Beiträge von Manius Flavius Gracchus



    Sim-Off:

    Aufgrund diverser RL-Feiertage wird sich dieses Fest vermutlich bis weit ins nächste Jahr hinein ziehen, eine Absenz über die Festtage muss daher kein Grund sein, diese Einladung nicht anzunehmen, da fernerhin die Flavier aller Voraussicht nach ebenfalls nicht durchgängig anwesend sein werden. Wie zu den antiken Saturnalien üblich, betrifft diese Einladung auch die gehobene Sklavenschaft des Haushaltes.

    Es war nun an Minicius Natalis zu schweigen. Er blähte für einen Augenblick seine Backen und ließ langsam die Luft daraus entweichen, während Namen von Architekten durch seine Sinne streiften, er sie verwarf, sobald sie gefunden waren, durch andere wurden ersetzt, welche er alsbald ebenso bei Seite schob. Schlussendlich zauderte er ein wenig, rang sich ob fehlender Alternativen doch zu einer Antwort durch.
    "Mir fällt niemand ein, der Germanicus Avarus an Erfahrung gleich wäre. Senator Flavius Furianus soll in Hispania ein beachtliches Bauprojekt geleitet haben, allerdings habe ich es selbst nicht gesehen. Doch ich hörte davon, dass es wirklich ganz außerordentlich fulimant geworden sein soll, prächtig und ohne Vergleich, doch leider ist er derzeit Proconsul in der Provinz und daher kaum abkömmlich."
    Es kostete Gracchus durchaus ein wenig Mühe, nicht dem Drang seiner Augenbraue nachzugeben, sich einige Strich weit in die Höhe zu erheben. Ein Bauprojekt seines Vetters war ihm nicht geläufig, obgleich es wohl möglich sein konnte, dass jener dies beiläufig einmal erwähnt oder er auf anderem Wege davon Notiz hatte genommen, doch war es augenscheinlich nicht in jenem Maße relevant gewesen, dass in seinem inneren Archiv er einen Vermerk diesbezüglich hatte abgelegt, weshalb es um so mehr stupend anmutete, dass der Curator operum publicorum in solch betonter Weise darauf hinwies, was letztlich einzig der familiären Bande zwischen Furianus und Gracchus konnte zugesprochen werden, was nicht im Mindesten dazu gereichte, Gracchus' Ästimation für den Beamten zu erhöhen.
    "Der Magister Architecturae Afranius Curvus wäre ebenfalls geeignet, doch er führt derzeit Aufsicht über den neuen kaiserlichen Tempel in Leptis Magna und dies kann durchaus noch ein paar Jahre dauern. Sonst wüsste ich augenblicklich niemanden. Wie gesagt, meine einzige Idee wäre sonst mehrere, sicherlich auch fähige Architekten mit der Bauaufsicht zu betrauen."
    Unwillkürlich sog Gracchus seine Unterlippe zwischen die Zähne und kaute darauf, bevor er schlussendlich nickte.
    "Ich werde dem Collegium Pontificium deine Einschätzung antragen. Sollten wir uns für deinen Vorschlag aussprechen, so wirst du von uns hören. Hab Dank für deine Hilfe."
    Ebenso formell und von distanzierter Höflichkeit geleitetet wie die Begrüßung, fiel auch die Verabschiedung des Gastes aus.

    Wahrlich mochte es überaus wenige Menschen geben, welche tatsächlich Gracchus' Worte in all ihrer ausschweifenden Fasson goutierten, doch ihn selbst hatte dieser Gedanke bisweilen nie behelligt, gegenteilig, er war sich dessen nicht einmal gewahr. Die Toga schlussendlich in der Gesamtheit der stofflichen Masse um seinen Körper drapiert, wandte seinem Neffen er sich zu, hob eine Hand, um während des Redeflusses des jungen Mannes seine Unterlippe nachdenklich zu kneten und seinen Vorschlag zu antizipieren. Ein Saturnalienfest im Beisein außerfamiliärer Gäste würde bedeuten, dass jener Abend nicht in gar übermäßiger Unmäßigkeit würde enden, wie er dies bisweilen in Jahren zuvor hatte getan. Andererseits würde er dies in Abwesenheit Aristides' ohnehin vermutlich kaum, da Gracchus nicht mit Aquilius allein wollte in Unmäßigkeit enden und dies würde darob zu verhindern wissen, da mit dem rechten Weinpegel er würde durchaus zu prekären Taten befähigt sein, welche im Nachhinein sich als überaus blamabel konnten erweisen. In Aristides' Beisein mochte dies etwa dazu führen, dass die drei Vettern durch Rom strauchelten und dem pater patriae auf dem Forum Augustum einen aus Pergament gefalteten pilleus auf das steinerne Haupte setzten - ein dummer Jungenstreich, doch Aristides würde nie alt genug werden, um sich nicht an solcherlei zu delektieren, Aquilius nie alt genug, ihm dabei nicht zur Seite zu stehen, und Gracchus nie alt genug, seinem älteren Vetter in seiner Trunkenheit überall hin zu folgen - in Aristides' Absenz jedoch mochte dies dazu führen, dass Caius und Gracchus sich Dingen hingaben, welche ihnen beiden das Genick würde brechen. Auf seinen Bruder Lucullus wollte Gracchus in dieser Hinsicht nicht hoffen, auf seine Gemahlin noch weniger, und auch auf Sciurus war an diesem Abend kein Verlass, würde sich jener doch nach dem Mahl seinem eigenen, sieben Tage im Jahr währenden Leben hingeben. Je mehr Gracchus über die anstehenden Feiertage sinnierte, desto mehr wurde er sich dessen gewahr, dass ohnehin nicht viel Familie am Tische übrig blieb, nachdem auch seine Schwester Minervina vor Wochen bereits sich auf eines der Landgüter hatte zurück gezogen. Zudem mochte gerade ob dessen auch für Antonia die flavische Runde ein wenig ennuyant werden. Langsam ließ Gracchus seine Hand sinken.
    "Womöglich könnten wir den claudischen Haushalt laden, Antonia wäre dies gewiss agreabel, allfällig auch den aurelischen, in Hinblick auf Caius' Zukunft. Das ganze Dorf indes mag ein wenig extensiv werden."
    Ein prüfender Blick taxierte Lucanus. Ohne den Staub und die Defatigation der Reise, in ein adäquates Gewand gekleidet, erweckte er einen durchaus vielversprechenden Eindruck, auch seine Umtriebigkeit sprach für ihn. Zu geeigneter Zeit würde er mit ein wenig familiärer Nachhilfe den passenden Status erlangen, um der Politik Roms zu Diensten sein zu können.
    "Ich bin mir jedoch nicht dessen gewahr, ob aus diesen Familien auch Angehörige deines Alters derzeit in der Stadt weilen."
    Claudia Epicharis mochte etwaig Lucanus an Jahren näher sein als sie Gracchus dies war, womöglich auch eine der jungen Aurelia, zwischen welchen Aquilius seine Wahl traf, doch er hatte sie nie aus diesem Blickwinkel betrachtet, um sich dessen sicher zu sein.

