Secundus nickte und ging.
Er freute sich schon auf die kommende Woche , es schien spannend zu werden.
Secundus nickte und ging.
Er freute sich schon auf die kommende Woche , es schien spannend zu werden.
Nachdem meine Schüler gegangen waren, verließ ich den Raum und verschloss diesen hinter mir. Immerhin waren Bücher nicht ganz wertlos. Danach kaufte ich mir noch einen Happen in der Basilika, welchen ich auf meinem Weg nach Hause verzehrte.
Eine Woche später ging es weiter. Ich war etwas früher da, um noch alles vorzubereiten. Nachdem ich die Taberna aufgeschlossen hatte, legte ich für jeden Schüler je eine Kopie meines Buches zur Auslegung der Gesetze auf den Tisch. Da ich nur zwei Schüler hatte, konnte ich die Kopien selbst anfertigen und mit einer kurzen Widmung versehen. Die Widmungen waren recht einfach und, bis auf den Namen des Schülers gleich und lauteten "[Name], möge dieses Buch dir ein nützliches Nachschlagewerk sein, wenn du es benötigst. Dein Magister Iuris Aulus Iunius Tacitus".
Secundus erscheint pünklich und sogar ausgeschlafen. An seinen Platz findet er das Büchlein seines Lehrers.
Auch die Widmung erfreut ihn. Das Werk kann er dann später seinen Enkel zeigen,so er denn je welche hat und zu jenen sagen, schaut her wenn euer guter Großvater kannte!
Wohlgelaunt setz er sich.
Es freute mich, dass ich Secundus mit meiner Widmung anscheinend eine Freude gemacht hatte. Allerdings fehlte noch jemand.
"Aemilius, auch wenn ihr beide in unterschiedlichen Einheiten dient: Weißt du zufällig, wo Matinius steckt?"
Leider Nein, ist mir nicht bekannt.
Da konnte man wohl nichts machen.
"Wahrscheinlich ist ihm etwas Dienstliches dazwischen gekommen. Nunja, da kann man nichts machen. Immerhin wird er auch alles in dem Buch zur Gesetzesauslegung nachlesen können, da muss Matinius dann eben mehr im Selbststudium lernen und eventuell einen von uns fragen."
Nach dieser kurzen Bemerkung schien es mir sinnvoll, mit der Lektion zu beginnen. Bei einem kostenpflichtigen Kurs hätte ich wohl noch etwas gewartet, aber da mein Kurs kostenlos war, gab es dafür keinen Anlass.
"Wollen wir anfangen?"
Bitte gern.
"Nun denn. Das heutige Thema ist die Auslegung von Gesetzen. Diese ist von größter Bedeutung für die Arbeit als Jurist. Das liegt daran, dass wir als Juristen argumentieren müssen, warum ein gewisser Sachverhalt verboten oder erlaubt ist oder warum welche Strafe verhängt werden sollte. Das stärkste Argument ist aber das Gesetz. Der Gesetzgeber hat aber ein Grundproblem: Man muss die gesetzlichen Regelungen einerseits präzise genug fassen, damit es keine Willkür gibt. Wir haben ja gelernt, dass Gesetze festgelegte Regeln sind. Durch die Festlegung von Regeln soll Willkür verhindert werden. Andererseits muss ein Gesetz aber auch flexibel genug sein, um leichte Variationen eines geregelten Sachverhalts zu erfassen. Schließlich bildet ein Gesetz immer einen idealtypischen Fall ab. In der Realität wird ein Fall aber nur sehr selten genau so aussehen, wie sich das der Gesetzgeber gedacht hat. Es gibt leichte Abweichungen. Die müssen aber dennoch erfasst werden, weil sonst bereits eine geringe Abweichung dazu führt, dass der Fall auf einmal ungeregelt ist. Die Flexibilität führt aber dazu, dass das Gesetz ausgelegt werden muss, um eine Unterordnung eines Sachverhalts unter eine gesetzliche Regelung zu ermöglichen. Und genau das wollen wir heute lernen. Ist bis hierhin alles klar?"
Mir war bewusst, dass wir uns hier auf ein sehr abstraktes Gebiet begaben. Doch dieses Gebiet war leider der Kern juristischer Tätigkeit.
"Verzeih mein Grinsen, aber gerade das Makabre, oder wie Du es nennst Abstrakte, ist eines meiner Steckenpferde. Ergo, sollte genau das meine Aufmerksamkeit erregen. Ja, ich verstehe den Sachverhalt."
