Beiträge von Manius Flavius Gracchus

    Mehr als deplorabel (dies einzig gehört ganz allein dir, rotschopfige Muse). Wahrhaft, das Erwachen, ein Albtraum ohne Entrinnen.


    Kümmere dich nicht um das Munkeln und Grämeln und den Staub überlebter, vertrockneter Sitten.
    Die Sonne wird ewig kommen und gehen und wiederum kommen.
    Doch wenn unser eigenes kleines Flämmchen einst sinkt, dann schlafen wir eine Nacht für immer.

    Die Nachricht ob des Eintreffens des Flavius Quirinalis in der Villa Flavia hatte Gracchus nicht nur überrascht, sie hatte tatsächlich dazu gereichen können, seine Gedanken zu irritieren und von seinem vordergründigen Tun, dem Studium einiger Tagesakten des Collegium Pontificium, abzulenken. Natürlich war er mit dem Namen des Mannes vertraut, er war kein Flavier von Blute denn durch äußerst absurde Umstände. Er war der Bruder eines Kaiserattentäters, der Sohn einer Verräterin - schlimmer noch als ein leiblicher, welcher sich seine Mutter nicht hatte ausgesucht, ein ideologischer, freiwillig gewählter. Gracchus war nicht informiert über das gänzliche Ausmaß all jener intriganten Machenschaften, welche ein über sich selbst bestimmendes Mitglied einer ehrbaren, patrizischen Familie dazu brachte, sich freiwillig in die Abhängigkeit eines anderen zu stellen, von gleichem Stande und keinesfalls besonders einflussreich. Einzig die Erbfolge mochte dies bedingen, doch Flavius Catus hatte keine Macht besessen, wodurch in logischer Folge nur Felix' Tod und Catus' Beerbung der Plan hatte sein können - oder schlimmeres noch. Gracchus indes wollte es nicht wissen, gleichsam wie er mit einem solchen Menschen nicht wollte mehr als notwendig Zeit verbringen. Als er das Atrium betrat, stand unweit des Mannes, welcher Flavius Quirinalis musste sein, der erst kürzlich in Rom angekommene Lucanus und einen Augenblick lang flammte Misstrauen in Gracchus auf.
    "Salve, Flavius"
    , grüßte Gracchus Quirinalis, doch da er nicht hatte vor, länger die Anwesenheit jenes Mannes zu genießen, nahm Gracchus weder Platz, noch bot dem Gast einen solchen an. Sein Auftreten war höflich, soweit es die Regeln forderten, keinen Deut jedoch mehr.
    "Salve, Lucanus"
    , grüßte hernach er den jüngeren Verwandten, gab jedoch nicht seiner Neugier nach, nach ihrer Bekanntheit zu fragen, sondern wandte sich schließlich wieder Quirinalis zu.
    "Ich bin Flavius Gracchus. Du batest um ein Gespräch mit mir?"
    Titel und Positionen waren belanglos diesbezüglich, ging es doch einzig hier um die Familie.

    Etwas lag zwischen ihnen, reagibel, vibrierte marginal bei jeder Bewegung, geriet in Schwingung als Aurelius Gracchus' Körper berührte, war nicht zu verdrängen, nicht bei Seite zu schieben. War es dies, was Caius hatte sich dem Aurelier zuwenden lassen, war es die Reminiszenz Aquilius' Sehnens, welches Gracchus nun an sich zog, welches seine Nasenflügel beim Detektieren des fremden Odeurs vibrieren ließ, war es der leise Anklang von Eifersucht? Was immer es war, gänzlich unpassend schien es im Augenblicke, eine Nuance in der kühlen Luft nur dazu, und doch war indisputabel es vorhanden. Beruhigend strömten die eindringlichen Worte des Magistrates auf Gracchus ein, der nun hatte die Initiative ergriffen, der nun dafür würde Sorge tragen, dass geschah, was geschehen musste. Der Leichnam Agrippinas indes wurde hinfort getragen von den Stufen des Tempels, fort aus Gracchus' Blick, fort aus seinem Leben, zurücklassend ein überaus ungustiöses Bildnis ihrer selbst, von welchem er wusste, dass nie wieder er aus seinem Kopfe es würde verdrängen können, dass nur immer dies ihm würde in Gedanken hängen, wenn an seine Schwester er sich zu Erinnern gedachte, gleich des degoutanten Bildnisses, welches von seinem alten Sciurus ihm im Geiste haftete - bleich, bloß, kontrastierend das rotfarbene Blut auf seinem Körper, das rotfarbene Blut welches zurück blieb auf der hellen, marmornen Treppe. Dumpf und einnehmend zugleich hallten die Worte Aurelius' in Gracchus Kopf wider, klangen so vernünftig und adäquat, so einleuchtend und doch so merkwürdig fremd. Mein Freund - waren dies tatsächlich seine Worte gewesen, oder war es nur der Hauch einer Sehnsucht, welcher in seinen Ohren klang, war es der Wunsch zu begreifen, weshalb Aquilius jenen ihm vorzog, der Wunsch Teil zu haben an Caius' Glück? Niemand nannte Gracchus je 'mein Freund', denn er hatte keine Freunde, nie gehabt, nur Caius, hielt fortwährend Distanz, stets in Furcht vor sich selbst, vor dem gierigen Episit, welcher sein Leben würde Preis geben der Vernichtung. Nur ein stummes Nicken konnte ihm entweichen, als letztlich der einzige Freund, der nämliche selbst die Szenerie betrat, als würde unweigerlich alles an diesem Punkte sich kumulieren, als würde der Knoten sich zusammen ziehen, um in festem Bande sich zu verwirren oder in einem betörenden Schlage zu detonieren. Vergessend ließ Gracchus ab von Aurelius, nichts konnte je mehr ihn anziehen denn sein Vetter, sein Caius, denn gleich, wem dieser je sein Herz würde schenken, das seine würde nur immer ihm gehören.
    "Caius"
    , hauchte er, atmete den Geliebten ein wie ein Ertrinkender die Luft, sehnte sich danach, sich nur an seine Schulter zu lehnen, umfasst zu werden von seinen starken Armen, sich an seinem Halse ausweinen zu dürfen, bei ihm zu sein, doch nichts hatte je sie mehr voneinander entfernt denn die Publizität, fürchtete Gracchus doch bei jeder Berührung, bei jeder Geste, dass alle Welt würde erkennen, was sie verband, dass schon ihr Blick allein würde gereichen, sie bloß zu stellen, sie beide zu devastieren.
    "Sie ist tot, Caius. Ermordet. Die virgo vestalis maxima. Aquilia."
    Schwerfällig nur wollte die kühle Herbstluft in Gracchus' Lungen Einzug nehmen, sein Körper wehrte sich gegen die Klärung seiner Sinne, wie sein Geist sich gegen die Wahrheit wollte stellen.
    "Aurelius hat sie ... war hier. Ich ... muss den Pontifices berichten."
    Beinah schien es, als könne er sich selbst sehen, von Außen betrachtet, Aquilius, Corvinus ihm gegenüber, reziprok, fort von ihm, weit fort, beieinander. Es war angebracht, seine Sinne beisammen zu halten, die Trauer zu überwinden, den Schmerz. Die virgo vestalis maxima war tot - was zählte da noch sein eigenes Leben, was zählte, dass Caius sich hatte ihm abgewandt, dass Corvinus ihn hatte geraubt, dass seine Schwester war dem Leben entronnen? Irrelevant, dies war das Leben - bedeutsam war nur der Tod. Noch immer derangiert wandte Gracchus sich Aurelius zu.
    "Danke, Aurelius. Ich werde zurück zur Regia gehen, das Collegium ... benachrichtigen. Alles weitere ..."
    Was war noch alles weitere gewesen? Der Tod. Die virgo vestalis maxima.
    "Alles weitere wird seinen Lauf nehmen."
    Ohne seinen Vetter anblicken zu können - nicht wollte er die Bestätigung sehen in Aquilius' Augen für das, was längstens er wusste - einen marginalen Moment im Versuch, ihn zu berühren, doch die Hand sinken lassend, noch ehe sie recht erhoben war, trat er an diesem vorbei.
    "Wir sehen uns ... zuhause."
    Keinen Augenblick länger wollte Gracchus an diesem Orte verweilen, denn was der ungustiöse Tod seiner Schwester nicht hatte an diesem Tage zu Wege geschafft - dass seine Contenance er würde völlig verlieren - die Nähe seines Vetters und dessen Geliebten würden dazu mehr als nur gereichen.

