Auf einen Plausch - Matidia & Scato

  • Die warme Frühlingssonne lockte das junge Grün aus den Bäumen. Verwilderte Hecken trugen ihr natürliches Kleid, ungestutzt und ungebändigt. Drumherum summten Bienen und Hummeln. Man sah dem Garten an, dass die Gärtnerin fehte, und Scato, so sehr er die Gartenarbeit liebte, fand nur wenig Zeit dafür. Sein ganzes Augenmerk galt jetzt dem Granatapfelbaum, der nun wieder im Freien stand, und den Kräutern. Unauris, der Faulpelz, hatte das Laub vom Herbst auf einen Haufen gekehrt und auf Scatos Bitte hin nicht verbrannt. Immerhin hielt er das Haus innen und außen sauber, wenn er schon wenigstens zur Gartenarbeit noch zu handwerklichen Aufgaben taugte. Trotz allem konnte Scato der wilden Schönheit ihren Reiz abgewinnen und liebte den Garten mit all seinen Makeln. Mehr noch liebte ihn der Pfau Narcissus, der darin allerhand zu entdecken, zu picken und zu scharren fand.


    Apropos wilde Schönheit, er hatte sich vorgenommen, mal wieder einen Plausch mit Iunia Matidia zu halten. So saß er wartend mit ein paar Knabbereien und kühlem Brunnenwasser auf der geflochtenen Sitzgarnitur. Früher oder später würde sie schon eintreffen. Er blinzelte in die Sonne, als eine Amsel zeternd vorbeiflog, lächelte kurz und schloss die Augen.

  • „Verschwinde, du Biest!“ Ein wenig zu spät war sie, wie so oft, denn natürlich hatte die junge Römerin es nicht sehr eilig oder auch nur nötig, irgendwelche Termine einzuhalten. Weder in Rom, wo sie es gewohnt war, dass die Männer, wenn sie nicht schon von selbst darauf kamen, dass man einer Frau wie ihr besser die Füße küsste, spätestens nachdem man gemerkt hatte, dass sie aus einer guten Familie stammte, Wohlstand in der Hinterhand hatte und noch dazu von den Göttern geküsst und äußerst ansehnlich war (zumindest, wenn man sie fragte), ihr aus der Hand fraßen, sondern erst recht in der Provinz. Und, so leid es ihr tat, denn sie war hier tatsächlich sehr gut aufgenommen worden und konnte weder ihrer entfernten Familie, noch den Bediensteten und schon gar nicht den tapferen Legionären, die hier am Rhenus das Imperium verteidigten, einen Vorwurf machen, hatte sie ein wenig von ihrer Bugwelle verloren, als sich abgezeichnet hatte, dass die Verletzung ihrer Mutter es nötig machte, ein wenig länger hier zu bleiben.

    Spätestens die Begegnung mit einem gewissen Decurio hatte das junge, wilde Herz so weit verwirrt, dass sie gerne hier blieb. Rom, das hatte seine Vorteile, und ihr Bruder war nun sogar dort. Aber hier, da wollte ihr Herz sein. Und Matidia war noch nie jemand gewesen, der länger als nötig geplant hatte!


    Der olle Pfau, dem es doch hier im Norden sicher viel zu kalt war, wurde handwedelnd abgewehrt, als er ihr zu nahe kam, vielleicht in der Hoffnung, etwas Nahrung zubekommen. Möglich, dass er sie mit einem Weibchen verwechselte, allerdings wäre Matidia wohl eher mit einem männlichen Pfau zu vergleichen als mit einem graubraunen weiblichen Exemplar dieser Art. Daran verschwendete sie aber selbstverständlich nicht einmal einen Gedanken.

    Sie war im Hause der Iunier, weil Scato sie bestellt hatte, und natürlich folgte sie diesem Ruf. Sie hatte ihren eigenen Kopf, aber sie war immer noch eine Iunierin, und respektierte ihre Pflichten. Auch, wenn sie in der letzten Zeit mehr als eine Nacht keinen Schlaf gefunden hatte, da sie den Moment, als sie kühn in Sabacos Seite gekniffen hatte, immer und immer wieder nachgelebt hatte. Es war nicht recht, dass jemand ihre Präsenz so störte! Dennoch konnte sie ihm nicht böse sein. Und war ebenso froh, dass sie nun Scato treffen würde.


