Cubiculum - Aulus Iunius Tacitus

  • Cubiculum

    Aulus Iunius Tacitus


    Es war das vorletzte Zimmer am Garten. An einer geflochteten Türmatte konnte man die Füße abstreichen, bevor man eintrat, doch da die Wege der Domus Iunia auch im Garten zu allen Jahreszeiten sehr sauber waren, war das kaum notwendig. Das Sonnenlicht hatte den einst tannengrünen Polstern der Möbel die Farbe genommen und sie zu einem Moosgrün verlasst. Das helle Akazienholz war zu einem Bernsteinton verdunkelt. Wahrscheinlich hatten die Sklaven öfters während der Mittagssonne gelüftet, so dass die Strahlen deutliche Spuren hinterlassen hatten. So strahlte der Raum in warmen, aber gedeckten Farben durchaus Behaglichkeit aus.


    Eine Truhe und ein Regal boten ausreichend Stauraum. Alles war sauber und duftete nach den orangen Herbstblumen und blühenden Kräutern, die in einer Vase arrangiert waren. Auf dem Bett lagen zwei gemusterte Strickdecken, eine dick und eine dünn, dazu farblich passende Kissen. Um einem kleinen Tisch standen zwei Stühle, so dass Tacitus auch Gäste empfangen konnte. Während sie sich im Atrium unterhielten, hatte einer der Sklaven je eine kunstvolle Karaffe mit Wein und mit Wasser sowie ein passendes Glas bereitgestellt sowie ein Körbchen voller Kekse.


    "Ist alles zu deiner Zufriedenheit, dominus? Benötigst du noch etwas, um dich wohlfühlen zu können?"

  • "Ich danke dir, der Raum hat alles, was notwendig ist." Ich sprach Koine - akzentfreies Koine - mit Terpander, da er ja selbst gesagt hatte, dass er Griechisch unterrichtet hatte. "Doch noch einmal zurück zu unserem Gespräch im Atrium. Was ich mit einem ethischen Lebenswandel meinte, hast du gefragt. Ich will es dir gerne beantworten. Ein jeder von uns dient. Das Schicksal, wenn man es denn so nennen will, hat jedem von uns einen Weg zugewiesen. Keinen Platz, sondern einen Weg, denn ein Platz wäre statisch. Wir sollten diesen Weg gehen, ohne uns zu beklagen. Und wir sollten unsere Pflicht tun. Immer. Emotionen sollten wir für uns behalten, unsere animalische Seite im Zaum halten und uns der reinen Logik zuwenden. Doch vor allem sollten wir all unser Tun in den Dienst der Zivilisation stellen. Deshalb bin ich auch zurückgekehrt. Ich habe viel Wissen gesammelt, nun sollte ich es in den Dienst der Zivilisation stellen und anwenden. Auch wenn ich für mein Leben gerne in Alexandria weiterstudiert hätte. Dort zu bleiben, wäre selbstsüchtig gewesen. Hier, in meiner Heimat, sollte ich mein Wissen einbringen. Wo auch immer es am meisten Nutzen bringt. Die Armee wäre der falsche Ort, denn ich bin ein schlechter Kämpfer. Meine Waffe ist mein Verstand. Also werde ich versuchen, mein Wissen zivil einzubringen. Ob es als Zuarbeiter im Hintergrund ist oder als Beamter in der Öffentlichkeit, ist dabei gleich. Ich strebe nicht nach Ruhm, sondern danach, nützlich zu sein."


    Da fiel mir noch etwas ein. "Da wir gerade bei nützlicher Lebensweise sind. Iunius Scato ist noch bei den Cohortes Urbanae, richtig? Weilt er in Rom? Oder weilt überhaupt ein Iunier in Rom? Ich habe bisher nur Sklaven in diesem Domus gesehen? Ist jemand verheiratet und hat Kinder?" Natürlich konnte meine Verwandtschaft auch einfach gerade unterwegs sein und später nach Hause kommen. Doch schien es mir schon sehr ungewöhnlich, dass hier nur Sklaven zu sehen waren.

  • Als Tacitus in makelloser Koine antwortete, zeigte Terpander ein seltenes Lächeln. "Dein Lehrer war offensichtlich erfolgreicher als ich. Ich habe meine Schüler nie für das Auswendiglernen von Grammatiktabellen begeistern können." Wahrscheinlich, weil er es selbst grauenvoll fand und seinerseits erst spät Latein gelernt hatte, so dass er zwar aufgrund der vielen Praxis inzwischen fehlerfrei, aber mit starkem Akzent sprach.


