Parvus domus Iunia

  • Mehrere Wochen waren vergangen, in denen uns Tiberios verlassen hatte und Demetrios fast untröstlich war. Ich hatte Demetrios nach unten in die Taberna geschickt, das Korn zu mahlen, damit ich endlich eine Gelegenheit hatte mit dem halbwegs gesunden Damocles selbst zu sprechen. Ich kam mit zwei Schüsseln Flusskrebseintopf und zwei Stücken Brot in das Zimmer balanciert und stellte es auf dem kleinen Tischchen zwischen den Betten ab. Es war kurz vor Mittag und ich hatte selbst auch noch nichts gegessen, weswegen ich wortlos anfing zu essen, während ich auf Demetrios Bett saß.


    Als ich mit meiner Schale fertig war, fiel es mir fast schwer das Gespräch zu beginnen. Die Heilung war gut voran gekommen und auch wenn Damocles' Rücken keine Schönheit war, so hätte es auch wesentlich schlimmer sein können. "Es freut mich, dass es dir wieder besser geht, Damocles. Wir sollten bald über deine Zukunft sprechen. Demetrios hat mir erzählt, dass du oft im Fieber nach einer Frau gerufen hast. Falls du irgendwo Familie hast, dann kannst du ihnen gerne schreiben. Die Familia ist das Wichtigste und es gibt nichts Schlimmeres, als sie zu verlieren."


    Das Feuer in den Augen des Mannes war ungebrochen und selbst die Krankheit schien es nicht gedämpft zu haben. Ich würde jedem eine Chance geben, der Teil meiner Familia sein wollte, aber unwillige Sklaven musste man brechen und dazu war ich nicht bereit.

  • Es fiel Verus schwer, seinen Blick gerade zu halten, denn seine Sehkraft schwankte. Doch mit Willenskraft gelang es ihm, den Fokus zu halten. Es war vielleicht auch eine Gnade, dass er mit seinen Augen beschäftigt war, als mit den heimtückischen Schmerzen, die nicht ganz gewichen waren. Doch Verus hatte schon weitaus größere Höllen durchgestanden, so dass er mit Willenskraft vieles durchbrach. Verus war nicht der Typ Mensch, der aufgab, sondern alles überlebte, auch wenn es garkeinen Sinn im Überleben gab. Er erduldete Schmerzen, Pein und Ungemach einfach und machte immer weiter, denn eines konnte er sich nicht eingestehen, dass er bereits verloren hatte. In seiner Rolle als Damocles griff er nach der Schale und stellte nach dem ersten Löffel fest, dass es Flusskrebseintopf war. Er hasste Krebsfleisch. Doch Hunger und auch seine eiserne Disziplin zwangen den Eintopf in großen Löffeln hinunter, bevor auch er in das schwerfällige Gespräch einstieg. Er stellte den Topf zurück, griff nach einem Stück Brot und begann sich ein paar Bissen davon abzureißen, fast schon raubtierhaft zerpflückte er das Brot, um sich kleine Happen in den Mund zu legen. "Eine Zukunft? Einzig und allein die Gegenwart ist relevant. Die Gegenwart formt die Zukunft und was wir jetzt tun, bildet das, was du Zukunft nennst," erklärte er missmutig und gab damit seine kalte Dogmatik preis. Er tat eben das, was notwendig war, und handelte dementsprechend nicht auf eine besondere Zukunft ausgerichtet, sondern richtete sein Handeln nach gegenwärtigen Notwendigkeiten; jedoch nicht ohne langfristige Planung, doch diese Planung war nicht auf eine gute und gerechte Zukunft ausgerichtet, sondern viel mehr auf Machterhalt der Speculatores. "Meine Familie ist ohne Bedeutung," log er. Es schmerzte ihn auf eine andere Weise aber er wollte nicht über seine Familie sprechen, denn dies war sein Geheimnis und sein geheimer Schatz, den er verwahrte. Auch konnte eine echte Emotion ihn verraten und es war einfach mit seiner geliebten Luna gewisse Geheimnisse zu seiner wahren Herkunft zu lüften. Es war immer besser, nicht zu viel von sich preiszugeben, mehr zu lügen und alles zu verschleiern, was man wirklich dachte und tat. Lügen war bessere Konstrukte als eine behäbige und emotionale Wahrheit. Und Lügen konnte Verus inzwischen mit einer kaltblütigen Zielsicherheit, so dass er seine Familie verleugnen konnte, ohne echte Regung im Gesicht zu zeigen. Mühsam raffte sich Verus auf und setzte sich auf die Bettkante. "Iunia Proxima?" - fragte er und seine kalten Augen fielen auf sie. Endlich gewann er seine gute Sehkraft zurück.

