Das Atrium

  • "Ratbald Teutomarssohn. Willkommen in der Familie.", ergriff Lando den Unterarm des jungen Mannes, der wenige Sommer jünger war als er selbst, und doch im Wesen die Unbekümmertheit zeigte die wenigen Mannen aus Magna vergönnt war.

  • Witjon schmunzelte, als er die Vorstellung verfolgte. Er musste an seine Ankunft in Mogontiacum denken und wie Irminar ihn willkommen geheißen hatte. Jetzt war das Landos aufgabe, da Dagmar außer Landes war und Irminar sie verlassen hatte. Wie schnell sich die Dinge doch änderten...

  • Solange Lando mit Ratbald beschäftigt war musterte Ragin Lando kritisch von der Seite. Dieser war ein Bär von einem Mann und wirkte sehr selbstsicher obwohl er nicht viel älter als Ratbald sein konnte.
    Das er Junge genannt wurde mochte er zwar nicht, aber das hier war schließlich das Familenoberhaupt, also schluckte er eine spitze Bemerkung herunter.


    Dann wandte sich Lando zu ihm und er strackte ihm seinen Arm hin.
    "Mein Name ist Ragin. Sohn des Teutomar und der Raginhild. Ich freue mich dich kennen zu lernen und ich möchte mich bedanken, dass ihr mein Bruder und mich so freundlich in die Familie aufgenommen habt."
    Neben dem Riesen fühlte er sich noch kleiner und schmaler als das sowieso schon der Fall war.

  • Als sich der jüngere der beiden vorstellte schmunzelte Lando diesen an. Er war es gewohnt so dünne Gestalten in Magna zu sehen, schließlich hielt der Hunger und die Stammeskriege immer wieder ganze Völker auf den Knien. Bei diesem Jungen jedoch schien es anders zu sein, er war wohl von Natur aus so... was Lando wieder über die Lebensumstände in Magna sinnieren ließ, normalerweise kamen Kinder die Schwach auf der Brust waren nicht über den zweiten Winter. Der wache Geist hinter den Augen des Jungen machte Lando aber neugierig...


    "Dann sei auch du gegrüßt, Ragin Teutomarssohn. Ich hoffe ihr hattet eine einigermaßen sichere Reise? Die Grenzposten haben euch ohne Murren passieren lassen?"


    Es interessierte ihn ja schon wie es immer wieder freie Germanen schafften ohne Schikane ins römische Reich einzuwandern, es konnte ja nicht jeder einfach durch den Rhenus schwimmen wie er...

  • "Wir hatten keine Probleme. Die Grenzposten fanden uns nicht weiter interessant. Wir hatten nämlich nichts dabei. Unsere Waffen und alles was sonst irgendwie wertvoll war, haben wir in der Nacht davor in einem Bündel über den Limes geworfen, weit genug weg vom nächstgelegenen Grezposten, damit die Chance bestand dass es nicht gefunden wurde. Ratbald hat zum Glück sehr starke Arme und warf das Bündel rüber."


    Ragin war heute noch stolz über diese Idee.


    "Am Grenzposten sagten wir dann, dass unsere Familie im römischen Reich wohnt, und wir ebenfalls dorthin wollen. Anscheinend sahen sie uns nicht als Gefahr und würdigten uns kaum eines Blickes. Nachdem wir durchsucht wurden, und nichts gefunden wurde, haben sie uns durchgelassen. Nachts gingen wir dann zurück und holten unsere Sachen, die wirklich nicht gefunden wurden."


    Dann nahm er einen Schluck Met und fügte hinzu:
    "Ratbald wollte zuerst durch den Rhenus schwimmen, aber ich fand meine Idee besser. Nachher wär ich noch abgesoffen!"

  • "So friedlich geht das also heute zu?", kommentierte Lando die Grenzpassage der beiden Jungen, und streckte die Hand in Richtung Tisch um die Versammlung an den Tisch zu verlegen. Er wartete bis sich alle gesetzt hatten, und ließ sich dann selbst am Ende der Tafel nieder, so wie er es eigentlich jeden Abend machte wenn die Bewohner der Casa zusammen speisten.


    Als sie sich zusammengesetzt hatten brach er das Brot und reichte es an den links neben ihm sitzenden Ragin weiter.


    "Nun, nun erzählt mir von eurer Reise und wie ihr erfahren habt dass die Familie eures Vaters noch auf Midgard weilt? Ihr müsst entschuldigen, die Erben Wolfriks sind so dermaßen verstreut dass es uns immer wieder erstaunt dass es immernoch Verwandte gibt die in Magna überlebt haben und noch leben..."


