[Officium | Ando Kritja] Das Arbeitszimmer

  • Hadamar starrte Witjon wütend an. Der hatte leicht reden. Er in seinem Alter. Chancen! Als Witjon in seinem Alter gewesen war, da waren das vermutlich auch wirklich noch Chancen gewesen, weil die Duccii da noch nicht so viel erreicht hatten! Aber jetzt? Nach Lando, nach Witjon? Da waren das doch keine Chancen mehr, sondern Verpflichtungen! Und dann auch noch welche, die keine Möglichkeiten boten, irgendwas eigenes zu machen. Das einzige was möglich war, war, in die Fußstapfen eines anderen zu treten... noch dazu in die Fußstapfen von Männern, die zum einen viel zu große hinterlassen hatten und zum anderen eigene Söhne hatten, die sich schon dazu anschickten, genau das zu tun. Und Hadamar hatte einfach keine Lust, sich ständig daran messen lassen zu müssen, ganz davon abgesehen, dass er nach wie vor überzeugt war, dass ihm Verwaltungsarbeit weder Spaß machte noch dass er sich tatsächlich dafür eignete.


    Er war noch viel zu aufgebracht, um bei Witjons Scherz schmunzeln zu können, und er glaubte ihm auch nicht so recht, dass er ihn verstand. Und irgendwie nervte es ihn, dass er trotzdem so verständnisvoll tat. Erwachsene! Warum mussten die immer so... so... AAAAAARRRGH sein? „Klar“, murrte er also nur halblaut. Wahrscheinlicher war, dass auch Witjon wusste, dass es kein Zurück mehr gab. Hadamar war alt genug, um sich in der Legio einzuschreiben, und verpflichtet war verpflichtet. Das musste es sein. Trotzdem setzte er sich wieder hin... es fühlte sich irgendwie doof an, herumzustehen, wo sich die Stimmung allgemein ein wenig beruhigt hatte. „Das ist die Legion, Witjon. Militär. Am Limes. Natürlich gehen Soldaten drauf. Mein eigener Vater ist da gestorben, meinst du ich hätt das vergessen? Ich weiß schon wo ich mich da gemeldet hab“, entgegnete er trotzig... und das Sippenoberhaupt mimte weiter den Verständnisvollen. Hadamar rollte die Augen und sah dann abrupt zur Seite. Mit Bravour, genau. Das Gefühl hatte er nie gehabt, dass er irgendwas mit Bravour gemeistert hätte, oder hätte können... oder dass er das Potential dazu hatte. Trotzdem freute es einen Teil von ihm, das zu hören... auch wenn er diesen Teil im Moment ziemlich unterdrückte. Zu sehr hing in ihm der Gedanke fest, dass die Erwachsenen ihn genau dafür hielten: einen Nichtsnutz. Tunichtgut. Er bekam zwar immer zu hören, dass er mehr aus sich machen könnte, aber er glaubte nicht so recht daran, nicht jedenfalls was das betraf, was beispielsweise seine Mutter von ihm wollte und erwartete... Und dann wurden seine Gedanken unterbrochen. „Parzen?“ fragte er irritiert nach. „Was, äh... soll das sein? Und jaaa, ich pass schon auf mich auf“, fügte er noch an.

  • "Parzen, Nornen, ach du weißt schon was ich meine!" motzte Witjon, dem offensichtlich bereits die Konzentration flöten ging, so dass er germanische mit lateinischen Begriffen vertauschte. Seine Augen verengten sich, als er sich die trotzige Reaktion anhören musste. Witjon schnaubte genervt und rang um Beherrschung. Dieser Trottel begriff einfach nicht, dass es hier um ihn selbst ging, um sein Leben.


    "Na, wenn du so gut alleine klar kommst, brauchst du ja auch keinen Rat oder Unterstützung von mir," gab Witjon schlussendlich genauso trotzig zurück. "Ich schätze du solltest dann besser gehen. Dein Optio erwartet dich sicherlich schon, hm?" Er bemühte sich, nicht spöttisch zu klingen, aber die Verbitterung über Hadamars Ungehorsam machte es Witjon unmöglich, sich ganz zu verstellen und den Unbekümmerten zu mimen. Sollte der Bursche sich eben in der Legion durchschlagen. Wenn er glaubte, dass der Dienst bei der Truppe das Richtige für ihn sei, dann sollte er eben sehen, was er davon hatte. Vielleicht erkannte er ja irgendwann die Dummheit seines jugendlichen Übermuts.

