Lustratio templi Flavii

  • Gefällten Bäumen gleich lagen die drei Opfertiere am Boden während die Schlächter ihnen die vitalia entnahmen und sie sogleich weiter zerteilten. Auf goldfarbenen Platten wurden die Innereien dem Pontifex pro magistro präsentiert, der beherzt nach den blutigen Stücken griff, Leber, Herz und Niere betastete und besah auf der Suche nach Makeln. Nach den vitalia des Stieres folgten jene des Widders und jene des Ebers, denn nur wenn alle Organe ohne Fehl sich zeigten, hatten die Götter das Opfer, die Gabe zur Besänftigung angenommen. Nachdem er das letzte Stück hatte begutachtet, hob Gracchus den Kopf und ließ ein lautes

    "Litatio!"

    ertönen.
    "Die unsterbliche Flavii, Divus Vespasianus Augustus et Divus Titus divi Vespasiani filius Vespasianus Augustus, nehmen die von Rom gegebenen Gaben zum Ausglei'h des Friedens mit den Göttlichen an! Solange Rom mit Freuden seine Gaben gibt werden die Götter mit Freuden über sein Wohl und das seiner Bürger wachen!"
    Noch einmal setzte ein wenig Musik ein, um die letzten Handlungen zu geleiten - der Pontifex säuberte seine Hände, ein Teil des aufgefangenen Blutes wurde gemeinsam mit den Organen dem Feuer übergeben. Ein beißender Geruch nach verbranntem Fleisch legte sich um den Tempelplatz, der nur unzulänglich duch die gleichzeitige Räucherung überdeckt wurde. Doch waren die Götter wahrhaft gnädig an diesem Tage, denn alsbald zog ein lauer Luftzug über den Quirinal hinweg und trug den Geruch hinfort. Während der kultische Ritus ordnungsgemäß abgeschlossen und alle Teilnehmer daraus entlassen wurden, wurden die Überreste der Opfertiere weiter zerlegt und das Fleisch gekocht. Gemeinsam mit den sportulae wurden hernach auch Brot und Wein ausgegeben - auf Kosten der Flavii Gracchi -, dass um den Tempel noch eine Weile ein wenig die pax deorum konnte gefeiert werden.

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    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Nach dem Opfer, welches zum Glück durch die Götter angenommen worden war, begann die Feier. Jegliche politischen Differenzen waren heute nichtig, das Geschacher um Ämter und Positionen entfiel. Hier ging es nur darum zu feiern, dass die Pax Deorum erneuert war und die Götter ganz offensichtlich auch weiterhin ihre schützende Hand über Rom halten würden.

  • Lurco gesellte sich zu die beiden Kameraden, die wie eine Wand vor dem Steinewerfer standen und ihn festhielten.


    "Gute Frage, was soll das? Du möchtest Dir das Opfer anschauen und wirfst dabei mit Steinen? Unruhestifter werden nicht geduldet. Das Opfer anschauen ist selbstverständlich erlaubt, aber Du hast es durch Deine Steinewerferei verpasst. Die Götter werden schon wissen warum sie Dich nicht im Tempel haben wollten. Hast Du etwas zu Deiner Verteidigung zu sagen?", fragte Lurco ruhig und musterte den Burschen von oben bis unten.

  • 21-6b62cbf4eadf7cc9a50bda21ff14129a6e5c7828.jpg Jonah


    "Ich hab nich geworfen!" plapperte Jonah schnell und biss sich dann auf die Zunge um nicht weiter zu plappen dass er nur mit dem Fuß geschossen hatte. Die Störung konnte er sich wohl abschminken.

    "Ich ... ähm... bin gestolpert und ... ähm... an den Stein gestoßen. Das ... das war alles. Ich werd doch jetzt nicht verhaftet, oder?" Er blickte Lurco mit großen kindlichen Augen an. Der Optio war ziemlich furchteinflößend und sah aus als könne er Jonah mit seinem Blick zerquetschen.

    In die Aufmüpfigkeit des Jungen mischte sich Furcht. "So wie die Tempelschänder? Was ist eigentlich mit denen passiert? Wurden die verurteilt? Oder hingerichtet?"

    Würde Gott es auch lohnen wenn er nun für die Sache starb ohne etwas getan zu haben?

