Turma II - Unterkunft des Decurio Publius Matinius Sabaco

  • "Netter Versuch. Aber es geht mir gut." Er merkte, wie schroff er sich verhielt. Seine Laune war am Boden, aber er wollte nicht den vielleicht einzigen Menschen verlieren, der es noch aufrichtig gut mit ihm meinte. Mit leerem Blick starrte er an die Wand, dann sah er Scato wieder an. "Tut mir leid. Du bist nicht derjenige, den mein Zorn treffen sollte. Hau mir eine rein. Fest." Er grinste mit seinem lückenhaften Gebiss. Dann wuschelte er dem Medicus vertraulich durchs Haar. Mal sehen, wie er darauf reagierte, ob er die professionellen Maske nicht mal für einen Moment absetzen wollte, die er jeden Tag trug. Dahinter war mehr.


    "Ich benötige jetzt die Abschlussuntersuchung. Ich weiß, wann ich dienstfähig bin und wann nicht. Sei also so freundlich. Die Kekse hat übrigens dein kleiner Bruder gebacken. Fango. Der bäckt andauernd und weiß anschließend nicht wohin mit diesen Mengen - zumindest behauptet er das - weshalb er das Zeug ständig verschenkt." In Wahrheit buk er absichtlich raue Mengen, um viel zum Verschenken zu haben. "Es gibt noch nette kleine Brüder."


    Eine Faust ballte sich, wurde hart wie ein Stein, bereit, Nasen und Kieferknochen zu zertrümmern, dann atmete er ruhig aus und seine Rechte entspannte sich wieder. "Es ist wegen Ocella", gab er schließlich zu. "Aber ich will die Familienangelegenheiten nicht breittreten. Er ist ein hoffnungsloser Fall, das muss reichen. Mich interessiert das alles nicht mehr. Soll er machen, seinen Weg in den Orcus weitergehen am Tunikazipfel dieses Germanicus ... er ist nicht länger mein Problem. Mein Augenmerk gilt der Turma Secunda und der Operation Sommergewitter, das ist mein Auftrag, und der Rest kann mich mal kreuzweise. Also, walte deines Amtes."


    Er zog die Tunika aus, knüllte sie zusammen und warf sie in eine Ecke.

  • Sabacos Provokation - falls es denn eine war - wurde belohnt, denn Scatos Kopf lief puterrot an. Normalerweise wuschelten ihm Patienten nicht durchs Haar. Verärgert blieb er erstmal einen Augenblick sitzen, bevor er sich mit einem säuerlichen Grinsen zentschloss, zu sagen: "Jetzt hast du mir die Frisur ruiniert." Was offensichtlich Unsinn war, denn er trug sein Haar so kurz, dass die Frisur gar nicht ruiniert werden konnte.


    Er stand auf, um seinen störrischen Patienten zu untersuchen. Er begann beim Kopf, schaute sich die Augen und die Zunge an, lauschte mit einem Holzrohr dem Atem und maß mit den Fingerspitzen am Handgelenk den Puls. Am Schluss tastete er nach den Knoten unterhalb des Ohres und der Achseln, die bei Infektionen gern mal anschwollen, da sich dort die durcheinander geratenen Körpersäfte stauten.


    "So richtig fit bist du noch nicht", stellte er fest. "Aber eigentlich bin ich auch nicht derjenige, der befugt ist, darüber zu entscheiden. Du gehörst ins Lazarett der Ala."

  • "Nein, ich bin hier bei dir genau richtig." Er wartete, bis Scato fertig war mit der Untersuchung, dann starrte er ihn an, unbekleidet, wie er war, jede einzelne der unzähligen Schnittnarben auf seinem Rumpf sichtbar. "Wenn sie ... das hier ... sehen, erklären sie mich für verrückt. Ein Verrückter kann nicht Offizier sein. Ein Verrückter kann auch keine Operation Sommergewitter leiten. Es war dumm und schwach, das hier anzurichten, es hat nichts besser gemacht, aber damals hatte ich noch keinen Scato als Arzt, ich hatte überhaupt keinen Arzt und wusste keinen anderen Weg. Die Götter wissen, ich bin nicht verrückt, sondern die Welt ist es. Weil die Menschen Teil dieser Welt sind, erkennen sie das nicht. Du bist der Einzige, der das versteht. Der Einzige, der mir geholfen hat."


    Die Muskulatur in seinem Gesicht und an seinem Hals spannte sich, als er sich davon abhielt, weiter zu sprechen und den zweiten Grund auszusprechen, der ihm genau so effektiv das Genick brechen konnte, wenn irgendeiner im Lazarett davon Wind bekam. Er wusste, dass Scato es wusste. Er war Arzt, dem konnte er nichts vormachen. Doch Scato würde schweigen.


    "Schreib mich gesund", verlangte Sabaco. "Die Ala braucht mich. Rom braucht mich. Und meine Männer brauchen mich auch. Wenn dir dabei unwohl ist, sag mir, was es kostet, dich umzustimmen."

  • Scato sah zu Boden, als Sabaco von der Verrücktheit der Welt sprach. Diese Gedanken teilte er. Und natürlich wusste er genau, warum Sabaco nicht zu den Ärzten der Ala ging. Darum erfüllte er ja auch den Wunsch, sich seiner anzunehmen.