    Während er auf die Antwort der Jungen wartete, schob Lando sich ein Stück Brot in den Mund und kaute langsam aber bestimmt darauf herum.

  • Ragin gab das Brot weiter an Ratbald und erwiederte diesem: "Das hab ich doch gesagt! Um dich hab ich mir keine Sorgen gemacht: Holz schwimmt ja!"


    Dann wandte er sich Lando wieder zu:


    "Wir wussten nur, dass die Verwandten unseres Vaters ins römische Reich ausgewadert sind. Das hat uns unsere Mutter erzählt, kurz bevor sie starb."


    Er musste kurz schlucken.


    "Woher sie das wusste, weis ich auch nicht. Aber sie hat uns auch nichts genaueres gesagt. Daher sind wir erstmal sind wir relativ ziellos umhergezogen und haben versucht uns durchzufragen. Das war mit unseren Lateinkenntnissen natürlich relativ schwer und wir haben einige falsche Spuren verfolgt. Zum Glück haben wir einen batavischen Händler getroffen, der meinte in Moguntiacum gäbe es ein Handelhaus, dass von Amisvariern betrieben wird. Wir hatten ja die Hoffnung schon fast aufgegeben und sind natürlich dementsprechend glücklich euch gefunden zu haben."

  • Aufmerksam hörte er den Ausführungen des jüngeren der beiden Brüder zu, und auch wenn ihm einiges seltsam vorkam ließ er sich das nicht anmerken. Erst als dieser geendet hatte ließ er es sich nicht nehmen genauer nachzuhaken.


    "Das heißt Raginhild, eure Mutter, hat die Kämpfe vor Jahren überlebt UND wusste dass die Familie ihres Mannes im römischen Reich lebte? Entschuldigt die Frage, aber warum seid ihr nicht früher zu uns gestoßen? Soweit ich weiß ging euer Vater davon aus dass ihr tot wart..."


    Das kam ihm doch ein wenig hispanisch vor... er selbst sah sich nicht nur in der Pflicht jedes Familienmitglied nach Kräften zu unterstützen, so wie man ihn unterstützt hatte, sondern auch darin etwaige Unklarheiten und andere Unstimmigkeiten aufzuklären, schließlich gab es bis auf die Kenntnis über die Familie keine andere Möglichkeit zu überprüfen ob man tatsächlich Angehörige der Familie vor sich hatte.

  • Ragin erzählte alles was er wusste:


    "Ja, Raginhild und wir haben überlebt. Meine Mutter dachte bis zu ihrem Tode, dass unser Vater bei einem Überfall auf unser Dorf ums Leben gekommen ist. Daher sind wir zu ihrem Stamm, den Langobarden gegangen. Ich weis nicht, wie lange sie es schon wusste, dass Verwandte meines Vaters hier wohnen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass es lange war. Ich weis auch nicht woher sie es erfahren hat. Als sie dann starb, haben wir beide uns entschlossen nach euch zu suchen, da uns nichts mehr dort gehalten hat."


    Dann stopfte auch er sich ein Stück Brot in den Mund und begann zu kauen.


    "Hmpf...wir waren dann sehr überrascht, als Albin uns dann erzählte, dass unser Vater noch gelebt hatte, hierher gekommen war und sogar einen römischen Namen angenommen hatte. Leider ist er aber trotzdem tot..." er schluckte herunter.

  • "Das ist er. Traurigerweise, aber das Leben hier im Reich ist nicht minder gefährlich als in den Stammesgebieten unserer Väter, hier stirbt man ebenso sehr an Krankheit wie an Kämpfen, nicht viele unserer Verwandten hier fallen schon wenige Monde nach ihrer Einkehr ins Reich und in den Schoß ihrer Familie den Plänen der Nornen zum Opfer, und nicht wenige schaffen es nicht das neue Leben hier zu akzeptieren... es ist nicht ungefährlich, hier zu leben.", sinnierte Lando halb abwesend vor sich hin, er hatte immer wieder feststellen müssen dass dem so war, "Aber nicht ganz so gefährlich wie eure Reise. Dass Raginhild euch zu den Stammesmenschen, die von den Römern Langobardi genannt werden, zurückgenommen hat war ihr gutes Recht, aber ihr wart dem Reich noch ferner... es wird viel für euch geben das neu ist. Welche Route habt ihr eigentlich genommen? Das muss eine Reise von mehreren Tagen gewesen sein, nicht ungefährlichen Tagen... hattet ihr Schutz?"


    Es kam ihm schon etwas seltsam vor, zwei so jungen Menschen, schutzlos durch halb Magna, und dann noch die Schwerter... woher die Schwerter?

  • "Aber unser Vater ist im Kampf gestorben, und das ist ein guter Tod, denn er war ein starker Mann."