    Den philosophischen Ausführungen konnte er folgen, auch wenn er ihre Sinnhaftigkeit aufgrund seiner klaffenden Bildungslücke nur zum Teil begriff. Das Konstrukt des Ruhms fand er jedenfalls genau so sinnlos wie Tacitus. In seiner Heimat gab es nicht einmal Grabsteine, geschweige denn, dass man einen Namen hineinmeißeln würde. Ein Feldherr lag bei seinen Soldaten und in den gleichen Kleidern, seine Leistung wurde nicht hervorgehoben. Er aß und lebte auch genau so und war generell kaum von seinen Untergebenen zu unterscheiden. Wenn er da an die aufgemotzten senatorischen Feldherren Roms dachte, die selbst im Feldlager in einer Villa residierten ...


    "Wer aber bestimmt, was dieser Weg sein soll? Ein jeder selbst? Die Götter? Der Stand, in den man hineingeboren wurde? Wer sagt, dass du nun nach Rom kommen und als Verwalter arbeiten solltest? Unabhängig davon würde ich dir empfehlen, nachdem du dich erholt hast, nach einem Patron Ausschau zu halten. Er wird dir helfen können, eine geeignete Anstellung zu finden."


    Terpander begann, die Habseligkeiten des Iuniers einzuräumen. Der Herr würde sich melden, wenn er etwas an einem anderen Platz wünschte.


    "Mein Herr Iunius Scato wohnt theoretisch in Rom, das ist richtig. Er diente einige Jahre bei den Cohortes Urbanae, wurde aber vor einigen Monaten zu den Prätorianern abkommandiert. Zum Schutz des Caesar weilt er momentan in Germania, wo er als Militärarzt nun reichlich Fronterfahrung sammeln darf." Hoffentlich steckte das Sensibelchen das weg, Terpander hegte da seine Zweifel. "Ich vermute, er wird eines Tages nach Rom zurückkehren, denn eigentlich haben die Cohortes Praetoriae in Germania nichts zu suchen, das ist Sache der Ala und der Legio, doch man kann es nicht sicher wissen. Und natürlich hoffe ich es auch."


    Der Stümper Unauris würde Terpander jedenfalls nicht würdig vertreten können. Nachdenklich rieb Terpander seinen silbernen Bart, als er darüber nachdachte, wo sich welche Verwandtschaft momentan aufhielt.


    "Caius Iunius Caepio weilt ebenfalls in Rom, doch er ist - wieder mal - verschwunden. Es bietet in meinen Augen keinen Anlass zur Sorge, da Caepio dafür bekannt ist. Vielleicht führt er ein Geschäft in den Schatten oder hat eine nicht repräsentative Familie gegründet, über die Gründe seines wiederholten Untertauchens lässt sich nur spekulieren. Wir werden warten müssen, bis er von selbst entscheidet, wieder von sich hören zu lassen.


    Titus Iunius Verax und seine Schwester Iunia Proxima betreiben meines Wissens eine Taberna in Kappadokien. Von beiden hat man seit längerem nichts gehört, was bedauerlich ist. Wenn du einen Brief schreiben würdest, könntest du sicher mehr erfahren." Terpander hoffte nicht, dass es schlechte Neuigkeiten gäbe.


    "An Verwandtschaft, die nicht iunisch ist, hält sich ansonsten Sisenna Seius Stilo in Rom auf, ebenfalls ein Prätorianer. Den könntest du auf einen Wein einladen. Er ist allerdings ein Soldat durch und durch. Er ist der Onkel von Scato und Caepio, außerdem hat er einen Iunier adoptiert: Iunianus Fango, der allerdings ebenfalls in Germania weilt und in der Ala dient."


    Das waren viele Informationen und nur teilweise erfreulich, hoffentlich schwirrte dem weit gereisten Gast nicht der Kopf.

  • Ich musste leicht schmunzeln, als Terpander kurz erwähnte, dass er seinen Schülern nicht die Grammatik der Koine nahe bringen konnte. Ich erinnerte mich noch lebhaft daran, wie erbärmlich meine Koine war, als ich in Alexandria ankam. Erst in den Diskussionen, wo auch gerne einmal mangelnde Grammatikkentnisse des Gegenübers als Angriffspunkt aufgenommen wurden, hatte sich meine Sprache wirklich verfeinert. Vielleicht hatte mir auch das Studium weiterer Sprachen ein wenig geholfen, mein Sprachgefühl zu verbessern.


