~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~
Warm und geborgen umfasste die Höhle aus schillerndem Eis die Szenerie, einem delektablen Theaterstück gleich spiegelte sich der Lauf des Lebens auf dem gefrorenen Wasser, flog in bruchstückhaften Bildern dahin, verschwamm, um sich neu zu ordnen, erschuf sich wieder und wieder in endlosem Zyklus, in mannigfaltiger Manier. Ein Käfer schob seinen trägen Leib über den rauen Grund, schwarzfarben und der Kopf dem eines zottigen Hundes gleich, wurde sich zu spät erst des drohenden Schattens gewahr, welchen sein Fuß auf ihn hinab warf, welcher über ihm schwebte. Ein Knurren nur entfleuchte unter seinem bloßen Fuße und als er ihn hob, war von dem Tier nurmehr das Abbild einer Rose geblieben, gepresst ihre Blüte, in feierlichem Opfer die Blätter zerstreut. Schon aus der Ferne sah er sie kommen, ihre Spiegelung, denn längst hatte er sie erwartet, sie herbei gesehnt und erhofft. Er pflückte die duftende Rose aus den blaufarben schimmernden Schichten des Eises herab und steckte sie ihr ins dunkle Haar.
"Die Welt ist im Wandel inbegriffen."
Konvex bog sich die Sonne durch den purpurfarbenen Himmel, wölbte sich gierig und fraß die fliehenden Schatten auf, welche ihre zaghafte Silhouette in das Sirren der Wogen warf, gleich der blaufarbenen Blume einem Mythos entsprungen.
"Der Wandel ist ein Muss."
Leuchtend erhob sie sich, filigran, einer schimmernden Libelle gleich, zog ihn mit sich hinfort auf den Rücken eines gewaltigen Adlers, welcher stolz seinen Kopf erhob und seinen matten, ratternden Schrei in die Welt hinaus stieß, um zu verkünden, welch Kleinod er auf seinen Schultern trug. Sanft wiegend hoben und senkten sich seine Schwingen, wirbelten die Partikel der Luft umeinander, unterlegten ihre Worte mit dem Hintergrundrauschen des Lebens, dem pochenden Herzen gleich, welches die Körpersäfte in immerwährendem Ausgleich durch die Maschinerie der Existenz im Flusse dahin trieb.
"Das Spektakulum dürfen wir nicht verpassen."
Einsam strebte ein wuchtiger Baum seine verdorrten Äste in den Himmel zu ihnen hinauf, ein einziger Apfel daran hing - prall, rotfarben und saftig - aus welchem ein Wurm sich schlängelte, seine Flügel breitete in den Äther und an ihnen vorbei in die Unendlichkeit entflog. Müde winkte das Gewächs ihm hernach, winkte vielleicht auch zu ihnen, sich näher heran zu ihm zu gesellen, sich niederzulassen in seinem fransigen Schatten oder dem weichen Nest seiner Krone, gleichwohl etwaig suchte er sie hinfort zu wischen, bat die Flucht zu ergreifen vor ihm, der er gierig sich nach ihnen verzehrte. Indes unbeachtet blieb er, selbst als zu Asche er zerfiel, welche auf Tausenden kleinen Füßen sich aus dem Staube begab.
"Das Leben ist eine Inszenierung. Die Seele ein Spiegel der Welt."
Wie regenbogenfarbene Lichtflecken tanzten ihre Worte über die weichen, weißfarbenen Federn, strichen über das großmütige Tier hinweg wie gleichsam über seine Seele. Betörend der Schall dieser Harmonie, berauschend ihr Satzgefüge und unwiderstehlich die Klangfarbe ihrer Stimme. Unwirklich. Wie eine Explosion zerteilte sie den Raum in sich selbst, in pantheistischer Manier erfüllte sie die Szenerie mit all ihrem Sein, in sich, durch sie und aus ihr heraus war das Wort geboren, war das goldfarbene Lied entsprungen und das blasse Licht entstanden.
"Ihr, die mich liebt,
warum seid ihr so fern?
Ihr, die mir lauscht,
warum hört ihr mich nicht an?"
Getragen sanken ihre Worte, harmonisch schwebend, nach Bedeutung suchend, gleichsam in Bedeutsamkeit vergehend, in Tonlosigkeit verebbend.
"Ich. Ich. Du. Du. Liebe. Leben. Leid. Lust. Es ist alles gleich. Wir vergehen in den Gefühlen."