  • Ach. Parzen waren also Nornen. Wieder was gelernt – oder vielleicht auch nicht, denn was bei Hadamar zum einen Ohr reinging, blieb nicht notwendigerweise drin... sondern suchte sich schon mal den Weg zum anderen wieder hinaus. Gelegentlich. Und in diesem Moment machte er sich ohnehin nicht sonderlich Mühe, darauf zu achten, sondern zuckte nur mit den Achseln. Und sah dann endlich wieder die Reaktion, die er erwartet hatte, nämlich Unwillen beim Sippenoberhaupt. Hatte er ja gewusst, dass der nicht so viel Verständnis hatte wie behauptet... „Ich bin ja auch net hier, weil ich um Rat hätt fragen wollen“, maulte er. Nee, er war hier, weil Witjon ihn nach der Bestattung hierher beordert hatte. Aber selbst wenn er Rat gebraucht hätte, hätte Witjon ihm kaum helfen können. Vom Militär hatte der ja wohl keine Ahnung, war Hadamar überzeugt. Und Unterstützung? Wie denn Unterstützung? Wenn er Unterstützung gewollt hätte, wäre er hier geblieben, in der Casa, und hätte getan, was auch immer seine Familie von ihm gewollt hätte... und wobei sie ihn dann hätte unterstützen können. „Ja, tut der Optio vielleicht schon“, ranzte er dann zurück. Wohl eher nicht. HOFFENTLICH nicht, denn wenn der Optio ihn schon erwartete, dann hieß das, dass er gemerkt hatte, dass Hadamar fort war... und genau das sollte ja idealerweise nicht passieren. Hadamar war nicht scharf drauf, nen Haufen Ärger zu bekommen, schon gar nicht wenn ihm das hier, bei seiner Familie, so wenig vergolten wurde, dass er zu Elfledas Bestattung gekommen war. Und dann auch noch diese... dieses... dieser verkappte Rausschmiss. Hadamar bemerkte nämlich durchaus den Spott, der in den Worten mitschwang. Aber was wollte Wijton? Hätte er in der Verwaltung angefangen, hätte er da auch irgendwem gehorchen müssen, nur mit dem Unterschied, dass das dann irgendein Sesselfurzer gewesen wär. Mit einem Ruck stand Hadamar auf. „Sollte ich wohl gehen dann, da hast du Recht.“

  • "Auf bald," verabschiedete Witjon den Trutzkopf und wandte sich demonstrativ irgendeinem Schreiben zu, das auf dem Schreibtisch herumlag, dessen Inhalt ihn aber gar nicht interessierte. Vielmehr versank er bereits in Gedanken über dieses Gespräch, das bei ihm den Geschmack von Asche auf der Zunge hinterließ.


    Hadamar war bereits halb zur Türe raus, als das Sippenoberhaupt es sich dann anders überlegte und zumindest ein wenig bereute, was er gesagt hatte. Witjon sprang auf und hastete zur Tür.
    "Hadamar!" hielt er den jungen Mann zurück und schaute dann erst schräg zu Boden, bevor er mit gerunzelter Stirn sagte: "Ich bin..." froh "Es war gut, dass... dass du zur Bestattung gekommen bist."


    Witjon war dieses Zugeständnis sichtlich unangenehm. Dennoch klopfte er Hadamar kurz auf die Schulter und zeigte so etwas wie ein dankbares Nicken. Ihre Blicke begegneten sich und Witjon wünschte seinem Verwandten stumm alles Gute. Dann wandte er sich um und marschierte schnurstracks den Gang hinunter, wo er hinter der nächstbesten Ecke verschwand (und sich auf kürzestem Wege ins Kaminzimmer begab, um bei einem kräftigen Schluck erhitzten Met sein Gemüt zu beruhigen).

  • Nachdem Luitbert wieder weg war und Landulf ein wenig Zeit gehabt hatte, ein wenig Courage zusammenzukratzen, machte er sich auf, nach seinem Onkel zu suchen. Gut, Witjon war nicht wirklich sein 'Onkel'. Nachdem er aber auch nicht sein Vater war, für Landulf aber im Grunde genommen der einzige Vater, den er je kennengelernt hatte und kennen würde, war 'Onkel' die beste Beschreibung der verwandtschaftlichen Beziehung, mit der der junge Wolfrikssohn aufwarten konnte.
    Ein klein wenig nervös war Landulf schon. Er hatte keine Ahnung, wie Witjon reagieren würde, wenn er ihm seinen Plan mitteilte. Allerdings hatte er auch nicht vor, sich von seinem Vorhaben abbringen zu lassen. Es war einfach perfekt! Er wäre an einer Stelle, wo er wirklich gebraucht würde, und er hätte eine Aufgabe, die auch wirklich sinnvoll war! Und natürlich, er könnte beweisen, dass er ein echt kerliger Kerl ist und ganz nebenbei mal schauen, was denn auf Seiten der entfernteren mütterlichen Verwandtschaft an Mädels so rumlief. Die von Mogontiacum hörten nur seinen Namen und waren da schon ganz hin und weg, weil er ein Duccius war, und wollten ihn dann gleich heiraten und Kinder und alles. Das war ihm dann doch ein bisschen zu viel des Guten.