Ich war mir nicht wirklich sicher, ob er verstanden hatte, ließ mir aber nichts anmerken. Stattdessen kam ich zum eigentlichen Thema.
"Kommen wir dann also zur Auslegung der Gesetze. Die Gesetzesauslegung erfolgt nach den Regeln, die von Juristen allgemein anerkannt sind. Hält man sich an diese Regeln, so wird die eigene Argumentation akzeptiert. Weicht man davon ab, so muss man damit rechnen, dass die eigenen Argumente nicht akzeptiert werden. Die erste und grundlegendste dieser Regeln ist sehr einfach: Der Wortlaut des Gesetzes gibt genau das wieder, was der Gesetzgeber sagen wollte. Man hat also grundsätzlich nach dem Wortlaut auszulegen. Bei neueren Gesetzen ist das einfach. Bei älteren Gesetzen ist es oft schwierig. Das liegt daran, dass sich die Sprache über Jahrhunderte wandelt. Dadurch kann sich die Bedeutung von Worten ändern. Und manchmal verstehen wir die alten Texte kaum noch, so wie der Liedtext des Carmen Saliare heute für viele kaum noch verständlich ist, weil diese Form des Latein nicht mehr gesprochen wird. Das kann einem auch bei sehr alten Gesetzen passieren, vor allem im Pontifikalrecht."
Dadurch, dass ich einen Schluck Posca zu mir nahm, ließ ich Aemilius kurz Zeit, das Gesagte in seinem Geist zu verankern.
"Was machen wir aber, wenn sich die Bedeutung einiger Worte gewandelt hat? Es gibt einige Herangehensweisen. Die beste Möglichkeit ist es, die ursprüngliche Bedeutung herauszufinden und anzuwenden. Das kann durchaus gelingen, beispielsweise durch die Verwendung eines Gesetzeskommentars, in dem diese festgehalten wurde. Der geübte Jurist zitiert dann das Gesetz und formuliert es so um, dass die ursprüngliche Bedeutung in moderner Sprache erklärt wird. Aber was, wenn man die ursprüngliche Bedeutung nicht mehr herausfinden kann? Dann hilft uns unser Rechtsempfinden. Der Mos Maiorum ist die übliche Quelle unseres Rechtsempfindens. Daher wird das Gesetz so ausgelegt, dass die moderne Bedeutung der Worte mit dem Mos Maiorum in Einklang gebracht wird. Das Ergebnis sollte fast immer vertretbar sein. Eine letzte Herangehensweise ist die Auslegung des Gesetzes nach seinem Zweck. Wenn die beiden anderen Herangehensweisen nicht zu einem vertretbaren Ergebnis führen, kann man immer nach dem Zweck auslegen. Dazu werde ich aber später noch mehr erzählen. Gibt es bis hierhin Fragen?"
"Im Moment nicht, danke der Nachfrage."
Secundus grübelte über die Bedeutung von Worten , welche ihren Ursprung verloren.
Im kam das Pergament eines schludrigen Gerichtsschreibers in den Sinn, welches man einem Cerwandt brachten und diesen gehörig in Schwitzen.
Der Schludrian schrieb"Hängen nicht laufen lassen."
"Nun, dann können wir ja eine einfache Übung machen. In Tabula I, Lex XII Tabularum, finden wir folgenden Spruch: ASSIDUO VINDEX ASSIDUUS ESTO.* Was ist mit dem Wort 'Ansässiger' gemeint?"
*Einem Ansässigen sei auch ein Ansässiger Bürge.
"Ein Ansässiger ist eine Person welche an einem Orte lebt, ergo ansässig ist.
Jeder kann nur eines andren ,am selbige Orte lebenden, Bürge sein. wobei immer gilt, Bürge kann jeder werden, der eine bessere Bonität vorweist, als der für den zu Bürgenden, so habe ich es zumindest gehört. Bonität bedeutet zweierlei höhere Stellung unf besseres Einkommen."
"Das ist die Definition eines Ansässigen, die wir jetzt haben. Das Zwölftafelgesetz stammt aber aus einer anderen Zeit. Damals war Rom noch eine Polis und kein Imperium. Es gab kaum Peregrini in Rom. Deshalb ist der Begriff 'Ansässiger' als 'ansässig in Rom' zu verstehen. Das bedeutet, dass nur römische Bürger 'Ansässige' im Sinne der Lex XII Tabularum sind. Wie man sehr schön sieht, gibt es hier einen Wandel der Bedeutung des Wortes. Demnach bedeutet dieser Spruch, dass einem Römer nur ein Römer Bürge sein kann."