  • Er stellte den Topf zurück, griff nach einem Stück Brot und begann sich ein paar Bissen davon abzureißen, fast schon raubtierhaft zerpflückte er das Brot, um sich kleine Happen in den Mund zu legen. "Eine Zukunft? Einzig und allein die Gegenwart ist relevant. Die Gegenwart formt die Zukunft und was wir jetzt tun, bildet das, was du Zukunft nennst," erklärte er missmutig und gab damit seine kalte Dogmatik preis.

    Die Antworten des Mannes gingen mir gegen den Strich und die Frustration war klar in meinen Augen zu lesen. Ich log nicht gerne und verstellte mich auch nicht gerne - und schon gar nicht in meinem eigenen Heim. Anscheinend wollte mir der Mann auch nicht wirklich antworten, da seine Familie angeblich ohne Bedeutung und die Zukunft nur ein abstraktes Konstrukt war. Ich kaute ein paar Momente ärgerlich auf meinem Brot herum und schaute dann ein wenig aus dem Fenster um mich zu sammeln. "Wenn du nicht mit mir sprechen möchtest, dann kannst du es sagen. Ich verbiete meinen Sklaven weder das Sprechen noch das Denken noch das Fühlen. Wir leben hier auf engem Raum und das funktioniert besser mit Ehrlichkeit."

    Meine Familie ist ohne Bedeutung," log er. Es schmerzte ihn auf eine andere Weise aber er wollte nicht über seine Familie sprechen, denn dies war sein Geheimnis und sein geheimer Schatz, den er verwahrte.

    Wie konnte man nur so etwas sagen. Die Familia war das Wichtigste, wie ich gerade vorhin erwähnt hatte. Wollte mich der Mann einfach nur provozieren oder ließ er seinen Hass auf mich aus, obwohl ich ihm nichts getan hatte? Anscheinend wollte er mich als Feindin sehen, statt als Freundin. Im Gegenteil...ich hatte genau so wie Demetrios an seinem Krankenbett gesessen und ihn gefüttert und seine Wunden gereinigt. Ich hatte wenigstens auf ein paar freundliche Worte gehofft. Wie ich Tiberios vermisste. Ich zog es vor nicht auf diese Aussage zu antworten, da es keine gute Antwort gab.


    Mühsam raffte sich Verus auf und setzte sich auf die Bettkante. "Iunia Proxima?" - fragte er und seine kalten Augen fielen auf sie. Endlich gewann er seine gute Sehkraft zurück.

    Es verstrich einige Zeit in der ich ärgerlich aus dem Fenster sah in der Hoffnung, dass der anscheinend sehr schlecht gelaunte Mann und sie nicht miteinander sprachen. Auch auf seine Frage reagierte ich nicht sofort. "Ja?" antwortete ich schlussendlich ein wenig säuerlich. Ich war freundliche Sklaven gewohnt, geborene Sklaven die gerne unter meinem Dach lebten.

