Vorboten des Sturms - Vorbereitungen auf die Operation Sommergewitter

  • Sabaco nahm die Meldung samt Vorschlag entgegen. Er gehörte nicht zu jenen, die keine Vorschläge hören wollten. Das einzige, was er rundheraus ablehnte, waren Diskussionen abseits eines Tisches. Diese hatten nichts im Einsatz verloren, es sei denn, er bat darum, und das geschah selten. Nach kurzem Nachdenken passte er seinen Befehl etwas an:


    "Duplicarius, wir reiten sofort los, mit allem, was wir zu bieten haben. Wir zeigen in beinahe voller Aufstellung Präsenz und fordern alles, was wir brauchen. Das letzte Contubernium sichert den Fluchtweg." Es bestand aus den unerfahrensten oder körperlich nicht mehr ganz so leistungsfähigen Männern, denen oft Arbeiten im Hintergrund anvertraut wurden. Meist übernahmen sie auch den Sanitätsdienst, der heute aber wohl kaum notwendig werden dürfte. "Lass die Männer wecken und zum Abmarsch fertig machen!"


    Dann ging alles ganz schnell. Und während die beiden Germanen unbemerkt in ihrem Versteck diskutierten, zog die gesamte Turma unter lautem Gepolter und Geklirre an ihnen vorbei durch den Morgennebel. Wenig später erreichten sie das Dorf.

  • Die Turma Secunda bekam, wonach ihr Decurio verlangte. Vor allem Nahrung, Bier und auch das eine oder andere Werkzeug gelangte in den Besitz der Ala. Jemand forderte einen Schal, ein anderer wollte Schmuck für sein Liebchen. So gingen die Bestellungen reihum. Eine gewebte Decke mit Karomuster und weichen Fransen wechselte ebenfalls den Besitzer. Mit vollbeladenen Ersatzpferden setzten die Reiter ihren Weg durch Germania Magna fort, Schatten in der erwachenden Dämmerung.


    Zurück blieb ein Dorf voll unsicherer Menschen, die in ihrer Schlafkleidung herumtappten und kaum glauben konnten, ungeschoren davongekommen zu sein. Inzwischen kannte man den Namen Matinius Sabaco und verband ihn mit nichts Gutem. Doch bald sickerte die Gewissheit durch ihren Geist, was dies bedeutete: Die Turma Secunda würde auf dem Rückweg erneut vorbeikommen und ein weiteres Mal ihren Tribut fordern.

  • Was auch immer da draußen noch lauerte, Sabacos Herz schlug unbeirrt. Etwas verlieh ihm das Gefühl, diesmal wären sie auf dem richtigen Weg. Sie konnten nicht umdrehen, nicht jetzt. Noch einen Tag wenigstens, oder zwei, mussten sie tiefer nach Germania Magna vordringen. Die "Geschenke" der Germanen sorgten für die notwendige Motivation bei seinen Männern. Unter Varro wären solche Aktionen undenkbar gewesen. Doch Varro war fort und etwas Dunkles hatte sich auf seinem Platz breitgemacht.


    Am Abend, nachdem sie das Lager aufgeschlagen hatten, vollbrachte Sabaco ein einsames Opfer. Mit bloßen Fingern grub er Rillen, sein Blut vermischte sich mit der Erde dieses Landes, als er Ocellas Namen schrieb. Germania Magna selbst sollte seine Forderung lesen: Gib mir mein Blut zurück. Die Stelle bedeckte er mit Brennmaterial, erst feiner Reisig, darüber Zweige, außen Äste. Bald brannte Ocellas Name lichterloh. Der Rauch schickte seine Forderung hinauf zu den Göttern dieses Landes, das er mit jeder zurückgelegten Meile mehr hasste.


    Nichts würde ihn aufhalten. Weder Sterbliche noch Götter sollten es wagen, sich zwischen ihn und seinen Bruder zu stellen. Er dachte an Eilas ebenmäßiges Gesicht und riss den Mund auf zum lautlosen Lachen der Wahnsinnigen, als der Wind in das Feuer fuhr und die Funken hinauf in die Nacht stiegen. Wenn die Turma II heimgekehrt sein würde, wäre die Zeit gekommen, um zu überprüfen, ob Balko seinen Teil der Abmachung erfüllt hatte.

  • Die Laune der Männer verdunkelte sich, je tiefer sie in den Wald vordrangen. Mittags ordnete Sabaco eine längere Rast an einem klaren Fluss an. Sie brauchten die Pause, um wieder zu sich zu finden. Es war heiß und nach den Tagen in der Wildnis war das Bad eine willkommene Abwechslung. Man wechselte sich ab, so dass ein Teil der Truppe immer einsatzbereit blieb. Der Rest planschte.


