Langsam war er es leid, nachdem nun auch der jüngste Flavier, nach Gracchus, dem jüngsten Aelier in diesem Raum noch einmal die Bedeutung der Nachfolge nahe legte, und der älteste Aelier es noch einmal erwähnte, mit politischer Nachsicht vorzugehen. Seiner Meinung nach war Aelius Archias hier fehl am Platze und trug unweigerlich zu einer sich stetig nähernden Animosität bei. Solche Gespräche waren recht zäher Natur und eine fordernde Rhetorik, welche der Jüngling forcierte, trug unweigerlich dazu bei diese in eine reizvolle Umgebung zu verlagern. Und dies war schon für viele Momente in der römischen und durchaus griechischen Geschichte ein Todesstoß. Nur die Verpflichtung Quarto mit einem Schlussstrich nicht zu verstören hielt ihn an seinem Platze und er suchte nach einer gewissen Ablenkung, die er im Essen zu finden hoffte.
Der Wortwechsel zog sich dahin und Flavius Furianus beteiligte sich offensichtlich keineswegs mehr damit, tat so, als wäre die Brisanz und der Wille gänzlich erloschen oder vielmehr ersetzt durch das Essen. Es war sehr nahrhaft, konnte er sich denken, die Speise delikat, ein wenig pikant, aber doch recht schmackhaft auch für einem lukullisch verwöhnten Magen wie dem eines Flavius.
Als nun wieder Quarto das Wort ergriff, wurde der Flavier wieder hellhöriger. Durchaus hatte der Jungspund nun auch die Rhetorik des älteren Aelius nicht zu den Gunsten eines glücklichen Abschlusses beeinflusst, wie der Flavier nach den ersten Sätzen herauszuhören vermochte. Nun war auch Quarto forscher und fordernder, die rhetorischen Fragen flogen nur so umher und Flavius Furianus sah sich gezwungen eine andere Liegeposition zu wählen, sich jedoch zuvor von dem Essen zu verabschieden.
So schluckte er ein letztes Mal und richtete sich ein wenig auf, um größer zu wirken, denn er würde dem die Stirn bieten müssen - solch eine Offerte zum Gegenschlag wurde einem selten geliefert. Und das in solch herausfordernder Polemik.
"Zuerst einmal möchte ich ganz offen sagen, dass für unsere Familie die Staatsräson unweigerlich den höchsten Vorrang hat. Damals, heute und auch in der Zukunft.", leitete er mit fester Stimme ein und fixierte Quarto. "Die Geschichte unserer Familie ist schon seit Generationen mit der des Reiches verflochten, ob dies nun zu unserem Vorteil oder Nachteil gereichen mag steht auch nicht zur Debatte."
Die offene Anfeindung, welche sich nicht nur durch die geschickte Erwähnung einer Legio "Flavia" nieder schlug, sondern auch in der Geschichte um den Mordversuch mündete, konnte man nicht unbeantwortet lassen und so war es sicherlich auch dem Flavius Furianus nicht zu verübeln die Conenance für einige Augenblicke außer Acht zu lassen.
"Die Vergangeheit sollte uns vieles lehren, da stimme ich mit dir überein, falls du, Senator Aelius, dies mit dem Knaben unseres Blutes andeuten wolltest - und gewiss wolltest du. Eigentlich gehört dieses Kapitel nicht zu denen, welche hier erzählt werden, sicherlich auch nicht zu den rühmlichsten Kapiteln, doch ich sehe es als meine Pflicht hier einige Anmerkungen beizufügen."
Kurz entglitt der Blick zu seinem Vetter und dem jungen Piso, doch dies war keiner der Blicke, welche man seinen engsten Vertrauten zuwarf, um die nächste Aktion zu legitimieren, gar um Erlaubnis oder einer Einmischung zu bitten, es war vielmehr ein Blick, welcher bedeutete, dass man Worte sagen musste, die gegen gesellschaftliche Regeln würden verstoßen oder gar Gäste kompromittieren konnten. Eine Unmöglichkeit, die eine flavische Erziehung nicht vorsah. Und doch war es unumgänglich.
"Dieser Knabe unseres Blutes war - nach meinem Informationsstand - quasi ein Ziehsohn des alten Iulianus.", und sein Blick fixierte wieder den älteren Aelier.
"Dieser Knabe wurde unterrichtet, umsorgt und war wohnhaft im kaiserlichen Palast. Neben seiner Mutter hatte kein flavisches Mitglied Umgang mit dem Knaben. Diese, seine Mutter, war auch lange Zeit nicht in unserem Hause geduldet. Also ist folgerichtig, Senator Aelius, diese Tat einer Besessenheit entsprungen, die keineswegs ihren Ursprung in diesem Hause hätte finden können, sondern entweder bei der verstoßenen Mutter, welche damit ihren perfiden Wunsch nach einer Aussöhnung hätte befriedigen wollen, oder in dem Palast selbst zu suchen ist."
Und mehr wollte er dazu auch nicht sagen. Es rankten sich ohnehin schon zu viele Geschichten um die von Gier Besessene oder ihrem Sohn, der vielleicht einmal hätte wahrliche Chancen sich erhoffen können Caesar zu werden. Und Flavius Furianus, das würde er niemals zugeben, hätte sicherlich Gefallen an einem auf dem Thron sitzenden Flavius gefunden.