    Erneut echappierte Gracchus ein Seufzen, tief und lang gezogen, war seine Ehe doch etwas, was in Gedanken beständig auf sein Gemüt zu drücken wusste.
    "Den gesamten Tag und nicht selten in der Nacht steht Antonia mir im Wege und dies, obgleich sie mir kaum je von Angesicht zu Angesichte gegenüber steht. Immer habe ich geglaubt, ein patrizische Ehe würde nicht mehr bedürfen als des stillen nebeneinander Existierens, des Existieren-Lassens. Respekt ist es, was eine Ehe braucht, doch ich habe nicht das Gefühl, dass es das ist, was sie mir entgegen bringt. Immer scheint sie mir so perfekt, nichts kann in ihrem Angesichte bestehen, ich selbst erscheine dann nur um so unwürdiger und ungenügend, und dies verfolgt mich, Caius, des Tages wie in der Nacht. Glaube nicht, dass ihr Unglück mir entgeht, denn wenn einen Sinn ich habe für irgendetwas auf dieser Welt, so für das Unglück. Meinetwegen ist es, doch ich weiß nichts, was dagegen ich unternehmen soll, was unternehmen ich kann, da diese Ehe bei allem, was wir tun uns im Wege steht, sie letztlich uns sogar daran hindert, sie zu lösen. Diese Ehe ist ein Gräuel, Caius, ein wahrhaftes Gräuel, mehr noch auf diese Weise wie sie ist, in ihrer Ignoranz, als wenn Antonia mich den ganzen Tag lang würde ob meiner Unzulänglichkeit beschimpfen. Es wäre immerhin etwas. Doch nichts teilen wir, mitnichten Sorgen und Nöte, nur vollkommene Stille."
    Aquilius war ohnehin der einzige Mensch, mit welchem Gracchus seine Sorgen und Nöte teilte, nicht einmal Sciurus offenbarte er sein tiefstes Innerstes, und Aquilius war jener Mensch, welchen Gracchus des Nachts an seiner Seite misste. Womöglich hätte Antonia zumindest die Leere neben ihm hätte ausfüllen, zumindest seinen Körper wärmen können, wäre nicht ein jedes Mal das klandestine Entsetzen in ihrem Blicke, sobald er ihr Cubiculum betrat.
    "Doch womöglich wirst du besser es treffen. Meine Eltern haben sich schlussendlich wohl tatsächlich geliebt, mehr noch als respektiert zumindest, und dies erwuchs aus einer politisch arrangierten Ehe. Es ist möglich, und niemandem würde mehr ich dies wünschen denn dir, Caius."
    Gleichsam es würde bedeuten, dass er selbst würde niemals mehr auch nur einen Hauch vager Hoffnung verspüren können, doch war nicht ohnehin diese Hoffnung bereits tief begraben, musste begraben sein?
    "Acht Tage bleiben dir noch, bis dass du dich entscheiden musst. Caius sollte er heißen, gleich seinem Vater. Im Grunde sollte ohnehin er gleich seinem Vater heißen, ich war immer ein Verfechter dieser alten Tradition, sie gefällt mir ob ihrer Simplizität wegen. Ich würde Caius ihn dann nennen, mit der gleichen ..."
    Liebe, wollte er sagen, Wärme und Sehnsucht.
    "... Intention, mit der ich den Namen seines Vaters ich nenne."
    Gracchus' eigene Söhne würden eben nach diesem Muster ihren Namen erhalten, der erste Manius Gracchus, der zweite Caius oder Quintus, dessen war er sich nicht mehr gänzlich sicher, doch da es ohnehin mindestens drei werden müssten, so würde der nachfolgende mit der Alternative benamt. Doch sie alle würden Gracchus heißen und jenen plebeisch angehauchten, in Misskredit gezogenen Namen reinwaschen, eine neue Ära der Gracchen auferstehen lassen, wie es an Quintus und ihm wäre gewesen, wie das Schicksal es ihnen hatte verwehrt. Seit den Geschichtsstunden hatte Gracchus an seinem Namen schwer getragen, hatte seinem Vater nie verziehen, dass er ihn mit einem solchen hatte belegt, dass er ihm seinen eigenen hatte verwehrt, ihn damit abgeschnitten von seiner Linie, ihm nicht gegönnt hatte, den Namen eines Kaisers zu tragen. Selbst am Namen war ihre völlig desolate Beziehung gescheitert. Leise lachte Gracchus indes auf, von Geschichtsstunden und den Worten seines Vetters eingeholt.
    "Die guten alten, goldenen Zeiten der Republik? Die Standeskämpfe, die Proskriptionslisten, die Bürgerkriege? Wahrlich, wie der Mensch seine eigene Vergangenheit verklärt, so tut er dies ebenso mit jener der Menschheit. Dennoch, ich glaube, wir leben in einer äußerst guten Zeit, Caius. Iulianus hat uns viele Jahre schon den Frieden bewahrt in Rom und auch in den meisten Teilen des Reiches. Der Vorstoß nach Parthia mag ein Dorn in unserem Fleische sein, doch wird er dauerhaft den Wohlstand bewahren, an welchen wir uns so sehr schon gewöhnt haben. Serenus mag den Kaiserthron erstrebenswert finden, doch ich selbst beneide unseren Augustus mit keiner Faser meines Lebens ob seiner Verantwortung. Dieses Reich ist so endlos, und allein den Überblick darüber zu wahren erscheint mir bereits eine wahrhaft meisterliche Leistung, zudem schon das kleine Fleckchen, welches der Mensch sein eigen Leben nennt, mir bereits in fortwährend turbulenten Irrungen gefangen scheint."

