[Gemonische Treppe] Kein Totenfest für Hochverräter

  • Die Gemonische Treppe

    Die Gemonische Treppe war ein Treppenbau, der vom Kapitol über das Forum bis zum Tiber hinabführte und dabei am Staatsgefängnis, dem Carcer Tullianus, entlanglief. Unter den ersten, deren Leichname dort in entehrender Absicht ausgestellt worden waren, war der Prätorianerpräfekt Lucius Aelius Seianus gewesen, Stilos Vorfahr. Die Zeiten änderten sich. Mit bitterem Blick und ohne jedes Mitleid im Herzen wohnte Stilo dem heutigen Ereignis bei, das er selbst in die Wege geleitet hatte.


    519-standort-der-germonischen-treppe


    Die Sonne brannte auf Rom und vom Tiber kroch der Gestank von Fäkalien und Verwesung hinauf. Stilo rann der Schweiß die Schläfen hinab, während er fest geradeaus sah. Hier, an der Gemonischen Treppe, blies der Herold heute ein vertrautes Signal. Es lockte jenen Schlag Menschen herbei, die sich gern an Tod und Elend weideten. Wer noch nie einem solchen Ereignis beigewohnt hat, wäre vielleicht erschrocken über ihre völlige Durchschnittlichkeit. Sie alle waren normale Leute, Männer, Frauen und Kinder, die nun die Hälse reckten, um mehr zu sehen und wurden belohnt: Ein bleicher, aufgedunsener Leichnam wurde an einem Haken durch Rom gezerrt. Diese infame Aufgabe übernahmen der Carnifex und seine Gehilfen im Auftrag des Tresvir capitales. Niemand außer ihnen wusste, dass der Tote einer von jenen war, welche die unmenschlichen Haftbedingungen der Prätorianer nicht überlebt hatten. Doch wen sie hier und heute an seinen Bestimmungsort verbrachten, das wussten auch sie nicht. Niemand außer den Prätorianern selbst kannte den Namen des Mannes oder wusste, wofür er einst festgehalten worden war.


    Bei der Gemonischen Treppe angelangt ließen die Gehilfen des Henkers den Toten fallen. Kurz darauf folgten weitere Körper, drei an der Zahl, alle in schauderhaftem Zustand, sei es durch das Schleifen ihrer unbekleideten Körper über den blanken Boden Roms oder schon zu Lebzeiten verstümmelt durch das, was ihnen widerfahren war.


    Die Bestrafung von Hochverrätern endete nicht mit ihrem Tod: Es war generell untersagt, einen Hingerichteten zu bestatten. Bei Verurteilungen für Hochverrat und Verwandtenmord wurde der Leichnam auch nicht auf ein Ersuchen hin an die Verwandten ausgehändigt, sondern unwürdig entsorgt. Weder Totentrauer noch Feiern zu Ehren des Toten durften stattfinden. Sein gesamtes Andenken wurde vernichtet, seine Bilder und sein Name ausgelöscht. Auch die radikalen Christen fielen der Damnatio memoriae anheim.


    Und so wusste niemand außer den Prätorianern, die dem Prozedere gleichmütig beiwohnten, dass die vier Toten folgende waren:

    Dann ertönte erneut das Hornsignal und der Herold gebot Stille. Der Tresvir capitales, zu diesem Anlass im Trauergewand, trat vor, flankiert von seinen Liktoren. Hinter ihm stieg ein Schwarm Möwen auf, die sich auf das Aas freuten. Er hielt eine zornsprühende Rede, in der es um den Sieg der römischen Götter ging, um ein Signal an alle Feinde Roms und um Gerechtigkeit vor allen Dingen. Alles folgte festem Ritual, bis er den Platz wieder verließ. Die Menge wurde entfesselt, eine Meute durchschnittlicher Menschen, welche die Toten nun traten, verhöhnten, schlugen, bespuckten und am Ende wie Schakale zerrissen. Man würde die Reste hier liegen lassen, bis die Verwesung stattgefunden hatte, und sie dann mit dem Haken in den Tiber ziehen, wo sie ins Tyrrhenische Mehr hinabtrieben. Ein Hund, der vielleicht einem Toten gehörte oder ein Menschenfreund war, schrie herzerweichend, am ganzen Körper zitternd, ohne etwas gegen dieses Treiben unternehmen zu können. Das Tier besaß mehr Herz und Menschlichkeit als die Menschen selbst.


