Ocella überlegte lange und wägte dabei einzelne Argumente ab. Das lange Zögern mag auch auf das Versprechen zurückzuführen sein, die Stadt so lange wie möglich aus dem Konflikt herauszuhalten. Eine offene Opposition gegen die Classis würde das bestehende Gleichgewicht deutlich in Richtung einer vermeintlichen Unterstützung für die Palmaner verändern, was die Classis sicherlich hart ahnden würden. Plötzlich erinnerte er sich jedoch an die Worte, die der Centurio zu ihm sprach, und er erinnerte sich besonders an zwei Aussprüche: Sollten wir Einwohner bewaffnet antreffen werden sie inhaftiert oder "unschädlich" gemacht! und der letzte Satz, den Ocella aufgrund seines Abgangs nur noch im Hinterkopf gespeichert hatte, ohne sich jedoch über dessen Konsequenzen klar zu sein Solange der fette Kaiser also nicht abdankt sind wir eine Stadt voller vorbildlicher Loyalisten!.
Den letzten Satz fand er jetzt im Nachhinein merkwürdig. Sprach so ein treuer Anhänger des Versculariers? Der Leibesumfang des Kaisers war ja manchmal schon fas sprichwörtlich. Aber so ein Spruch von einem Militär, dessen Aufgabe es war, die Stadt vor Angreifern und möglichen Überläufern zu schützen? Er runzelte kurz die Stirn. Und nahm sich dann den zweiten Satz näher vor: Er sprach von bewaffneten Einwohnern. Allerdings mussten die ja nicht unbedingt bewaffnet sein, wenn sie als Nachbarschaftswache ihre nächtlichen Runden drehten, um mögliche Brandstifter von ihren Aufgaben abzuhalten. Eine Einheit mit rein zivilen Aufgaben konnte der Centurio nicht ablehnen. Insbesondere dann nicht, wenn die Civitas bereits von ihrer Maximalforderung abrücken würde. Ein Lächeln erschien auf dem Gesicht des Helvetiers und er schaute zuerst zu Vaticanus, der ihn unverwandt ansah und dann zu den Duumvirn. Ich denke da an folgendes: Die Stadtverwaltung hat ihre Maximalforderung bekannt gemacht und zwar durch einen unfreundlichen, hartnäckigen und grünschnäbligen Aedil. Das war meine Rolle. Diese Maximalforderung wurde abgelehnt, da der Centurio wahrscheinlich fürchtet, dass sich in Ostia eine zweite Streitmacht bildet. Wenn nun aber eine hochkarätige Delegation der Stadt, bestehend aus den beiden Duumvirn, einem militärisch erfahrenen Mitglied des Ordo Decurionum, dem Hafenverwalter, einem Vertreter der Händlerschaft und wenn möglich noch dem Pontifex Ostiensis dort vorspricht und klar macht, dass sie keine Gefahr für die Classis darstellt, sondern diese lediglich in ihrem Bemühen um die Sicherheit der Stadt unterstützen möchte, könnte der Forderung ein ganz anderer Stellenwert verliehen werden.
Hier machte er erstmal eine kurze Pause. Er selbst musste seine folgenden Gedanken nochmal ordnen, bevor er sie aussprach. Sollte er darauf nicht eingehen, können wir ihm, kooperativ, wie wir als brave Anhänger des Kaiser nunmal sind, anbieten, eine rein zivile, entweder leichtbewaffnete oder unbewaffnete Brandschutzwache aufzustellen, die die Classis weder gefährlich werden, noch ersetzen kann, sondern höchstens ergänzen will, da mehr Augen auch mehr sehen. Was wir dann mit dieser Wache machen, liegt bei uns, da sie rein zivil und im besten Fall leicht bewaffnet ist. In einem sicheren Haus und mit potentiellen Ausbildern können wir sie in der Nutzung leichter Waffen und vielleicht auch in schwereren Waffen ausbilden, wenn grad mal niemand genauer hinschaut. Allerdings muss klar gemacht werden, dass wir nicht an der Übernahme militärischer Verpflichtungen interessiert sind, sondern lediglich an der Einrichtung einer zivilen Nachbarschaftswache.
Es folgte eine weitere Pause, bevor Ocella weitersprach. Natürlich bestand auch hier die Möglichkeit der Ablehnung; sie war aber deutlich geringer, wenn sie konziliant vorgetragen und auf den zivilen Charakter der Einheit wertlegte. Ich halte es für wichtig, dass wir uns in dem Centurio keinen Feind machen, da er die Macht besitzt, uns das Leben hier äußerst schwer zu machen. Erst wenn er sich diesem freundschaftlichen Angebot verschließt, das wir ihm überbringen, können wir über verdeckte Aktionen sprechen. Solange sollten wir gute Miene zum bösem Spiel machen. Hier stoppte Ocella erstmal. Ein gutes Verhältnis zur Classis war wichtig, insbesondere deswegen, weil dort in der Castra Vexillatio und in der Stadt verteilt insgesamt 80 hartgesottene Kämpfer anwesend waren, denen die höchstens rudimentär ausgebildeten Einwohner nichts entgegenzusetzen hatten, als die pure Quantität.