    Da er nicht glaubte, dass die Frage nach seinem Schlaf für Lucanus tatsächlich könnte von Interesse sein, war Gracchus' Antwort nicht definitiv der gänzlichen Wahrheit verhaftet. Seit er seine Tage mit der Sklavin Salambo beendete, um herauszufinden, ob der Zeugung eines Kindes er fähig war, lagen auch die darauffolgenden Nächte zumeist schwer auf seiner Seele.
    "Mein Schlaf war durchaus erquickend, und du störst ..."
    Mitten im Satz blieb Gracchus' Blick an einem kleinen Tisch hängen, auf dessen runder, rotfarbener Kirschholzplatte ein eisernes Messer lag.
    "Die secespita, Tor!"
    fuhr den Sklaven vor sich er an, holte mit der Hand aus und zog sie mit dem Rücken über die Backe des Mannes, welcher submiss sich duckte und nach dem Messer griff. Umständlich hob jener hernach die Togafalten an und platzierte das Messer in der ledernen Scheide, welche am Gürtel Gracchus' Tunika angebracht war. Ein tiefes Seufzen echappierte dessen Kehle, ehe der Anwesenheit seines Neffen er sich wieder wurde vollends gewahr.
    "Verzeih. Du störst in keinster Weise."
    Ein nachdenkliches, doch gleichsam affirmatives Nicken geleitete Gracchus' nächste Worte, während die Sklaven die letzten Falten des Gewandes sorgsam drapierten.
    "Die Beschäftigung unter Caius' Ägide wird dir von äußerst großem Nutzen sein. Als tresvir capitalis wird er viel in Rom herum kommen und so auch du mit ihm, desgleichen wirst du auf diese Weise nicht nur die Vorzüge der Stadt kennen lernen, sondern ebenso ihre abominablen Seiten, welche doch gleichsam Teil ihrer sind. Iovis und Veiovis - auch die Götter leben in Gegensätzen, und diese Stadt bildet keine Ausnahme, selbst da zum Zentrum der Welt sie sich hat empor erhoben."
    Gracchus indes hatte kaum eine Vorstellung von den abominablen Seiten der Stadt, da das Gegensätzlichste, dessen er je war in Rom gewahr geworden, sein Zwillingsbruder war gewesen, denn seine eigenen Amtzeiten hatten ihn nur durch Archive und Officien geführt.
    "So du trotz dieser favorablen Entwicklung dennoch etwas bedürfen solltest, so kannst du dich weiterhin jederzeit auch an mich wenden."
    Bei all dem Pomp, mit welchem die schöne Roma einen Menschen zu umgarnen wusste, und all dem Gräuel dem vis-à-vis, war es schlussendlich stets die Familie, auf welche man sich konnte verlassen. Gleichsam war es dieser Tage die Familie, welche mit jedem verstreichenden Mond bröckelte, welche brach unter dem fortwährenden Schrecken des Todes, so dass es Gracchus um so mehr Anliegen war, zusammen zu halten, was von ihr übrig war, gleich welcher Zweige. Eben diesem Gedanken folgend, streifte ein Gedanke seine Sinne.
    "Apropos, es ist nicht mehr weithin bis zu den Saturnalia. Die Sklaven dieses Haushaltes haben die Feiertage zu ihrer freien Verfügung, in der Villa selbst sorgen für diesen Zeitraum käufliche Freie für einen geregelten, wenn auch äußerst eingeschränkten Ablauf des Alltages. Zudem ist es Teil der Familientradition, nach dem öffentlichen Opfer und dem Festakt am Nachmittag des ersten Feiertages gemeinsam mit den mit uns besonders eng verbundenen Sklaven zu speisen."
    Die diffizilste Angelegenheit im Zuge der Saturnalia war für Gracchus nicht etwa, sich mit dem Gedanken abzufinden, mit der Sklavenschaft zu speisen oder sich an den folgenden Tagen die Sandalen selbst zu schnüren, es war die Hilflosigkeit, eigenhändig ein Geschenk für seinen Leibsklaven Sciurus zu beschaffen, da Sciurus der einzige war, welcher für solcherlei Aufgabe wäre tauglich, doch er ihn kaum darum bitten konnte.

    Demütig neigte Gracchus sein Haupt, subaltern ihre Antwort akzeptierend, ihre Zurückweisung gleichsam.
    "Ist es der Klang dieses Namens, welcher die Stille erstrahlen lässt, so will keinen anderen mehr auf meinen Lippen ich tragen denn jenen der Schönsten der Schönen, ihn des Tages zum Äther hin schicken, des Nachts in des Morpheus' Armen flüstern, auf dass sein Timbre die Dunkelheit lässt aufleuchten in güldenem Hauch, adorabler noch als je ein funkelndes Gestirn könnte erklingen."
    Er war sich dessen gewahr, was Callista als seinen gerechten Lohn einforderte, dass halb Rom ihm würde neiden ob diesen Augenblickes, gleich wiewohl halb Rom ihm mochte neiden ob seiner Gemahlin. Doch ebenso wenig wie dieser, war er in der Lage, Callista zu geben, nach was ihr begehrte, was sie verdiente, jenes männliche Verlangen nach der Berührung einer Frau, jene Feuersglut eine Frau zu verehren, submiss an ihren Lippen zu hängen eines Verdurstenden gleich, mit bedingungsloser, blinder Hingabe sich ihrer selbst zu ergeben. Mit leisem Schnurren strich die pelzige Katze um Callistas Füße, taxierte Gracchus mit ihrem durchdringenden Blick als würde bis in seine Seele sie hinab blicken können. Eine Farce war alles, was er ihnen konnte offerieren, doch jenes filigrane Wesen hatte Wahrheit verdient.
    "Mehr als alle vergangenen Tage goutiere ich diese trauten Stunden, gewandelt von Innen nach Außen, dem Äußersten hinzu neigend, die Pläsier in all ihrer Couleur verzehrend, dies assekuriere ich dir. Indes verlange nicht von mir, edle Muse, was mir zu geben nicht möglich ist, denn all der sublime Schein würde devastiert, einer schillernden Seifenblase beim Anschein einer Berührung gleich platzen, hinfort geweht mit dem Hauch des Zephyrus. So dieser Tag je der einzige mag bleiben, an welchem diese zwei Pfade sich tangieren, sternenschimmernd, für einen kostbaren Augenblick, einen Herzschlag lang sich verbinden, um hernach sich zu lösen für die Ewigkeit, so soll dies Kleinod in Erinnerung verbleiben in seiner gänzlichen Erhabenheit, unbefleckt und rein, lauter und makellos."
    Neben sie setzte er sich, halb nur auf die steinerne Bank, sein Hand strich zaghaft eine Strähne ihres ebenholzfarbenen Haares hinter das helle Ohr zurück, an welchem der silberfarbene Ohrring sich in leisem Klang ergab. Vorsichtig beugte er sich zu ihr, suchte den Odeur ihres Wesens in sich zu fassen, die Präsenz ihres Geistes zu erspüren und hauchte sanft die Idee eines Kusses auf ihren blassen Hals, kapp unterhalb ihres Ohres.
    "Suche nicht, die güldene Frucht aus ihrer Hülle zu schälen, denn Bitterkeit haftet an ihrem Kern"
    , flüsterte einem lauen Zug des Windes gleich er in ihr Ohr, ehedem er ab ließ von ihr, sich erhob und dem Ausgang des sie umgebenden Falters zustrebte, in dessen Rahmen er verharrte, den Rücken ihr zugewandt. Dies war sein Fluch, denn sie war nicht zu finden, die epiphane Gestalt, welche bedingungslos sich wollte der Kongenialität hingeben, die profane Welt der Stofflichkeit dabei gänzlich hinter sich lassend. Vor ihm senkte der Abend langsam sein Tuch herab, überzog den Horizont mit dunklem Blau, ließ am fernen Firmament das erste Gestirn vage aufschimmern, und während die Melodie der Waldvögel langsam verklang, durchbrach das zarte Singen einer Nachtigall die aufziehende Dämmerung.
    "Wir sollten zurückkehren zum Mahl, ehedem die Nacht diese Insel verschluckt."
    Die Dunkelheit der Nacht war etwas, ob dessen Gracchus irrationale Furcht zu verspüren vermochte, genährt durch den Umstand, dass ab der Dämmerung die Konturen der Welt ihm zu verschwimmen schienen, jedes Blatt im Wind, jeder sich neigende Ast und jeder tanzende Nachtvogel ihm dazu gereichte, eine larva zu sein, zudem kaum je er hatte der Dunkelheit in ihrer Schwärze sich müssen ergeben, da in patrizischem Hause immer eine, wenn auch noch so kleine Flamme ihren warmen Schein erleuchten ließ.