    Doch jetzt ging es erstmal um die nähere Zukunft, und die fand hier im Arbeitszimmer von Witjon statt. Ohne anzuklopfen platzte Landulf einfach in das Zimmer, in dem er seinen Onkel vermutete. “Witjon, hast du einen Moment Zeit?“ platzte er auch gleich heraus, ehe er sich überhaupt umschaute, ob der angesprochene denn da war.

  • Es war der perfekte Überfall.


    Witjon hatte den halben Tag lang in der Curia dabei verbracht, lästige Verwaltungsarbeit abzustottern, die ihm bereits seit Wochen zum Halse heraushingen. Im Ordo Decurionum gab es dazu noch nervige Diskussionen, die nicht im geringsten zufriedenstellend waren und die ihm meist noch mehr Arbeit auf dem Duumvirschreibtisch bescherten.


    In der Casa Duccia angelangt wurde schließlich von ihm erwartet, dass sämtliche Vermögenslisten der Betriebe aus den vergangenen Wochen kontrolliert wurden, was sonst oft genug bereits Elfleda in tüchtiger Zusammenarbeit mit Amon oder einem der neuen jungen Schreiber der Freya Mercurioque erledigt hatten. Elfleda aber war tot und Amon hatte genug damit um die Ohren die bereits auftretenden Engpässe in diversen Warenabteilungen zu regulieren, die aufgrund des starken Schneefalls aufgetreten waren.


    Irgendwann jedenfalls war Witjon über einem Stapel Wachstafeln, geknitterten Papyri und mit einer Schreibfeder in der Hand einfach eingeschlafen. Mit verschränkten Armen lag er auf dem Schreibtisch und bemerkte so auch nicht, dass seine Tintenbeschmierten Finger Abdrücke und lustige schwarze Muster auf seinem Gesicht hinterließen.


    Und dann wurde er brutal überfallen, aufgeschreckt und angegriffen!


    "WASDENNLASSMICHJAINRUH?!?!??!"
    Mit einem ganz unkerligen Angstschrei zuckte das Sippenoberhaupt zusammen und setzte sich abrupt komplett aufrecht hin, wobei die Arme in die Luft fuhren und den ganzen Krempel auf dem Schreibtisch samt und sonders durch die Gegend pfefferten. Beinahe wäre Witjon hinterrücks vom Stuhl gefallen, hätte er sich nicht an der Tischkante festgekrallt.
    Einen Moment der Orientierung kostete es Witjon noch, bevor er Landulf ansichtig wurde und sich erinnerte, was er tat und wo.


    "Landulf?!" wies er unbeabsichtigt simpel darauf hin, dass er gern den Grund für diese unwillkommene Störung erfahren würde, auch wenn er gleichzeitig erfreut war seinen...Neffen? Sohn? Halb-/Adoptiv-/Fastadoptivsohn? ...na, Landulf eben... zu sehen.

  • Alle Mann in Deckung!


    Sich einem plötzlichen Angriff gegenübersehend machte Landulf das einzige, was ihm in dem Moment noch in den Sinn kam: Aus der Schusslinie gehen. Mit einem heroischen Satz warf er sich hinter den Schreibtisch, der einigermaßen Deckung versprach. Verdammt, er hatte kein Schwert dabei! Nichtmal einen Knüppel! Wobei er seinem wildgewordenen Verwandten ja auch nur schwerlich eins überziehen konnte... könnte Ärger geben... Vielleicht sollte er Unterstützung anfordern? Marga wurde sicher mit Witjon fertig. Nur war die Gefahr dann groß, dass Landulf selber eins mit der Teigwalze übergebraten bekam...
    Gut, nützte wohl nichts. Musste er den Sturmangriff über den Schreibtisch hinweg wohl alleine führen. Er konnte ja Witjon hier nicht wüten lassen wie ein Berserker! Also Kräfte sammeln, nochmal durchatmen, seelisch und moralisch vorbereiten und...
    "Landulf?!"