    Terpanders Fragen gefielen mir. Sie erinnerten mich an die Fragen und Diskussionen, die ich im Museion hatte. So dozierte ich, natürlich in Koine. "Ein jeder würde gerne seinen Weg bestimmen, doch ist es zwecklos, das zu versuchen. Denn wir sind nur sehr bedingt Herren unseres Weges. Auch der Stand sagt wenig aus. Es sind letztlich die Götter, doch anders, als wir uns das vielleicht denken. Der göttliche logos, wenn man so will, hat die Grundlagen gelegt. Die Natur ist, wie sie ist. Die Menschen sind, wie sie sind. Das ist die Basis der Eigenschaften, die dem logos entspringen. Doch alles interagiert mit allem, und so entsteht unser Weg. Am Ende fügt sich alles so, wie es die Götter wollten." Ich machte eine kurze rhetorische Pause. "Vielleicht nehmen wir ein anschauliches Beispiel. Das Wesen des Wassers ist es, flüssig zu sein und zu fließen. Das Wesen der Atome ist es, unteilbar zu sein und nach unten zu streben. Also müsste doch alles Wasser in den Senken sein, und okeanos genannt werden. Doch unter der Hitze der Sonne steigt das Wasser nach oben. Die Hitze zwingt es auf einen anderen Weg, als den, der seinem Wesen entspricht. Dann sammelt es sich in Wolken, Wasseratome verbinden sich zu Tropfen. Doch während das einzelne Atom leicht ist, ist der Tropfen deutlich schwerer. Es regnet. Der Tropfen fällt zu Boden. Dort verbindet er sich mit weiteren Tropfen zu einem Bach. Der Bach fließt nach unten, deshalb strebt er zum Meer. Aus Bächen werden Flüsse. Und schließlich landen sie im okeanos. Doch wenn sie nicht fließen könnten, dann würden sie nie den Weg zu ihrer Bestimmung finden. Es ist die Fähigkeit des Fließens, die sie ihren Weg zurücklegen lässt. Und auf ihrem Weg bringen sie Nutzen. Die Pflanzen erhalten Feuchtigkeit, die Schiffe Wege, die Menschen Freude. Dadurch, dass das Wasser seinen Weg fließt, stiftet es der Welt Nutzen. Wir sehen das Ergebnis. Doch hat jedes Ergebnis einen Grund, eine Ursache. Und jede Ursache ist das Ergebnis einer vorangegangenen Ursache. Folgt man dieser Kette von Ursachen konsequent weiter, bis es keine weitere Ursache mehr gibt, hat man den Ursprung gefunden. Dieser Ursprung ist der göttliche logos. Leider genügt unser Leben nicht, um einmal die ganze Kette zu analysieren. Doch können wir uns immerhin dem logos annähern, indem wir die Summe der wissenschaftlichen Erkenntnisse betrachten."


    Die Nachrichten über meine Verwandtschaft machten mich nachdenklich. Die große Gens Iunia schien nicht mehr allzu groß zu sein. "Ich werde auf jeden Fall einen Brief nach Kappadokien schreiben und auch Sisenna Seius Stilo auf einen Wein hierher einladen. Es lohnt sich immer, die Familienbande zu stärken. Ich war viel zu lange fort und habe viel zu wenig mit meinen Verwandten korrespondiert. Vielleicht kann Seius Stilo mir auch Ratschläge geben, wer sich als Patron eignen würde."


    Als Terpander meine Toga einräumen wollte, unterbrach ich ihn. "Halt, die Toga kann ins Bad. Sie sollte sauber sein und ich gedenke, sie bei meinem Weg durch Rom zu tragen."


    "Das Bad soll übrigens nicht ausführlich ausfallen, sondern vor allem der Sammlung meiner Gedanken und der Reinigung meines Körpers dienen. Danach ein wenig Brot mit Olivenöl zur Stärkung und dann sollten wir uns Rom ansehen." Ich goss mir etwas Wasser in das Glas und gab nur einen kleinen Schluck Wein dazu. Nachdem ich einem Schluck getrunken hatte sagte ich "Posca zum Brot wäre nicht verkehrt."

  • "Oh, Seius Stilo kann dir zu allem möglichen Rat geben, besonders, wenn du nicht mit dem Wein geizt. Er weiß viel. Prätorianer eben. Und sicher hat er auch guten Rat für dich, wem du dich als Patron empfehlen könntest."


    Terpander legte die Tunika beiseite, so dass er sie anschließend ins Bad tragen konnte, ehe er die übrigen Sachen weiter einräumte, während Iunius Tacitus sprach. Am Ende fragte Terpander:


    "Wenn alles fließt, weil der göttliche logos am Ende jede Ursache und jede Wirkung bedingt, bleibt dann noch Raum für freie Entscheidungen? Oder sind auch unsere Gedanken nur eine Folge dieses Flusses?" Eine deprimierende Vorstellung, fand er.


