypressenzweig und Asche aus dem Feuer der letzten Opferhandlung bestrich er Scheitel und Sohlen des Optios, so dass wir ihn nun berühren konnten, ohne dass die Unreinheit auf uns übergriff.
    Ich deckte den starren Körper auf, sah ihn mir an. Blaue Flecken, Totenflecken, alte Narben, aber keine Spur einer tödlichen Verletzung. Keine Kampfspuren, nichts. Ich roch an seinen Lippen – meinte bereits einen Hauch von Fäulnis zu riechen, sonst nichts.
    Ich wandte mich dem Centurio zu.
    "Wie hat er die letzten Tage verbracht?"
    "Er hat viel trainiert, ich hab ihn auf Trab gebracht, Tribun. Die Soldaten haben ihn gut aufgenommen, er wusste wie man mit den Männern umgeht. Ein paarmal war er in der Stadt, zum Haareschneiden, und bei seiner Familie."
    "Böses Blut gegen ihn?"
    "Nein. Naja, das übliche eben, paar Frotzeleien, Tribun."
    Die musste jeder Neuankömmlich von einer weniger angesehenen Einheit über sich ergehen lassen.
    "Neider? Männer mit Hoffnung auf seinen Posten?"
    "Für meine Männer würde ich meine Hand ins Feuer legen, Tribun."
    Was sollte er auch sonst sagen.
    "Aufnahmeriten?"
    Die meisten Centurien pflegten ihre neuen Mitglieder auf ziemlich grobe Weise zu initiieren, pflegten ihre eigenen Traditionen von gemeinschaftlicher Demütigung und anschließend inniger Verbrüderung. (Die ein oder anderen hingen auch der Idee an, aufgrund unseres bisweilen recht düsteren Dienstes eine besondere Verbindung zum Herrn der Unterwelt zu haben, und huldigten ihm - wohl ähnlich wie die Anhänger des Mithras ihrem Sonnengott - in nächtlichen Zeremonien. Ich fand das ziemlich überspannt, aber so war das eben in der Garde.)
    Bei diesen Initiationen war in der Vergangenheit schon einige Male was aus dem Ruder gelaufen, aber das war nie über Alkoholleichen oder mal einen Knochenbruch hinausgegangen. Gestorben war daran – bisher? - noch niemand meiner Leute
    "Soweit war er noch nicht." antwortete knapp der Centurio.


    Iulius' Gladius hing friedlich an einem Nagel an der Wand. Ich sah mir den Raum an, ging seine Sachen durch, strich ein zerknülltes Papyrus glatt, und nahm mit einem Mal Witterung auf wie ein Dachshund vorm Bau:
    das sah mir aus wie der Entwurf für ein Testament! Hatte der Iulius sich etwa die Mors voluntaria gegeben? Oder hatte er seinen Tod herannahen gespürt?

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    Klient - Decima Lucilla

  • Hier war mehr Expertise gefragt. Ich ließ mir Medicus Vibius, den Leiter des Valetudinariums kommen. Er war ein nervöser Mann, immer den Kopf zwischen den Schultern vergraben, stets in Eile.
    "So kann ich gar nichts sagen." murrte er, nachdem er den Leichnam im Bett begutachtet hatte, ihn hin und her wuchtend, nicht anders als handle es sich um einen Sack Zwiebeln.
    "Erstens brauche ich mehr Licht. Zweitens, Tribun, die Toten geben ihr Geheimnis nicht so einfach preis. Wenn du wirklich Antworten willst, dann muss ich schon reingucken."
    "Wie bitte?"
    "Aufschneiden."
    "Ausgeschlossen!"
    Was wenn sein Totengeist sich rächend an unsere Fersen heften würde?! Außerdem war es verboten. Und zudem – davor graute mir tatsächlich in diesem Moment spontan noch viel mehr – Dives würde mir den Kopf abreißen! (Dass Iulius Dives zurückgekehrt war, seinen Platz als Oberhaupt der Iulier wieder eingenommen hatte und bereits als der kommende Praetor gehandelt wurde, war kein allzugroßes Geheimnis mehr.) Aber das würde er vielleicht sowieso. So hinreißend mein Ex war, ebenso nachtragend war er auch.... und er hatte ein sehr gutes Gedächtnis.


    "In meiner Zeit in Alexandria haben wir damit wirklich gute Erfahrungen gemacht, Tribun. Wir konnten so viele Erkenntnisse gewinnen! Einmal haben wir zum Beispiel eine frische Wasserleiche auf den Tisch bekommen, ein Mädchen von dem angenommen wurde, es habe sich ertränkt, als wir jedoch die Brust öffneten...-"
    Vibius' Augen leuchteten, doch ich schnitt ihn energisch das Wort ab.
    "Wir sind hier in Rom. Nicht in Alexandria." Und war es nicht sogar dort streng verboten?
    "Es kommt nicht in Frage, Medicus, basta. Nimm die Leiche mit ins Valetudinarium, sieh ihn dir bei Licht an, lass ihn aufbahren. Aber bleib ihm mit deinen Messern vom Leib."
    Enttäuscht fügte er sich.


    Ich rieb mir die Schläfen, meine Kopfschmerzen waren stärker geworden. Ich öffnete das Fenster. Es ging hinaus auf die Mauer der nächsten Baracke, dazwischen wuchs etwas vergilbtes Gras. Keine Spuren.