    Eine halbe Ewigkeit - so schien es ihm - wartete Gracchus bereits in seinem Cubiculum. Nicht etwa, da Salambo zu spät war, sondern einzig ob der Tatsache wegen, dass er seit einer kleinen Ewigkeit versuchte, sich mit jenen Ereignissen abzufinden, welche er des Mittages in Bewegung hatte gebracht. Würde man sich der sprichwörtlich kalten Füße bedienen wollen, so waren jene Gracchus' ein einziger Eisklotz. Es würde nicht funktionieren, dessen war er sicher, es war eine törichte Idee gewesen, mochte er sie auch noch so lange durchdacht und für logische Konsequenz befunden haben. Er würde die Sklavin fortschicken, unverrichteter Dinge, unberührt, ihr ob ihres guten Willens und ihrer früheren Verbundenheit mit seiner geliebten Base einen Platz im flavischen Haushalt zugestehen, doch dies würde alles sein. Seinen eigenen Leibsklaven Sciurus hatte Gracchus bereits vor einiger Zeit hinfort geschickt, unmöglich würde ihm sein in dessen Antlitz sich mit Salambo zu beschäftigen. Was jedoch ihn beim Eintreffen der Sklavin erwartete, dies überstieg seine gesamte Vorstellungskraft, denn nicht wie eine Sklavin betrat sie sein Gemach, sie erschien eines fernen, exotischen Numens gleich, und es gereichte wahrlich dazu, Gracchus' Lippen in Erstaunen zu öffnen, seine Brauen - beide zugleich - anzuheben und in solcher Miene erstarren zu lassen. Seine diesbezügliche Erfahrung mit Frauen begrenzten sich auf eine Lupa zur Entdeckung der eigenen Männlichkeit und seine Gemahlin, welche kaum je sich in irgendeiner speziellen Weise hatte um seine Aufmerksamkeit bemüht - doch selbst all die übrigen Relationen betreffend hatte kein Mensch je in solcher Weise sich ihm dargeboten, ihm angeboten. Da er sich seines Staunens wurde bewusst, presste er seine Lippen fest aufeinander, dass nur eine schmale Linie noch zu sehen war, und musterte Salambo eingehend, während sie die Türe schloss, seinem Blick nicht auswich. Was tat er? Er musste sich eilen, sie fort zu schicken, ehe es zu spät war. Noch immer saß unschlüssig er auf der Bettkante, denn wo sonst sollte sein Kind gezeugt werden, selbst wenn es ein Bastard würde sein? Was, bei allen Göttern, so schoss augenblicklich ihm durch den Sinn, würde ohnehin dies für ein Kind werden? Dunkles Haar und dunkle Augen, geschmückt mit der bronzenen Haut Salambos oder seiner eigenen, hellen römischen? Was machte über ein Geschöpf er sich Gedanken, welches weder gezeugt war, noch welches ohnehin nicht sein Kind würde sein? Ein kleiner Bastard, sein kleiner Bastard, geboren aus flavischem Blute, verdammt zu sklavischem Leben. Caius hatte seinen Bastard angenommen, zu seinem Sohn gemacht, einem Flavier. Was bestimmte einen Flavier? Der Name, die Herkunft, das Blut? War Furianus nicht Flavier, obgleich fern der Familie als Sohn eines unbedeutenden Mannes erwachsen? War Quintus Flavier gewesen, als solcher geboren, doch der Familie entrissen, fern ihrer aufgewachsen als Sohn einer unbedeutenden Magd? Würde Caius' Sohn Flavier sein, als solcher gezeugt und erzogen, doch Sohn einer unbedeutenden Fischerin? Weshalb nicht konnte Antonia ihm einfach nur den Erben gebären, dessen er bedurfte, ohne ihn all diese Pein durchleiden zu lassen? Leise räusperte sich Gracchus, versuchte die Trockenheit aus seiner Kehle zu vertreiben, welche sich dortig hatte eingenistet.
    "Setze dich zu mir."
    Aus Verlegenheit, nicht da er tatsächlich Hunger verspürte, griff Gracchus nach einem der kleinen Fleischspieße, welche die Sklavin hatte in dem Ensemble auf dem kleinen Tisch hatte angerichtet, tunkte ihn in die Soße und aß einen Bissen, welcher zugegebenermaßen ihm durchaus mundete.

    Obgleich es kaum möglich war, da Gracchus ohnehin immer aufrecht ging und stand, richtete sein Körper sich ein kleine wenig mehr noch auf als der Sklave sich umdrehte, sein Rückgrad drückte sich durch, sein Kinn rückte marginal in die Höhe und unmerklich vibrierten seine Nasenflügel, als hätte er einem Episiten gleich die Witterung eines Beutetieres ausgemacht. Wohlgestaltet war nicht nur das Gesäß seines Gegenübers, sondern der restliche Mensch gleichermaßen, mit maskulinem Kinn, gerader Nase, schmalen und doch schwungvollen Lippen und bestechend braunfarbenen, beinahe endlos tief schwarzfarbenen Augen dazu. In dem Augenblicke, da er seines gesamten Antlitzes wurde gewahr und der Tatsache, durch die Begrüßung ausgelöst, dass um ein Sklaven es sich musste handeln, wusste Gracchus, dass er ihn wollte besitzen - nicht einmal so sehr, um gütlich sich an ihm zu tun, reizte äußerlich ihn doch mehr das blonde Haar, die helle Haut und die frostig blauen Augen der Menschen vom Schlage seines Leibsklaven - oder auch des verdammten Rutgers, welchen er ob der vergangenen Geschehnisse jedoch nicht einmal mehr des Tages wollte berühren - sondern mehr getrieben von seinem Hang nach harmonischer Perfektion, nach ästhetisch ebenmäßiger Formschönheit. Gleichsam mit dem Wunsch jedoch kroch in ihm die Frage empor, wer in diesem Haushalt solch ausgesuchtes Material sein Eigen nannte - abgesehen von ihm selbst. Seinen Geschwistern traute er dererlei nicht zu, Minervina hielt sich vorwiegend Exoten, bei Lucullus indes hatte Gracchus nicht einmal Besonderheiten entdecken können, womöglich umtrieben ihn derzeit ohnehin andere Sorgen. Möglicherweise vervollständigte der Mann vor ihm den Haushalt seines Vetters Aristides, respektive dessen Sohnes Serenus, denn dessen Sklave Hannibal schien sich auf die Auswahl exzeptioneller Sklaven zu verstehen. Aquilius indes konnte dieses Prachtstück kaum gehören, er würde ihn nicht seinem besten Freunde vorenthalten - oder womöglich doch? War es so weit schon zwischen ihnen gekommen? War es am Ende gar ein Geschenk für Aurelius? Gracchus' Kiefer pressten erneut sich aufeinander, doch er mahnte sich zu Contenance als er näher an den Sklaven heran trat, musternd, lauernd.
    "In wessen Besitz stehst du?"
    Ohnehin war der schlimmste Gedanke jener, dass dieses Kleinod würde den Haushalt seiner Gattin vervollständigen, denn in diesem Falle würde er tabu für ihn sein, würde schlechterdings ihn umgeben, ohne erreichbar zu sein.