  • Doch Verus wollte sprechen. Er wollte und musste etwas sagen, doch waren seine Worte stets nur Lügen gewesen. Sprache konnte verwirren, seltsam bedeutungslos sein und im Angesicht der Magie eines Augenblicks unpassend sein. Verus beherrschte seine Sprachen, konnte Worte und Sätze verdrehen, damit Sinn ergaben, obwohl alles Unsinn und Wahnsinn war. Dieser Mann war ein Unhold gegen jede Wahrheit, denn für ihn zählte nur der Nutzen. Die Iunia konnte nicht wissen, was sie mit ihren Worten beschworen hatte und doch hatte der Dämon Mitgefühl mit ihr, denn sie teilte sein Höllenfeuer nicht. "Ich spreche gerne mit dir. Doch musst du verstehen, dass diese Welt nicht einer Ordnung des Wunsches folgt, sondern viel mehr der Abfolge von Entwicklungen," erklärte er sich und versuchte die Emotionen der Iunia zu deuten, was ihm zwar gelang aber nur mäßig. Denn in Wahrheit interessierte er sich nur oberflächlich für Proxima und plante ihren Nutzen in den größeren Plan ein. Sie sollte ihre Nutzen haben und nicht mehr als das. Umso wichtiger war es, sich emotional von ihr zu trennen und nicht in ein mitfühlige Dankbarkeit zu fallen. Dankbarkeit war stets falsch für einen Heimtückischen. Doch auch Verus war nicht frei von seiner Menschlichkeit, trotz seines Verrats an sich selbst und auch ein Mensch, der Dämon geworden war, konnte sich noch an etwas Menschliches erinnern. Die Reaktion der Iunia sprach für sich. Jeder bezahlte einen Preis für ein Leben; einige mehr und andere weniger aber sie alle bezahlten für ihre Entscheidungen. Niemand entkam. "Du hast mich zusammen mit deinen Dienern gerettet und ich bin dir dankbar, doch möchte ich dir sagen, dass ich nicht dein Sklave bin. Ich werde dieses Haus verlassen und meiner Wege ziehen," sagte Verus. "Vergib mir aber es gibt Dinge, die du nicht verstehst und niemals verstehen wirst. Ich möchte nicht, dass du in Gefahr bist aber mit mir wirst du stets in Gefahr sein. Ich werde gehen und du wirst mich nicht aufhalten. Doch du wirst meinen Dank bald erhalten, wenn der Tag gekommen ist, an dem sich die Dinge hier auflösen. Du hast einen Freund gewonnen." Verus stand langsam auf, griff sich noch eine Tunika und blickte die Iunia mit seinen kalten Augen an. "Vielen Dank!" Er nickte und trat dann entspannten Schrittes in Richtung Ausgang. Egal, was sie tun würde, wen sie rufen würde, Verus würde dieses Haus vorerst verlassen wollen; notfalls würde er Gewalt anwenden. Er hatte ein klares Ziel, den Verräter finden und bestrafen. Rache war ein Motor und bis dahin hatte er keine Zeit für Entspannung oder das Leben eines Haussklaven.

  • Ich hatte den Worten des Mannes gelauscht, die zwar zahlreich waren, aber herzlich wenig Inhalt hatten. Was faselte der alte Mann von Gefahren und Freunden? Wer war er wohl gewesen, bevor man ihn gefangen genommen hatte? War er wirklich ein Deserteur gewesen? Es schien, als ob er mich nicht mit Antworten auf meine eigentlichen Fragen belohnen würde, also seufzte ich nur. Als er sich auch noch erhob um zu gehen, sprang ich auf um zu protestieren. Aber was würde es mir nützen? Reisende konnte man nicht aufhalten und Gewalt wollte ich ihm keine antun lassen - das war gegen meine Überzeugungen.


    "Ich weiß nicht was dich treibt, Damocles. Aber ich sehe, dass nur Gewalt dich aufhalten kann und du wirst mich durchschaut haben, dass ich Gewalt verabscheue. So warte wenigstens noch eine Weile, bis du kräftiger bist. Du hast auch kein Geld und nur das was du am Leib trägst. Mein Bruder ist der Praefectus Vehiculorum...wenn du jemandem schreiben möchtest, dann kann ich dir dabei helfen, dass eine Botschaft ihr Ziel findet."


    Ich entspannte mich wieder ein wenig, denn manchmal war ich einfach zu gutmütig. Ich würde dem alten Kerl wahrscheinlich auch noch Proviant und einen Klepper besorgen, wenn er mich darum bitten würde.