    Oh! Gefahr wohl vorbei. Was machte er hier auf dem Boden?
    Schnell kam Landulf auf die Füße und klopfte sich nonexistenten Staub von der Kleidung. “Du, ähm... hast was fallen lassen, Witjon“, bückte er sich schnell und hob eine der Tafeln auf, die zu Boden gepurzelt waren.
    Völlig unbedarft und unschuldig sah Landulf zurück zu seinem Onkel, ohne sich weiter zu erklären. Zumindest vorerst. Die zuvor so geflissentlich einstudierte Rede schien ihm jetzt irgendwie nicht mehr ganz so überzeugend.

  • Den Abschiedsgruß hörte Hadamar noch, während er sich schon wegdrehte und zur Tür ging, aber er reagierte nicht mehr darauf, und er wandte sich auch nicht um. Die würden ihn doch nie verstehen, nie! Und warum hatte Witjon ihn überhaupt hierher bestellt? So richtig den Kopf gewaschen hatte er ihm ja auch nicht – nicht, dass es was gebracht hätte, aber das war es eigentlich gewesen, worauf Hadamar sich eingestellt hatte. Stattdessen hatte er irgendwas gefaselt und verständnisvoll getan. Und auf die Art versucht, ihm ein schlechtes Gewissen zu machen. Hadamar knirschte mit den Zähnen und verließ den Raum – und da kam noch etwas. Eigentlich hatte er keine große Lust, darauf noch zu reagieren… aber: Witjon war das Sippenoberhaupt. Man lief nicht einfach davon vor ihm, und so viel Respekt hatte auch Hadamar, dass er sich an gewisse Spielregeln hielt. Meistens, und noch, jedenfalls.


    Ein wenig unwillig also, aber immerhin, blieb er stehen – und sah Witjon nach einem weiteren Moment des Zögerns sogar an. Und was dann kam, überraschte ihn dann doch ein wenig. Dass Witjon es guthieß, dass er zur Bestattung gekommen war, davon war Hadamar ausgegangen. Mehr noch, er hatte gedacht, Witjon würde das für selbstverständlich halten – sie waren immerhin Familie, eine Sippe. Sie hielten zusammen. Sie waren füreinander da. Gehörte auch zu diesen gewissen grundelementaren Spielregeln, an die man sich… nun ja, einfach hielt. Das stand gar nicht zur Debatte. Aber Witjons Reaktion hieß doch irgendwie, dass er das für nicht so selbstverständlich hielt. Und das wiederum war für Hadamar nicht ganz verständlich. Klar, er hatte viel Unfug angestellt, und ja, er hatte sich zur Legio gemeldet, ohne wen zu fragen, ohne überhaupt mit wem drüber zu reden oder vorher noch Bescheid zu geben. Aber das hieß doch nicht, dass er völlig verantwortungslos war… oder dass er mit seiner Familie gebrochen hätte. Witjons letzter Satz ließ allerdings fast darauf schließen, dass er das von ihm dachte, und das… machte einen Teil von Hadamar fast betroffen.
    Und so sah er dem Sippenoberhaupt nur schweigend hinterher, als dieser davonstiefelte, und blieb einen Moment grübelnd stehen, bevor auch er sich endgültig abwandte – und sich auf den Weg machte, sich dem nächsten Donnerwetter zu stellen. In Form seiner Mutter.

  • "Ah," machte Witjon, als wäre es doch ganz klar. "Sicherlich. Öhm...also..." Er schaute Landulf irritiert an. "Kann ich etwas bestimmtes für dich tun? Wenn du mich schon hier aufsuchst?" Familienmitglieder trafen Witjon ja für gewöhnlich auch in anderen Teilen des Hauses an. Für alltägliche Gespräche musste man ihn also beiweitem nicht im Arbeitszimmer bei seinen unglaublich wichtigen Tätigkeiten stören. Aber wenn Landulf schon hierher kam, musste es irgendetwas zu besprechen geben, das nicht zwingend beim Abendessen im großen Familienkreise losgelassen werden sollte. Was also war es? Hatte er ein nettes Mädchen kennen gelernt? Oder irgendwem übel verprügelt, der jetzt Anzeige erhob? Oder wollte er ihm einfach nur mal sagen, wie gerne er eigentlich seinen Ziehvater hatte? Na, jetzt aber nicht gleich übermütig werden...