    Sabaco ließ seinen Männern den Vortritt. Brütend saß er über der Karte, suchte den Fluss, versuchte herauszufinden, wo sie sich befinden mochten, während die anderen im Wasser spielten. Ihm fehlte die Ausbildung, Karten anzulegen. Er war nie Kundschafter gewesen. So improvisierte er und hatte ein Raster darüber gezeichnet, das ungefähr einem Tagesritt durch die Wildnis entsprach oder einem halben Tagesritt auf der Straße. Hinzu kam eine grobe Orientierung anhand des Sonnenstandes. Aber er fand keinen Fluss, wo einer sein sollte. Hier war kein Gewässer eingezeichnet. Entweder, dieser Fluss war noch unerforscht oder die Turma II hatten sich hoffnungslos verirrt.


    Sabaco drückte den Rücken durch, blickte sich um. Kein Berg zur Orientierung. Zu allen Seiten umschloss sie gleichförmig die grüne Wildnis von Germania Magna. Ihm wurde die völlige Aussichtslosigkeit bewusst, Ocella hier finden zu wollen. Die Gegenwart der Soldaten verhinderte, dass er die Karte in seiner anschwellenden Verzweiflung zerknüllte. Man musste ihn schon sehr gut kennen, um zu sehen, dass er nicht gegen die Müdigkeit ankämpfte, sondern gegen die tiefe Trauer, die ihn von innen her verschlang.


    Er markierte mit dem Stift ihren heutigen Standort und zeichnete vorsichtig den Flusslauf ein. Dann räumte er alles beisammen und rollte sich sitzend zwischen den Wurzeln eines uralten Baumes ein. Er lehnte das mittlerweile schuppige und unordentliche Haar an die zerklüftete Borke. In ihm reifte die Gewissheit, dass Ocella tot war und kein feuriger Wille und keine brennende Liebe ihn je nach Hause zurückholen konnte.

  • Sie hatten das Dorf überfallen wie ein Schwarm Heuschrecken, hatten sich genommen was sie benötigten. Darüber hinaus hatten sich so manche mit Dingen eingedeckt, die schlichtweg haben wollten. Die Germanen hatten ihnen alles ausgehändigt, was verlangt worden war. Niemand hatte sich ihnen in den Weg gestellt, keiner hatte eine Waffe oder auch nur die Stimme erhoben. Die Dorfbewohner waren am Leben geblieben, ärmer an Geld und Güter und um einige Erfahrungen reicher. Doch sie lebten und das war vielleicht das größte Geschenk, dass ihnen Sabaco gemacht hatte.


    Sie waren weitergezogen, der Wald wurde dunkler und dichter. Was einem in der Nacht Schutz bot und gut für Erkundungen war, schien bei Tage ein seltsames Eigenleben zu führen. Der Wald war dicht und die Orientierung fiel schwer. Markante Punkte die man sich merken konnte waren selten. Man sah förmlich den Wald vor Bäumen nicht.


    Die erste Rast nach dem Überfall tat gut. Männer und Pferde gleichermaßen benötigten sie. Ein Wald war unebenes Gelände, man musste die Augen überall haben und das strengte Mensch und Tier gleichermaßen an. Die ersten gingen bereits in dem Fluss baden und wuschen sich Staub und Dreck vom Körper. Cimber wartete ab, er hatte es nicht eilig, als einer der Ersten im Wasser zu sein. Zuerst hatte er Impetus mit Wasser versorgt und sich um sein Pferd gekümmert. Nun wartete er darauf, dass sich die ersten Badenden zurückzogen und die Wache übernahmen.


    Cimber schaute über die Gruppe und fand seinen Kommandaten zusammengerollt an einem Baum liegend vor. Umbrenus setzte sich neben ihn und betrachtete die Umgebung. Man musste seinen Gesprächspartner nicht permanent anstarren, um sich zu unterhalten. In diesem Wald behielt man besser die Umgebung im Auge. Eine große Gruppe die rastete, war immer in Gefahr. Die meisten gingen davon aus, dass ein anderer Augen und Ohren offen hielt. Disziplin war der einzige Schutz vor einer Überraschung.


    "Ist alles in Ordnung? Was ist mit der Karte? Du hast etwas irritiert ausgesehen. Vielleicht kann ich helfen", wandte sich Cimber an Sabaco.

  • Zwei wachsame Augen beobachteten die Römer aus sicherer Entfernung. Albwins Gesicht war wie fast immer zu einer sorgenvollen Miene verzogen. Scheinbar hatte sich dieser Gesichtsausdruck in sein Antlitz gegraben. Er wusste nicht, wann er zuletzt anders geschaut hatte.