    Ich beschloss zu delegieren. Ließ eine Wache vor der Stube und begab mich in mein Officium, wo ich einen Becher verdünnten Wein trank, und dazu ein paar Blätter Khat kaute. (Denn wohlgemerkt lehnte ich nicht alles aus Alexandria ab, bei weitem nicht, ich hatte ausgesprochen reizvolle Erinnerungen an diese Stadt.) Die belebende Wirkung hatte schon eingesetzt, als der einbestellte Miles Nasica bei mir erschien. Seine Physiognomie erinnerte an einen traurigen Hund, und nicht nur optisch war er ein verteufelt guter Schnüffler. Wenn er nicht dieses Problem mit Autoritäten gehabt hatte – sehr unglücklich das, als Soldat – wäre er wahrscheinlich selbst längst Tribun...
    Ich trug ihm auf, die letzten Tage im Leben des Optio Iulius zu rekonstruieren und machte mich dann widerwillig an meine nächste Pflicht - die Familie zu informieren. Um genau zu sein: Dives.



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    Klient - Decima Lucilla

  • Sim-Off:

    Tut mir Leid. So viele Threads - so wenig Zeit. Jetzt bin ich da.


    Es war ein doppelter Schock gewesen - erst eine "dringende" und "persönliche" Nachricht von einem Praetorianer zu erhalten; und dann zu erfahren, dass statt des befürchteten Schattens des Trecenarius Tiberius, der gewiss noch in irgendwelchen Untiefen der praetorianischen Archive schlummerte und nur darauf wartete, den Iulier heimzusuchen, es sich stattdessen um die Nachricht vom Tod seines erst kürzlich nach Roma zu den Cohortes Praetoriae versetzten Onkels Labeo handelte. Noch immer war Dives tief erschüttert und fassungslos über das, was er hatte lesen müssen. Und er hatte Fragen. Viele Fragen. Begonnen damit, was mit seinem Onkel passiert war! Denn wo für gewöhnlich wenigstens eine einfache Floskel zumindest einen kleinen Anhaltspunkt lieferte ("im Einsatz verstorben", "im Kampf gefallen", "tödlich verunglückt" oder "von einer Mission nicht zurückgekehrt"), da fand sich im Schreiben des Gardetribuns Decimus nur gähnende Leere.


    Es war ein Jammer, dass ausgerechnet jetzt der divitische Großonkel Licinus nicht in Roma war, sondern mutmaßlich noch immer auf irgendeiner Inspektionsreise. Denn nur allzu gerne hätte Dives es seinem Verwandten überlassen, sich zu besagtem Gardetribun geleiten zu lassen und mit ihm all das zu besprechen, was es zu besprechen gab. Es hätte ihm selbst die erneute Begegnung mit Decimus Serapio erspart. Es würde ihre erste Begegnung sein seit... ja, seit wann eigentlich? Zuletzt (aus der Ferne) gesehen hatte Dives den Decimer beim Wettstreit der Oratoren im Jahr des Consuln Flavius Gracchus und seines Collega. Zuletzt (selbstredend ebenso nur aus der Ferne) geschrieben hatte Dives dem Decimer in Absage einer Saturnalien-Einladung in die Casa Decima. Es waren dereinst die ersten Saturnalien nach dem frühen Tod Torquatas gewesen - der divitischen Adoptivtochter, der jungfräulichen Vestalin, Torquatula. Und es war zu ebendiesem höchst traurigen Anlass gewesen, da sich Dives und der Decimer zuletzt aus der Nähe gesehen hatten und aus der Nähe ein paar wenige Worte miteinander gewechselt hatten. Damals. Vor einer gefühlt halben Ewigkeit.


    Und nun? Nun war es wieder ein Tod, der ihre Wege derart kreuzte, dass es für Dives kein Entrinnen gab. Und wieder war es ein Angehöriger der iulischen Gens, der sein Leben gelassen hatte. Und ja, man könnte unter Umständen sogar sagen: Wieder war es ein Decimer gewesen, unter dessen Augen es passiert war. Könnte. Denn so sehr wie die Vestalin Decima Messalina sich für die divitische Tochter eingesetzt und stark gemacht hatte, konnte und wollte der Iulier selbstredend keinen Augenblick auch nur ihr irgendeinen Vorwurf den plötzlichen Tod Torquatas betreffend machen. Inwieweit dies auch auf den Gardetribun Decimus zutraf, würde sich im Folgenden erst noch zeigen müssen. (Womöglich war er ja wieder auf einer Spezialmission unterwegs gewesen und trug daher keinerlei Verantwortung dafür, was die ihm Untergebenen in der Zwischenzeit trieben..? - Womöglich musste Dives gar noch froh sein, dass der Trecenarius Tiberius niemanden aus seiner Familie das Leben gekostet hatte.)


    "Salve.", grüßte der - noch immer oder schon wieder? - in Trauer gehüllte Senator, als er den Raum betrat, in welchen er sich vom Haupttor der Castra Praetoria aus - in Begleitung seines neuen iberischen Privatsekretärs Saras - hatte führen.

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    Klient - Marcus Vinicius Hungaricus

  • In meinem Officium in der Principa erwartete ich also den trauernden Hinterblieben. Natürlich hatte ich alle geheimen Unterlagen beiseite geräumt. Die großen Karten hingen sowieso im Nebenzimmer. Der Raum war nur funktionell, ich hatte nie Mühe darauf verwendet, ihn repräsentativ zu machen, anders als damals in meinem Präfekten-Officium. Auf dem Schreibtisch stand noch immer das Modell des innovativen neuen Geschützes "Stachelschwein", daneben lag das glattgestrichene Stück Papyrus, das ich in der Stube des verblichenen Optios gefunden hatte. Am Rüstungsständer in der Ecke hing meine Paraderüstung, aus den Augenwinkeln immerzu an eine dunkle Gestalt erinnernd. Das Fenster stand einen Spalt offen, vom Campus her waren aus der Entfernung die üblichen Geräusche des Drills zu vernehmen.