    Dann begann er die Reise zu beschreiben:


    "Wir haben gut dreißig Tage gebraucht. Wir haben uns dabei von Römern und Soldaten ferngehalten und haben geschaut, dass wir uns bei Leuten erkundigen die germanisch aussahen. Daher sind wir auch fast nie offen auf den Römerpfaden gelaufen, sondern haben uns abseits gehalten. Wir waren früher oft jagen und sind ganz gut darin nicht gesehen zu werden. Zum Schutz hatten wir nur unsere Schwerter. Daher haben wir die ja auch über den Limes geworfen und uns später geholt. Ich bin mir sicher, dass wir die nicht über die Grenze hätten mitnehmen dürfen. Aber wir haben sie zum Glück auch gar nicht gebraucht. Vielleicht hat uns da auch Ratbalds breites Kreuz einen guten Dienst erwiesen."


    Dann zuckte er mit den Schultern


    "Ich weis gar nicht welche Route wir genommen haben. Wir haben keine Karte oder sowas und sind einfach losgelaufen. Ich weis nur, dass wir wohl in der Nähe von Borbetomagus waren, denn dort haben wir den Bataven getroffen."


    Er nahm einen Schluck Met, denn das Reden hatte seine Kehle ausgetrocknet.

  • "Gut, ich bin gleich wieder da." Meinte er zu Lando. Zu Ratbald sagte er:"Bleib sitzen, ich bring deins auch gleich mit."


    So stürmte er davon, um wenige Minuten später wieder zu kommen. Er hatte die beiden Schwerter, jedes in einer Hand, und gab sie Lando mit einem "Hier!" Die Lederscheiden wirkten alt und abgegriffen. Auch die Schwerter schienen alt, aber gut geplegt zu sein. Die eine oder andere Scharte hatten sie schon, aber sie waren doch von guter Qualität.

  • Witjon setzte sich mit den anderen und nahm das Brot entgegen, als er an der Reihe war. Er folgte dem Gespräch zwischen Ragin und Lando eine Weile, dann bemerkte er wie sein Magen grummelte. Das Brot reichte offenbar nicht, also bediente er sich großzügig. Er schaufelte ordentlich Hirsebrei auf seinen Teller, dazu schnitt er sich ein saftiges Stück vom Wildbret ab. Nachdem er seinen Becher gefüllt hatte, reichte er das Bier an Ratbald weiter. Ohne das Gespräch stören zu wollen murmelte er ein "N'Gudn!", dann schob er sich den ersten Löffel Hirsebrei in den Mund. Es folgten weitere und das Abendessen nahm seinen Lauf. Erst als Ragin dann losrannte, um die Schwerter zu holen, ließ Witjon einen Moment lang von seinem Essen ab, um dem Jungen hinterherzuschauen. Flinker Bursche... dachte er und schmunzelte Lando an. Bald erschien Ragin wieder im Atrium und Witjon lehnte sich kurz auf seinem Stuhl zurück, um Landos Reaktion zu beobachten.

  • Mit sorgenvoller Miene nahm er die Saxaz entgegen und prüfte sie mit kundigem Blick. Er selbst war oft genug versucht durch seine sehr friedfertige Tätigkeit im Reich zu vergessen dass in seiner Heimat niemand wirklich Zivilist war, und dass das Leben als Soldat und Bauer in Germania Magna eine Heimat darstellte. Auch wenn Lando noch relativ jung an Jahren war, Blut und Tod hatte er in seiner Heimat mehr als genug gesehen... und dadurch auch eine gewisse Erfahrung mit Waffen.


    "Diese Saxaz (Schwerter), lieber Ragin", konstituierte er schließlich, "wären eher Grund dafür gewesen euch die Kehle durchzuschneiden und euch im Wald verrotten zu lassen, als dass sie euch Schutz böten."


    Eindringlich wechselte sein Blick von Ragin zu Ratbald und wieder zurück, er konnte nicht fassen wie man diese beiden Jungen mit derartigem Reichtum beladen durch Magna hatte marschieren lassen ohne ihnen auch nur ein Haar zu krümmen.


    "Jedes dieser Schwerter ist soviel wert wie eine komplette Hufa (Gehöft) mit Unfreien und Getier, und beileibe mehr Wert als das Leben von Jünglingen wie euch, die durch die Landschaft marschieren als gäbe es kein Morgen. Ihr solltet den Ansewez (Asen) dafür danken dass sie euch eine so unbehelligte Reise gegönnt haben, denn viele andere würden mit eurer Erfahrung und derart Reich beladen schneller in Hels Reich weilen als sie 'friedliche Passage' hätten buchstabieren können."