    "Den Versuch, eine Wunschdiagnose bei mir zu kaufen, verbuche ich als einen deiner schlechten Scherze. Und was deine Selbstverletzung betrifft, sorge dafür, dass diese Narben alt werden und verblassen, ohne dass neue hinzukommen. Wie du richtig sagst: Deine Männer brauchen dich. Wenn du nicht weiter weißt, komm zu mir oder rufe mich, egal zu welcher Uhrzeit. Sobald ich mich freimachen kann, kümmere ich mich um dich. Jetzt zieh dich wieder an, ich mache das Schreiben fertig. Das legst du deinem Vorgesetzten vor."


    Er setzte sich an den Tisch, nahm seine Schreibutensilien heraus und machte sich an die Arbeit:


    Untersuchung zur Feststellung der Dienstfähigkeit nach überstandenem Sumpffieber


    Arzt: Optio valetudinarii Sisenna Iunius Scato

    Patient: Decurio Publius Matinius Sabaco

    Datum: ANTE DIEM XVII KAL IUL DCCCLXXIII A.U.C. (15.6.2023/120 n.Chr.)


    Im Zuge der medizinischen Zusammenarbeit zwischen den in Mogontiacum stationierten Einheiten wurde der Patient während seiner Erkrankung medizinisch vom Unterzeichner betreut. Der Patient überstand das Sumpffieber im schweren Verlauf ohne Folgeschäden. Zur Behandlung kamen die neu entwickelten Methoden zum Einsatz. Der Patient bat heute von sich aus um eine Untersuchung zur Feststellung seiner Dienstfähigkeit.


    Diagnose: Von noch vorhandener Erschöpfung und geschwollenen Knoten unter den Achseln und unter den Ohren abgesehen, sind keine Symtome mehr feststellbar.


    Beurteilung: Der Patient ist dienstfähig.


    Sisenna Iunius Scato

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    OPTIO VALETUDINARII - COHORTES PRAETORIAE

  • Wenigstens eines, das mal ohne Zwischenfälle ablief, ohne Wenn und Aber. Nach dem Ärger mit Ocella hätte Sabaco jetzt kein Nein verkraftet. Auch, wenn er zugeben musste, dass er noch weit vom tatsächlich gesunden Zustand entfernt war, schätzte er sich selbst so ein, dass er wieder führen konnte. Er wollte wieder raus, zu seiner Truppe. "Danke, Scato. Hast was gut bei mir."

  • Der winkte ab, wobei er sich Mühe gab, genervt zu wirken, was ihm nicht gelang. Obgleich Prätorianer, war er kein guter Lügner. In seinem Bereich musste er das nicht sein, ein Luxus, wie er fand, denn er mochte die Unwahrheit nicht. "Ich habe nur meine Arbeit gemacht."


    Er räumte seine Unterlagen zusammen, stand auf und warf sich den Gurt der Ledertasche über die Schulter. Zum Abschied sah er seinen Patienten noch einmal an, der blass und faltig wirke, aber nicht mehr so angespannt wie zu dem Zeitpunkt, als Scato hier eingetroffen war.


    "So, ich muss. Melde dich, wenn was ist. Weiterhin gute Besserung, Sabaco. Viel trinken und ausreichend Schlaf nicht vergessen, bis du wieder hundertprozentig wiederhergestellt bist. Vale."

  • Während Scato sprach, zog Sabaco gerade seine blaue Tunika an. Als er wieder oben herausschaute, war Scato gerade dabei, zu gehen. "Warte doch mal." Wie konnte einer nur so viel Unruhe verbreiten?


    Sabaco schlug ein paar Kekse in ein Leinentuch. Dabei versperrte er mit seinem Rücken die Sicht. Unauffällig legte er eine handvoll Silberdenare dazu. Das entsprach ungefähr dem Tageslohn eines Optio valetudinarii - ohne die Abzüge, welche vom Dienstherren für für Waffen, Kleidung und Verpflegung einbehalten oder als Rücklage gutgeschrieben wurden. Durch die Kekse und die feste Schnürung klimperte das Geld hoffentlich nicht, so dass Scato es erst fand, wenn er den Proviantbeutel öffnete. Er verschloss das straffe Päckchen mit zwei Knoten und drückte es dem Optio valetudinarii in die Hand "Marschproviant."


    Dann hielt er ihm galant die Tür auf. Sabaco sah im Gesicht immer noch furchtbar aus, hatte jedoch mittlerweile etwas Farbe bekommen und konnte wieder lächeln.

  • Scato nahm das Stofftuch mit den Keksen entgegen. Dafür, dass es nur mit Gebäck gefüllt sein sollte, fühlte es sich recht schwer an. "Danke, Sabo." War ihm doch - nicht wirklich versehentlich - der Spitzname des Decurio herausgerutscht, doch in Anbetracht der vielen Jahre, die sie einander schon kannten, war das sicher in Ordnung. Scato grinste, als Sabaco ihm die Tür aufhielt, und marschierte hindurch. Sie würden sich wiedersehen, doch dann hoffentlich unter besseren Umständen.

  • Sabaco erwiderte nichts mehr, grinste nur kurz und schloss dann hinter Scato die Tür. Erneut umfing ihn die verfluchte Stille, die er noch nie hatte ertragen können. Die Geräusche, die durch die Fenster drangen, reichten nicht, sie waren zu weit weg, zu anonym. Er musste wieder unter seine Männer, es wurde Zeit.

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