    Ich hatte damit gerechnet, dass die Jahre Dives' Glanz abgestumpft hätten, doch als er dann hereintrat, war es nicht anders als früher. Veilchenblaue Augen, güldenes Haar, ein stolzes Antlitz über dem ihn sehr gut kleidenden Trauergewand, etwas markanter war er geworden, doch noch immer hätte er jederzeit Modell für seinen meistverehrten Gott stehen können, kurz: Dives war und blieb das reine Unheil!
    Wenn ich eine Rangliste angelegt hätte, welche fatalen Schönen mich in der Vergangenheit zu den den fatalsten Torheiten und allernärrischsten Idiotien getrieben hatten, dann hätte Marcus 'Dulcis' Dives unangefochten ganz oben auf der Liste gestanden, noch vor Manius. Vorsicht war geboten bei ihm, und das noch immer. Zugleich gab es gemeinsame Erinnerungen, die ich um keinen Preis der Welt hätte missen wollen.


    Ich stand auf, und kam hinter meinem Schreibtisch hervor, um ihm die Hand zu drücken. Aber vorsichtig. Er hatte mir nicht geantwortet, auf meine Nachricht nach Bovillae hin. Ich nahm an, dass ich ihm damit wohl zu nahe getreten war, aber etwas gekränkt war ich schon, dass der an Worten so Überreiche für mich nach meiner Rückkehr aus Nabataea nicht ein einziges hatte übrig gehabt.
    "Salve Senator Iulius Dives." flüchtete ich mich aus der Befangenheit in pure Förmlichkeit und nüchternen Bericht. "Bitte nimm doch Platz."
    Ein Besucherstuhl, der dem meinen an Höhe genau gleichkam, stand für ihn bereit. Seinen Begleiter musterte ich kurz, wies diesem dann mit einer Handbewegung eine einfachere Sitzgelegenheit zu.
    "Möchtest du einen Schluck trinken?"
    Ein Krug mit trockenem Caecuber stand bereit, und wenn er es wünschte, würde ich ihm einen Becher einschenken. Ich brauchte jedenfalls einen.
    "Mein Beileid zu eurem Verlust. Optio Iulius Labeo ist heute morgen von seinen Kameraden tot aufgefunden worden. Er lag in seinem Bett in der Stube, ist wohl auch dort verstorben. Es gibt... keine Verletzungen, keine Kampfspuren, kein Zeichen dass jemand sich Zugang zu seiner Stube verschafft hätte. Der Medicus hat auch nichts ungewöhnliches feststellen können. Gestern Abend haben seine Leute den Optio zuletzt gesehen, da wirkte er erschöpft vom Training, aber sonst vollkommen normal. Natürlich... macht das hellhörig, angesichts der grausamen Morde neulich an zweien deiner Verwandten, aber... so wie es sich darstellt, weist hier erst einmal nichts auf eine Fremdeinwirkung hin."
    Und es gab ja doch leider immer wieder Fälle, in denen Menschen entweder mitten aus dem Leben heraus der Schlag traf, oder sie unmerklich aus dem öffentlichen Leben verschwanden, als würden sie verblassen, und man erst Monate später erfuhr, dass sie einer namenlosen Krankheit erlegen waren.
    "Was allerdings merkwürdig ist..." Ich schob ihm das Papyrus herüber, das stark nach Testamentsentwurf aussah. Ich war es den Iuliern schuldig, die Karten auf den Tisch zu packen.
    "...ist das hier, das lag in seiner Stube, zerknüllt. Außerdem war er vorgestern in der Stadt unterwegs, und ließ wohl gegenüber einem Kameraden verlauten dass er zum Vestatempel wolle."
    Nachdenklich fasste ich Dives ins Auge.
    "Hat er euch gegenüber etwas anklingen lassen? Feinde? Bedrohung? Ein Todeswunsch? Irgendeine Krankheit, die er vor uns verheimlicht haben könnte?"

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    Klient - Decima Lucilla

  • Der wortkarge Gruß des Iuliers wurde ihm mit einer in ihrer Förmlichkeit ebenso distanzierten Begrüßung durch den Gardetribun vergolten. Einzig der Händedruck, der diese Distanz scheinbar zu überwinden suchte, passt nicht ganz in dieses Bild. Dives ließ ihn dennoch mit wortlos ernstem Blick über sich ergehen ließ. (Die decimische Hand fühlte sich dabei angenehm warm an - was im Umkehrschluss wohl nur heißen konnte, dass jene des iulischen Gastes in dieser ihm unangenehmen Umgebung ganz kalt und jedweder Wärme verlustig gegangen war.) Dives nickte und setzte sich auf den angebotenen Besucherplatz, während er hoffte, dass niemand von ihnen die offensichtliche Mauer aus Förmlichkeit und emotionalem Abstand derart zum Einsturz brachte, dass eine Reise durch emotionale Verletzungen genauso unumgänglich wäre wie ein Aussprechen des bisher lediglich unausgesprochenen Misstrauens, welches sich mindestens ein- wenn nicht gar beidseitig über die vergangenen Jahre entwickelt hatte.
    Unter anderem deshalb hatte Dives auch seinen neuen Privatsekretär mit dabei, der sich in diesem Augenblick ebenfalls auf den ihm gewiesenen Platz setzte. Der Iulier hoffte, dass bereits der Fakt nie ganz allein zu sein unterstützte dabei, die Mauer zu halten - selbst in dieser unangenehm konfrontativen Situation.