    Es fehlten die Worte ihm, auszudrücken, was in ihm war, in ihm erwuchs, neu sich gestaltete und in nie dagewesener Form sich manifestierte, es fehlten die Farben, dies zu malen, die Klänge, dies zu komponieren, denn nichts in dieser Welt würde der Erhabenheit jener Gefühle zur Wahrheit gereichen können. So schwieg Gracchus lange Zeit, ließ den Nachhall Caius' Worte im Raume erbeben, horchte weiter auf den Herzschlag des Freundes, welcher so nahe ihm war wie nie zuvor, so nahe, dass er glaubte in ihm zu schwingen, mit ihm zu treiben und auf seinen Wogen zu schwimmen. Draußen vor dem Laden des Cubiculum begann es zu regnen, sanft plätscherte das Nass vom Himmel auf die Erde hinab, erschuf auf Stein, Holz und Wasserflächen eine harmonische Percussion, eine klandestine Symphonie der pantheistischen Natur, welche dort draußen im Dunkel verborgen lag. Gracchus mochte den Regen in all seinen Variationen, wenn die Welt er reinigte von Unrat, ihre Bewohner ob seinetwegen von ihrem Antlitze flüchteten, die trommelnde Melodie der Kontinuität, das kühlende und zugleich wärmende Nass, die Klärung der Sinne gleich der Verborgenheit hinter seinem Schleier - mehr noch als sich in ruhigen Stunden einer exzeptionellen Schrift hinzugeben, konnte Gracchus das Nichtstun delektieren, solange nur vom desolat erhabenen Lied des Regens es war begleitet - gleichsam war dies der einzige Müßiggang, welchen überhaupt er je hatte mit Muse delektieren können. Von Caius' Herzschlag begleitet, mit dem beständigen Heben und Senken seines Brustkorbes, seinem leisen Atem vermischt, gewann die tropfende Regensymphonie eine ganz neue, eigene Qualität, eine Mystifikation gleichermaßen, dem Herzschlag des Lebens in seiner gesamten Vielfalt, seiner Einzigartigkeit gleich. Tiefe innere Satisfaktion durchströmte Gracchus, welcher der Melodie sich hingab, darin versank mit jedem Atemzug, unendlich erleichtert, unendlich glücklich wie niemals zuvor. Kaum wagte er seine Stimme zu erheben, ein leises Flüstern nur durchbrach den Rhythmus der Nacht, doch er musste schlussendlich sprechen.
    "Geh nicht heute, geliebter Caius. Bleibe hier, bei mir, mit mir, auf dass dies Leben nie wieder enden mag."
    Zaghaft, als würde zum ersten Male er die noch immer ein wenig sonnengebräunte Haut berühren, strich Gracchus über die Brust Aquilius', fuhr in Kreisen darüber bis zu seinem Hals, ließ seine Berührung dort enden und hob den Kopf, um seinen Geliebten anzublicken, nicht flehend, nicht bittend, nur trunken von Liebe.

    Karg war das kleine Officium, ein einfacher Schreibtisch, drei Stühle darum und an der Seite ein beinah gänzlich leeres Regal zur Aufbewahrung von Schriftrollen. Die kleine Statuette der alten capitolinischen Trias war das einzig persönliche Schmuckstück in diesem Raum und da sonstig kaum etwas zur Betrachtung anregte, ließ Gracchus seinen Blick taxierend über eben diese wandern, streckte sodann seine Hand und berührte leicht das bronzene Gesäß des kleinen Mamarce mit seinem Zeigefinger, so dass die drei göttlichen Abbilder langsam sich um das Zentrum der Gruppierung zu drehen begannen. Ein Saturnaliengeschenk war dies gewesen von seinem Vetter Furianus und noch immer gereichte es Gracchus zu außergewöhnlicher Freude. Iove, Mamarce und Quirinus unterlagen beinahe schon der Trägheit, als an der Türe es klopfte, ein Scriba herein trat und Lucius Minicius Natalis ankündigte, den derzeitigen Curator operum publicorum. Die Begrüßung fand auf einer distanziert, höflichen Ebene statt, ehe der Curator und Gracchus sich schließlich gegenüber saßen, getrennt durch die feine Maserung der hölzernen Tischplatte.
    "Über den langsam dahin schleichenden Zerfall des Tempels des Mars Ultor bist sicherlich du im Bilde. Das Collegium Pontificium hat einheitlich beschlossen, dass lange genug dem tatenlos wurde zugesehen und eine Instandsetzung nun dringend von Nöten ist. An den Finanzierungsmitteln mangelt es nicht, indes scheint in Rom es dieser Tage nicht allzu leicht, einen geeigneten Architekten für solch ein Unterfangen zu finden."
    "Es ist ein gewaltiges Unterfangen, nicht jeder Architekt wagt sich an so etwas, vor allem, da der Zorn der Götter im Spiel ist, wenn etwas schief gehen sollte"
    , unterbrach der Curator Gracchus in seiner Rede und erntete dafür einen durchringenden Blick des Pontifex. Einige Augenblicke des Schweigens legten sich über die Szenerie, aufgrund derer Minicius schließlich erneut zögerlich zu Sprechen ansetzte.
    "Die Stadt könnte einen Architektenverbund zur Verfügung stellen."
    Fragend blickte er zu Gracchus, welcher nach einigen weiteren Herzschlägen des Schweigens den Kopf ein wenig schief neigte.
    "Der Cultus Deorum veröffentlichte vor einiger Zeit eine Ausschreibung. Obgleich die Resonanz auf jenen äußerst dürftig war, so ist sie dennoch vorhanden. Der Magister Architecturae Senator Germanicus Avarus ist bereit, sich einer solchen Aufgabe zu stellen, doch nicht alle Mitglieder des Collegium Pontificium sind sich einig über seine Person, weniger ob seiner Kompetenz denn seiner Adäquanz. Ist es dir möglich, mir einen in architektonischer Fertigkeit und Sachverstand similären Mann zu benennen, welcher bereit könnte sein, die Instandsetzung des Tempel des Mars Ultor zu übernehmen?"

    Zumindest blieb bei all dem fastidösen Geschehen im Rund der Arena die Möglichkeit zum Gespräch auf den Rängen der Zuschauer, obgleich vermutlich zum Höhepunkt der Darbietung auch dies würde ob des Lautstärkepegels verwehrt sein, welcher jedoch seinen Anfang dieser Zeit noch nicht hatte genommen.
    "Salve, Senator"
    , grüßte Gracchus Senator Purgitius und wollte bereits zu einer Negation des Anscheins der Goutierung der Spiele ansetzen, begnügte sich schlussendlich jedoch mit einer Erläuterung der professionellen Vorbereitung.
    "Eine Ehefrau ist das Wertvollste, was ein Mann an seiner Seite wissen kann, darum ist es nur adäquat ihr diesen Platz so kommod wie nur irgend möglich zu gestalten."
    Aquilius' Ankunft verhinderte vorerst, dass Gracchus dieser wertvollen Frau zu seiner Seite allzu viel Aufmerksamkeit musste zukommen lassen, konnte doch zuerst den Vetter er begrüßen, welcher in direkter Weise sich neben ihn platzierte, was ihn gleichwohl sprichwörtlich zwischen Scylla und Charybdis brachte. Längstens war damit die Irrfahrt jedoch nicht beendet, tat sich zur Seite hin zudem Decima Lucilla samt ihres Gemahles, des Germanicus, auf.
    "Salve, Decima, salve, Senator"
    , grüßte Gracchus nicht weniger auf Höflichkeit bedacht entsprechend zurück, sah sich weiters jedoch im Zwang, der Verbindlichkeiten mehr noch Vorschub zu leisten.
    "Darf ich euch meine werte Gemahlin Claudia Antonia vorstellen? Antonia, dies sind Senator Germanicus Avarus und seine liebreizende Gattin Decima Lucilla, welche bis vor kurzem Auctrix der Acta Diurna gewesen ist."
    Dass Antonia nicht bereits bei irgendeiner Feierlichkeit den Senator hatte kennen gelernt, mochte Gracchus nicht ausschließen, doch die Decima musste augenscheinlich ihr unbekannt sein, wie auch in reziproker Weise.