    So war denn auf den Wege gebracht, was Klärung würde schaffen in jener deplorablen Relation, welche Gracchus schlussendlich noch immer als seine Ehe musste betrachten. Nicht schlüssig indes war er, was geschehen musste, wenn dieses oder jenes Ergebnis am Ende auf ihn würde warten, doch da es ohnehin müßig war, darüber zu sinnieren, schob er vorerst diese Gedanken bei Seite, würde die Zeit mit Salambo doch bereits mehr als unangenehm werden. Es war nicht, dass der weibliche Körper ihn abstieß, doch er reizte ihn ebenso wenig und es würde schwer sein, jeden Abend selbst Sorge zu tragen dafür, dass letztlich der Beiwohnung konnte genüge getan werden. Doch auch solcherlei Gedanken verschob er auf den Abend, denn soviel davon abhing, so ungern wollte er sich damit befassen.

    Allmählich gegen Mitte der zweiten Stunde der Wacht hatte Gracchus das Gefühl in seinen Füßen verloren, wer auch hätte können erahnen, dass dieser Tag eine solche Kälte würde bringen? Während die Hände er noch konnte aneinander oder am Mantel reiben, so sah es äußerst ungebührlich aus, auf der Stelle zu tänzeln, um die Füße zu wärmen, und nur die Zehen in fortwährender Auf- und Abbewegung zu halten, hatte nicht viel genutzt. In stoischer Gelassenheit hatte letztlich er sich mit jener desolaten Situation abgefunden, ohnehin, was blieb ihm übrig, zumal viel mehr als kalte Glieder ihn noch immer die Nähe zur Welt der inferiores beunruhigte. Verhältnismäßig viele Menschen kamen, um den Unterirdischen ihre Gaben zu opfern, und während Äpfel, Birnen und Trauben, aber auch Getreide und selbst Münzen in den gierigen Schlund hinein entschwanden, grübelte Gracchus - verlegen um sonstiges Tun, da die Wacht doch eher symbolisch war, denn tatsächliches Einschreiten zu bedingen - weiterhin darüber, ob es einem Menschen wahrhaftig würde möglich sein, in diesem Loch zu verschwinden, ob er je wieder würde emporsteigen können und ob womöglich dies bereits einmal jemand gegen jeglichen Verstand hatte gewagt. Beizeiten, so nahm Gracchus sich vor, würde er in den Archiven der Pontifices nach solcherlei fahnden. Mit Emporsteigen des Himmelsrundes schien es, als erwache gleichsam die Welt der Toten tatsächlich, wieder und wieder strich der perniziöse Hauch des Windes über den Hügel, ließ Laub rascheln und tanzen, trug Scharen von Raben durch die Luft und schlug in beständigem Klackern den nur unzulänglich geschlossenen Laden eines fernen Gebäudes an dessen Wand, und auch die Ödnis der Straßen, die Leere und Stille, welche über die sonstig so umtriebige Stadt sich hatte gelegt, trug ihr übriges bei, dass die Menschen sich eilten ihr Opfer darzubringen und hernach sputeten, zurück in die heimische Sicherheit zu gelangen. Jegliches Zeitgefühl war schlussendlich aus Gracchus gewichen, als endlich die ersehnte Ablösung in Form dreier Pontifices eintraf. Endlos schien die Zeit hernach sich zu dehnen, in zähflüssigem Strome dahin zu ziehen als die Priester ihr Opfer darbrachten, denn seit ihrem Nahen spürte Gracchus nun endlich wieder sein Füße, auf äußerst unangenehme und peinvolle Art jedoch, schien es ihm, als würden sie jeden Moment wie ein fallender Eiszapfen in tausende Splitter zerspringen müssen, so er noch länger als notwendig würde verweilen.
    "Salvete"
    , grüßte er dennoch, als würde all dies ihn nicht tangieren, als wäre nichts agreabler an diesem Tage, als neben dem Schlunde der Hölle in der Kälte zu stehen und jedem emporsteigenden Geiste persönlich die Hand zu schütteln. Pontifex Fabius sprach leise mit den Pontifices, welche die Wacht übernahmen, vermutlich nur Worte, dass nichts von besonderem Vorkommnisse sich ereignet habe, sodann verabschiedete sich die erste Wache, um jene zweite ihrer Aufgabe zu überlassen. Schwer fiel es Gracchus, Gravitas und Dignitas zu wahren, nicht springenden Schrittes auf die unendlich fern scheinende Sänfte hinzu zu eilen und sich mit die Träger anspornendem Rufe dort hinein zu stürzen. Erst verborgen in jenem Fortbewegungsmittel gestattete er ein Aufstöhnen sich, dazu ein Zittern durch den gesamten Körper, sodann öffnete er noch einmal die Vorhänge marginal und flüsterte eindringlich zu seinem Sklaven.
    "Eile dich, Sciurus, laufe nach Hause und lasse ein heißes Bad mir bereiten, kochend heiß! Spute dich!"
    Wahrlich, es war nicht immer leicht, ein Pontifex zu sein.

    Sim-Off:

    Aus den Augen, aus dem Sinn, noch dazu, welch unverzeihlicher Fauxpas gegen Ende des vorherigen Beitrages, so das Sudatorium doch kaum ein Becken beherbergte, denn dichten Dampf.