    "Gerne, danke.", nahm er anschließend aus Höflichkeit das Angebot einen Schluck zu trinken an, während er den innerlichen Entschluss fasste, auch nur höchstens genau dies zu tun: Maximal genau einen Schluck zu trinken. (Ob er diesen Vorsatz auch würde in die Tat umsetzen können, das selbstredend stand auf einem anderen Pergament. Doch er war nicht hier, um gemeinsam guten Wein zu trinken. Und er intendierte, einen solchen Eindruck entsprechend auch gar nicht erst aufkommen zu lassen.) Mit ernstem und konzentriertem Blick - obgleich im Zweifel auch Saras die eine oder andere Information als spätere Gedankenstütze festhielt - folgte der Senator anschließend weitestgehend reglos den Ausführungen des Gardetribuns.
    "Ich verstehe.", kommentierte Dives lediglich die Schlussfolgerung des Decimers, dass nichts auf eine Fremdeinwirkung hindeutete. Den Gedanken, dass andererseits selbstredend gerade die Soldaten der Cohortes Praetoriae als Elite des Imperiums und persönliche Schutztruppe des Imperators wissen mussten, wie man Spuren legte oder umgekehrt beseitigte, ließ er bewusst unausgesprochen. Letztlich nämlich hätte er hier ohnehin keinerlei sonstige Möglichkeiten. Er könnte die Informationen, die man ihm anbot, entweder so hinnehmen oder er könnte sie offen in Zweifel ziehen und sich selbst damit von weiteren Informationen abschneiden. Eine andere Einheit würde in keinem der beiden Fälle irgendwelche unabhängigen Ermittlungen starten. - Kurzum: Etwaig kritische Gedanken waren in diesem Gespräch zweifellos fehl am Platz.


    Soweit, so gewissermaßen fast schon erwartbar. Was nun jedoch folgte, war weit weniger zu erwarten gewesen... Dives beugte sich dem vormals zerknüllten Papyrus entgegen und strich es - ohne erkennbares Ergebnis - noch einmal etwas glatt, während er zu verstehen versuchte. Es sah aus wie ein Testament, wenngleich der Hinweis des Decimers, sein Onkel Labeo hätte erst vorgestern mutmaßlich den Vestatempel aufgesucht, selbstredend nahelegte, dass dieses Schriftstück hier lediglich ein Entwurf und keineswegs das hinterlegte Testament selbst wäre.
    "Ich bitte dich, Feinde...", war der Senator in diesem Moment noch derart im Verarbeiten dieser letzten, gänzlich unerwarteten Information begriffen, dass er darüber seine eigene Wortkargheit, die ihn ganz gerne in besonders unangenehmen Situationen überfiel, vergaß. "Mein Onkel ist praktisch gerade erst quer durch das halbe Imperium gereist, nachdem er zuvor über Jahre in der Classis Britannica gedient hat. Was sollte er da nun binnen so kurzer Zeit für Feinde in der Urbs gefunden haben, die ihm nach dem Leben trachteten?!", sprach Dives also etwas offener. "Weder wäre mir also bekannt, dass er bedroht worden wäre, noch dass er einen Todeswunsch verspürte. Im Gegenteil saßen wir noch neulich zu zweit im Sacellum bei uns im Garten und er erzählte ganz frei und unbeschwert von piktischen Piraten, kalten Wintern und goldenem Bernstein. Er sprach von dem unbefriedigenden Gefühl, den Bürgerkrieg gewissermaßen 'tatenlos' nur hinter einem Schreibtisch erlebt zu haben. Und er erwähnte sogar, dass du - DU selbst - ihm die zuvor in Britannia verlorene Ambitio zurückgegeben hättest. Die Ambitio, nach all den Jahren ohne Beförderung wieder nach Höherem zu streben.", erzählte der Neffe vom Gespräch mit seinem Onkel. "Dabei erinnere ich mich noch an seine Worte, es gewiss ruhiger und gelassener angehen zu lassen als zu Beginn seiner Laufbahn. Aber sollte sich ihm die Möglichkeit bieten aufgrund seiner Leistungen seinem Vater gleich den Ritterring zu erhalten, so wollte er diesen ohne Zweifel erstreben.", fügte er zudem hinzu. "Klingt das für dich nach jemandem, der einen Todeswunsch verspürt? - Für mich tut es das nicht. Für mich klingt dies nach einem Mann mit Träumen und Zielen, mit jeder Menge Lebensmut!", fühlte er sich in diesem Moment beinahe, als würde und müsste er seinen Onkel verteidigen... verteidigen vor dem Vorwurf, sich möglicherweise mit irgendeinem Gift oder einer sonstigen Substanz selbst aus dem Leben befördert zu haben statt sich - wenn er seinem Leben denn wirklich ein Ende bereiten wollte - ehrenhaft in das eigene Schwert zu werfen. Doch nachdem sie an besagtem Abend im Hortus der Domus Iulia gar angestoßen hatten 'auf die Zeiten, die kommen' - auf die Zukunft also -, glaubte Dives im Traume nicht daran, dass sich sein Onkel hier selbst das Leben genommen hatte.


    Die Frage nach einer Krankheit indes konnte der Iulier weit weniger entschieden bestreiten. Denn zwar war ihm selbst nichts über irgendwelche Krankheiten seines Onkels bekannt, doch kannte er diesen andererseits auch mitnichten gut genug, um deshalb mit letzter Sicherheit ausschließen zu können, dass er nicht dennoch irgendwie krank gewesen war. Das Papyrus auf dem Tisch - ein Testamentsentwurf, der erst vorgestern den Weg ins Atrium Vestae gefunden zu haben schien und damit wahrscheinlich keine 48 Stunden vor seinem Tod entstanden war - machte aus Sicht des Iuliers jedenfalls klar, dass sein Onkel keineswegs unerwartet aus dem Leben getreten war, sondern sich zumindest der akuten Möglichkeit seines Ablebens irgendwie bewusst gewesen zu sein schien. Sei es durch eine (für Dives noch immer unwahrscheinlich anmutende) Bedrohung durch irgendeinen Feind, der plötzlich einen frisch zur militärischen Elite versetzten Praetorianer ermordete. Sei es durch einen aus seiner Sicht gar noch viel unwahrscheinlicheren Todeswunsch, den sein Onkel womöglich verheimlicht hätte. Oder sei es durch das plötzliche Wissen um irgendeine akute Erkrankung, von der jedoch allem Anschein nach niemand etwas bemerkt hätte.
    "Von irgendwelchen Krankheiten oder Gebrechen ist mir nichts bekannt.", beantwortete der Senator schlussendlich also auch die letzte Frage. "Wurde er denn vor seiner Versetzung nicht auf Herz und Nieren untersucht?", spielte er exakt diesen Ball dafür allerdings direkt zum Gardetribun zurück. Denn auch wenn er selbst kein Praetorianer war und daher nicht wusste, wie genau derartige Vorgänge im Innern der Einheit abliefen, ging er dennoch davon aus, das selbstredend nur die besten, verdientesten und fittesten Soldaten zu den Praetorianern versetzt wurden. Und in puncto Fitness hätten derart gravierende Mängel, so wollte Dives scheinen, ja eigentlich im Vorfeld der Versetzung auffallen müssen...

