Schließet Tür und Tor
Tief ist die Nacht und das Licht wird knapp
Schweigt still, seht euch vor
Rot scheint der Geistermond hinab
Langsam ließ Hadamar sein Pferd sich den Weg suchen. Die Sonne war längst untergegangen, und der Mond, der zwar schon am Himmel stand, nur noch eine schmale Sichel. Aber das Wetter war klar, und durch die geringe Präsenz des Mondes war der Sternenhimmel umso fantastischer. Wenn er nach oben blickte, glitzerte und funkelte es auf tiefschwarzem Samt. Der Anblick war atemberaubend, vor allem für jemanden wie ihn, der selten so bewusst darauf achtete wie heute. Meistens war der Himmel halt einfach da. So lange er ihm nicht auf den Kopf fiel, war alles gut, und Hadamar beachtete ihn nicht weiter. Heute war eine jener Nächte, in denen er dann doch darauf achtete, und in denen es auch ihm die Sprache verschlug angesichts der Schönheit. Gleichzeitig spürte er ein vages Gefühl von Heimweh, weil die Sterne, so großartig sie auch aussahen, nicht seine Sterne waren. Und er hatte sich in all den Jahren nicht daran gewöhnt, dass der Anblick über ihm ein anderer war als der, der ihn so lange, durch Kindheit und Jugend und darüber hinaus, begleitet hatte.
Licht spendeten die Sterne genug. Wie jedes Mal aber, wenn sie ihm so bewusst auffielen auf seinem Weg zu dem etwas abgelegenen Ort, den er schon in seiner Anfangszeit hier gefunden und als seinen persönlichen Opferplatz ausgesucht hatte, hoffte er, dass seine Götter ihn trotzdem noch hören konnten. Hier, unter fremdem Himmel. Auf fremder Erde. Er fühlte sich nicht wohl damit, aber das immerhin war er gewohnt. Auch weil es nicht der einzige Grund war, warum ihm jedes Mal etwas mulmig war. Er war kein Gode, damit ging es ja schon los. Und er sollte auch nicht allein sein. Manchmal nahm er Tariq mit, auch heute hatte er ihn eingeladen, sich ihm anzuschließen, wenn er das denn wollte. Aber so nahe sie sich auch standen inzwischen, die Bräuche des anderen konnten sie nicht immer nachvollziehen, auch wenn sie sie respektieren mochten. So war Hadamar doch irgendwie... allein, selbst wenn der Kleine dabei war, und das sollte nicht so sein. Anlässe wie dieser waren nicht dazu gedacht, sie allein zu feiern, und es behagte ihm nicht, wie lange er die Festtage seiner Ahnen schon so begehen musste.
Und dann war da noch die Tatsache, dass es die falsche Nacht war für das hier, eigentlich. Der elfte Neumond seit der letzten Wintersonnwende würde erst in einigen Tagen sein, vier, vielleicht fünf, schätzte er. Aber das war ein weiterer der Kompromisse, die er einging, eingehen musste bei der Legio. Er konnte sich glücklich schätzen, dass er Centurio war und als solcher in der Position, öfter freie Abende zu haben, an denen er die Castra auch verlassen konnte, und damit mehr machen als nur eine Kerze zu entzünden und eine kleine Opfergabe zu bringen. Auch noch jedes Mal aussuchen zu können, an welchen Tagen, war einfach nicht drin. Also war er heute hier, obwohl der Mond sich noch zeigte, und damit die eigentliche Nacht des Totenfestes nicht hereingebrochen war. Wenn sie dann kam, würde er zusätzlich noch das tun, was in kleinem Rahmen möglich war.
Aber wenn er ehrlich war, war er zumindest über Letzteres nicht ganz unglücklich. Er hatte im Lauf der Jahre zu viele Menschenleben genommen, um ausgerechnet in der Nacht wirklich gerne unterwegs zu sein, in der die Tore für die Toten offen standen. In der die Geister der Verstorbenen die Grenze zum Diesseits überschreiten konnten, die Wohlgesonnenen ebenso wie... die anderen. Es gab zu viele dieser anderen bei ihm, mittlerweile. Und obwohl er ein Feuer entzünden würde, wie es Brauch war, ein Feuer, das diese anderen fernhalten würde, blieb da doch der Weg hin und zurück. Nicht dass er Angst hatte... aber man musste die Nornen ja nicht unnötig herausfordern.