    Feine, weißfarbene Nebeltropfen tauchten den Raum in eine Atmosphäre wie in Irrealität eines Traumes, kaum wenige digitus reichte der Blick durch den silbrigen, nach Zitronatzitronen duftenden Schleier. Genießerisch schloss Gracchus die Augen und sog tief die feuchte Luft durch seine Nase bis in die Lungen, konnte förmlich spüren, wie die Poren seiner Haut sich weit öffneten, um den umschmeichelnden Dampf in sich aufzunehmen. Nicht nur für das Äußere war dieserlei Art von Entspannung äußerst wohltuend, sondern gleichsam auch für den Geist. Als er die Augen wieder öffnete, schoben sich blasse Silhouetten vor ihm durch die schaukelnden Dunststreifen und die Betrachtung jener unscharfen und doch eindeutigen Konturen ließen Gracchus' Lippen sich in einem genießerischen Lächeln kräuseln. Als er sich jedoch des visuellen Goutierens wurde bewusst, erstarrte seine Miene und erneut schloss er die Augen, um an andere, vor ihm liegende Dinge zu denken. Im Hintergrund sammelte sich der heiße Dampf um die Glieder einer eisernen Kette, welche von der Decke herab hing und eine kleine, zu dieser Zeit feuerlose Öllampe hielt, kondensierte zu feinen Wasserperlen, welche herabrannen an der glatten Oberfläche und schlussendlich mit dumpfem, klandestin platschenden Laut hinab auf die Fliesen des Bodens tropften, wo sich bereits eine kleine Pfütze ob dessen hatte gebildet. Hypnotisierend war der Laut, dem Zupfen der immer gleichen Saite einer Lyra ähnlich, viel mehr noch als das leise murmelnde Gespräch einiger Männer, welches sich als Muster der Melodie in den Hintergrund der tropfenden Symphonie stahl, und es Gracchus leicht machte, seinen ungeordneten Gedanken nach zu hängen, sie gleichsam bei Seite zu wischen und sich von unbeschwerter Leichtigkeit des Dampfes einhüllen zu lassen.

    Nachdenklich auf seiner Unterlippe herumkauend blickte Gracchus Lucanus hernach, dem kläglichen hispanischen Rest der Verwandtschaft - abgesehen von Aquilius, welchen er längstens nicht als Hispanier betrachtete, obgleich jener sich noch immer selbst so sah. Kläglich, fürwahr, im ersten Anblicke, und weshalb indes hatte Foslia Milonia ihren Sohn in der Ferne gehalten so lange Zeit? Um seinem flavischen Erbe ihn zu entziehen womöglich, vielleicht auch aus Eigennutz oder mehr noch, um ihn zu schützen vor dem manches mal allzu unnachgiebigen, allzu rabiaten römischen Teil der Familie? Gleich jedoch weshalb, so hatte Lucanus Anteil am flavischen Recht, denn weder intrigant noch perikulös schien er, eher unbedarft und ein wenig weltfremd - doch wer war dies nicht erschienen im ersten Anblicke der schönen, betörenden Roma, und wer indes konnte schon wissen, ob nicht eines Tages noch ein Proconsul würde aus ihm werden? In seine Gedanken gekehrt verließ auch Gracchus das Atrium.