    Eben schritt sie um einen hässlichen Dornbusch, als sie ihn dort sitzen sah. „Salve, Scato!“ Sie schüttelte den Kopf. „Wir brauchen einen Gärtner.“ Immerhin: Wir.

  • Scato öffnete die Augen, als er Geräusche im Garten vernahm. Das Nahen der liebreizenden Verwandten war nicht zu überhören, denn Iunia Matidia galt nicht eben als Personifikation vornehmer Bescheidenheit. So erhob Scato sich auch schon, um sie gebührend zu empfangen, als sie gerade um den Dornbusch trat, der um diese Jahreszeit mehr tot als lebendig wirkte, jedoch im Sommer prächtige Wildrosenblüten schob.


    War Scato anfangs noch ein wenig brüskiert gewesen von Iunia Matidias Auftreten, so wusste er es inzwischen zu deuten. Ihr Zorn war so wenig Bosheit wie ihre fordernde Art Arroganz war - nicht wirklich. Man konnte nicht immer seine Gedanken und Gefühle aussprechen, ohne sich der Verweichlichung schuldig zu machen, nicht zuletzt hatte man seinen Stolz. Was das betraf, so war er inzwischen sicher, war Iunia Matidia ganz Iunierin, und so lange sie schimpfte, waren die Dinge im Großen und Ganzen in Ordnung, doch etwas nagte an ihrer Seele.


    Der Pfau ließ sich anstandslos vertreiben, der Garten war groß genug für sie alle. Die Frühlingssonne spielte auf der (heute sauberen) Sitzgruppe und ein Zitronenfalterpärchen flatterte über ein Rasenstück voller Gänseblümchen. Der unansehnliche Grill war nirgends zu sehen. Unauris hatte ihn wohl in weiser Voraussicht aus dem Blickwinkel der Sitzgruppe entfernt.


    "Ein Gärtner wäre in der Tat nicht schlecht. Ich denke, wenn meine Dienstzeit abgelaufen ist, werde ich mich ganz meinem Kräutergarten widmen, spätestens in zehn Jahren ist also zumindest dieser Teil des Gartens in bester Ordnung. Salve, schön dich zu sehen, Matidia." Scato bot ihr eine Umarmung an, mal sehen, ob sie diese annahm.

  • Man durfte ruhig mitbekommen, wenn Matidia sich näherte. Die Rolle, die sie für sich selbst als angemessen und praktikabel befunden hatte, war häufig ein wenig aufgesetzt, aber sie hatte sich auch sehr gut darin eingefunden. In Rom war sie gar nicht so weit von anderen wohlsituierten Töchtern entfernt, es gab manche, die ihr da sogar noch ein wenig voraus waren, aber am Ende basierte das alles auf dem, was man von ihr erwartete oder zu befürchten hatte.

    Ein Pfau war da fein heraus, denn er lebte sein Leben, wie es ihm gefiel, und die Iunierin war auch nicht wirklich daran interessiert, ihn allzu bald festlich zu verspeisen. Dafür war er dann doch zu hübsch anzuschauen, und Matidia mochte schöne Dinge eben doch zu sehr, als dass sie diese einfach so opfern könnte.


    Dennoch. Iunia Matida war in Mogontiacum erstmals allein und bestimmte über sich selbst, in einem gewissen Rahmen zumindest. Welche Auswirkungen das eventuell haben mochte, wusste sie selbst noch nicht, doch die Saturnalien hatten Spuren hinterlassen.

    Dennoch. Ihre Laune war nicht schlecht. Allein: wie konnte man je zufrieden sein, wenn nur das Beste gut genug war?

    "Zehn Jahre?" Matidia war verwirrt. Wer hatte soviel Zeit? Dennoch, Scato war ein guter Mann, er hatte sich um sie gekümmert, als sie diese Hilfe benötigt hatte, und das würde sie ihm nicht so leicht vergessen. Sie schaute kurz skeptisch, dann trat sie an ihn heran, drückte sich an ihn, den Oberkörper mithilfe ihres einen Armes, dann löste sie sich von ihm. "Was gibt es Neues, Scato?", fragte sie also, recht sanft.