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  • Während Dives von seinem Onkel sprach, trat dessen Bild – sein Bild zu Lebzeiten – deutlich hervor und legte sich über das der starren Leiche von heute morgen. Einen Soldaten zu verlieren war immer bitter, einen vielversprechenden Optio mit Zukunftsträumen noch mehr, und hier konnte man nicht mal anbringen, er sei sinnvoll im Kampfe für Kaiser und Patria gefallen.
    Ich habe ihm die Ambitio zurückgegeben? Meine Augenbrauen wanderten nach oben.
    "Ich habe ihm den Fahneneid abgenommen."
    Natürlich hatte er weder krank noch schwermütig gewirkt.
    "Natürlich nicht. Ich frage nur, Dives, ich..." Schon war mir die förmliche Anrede verlorengegangen, aber jetzt noch ein 'Senator' dranzuhängen erschien mir auch künstlich."...versuche jegliche Möglichkeit in Betracht zu ziehen."
    Ob er nicht vor der Versetzung untersucht wurde?
    "Bevor wir einen Soldaten anfordern, informieren wir uns gründlich über ihn. Aber natürlich haben wir keinen Medicus nach Britannien geschickt. Er wäre hier noch untersucht worden, aber der Termin war noch nicht. Beim Training ist jedenfalls nichts aufgefallen."
    Selbst solche unwichtigen Interna gab ich ungern preis, den schließlich hatte die Garde per se verschwiegen und perfekt zu sein. Im Bett sterbende Soldaten passten da nicht dazu.
    "Media vita in morte sumus." bemerkte ich etwas hilflos.
    "Ich muss jedenfalls wissen, ob er tatsächlich ein Testament hinterlegt hat, und wie dessen Inhalt lautet. Ich nehme an, du wirst den Vestatempel aufsuchen? Ich sende meinen Beneficiarius mit. Aber zuvor - möchtest du ihn sehen? Er ist im Sacellum aufgebahrt."

  • Dass der Tribun den Worten seines Onkels in gewissem Maße widersprach, nahm Dives zwar zur Kenntnis, kommentierte diesen Umstand jedoch nicht weiter. Denn letztlich, so musste er eingestehen, wäre es ihm vermutlich ohnehin lieber, hätte Labeo seine Ambitio auf anderem Wege wiederentdeckt. Es würde den Senator von der Verpflichtung befreien, seinem Gegenüber für diesen Umstand dankbar zu sein. Womöglich, so schoss es ihm ferner spontan durch den Kopf, waren am Ende ja sogar auch beide Standpunkte wahr... und nicht der vor ihm sitzende Decimer selbst, sondern lediglich der Gardetribun in ihm hatte - ohne dass ihm dieses Detail aufgefallen wäre - die labeonische Ambitio erneut entfacht.


    "Ich verstehe.", fand der Iulier wieder zu seiner ursprünglichen Wortkargheit zurück, nachdem man ihm erklärte, dass der Termin für eine eingehendere Untersuchung bisher noch nicht angestanden hatte, das offensichtlich dennoch bereits absolvierte Training indes aber ohne besondere Auffälligkeiten vonstatten gegangen wäre. Die Art und Weise, wie der Tribun kurzzeitig in eine persönliche Anrede rutschte und wenig später davon sprach, dass "mitten im Leben wir" (womit er zweifelsohne meinte: wir, die Soldaten - und nicht etwa: wir, er und sein divitisches Gegenüber) "sind im Tod", hinterließ beim Iulier beinahe den Eindruck einer gewissen Hilflosigkeit auf der Suche nach einer Erklärung für den Tod des praetorianischen Optios. Dies mochte wohl auch der Grund sein dafür, dass der Senator zögerlich und zurückhaltend zwar, aber letztlich dennoch kooperativ reagierte, als der Decimer nun Interesse am Inhalt des anscheinend aufgesetzten labeonischen Testaments - aus divitischer Sicht einer Art iuristischer Familienangelegenheit (ohne fremde Soldaten) - anmeldete.


    "Ich werde mich gerne von deinem Beneficiarius zum Tempel der Vesta begleiten lassen...", erklärte er entsprechend bestätigend und war innerlich fast froh, dass der Tribun nicht selbst die Begleitung zu übernehmen intendierte, "...würde zuvor aber in der Tat gern noch einmal zu meinem Onkel.", schlug er dieses zuvorkommende Angebot natürlich nicht aus.