  • Tja, Rückzug war jetzt wohl ausgeschlossen, und wo Witjon so eine Glanzvorlage lieferte, da musste Landulf ja einfach mit der Sprache rausrücken.
    “Ja, genau. Also... wir müssen die ganzen Betriebe und die Grundstücke auf dich umschreiben. Oder auf Albin oder jemand anderen in der Freya. Ich werd mich da die nächste Zeit nicht drum kümmern können.“
    Es war alles genau geplant. Witjon würde jetzt sicher gleich fragen, wieso sie das machen mussten, und DANN konnte Landulf mit seiner grandiosen Idee aufwarten. Oder der von seinem Großonkel mütterlicherseits, wenn man es genau war. Aber er war ja durchaus damit einverstanden, zu Rodewini zu gehen und mal die andere Seite des Rhenus kennenzulernen. Und ganz sicher würde Witjon das verstehen. Naja, höchstwahrscheinlich würde er es verstehen. Wahrscheinlich. Vielleicht. Unter nicht näher definierten Umständen.
    Der selbstsichere und unschuldige Gesichtsausdruck verschwand langsam unter wachsenden Zweifeln und Landulfs Blick wanderte wieder eher über die Unmengen an Tafeln, die hier herumlagen. Er konnte sich gar nicht daran erinnern, dass es hier jemals so unordentlich gewesen war. Allerdings hatte er um seine Mutter auch meist einen Bogen gemacht, wenn sie sich um das alles gekümmert hatte, da Elfleda die fiese Eigenschaft gehabt hatte, ihm beibringen zu wollen, wie sie das alles machte, und damit seine sonstigen Pläne für den Tag immer gründlich umdisponierte.

  • Umschreiben? Betriebe? Nicht drum kümmern? Witjon verstand nur Cursus Publicus. Und genau das sagte auch sein Gesichtsausdruck, als er Landulf ziemlich belämmert anglotzte, während dieser sich seiner Aussage alles in allem auch nicht ganz so sicher zu sein schien.


    "Wovon redest du?" Fettes Stirnrunzeln. Landulfs Worte machten doch von vorne bis hinten keinen Sinn!


    "Bist du besoffen?" war die nächste, zugegebenermaßen nicht völlig abwegige Überlegung; die heutige Jugend war ja bekanntlich ständig blau. Man musste nur einen Blick auf Sönke werfen...


    "Echt jetzt, Landulf. Verplempere nicht meine kostbare Zeit. Du siehst doch, ich habe hier viel zu tun." Witjon machte eine das Durcheinander auf dem Schreibtisch und im Raum ansich allumfassende Geste und starrte dann beinahe selbst etwas entgeistert auf sein Arbeitschaos. Kopfschüttelnd löste er sich von dem Anblick und runzelte erneut die Stirn beim Gedanken, ob Landulf das wirklich ernst gemeint haben könnte, was er da soeben gesagt hatte. Forschend betrachtete er den jungen Kerl, der da so fastüberzeugt vor ihm stand.

  • Wieso nur funktionierte das nicht? “Besoffen? Nö, im Moment grade nicht...“, meinte Landulf jetzt auch verwirrt. Irgendwie lief das hier so gar nicht nach Plan! Die Nornen wollten sich wohl lustig über ihn machen und ließen Witjon genau entgegengesetzt zu dem handeln, was Landulf dachte!


    “Na, ich will doch gar nicht deine Zeit verplempern! Es ist ja auch wirklich wichtig!“ Ein paar hilflos fuchtelnde Gesten unterstrichen dabei die Wichtigkeit seines Anliegens. Verdammt, so funktionierte das nicht.
    Landulf nahm seine Arme runter und stellte sich so gerade, aufrecht und männlich hin, wie das in seinem Alter eben möglich war gegenüber einem älteren, der gerade nicht vernünftig zuhören wollte. “Ich werde mit Luitbert zu meinem Onkel Rodewini reisen. Und dort bleiben und ihm helfen, den Chatten gegenüberzutreten. Immerhin gehört er zur Familie meiner Mutter, und... sie hätte sicher gewollt, dass ich auch diesen Teil meiner Verwandtschaft kennenlerne und nach Kräften unterstütze. Vor allem, wenn mich diese auch noch darum bittet.“
    gut, das war jetzt nicht gelaufen, wie geplant, aber sein Entschluss war dennoch mit dem nötigen Nachdruck verkündet.

  • "Oh." Landulf wollte fortgehen? Dieser Wunsch bestürzte Witjon sehr. Er musterte Elfledas Sohn betroffen, besann sich dann aber und bot ihm erst einmal einen Platz an.


    "Setz dich." Witjon richtete sich auf, versuchte Haltung zu wahren. Erst war Hadamar davongelaufen, jetzt wollte Landulf auch noch weg. Aber immerhin kam er zuerst zu Witjon, was zumindest darauf schließen ließ, dass er noch etwas auf seine Meinung gab. Ein Glück.


    "Also, der Reihe nach," forderte das Sippenoberhaupt ruhig und gefasst auf. "Liutbert hat dich gebeten, mit ihm zu kommen? Wie lange? Und was hat er über die Chatten gesagt?" Witjon wollte gerne wissen, ob er Landulf da gerade seine Zustimmung gab, in einen Stammeskrieg zu ziehen, oder ob die Situation bisher noch keine Veränderung erfahren hatte.