  • Lurco betrachtete den jungen Kerl und fragte sich, ob dieser überhaupt selbst wusste in welchen Mist er sich da gerade fast hineingeritten hätte. Vermutlich nicht. Und möglicherweise war er tatsächlich ein derartiger Tölpel, der stolperte und eine Kettenreaktion lostrat. Er kannte auch so einen, dem so etwas durchaus passieren konnte - sich selbst!


    Die Kulleraugenmasche hingegen zog nicht, das Eingeständnis schon, es war ein Weg in die richtige Richtung.


    "Du bist also schlicht nur ein Tollpatsch der versehentlich bei einer derart wichtigen Feierlichkeit gegen einen Stein gestoßen ist und dieser hüpfte in unsere Richtung von dannen? Tja Sachen gibts, die gibts gar nicht. Das klingt so blöde, dass es fast nur wahr sein kann. Kann jemand Dein Missgeschick bezeugen?


    Und bitte sag jetzt nicht der Stein...


    Noch bist Du nicht verhaftet, Du wirst nur kontrolliert. Rechtschaffene Bürger haben die Urbaner nicht zu fürchten. Was mit den Schmähern und Schändern der Götter geschieht? Junge das solltest Du wissen, sie sind tot. Jene die sich gegen die Götter auflehnen, ihre Tempel schänden, ihre Anhänger angreifen, ihre Feiern und Feste stören landen meist in den Mägen von sehr hungrigen Löwen. Das beantwortet Deine Frage, ja sie werden verurteilt und hingerichtet.


    Du siehst mir nicht so aus, als möchtest Du einen Löwen von innen kennenlernen.


    Folgendes, Du verziehst Dich jetzt umgehend von hier. Ich spreche Dir ein Aufenthaltverbot aus. Erwischen wir Dich hier noch einmal, war das kein Versehen. Stolpern ist erlaubt, Steine werfen ist verboten. Haben wir uns verstanden? Ob Du gestolpert bist, weißt Du allein und das musst Du mit Dir ausmachen.


    Wir nehmen es jetzt einfach an, so wie Du Verstand. Nutzt Du die Chance nicht und kommst zurück, dann wirst Du die Sache mit mir ausmachen müssen. Betrachte es als Wohlwollen der Götter, allen voran Mars", befahl Lurco dem Knirps. Er hoffte der junge Bursche würde zukünftig vorsichtiger durch die Gegend stolpern, oder sich zweimal seine Aktionen überlegen.


    Manchmal half man Rom, indem man Milde walten ließ. Manchmal indem man einem Ungeheuer den Kopf abschlug. Lurco hob den Stein auf und schaute dem jungen Mann in die Augen. Die Wahl lag bei dem ihm, Unglückswurm oder Unruhestifter.


    "Los hau ab", sagte Lurco und nickte Richtung Seitengasse.

  • Der Octavier hielt ein verstärktes wachsames Auge auf die gegenüberliegende Seite, da Lurco mit einem jüngeren Burschen beschäftigt war. Natürlich musste es etwas wichtigeres sein, leider konnte er nicht mehr sehen. Außerdem begann jetzt die Feier. Vorhin war der beißende Geruch nach verbranntem Fleisch bis zu ihm vorgedrungen, jetzt würden die Opfertiere weiter zerlegt und das Fleisch gekocht. An die Gläubigen würde Brot und Wein verteilt werden.

    Sie würden vorerst weiter Wache halten, denn selbst wenn die Opferhandlungen beendet waren, musste man noch mit allem rechnen.

  • Leblos und kalt starrten Clemens die Augen des geopferten Tieres an. Würde er es nicht besser wissen,
    könnte man dem Geist dieses Tieres in diesem Moment fast die Kraft zusprechen, die Zeit anzuhalten. Als würde sich das Tier eine letzte Rebellion gegen sein Schicksal erlauben, scheint jeder Tropfen seines
    Lebens mit aller Kraft gegen seine natürliche Neigung* anzukämpfen.

    Doch die Welt zog weiter. Clemens Herz machte einen Satz, als sich der Kopf des Widders ach so sanft zu
    bewegen begann. Nur ein aufmerksamer Beobachter hätte das bemerkt – doch abseits des Quintiliers dürften alle ihr Augenmerk auf etwas Anderem gehabt haben.