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  • Ich benetzte meine Kehle mit dem trockenen Caecuber. Dives Züge, dazu geschaffen, Leidenschaft zu erwecken und in Leidenschaft zu erglühen, waren traurig und reserviert, sein Ton beherrscht und seine Rede maximal wortkarg. Selbst der Schimmer seines Haares erinnerte an das Eis auf einem fernen Pyrenäengipfel.
    Ich nickte und erhob mich, gab dem Beneficiarius Bescheid, führte Dives und seinen Scriba die Treppen hinunter in den Innenhof der Principa, dann durch die hintere Querhalle ins Sacellum.
    Der Leichnam lag dort aufgebahrt vor den Feldzeichen, in voller Rüstung, die Füße zum Eingang. Zypressenzweige lagen um ihn, und Räucherwerk brannte, dessen Schwaden sich unter der Decke sammelten. Ohne hinzusehen wusste ich, dass er sein Signaculum um den Hals trug, und eine Münze unter der Zunge.
    Beim Eintreten salutierte ich vor den Feldzeichen, dann blieb ich mit verschränkten Armen am Eingang stehen, um Dives Abstand zu gewähren. Ich suchte nach angemessenen Worten, doch einzig der Gedanke 'so schnell kann's gehen' hatte angesichts der Totenbahre in meinem Kopf Bestand. Darum schwieg ich.
    Vom Hof waren dann Schritte zu hören, die sich hastig näherten, darauf ein knapper Wortwechsel mit den Wachen vor dem Sacellum...

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  • Dives atmete erleichtert durch die Nase aus, als sich sein Gegenüber erhob und dieses Gespräch damit beendete. Sodann erhoben sich auch der Iulier sowie in Reaktion darauf auch stante pede sein iberischer Privatsekretär Saras. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren verließ Dives anschließend den Raum und ließ sich - beständig verfolgt von seinem unfreien Begleiter - ein paar Treppen hinab in einen Innenhof und von dort aus weiter wie angekündigt zum Sacellum führen. Dort blieb Saras - selbstredend in angemessenem Abstand zum Decimer, welchen er nicht bedrängen wollte - ebenfalls am Eingang stehen. Sein Blick betrachtete zunächst interessiert das Feldzeichen, bevor er kurz zum Tribun sah, seine Aufmerksamkeit dann jedoch schnell wieder auf seinen Herrn und den Toten richtete.


    Der iulische Neffe, dessen Onkel hier aufgebahrt lag, trat unterdessen näher an den Leichnam heran. Labeo wirkte blass und farblos und... tot. "Es tut mir Leid, dass wir nicht mehr Zeit hatten, um über deine Abenteuer diesseits und jenseits der Grenze zu sprechen. Aber ich verspreche dir, ich werde dir ein angemessenes Grabmal errichten lassen. Und ich verspreche dir, ich werde einen solchen Bernstein finden, von dem du erzähltest - und ich werde jedes Mal an dich denken, wenn ich ihn trage. Das alles schwöre ich bei Apollo sowie beim Stein des Iuppiter.", sprach Dives leise an den leblosen Körper gewandt. Er sah selbstredend davon ab, den Leichnam irgendwie anzufassen und damit gewissermaßen auch selbst "mit dem Tod in Berührung" zu kommen. Doch äußerlich betrachtete er Labeo dennoch ein wenig... und stellte fest, dass es keine offensichtlichen Verletzungen gab. Weder wirkten die Hände seines Onkels ungewöhnlich, noch sah sein Gesicht - von der Totenblässe abgesehen - allzu verändert aus. Der Iulier senkte den Kopf, schloss die Augen und atmete einen Moment lang bewusst den angenehmen Geruch des Räucherwerks ein. Als er seine Augen neuerlich öffnete, wandte er seinen Blick direkt zum Eingang zurück: "Ich wäre dann soweit, Tribun."

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  • In respektvollem Schweigen wartete ich, während Dives sich von dem Toten verabschiedete. Ich hatte nicht gewusst, dass die beiden sich nahe gestanden hatten, woher hätte ich dies auch wissen sollen. Doch es ging Dives ganz offensichtlich nahe. Zu sehen wie seine sonst stolz gestrafften Schultern herunter sackten, löste in mir den blödsinnigen Impuls aus, ihm irgendwie Trost spenden zu wollen. Ich verschränkte die Arme fester, grub die Finger in meine Ellbogen und betrachtete statt dessen die schimmernden Imagines, bis Dives mich ansprach.
    Ich nickte knapp und wandte mich zum Gehen, als uns mit einem mal rasant der Miles Medicus Vibius entgegentrat, wie stets den Kopf zwischen die Schultern gezogen, als habe er mit Gegenwind zu kämpfen, zudem (nicht wie stets) beladen mit einem schweren Wälzer gebündelter Tabulae und mehreren Schriftrollen.
    "Tribun!" Energisch durchdrang seine Stimme die weihevolle Atmosphäre, und er wiederholte es gedämpfter. "Tribun! Dass ich nicht gleich darauf gekommen bin. Ich habs. Es handelt sich um einen Casus von Exitus letalis durch perniziöse hyperphlegmoventrikuläre akut auf chronische Bolus-Dyskrasie in Folge eines stattgehabten Splenotraumas bei Costaefraktur."
    Irritiert fragte ich:"Wie bitte?"