    Längstens war auch im Zentrum der Welt der Hauch des Winters eingezogen, hatte ein frostiger Schleier sich über die Stadt der sieben Hügel gelegt, wenn auch nicht in weißfarbenem Glanze, so doch mit eisigem Griff. Nebelfetzen wehten am frühen Morgen über das Forum hinweg, verschluckten das Capitolium an dessen Ende, ließen den Palatin gegenüber verblassen und selbst das flavische Amphitheater am anderen Ende des Forum lag halb verborgen, so dass die Szenerie in sich geschlossen hätte erscheinen können, der Profanität der Welt enthoben, wäre nicht das Forum Romanum selbst zu dieser frühen Stunde bereits mit allerlei Menschen bevölkert. In dunklem Rot loderten die Flammen in den bereitgestellten Feuerschalen, konträr dazu leuchteten die weißfarbenen Gewänder der Priester und ihrer Gehilfen auf dem Platz vor der Regia und auch der gekalkte Widder, welcher dem Sol Indiges an diesem Tage des Agonium wurde offeriert. Fabius Antistes, seines Zeichens Rex Sacrorum, zog eine Falte seiner Toga über den Kopf und streute eine Hand voll Weihrauchkörner über das Feuer hinweg, so dass gräulichfarbener Rauch sich in die eisige Luft erhob, sich mit dem Nebel zu binden und durch den Schleier zur Sonne hin zu gelangen versuchte, einer stetigen Säule gleich. Leises Flötenspiel setzte ein, obgleich der Opferkönig längst so versiert war, dass dessen er nicht hätte um seiner Konzentration willen bedurft, während eben jener die rituelle Reinigung der anwesenden Priester vollzog und sich sodann dem Tier widmete. Trotz des trüben Tages glänzte das Gold der Hörner und Hufe des Widders, reflektierte den Feuerschein als das Opfer sich ein wenig unter der Hand des Rex Sacrorum wand, als jener den Kopf des Widders zwischen den weiß- und rotfarbenen Bändern mit mola salsa und Wein beträufelte und dem Sol Indiges weihte. Ein Sacerdos entrollte das traditionelle Opfergebet und trug mit lauter Stimme es vor.
    "Sol Indiges, strahlende Sonne am Firmament!
    Dir weihen wir unsere heiligen Riten,
    Unsere Gebete und Entsühnungen, erhabenstes Gestirn,
    Für alle Tage welche du uns erleuchtet hast.
    Dein goldfarbenes Antlitz ist uns Wärme,
    Dein strahlendes Abbild ist uns Licht,
    Mannigfaltiger, nimm Du unsere Gabe,
    Glückverheißender, hör unser Gebet, gib uns schuldloses Heil,
    Mit Frieden, Göttlicher, und dem notwendigen Wohlstand."

    Kaum waren die Worte verklungen, zog der Rex Sacrorum seine secespita über den Rücken des Opfertieres, entnahm ihm den Schmuck und trat zurück. Der cultrariuis trat an seiner Statt nach vorn, das scharfe Messer fest in der Hand und den Blick zum Opferkönig, als die Frage nach dem Beginn der Tat er stellte. Kaum war die Antwort verklungen, stieß er das Messer in die Kehle des Tieres, welches nicht um sich herum das Geschehen bemerkte, sich auch seines Todes nicht wurde gewahr, ehe auch dieser ohnehin bereits verklungen war. Ein junger minister hielt die Schüssel bereit, welche ein Teil des Blutes in sich zu bergen hatte, ehe das rotfarbene Nass ungehindert auf den Boden vor dem Altar floss, ihn einfärbte wie seit Jahrhunderten an diesem Tage. Längst war nicht das Tier gänzlich ausgeblutet, da der Schlächter begann es auszuweiden, auf dass die vitalia Fabius Antistes konnten vorgelegt werden. Versiert tanzten dessen Finger über die fleischlichen Stücke, drehten und wendeten sie, begutachteten jedes einzelne, bevor das letzte davon - das Herz - er zurück in die patera legte und sich den Anwesenden zu wandte.
    "Litatio!"
    Er sprach dies als gäbe es ohnehin keinen Zweifel, obgleich tatsächlich mehr als Zweifel war angebracht, doch für kein öffentliches Ohr war dies bestimmt. Eine kleine Feuerschale wurde heran getragen, auf dem Altar platziert, und in ihr die Eingeweide dem divinen Sol Indiges geopfert, gleichsam der aufgefangene Teil des Blutes, und damit jede Spur eines Zweifels vernichtet. Als der Rex Sacrorum die Togafalte von seinem Kopfe zurück schlug und mit hastigen Schritten zurück in die Regia strebte, war offiziell das Opfer beendet. Gleich dem Opferkönig zogen sich einige der Priester in die Regia zurück, andere traten den Weg zu den Tempeln der Stadt an, während Sklaven des Cultus Deorum zurück blieben, die Spuren des Opers zu beseitigen und das Fleisch des Widders zur Kochstelle zu schaffen, auf dass es später am Tage würde verkauft werden können.

    Wenig lag Gracchus ferner denn Gladiatorenspiele, selbst Wagenrennen konnte mehr er abgewinnen oder etwa zotigen Possenspielen. Der blutige Kampf der Arena jedoch gereichte zumeist nur dazu, dass ihm blümerant wurde vor Augen und sein Magen gegen jeglichen Inhalt zu rebellieren begann. Manches mal jedoch waren an Feiertagen nicht nur Opfer publiker Art darzubringen, sondern auch ganz persönliche. Nicht nur gehörte es zur Pflicht eines Senators und Pontifex, sich an solch gewichtigen Festtagen öffentlich zu zeigen, es war gleichsam Pflicht eines Ehemannes, seine Gemahlin ab und an an seiner Seite auszuführen und da sich exzeptionelle Theaterstücke dieser Tage rar zeigten, mussten Alternativen gefunden werden, um das hauchdünne, zarte eheliche Band zu festigen. Aus diesem Grunde wohnte das in Publizität stets überaus glücklich und zufrieden anmutende Ehepaar Claudia Antonia und Flavius Gracchus nicht nur der Opferung zu Ehren des Tiberinus bei, sondern gleichsam auch den aus diesem Grunde stattfindenden Gladiatorenspielen. Die Plätze der Senatoren und ihrer Begleitung erlaubten eine vorzügliche Sicht auf das Geschehen im Rund zu ihren Füßen, ein Vorzug, um welchen das Volk an manch einem Tage die Senatorenschaft mochte beneiden, welchen Gracchus jedoch in keinem Maße konnte goutieren, da es unweigerlich dem rotfarbenen Blutfluss der Gladiatoren ihn nur mehr würde näher bringen. Die Sklavenschaft hatte dafür Sorge getragen, dass auch an diesen kalten Tagen des Dezembers der Platz einigermaßen agreabel sich bot, so dass die patrizischen Gesäße auf weichen Kissen konnten gebettet werden, Antonia jederzeit eine Decke sich würde anreichen lassen können, so die Kämpfe der Arena nicht würden ihr Blut ausreichend in Wallung bringen, und stets gewärmter Würzwein zur Verfügung stand, um den Körper von innen heraus zu wärmen. Schicksalsergeben ließ sich Gracchus zur Seite seiner Gemahlin sinken und blickte starr voraus in den sandigen Grund, über welchen eben die letzten Teile der pompa zogen.