    Bezüglich letzterer Gedanken des jungen Ducciers konnte Witjon schließlich nur zustimmend nicken. "Deine Mutter hätte es so gewollt, ja." So wenig ihm das schmeckte und so ungern er Landulf ziehen lassen wollte...es blieb ihm keine Wahl. Landulf hatte Recht. Im Gegensatz zu Hadamar nämlich musste Landulf wirklich beweisen, dass er Führungsfähigkeiten besaß, dass er im Kampf bestehen konnte, und dass er in widrigsten Situationen einen kühlen Kopf behalten konnte. Denn Witjon wusste, dass dieser junge Mann - irgendwann - seinen Platz hier einnehmen würde. Vielleicht mit Audaod an seiner Seite, vielleicht nicht. Das entschieden wohl die Nornen, die den Duccii seit jeher fette Steine in den Weg warfen.

  • Landulf hatte mit vielem gerechnet. Vor allem mit einer Standpauke, gefolgt von einem ausgesprochenen Verbot, das zu tun, was er vorhatte. Seelisch und moralisch hatte er sich schon darauf vorbereitet, hier auf den Tisch zu hauen und eine flammende Rede für Ehre und Verpflichtungen zu halten. Doch das war gar nicht nötig. Witjon schien wie vom Donner gerührt und bat seinen Ziehsohn, sich zu setzen, was dieser auch direkt daraufhin recht perplex in Anspruch nahm.
    “Ach wirklich?“ fragte er dann bei diesem unerwarteten Mann-zu-Mann-Gespräch auch noch immer verwundert, als Witjon ihm recht gab, dass seine Mutter das gewollt hätte. Eigentlich hatte Landulf das ja nur so gesagt. Er konnte sich nicht wirklich vorstellen, was seine Mutter dazu gesagt hätte. Gefallen hätte es ihr sicher nicht. Sie sprachen von der Frau, die einen halben Tobsuchtsanfall bekommen hatte, als er sich bei dieser vermaldeiten Treibjagd von der Gruppe entfernt hatte und nur mit einem Tudicius dann einem Eber gegenüber gestanden hatte. Dass er das Vieh eigenhändig getötet hatte und dafür – neben einigem Spott, den er über sich hatte ergehen lassen müssen – jede Menge Respekt seitens der Männer geerntet hatte, hatte sie nicht einmal interessiert, als sie ihm mit scharfer Stimme sehr deutlich gesagt hatte, dass sie ihn nicht all die Jahre groß gezogen und für seine Gesundheit gekämpft hatte, damit er sich von der nächstbesten Wildsau niedertrampeln lässt oder sich von einem Verwandten des Mannes abstechen lässt, der schon seinen Vater umgebracht hatte. Gut, damals war er eine ganze Ecke jünger gewesen. Dennoch glaubte er eher, seine Mutter würde ihn lieber sicher in der heimischen Casa wissen als auf einem Schlachtfeld.
    Wobei Witjon sie ja auch anders kannte als Landulf. Und Landulf selber sie auch anders kannte. Nur halt nicht, wenn es um ihn ging.


    “Ähm, ich meinte, du hast nichts dagegen?“ Das musste er doch nochmal genau nachfragen, nicht dass er jetzt was falsches zu hören geglaubt hatte. Aber bislang war kein 'nein' gekommen. Das war also mehr oder weniger ein 'ja'.
    “Und so genau... öhm... also, Luitbert hat sich da nicht so detailliert geäußert. Der hat überhaupt ganz an fieser Dialekt... Ähm... also, ich soll halt Rüstung und Schwert einpacken. Oh, und ein Pferd sollt ich mitnehmen, das geeignet ist. Ich dachte an Mutters Stute.“ Das Vieh war einiges gewohnt und hatte sich nie getraut, Elfleda abzuwerfen – zu den seltenen Gelegenheiten, da seine Mutter geritten war. Wenn die Stute sich auch nicht traute, ihn abzuschmeißen, erfüllte sie Landulfs Vorstellungen von einem geeigneten Reittier.