    "Da du vorhin fragtest: Keiner der mir bekannten Iunier ist verheiratet oder hat Kinder. Nicht einmal Iunia Proxima, die wie so viele andere im besten Heiratsalter ist. Was daran liegt, dass die Iunier oft andere Prioritäten setzen als Familiengründung. Manche wehren sich sogar mit Händen und Füßen dagegen, als sei die Ehe eine Bedrohung. Viele iunische Männer ziehen die Gegenwart ihrer Kameraden jener der Familie vor und die Feuer eines Militärlagers dem heimischen Herd. Andere ruft die Ferne und sie sehnen sich mehr nach exotischen Ländern als nach dem Heimathafen. Darf ich fragen, welche Vorstellungen du von deinem künftigen Privatleben hast, dominus?"


    Jetzt war er ja gespannt, ob Tacitus tatsächlich die einzige lebende Ausnahme sein würde, die sich nach Ehe und Sesshaftigkeit sehnte.


    Malachi steckte kurz den Kopf durch die Tür und vermeldete, dass das Bad fertig sei. Terpander fuhr herum. "Nach dem Bad Brot mit Olivenöl für den Herrn, dazu Posca", kommandierte er und schickte den Mann wieder davon. Nicht gemeckert war genug des Lobes. Er verstaute die letzten Sachen von Iunius Tacitus, nahm die Tunika, dann richtete er sich wieder auf.


    "Entnehme ich deinen Worten richtig, dass du deine Gedanken schnell und effektiv zu sammeln pflegst, anstatt lange im Wasser zu liegen? Du möchtest, dass man dich möglichst schnell und effizient reinigt? Keine Massage nach der langen Reise, keine Rasur oder Fußpflege, keinerlei Schnickschnack, nur eine Reinigung und sonst nichts?"

  • Die Aussage zu Seius Stilo bestätigte mich in meinem Entschluss, diesen zeitnah einzuladen. Auch wenn ich selbst es bevorzugte, möglichst wenig Wein zu trinken.


    Die Nachfrage zur Philosophie beantwortete ich so, wie mein aktueller Stand der Erkenntnis es zuließ. "So, wie ich es sehe, sind unsere Gedanken nur eine Folge dieses Flusses. Vielleicht vermögen wir, sie ein wenig in Richtung des einen oder anderen Ufers zu lenken, doch letztlich werden wir mit dem Fluss weitergetrieben."


    Die Aussagen zu meiner Gens schockierten mich, auch wenn ich es mir nicht anmerken ließ. Die Frage zu meiner Vorstellung von meinem künftigen Privatleben konnte ich dafür sehr leicht beantworten. "So es in meiner Macht liegt, werde ich eine standesgemäße Ehefrau haben, bevorzugt hübsch und gebildet, und mit ihr Kinder zeugen. Später werde ich meine Kinder in Philosophie unterweisen und mich daran erfreuen, wenn sie es mir gleich tun und am Museion lernen. Und ich werde weiterhin forschen und Bücher schreiben. Vielleicht auch zusammen mit meinen Kindern."


    Terpanders Fragen zum Bad quittierte ich mit einem zufriedenen Lächeln. "Ich sehe, du verstehst mich, Terpander."

  • "Was den Fluss der Gedanken angeht, hoffe ich, dass er breit ist und viel Spielraum ist, sollte dem wirklich so sein, wie Platon es vermutet. Das Leben wie ein Theaterstück abspielen zu lassen, ohne Einfluss nehmen zu können, erschiene mir ansonsten trist."


    Das Leben eines Sklaven eben, doch bislang hatte Terpander reichlich Freiheiten genossen, da er die meisten Arbeiten delegiert. Mal sehen, wie Tacitus das handzuhaben gedachte, ob er die Zügel enger schnallen würde oder Terpander sein eigenwilliges Dasein beließ.


    "Eine standesgemäße Ehefrau mit allen von dir gewünschten Eigenschaften wirst du hier in Rom zu finden vermögen. Du bist ein gebildeter und ansehnlicher Mann aus gutem Hause. Ein Vater, der da Nein sagt, wäre ein Tor. Kinder sind die Zierde einer jeden Ehe, deren ursprünglichster Zweck, doch leider ist das ein Punkt, den die meisten Iunier in letzter Zeit umschiffen. Ich bin froh, dass du nicht vorhast, die Gens aussterben zu lassen."


    Kinder waren die Seele des Volkes. Er selbst mochte sie. Terpander verbot sich die Erinnerung an den Taygetos, dessen Eiskrone wie kein anderes Wahrzeichen dafür stand, was seine eigene Heimat ausmachte, und daran, was dort auch unter römischer Herrschaft noch immer geschah. Doch hier in Rom war es anders.


    "Wenn du mich dann bitte ins Balneum begleiten möchtest ... Malachi hat alles für das Bad vorbereitet."