    Es erzürnte ihn schon in nicht geringem Maße, dass die Leute von Raginhilds so sorglos mit ihren Sprößen umgingen, aber vielleicht steckte da auch mehr dahinter.


    "Wieso hat man euch diese Saxaz überhaupt mitgegeben? Ist der Stamm eurer Mutter so reich dass er es verkraften kann gleich zwei kostbare Schwerter zu verlieren?", es hatte Jahre gedauert und sehr viel Blut und Schmerzen gekostet bis Lando sein erstes Schwert in der Hand hielt, es hatte einem Fosi gehört dem Lando mehr durch Glück als durch Können seinen aus Holz geschnitzten Speer in die Kehle gedrückt hatte, "Wie war euer Verhältnis zu den Winnilern (Landobarden), hat man euch gut behandelt?"

  • "Ich weis sehr genau, was so ein Sax wert ist. Das eine Sax ist die Waffe meines Großvaters. Ratbald bekam sie von meiner Mutter kurz vor ihrem Tode. Du musst wissen, dass meine Mutter unsere letzte lebende Verwandte dort war. Wir wurden dort nie akzeptiert und man nannte uns nur die Amisvarier-Bastarde. Zwar nicht offen, aber hinter unserem Rücken. Es war uns auch klar, dass nur meine Mutter die anderen davon abhielt sich unseren Hof mit Gewalt zu nehmen. Die meisten kannten sie noch von früher und hatten daher Skrupel sich an ihrem Gut zu vergreifen. Aber bei uns hatten sie sowas leider nicht. Ich hatte dort auch nur einen Freund. Sein Name war Egmont, er war des Sohn des Rich. Wir hatten unsere Freundschaft geheim gehalten, denn er bekam schon als kleines Kind den Umgang mit uns Bastarden verboten. Er warnte mich davor, was passieren würde, als meine Mutter krank wurde, denn er hatte es bei einer Besprechung seines Vaters mit den anderen Dorfältesten gehört. Außerdem brachte er mir dann an dem Tag als Mutter starb die Waffe seines Vaters, denn er meinte es sei die Entschädigung dafür, dass uns unser Hof genommen würde."


    Ragin stocherte mit dem Löffel im Brei rum. Die Erinnerungen hatten seinen großen Appetit irgendwie verschwinden lassen.


    "Er wusste von unserem Fluchtplan und dachte die Waffe würde uns helfen. Da ich nicht wollte, dass er in Gefahr geriet verpasst ich ihm ein blaues Auge und ließ ihn einen Fetzen meiner Kleidung im Haus des Jarls hinterlassen um es so darzustellen, als sei ich dort eingebrochen um die Waffe zu stehlen. Dann stellte er sich ohnmächtig und wir flohen. Zum Glück konnten wir uns genug Vorsprung verschaffen, so dass sie uns nicht bekamen. Aber sie blieben uns auf den Fersen, obwohl wir einige falsche Spuren legten. Kurz vor dem Gebiet der Chauken hatten sie uns fast eingeholt, aber sie brachen dann die Verfolgung ab, als sie auf einige bewaffnete Chauken trafen. Ja, du hast Recht, wir hatten viel Glück. Aber das Glück der Götter ist mit den tapferen. Unsere Reise war beileibe nicht unbehelligt. Hätten wir nicht so gut aufgepasst, wären wir sicher mehrere Tode gestorben, denn gerade auch der Weg durch das Gebiet der Chauken war sehr gefählich und wir entgingen einige Male nur um Haaresbreite einer Entdeckung. Im nachhinein hätte ich das Schwert nicht annehmen dürfen, denn dann hätten uns die Winniler sicher nicht so verbissen verfolgt. Aber nun halte ich das Sax in Ehren: Es ist zwar die Waffe eines Feindes, aber auch das Geschenk eines Freundes."


    So endete er und blickte Lando ernst an. Seine Augen zeigten ein Härte, die gar nicht zu Ragins jungendlichem Gesicht passte.

  • Lando nickte zufrieden, lehnte sich zurück und warf sich ein Stück gebratenes Wildbret in den Mund... nachdem er es zu sich genommen hatte blickte er eine Weile konzentriert vor sich hin, ohne den wilden Ausdruck in Ragins Augen zu übersehen, und schloss letztendlich die richtigen Schlüsse: "Eine abenteuerliche Geschichte, fürwahr. Nun, dann haben wir ein Familienerbstück und das Schwert eines Richs der Winniler. Ich kann nicht behaupten dass unsere Familie wenige Feinde hat, doch anscheinend werden es mehr anstelle weniger... wissen die Winniler dass ihr ins Reich geflohen seid, zu euren Verwandten?"

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