  • Was ihn wirklich antrieb? Nichts. Es gab keinen echten Motor für sein Leben, sondern er war einfach da. Brauchte das notwendige Böse eine echte Begründung für seine Existenz? Brauchte er selbst etwas, um sein Leben als wertvoll zu erachten? Was brauchte er wirklich? Er machte einfach weiter. Wie eine Wüstenblume, erblühte er und verschwand dann wieder, um niemandem sein wahres Angesicht zu zeigen. Staub zu Staub. Und Asche zu Asche. Ein Traum von Liebe und Feuer durchbrannte seinen Verstand, als ihm klar wurde, dass er hier nichts hatte. Seine Familie war fern, der Verrat allgegenwärtig und das geheime Versprechen, dass wie Gift gleich hungerte, war der Speichel in seinem Mund. Er wollte antworten, ihr alles beichten und verraten, doch tat er es nicht. Er tat es nie. Jede gute Seele, die ihm vor die Augen getreten war, war am Ende durch ihn verdorben und ins Schlechte gewandelt. Es war einfach egal, was er wollte und tat, denn am Ende war er nur das notwendige Böse eines System, welches sich in sich selbst verloren hatte. Macht war leer, so unendlich leer, dass es Verus nicht mehr erfüllen konnte. Einsam blickte er zurück, um die schöne Proxima anzublicken. Er erkannte, dass sie eine Ähnlichkeit mit seiner Luna besaß; jenem Wunsch des Guten und der reinen Absicht. Die reine Absicht hatte er selbst verloren. "Gewalt ist der Nabel der Welt. Gewalt hat mehr in dieser Welt entschieden, als jeder fromme Wunsch. Blanke und grausame Gewalt hat mehr Streitigkeiten beseitigt, als Worte je beschwichtigen konnten. Du solltest lernen, Gewalt zu üben, Iunia," erklärte er sein Gift und spuckte es ohne Speichel entgegen. "... oder üben zu lassen. Sieh' dich um. Sieh' dich ehrlich um. Gewalt hält die Gesellschaft zusammen, ob nun ausgesprochen oder durch Handlung bezeugt, wir alle üben jeden Tag Gewalt gegen andere aus, sei es durch grausame Worte, Niedertracht oder durch unsere Faust, die wir erheben. Soldaten morden mit ihren Schwertern, Kaiser lassen verfolgen, und eine Herrin lässt ihren Sklaven auspeitschen. Blanke Gewalt ist die erste Authorität aus der sich alle anderen Authoritäten ergeben. Wie Romulus seinen Bruden Remus ermordete, um Rom das Gesetz und seinen ersten König zu geben, so üben wir alle tagtäglich Gewalt aus, um diese Gesellschaft zu erhalten," teilte er sich mit und gab damit eine böse und kalte Weltsicht preis.


    "Der Staat hat das Imperium inne, die oberste Gewalt, und deshalb ergießen sich alle Authoritäten aus dieser Macht und doch sind wir alle Teilhaber der Macht und der Gewalt. Du sagst mir, dass dir Gewalt nicht liegt? Du hast einen Menschen erworben, du hast mich gepflegt, um mich deinem Willen zu unterwerfen? Du bist eine Römerin in einer fernen und dir fremden Provinz und erwirbst einen Mann, der gepeinigt und misshandelt wurde, und hoffst, dass er dir dient? Ist nicht das auch Gewalt?" Er trat einen Schritt auf die Iunia zu.


    "Das Geheimnis ist, dass wir uns alle belügen. Wir lügen jeden Tag, immer wieder und wollen nicht sehen, wer wir sind," erklärte der einstige Trecenarius, der Meuchelmeister und Terrorherrscher der Stadt Rom. "Ich bin kräftig genug," stellte er fest. "Ich brauche kein Geld," ergänzte er, denn er wusste, wo er welches fand und im Notfall würde er schlicht einen Händler ausrauben. Skrupel kannte Verus keine. Alles, was die Mission brauchte, tat er. "Eine Botschaft? Praefectus Vehiculorum?" Verus überlegte schnell. Dieser Mann unterstand den Prätorianern und damit auch seiner vergangenen Zuständigkeit. Mit etwas Glück konnte er über diesen Mann, eine Botschaft an den Kaiser senden oder seine Getreuen. Doch dies hatte noch Zeit. Die Iunia hatte sich unwissend ins Spiel gebracht und war nun ein Spielstein im Komplott der Gewalt und Rache eines gestürzten Dämons, der seine Höllenfeuer erneut entfachen wollte. "Wenn du magst, kannst du mich in die Stadt begleiten und danach können wir gerne deinen Bruder aufsuchen," schlug er vor. Vielleicht war eine Frau als Alibi brauchbar, vielleicht sogar als Tarnung. Wenn er es nur zum Versteck des Speculators Marcus schaffte, der sich als Tuchhändler abgetarnt hatte. Er musste nur in die Stadt und der Rest würde sich ergeben. "... vielleicht überlege ich es mir, dich nicht zu verlassen," log er, um ihr eine falsche Hoffnung und Sicherheit zu geben.

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