    Einer von Clemens „Mitstreitern“ wühlte mit fast schon medizinischer Präzision im Innersten des
    Tieres herum. Einige seiner beherzteren Griffe brachten den Kadaver in Unruhe. Des Helfers Augen erinnerten den Quintilier an die des Tieres, das er eben sterben sah: Emotionslos durch Routine. Oder war es eine Form von Hingabe, sich von seinen Emotionen für einen höheren Dienst, wenn auch nur vorübergehend, trennen zu können?

    Die Innereien landeten allesamt auf hell glänzenden Goldtellern, die die Gruppe wohl schon
    bereitgestellt haben musste, als Clemens noch mit dem Blut zugange war. Das grelle Leuchten stach dem Quintilier in die Augen. Für ihn konnten die beladenen Prunkschüsseln nicht schnell genug
    verschwinden.

    Der devote Helfer trug die Innereien zu pontifex Gracchus, der sie einer eingehenden Prüfung unterzog.
    Clemens hatte keine Ahnung, ob an den Organen irgendetwas nicht stimmte. Vermutlich fällt einem das „Komische“ schon auf? Nichtsdestotrotz konnte er sich einen Anflug des Ekels über diesen
    martialischen Teil des Ritus nicht verkneifen. Es mag daran liegen, dass er Blut nie wirklich ertragen konnte; es mag daran liegen, dass irgendwo der Widder noch in ihm nachwirkte... Doch irgendwie reichten
    die flammende Rede, die geheimnisvolle wie berauschende Atmosphäre, der hohe Anlass nicht aus, um die Gedanken an die letzten Momente verfliegen zu lassen.

    Damit er zumindest nicht starr in der Gegend rumstehen würde, untersuchte er die Menge ein wenig genauer.
    Ein paar wichtig aussehende Leute waren in den vorderen Reihen, doch keiner stach wirklich heraus.


    Die prall gefüllte Schüssel mit Blut stellte der Quintilier ab; irgendwie war sie schwerer geworden.


    Lange währte dieser Moment jedoch nicht. Clemens spürte einen sachten, jedoch bestimmten Ruck an
    seiner rechten Hand. Seine Finger wanderten an einer metallenen Oberfläche entlang.


    Eine Goldschüssel mit der alvertrauten Schrot- und Salzlakenmischung.


    „Litatio!“


    Die Worte fegten mit einer Autorität, mit einer Überzeugung über den Platz hinweg, die den Quintilier
    fast schon als verkappter Ordnungsruf erwischte. Dem Rest folgte er nur noch mit halber Aufmerksamkeit, doch klang es ebenfalls beeindruckend.

    Innerlich für die Anleitung dankbar, suchte er nach einem Organ, dem er sich annehmen konnte. Der leicht
    erschlagende Geruch vom Herz, das einer der Helfer mit leicht entnervtem Gesichtsausdruck in Clemens Nähe hielt, tat sein Übriges.
    Benebelnder Weihrauch und Innereien formten sich zu einer erdrückenden Kombination, die Clemens auf der Suche nach Erlösung in die Knie gehen ließ.


    Doch es musste weitergehen – die Götter und der Ritus verlangten danach.


    Er holte tief Luft, hielt den Atem an und strich mit groben Streichen (netterweise lag ein Pinsel noch in
    der dem Quintilier dargereichten Schüssel) das Herz mit der mola salsa ein. Nach einem kurzen Nicken verschwand auch dieser Diener – diesmal mit Blut und Herz. Von allen dringenden Verpflichtungen
    befreit, erlaubte sich Clemens, kurz aus der Rolle zu fallen und einmal erneut tief durchzuatmen. Die Luft wirkte schwer und undurchdringlich – trotz oder wegen des intensiven Aromas, das sie trug.

    Trotz allem drang das Pflichtgefühl des Quintiliers durch, das ihm einen Moment an Klarheit verschaffte.
    Wie vom Blitz getroffen ließ er seinen Blick hektisch durch die Gegend wandern, bis ihm eine Reihe von Kesseln auffiel, die etwas verloren in der Gegend standen. Die verträumt-mystische Musik der
    Flöten, die dem Geruch in der Luft Gesellschaft leistete, gab ihm die Kraft, sich mit dem Rest der Kessel anzunehmen und sie zum pontifex zu schaffen.