    Tiefe, braunfarbene Augen erwiderten der Callistas Blick, ein ergötzliches Lächeln umschmeichelte des Calavasters Lippen als er ihr mit konspirativem Sinne zunickte und seinen Blick sodann schweifen ließ zu Spinther hin, welcher mit ebenso panurgisch Lächeln und ponderablem Blicke seine Mordgefährten bedachte. Wehmütig, beinah ein wenig larmoyant klang die Ekloge, welche der junge Sänger im Hintergrund intonierte, der Nacht und dem Schicksal eines rabiat zu Ende gehenden Lebens angemessen, ganz als wäre er längst nicht so versunken in sich selbst wie den Anschein er gab. Ein schalkhaft schadenfrohes Glimmen blitzte auf in Spinthers Augen, als er leise seine Hand erhob, und sein langer, dünner Zeigefinger sich ausstreckte, um einen der Schlafenden wortlos zu benennen, dem Tode zu übereigenen. Calavaster nickte affirmierend und auch Callista schloss sich mit subliminalem Nicken dem Urteil an. Den Würgegriff sodann schlug Calavaster vor als Mordmittel, angedeutet in unzweifelhaften Gesten, in welchen er eine Hand um seinen Hals, den Kopf dazu schief legte, die Augen nach oben zum Himmel hin verdrehte und die Zunge einen Augenblick herausstreckte. Ein Zeichen zu Alexis hin folgte, dass der Milos Männer Tat in dieser Nacht beendet sei.
    "Schwarzfarben und dunkel umhüllt die Nacht Milos Männer in ihrem Werk, verschluckt jeden Laut, verschluckt jede Schuld, verschluckt schlussendlich auch die Mörder selbst, denn auch die Schatten der Dunkelheit beenden ihre Arbeit noch vor dem Morgengrauen."
    Kurz hält der Sklave inne, bis dass alle Mörder ihre Augen halten geschlossen, sodann fährt er fort.
    "Doch noch ist die Stunde des Tages nicht herein gebrochen, das fransige Grau der Dämmerung zieht auf und weckt den ersten zarten Anschein von Aktivität. Es sind die inquiratores, welche zu solch früher Stunde bereits unermüdlich unterwegs sind, Geheimnissen und Verschwörungen auf der Spur, darum mögen sie nun erwachen."
    Den Kopf gleich den Lidern erhebend, blinzelte Gracchus über den Tisch hinweg als hätte tatsächlich er eine Nacht lang geschlafen, in tiefen Träumen seiner Muse nachjagend. Ein entzücktes Erkennen traf seinen Blick, die eisig blaufarbenen Augen der Fausta, in Amüsement schwelgend, euphorisch blitzend als unverzagt sie ihren Kopf ein wenig streckte, eine goldenen Strähne ihres Haares keck dazu wippte, zu der Gastgeberin ihr gegenüber. Ohnehin die Charaktere der Runde nur marginal zuordnen könnend, neigte Gracchus zustimmend ein wenig den Kopf und bedachte den Sklaven mit aufforderndem Blick. Der schöne Dunkelhäutige umrundete die Gruppe, leise wie auf sanften Katzenpfoten und Gracchus wurde sich fasziniert gewahr, dass nicht einmal die goldenen Ringe um die Füße des Sklaven einen Laut dabei von sich gaben. Behutsam beugte Alexis sich über den Tisch, griff nach der Tafel, welche seiner Herrin war zugeordnet, klappte sie auf und hielt sie in solcher Art, dass Fausta und Gracchus einen Blick auf deren Inhalt konnten werfen. Ein gewöhnlicher Bürger. Wissende Blicke und stumme Gesten des Konsens folgten, sodann schlossen die beiden inquiratores ihre Augen, der Sklave legte zurück die Tafel auf den Tisch.
    "Wie der Lauf der Welt dies ist, so verdrängt der herannahende Tag schlussendlich gänzlich die Nacht, schiebt ihre düsteren Schatten beiseite und hebt sukzessive das goldene Rund der Sonne an den Himmel empor. Bürger Roms, darum erhebet euch nun aus dem Schlafe, erwachet und höret die Kunde, welch grausame Tat des Nächtens geschehen ist."
    Zehn Augenpaare lösten sich aus dem Dunkel, blickten konspirativ umher, keiner jedoch im Ansinnen, etwas von sich Preis zu geben. Alexis, der Sklave, trat hinter eine der Klinen, seine Stimme unheilvoll.
    "In dieser Nacht geschah gar schreckliches Verbrechen! Der honorige Bürger Marmilius erwachte nicht einmal aus seinem Schlafe ..."
    Eben jener Marmilius riss entrüstet Augen und Mund auf.
    "Oh ihr kaltherzigen Halunken! Wie niederträchtig von euch, mich unschuldige Kreatur meines Odems zu berauben!"
    "Bitte, Marmilius, halte ein. Du kennst die Regeln. Fahre fort, Alexis."
    Pikiert rümpfte Marmilius seine geweißte Nase und schwieg, da der Sklave fortfuhr.
    "Der honorige Bürger Marmilius erwachte nicht einmal aus seinem Schlafe, denn zu flink und zu rasch waren des Milos Mörders Hände, welche unverzagt sich des Nächtens um seinen Halse hatten gelegt, mit gar übermenschlicher Kraft zusammen gedrückt und Marmilius seines Lebens beraubt."
    "Oh ihr Widerlinge! Erwürgt! Wie konntet ihr nur, wisst ihr denn nicht welch unschöne Abdrücke dies an meinem Leichnam hinterlässt? Oh, geliebte Fama, welch grässlich unwürdiger Tod!"
    "Marmilius, bitte."
    Den larmoyanten Schreiber gänzlich ignorierend beugte der Sklave sich hervor, um die Wachstafel vor jenem aufzunehmen und zu öffnen.
    "Eine umfassende Prüfung seiner Aktivitäten indes ergab, dass Marmilius tatsächlich jener unbescholtene Bürger gewesen ist, wie den Anschein er erweckte. Seid auch ihr dies, hohe Römer? So findet seinen Mörder und überantwortet ihn der Gerechtigkeit des Hades."
    In seinem Mahle, welches die meisten wieder hatten aufgenommen, nachdem die fiktive Nacht beendet war, hielt Calvaster inne und nickte der hellhäutigen Fausta zu.
    "Fausta mag die Tat verrichtet haben. Ein jedes Male, wenn sie Marmilius gar keck neckt, so sehe ich ihr zarten Hände an seinem Halse liegen."
    Ein ehrliches, offenherziges Lachen folgte dem Wort, Farce im Spiel, doch Aufrichtigkeit im tatsächlichen Leben.
    "Indes scheinen mir ihre Hände viel zu filigran, zart, wie selbst du zugeben musstest. Hätte der Mörder eine Kordel benutzt, einen Gürtel oder ähnliches, so mochte Fausta als Täter in Frage kommen. Doch in diesem Falle bezweifle ich, dass ihre Hände dazu gereichten, das Leben aus Marmilius' Körper heraus zu drücken."
    "Dem stimme ich zu"
    , warf Dasia ernsthaft in die Runde.
    "Zu solch einer Tat ist nur ein Mann mit kräftigen Händen fähig. Da der einzige Mann dieser Runde, welchen wir darum von vorneherein hätten ausschließen können, der Tote ist, so verbleiben die lebenden Herren als potentielle Täter."
    In preziöser Geste hob Fenestella eine Hand auf Augenhöhe, drehte und wendete sie, sprach schließlich theatralisch zum abendlichen Himmel hin.
    "Oh ihr Götter, die Hände habt ihr uns gegeben, dass Rom groß werden kann, dass wir sie nutzen und gebrauchen zu eurem Wohle - und nun dies. Ob meiner Hände wegen wollen die Damen mich nun zum Mörder erheben, jener Hände wegen, die sonstig ihre Körper so wonnevoll verwöhnen!"
    "So genau indes, Fenestella, wollen wir nicht wissen, was mit deinen Händen du sonstig tust. Viel eher interessiert, wo in der vergangenen Nacht du mit ihnen unterwegs warst."
    "Wo schon sollten sie gelegen haben, werte Fausta, wenn nicht bei meinem Weibe? Ihren Körper liebkoste ich mit meinen Händen, mit meinem Munde und nicht zuletzt mit meiner extraordinären Männlichkeit, wie nur einer Geliebten dies angedeihen kann."
    "Da wir alle hier wissen, wie weit entfernt des Fenestellas Schlafgemach von dem seines Weibes ist, ist längstens dies kein Beweis für seine Unschuld. Gegenteilig, nur allzu leicht könnte er des nächtens sich aus dem Hause schleichen."
    "Ebenso wie du, mein lieber Spinther. Und ist es nicht längst an unser aller Ohr gedrungen, dass mehr als einmal bereits die vigiles dich aufgriffen zu später Stunde?"
    "Gerüchte, meine Liebste, Gerüchte, wie Fama selbst sie nicht besser spinnen könnte!"
    Erneut schallte fröhliches Gelächter durch die Runde, Spinthers Lachen selbst darin am lautesten.



    /edit: Zu viel Couleur.