    Die Römer hatten das Dorf geplündert, sein Dorf! Aber entgegen der Warnung von Catualda hatten sie die Bewohner am Leben gelassen. Alles was sie wollten waren Vorräte, Waren und vieles mehr. Die Gier der Römer war unbeschreiblich, aber sie schlachteten sein Dorf nicht ab. Sie waren weitergezogen, man konnte fast sagen durch den Wald gewalzt. Jetzt rasteten sie und erhoten sich von ihren Schandtaten. Ein Teil der Männer dieser Turma badete im Fluss, der andere hielt Wache. Einige lagen träge in der Gegend herum.


    Vielleicht konnte er sich um einen der Nachzügler kümmern. Oder jemanden beim Austreten in den Hintern treten. Abwin musste erfahren wohin diese Männer unterwegs waren. Möglicherweise kam er bei einer günstigen Gelegenheit etwas näher heran um zu lauschen. Oder er musste sich einen der Männer schnappen und ihn ausfragen. Das Problem war nur, die Kerle waren bis an die Zähne bewaffnet. Albwins Gesichtsausdruck wurde noch mürrischer.

  • "Mit mir ist alles in Ordnung. Es geht mir bestens." Sabaco rollte sich auf und entfaltete noch einmal die Karte. Mit dem Stift wies er auf das Planquadrat, in dem sie sich seiner Meinung nach befanden. "Ein Kästchen entspricht einem Tagesritt durch den Wald beziehungsweise einem halben Tag auf der Straße. Von Mogontiacum aus sind wir hier entlanggeritten, der Straße folgend, bis wir an der Stelle in die Wildnis abgeschwenkt sind ..."


    Es war ja nicht so, dass Germania Magna von römischen Straßen durchzogen war. Das waren nur Abschnitte, die irgendwann ohne Vorwarnung im Nichts endeten. Er rekapitulierte für Cimber die gesamte Reise, zeigte auch das eingezeichnete Dorf, in dem sie sich bereichert hatten. Danach war es, als würden die germanischen Götter ihnen zürnen und als hätte der Wald die Kontrolle übernommen. Seither stimmte die Reise nicht mehr mit der Karte überein, obwohl Sabaco nichts an seiner Methode geändert hatte.


    "Wir haben einen neuen Fluss entdeckt. Könnte schiffbar sein, wenn man einen Kanal anlegt." Die Möglichkeit, dass sie sich verirrt hatten, sprach er nicht aus. Am Ende mussten sie einfach nur nach Westen reiten, um wieder auf römisches Gebiet zu treffen. Immer nur nach Westen, der untergehenden Sonne nach. Die Frage war, wer oder was ihnen auf dem Weg dorthin begegnen mochte, mit dem Sabaco nicht rechnen konnte, weil er jede Orientierung verloren hatte.

  • Cimber schaute sich die Karte an.


    "Das ist vermutlich der Moenus Sabaco und kein neuer Fluss. Die Karte ist nichts Dein Steckenpferd oder? Macht nichts. Schau eine Karte stellt die Umgebung verkleinert und vor allem vereinfacht dar. Die Realität eins zu eins abzubilden, wäre nicht nur zu aufwendig, es wäre auch viel zu unübersichtlich.


    Karten folgen einem genauen Bauplan. Sie werden grundsätzlich von oben erstellt, also Du siehst immer die Draufsicht. Und ganz wichtig, oben ist immer Norden. Bewegliche Dinge werden stets weggelassen. Bei der Kartenerstellung ist es einfacher Symbole als einen Text zu verwenden. So kannst Du Karten auch verschlüsseln. Nur Deinen Leuten könnten die Symbole bekannt sein.


    Du musst Dich an der Karte orientieren, also musst Du zuerst die Karte einnorden. Wo ist Norden? Hast Du das herausgefunden, dann kannst Du anhand der Karte ableiten wo Du Dich tatsächlich befindest. Kurzum die Karte und das Gelände sind dann gleichorientiert.


    Hast Du keine Orientierungshilfe nutze die Sonne. Denk an den Kinderreim.


    Im Osten geht die Sonne auf.
    Im Süden nimmt sie ihren Lauf.
    Im Westen will sie untergehen.
    Im Norden ist sie nie zu sehen.


    Eine weitere Möglichkeit ist ein Sciothermum, ein Schattennehmer. Auf einer ebenen Fläche gleich ob aus Holz oder einem anderen Material fügst Du einen Stift ein. Dieser Stift ist der Mittelpunkt eines Teilkreises, den wir darauf aufzeichnen. Die Größe der Platte und auch die Länge des Stiftes sind unerheblich. Du musst nur darauf achten, dass beim tiefsten Sonnenstand der Schatten des Stifts auf der Platte bleibt.


