Der Gesichtsausdruck seines Großneffen ließ Gracchus seine letzten Worte retrospektieren und sich seiner unangemessenen Echauffiertheit und der inadäquaten Zurschaustellung dieser bewusst werden. Es war nicht einzig das angeschlagene Wohl des Staates, der noch immer ungesühnte Frevel des Mordes an der Virgo vestalis maxima - seiner Schwester -, die seit längerem ausbleibenden Nachrichten aus Parthia und die Stagnation hinsichtlich seiner Bemühungen zur Zeugung eines Nachkommens mit der Sklavin Salambo, welche an seinen Nerven zu zerren vermochten, zudem drängte tief in ihm eine Euphorie nach Außen, wollte sich seiner bemächtigen ob der Geschehnisse in Verbindung mit Caius, welche doch keinen Platz hatte in dieser Welt, kein Recht empor zu steigen und sich in all ihrer deletären Erfüllung zu präsentieren, weshalb ein Gutteil seiner Bemühung schlussendlich gegen sich selbst musste gerichtet werden, was nicht eben der Ausgeglichenheit seines Gemütes zuträglich war.
"Es gibt nichts zu exkulpieren, kannst du doch nicht darum wissen. Ich bin derjenige, welcher um Exkulpation muss bitten. Es wäre besser, du würdest niemals erfahren, was unter dieser weißfarbenen Decke sich verbirgt, denn es ist die Couleur der Schande und Schmach, und doch ist es auch dein Erbe, dies auf deinen Schultern zu tragen."
Er drehte sich zurück in den Raum und betrachtete still den schmalen Tisch und die einfachen Stühle darum herum, drei an der Zahl. Dieser Platz war letztlich wohl ebenso gut, wie jeder andere, um zu Sitzen, denn dass es ein wenig länger würde dauern, dessen war Gracchus sich gewahr, war er doch kein Mann kurzer Sätze.
"Es ist eine schwere Kost, lasse sie uns nicht im Stehen einnehmen."
Ein Wink deutete auf die Stühle hin und Gracchus selbst nahm auf einem dieser Platz, wartete, bis Lucanus dies ebenfalls getan hatte.
"Zuforderst, niemand in dieser Familie kann von sich behaupten, einem Zweig ohne Makel zu entspringen, lass niemals dir dies von irgendjemandem einreden. Du brauchst auf die Fehler deiner Familie nicht stolz sein, doch du brauchst dich ob dessen von niemandem demütigen zu lassen. Allgemeinhin wirst du in diesem Haus dem Unmut auf die hispanischen Flavier begegnen, doch es ist ein aussterbendes Relikt der Vergangenheit, ein krudes Gedankengebäude zudem, welches ich selbst nie durchdrungen habe, da es wahllos die Zweige zu vermischen sucht. Einerseits umfasst es den sogenannten hispanischen Zweig, die Nachkommen des Atticus, ob ihrer Unfähigkeit wegen, inkludiert jedoch dabei auch völlig untadelige Mitglieder der Familie einzig aus dem Grunde, da ihr Leben in Hispania begann, andererseits umfasst es Teile des italischen Zweiges der Nachkommen des Felix, oder dem, was man dazu zählen muss, welche sich in Hispania niederließen und dort ihr wirres Machtwerk errichteten. Dein Urgroßvater Atticus und seine männlichen Nachkommen haben es bisherig nicht weit gebracht und konnten der Familie kaum zur Ehre gereichen, dies ist ein Grund, weshalb Aquilius sich bisweilen ein wenig schwer tut damit, seinen eigenen Wert anzuerkennen, obgleich es fürwahr keinen Anlass dazu gibt, an ihm zu zweifeln. Nun, du wirst selbst wissen, dass auch dein Vater sich nicht eben mit Ruhm konnte umgeben, ebenso wie deine Tanten, von welchen eine sich einem unbedeutenden Plebejer hingab, die andere sich in die Machenschaften des italischen Zweiges hineinziehen ließ. Interessieren dich die Details der Unzulänglichkeiten deines Familienzweiges, so solltest du besser Caius dazu befragen, er hatte Zeit seines Lebens weit mehr damit zu kämpfen als ich."