  • Na also. Es ging doch. Mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck umarmt Scato seine Verwandte und bot ihr anschließend einen Stuhl an. "Setz dich doch. Was es Neues gibt? Vieles. Das kommt darauf an, was dich interessiert." Er selbst nahm ebenfalls Platz. "Ich könnte dir davon erzählen, dass Hilda nicht mehr unter uns weilt. Von unseren Fortschritten im Kampf gegen das Sumpffieber. Davon, dass ich endlich den Brief deines Bruders beantwortet habe. Ob irgendetwas davon für dich interessant ist, musst du mir verraten, dann kann ich ins Detail gehen. Wie aber geht es dir, Matidia? Das ist für mich die wichtigste Frage. Hast du dich gut in Mogontiacum eingelebt?"

  • Gerne nahm sie den angebotenen Platz an und setzte sich anmutig, legte die Hände auf ihren Oberschenkeln über einander und schaute gar zauberhaft aus. "Mich interessiert fast alles. Ich kenne mich mich hier noch nicht gut genug aus.", erklärte sie und das war die Wahrheit. Alles konnte interessant sein, man wusste ja nie, wem man so über den Weg lief. Wer hätte gedacht, dass sie sich nun schon wieder für einen Soldaten interessieren würde?

    "Was schreibt mein Bruder? Und was hat es mit diesem Fieber auf sich?" Unwillkürlich schaute sie auf ihre Hände, überprüfend, ob diese vielleicht irgendwie anders, krank, aussahen, bevor sie Scato wieder anschaute. "Mir? Mir geht es gut! Ausgezeichnet! Das hier ist zwar nicht Rom, aber ... Man hält es aus." Sie lächelte wissend. "Ich habe schon interessante Mä... Leute getroffen."

  • "Dass es dir gut geht, ist das Wichtigste. Freut mich, dass du es hier aushalten kannst, auch wenn hier alles recht provinziell zugeht. Ich merke das vor allem beim Essen, manche Dinge sind für die Sklaven schwer zu bekommen, aber ich bin nicht mäklig, abgesehen davon, dass ich kein Vogelfleisch esse."


    Niedlich sah sie aus, wie sie dort saß und ihre Händchen verschränkte. Sie war zweifelsohne die schönste Blume des verwilderten Gartens.


    "Das Sumpffieber ist eine Erkrankung, die sich sehr lang hinziehen kann und oft tödlich verläuft", begann er in jenem ruhigen, gleichmäßigen Tonfall, den Ärzte anzuschlagen pflegen, wenn sie einen langen Vortrag begannen und bei dem es sich vortrefflich schlafen lässt, doch je weiter er fortfuhr, umso schneller und aufgeregter sprach er. "Vielleicht sind es sogar mehrere verschiedene Krankheiten, die unter diesem Begriff bekannt sind, da die Symtome sich zum Teil unterscheiden. Die Patienten leiden entsetzlich, bis sie im fortgeschrittenen Stadium in einen langen Dämmerschlaf verfallen, aus dem viele nicht mehr erwachen. Es begann in der Classis und hat sich von dort aus in der Ala ausgebreitet und für zahlreiche Todesopfer gesorgt. Auch unter meinen Bekannten."


    Scato ließ keine Pause, um die aufkommenden Gedanken zu unterdrücken, die aus seiner Erinnerung aufstiegen, die Gesichter der Menschen, von denen ihm einige sehr nahegestanden hatten und die er trotz aller Fürsorge nicht hatte retten können. "Inzwischen sind die Zahlen jedoch rückläufig, da wir Ärzte einheitenübergreifend zusammegearbeitet haben, um eine Therapie zu entwickeln. Darüber bin ich froh und es macht mich auch ein bisschen stolz, da ich federführend dabei sein durfte. Es hat sehr lange gedauert, zu lange für viele der Patienten, doch heute können wir die meisten Erkrankten retten, auch wenn der Heilungsprozess sich nach wie vor über Wochen in die Länge zieht. Du kannst gern Fragen dazu stellen, aber da ich zum Monologisieren neige, wenn es um medizinische Themen geht, komme ich jetzt erstmal zu Tacitus."


    Er ließ eine Pause und holte Luft, da er recht schnell gesprochen hatte. Ihm ging das Thema nach wie vor nahe.


    "Zunächst ist mir die tadellose Rechtschreibung wie auch Rhetorik deines Bruders aufgefallen. Er ist also entweder ein Naturtalent oder hatte hervorragende Lehrer. Da er von Studien in Alexandria schrieb, vermute ich sogar beides, da sie dort am Museion wohl auch nicht jeden nehmen. Inzwischen wohnt er allerdings in der Domus Iunia in Rom, was hervorragend ist. Es hat mich geschmerzt, die Domus verwaist zu hinterlassen. Es ist gut, wenn er dort jetzt wohnt und Leben einzieht."