Ich ließ eine kurze Pause, um das Gesagt sacken zu lassen.
"Wir können zur Sicherheit auch noch eine weitere Wissensquelle zu Rate ziehen. Bei der Lex XII Tabularum handelt es sich um quiritisches Recht. Es gilt nur für Quirites, also Bürger Roms. Wenn es aber quiritisches Recht ist, dann können mit 'Ansässigen' nur Römer gemeint sein."
Schließlich wollte ich mich noch dem letzten Teil der Antwort des Secundus widmen.
"Über Stellung und Einkommen sagt dieser Spruch nichts aus. Genauer gesagt, der erste Satz des Spruches, mit dem wir uns beschäftigt haben. Der Spruch hat aber noch einen zweiten Satz: PROLETARIO IAM CIVI QUIS VOLET VINDEX ESTO.* Für einen Proletarier soll also jeder andere Römer bürgen können. Zwar ist nicht definiert, dass es sich um einen Bürger einer höheren Klasse handeln muss, doch macht dieser Satz keinen Sinn im Kontext des Spruchs, wenn ein Proletarier für einen Proletarier bürgen könnte. Dass nur der bürgen kann, der über genügend Vermögen verfügt, um die Bürgschaft abzusichern, ist hier nicht schriftlich fixiert. Das ist aber gesunder Menschenverstand und wurde deshalb nie in Zweifel gezogen. Dass man einen Bürgen normalerweise nicht benötigt, wenn man selbst über genügend Vermögen verfügt, ist ebenso logisch. Insofern ist deine Antwort natürlich absolut richtig. Ich wollte das nur einmal anhand des Gesetzestextes herausstellen. Zusammengefasst heißt es also, dass nur Römer für Römer bürgen können und nur der Vermögendere für einen Ärmeren. Zu guter Letzt noch eine Frage zum Zweck. Warum sollen nur Römer für andere Römer bürgen können? Bedenke dabei auch, dass Rom damals nur eine Stadt mit etwas Land drunherum war und kein Imperium."
*Einem Bürger der untersten Klasse (Proletarius = Angehöriger der untersten Zenturie der Comitia Centuriata, den Besitzlosen) soll Bürge sein, wer es sein will.
Wenn mich nicht alles täuscht, hatte das , dasss nur Römer für andere Römer bürgen können, mit der Urbs Roma zu tun. Also mit Privilegien der Stadt und ihre Bürger, nur sie waren prozess und damit auch bürgfähig.
Ich nickte zustimmend.
"Die Prozessfähigkeit ist zweifellos ein wichtiger Zweck dieser Rechtsnorm. Bedenkt man, dass Rom damals nur eine Polis war und kaum Peregrini in der Stadt lebten, so wird klar, dass man eigentlich nur Römer als Bürgen belangen konnte. Es handelt sich demnach um einen Schutzzweck für die Gläubiger."
Nach einer kurzen rhetorischen Pause fuhr ich fort.
"Allerdings erklärt es nicht, warum für einen Proletarius jeder Bürge sein kann, der es will. Hier muss noch ein weiterer Zweck vorliegen. Betrachten wir dazu die damalige Verfassung der Res Publica, die ich ab sofort als Res Publica Antiqua bezeichnen möchte. Die bedeutendste Macht bei Wahlen hatten die Comitia Centuriata. Sie wählten die Konsuln und die Prätoren. Sie gewährten also Macht, die mit Imperium verbunden war. Außerdem wählten sie alle fünf Jahre die Censoren. In den Comitia Centuriata waren alle römischen Bürger einer Centuria zugewiesen. Patrizier und Ritter stellten 18 Centuriae, schwere Fußsoldaten, also vermögende Bürger, die keine Ritter waren, stellten 80 Centuriae der Prima Classis, und insgesamt gab es 193 Centuriae. Jede Centuria hatte eine Stimme. Die Besitzlosen, also die Proletarier, stellten genau eine Centuria. Bedenkt man dieses, so wird schnell klar, dass es auch um den Schutz der Res Publica Antiqua ging. Ein Bürge hat, wie du bereits festgestellt hattest, auf denjenigen, für den er sich verbürgt, einen Einfluss, der dem eines Patrons auf seinen Klienten entspricht. Wenn man zugelassen hätte, dass Peregrini für vermögende Bürger bürgen dürfen, hätte das ihnen einen ernsthaften Einfluss auf die Stimmen in den Comitia Centuriata gegeben. Bei den Proletariern war das unkritisch. Was konnte eine Centuria schon ausrichten? Außerdem erscheint es sehr unwahrscheinlich, dass man für einen Vermögenslosen bürgt."