  • Nach meinen ersten Recherchen wollte ich die Ergebnisse kurz aufzeichnen, um später nichts zu vergessen. Also notierte ich:


    Nach Lex Iulia et Papia ist es untersagt, dass ein Senator eine Freigelassene heiratet oder mit einer Freigelassenen verheiratet ist.


    Eine entsprechende Ehe ist auch ein Hinderungsgrund, um zum Senator berufen zu werden.


    Im Sinne des Gesetzes ist das Ansehen der Braut oder Ehefrau als Person relevant, weil diese würdig sein muss, mit einem Senator verheiratet zu sein.


    Der Makel der Freilassung ist das relevante Kriterium. Dieser bliebe wahrscheinlich auch nach Adoption haften.


    Adoption ist keine Lösung.


    Ich sah mir meine Notizen noch einmal an. Irgendetwas stimmte nicht. Dann fiel es mir auf.


    Denkfehler! Das Ansehen der Braut oder Ehefrau war nicht das Problem. Es war nur das scheinbare Problem. Das eigentliche Problem lag tiefer. Die Aufnahme der Braut oder Ehefrau in den Ordo Senatorius war es! Das war sogar noch schlimmer...


    Also korrigierte ich meine Notizen.


    Nach Lex Iulia et Papia ist es untersagt, dass ein Senator eine Freigelassene heiratet oder mit einer Freigelassenen verheiratet ist.


    Eine entsprechende Ehe ist auch ein Hinderungsgrund, um zum Senator berufen zu werden.


    Im Sinne des Gesetzes ist das Ansehen der Braut oder Ehefrau als Person relevant, weil diese würdig sein muss, mit einem Senator verheiratet zu sein.


    Nach dem Mos Maiorum ist der Senat die Vertretung der freien Bürger. Mitglieder des Ordo Senatorius haben frei zu sein. Eine Versklavung widerspricht diesem.


    Der Makel der Freilassung ist das relevante Kriterium. Dieser bliebe wahrscheinlich auch nach Adoption haften.


    Adoption ist keine Lösung.


    Jetzt sahen die Notizen deutlich schlüssiger aus. Ich legte die Tabula beiseite. Der grundsätzliche Sachverhalt war geklärt, doch nun musste ich immer noch eine Lösung finden. Ich fragte mich nur, welche. Doch morgen wäre auch noch ein Tag. Vielleicht fand ich nach weiterem Studium der Gesetze einen Hinweis, wie ich meinem Mandanten helfen konnte.

  • Erneut kehrte ich von Recherchen zurück. Ich nahm mir erneut die Wachstafel zur Hand und korrigierte noch einmal.


    Nach Lex Iulia et Papia ist es untersagt, dass ein Senator eine Freigelassene heiratet oder mit einer Freigelassenen verheiratet ist.


    Eine entsprechende Ehe ist auch ein Hinderungsgrund, um zum Senator berufen zu werden.


    Im Sinne des Gesetzes ist das Ansehen der Braut oder Ehefrau als Person relevant, weil diese würdig sein muss, mit einem Senator verheiratet zu sein.


    Nach dem Mos Maiorum ist der Senat die Vertretung der freien Bürger. Mitglieder des Ordo Senatorius müssen Freigeborene haben frei zu sein. Eine Versklavung widerspricht diesem.


    Der Makel der Freilassung ist das relevante Kriterium. Dieser bliebe wahrscheinlich auch nach Adoption haften.


    Eine freigelassene Person kann nach der Rechtslage niemals den Status einer freigeborenen Person zurück erhalten.


    Adoption ist keine Lösung.


    Eine unrechtmäßige Versklavung würde den Status wieder zu dem einer Freigeborenen zurücksetzen.


    Ist die Versklavung anfechtbar?


    Dann nahm ich mir eine weitere Tabula zur Hand, um sauber getrennt die Besonderheiten der patrizischen Ehe zu notieren.


    Für Patrizier gelten eigene Ehegesetze.


    Nach Tabula XI, Articulus I, Lex Duodecim Tabularum waren ausschließlich Ehen unter Patriziern für diese erlaubt.


    Die Lex Canuleia hob diese Beschränkung auf. Seitdem sind auch Ehen zwischen Patriziern und Plebejern erlaubt. Plebejer sind aber immer noch römische Bürger.


    Eine rechtliche Erlaubnis einer Ehe zwischen einem Patrizier und einer Frau, die nicht mindestens Plebejerin ist, erscheint äußerst fraglich. Eine teleologische Extension auf Peregrini erscheint weder von den Menschen noch von den Göttern gewollt.


    Es bedarf des römischen Bürgerrechts beider Ehepartner, um eine rechtswirksame Ehe mit einem Patrizier einzugehen.