  • "Nun," meinte Witjon. "Hadamar hat sich bereits zur Legion abgesetzt. Wenn ich ihm schon nicht verbieten konnte, das Schwert in die Hand zu nehmen, so kann ich dir wohl erst recht nicht im Weg stehen." Er war natürlich absolut nicht glücklich mit Landulfs Wunsch, aber er konnte ja nicht immer nur der nervige Alte sein, der das Unglück heraufbeschwört und immerfort vor dem Schicksal warnte. Nein, er war es müde, den jungen Leuten Anweisungen zu geben, die letztlich doch nicht ausgeführt wurden. Landulf sollte seine Zukunft selbst in die Hand nehmen. Das hatte sein Vater bereits geschafft und viele andere Duccii vor ihm auch. Außerdem ging er ja nicht allein, sondern war im Kreise seiner mattiakischen Verwandten wohl gut aufgehoben. Die hatten wenigstens Ahnung vom Kämpfen und konnten auf ihn aufpassen, falls es einmal richtig brenzlig werden sollte. Und mit etwas Übung und Erfahrung würde Landulf bald auch gut auf sich selbst aufpassen können.


    "Ich habe also nichts dagegen," konkretisierte Witjon also nochmal, denn er hatte das Gefühl, dass Landulf das gerne genau wusste. "Die Stute...ja, ist in Ordnung." Er nickte bekräftigend. Elfledas Tier war tüchtig und ein schönes Pferd und sicherlich gut für Landulf geeignet. "Such dir mit Albin aus der Waffenkammer aus, was du brauchst," erlaubte Witjon noch, dann scherzte er: "Ich schätze, diesen fiesen Dialekt wirst du dann jetzt erstmal länger ertragen müssen."

  • Konnte er nicht? Im Grunde genommen konnte Witjon ihm sehr wohl im Weg stehen, immerhin war er der ältere, und wenn es hart auf hart käme, glaubte Landulf, dass wohl alle eher auf ihn hören würden und nicht auf einen jungen Kerl, der nur rein zufällig der Sohn von Lando und Elfleda war. Marga konnte er dann vielleicht mit einem Hundeblick doch auf seine Seite ziehen – wobei die immer resistenter wurde, je älter Landulf wurde. Aber selbst Naha würde ihm vermutlich mit Freuden eins über den Schädel ziehen, wenn sie dazu Witjons Generalvollmacht erhielte.
    Anscheinend hatte sein Ziehvater wirklich nichts dagegen, wenn Landulf weg ging. Eigentlich hätte er sich darüber ja freuen können, dass das alles so unkompliziert nun war und funktionierte. Aber irgendwie hätte Landulf sich doch ein wenig gewünscht, dass Witjon sich etwas besorgter gab. Er versuchte ja nicht einmal, es ihm auszureden! War ihm denn egal, wenn er von wütenden Chatten im Wald zerhackstückelt wurde?
    “Öhm, gut. Dann, öhm, mach ich das. Ich such dann mal noch Naha und Audaod und sag's ihnen dann, und dem Rest heut Abend beim Essen.“ Seinen Geschwistern wollt er es lieber so sagen – auch wenn Naha protestieren würde (und ihm mit Schlägen drohen), und es Audaod nicht gefallen würde (auch wenn die beiden eigentlich keine Brüder waren).
    “Bei den Grundstücken und den Betrieben musst du halt schauen, dass dann dein Name überall auf den Urkunden steht. Oder der von Albin und so. Die hatte Mama glaub irgendwo da drüben gebunkert“, zeigte Landulf auf eine Truhe in der Ecke. Sicher war er sich nicht. Der Zettelkrieg hatte ihn nie über die Maßen interessiert.
    “Dann bis heut abend.“ Noch immer sichtlich verwirrt und irgendwie enttäuscht stand Landulf auf. Ein seltsames Gefühl, so von Mann zu Mann zu reden und nicht von Vater zu Sohn – oder Ziehvater zu Ziehsohn. Irgendwie fühlte er sich eher noch ein Stück weit verlorener als zuvor. Aber gut, das würde sich ändern. Wenn er erstmal bei Rodewini war, würde sich das sicher ändern.