    Nicht nur brachte der Tiber frisches Wasser nach Rom hinein, er schwemmte ebenso den Unrat daraus hinfort, fungierte zudem als Handelsweg zum Hafen Ostias, von wo aus Waren aus aller Welt ihren Weg in die Stadt fanden. Gracchus konnte dem Fluss an sich indes nur wenig abgewinnen, fließendes Wasser, welches nicht durch ein Aquädukt oder eine Leitung war eingefasst, erinnerte ihn an Unbeständigkeit, an das schwankende Grauen des Meeres, zudem stand der Fluss in seinem Sinne weniger für die Quelle des Lebens, denn für dessen Abwasserkanal. Jedoch konnte der hauchzarte Schleier des Nebels, welcher an frostigen Tagen sich über dem Wasser durch die Stadt hinweg schlängelte, die sieben Hügel umschmeichelte und die Stadt mit einem diffusem Schleier belegte, dazu gereichen, Gracchus' Sinne zu erfreuen. Das gesamte Jahr über fasste die Konsistenz des Flusses weit mehr als nur Wasser, doch zumindest in den winterlichen Monaten hielt sich der Odeur ungustiösen Ausmaßes doch zumeist in Grenzen. Nicht so jedoch an diesem festlichen Tage der Tiberinalia, da es schien, der Fluss hätte sich gar bemüht, den Unrat in den Grenzen der Stadt zu halten. Ob dessen war Gracchus einigermaßen froh, dass er seinem Magen nicht allzu viel Nahrung hatte an diesem Tage zugeführt, in weiser Voraussicht hinsichtlich der noch anstehenden Gladiatorenspiele eigentlich, doch wie sich zeigte war dies auch in Bezug auf das Gewässer nicht fehl gewesen. Doch ohnehin bedingte die Pflicht, sich der Prozession am Festtage des Tiberinus anzuschließen, ungeachtet jeglicher Ausdünstung geduldig dem Opfer beizuwohnen, den Fluss und dessen Numen zu zelebrieren, wie dies ihm zustand. Da hernach Spiele durch den Praetoren Tiberius waren angesetzt worden, wurde Gracchus an diesem Tage von seiner Gemahlin Antonia begleitet, auch und insbesondere, um dem noch nicht allzu lange bestehenden neuen sozialen Status gerecht zu werden, denn auch von der Gattin eines Senators forderte solcherlei Zugeständnisse.

    Neckisch lockend erschallten die wohlklingenden Worte der Beute voraus, ihre harmonische Stimme - keine Nuance zu hell, um zu sekieren, keine Spur zu dunkel, um in Tristesse zu zergehen - ihr heiter tönendes Lachen, ausgewogen und zart. Unweit musste sie harren, so dass Gracchus beinah bereits in Erwartung sich zeigte, hinter dem nächsten Hibiskusstrauch sie zu entdecken.
    "Keine Göttin fürcht' ich heute, ist es doch des Wolfes Kraft
    welche in mir dürstig fließet, welche mich zum Jäger macht."

    Unauskömmlich war sonstig es für ihn, den Nymphen hernach zu jagen, unbefriedigend, und doch war längstens dies ihm nicht mehr gewahr, da nicht dem physischen Wesen er eilte nach in faunischem Begehr denn der epiphanen Gestalt, einem zarten Gespinst im Dickicht der Persistenz der Welt. Weich und unscheinbar lag ihr Schal in seinen Händen, wanderte für einen Moment zu seinem Gesicht empor, da er ihren Duft einsog, welcher dem kostbaren Gewebe längst zu eigen war. Forschend wandte Gracchus sein Gesicht in das Wäldchen hinein, schloss erneut die Augen, seine Nasenflügel bebten, als könnte er ihre Spur wittern. Noch ehe er die Augen öffnete, trat er bereits den nächsten Schritt, folgte einer Spur, welche nicht zu sehen war, nicht zu hören und nicht zu riechen, und doch existierte, unmerkliches Beben der Luft. Ein Saum voller Rosen durchbrach das dichte Geäst grünfarbener Vegetation, führte zurück ihn an den Rande der durch Menschenhand gestalteten Welt, dem steinernen Schmetterling zu, welchen bereits von der Anlegestelle sie hatten erblickt, marmorne Zuflucht, umhüllt von Weinranken, so rotfarben wie Blut, als hätten Tausende Nymphen Abertausende Tränen geweint im Angesichte des herannahenden, incubischen Faunus. Zaghaft die letzten Boten der undurchdringlichen Wildnis vor sich aus dem Wege schiebend, trat Gracchus auf die Freifläche hinaus, auf welcher grünfarbenes Gras einzig noch von Natur zu zeugen vermochte. Ein lautes Klacken tönte zu seiner Rechten, einen Augenblick lang wand er den Blick in siegessicherem Erkennen, doch Stille folgte dem Laut, kein Rascheln im Geäst, kein Brechen von Zweigen, Streichen von Blättern. Nur Stein auf Stein.
    "Mir scheint's, der steinerne Riese sitzt dort im Geäst,
    welcher mit Granit sich umgarnen lässt.
    Doch der Nymphen zarter Hauch vermag
    den Faun nicht zu irren an diesem Tag."

    Rasch waren die letzten Schritte überwunden, der steinernen Sicherheit des Vesteckes der Nymphe ihre Geborgenheit geraubt, zur Falle sie gewandelt, da der einzige Ausweg gefüllt war mit dem Antlitz des Faunus.
    "Callista"
    , entfleuchte ihr Name seinen Lippen, mit rollendem l und weichem s goutierte er den Klang ihrer Selbst, ihres Abbildes der Welt, welcher dem Beginn der Muse so ähnlich war. Schmerzlich erinnerte sie ihn an seine verloren geglaubte Base, keine andere Frau hatte je das Spiel der Worte, das Spiel des Geistes auf jene Weise nur annähernd beherrscht, die Leichtigkeit in ihrem Wesen getragen, als wäre sie die Umkehrung der Gravation selbst.
    "Keiner Nymphe wurde je ich angesichtig, welche mehr ihr Wesen hätte verkörpert, welche adorabler mir wäre erschienen, und doch fällt es mir schwer, dem Faunus zu entsprechen, zu fordern seinen Lohn und damit die zarte Membran dieses Geschöpfes mit Devastation zu überziehen, da jede Berührung ihres Selbst zwangsläufig dazu wird führen müssen, dass unter diesen groben Händen zu Staub sie zerfällt."
    Er trat auf sie zu, ein entzücktes Leuchten in seinen Augen, und ein gespanntes Lächeln kräuselte seine Lippen, als er Callista mit ponderablem Blicke bedachte.
    "Gewähre mir darum nur eines, Schönste aller Schönen, gewähre mir das Wissen um deinen Namen und die Hoffnung darauf, ihn eines fernen Tages als Gast nennen, des Esprits seiner Trägerin ein weiteres Male habhaft werden zu dürfen."
    Vor sie hin hob er ihren Schal, dessen im Geäst der Inselmitte sie war verlustig geworden, welcher die Haut seiner Hand umschmeichelte wie ihre Präsenz seine Seele.

    Schauder um Schauder durchzog Gracchus' Leib, durchströmte in wohliger Wärme und prickelnder Erwartung jede Faser in ihm, ließ eintauchen in sehnsüchtiges Verlangen seinen Geist und belegte seine Sinne mit einem Schleier aus purpurfarbenem Dunst. Dass Aquilius tatsächlich dies hatte wörtlich gemeint, dass keinen anderen Mann er je hatte bis zum Äußersten begehrt und genommen, dies lag fern seiner Sinne, selbst des leisen Hauches von Unsicherheit im Bestreben seines Vetters wurde nicht er gewahr, denn zu genau wusste er selbst, was vor ihnen lag. Es war das Gefühl, sich Fallen zu lassen, keine Kontrolle haben zu müssen über das, was geschah, keiner Schuldigkeit verpflichtet, nur Goutieren ohne zu tun. In ihrer beider Leben schwang stets die Erwartung, dass sie sich dessen gewahr waren, was zu tun war, dass immerzu fest die Zügel sie in Händen hatten zu halten, doch an diesem Abend mochten sie loslassen, sich in die Hände eines anderen begeben, frei sein, frei von Erwartungen, frei von Drängen, frei von Pflicht - beide, gemeinsam. Seit langer Zeit bereits nicht mehr hatte Gracchus den Akt in solch ausgiebiger Weise genossen, womöglich niemals zuvor, obgleich er sich an die Anfänge mit seinem ersten Vertrauten nicht mehr recht konnte entsinnen, sie gleichsam in seiner Erinnerung mochten längst überhöht scheinen. Zudem war der alte Sciurus je der einzige Mann gewesen, welcher ihn gleich einem Knaben hatte genommen, hatte auf diese Weise ihn dürfen nehmen, denn unmöglich war Gracchus später dies mit anderen Sklaven gewesen, welchen er nicht vollends vertraute, welchen er nicht die Herrschaft über sich selbst in Händen konnte legen. Niemandem sonst hatte Gracchus je wieder sich solcherart ergeben wollen denn seinem geliebten Caius. Widerstrebend nur löste er sich von seinem Vetter, griff nach dessen Gewand und zog vorsichtig ihm dies über den Kopf, nur um Aquilius aus der kurzen Dunkelheit der stofflichen Umhüllung mit einem Blick zu empfangen, welcher bereits ihn zu verschlingen suchte.
    "Amantes amentes."*
    Eilig griff er sich selbst über die Schulter, zog mit einem Rück seine Tunika sich über den Kopf und drängte Caius zum Bett hin. Da jener nicht gleichsam die Führung übernahm, tat Gracchus dies, ohne darüber zu sinnieren, führte ihn, zu sich, begehrte ihn, in sich, liebte ihn, in ihm, beglückte ihn, beglückte sich, in fortwährendem Reigen, in endloser Ergebenheit.