Nach einem Schluck Wasser sprach ich weiter.
"Wie wir an diesem Beispiel gesehen haben, kann die Auslegung nach dem Wortlaut bereits Schwierigkeiten bereiten. Im Beispiel haben wir das am Wort 'Ansässiger' gesehen. Wir haben aber auch gesehen, dass die Auslegung nach dem Zweck noch schwieriger sein kann. Den Hauptzweck, nämlich den Schutz der Gläubiger, konnten wir noch gut erkennen. Den Nebenzweck aber, nämlich ausländischen Einfluss auf die Res Publica Antiqua zu verhindern, konnten wir nur nach einer Erörterung der Verfassung der Res Publica Antiqua erkennen. Deshalb sollten wir grundsätzlich nicht nach dem Zweck, sondern nach dem Wortlaut auslegen. Nur in den Fällen, wenn die Auslegung nach dem Wort zu einem widersinnigen Ergebnis führt, sollten wir nach dem Zweck auslegen. Hast du hierzu Fragen?"
"Danke Nein, im Moment nicht, aber es isr ein interessantes Thema."
"Ja, das Thema ist interessant. Vielleicht können wir zu einem späteren Zeitpunkt einmal darüber diskutieren, vielleicht an einem gemütlicheren Ort."
Ich sammelte kurz meine Gedanken, um geordnet fortzufahren.
"Kommen wir nun zu weiteren Regeln der Auslegung, die wichtig sind. Manchmal kann es vorkommen, dass ein Fall nicht gesetzlich geregelt ist. Wir sprechen dann von einer Gesetzeslücke. Wenn wir auf eine Gesetzeslücke treffen, müssen wir zuerst ermitteln, ob sie möglicherweise beabsichtigt ist. Eine beabsichtigte Gesetzeslücke hat der Gesetzgeber deshalb offen gelassen, weil er diesen Sachverhalt für nicht regelungsbedürftig hielt. In diesem Fall sollen die Betroffenen eigenständig eine Regelung finden. Das kann auch vor Gericht sein. In diesem Fall muss der Richter eine Regelung finden. Dabei muss darauf geachtet werden, dass ein vernünftiger Ausgleich der Interessen der Betroffenen gefunden wird. Gerne wird gesagt, dass mit einem solchen Ausgleich alle zufrieden sein sollen. Realistisch liegt ein fairer Ausgleich dann vor, wenn alle Betroffenen unzufrieden sind."
Ich grinste kurz.
"Allerdings sind solche beabsichtigten Lücken eher selten. Meistens sind Gesetzeslücken unbeabsichtigt. Dann sollten wir uns zuerst unsere Traditionen, vor allem den Mos Maiorum, ansehen. Wenn sich die Lücke so nicht schließen lässt, muss man sich in allen Gesetzen umsehen. Wenn es einen ähnlichen Sachverhalt gibt, der in einem anderen Gesetz geregelt ist, dann können wir eine Analogie herstellen. Aus dieser Analogie wird dann auch die Regelung abgeleitet. Am besten übernimmt man die analoge Regelung komplett. Wenn es weder nach Mos Maiorum, noch nach Analogie eine Regelung gibt, können wir uns noch die gesammelten Urteile der Prätoren ansehen. Dort könnte es einen, wenigstens analogen, Präzedenzfall geben. Falls es den auch nicht gibt, bleibt als letzte Möglichkeit die Füllung der Lücke im Sinne des Zwecks des Gesetzes, in dem die Lücke ist. Gibt es Fragen zu Gesetzeslücken?"
"Also in meiner kurzen Amtszeit , als Beamter habe ich ich solch eine Gesetzeslücke selbst erlebt, anstatt des übel Beleumundeten, war ich es der vor Gericht schuldig gesprochen wurde. Ich habe nur nach bessten Wissen und Gewissen gehandelt im Sinne Roms, nur der Richter sah es wihl anders. wurm mich immer noch."
Aus den Worten klangt Bitterkeit hervor.
Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!