    Angenommen, die Versklavung sei unrechtmäßig gewesen, könnte Adoption dann eine Lösung sein?


    Skeptisch las ich beide Tafeln noch einmal durch. Ich müsste also die Rechtmäßigkeit des Sklavenstatus anfechten und dann noch eine Adoption durch einen römischen Bürger durchführen lassen. Ich benötigte mehr Informationen. Die einzige Person, die mir diese Informationen geben konnte, war die Sklavin. Noch war nicht Abend und die Villa Aurelia lag auch nicht allzu weit von der Domus Iunia entfernt. Also ließ ich mich in meine Toga kleiden und machte mich auf den Weg zur Villa Aurelia.

  • Aulus Iunius Tacitus ertrug seine blonde Last wie ein Mann mit stoischer Würde. Trotzdem wusste Terpander, dass der Herr gestresst war, denn das erste Mal überhaupt hatte er einem Sklaven gedroht. Nicht mit der Knute, nicht mit Nahrungsentzung, sondern gleich mit den Schwefelminen. Damit war Iunius Tacitus in Terpanders Achtung gestiegen, was nicht vielen gelang, und vielleicht sogar in seiner Zuneigung.


    Er dachte nach, während er das Bett bezog, eigenhändig diesmal, mit frisch gewaschenen und in der Sonne getrockneten Laken und Decken. Das Bettzeug nicht nur mit reiner Seifenlauge zu waschen, sondern duftende Essenzen beizugeben, war auf Terpanders Anweisungen zurückzuführen. Er, dessen Nase so fein wie die eines Jagdhundes war, vertrat die Ansicht, Gerüche könnten den Geist beeinflussen. Der Geruch von Eisen, Blut und Urin brachte das Blut in Wallung, der von Sand, salziger Haut und Öl entfachte die Lebensfreude neu, während warme Milch mit Honig an die Zeit an der Mutterbrust erinnerte und eine beruhigende Wirkung entfaltete. So sehr er Dekadenz verabscheute: Zielgerichtet eingesetzte Düfte dienten einem Zweck. In dem Fall dieses Bettzeugs war es eine Mischung aus beruhigenden Kräutern und, ja, Milch mit Honig war auch dabei. Sie hatte die Stoffe weich und seidig gemacht und sollte gemeinsam mit den Kräutern für einen tiefen und erholsamen Schlaf sorgen.


    Terpander strich eine Falte auf dem Kissen glatt, vorerst zufrieden. Er würde den Herrn nicht fragen, wie es ihm gefallen hatte, sondern ihn, wie es seine Art war, beobachten, ob der Duft die beabsichtigte Wirkung entfaltete oder nicht. Trotzdem blieb da ein Schamgefühl, weil er anscheinend unnötig freundlich gewesen war, so dass er das Zimmer verließ und eine Weile nicht mehr in dessen Nähe kam. Seine Rolle hatte sich zu tief in sein Herz gefressen, er sollte gegenwirken. Oder weshalb wollte er, dass der Herr nach diesem turbulenten Tag gut schlief?


    Terpanders Meinung zu Artemisia hingegen war inzwischen dergestalt, dass man ihn besser nicht mehr danach fragte, denn dann müsste er lügen, weil seine Vorstellungen allzu dunkel waren für die Verhältnisse Roms, und besser niemand erfuhr, dass es im Laufe von Terpanders Lebens nicht immer bei solchen Gedanken geblieben war, damals, als er noch Lysander hieß und diesem Namen alle Ehre gemacht hatte. Nun trug er den Namen eines Kitharöden und machte einem Römer das Bett. Genau so gut hätte er jemanden damit beauftragen und sich in die Sonne setzen können. Die Welt war verrückt.


    Im Garten blieb er stehen, schüttelte den Kopf über sich selbst, schickte Malachi nach einem Becher Wasser und setzte sich in die Sonne.

  • Nachdem ich die Versorgung Artemisias veranlasst hatte, zog ich mich wie fast jeden Abend in die Bibliothek zurück. Andere mochten ausgehen, ich vermehrte mein Wissen und schrieb an eigenen Werken. Vermutlich machte mich das zu einem komischen Kauz in den Augen meiner Mitbürger. Wahrscheinlich war ich das auch. Doch so war ich nun einmal, im Herzen immer noch mehr Philosoph als irgend etwas anderes.