    "Der Fall ist ganz klar. Dass ich nicht gleich darauf gekommen bin. Ich habe vorhin gesagt, Tribun: keine Verletzungen. Was bedeutet: keine frischen. Jedoch ist deutlich, dass der Optio sich einmal eine..." - Vibius zügelte seinen Redeschwall und gab sich sichtlich Mühe, laiengerecht zu formulieren - "...dass er sich vor Jahren die beiden unteren Rippen gebrochen hat, was schlecht versorgt wurde, man spürt noch den Callus. Ich dachte mir zuerst nichts dabei, doch dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Eumenes von Epidauros beschreibt nämlich einen solchen Fall in seiner heutzutage als Corpus Cotylaeicum überlieferten Fallkollektion! Und Chersikrata von Alexandria einen ähnlichen, wenn auch weniger fulminanten Verlauf! Ich sah dann in seinen Versetzungsunterlagen nach und da steht es, schwarz auf weiß: der Optio erlitt bei einem Kampf gegen Küsten-Germanen eben jene Verletzung. Nun ist ja allgemein bekannt, dass die Milz Produktionsstätte der schwarzen Galle ist. Durch die Fraktur, oder aber durch den ursächlichen Hieb selbst, kam es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Splenotrauma von solchem Ausmaß, dass die Produktion des Fluidum melancholicum dauerhaft massiv beeinträchtigt wurde. Dies führt selbstverständlich zur empfindlichen Dysregulation der Eukrasie..."
    Hastig und unzeremoniell legte Vibius seine Unterlagen einfach auf einem Neben-Altar ab, blätterte und zeigte triumphierend eine Skizze mit verschiedenen Organen, deren Verbindungen und kryptischen Zeichen, tippte mit dem Zeigefinger mal hierhin, mal dorthin.
    "... vor allem hier und hier deutlich erkennbar! Nun verfügt unser Körper, dieses Wunderwerk, ja bekanntlich über mannigfaltige Kompensationsmechanismen, die überschüssige aus der Umgebung zufließende kalte Komponente wird also kanalisiert ins vermehrter Phlemaproduktion – die überschüssige trockene Komponente dagegen in vermehrter gelbgalliger Produktion (was bei einem jungen Soldaten freilich kein relevantes Problem ist.)
    Fatal kann jedoch der Überschuss stockenden Phlegmas sein, wenn dieser sich bolusartig löst und den Weg des Pneumas versperrt..."

    Wieder blättert er, zeigte kaum verständliches auf seinen Bildern.

    "...das bekanntlich aus der linken Herzkammer durch die Schlagadern zum Gefäßgeflecht unter der Schädeldecke zieht, dort in den Spiritus animalis umgewandelt wird, welcher dann in den Hirnventrikeln angereichert wird, bevor er zurück in den Körper fließt. Und genau hier, hier an diesem Isthmus, muss das überschüssige Phlegma sich festgesetzt und den Weg des Spiritus animalis geblockt haben. Wahrscheinlich war der rasche Wechsel aus dem kalten in das warme Klima plus die erhöhte Trainingsintensität ursächlich für den raptusartigen Verlauf. Jedenfalls war er sofort tot. Ich wette all meine Diplomata, wenn man ihn aufschneiden würde..."
    "Medicus! Das hier ist Senator Iulius, der Neffe des Optios."
    "...was natürlich keinesfalls in Frage kommt, also das aufschneiden, also rein hypothetisch gesprochen, dann würde man todsicher hier," - er tippte sich auf den Scheitel – "den Embolus phlegmaticus finden. Ein faszinierender Fall, den ich auf jeden Fall veröffentlichen werde." Und zu Dives gewandt fügt er noch hinzu: "Mein Beileid."
    "Du sagst also..." versuchte ich, erschlagen von seinem unverständlichen Vortrag, das Wichtige zu erfassen, "...dass er an den Folgen einer Kriegsverletzung starb?"
    "So ist es."

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  • Dives hatte bereits den ersten Schritt zurück in Richtung Eingang gesetzt, da eilte ein augenscheinlich recht aufgeregter Soldat herbei und begann mit medizinischen Fachbegriffen um sich zu werfen, dass selbst der Iulier - seinerseits als Absolvent eines Medizinkurses durchaus mit einem kleinen Grundwissen gerüstet - nur einen überschaubaren Bruchteil dessen verstand: Der Exitus letalis war der tödliche Ausgang einer Krankheit. Als Dyskrasie bezeichnete man in der Vier-Sänfte-Lehre eine unausgeglichene Mischung ebendieser Säfte. Und Splenotrauma und Costaefraktur waren nichts anderes als Milzriss und Rippenbruch. Soweit konnte Dives dem Medicus folgen, während er erst allmählich realisierte, dass es beim beschriebenen Fall tatsächlich gar um seinen Onkel (und nicht um irgendeinen anderen Verletzten oder Verstorbenen, der zudem nicht zwangsläufig aus der Reihe der Soldaten stammen musste) ging.


    Je mehr er sich dieses Umstands bewusst wurde, umso mehr verschwammen die Worte des Medicus zu einem allgemeinen Grundrauschen im Hintergrund, während der Iulier neuerlich den Blick zum Leichnam seines Onkels wandte. Heroisch hatte Labeo als einziger Römer der kleinen Eskorte den zweifellos heimtückischen Überfall dieser britannischen Barbaren überlebt. Eisern hatte er der Kälte des nordischen Winters getrotzt, der - seiner Erzählung nach - gar ein ganzes Meer mit einer Schicht aus Eis überziehen konnte. (So wenig der Senator den exakten Wortlaut dessen glaubte, so sehr musste er seinem Onkel zugestehen, dass er durchaus mit Spannung zu erzählen wusste.) All das hatte er in den letzten Jahren erlebt und überstanden... nur damit nun dieser Miles Medicus verkündete, dass der rasche Wechsel aus dem kalten ins warme Klima zusammen mit der erhöhten Trainingsintensität zu einem derart plötzlichen Tod Labeos in Folge einer alten Kriegsverletzung geführt hatte.


    "Hat er sein nahendes Ende kommen sehen?", fragte der Iulier nach dem Ende des medizinischen Fachvortrags, während sein Blick noch immer auf dem leblosen Körper seines Onkels ruhte. "Du hast gesagt, er war sofort tot. Abseits von bösen Vorahnungen, schlechten Omen und sonstigen Zeichen der Götter... hat er gemerkt, dass er nicht mehr lange zu leben hat?", wollte Dives wissen und wandte seinen Blick von Labeo zum Medicus. Das mutmaßliche Testament, welches im Atrium Vestae liegen sollte, legte ja nahe, dass der Tod zumindest nicht gänzlich unerwartet über Labeo gekommen war. Hatte er sein Nahen gespürt und es vor allen verheimlicht? Wenn ja, wie lange? Oder war er tatsächlich von seinem Tod überrascht worden und hatte womöglich lediglich aus einem Bauchgefühl/einer dunklen Vorahnung heraus ein Testament aufgesetzt?