Überwältigend waberte die inspirierende, wogende Motivik, schimmerte in sonatenhaft dahinfließender Akkordig und zog sich in feister, symphonischer Kaskade auseinander. Er tauchte ein in ihre Erhabenheit, durchschwamm ihre Sinne und badete in ihrem Sein, sich aalend in ihrer Existenz, bis dass die Welt sich zusammen zog und in einem Schwall der Verheißung sich zurück in ihre Schale ergoss.
"Das Theater der Seele. Sei willkommen."
Willkommen in den Straßen einer Stadt, deren fensterlose Häuser aufmerksam ihre Augen auf sie hinab richteten, aus deren Brunnen Weihrauch empor plätscherte und die Luft mit süßlichem Odeur erfüllte, einer Stadt gleich der Blüte Roms, nichts ließ daran Zweifel, nicht die verfallenen Bauwerke an ihrem Ende, nicht der Wüstensand auf ihren Foren, nicht das Gebäude gleich der Akropolis in ihrer Mitte. Sie waren Zuhause, gleichsam wie der Ort nichtig war.
"Kupido."
Sie nahmen Platz auf einer Bank aus Marmor, weich wie ein federngefülltes Kissen und er nahm ihre filigranen Finger in seine Hände.
"Du bist aller Anfang"
, erkannte er neidlos in barem Erstaunen.
"Wenn nur dich ich könnte in meinem Herzen tragen, mein Herz wollte ich tragen zu dir. Wenn dein Licht würde die Stille erleuchten, Schweigen wollte ich auf immer."
Fassungslos berührte er ihre zarte, beinah luzide Haut, hinter deren Membran eine ganz eigene Welt aus sich selbst heraus erstrahlte, in schillernden Tönen sich erhob. Laut lachte er auf, befreit von allem Zweifel, aller Defatigation und jeglichem Defätismus, er lachte wie es im Leben nicht möglich war, in jener Welt, die selbst sich Realität betitelte, er lachte, bis sein Lachen die Existenz erfüllte und es in Weinen überging, bis der Wind sein Lachen war, welcher seinen weinenden Donner hinfort trug, bis die Stille sein Lachen war, welche durch sein Weinen der Bäume wurde durchdrungen, bis der Fluss in seinem Lachen rauschte und seinen Weinen vom Himmel plätscherte.
"Kalliope"
, tanzte er mit ihr hinfort. Hinfort getragen von den weichen Schwingen der Nacht durchstreiften sie die farblose Unendlichkeit in all ihrer Couleur. Ein Mann, eine Frau, reichte den Kelch der Verzückung, teilte sich und zerfiel zu zweien. Schwarzfarben ihre Haut, glatt, ölig und ohne Makel, angedeutet nur ihre Form, ihre Augen opak. Sie beide reichten die Frucht sich und nahmen sie, davon zu Kosten die süße Verlockung, das güldene Fleisch, der Götter Mahl.
"Die Ewigkeit. In diesen Gefilden vergeht nichts. Es währt in perpetuum. Lass uns gemeinsam verschmelzen. In der Endlosigkeit. Die den Göttern vorher bestimmt ist."
Süß schmeckte die weiche Frucht, süß die Berührung ihrer Finger, einem Traume gleich, ohne Zweifel, der es war ohne dies zu zeigen.
"Äonen."
Die Götterspeise selbst in seiner Hand führte er sie zu ihrem Munde, legte behutsam das güldene Fleisch zwischen ihre Lippen, ließ nicht ab, sondern strich in sanfter Berührung über ihre Schläfe, die zarte Haut, die ephiphane Erscheinung, welche unter seinen Fingern sich bereits löste.
"Unwirklich"
, hauchte er, tat es nicht, gleich, lüftete allmählich Morpheus doch seine Schwingen.
Ein schnelles Blinzeln erhellte die Welt, ließ das allmorgendliche Licht durch die Vorhänge Gracchus' Wimpern in seine Augen fallen und überzeugte schlussendlich seinen Geist vom Ende der Nacht. Ein ausgiebiges Gähnen echappierte ihm, zu spät erst hob er die Hand, um mit deren Rücken das endlose Loch seines Rachens zu bedecken, gleichsam erinnerte er sich eines essentiellen Details der nächtlichen Wanderung.
"Äonen"
, rezitierte er und blickte zu seinem Sklaven, welcher bereits dampfendes Wasser aus einer Kanne in die Waschschale goss. Dernämliche reagierte indes in keinster Weise und da auch Gracchus bereits in diesem Moment hatte darum vergessen, was an jenem Ausdruck bedeutsam gewesen war, gleichwie an dessen Sinn, so strich er die Decke bei Seite, um die Nacht hinter sich zu lassen und dem Tag sich zu ergeben, erneut in Vergessenheit.