    Die Sklavenschar zählte er nicht dazu, auch wenn er ein halbwegs gutes Verhältnis zu den meisten von ihnen gepflegt hatte. Er rechnete einzig die Mitglieder der Gens. "Tacitus verdingt sich jetzt als Jurist, wie euer Vater, und ist damit anscheinend erfolgreich. Außerdem hat er gebeten, dich von ihm zu grüßen, was ich hiermit erledige." Er blinzelte freundlich. "So, du hast also interessante Leute getroffen."


    Scato vermutete, sie spielte auf das Fest der Gens Duccia an, zu dem er selbst leider nicht hatte erscheinen können, weil sein Dienst es nicht zuließ. Der - vielleicht absichtliche - Versprecher war ihm nicht entgangen und er deutete ihn korrekt, doch das war für ihn in Ordnung. Matidia war schließlich in dem Alter, da man sich in der Regel füreinander zu interessieren begann. "Wer sind diese Leute denn?" Jetzt grinste er verschmitzt. Mal sehen, ob sie bereit war, ein wenig zu plaudern, oder ob sie ihre neue Bekanntschaft vorerst für sich behalten wollte. Ihren Geschmack würde er zu gern wissen, rein aus Neugier.

  • Matidia nickte artig, als Scato wieder sprach. Sie war nicht freiwillig hier, es war nicht einmal geplant gewesen, daher fiel es ihr erstaunlicherweise leichter, mit den Umständen zurechtzukommen, weil es eben Schicksal war und nichts, was sie hätte beeinflussen können. Immerhin, man war wenigstens in Mogontiacium und nicht in irgendeinem Barbarendorf. Wobei Letztere ja auch durchaus hier anzutreffen waren. „Ich werde einiges zu erzählen haben, sobald wir wieder daheim sind.“ Sie ging noch immer davon aus, dass ihre Mutter bald gesund werden würde und man die Reise fortsetzen könnte.



    Als Scato dann von der Krankheit, von diesem Fieber erzählte, wurde sie sehr hellhörig, denn natürlich kam ihr auch dabei sofort ihre Mutter in denn Sinn. Was, wenn sie ebenfalls daran erkranken würde? In ihrem geschwächten Zustand wäre das sicher eine Katastrophe!


    Zunächst machte Matidia sich wirklich große Sorgen, doch später erklärte der Mann ja, dass man die Kranken nun heilen könne. Das war gut. Man würde sich ja vermutlich bevorzugt um eine Frau wie sie kümmern, wenn nicht, würde Matidia dafür schon sorgen! „Es ist vielleicht doch keine so gute Idee, dass meine Mutter sich mitten im Lager der Soldaten aufhält?“, überlegte sie laut. Natürlich bewegte diese sich dort nicht, aber die Krankheit war dort ja vorhanden.



    Als Scato von ihrem Bruder berichtete verschwanden diese Bedenken aber zunächst, denn von Tacitus zu hören war sehr erfrischend und keine Alltäglichkeit. Bei ihm liefen die Dinge sehr rund, wie es schien, und es klang so, als würde er Vaters Erbe antreten. Was kein Wunder war, denn: „Er ist mein Bruder, ich habe nichts anderes erwartet.“, sagte sie und meinte das durchaus ernst. Es wäre schon sehr verwunderlich, wenn ihr Bruder ihr nicht ähnelte, sondern seinen Kopf nicht einzusetzen wüsste. Dennoch war es schön, eine Bestätigung zu hören. „Danke.“, meinte sie halblaut, als Scato den Gruß weiterleitete.



    Nur halblaut, da Scato ihr kleines verhaspeln wohl mitbekommen hatte und nun darauf einging. Das ließ sein Grinsen vermuten, und nachdem sie sich kurz ärgerte, dass ihr so ein Fehler unterlief, sie sich dann kurz ertappt fühlte und schließlich ebenfalls lächeln konnte, antwortete sie. Es war ja kein Geheimnis und sollte es auch nicht sein! „Ein Mann.“, erklärte sie, falls das nicht klar war. „Ein Decurio, der mich ins Theater ausgeführt hat.“ Sie war durchaus stolz, dass sie so schnell so etwas erlebt hatte, und man sah ihr sicherlich am Glanz ihrer Augen und dem Strahlen ihres Gesichts an, dass das Theater dabei recht nebensächlich gewesen war.

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