    Ein letztes Mal meldete sich der Gestank aller Innereien zu Wort, bevor er unter dem erhitzten Kessel,
    in den sie alle wanderten, schwächer und schwächer wurde. An seine Stelle trat etwas, das Clemens für eine Sekunde das Wasser im Mund zusammenlief. Wieso kommen ihm solche Gedanken gerade bei der
    Zeremonie, und das auch noch dann, wo er doch noch das Blut eines dieser Tiere auf seinen Sohlen spürte? Warum musste das alles überhaupt passieren und so kompliziert sein?

    Ekel vor sich, vor der Tradition, vor denen, die es so weit kommen ließen, stieg langsam aber sicher im
    Herzen des Quintiliers auf. Als hätte das Fleisch den Wandel in seinen Gemüt gespürt, wandelte sich der absurde Wohlgeruch als letzter Racheakt der Verlorenen in einen ekelhaft beißenden Gestank,
    den nur verbranntes Fleisch erzeugen konnte. Wie hält ein Mensch sowas aus?

    Clemens war kurz davor, alles in einem befreienden Schrei herausbrechen zu lassen...


    Bis ein lauwarmer Wind sein Gesicht sanft liebkoste.


    Es muss ein Segen Fortunas oder des Mars gewesen sein, der den erdrückenden Geruch samt aller Komplexe,
    die er hervorrief, vom Geschehen davontrug. Es war, als wäre seine Seele neu geboren worden.


    Den Großmut der Götter spürten ihre bescheidener Diener jedoch erst wirklich, als der Opferleiter sie mit
    warmen Worten des weiteren Dienstes entband. Fleisch und Brot schnitten sich hiernach quasi von allein.


    Und während das Brot in den Korb, das Fleisch in die Kessel fiel, sprang die Seele des Quintiliers ein
    kleines Stückchen höher. Obwohl es ein Kampf für ihn war, fühlte er nach seinem heutigen Dienst eine Verbundenheit und Dankbarkeit den Kräften gegenüber, die ihre Hand für seine Treue über ihn hielten.



    Sim-Off:

    *Damals gab es noch keine Theorie der Schwerkraft. „Herrschend“ war die Ansicht von Aristoteles, dass die Elemente, aus denen alle Stoffe bestehen, bestimmte Neigungen haben, nach denen sie sich bewegen. Wasser
    fließt, Erde fällt, Luft und Feuer steigen auf. In diesem Fall ziehen also die Erdanteile das Blut herab.



  • 21-6b62cbf4eadf7cc9a50bda21ff14129a6e5c7828.jpg Jonah


    Jonah nickte eifrig. "Ja so war es". Schüttelte dann den Kopf. "Nein... ähm... kann wohl keiner bezeugen. Nein, nein ganz sicher nicht der Stein."

    Herr im Himmel, zum Glück hieß das Gebot 'Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten' und nicht 'Du sollst nicht falsch Zeugnis reden'. Jonah würde trotzdem mit Mutter Binah darüber sprechen und ein extra Gebet um Vergebung beten für all diese Lügen.


    Dann aber weiteten sich seine Augen vor echtem Entsetzen. Tot! Philotima und Molliculus waren also wirklich tot! So verstand es Jonah zumindest. Diese Nachricht würde die Gemeinde aufrütteln! Musste die Gemeinde aufrütteln!

    "Ja, ja, verstanden" stammelte der Junge und nahm die Beine in die Hand und rannte los. Als er um die nächste Ecke bog brannten Tränen in seinen Augen. Philotima und Molliculus waren tot! Philotima, die gekommen war Rom zu erlösen von Leid und Übel, war tot!


    An der nächsten Ecke schwor Jonah im Namen des Herrn Rache! Rom war nicht mehr zu retten! Seine Einwohner waren den Götzen viel zu hörig! Sollte Rom doch untergehen, mit Mann und Maus, mit Tempel und Haus! Jonah würde die Gemeinde überzeugen. Jeder Akt gegen die römischen Götzen und ihre Diener wäre ein Akt der Nächstenliebe. Und der Tod dafür wäre ein Garant in für einen Platz im Paradies!


  • Lurco schaute dem Burschen einen Moment hinterher, ehe er seinen Männern ein Zeichen gab. Rennen konnte er, Lurco hoffte im Nachdenken war er genauso schnell wie im Laufen.


    "Haltet die Augen nach weiteren Unglückswürmern und solchen die es werden wollen offen", sagte er zu seinen Kameraden freundlich und setzte seinen Weg fort. Ob Mars dem jungen Mann gewogen war, würde sich zeigen.

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