    Zitat

    Original von Claudia Antonia et Caius Flavius Aquilius


    Aquilius' Einwand über die Sklaverei wischte Gracchus mit einer oberflächlichen Bewegung aus dem Handgelenk hinweg.
    "Ein freier Mensch, welcher in die Ketten der Sklaverei gerät, wird niemals wieder ein freier Mensch sein können hernach, gleich wie oft er seine realen Ketten abstreift, ein Abbild davon wird Zeit seines Lebens an ihm haften, er wird gebeugt durch die Welt wandeln, niemals wieder ein aufrechter, freigeistiger Mensch, geschweige denn Römer können sein. Wenn einem Menschen das Rückgrad wurde gebrochen, kann er nicht mehr aufrecht gehen. Darum, Caius, ist es mühsig und verschwendete Mühe, sich mit diesen frisch aus den Wäldern und Wüsten eingefangenen Barbaren abzuplagen, denn das, was man verloren hat und nie wieder erlangen kann, ist jenes, nach welchem man sich am meisten sehnt und was einem Menschen wie Sklaven fortwährend im Geiste hernach hängt. Lass sie ihren vergeudeten Starrsinn in den Steinbrüchen, den Minen oder auf den Galeeren ausleben, meinetwegen auf den Feldern oder im unteren städtischen Dienst, aber in einer Villa haben erst ihre Nachkommen eine Daseinsberechtigung."
    Obgleich Gracchus gern mit geschlossenen Augen durch die Welt wandelte, so wusste er doch um die Geschehnisse in der Villa Flavia, auch und gerade um den todgeglaubten Severus, in dessen Existenz ihm der blanke Hohn entgegen schlug. Doch es war Aquilius' Eigentum, und solange nicht die Disharmonie, welche jenes verbreitete, Gracchus' Gemüt weiter würde tangieren, so lange war es ihm einerlei, nur marginal von Belang.
    "Es ist wie mit Tieren, willst du wilde Bestien für die Spiele in der Arena, so lasse sie aus den Wäldern einfangen, doch willst du einen Löwen, auf dass er in deinem Hause wacht oder ein anmutiges Bildnis darbietet, dann wende dich an den Bändiger deines Vertrauens und leiste dir ein Geschöpf aus einer Zuchtgeneration, auf dass es dich nicht im Schlafe zerfleischt."
    Manches mal fragte Gracchus sich wahrhaftig, ob es nur Caius' verklärtes Gemüt war, welches sich ihn immer wieder jener halben Wilden annehmen ließ, oder ob gar es finanzielle Sorgen waren, welche ihn zu solcherlei trieben. Als wäre das eine Thema gleich dem anderen, schwenkte Gracchus nur durch einen kurzen Schluck Wein unterbrochen auf die Thematik seiner Ehe um.
    "Erschreckend indes, wie sehr auch wir gerade dem nachjagen zu suchen, welches für uns unerreichbar ist, doch scheint es immer die ferneste und mit meistem Risiko behaftete Beute zu sein, welche den Menschen reizt. Ist es nicht so, Caius?"
    Impenetrabel war Gracchus' Blick als den Vetter er betrachtete.
    "So scheint es mir indes beinahe klug, meine mich so tapfer ertragende Gemahlin dir anzubieten, oder womöglich dich ihr - wäre für den einen wie für den anderen der Lohn der Beute doch überaus devastativ und darum augenscheinlich verlockend, doch indem ich solcherlei affirmierte, nähme gänzlich ich solcher Tat den Reiz."
    Nichts wusste Gracchus ob der tatsächlichen Affinität, galten seine Worte indes doch einzig seinem Vetter, waren noch immer Metapher in Hinsicht auf eine geglaubte anderweitige Verbindung. Dennoch, als er seiner Gattin sich zuwandte, um ihr Antlitz ob dessen zu studieren, spürte er einen Stich in seinem Herzen, wurde ihm in diesem Augenblicke doch gewahr, dass Antonia vermutlich sich an solcher Situation würde überaus goutieren, sich mitnichten würde einem Mann versagen, welcher sie tatsächlich begehrte ob ihrer Fraulichkeit. Letztlich lief alles nur darauf hinaus, dass Gracchus selbst in jeglicher Verbindung nur Pein brachte - jene, welche an seiner Seite lag, war ob dessen zu bedauern, und jener, welchem dies nicht gegeben war, sehnte sich nach nichts mehr. Ohne Antonias Augen zu suchen, wandte Gracchus den Blick erneut dem Weine zu. Lange indes würde er dies nicht mehr ertragen wollen.
    "Deplorabel wahrhaft, wenn die Wahl gewährt ist. Doch schlimmere Konstellationen als die unsrige, wirst du ohnehin kaum finden."
    Etwas anderes hatte Gracchus sagen wollen, doch er bemerkte nicht einmal, dass er die Wahrheit sprach über drei Menschen, welche in Banden miteinander verbunden waren, die keinem von ihnen zum Glücke gereichten.

    Für einen Moment lang zog Gracchus die Lippen zwischen seine Zähne, kaute auf der unteren - Surrogat, da seine Hände sich endgültig um das Glas hatten wieder gelegt - sah vor seinem inneren Auge eine Szenerie, welche dazu führte, dass das Schmunzeln immer weitere Teile seines Antlitzes eroberte.
    "Du hast wohl recht, auch ich könnte Vinicius nicht ohne seine toga gegenüber treten, wobei ich weniger um meine Ernsthaftigkeit würde fürchten denn um meine Contenance."
    Das schelmische Blitzen verflog schlussendlich, ein wenig Trübsal legte sich über Gracchus' Stimme.
    "Und auch deinen weiteren Überlegungen kann ich nur Affirmation entgegen bringen. Ein Mensch ändert sich nicht durch eine Hochzeit, weder grundlegend, noch, so möchte ich behaupten, in geringem Maße. Eine Ehe ... verkompliziert das Leben nur unnötigerweise."
    Erneut zog die Ernsthaftigkeit durch den Raum, gleich des warmen Hauches der Flammen in den Feuerschalen, welche ab und an durch den zarten Windhauch des herbstlichen Abend wurden durch das Peristyl geweht. Obgleich Gracchus die Entscheidung seines Vetters, seinen Bastard als Sohn zu akzeptieren, nicht konnte goutieren, so respektiere er sie und würde darob den jungen Mann in Zukunft niemals in Frage stellen. Zudem war es ein Abkömmling seines Geliebten und er würde im schlimmsten aller möglichen Fälle Sorge für das Kind tragen wie für seinen eigenen, noch nicht vorhandenen, Sohn. Bedächtig ließ Gracchus einen weiteren Schluck des Weines seine Kehle hinab rinnen, ehe er in nachdenklicher Manier zu einer Antwort ansetzte.
    "Ich werde Sorge für ihn tragen als wäre er mein eigen Fleisch und Blut, dessen sei assekuriert. Hast du dir bereits Gedanken über seine Erziehung gemacht? Wann wirst du ihn fort schicken, wirst du dies überhaupt tun? Ich wünschte, wir könnten unsere Söhne gemeinsam in die Welt entsenden, wie einst unsere Eltern dies taten. Diese Zeit, niemand kann sie uns mehr nehmen. Lebten nicht auch wir in einer goldenen Welt? Kein goldener Käfig, die goldene Vergangenheit ist es, welche auch Agrippina Serenus hat angedeihen lassen, welche fern der ewigen Stadt, in Achaia oder den patrizischen Domizilen Baiaes noch existiert, doch spätestens beim Überschreiten der Stadtgrenze Roms in rasender Geschwindigkeit vergeht und eingeholt wird von Gegenwart. Manches mal wünschte ich, wir könnten wieder Teil ihrer sein, doch dann wieder wünsche ich, wir könnten Teil einer zukünftigen Welt sein, fern der heutigen. Wie das wohl sein mag, Caius, in der Zukunft zu Leben? Wird die Welt ein Ende finden oder werden wir Römer Land um Land erobern bis in alle Zeit? Nichts habe ich je in meinem Leben gesehen außer Athen und das umwärtige Land, ein paar Städte, Teile der Insel Creta, den Weg von Athen bis Rom und das hiesige Umland, Baiae und unsere Güter in Oberitalia, und doch verspüre ich kaum in mir den Hunger, mehr zu sehen. Wozu nur wird die Welt immer größer?"
    Ganz unbeabsichtigt war Gracchus in philosophische Gedanken verfallen, doch war es kaum überraschend, endeten doch so viele ihrer Gespräche auf diese Weise und waren gerade ob dessen so wertvoll.