Die Richtung, die dieses Gespräch nun ging, war doch zu sehr geprägt vom Pathos der alten Feindschaft und, zu der größten Missbiligung des Flaviers, voller Mutmaßungen und Emotionen. Eine Art Gesprächsverlauf musste erstellt werden und dieser sollte schnell folgen, noch bevor Aelius Quarto würde genügend Zeit zur Antwort haben.
"Ich finde den jetzigen Verlauf des Gespräches nicht gerade zielführend und, wenn ich ehrlich bin, ein wenig unglücklich. So würde ich gerne vorschlagen die politische Situation, insbesondere die Personalie des Praefectus Urbi, näher zu ergründen, bevor wir zu unseren Träumen und Wünschen kommen. Schließlich bin ich, und auch das muss gesagt werden, wohl nicht über alles informiert und auch du, Senator Aelius, könntest noch manch interessante Information dir anhören können."
Es ging eindeutig zu schnell für den Flavier. Man wusste nicht einmal, ob man auf dem gleichen Informationsstand war und bevor man sich hier zu Gesprächen in die eine oder andere Richtung verleiten ließ, so sollte man doch größtmöglich alles in Erwägung ziehen.
"Deine Ergründung der politischen Situation, Senator Aelius, ist durchaus interessant. Bislang wusste ich noch nichts über das Gerücht um einen Brief an Publius Veturius.", womöglich spielte der Aelier auch mit falschen Karten - es galt dies später zu prüfen.
"Die Legionen im Osten genügten sicherlich, um die Macht von Vescularius zu festigen, aber alleine sie reichen meiner Meinung nach noch lange nicht aus. Was gerade in der heutigen Zeit noch als ebenso wichtig erscheint, wie wohl auch in der Vergangenheit," er lächelte ein wenig, "dies sind der Beamtenapparat und die Prätorianer. Gerade letztere sind für manche gescheiterten Träume einiger unserer Kaiser verantwortlich. Und der Beamtenapparat hat in letzter Zeit eine immense Stellung in der Politik erlangt. Man stelle sich nur einmal vor, dass ein Mann die Kontrolle über den ganzen Informationsweg an sich reisst. Dies würde die Arbeit der gegnerischen Partei um ein Vielfaches verlangsamen, wenn sichere Wege erst gefunden werden müssten, um zu kommunizieren. Die ganze offizielle Korrespondenz allgemein. Wie leicht ist es heutzutage schon einen Brief, ein Siegel zu fälschen? Man beachte auch, dass unsere höchsten Beamten mittlerweile nur auf Geld schielende Freigelassene sind - ein unmöglicher Zustand.", und dies sollte sogleich als Einleitung dienen.
"Ob der Praefectus Urbi Freunde hat? Ich glaube man muss da nicht lange eruieren, um zu erfahren, welche Sympathisanten es in seiner Nähe durchaus gibt, wenn man nur seine Auftritte beobachtet. Er stellt seine Aversion unserem Stand gegenüber öffentlich zur Schau, er ist ein Mann ohne Namen, jemand aus dem einfachen Volk, er ist rabiat, süffisant und wohl auch skrupellos. Bei welcher Art von Senatoren könnte das Wohlwollen hervorrufen?
Doch nur von solchen, welche sich auf die gleiche Polemik stützen. Und dabei spreche ich es deutlich aus - die Sippschaft der Germanici.
Wie wir alle wissen, so führt Germanicus Avarus diese Politik schon seit Jahren und hätte nun einen Mitstreiter mehr, zudem verfügt er über Geld und die Aufsicht über unser Korrespondenznetz. Er ist also ein Mann, der seiner Natur nach dem Praefectus Urbi gleicht und zudem zwei eigenschaften besitzt, die ihn als Freund für Vescularius ganz nützlich machen - Geld und sein Amt.
Der zweite Germanicus ist Curator operum publicorum und damit dem Praefectus Urbi direkt unterstellt. Er sorgt, soweit es derzeit durch die zahllosen neuen Bauten im Namen des Vescularius ersichtlich ist, für die Reputation des Praefectus Urbi beim Volk. Und von einigen meiner Klienten, welche dort tätig sind, habe ich auch erfahren, dass ein gar freundschaftliches Verhältnis zwischen den Germanici, insbesondere dem Curator, und dem Praefectus Urbi vorherrscht. Sie sollen ihn sogar zu einer privaten cena eingeladen haben.
Ich finde das höchst interessant für dich, Aelius.", und der größte Teil war nicht einmal erlogen, eigentlich gar nichts, bis auf die guten Klienten, welche vom kollegialen Arbeitsklima erzählten. Die cena war jedoch eine Tatsache.
"Die militärische Grundproblematik sehe ich jedoch nicht so stark. Soweit ich weiß, kann sich der Kaiser durchaus auf die Vinicier stützen - vor allem führt Vinicius Hungaricus, mein Nachfolger in Hispania, nun die Legionen im Norden quasi alle an. Und an seiner Loyalität kann man wohl nicht zweifeln.
Und der neu ernannte Terentier wird in Aegyptus für die sichere Belieferung mit Getreide sorgen können.
Oder irre ich in meinen Annahmen?", was eine durchaus begründete Frage war. Wer wusste schon um die Intentionen des Hungaricus - und den Terentius kannte Furianus ohnehin nicht persönlich.