Ein neuerlicher Wink zu seinem Sklaven Sciurus hin veranlasste diesen dazu, für eine Kanne frischen Wassers und zwei Gläser Sorge zu tragen.
"Wenden wir uns darum den italischen Zweigen, zuerst dem des Corvinus und insbesondere seines Sohnes, meines Vetters Felix zu. Er selbst ist ein überaus integerer Mann, eine Stimme am Ohr des Augustus, doch leider ist um seine Salubrität es nicht bestens bestellt, darum er seit einiger Zeit bereits auf den Landgütern auf Sardinia weilt. Ich weiß nicht genau, weshalb, doch nahm er Flavius Catus, einen Mann aus einem weit entfernten Teil der patrizischen Flavier an Sohnes statt an. Jener Catus ehelichte eine Tiberia, Messalina Oryxa, eine machtgierige Person, welche einer Spinne gleich ihr Netz im Machtgefüge der Welt zu spinnen suchte. Was letztlich ihr Ziel war, kann ich dir nicht sagen - vermutlich wollte sie Catus auf den kaiserlichen Thron setzen und selbst wie einstig Livia regieren - doch im Zuge ihrer Machenschaften nahm Catus nicht nur den begnadigten Hochverräter Tiberius Vibullius als Sohn an und in die Familie auf, sondern zudem einen Prudentier, welcher deine Tante Calpurnia ehelichte, und ebenso jenen Quirinalis, ehemals Tiberius unter freier Selbstbestimmung, welchem du in unserem Hause begegnet bist. Selbst nach Catus' Tode noch versuchte Messalina ihre Pläne zu verwirklichen, was in einem Attentat ihres Sohnes auf den Imperator Augustus während einer für sie angesetzten Audienz gipfelte. Seit diesem Tage sind sie und ihre Bagage dem oktroyierten Vergessen anheim gefallen und es ist besser, wenn du ihre Namen niemals außerhalb dieser Villa erwähnst."
Innerhalb dieser Villa war dies ebenfalls besser, doch Gracchus wollte Lucanus nicht gänzlich verschrecken.
"Schlussendlich der italische Zweig meines Vaters Vespasianus, welcher durch seinen Erstgeborenen Animus mit Makel wurde befleckt. Er glaubte, sich über uns alle erheben zu können, strebte dem einzig wahren Gott der Christianer zu und schwang sich letztlich gar zu deren Oberhaupt auf. Die Götter selbst richteten über ihn in der Fremde, doch auch seinen Namen solltest du nicht in Publizität erwähnen, noch sein Bestreben."
Letztlich hatte Animus in seiner Entscheidung zudem das gesamte Familiengefüge umgestürzt, hatte seine Brüder in Positionen gedrängt, zu welchen sie nicht bestimmt waren, doch Gracchus mochte nicht mehr ihm ob dessen zürnen, nachdem er sich längstens nicht mehr sicher war, zu was überhaupt er in dieser Familie bestimmt gewesen war. Er erwähnte nicht seinen Zwilling Quintus gegenüber Lucanus, denn um dessen Existenz und Sterben wusste nur Caius, zudem gab es keinen Beweis, dass er die Familie hatte mit Makel befleckt, selbst die Decima hatte nicht mehr als eine erzürnte Ohrfeige vorzuweisen gewusst. Ein marginales Lächeln kräuselte Gracchus' Lippen nach all dieser Gräuel.
"Möchtest du nun auch um die Vorzüge deiner Familie wissen, oder gereichen dir die Schandtaten zur Zufriedenheit?"
Ein wenig kam Gracchus sich nun doch bereits wie der alte, Geschichten erzählende Onkel vor, dessen Dasein er gut und gerne noch drei weitere Dekaden in die Zukunft hätte verschieben mögen.