    ~~~


    Schwer atmend lagen ihre Leiber nebeneinander, beieinander, berührten sich über heiße Haut. Gracchus drehte zur Seite sich und legte seinen Kopf auf Caius' Brust, jeder Herzschlag, welcher durch den Körper seines Vetters pochte, hallte in seinen Ohren wider, führte zu leiser Resonanz in seinem eigenen Leib. Er griff über Aquilius' Oberkörper und nahm dessen freie Hand, um sie auf sein eigenes Herz zu platzieren.
    "Spürst du dies, Caius? Du lebst noch immer, und ich lebe noch immer, mehr als je zuvor."
    Nicht Genugtuung lag in seiner Stimme, nicht Erleichterung, einzig Feststellung - denn nie hätte dies anders können enden, dies wusste er nun, endlich.


    *Liebende sind Verrückte

    "Selbstverständlich"
    , pflichtete Gracchus ihm bezüglich der Verbindlichkeiten in Hispania bei.
    "Obgleich dies natürlich überaus deplorabel ist, so geht nichts der Pflicht vor. Es wird dennoch Gelegenheit zum Gespräch geben, dessen bin ich mir sicher."
    Auch Gracchus erhob sich, wünschte seinem Vetter noch ein angenehmes Ankommen und zog sich hernach in seine Gemächer zurück.

    Obgleich es eine Zeit gegeben haben mochte, in welcher Gracchus in den Tag hatte hinein gelebt und gleichsam hatte hinein geschlafen - eine äußerst kurze, dafür um so beschämendere Episode seines Lebens - verließ seit langem er im Sommer mit den Strahlen der Sonne sein Bett und eilte im Winter, da das Himmelsgestirn selbst sich erst spät am Horizont wollte zeigen, ihr bereits voraus, um in frühen Stunden das Tagwerk zu beginnen. Zugleich oblag ihm in Abwesenheit Felix' die Aufwartung der flavischen Klientel über sich ergehen zu lassen, ihre Sorgen und Nöte zu hören und einige Entscheidungen zu treffen, wenn auch zumeist nur von marginaler Natur. Ein kleines Frühstück folgte hernach, äußerst spärlich, da sein Magen selbst nach den ersten Stunden des Wachens noch gegen allzu viel allzu feste Nahrung zu rebellieren neigte, im Anschluss daran widmete er sich oftmals ein wenig literarischen Studien, bevor er das Haus verließ, seine pontificische und senatorische Pflicht zu erfüllen. Dies jedoch bedingte zumeist zuvor, dass erneut in sein Cubiculum er sich begab, um sich noch einmal mit einer für den Tag angemessenen Toga umhüllen zu lassen, da er diese nach dem Empfang der Klientel zumeist noch einmal abzulegen pflegte. So kam es, dass als Lucanus am Morgen an der Türe zu Gracchus' Cubiculum klopfte, jener inmitten des Raumes stand, die Arme zur Seite hin ausgebreitet, und von zwei Sklaven mit der Masse von Stoff wurde umschlungen. Sein Leibsklave Sciurus öffnete die Türe, öffnete sie noch ein Stück mehr, um dem jungen Verwandten Platz zum Eintreten zu verschaffen und teilte seinem Herrn mit einem knappen "Dein Neffe Lucanus, Herr." die Identität des Besuchers mit. Über denjenigen Sklaven, welcher gerade feinsäuberlich eine Falte der Toga über seine Schultern drapierte, hinweg blickend, wandte Gracchus seine Aufmerksamkeit jenem Großneffen zu, über dessen Verwandtschaftsgrad er nicht wollte genauer nachdenken, da er glaubte, dies würde nur unweigerlich zu grauen Haaren auf seinem Haupte führen müssen, für welche noch immer er nicht bereit war - solange mindestens nicht, bis die Ehe mit Antonia ihm endlich einen Erben würde bescheren.
    "Guten Morgen, Lucanus. Hast du dich gut akklimatisieren können in den vergangenen Tagen?"
    Ob des Todes seiner Schwester, der Sorge um seinen Bruder und den derangierenden Ereignissen um Caius hatte Gracchus seinen jungen Verwandten beinahe völlig aus den Sinnen verloren, schalt in diesem Augenblicke sich selbst für dies Versäumnis.

    Vorbei zog das goldene Zeitalter an Gracchus' Sinnen, affirmierte den vorherigen Verdacht, konnte doch nicht mehr dazu gereichen, eine weitere Reaktion zu bedingen, gleichwohl wie auch der Götter' Lethargie, sah doch Gracchus die fortwährende Defatigation seines Vetters, welcher er nicht wollte weiter Vorschub leisten, da in solcherlei Konstitution klare Gedanken ohnehin mühselig waren zu fassen.
    "Deine Diskulpation ist vollkommen unnötig, Vetter, ich bin es, welcher darum bitten muss, da ich nach solch langer Reise dich abhalte von wohlverdienter Ruhe. Es wird noch genügend Zeit bleiben, um über Politik und Philosophie zu disputieren. Womöglich wirst du bis zu den Saturnalia noch bleiben?"
    Ein tristes Fest würde diesen Jahres es werden, zu viel Verlust hatte die Familie hinnehmen müssen, und doch war Gracchus fest entschlossen, trotz allem nicht der Tradition zu entsagen, in keinem Jahr - selbst wenn im desolatesten Falle dies sollte bedeuten, dass mit Sciurus allein er am abendlichen Saturnalientisch würde Platz nehmen.

    Nicht überzeugt klang er, nicht erfreut über die Aussicht, und doch gab er nach, wiewohl er augenscheinlich wusste, dass keine blühende Zukunft ihm war in Rom beschieden, nicht dieser Tage, womöglich später, allfällig niemals. Er war nicht gezeugt, nicht geboren in Absicht, ein führender Kopf des Imperium zu werden, an vierter Stelle der Söhne des Vespasianus, empor gerückt durch den Unbill der Natur, durch die wilden Wogen des Schicksals, Gracchus similär, doch disparat zu diesem hatte er nicht sich seinem Platz in stetigem Kampfe ergeben, nicht war dem beständigen Drängen der Pflicht und Erwartung erlegen. Gereichte dies ihm zu Nutzen oder zum Schaden, in diesem Leben, danach? Ein marginales Nicken kündete von Gracchus' Einverständnis, obgleich dies nicht notwendig war, so wollte doch er seinem Bruder zu verstehen geben, dass er trotz allem noch immer bereit war Sorge zu tragen für das Wohl der Familie.
    "Auch mir ist wohler bei dem Gedanken an Italia, die Gefahren des Landweges sind längst nicht vergleichbar zu jenen der See, und ich hoffe, die Vertrautheit der Umgebung wird deinem Wohlergehen zuträglich sein. So du nach etwas wirst bedürfen, zögere zu keiner Zeit, eine Nachricht zu senden."