    Müde vom Schreiben des Gesetzesvorschlags, den ich meinem Patron versprochen hatte, hatte ich mich schließlich gewaschen und fiel ins Bett, während ich die Augen kaum noch offen halten konnte. Ich hoffte, dass Artemisia meine Warnung verstanden hatte. Wenn nicht, würde ich sie leider in die Schwefelminen schicken müssen. Ich drohte niemals, ohne die Drohung absolut ernst zu meinen. Vielleicht war es der Einfluss Apollons, der immerhin zu meinen bevorzugten Gottheiten gehörte. Doch nun legte ich mich erst einmal hin.


    Meine Nase nahm einen ungewohnten Geruch wahr. Nicht zu stark, nicht aufdringlich. Kräuter vielleicht? Honig? Lavendel? Auf jeden Fall war es angenehm, wenngleich mich der logische Teil schalt, dass ich nicht gegen den ungewohnten Duft rebellierte. Es widersprach der Einfachheit, die ein Philosoph anstreben sollte. Doch schon bald verblasste die Logik und auch der Rest. Ich schlief.


    Am nächsten Morgen war ich so gut ausgeruht, wie schon lange nicht mehr. Meine innere Anspannung, die mich stets antrieb, schien mir geringer zu sein als üblich. Wie seltsam. etwas verwundert ging ich ins Balneum, beschränkte mein Bad wie immer auf die notwendige Reinigung und kam frisch angekleidet wieder zurück zu meinem Cubiculum. Hier trank ich, wie üblich, den Rest des Wassers in der Karaffe vom Vorabend. Dabei dämmerte mir langsam, dass jemand mein Bettzeug mit duftenden Kräutern und vielleicht noch anderen Mitteln gewaschen haben musste. Dass Terpander dahinter stecken könnte, vermutete ich nicht. Obwohl ich mir sicher war, dass er zumindest wusste, wer verantwortlich war. Doch würde ich ihn nicht fragen. Er hatte die Domus im Griff. Wichtig war mir nur, dass ich nicht zuließ, dass so etwas allzu oft vorkam. Ein scharfer Verstand durfte nicht durch Annehmlichkeiten getrübt werden.

    Doch zunächst stand ein neuer Tag an. Weitere Aufgaben, die zu erfüllen waren. Präzise, logisch, emotionslos. Wie immer.

  • Terpander legte den bereits geöffneten Brief der kaiserlichen Kanzlei auf den Arbeitstisch von Aulus Iunius Tacitus:


    Ex administratione imperatoris


    An den Juristen Aulus Iunius Tacitus.


    - Domus Iunia -


    Der Imperator Caesar Tiberius Aquilius Severus Augustus

    gewährt die gewünschte Audienz.

    Der Zutritt

    in das an jenem Tage bezeichnete Officium Imperatoris

    in der Domus Flaviana auf dem Palatin,

    wird durch die Prätorianer am Tor gewährt.


    Der Termin ist angesetzt für


    ANTE DIEM XV KAL SEP DCCCLXXIII A.U.C. (18.8.2023/120 n.Chr.)


    um die vierte Stunde.




    Siegel - Procura Augusti

  • Terpander brachte einen Brief, der an der Porta abgegeben worden war, ins Zimmer des Aulus Iunius Tacitus:


    Ad

    Aulus Iunius Tacitus


    Salve, werter Iunius.

    Du wirst dich fragen wer dir diese Nachricht schicken ließ und hier auch schon sie Aufklärung.

    Ich, Paulkus Germanicus Aculeo, wäre erfreut meine Einladung anzunehmen und dich, zu einer beliebigen Zeit deiner Wahl, im Officium des Procurstor a cognitionibus einzubinden.


    Nebenbei wurde ich auf dich aufmerksam als ich der Anhörung zur Causa Kyriakos beiwohnte.


    Vale


    Paullus Germanicus Aculeo

    admimp-procuratoracogni.png

  • Das Jahr neigte sich dem Ende und endlich war die Reise nach Germanien greifbar nahe. Ich hatte Dicon angeordnet, mein Schreibzeug ordentlich zu verpacken, so dass ich auf meiner Reise Bücher verfassen konnte. Das hatte zunächst Priorität. Meine anderen Sachen würden am Tag der Abreise durch Begoas gepackt werden. Als Dicon mir das verpackte Schreibzeug brachte, ordnete ich an, dass er Terpander mitteilen sollte, dass dieser mich begleiten sollte. Für einen kurzen Augenblick erschien es mir so, als würde ich so etwas wie Erleichterung in Dicons Gesicht erkennen. Daher ermahnte ich ihn, dass die Abwesenheit des Maiordomus ihn nicht zum Faulenzen verleiten sollte. Und um auf Nummer sicher zu gehen, ordnete ich an, dass ich Monatsberichte von Dicon erwartete. Außerdem ließ ich ihn wissen, dass ich diese durchaus auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen würde. Dann ließ ich ihn Terpander informieren.