    Über den Tag verteilt wirst Du folgendes sehen, über den Tag hin wird der Schatten des Stifts am Morgen und am Abend am längsten. Mittags ist er am kürzesten. Irgendwann im Verlauf des Tages wird die Spitze des Schattens genau auf dem aufgezeichneten Teilkreis liegen.


    Da dies zweimal am Tag, einmal am Morgen und einmal am Nachmittag passieren wird, erhalten wir also zwei Punkte auf unserem Teilkreis. Wir müssen also nur den Verlauf des Schattens beobachten und die beiden genannten Punkte vermerken. Verbinden wir dann beide Linien, hast Du die genaue Ost-West-Richtung - decumanus",
    erklärte Cimber freundlich.

  • Fango hatte den Zustand des Decurios bemerkt, auch wenn dieser sich alle Mühe gab, ihn zu verbergen. Was solche Dinge anging, war Fango sehr feinfühlig. Sabaco tat ihm leid, weil er wusste, dass der Mann seinen Bruder vermisste. Von Fangos beiden Brüdern würde wohl keiner solch eine Energie entfesseln, um ihn zurückzuholen. Genau genommen war Fango ja schon verloren gegangen und niemanden hatte es gekümmert, außer Onkel Stilo, der erkannt hatte, wie er ohne Eltern der Familie immer weiter entglitt, und ihn kurzerhand adoptiert hatte.


    Von Mitleid erfüllt beobachtete Fango verstohlen Sabaco, unsicher, was zu tun sei. Er war froh, als Cimber sich zu dem Trauerkloß gesellte. Er selbst wäre wohl angeknurrt und wieder weggeschickt worden. Cimber aber konnte Sabaco unter dem Mantel des organisatorisches Gesprächs etwas ablenken und ihm Gesellschaft leisten. So konnte Fango sich wieder auf seine Aufgabe konzentrieren, Wache zu schieben. Mit Baden würde er als letzter dran sein, da sich die älteren und durchsetzungstärkeren Haudegen vorgedrängelt hatten.


    Vorsichtig stapfte er durch das Unterholz, wo er immer wieder in wilden Brombeerschlingen hängenblieb. Dabei bemerkte er nicht, dass er sich einem verborgenen Beobachter näherte und schließlich nur noch drei Meter von diesem entfernt war. Fango blieb stehen, um eine stachelige Ranke aus seiner Hose zu lösen, die sich um sein Bein gewickelt hatte.

  • Da Cimber keine korrekte Meldung machte, ging Sabaco davon aus, er würde den Donnerbalken benutzen gehen. Für ihn selbst war es nun an der Zeit zu baden, besser gesagt, zu schwimmen. Er legte die Rüstung und die nassgeschwitzen Kleider ab, um in das dunkle Wasser dieses fremden Flusses im Herzen des Barbaricums einzutauchen. Seine Sorgen verschwanden hinter einem Schleier weiß glitzernder Luftblasen, als er dicht unter der Wasseroberfläche entlang glitt. Die Geräusche des Lagers wurden vom Rauschen verschluckt. Nur selten tauchte er auf, um Luft zu holen.

  • Sie hatten keine Spur von Ocella gefunden.


    Ein grauer Wolkenschleier schützte die heimkehrenden Reiter vor der Sonne. Trotzdem war es extrem heiß, die Luft stand. Die Tuniken unter den Rüstungen klebten ihnen seit Tagen wie nasse Lappen auf der Haut, scheuerte und verursachte Wunden, die nicht heilen konnten. All das gehörte zu den Vorbereitungen dazu, denn bald würden sie noch ganz anderen Widrigkeiten trotzen. Finsternis umwölkte Sabacos Herz gleich schwarzem Rauch.


    Vor ihnen lag das Castellum. Dieser Erkundungsritt hatte deutlich länger gebraucht, als geplant. Sabaco hatte gesehen, wie seine Männer mit der Situation umgingen, auf Planänderungen und auf Nahrungsrationierungen reagierten, wie sie den Dichtestress und die fehlende Erholung aushielten und wo ihre Stärken und Schwächen lagen. Wer jetzt noch in dieser Turma war und nicht von ihm ausgesondert worden war, der passte zur Truppe. Sie waren bereit. Operation Sommergewitter konnte beginnen.


    Die Kameraden an der Porta grüßten und Sabaco erwiderte den Gruß, als sie endlich einritten.


    RE: Officium Cornicularius Titus Umbrenus Nero >>

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