    Leise klirrten die filigranen, hauchzarten Blätter über ihnen im Strome des sanft dahin plätschernden Abendhauches, welcher die Gräser zu ihren Füßen heimlich umzwirbelte, sie schwanken ließ, Bäumen im Sturmwinde gleich. Eine Täuschung zur Seite hin - doch Gracchus erlag ihr, folgte der Aufforderung in ihrem Blick, der Spannung ihres tonlosen Raunens, in Erwartung des ersten Zyklopen im Sturmesangriff, des Herannahens eines Horn bekrönten Minotaurus oder einer unscheinbar diffusen Chimäre am Wasserrand - zu spät wurde der Farce er sich gewahr, Callista war längst entflohen, entkommen in grünfarbenes Land. Rasch eilte er ihr hernach, einen schmalen Spalt zwischen zwei Zypressen durchschreitend, welche nach ihm griffen mit ihren Nadel gefüllten Ästen, sein Gewand streiften und zu hindern suchten den Faunus an seinem Siegeszug. Vor ihm durchbrach die zarte Nymphe das Dickicht, klandestin noch hing ihr Hauch in der stillen Luft, Augenblicke nur wehte die Couleur ihres Gewandes ihr nach. Mit einer Spur subliminalen Entzückens schloss Gracchus die Augen, verharrte lauschend im Unterholz, reglos, den Atem angespannt. Ein Rascheln zur Linken, ein Knacken zur Rechten, der Ruf eines Vogels gerade voraus, hernach sein aufgeregtes Schnattern und Schlagen seiner Flügel, als in den trüb blaufarbenen Himmel er sich erhob. Dichtes Gedränge aus grünfarben umschlungener Vegetation manifestierte sich vor Gracchus' innerem Auge, ein Refugium die Insel ihm erschien, Verdichtung der Natur, gestutzt nur an ihren Rändern, den Anschein von Außen zu wahren. Sukzessive verlor der Tag an Gewalt über die Welt, legte die Nacht ihren düsteren Schleier, raubte die Farblichkeit und schuf Schattierungen in Grau, durchbrochen vom Grollen ihrer wilden Bewohner, bedrohlichem Rascheln und perniziösem Ruf. Unwillkürlich versteifte sich Gracchus' Körper, die Kälte der Furcht legte eisig ihre Klauen auf seine Haut und sein Atem begann sein Herz zu jagen. Längst hatte der Weg sich vor ihm verloren, streckten die Silhouetten der kahlen Bäume gierig ihre Arme nach ihm aus, rissen die wilden Bewohner der Wälder an seinem Selbst, die vor ihm auf dem Boden krochen, durch das Unterholz schlichen, sich flatternd um seinen Kopf drehten und mit kreischendem Laut ihr Territorium zu verteidigen suchten. Erschrocken riss die Augen er auf, schnappte nach Luft und drängte die Erinnerung an Natur und Dickicht aus seinen Sinnen, Erinnerung an seinen Zwilling und den Weg zu Fuß durch die Welt außerhalb der sicheren Grenzen Roms, ein Spiel gleichermaßen, doch kein Spiel für ihn selbst, denn kein Episit konnte furchterregender sein als die Furcht in sich selbst. Doch fern waren jene Tage, fern war selbst die Nacht, denn noch immer leckten die honigfarbenen Strahlen der Sonne in fleckigem Muster über den Grund, nah rauschte das Wasser in der Poppaeas Garten, selbst der leise Gesang des Knaben vom anderen Ufer her war mit einigem Lauschen zu vernehmen, nur Callistas Spur hatte im kleinen Wäldchen sich verloren. Ein Auflachen echappierte Gracchus' Halse, sodann nahm die Suche er auf, seine Füße sicher über den weichen Grund führend, die Sinne auf sein Ziel gerichtet, gleichsam intonierend, die Nymphe lockend mit verbalem Köder.
    "Weh mir, der Faunen Tollheit ich ergeben!
    Der Nympen Wesen such ich zu erfassen,
    Doch dies kann mein Geiste nimmermehr;
    Vor ihrem Glanze muss in Neid erblassen
    Mein nichtig Herzen mehr und mehr.
    Tor der ich bin, hier verloren,
    In diesen dicht gewachs'nen Hallen
    Aus grün und grüner Plfanzlichkeit.
    Wo aus der Götter' Himmel fallen
    Zaghaft Strahlen der Unendlichkeit."

    Dürres Geäst brach unter seinen Füßen, grünfarbene Stängel beugten in Absicht ihr Haupt, ihrem vorzeitigen Ende zu entgehen, gleichsam streifte wieder und wieder die unnachgiebige Vegetation seinen Leib, strich zart ihm über die Wangen, wenn nicht im rechten Augenblicke er sich unter den Blättern der umstehenden Bäume hinweg zu ducken mühte. War dies dort das Aufscheinen der Nymphe, ein silbrig glänzendes Tuch am Zweige eines Strauches, Indiz für den Raub der Nymphe durch einen hölzernen Zyklopen? War dort der Abdruck eines behuften Fußes, des furchterregenden Minotaurus, welcher hernach jagte der zarten Gestalt? War nicht über ihm das Kreischen der Harpyien zu vernehmen, welche mit grauenerregender Gier der unschuldigen Nymphe lauerten? Eilen musste er sich, das zarte Wesen zu erretten.

    Zustimmendes Gemurmel erhob sich. Es waren selten die einfachen Menschen, welche die Götter vergaßen, vermutlich auch deswegen, da um so mehr sich von ihnen sie erhofften, dass ihr simples, womöglich unbefriedigendes Leben einen Hauch von Optimierung würde erfahren. Obgleich jener Verein, dessen mögliche Satzung von Tiberius verlesen worden war, kaum nur die niederen Schichten würde fassen, sonder eventualiter gar den ein oder anderen wohlklingenden Namen, so würden die Lares Compitales doch stets Ziel der Aufmerksamkeit jener sein, welche ihres Schutzes am ehesten bedurften, jener Händler, Handlungsreisender und jener, welche ihr Tagesgeschäft auf den Straßen der Stadt verrichteten und sie darob oft kreuzten. Kaum gab es einen Grund, aus welchem eben diesen ihre Verehrung sollte verwehrt werden, zumal keine fremdartigen Götzen sie wollten einführen, sondern jenen huldigen, welche bereits seit Jahrhunderten Teil des römischen Straßennetzes waren.
    "Ich sehe keinen Grund, diese Gründung nicht zu gewähren."
    "Ich befürworte einen solchen Verein ebenfalls."
    "Meine Zustimmung bekommt er auch."
    Nicht jeder der Mitglieder des Collegium Pontificium steuerte seine Zustimmung auf verbale Weise ein, manch einer nur nickte, doch keine abweisende Haltung zeigte sich durch die Reihen hindurch.

    ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Warm und geborgen umfasste die Höhle aus schillerndem Eis die Szenerie, einem delektablen Theaterstück gleich spiegelte sich der Lauf des Lebens auf dem gefrorenen Wasser, flog in bruchstückhaften Bildern dahin, verschwamm, um sich neu zu ordnen, erschuf sich wieder und wieder in endlosem Zyklus, in mannigfaltiger Manier. Ein Käfer schob seinen trägen Leib über den rauen Grund, schwarzfarben und der Kopf dem eines zottigen Hundes gleich, wurde sich zu spät erst des drohenden Schattens gewahr, welchen sein Fuß auf ihn hinab warf, welcher über ihm schwebte. Ein Knurren nur entfleuchte unter seinem bloßen Fuße und als er ihn hob, war von dem Tier nurmehr das Abbild einer Rose geblieben, gepresst ihre Blüte, in feierlichem Opfer die Blätter zerstreut. Schon aus der Ferne sah er sie kommen, ihre Spiegelung, denn längst hatte er sie erwartet, sie herbei gesehnt und erhofft. Er pflückte die duftende Rose aus den blaufarben schimmernden Schichten des Eises herab und steckte sie ihr ins dunkle Haar.
    "Die Welt ist im Wandel inbegriffen."
    Konvex bog sich die Sonne durch den purpurfarbenen Himmel, wölbte sich gierig und fraß die fliehenden Schatten auf, welche ihre zaghafte Silhouette in das Sirren der Wogen warf, gleich der blaufarbenen Blume einem Mythos entsprungen.
    "Der Wandel ist ein Muss."
    Leuchtend erhob sie sich, filigran, einer schimmernden Libelle gleich, zog ihn mit sich hinfort auf den Rücken eines gewaltigen Adlers, welcher stolz seinen Kopf erhob und seinen matten, ratternden Schrei in die Welt hinaus stieß, um zu verkünden, welch Kleinod er auf seinen Schultern trug. Sanft wiegend hoben und senkten sich seine Schwingen, wirbelten die Partikel der Luft umeinander, unterlegten ihre Worte mit dem Hintergrundrauschen des Lebens, dem pochenden Herzen gleich, welches die Körpersäfte in immerwährendem Ausgleich durch die Maschinerie der Existenz im Flusse dahin trieb.
    "Das Spektakulum dürfen wir nicht verpassen."
    Einsam strebte ein wuchtiger Baum seine verdorrten Äste in den Himmel zu ihnen hinauf, ein einziger Apfel daran hing - prall, rotfarben und saftig - aus welchem ein Wurm sich schlängelte, seine Flügel breitete in den Äther und an ihnen vorbei in die Unendlichkeit entflog. Müde winkte das Gewächs ihm hernach, winkte vielleicht auch zu ihnen, sich näher heran zu ihm zu gesellen, sich niederzulassen in seinem fransigen Schatten oder dem weichen Nest seiner Krone, gleichwohl etwaig suchte er sie hinfort zu wischen, bat die Flucht zu ergreifen vor ihm, der er gierig sich nach ihnen verzehrte. Indes unbeachtet blieb er, selbst als zu Asche er zerfiel, welche auf Tausenden kleinen Füßen sich aus dem Staube begab.
    "Das Leben ist eine Inszenierung. Die Seele ein Spiegel der Welt."
    Wie regenbogenfarbene Lichtflecken tanzten ihre Worte über die weichen, weißfarbenen Federn, strichen über das großmütige Tier hinweg wie gleichsam über seine Seele. Betörend der Schall dieser Harmonie, berauschend ihr Satzgefüge und unwiderstehlich die Klangfarbe ihrer Stimme. Unwirklich. Wie eine Explosion zerteilte sie den Raum in sich selbst, in pantheistischer Manier erfüllte sie die Szenerie mit all ihrem Sein, in sich, durch sie und aus ihr heraus war das Wort geboren, war das goldfarbene Lied entsprungen und das blasse Licht entstanden.
    "Ihr, die mich liebt,
    warum seid ihr so fern?
    Ihr, die mir lauscht,
    warum hört ihr mich nicht an?"

    Getragen sanken ihre Worte, harmonisch schwebend, nach Bedeutung suchend, gleichsam in Bedeutsamkeit vergehend, in Tonlosigkeit verebbend.
    "Ich. Ich. Du. Du. Liebe. Leben. Leid. Lust. Es ist alles gleich. Wir vergehen in den Gefühlen."
    Überwältigend waberte die inspirierende, wogende Motivik, schimmerte in sonatenhaft dahinfließender Akkordig und zog sich in feister, symphonischer Kaskade auseinander. Er tauchte ein in ihre Erhabenheit, durchschwamm ihre Sinne und badete in ihrem Sein, sich aalend in ihrer Existenz, bis dass die Welt sich zusammen zog und in einem Schwall der Verheißung sich zurück in ihre Schale ergoss.
    "Das Theater der Seele. Sei willkommen."
    Willkommen in den Straßen einer Stadt, deren fensterlose Häuser aufmerksam ihre Augen auf sie hinab richteten, aus deren Brunnen Weihrauch empor plätscherte und die Luft mit süßlichem Odeur erfüllte, einer Stadt gleich der Blüte Roms, nichts ließ daran Zweifel, nicht die verfallenen Bauwerke an ihrem Ende, nicht der Wüstensand auf ihren Foren, nicht das Gebäude gleich der Akropolis in ihrer Mitte. Sie waren Zuhause, gleichsam wie der Ort nichtig war.
    "Kupido."
    Sie nahmen Platz auf einer Bank aus Marmor, weich wie ein federngefülltes Kissen und er nahm ihre filigranen Finger in seine Hände.
    "Du bist aller Anfang"
    , erkannte er neidlos in barem Erstaunen.
    "Wenn nur dich ich könnte in meinem Herzen tragen, mein Herz wollte ich tragen zu dir. Wenn dein Licht würde die Stille erleuchten, Schweigen wollte ich auf immer."
    Fassungslos berührte er ihre zarte, beinah luzide Haut, hinter deren Membran eine ganz eigene Welt aus sich selbst heraus erstrahlte, in schillernden Tönen sich erhob. Laut lachte er auf, befreit von allem Zweifel, aller Defatigation und jeglichem Defätismus, er lachte wie es im Leben nicht möglich war, in jener Welt, die selbst sich Realität betitelte, er lachte, bis sein Lachen die Existenz erfüllte und es in Weinen überging, bis der Wind sein Lachen war, welcher seinen weinenden Donner hinfort trug, bis die Stille sein Lachen war, welche durch sein Weinen der Bäume wurde durchdrungen, bis der Fluss in seinem Lachen rauschte und seinen Weinen vom Himmel plätscherte.
    "Kalliope"
    , tanzte er mit ihr hinfort. Hinfort getragen von den weichen Schwingen der Nacht durchstreiften sie die farblose Unendlichkeit in all ihrer Couleur. Ein Mann, eine Frau, reichte den Kelch der Verzückung, teilte sich und zerfiel zu zweien. Schwarzfarben ihre Haut, glatt, ölig und ohne Makel, angedeutet nur ihre Form, ihre Augen opak. Sie beide reichten die Frucht sich und nahmen sie, davon zu Kosten die süße Verlockung, das güldene Fleisch, der Götter Mahl.
    "Die Ewigkeit. In diesen Gefilden vergeht nichts. Es währt in perpetuum. Lass uns gemeinsam verschmelzen. In der Endlosigkeit. Die den Göttern vorher bestimmt ist."
    Süß schmeckte die weiche Frucht, süß die Berührung ihrer Finger, einem Traume gleich, ohne Zweifel, der es war ohne dies zu zeigen.
    "Äonen."
    Die Götterspeise selbst in seiner Hand führte er sie zu ihrem Munde, legte behutsam das güldene Fleisch zwischen ihre Lippen, ließ nicht ab, sondern strich in sanfter Berührung über ihre Schläfe, die zarte Haut, die ephiphane Erscheinung, welche unter seinen Fingern sich bereits löste.
    "Unwirklich"
    , hauchte er, tat es nicht, gleich, lüftete allmählich Morpheus doch seine Schwingen.

    ~~~


    Ein schnelles Blinzeln erhellte die Welt, ließ das allmorgendliche Licht durch die Vorhänge Gracchus' Wimpern in seine Augen fallen und überzeugte schlussendlich seinen Geist vom Ende der Nacht. Ein ausgiebiges Gähnen echappierte ihm, zu spät erst hob er die Hand, um mit deren Rücken das endlose Loch seines Rachens zu bedecken, gleichsam erinnerte er sich eines essentiellen Details der nächtlichen Wanderung.
    "Äonen"
    , rezitierte er und blickte zu seinem Sklaven, welcher bereits dampfendes Wasser aus einer Kanne in die Waschschale goss. Dernämliche reagierte indes in keinster Weise und da auch Gracchus bereits in diesem Moment hatte darum vergessen, was an jenem Ausdruck bedeutsam gewesen war, gleichwie an dessen Sinn, so strich er die Decke bei Seite, um die Nacht hinter sich zu lassen und dem Tag sich zu ergeben, erneut in Vergessenheit.