    Stilo wandte den Blick von dem Hund ab und wieder der Menge zu, im Gesicht ein Ausdruck tiefer Herablassung. Was immer dieser Menschheit jemals widerfuhr, sie hatte es verdient. Er sah die Fluten des Tiber, die in der heißen Sonne glitzerten, und dachte noch einmal an Seianus, jenen großen Mann, der zu gut gewesen war für eine Menschheit, der nichts als Verachtung gebührte.

  • Das Spektakel war vorüber, die Menge zerstreute sich. Auch die Cohortes Praetroriae durften gehen. Pansa, der Stilos Gemütszustand bemerkte, rempelte ihn freundschaftlich mit der Schulter an, während sie nebeneinander her gingen.


    Stilo rempelte zurück. "Was machst du heute noch, Pansa?", fragte er.


    "Mal schauen, ich wollte in die Therme gehen. Ich bin so was von verschwitzt. Und du?"


    "Nimmst du mich mit?"


    "Blöde Frage." Er rempelte Stilo ein zweites Mal an.


    Stilo grinste kurz und ein wenig kraftlos, dann wurde er wieder ernst. Noch war der Dienst nicht beendet. Er sammelte seine Männer und gemeinsam kehrten sie zurück in die Castra Praetoria, wo sie alle noch mindestens eine Stunde damit zu tun haben würden, anzutreten und sich anzuhören, was Stilo ihnen zum Abschluss des Dienstes sagen wollte, und zu guter Letzt ihre Ausrüstung in Ordnung zu bringen.

  • Die Prätorianer wachten. Ein weiterer Tag brach an, doch nicht für jeden. Die Gemonische Treppe wurde erneut Zeugnis der Schande. Das Volk schrie, als mehrere entstellte Körper an Haken über das Pflaster geschleift wurden:


    Die Bürger

    • Sextus Equitius Turpio
    • und Lucius Roscius Dento

    waren in den Kerkern der Prätorianer durch das Schwert gerichtet worden. Doch sie waren nur die populärsten Opfer, deren Hinrichtung eines besondern Befehls durch den Kaiser bedurft hatten. Hinzu kamen etliche Peregrini aus den Carcern der Cohortes Urbanae, für deren Beseitigung kein kaiserlicher Befehl notwendig gewesen war. Sie entstammten den Zugriffen während der Einsatzbefehle III und IV in der Causa Christenrazzia:

    • Pinus
    • Sufenas
    • Raphael
    • Iraklis
    • Maria
    • Avgi
    • Kathus

    Hinzu kam ein Peregrinus, der durch die Cohortes Praetoriae während des Einsatzbefehles II in der Casa Didia festgesetzt worden war und der als Letzter von diesem Schwung Gefangenen noch am Leben geweilt hatte:

    Auch der Körper eines Sklaven wurde zu diesem Anlass beseitigt:

    Stilo verspürte tiefe Erleichterung, eine innere Befreiung wie von schweren Ketten. Die übervollen Kerker konnten wieder durchatmen und bald würde auch die stetig wachsende Akte zur Causa Christenrazzia geschlossen werden können. Der bürokratische Aufwand, der eigentlich gar nicht seine Aufgabe war, hing Stilo zum Hals raus, doch er wusste, wofür er sich diese Pflicht freiwillig aufgebürdet hatte. Die Akte war seine Eintrittskarte für den nächsten Karriereschritt, die Leichen seine Treppe hinauf. Die Christen hatten ihre Strafe bekommen und Stilo würde seinen Lohn erhalten. Die Mühlen des Imperiums mahlten langsam, aber stetig.


    Er atmete tief durch. Bald.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!