  • Der Tag der Abreise war gekommen. Ich hatte mich von meinem Patron verabschiedet und Mercurius ein Opfer dargebracht. Meine Schreibutensilien waren bereits verstaut und nun wurden auch meine restlichen Sachen von Begoas gepackt. Vor allem bei meiner Toga sah ich mit Argusaugen zu, damit sie auch ordentlich gefaltet war. Ersatz-Calcei, zwei Subuculae, zwei wollene Tuniken, dazu noch Socken - man wusste ja nie, wie kalt es in Germanien werden würde. Eine Zinnschüssel, Bronzebesteck und ein bronzener Becher, damit ich unterwegs im Zweifelsfall noch etwas zum Speisen haben würde. Und natürlich einen Kamm und Öl, damit ich mich pflegen konnte. Gekleidet war ich in eine warme Wolltunika, Calcei und eine dicke Paenula.


    Nachdem alles gepackt war, wurde es auf mein Pferd verladen, welches ich mir von einem zufriedenen Mandanten gekauft hatte. Ich hatte darauf bestanden, dass es für Reitanfänger geeignet war, denn ich war kein erfahrener Reiter. Wozu auch? Am Museion war ein Pferd völlig unnütz, in Rom genauso und auf See war es auch nicht allzu hilfreich. Das würde sicher spannend werden, ab Missilia zu reiten. Tatsächlich bevorzugte ich - ziemlich unrömisch - Seereisen. Das war vielleicht der starke griechische Einfluss, den das Museion auf mich hatte. Doch nun gab es kein zurück mehr. Es war Zeit, abzureisen.

  • Terpander hatte mit einem mulmigen Gefühl beim Packen geholfen. Dass er persönlich mit anpackte und sich nicht damit begnügte, andere zu scheuchen, zeigte vielleicht seine Sorge. Der Gedanke, womöglich allein zur Verwaltung der Domus Iunia zurückgelassen zu werden, gefiel ihm gar nicht. In einem seltenen Anfall von Selbstreflexion fragte er sich, ob er es vielleicht mit irgendetwas übertrieben haben könnte, doch er sagte natürlich nichts. Terpander sagte nie, wenn ihn etwas bedrückte, aber er sorgte dafür, dass jeder es ihm ansah und überall, wo er auftauchte, die Stimmung in den Keller stürzte.

  • Terpander sah irgendwie nicht allzu glücklich aus. Ich fragte mich, woran das liegen mochte.


    "Hat Dicon dir mitgeteilt, dass du mit nach Germanien kommen sollst?"

  • Terpander schwieg einen Augenblick, bevor er antwortete. "Nein, das hat Dicon nicht!" Weil dieser Nichtsnutz wusste, dass Terpander es nicht gut aufnahm, fortgeschickt oder zurückgelassen zu werden. Dicons letzte Rache. Aber was galt schon der Kleinkrieg eines Schreibers, jeder konnte schreiben, auch Terpander hatte es im fortgeschrittenen Alter noch gelernt.


    "Jedenfalls ist das gut. Die Domus Iunia in Mogontiacum war das letzte Mal in einem verwahrlosten Zustand, weil Unauris faul ist und dumm. Sein Herr hat ein sanftes Herz." Aber ob das noch immer so war? Fango war mittlerweile Soldat und diente in einer gefährlichen Grenzprovinz. Entweder er weinte jeden Abend heimlich unter der Bettdecke, wie Terpander es prophezeit hatte, oder er war unter den Adlern zum Mann gereift. Er nickte noch einmal. "Ja, es ist eine vernünftige Entscheidung, dass ich mitkomme!" Den Gedanken an Scato aber würgte Terpander ab, weil er von ihm fortgeschickt worden war.


    Terpanders Mundwinkel zogen sich ein winziges Stück auseinander. "Dann bin ich mit dem Packen wohl doch noch nicht fertig." Da Tacitus bereits aufbruchsbereit war und nun alles schnell gehen musste, fegte Terpander das letzte Mal wie ein Orkan durch die Domus Iunia, jeden aufscheuchend, den er fand. Terpander besaß nicht viel, aber die Reisevorräte mussten aufgestockt werden. Dicon schleppte heute die schwersten Dinge, ertrug eine Sturmbö der übelsten dorischen Schimpfworte, die selbst dem abgebrühten Malachi die Schamesröte ins Gesicht trieben, und Dicon spürte auch Terpanders Peitsche in den Kniekehlen. Er wusste, wofür.


    Das letzte Werk war vollbracht. Terpander verabschiedete sich von keinem. Und als er das letzte Mal die Tür hinter sich schloss, kehrte endlich wieder Frieden unter den Sklaven der Domus Iunia ein.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!