    Da der Medicus bereits selbst - spätestens nach der Erinnerung durch seinen Tribun - eingesehen zu haben schien, dass ein römischer Bürger nicht aufgeschnitten gehörte, überging der Iulier die entsprechende Andeutung ohne einen weiteren Kommentar. Nicht zuletzt wollte er auch schlicht nicht darüber nachdenken, was dieser Carnifex in seinem aufgeregten Übereifer womöglich alles tun wollte - oder am Ende gar auch getan hätte, wäre Dives nicht vom decimischen Gardetribun ausgerechnet heute einbestellt worden...

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  • An was man alles sterben konnte. Nicht schön. Doch ein 'Tod in Folge einer Kriegsverletzung', das klang immerhin deutlich besser als 'ruhmlos im Bett verstorben'.


    "Ich begebe mich hier aus dem Bereich der Fakten in den Bereich der Thesen." dozierte Medicus Vibius auf Dives' Frage hin. "Chersikrata von Alexandria postuliert, dass der fatalen hyperphlegmoventrikulären Bolus-Dyskrasie stets nonfatale Ereignisse vorausgehen, durch fragmentierte Abgänge kleinerer Anteile des gestockten Phlegmas. Diese mögen sich in plötzlichen Schwankungen des Spiritus animalis manifestieren, etwa Episoden von ausgeprägter Lethargie, Adynamie und Haarausfall, umschlagend in überschießende Lebhaftigkeit, rastlosen Handlungsdrang, agitierte Verwirrtheit und vermehrten Appetit auf Fleisch. - Ob der Optio diese Phänomene selbst wahrnahm und durch sie seinen Tod herannahen spürte, diese Frage zu beantworten wäre jedoch pure Spekulation, deren Versuchung ich mich mit Verlaub entziehen möchte. Ein gravierender Haarausfall lag jedenfalls nicht vor. Obgleich die Ars Medicinae heutzutage ungemein weit fortgeschritten ist, so bleiben unser Leben und Sterben doch im Kern Mysterien, die uns immer wieder Demut lehren und noch sehr viel gewissenhafter Forschung bedürfen."

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  • Dives nickte im Anschluss an die weiteren Ausführungen des Medicus nachdenklich. Ein gravierender Haarausfall lag bei Labeo augenscheinlich nicht vor, davon konnte sich auch der Iulier hier versichern. Und für alle anderen Aspekte kannte der Neffe seinen Onkel vermutlich kaum gut genug, um wirklich qualifiziert einschätzen zu können, wie lebhaft oder lethargisch Labeo normalerweise war und wie genau seine Essgewohnheiten aussahen. Dennoch redete sich der Senator ein, dass aus dem Fakt, dass ihm selbst keines der beschriebenen Symptome bei seinem Onkel aufgefallen war, gewiss auch folgte, dass auch Labeo selbst von seinem Tod überrascht worden war. Denn er hätte es wohl bestimmt seinen Verwandten nicht verschwiegen, wenn er den kalten Atem des Pluto bereits in seinem Nacken gespürt hätte. Zweifellos, das hätte er nicht verschwiegen. Oder doch? Hoffentlich nicht.


    "Ich danke dir für deine Antwort... sowie selbstredend auch für deine vorherigen offenkundig äußerst fachkundigen Ausführungen.", erklärte Dives nach einem kurzen Augenblick der Stille. Wahrscheinlich, so kam er ferner zu dem Schluss, könnte wohl nur das mutmaßlich im Atrium Vestae hinterlegte Testament seines Onkels möglicherweise noch einmal einen detaillierteren Einblick in die labeonische Gedankenwelt eröffnen und damit klären, ob oder ob nicht Labeo sein nahendes Ende aktiv verschwiegen hatte. Womöglich hatte er ja auch irgendwo im Norden eine Frau geschwängert, die er - als gute Partie, die er war - zwar selbstredend nicht geheiratet und mit nach Roma gebracht hatte, deren Kind er aber vielleicht dennoch finanziell absichern wollte..? Irgendeine derartige Erklärung erhoffte sich der Senator zu finden.

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  • "Gute Arbeit, Medicus." Ich ließ ihn wegtreten und begab mich mit Dives wieder vor die Principa. Noch immer blieb für mich ein Restzweifel... ob es nicht doch etwa ein Initiationsritus gewesen war, der schiefgelaufen war, worauf sie Vibius zur Vertuschung engagiert hatten - doch die Erklärung des Medicus war zufriedenstellend, und ich hatte auf die harte Tour gelernt, dass es manchmal besser war, nicht zu tief zu graben.


    Noch immer hing ein trüber Dunst über der Stadt, durch den hindurch matt die Scheibe der Sonne zu erahnen war. Einige Equites singulares führten ihre Pferde Richtung Campus. Die Hufe klapperten und irgendwo drehte sich kreischend der Mahlstein einer Handmühle.
    Ich rieb mir den Nacken unter dem Focale. Was blieb noch zu sagen... nichts, außer ein paar organisatorischen Dingen, wann die Familie den Leichnam abholen lassen würde und was die Garde zum Begräbnis beitragen würde. Dies war rasch geklärt. Gavius, mein Beneficiarius, stand auch schon parat, um Dives zum Vestatempel zu begleiten.


    So verabschiedeten wir uns. Vale bene Dulcis Amarus Dives. Pass auf dich auf, zurück in der Schlangengrube. Du kannst mich noch so viel mit Verachtung strafen, ich werde dir nie vergessen wie du damals zu mir nach Trans Tiberim gekommen bist... hätte ich ihm gern gesagt, tat es aber natürlich nicht.
    Es blieb bei einem knappen:
    "Vale bene Senator Iulius Dives."

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