  • Beim Essen. Witjon schluckte. Damit war das also abgemacht. Quasi unwiderruflich, zumindest solange er sich nicht lächerlich machen wollte.
    "Joa, lass das mal meine Sorge sein. Ich schätze ich werde erstmal den Marmorbruch übernehmen und Albin...ja, der bekommt wohl den Schneider. Bleibt aber alles beim Alten bis du wiederkommst, ist ja klar." Witjon lächelte wie um sich selbst in seiner Aussage zu bekräftigen. Natürlich schloss er in seine Aussage etwaige geschäftsbedingte Veränderungen mit ein. Dabei ging er aber freilich nicht davon aus, dass es jemals zum schlimmsten Schritt, zur Schließung eines der ihm anvertrauten Betriebe, kommen würde. Die Auskunft über Elfledas Zettelwirtschaft nahm Witjon dankend zur Kenntnis und verabschiedete seinen Ziehsohn dann mit absolut gemischten Gefühlen. "Bis nachher."
    Witjon fühlte sich unwohl. Er hätte Landulf am liebsten gesagt, dass er sich vor Sorge beinahe in die Hose machen würde, wenn der Junge in die Welt hinausritt, um ausgerechnet den Chatten den Arsch versohlen zu wollen. Aber das tat er nicht. Natürlich nicht! Er liebte Landulf wie seinen eigenen Sohn, aber er wollte auch nicht, dass der junge sich wie Hadamar aufführte. Klar, Landulf war nicht Hadamar und handelte sicherlich nicht so kopflos wie dieser. Aber er wollte Landulf auch nicht im Weg stehen. Den Eindruck hatte er damals schon immer bei Elfleda gehabt, die ihn ja immer schon hatte treten müssen. Wenn er jetzt auch noch ihrem Sohn in die Quere kam bei dem, was er sich so in den Kopf gesetzt hatte...
    Obwohl, hätte Witjon ihn warnen sollen? Dass das gefährlich war, was er da vorhatte? Nein, das wusste Landulf. Aber hätte er sagen sollen, dass er Landulf lieber hier wüsste, im sicheren Mogontiacum? Nein, besser auch nicht. Es machte ja keinen Unterschied. Witjon hatte schon so viele liebe Menschen sterben sehen, obwohl sie in seiner Nähe gewesen waren. Es spielte keine Rolle mehr, was er wollte. Landulf sollte sich einen Namen machen. Und hoffentlich als gefeierter Krieger nach Mogontiacum zurückkehren, um den Platz seines Vaters einzunehmen. Irgendwann...

  • Witjon hatte Dagwin in sein Arbeitszimmer herzitiert, denn er musste dem Jungen schnell klar machen, dass er in Mogontiacum nicht auf der faulen Haut liegen würde oder irgendwelche Arbeiten verrichten würde, die ihn nicht sonderlich förderten, vom körperlichen Vorteil einmal abgesehen.


    "Dagwin," adressierte er also den Kleinen, als dieser sich an seinen Schreibtisch gesetzt hatte. "Du wirst ab Morgen zur Schule gehen. Es gibt einen guten Magister beim Forum, der dir alles Wichtige beibringen wird, von Lesen und Schreiben auf Latein über Griechisch, Mathematik, Staatswesen und Geschichte. Verstanden?" Jetzt war er ja mal gespannt, wie Dagwin auf diese Ankündigung reagieren würde. Witjon hoffte, dass er ganz wild darauf war, alles über Rom und seine Kultur und Sprache zu lernen.

  • Wieder war es ein schwerer Tag gewesen, er hängte sich wirklich sehr dabei rein, auf der Hros Duccia zu helfen. Das ihm das ganz und gar nicht leicht viel, merkte man ihm sogar nach einigen Gewöhnungstagen noch an. Völlig verdreckt und verschwitzt saß er nun da. Wo saß er? In Zimmer mit zwei Tischen und vielen Regalen, wohl das Arbeitszimmer oder so etwas. Witjon hatte ihn herzitiert, jedenfalls sagte das Lanthilda und die hatte es von Marga, die es wiederum von Albin hatte. Jedenfall saß er nun hier.


    Als Witjon erzählte wurden seine Augen immer größer. Schule? Schreiben, lesen auf Latein!? Mathematik? Staatswesen und Geschichte?
    Der Junge war außer sich vor Freude.. leider fiel es ihm schwer das zu zeigen.
    "Verstanden!" rief er Witjon nur freudig entgegen, sein Körper hingegen regte sich nicht auf dem Stuhl, auf dem er noch ziemlich klein aussah.
    "Aber wie komm ich denn dahin?" harkte er nach. Wann es los ging, also wann so ein Schultag begann, wusste er auch nicht, so etwas war ihm völlig fremd.

  • Witjon musste schmunzeln. Dagwin gefiel ihm. Der Junge zeigte - noch - große Wissbegierde. Das war gut und seiner Zukunft nur förderlich. Der Sippenführer hoffte insgeheim, dass umfangreiche Bildung von Kindesbeinen an den jungen Duccius eher in die Verwaltung trieben, denn in den Heeresdienst, wie es bei einigen Duccii oder Muntlingen der Sippe in jüngster Zeit und den Jahren davor auch schon der Fall gewesen war.


    "Thorgall wird dich hinführen," beantwortete er dann die im Raum stehende Frage. "Dann weißt du ja, wie du hin kommst. Der Magister wird dir dann alles weitere erklären. Wann der Unterricht los geht, was für Material du benötigst, wie lange der Unterricht dauert, et cetera."

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