    Es war das erste, leise Seufzen, welches an diesem Abend Gracchus' Kehle echappierte, doch es tat dies. Er wusste darum, glaubte darum zu wissen, dass sein eigener Verdienst längst nicht dazu hatte gereicht, ihn dorthin zu heben, wo augenblicklich er sich befand, dass die Ernennung zum Senator Roms kaum aleatorisch so kurz nach Felix' Abreise und dessen Ausscheiden aus dem Senat war verkündet worden. Eine Lücke war entstanden und er war nur der Pfropfen, welcher sie sollte schließen, eine Gefälligkeit, welche der Imperator einem scheidenden Mitglied seines Beraterstabes hatte gewährt.
    "Niemand ist makelloser denn du."
    Erneut fand das sanfte, milde Lächeln zurück auf Gracchus' Lippen als er seinen Vetter mit zärtlichen Blicken bedachte. Mochten sie beide wissen, dass dies nicht der tatsächlichen Wahrheit entsprach, es war Gracchus' eigene Wahrheit, seine inwendige Überzeugung, denn dies war es, was sein Caius war - makellos, indes sein einzig möglicher Makel war er selbst. Nichts konnte die Ernsthaftigkeit ihrem Gespräch rauben, Politik, Familie und Zukunft wurden geplant mit höchster Konzentration, doch gleichsam konnte nichts die zarten Bande zwischen ihnen zertrennen, welche darum bei jedem Wort, jeder Geste und jedem Blicke subliminal zwischen ihnen oszillierten. Leicht legte den Kopf er schief, nickte jedoch schlussendlich antizipierend.
    "Eine durchaus favorable Relation, Purgitius Macer scheint auch mir ein überaus integerer Mann zu sein. Eine gute Wahl."
    Ein verschmitzter Zug touchierte Gracchus' Antlitz.
    "Du wirst Serenus mit zur Salutatio nehmen und ihn Senator Purgitius vorstellen müssen. Der Senator ist Princeps der roten Factio und unser Neffe ein glühender Verehrer der Wagenlenker selbiger."
    Schlussendlich hob Gracchus jene Hand, mit welcher er nicht sich auf der Kline abstützte, zur Unterlippe und knetete diese ein wenig, hielt darin auch nicht inne als er fortfuhr zu Sprechen, eine überaus schlechte Angewohnheit, welche irgendwann einmal zwischen Reflektion und Kontemplation hatte in seinen Habitus sich eingeschlichen und welche nie wieder war daraus gewichen.
    "Ich konnte noch nicht mich dazu durchringen, Felix einen Brief zu senden. Doch ich habe bereits darüber nachgedacht und meine Entscheidung steht fest, obgleich ich sie ob fehlender Dringlichkeit noch ein wenig werde retardieren. Auch ich beendete meine Überlegungen letztlich bei Vinicius Hungaricus. Ein äußerst honorabler Mann, immens potent ..."
    Sich der Ambiguität seiner eigenen Wortwahl bewusst werdend, hielt Gracchus inne, ließ schmunzelnd die Hand endlich wieder sinken.
    "In Hinsicht auf seine imperialen Machtbefugnisse, nicht auf ... nun, darüber kann ich kein Urteil mir erlauben, obgleich, so er tatsächlich ein solcher Connaisseur ist, wie man sagt, so hat er entweder ein festes Abkommen mit Iuno oder aber versteht es auf äußerst dezente Art, sich seiner Bastarde zu entledigen. Doch, wie dem auch sei, er ist zudem verheiratet mit einer Tiberia, so dass allzu gravierende Einschnitte an den letzten verbliebenen Vorzügen des patrizischen Standes er ob dessen vermutlich nicht wird mittragen, was nicht minder bedeutsam ist. Nun, und du musst zugeben, für sein Alter ist er tatsächlich äußerst ansehnlich, nicht wahr? Durchaus ein Anblick zum Goutieren."

    Das Gespräch auf Serenus zu Lenken, behagte Gracchus nicht besonders, hing ihm doch die der Suada zur Ehre gereichende, vorwurfsvolle Leidenstirade des Jungen zu sehr noch in seinem Gewissen nach, in welcher neben ihm selbst und Aristides als Serenus' Vater auch Epicharis insbesonders nicht in favorabler Hinsicht Erwähnung hatte gefunden. Obgleich Gracchus die Sorgen des Jungen diesbezüglich nicht konnte nachvollziehen - hätte sein Vater während seiner Kindheit eine andere Frau geheiratet, es hätte Gracchus ebenso wenig tangiert, wie die Existenz seiner leiblichen Mutter dies hatte getan - so waren sie dennoch existent und würden daher früher oder später für Konflikte Sorge tragen - indisputabel war es, dass später als früher würde Gracchus hierbei mehr als agreabel sein, dann, wenn womöglich Aristides zurück war in Rom und nicht Gracchus in jene Belange müsste mit tragender Rolle involviert sein.
    "Serenus ist seit einiger Zeit schon wieder zurück in Rom."
    Kurz ließ Gracchus seine Gedanken zu dem Jungen schweifen. Er hegte kaum die Vermutung, dass jener sich würde korrumpieren lassen, viel eher würde das Kind vermutlich durch solcherlei seine Befürchtungen validiert sehen, doch gänzlich sicher war er sich dessen nicht. 'Sklave Gaius ist der Beste' - periodisch erscheinende Schundliteratur - zählte zu Serenus' größter Sammelleidenschaft, genau genommen war seit einiger Zeit auch Gracchus dem trivialen, infamen Vergnügen des Delektierens dieser wenig niveauvollen Texte verfallen, doch gerade ob dessen wollte er nicht dies erwähnen.
    "Nun, in der Tat verzehrt sein Herz sich bereits seit längerem nach einem ganz speziellen Präsent, doch bei allem Ernst der Sachlage möchte ich doch dich bitten, ihm keinen Löwen zum Geschenk zu machen und sei es ein noch so kleiner. Sein massiger Hund verteilt bereits genügend Fellwerk in der Villa."
    Wieder umschlich lauernd ein panurgisches Schmunzeln seine Lippen, begleitet von einem schalkhaften Aufblitzen am inneren Rande seiner Augen, obgleich beides nicht konnte dort persistieren.
    "Den Wagenrennen gilt ebenfalls seine Entzückung, ein kleiner, eigener Wagen für Ziegenrennen ist sein gänzlicher Stolz. Womöglich findest du etwas passendes hierfür, ich bin deplorablerweise nicht sonderlich sachkundig, was in diesen Bereichen derzeitig angesagt ist."
    Weder die Wagenrennen hatten je ihn in ihren Bann können ziehen, noch all jene Dinge, welche überhaupt jemals in Mode, doch damit zumeist nur äußerst kurzlebig waren, legte Gracchus doch Wert auf Kontinuität und Persistenz, auf Konventionelles, an welchem die Sinne ihr Leben lang sich konnten erfreuen. Ebenfalls wenig delektieren indes konnte er den Gedanken, im Herbst oder Winter gar die See zu überqueren - mit Schrecken erinnerte er sich einer Reise von Rom nach Achaia nach der Bestattung einer Aetius' Gemahlinnen, kurz nach Jahreswechsel war dies und einziger Trost war der junge Caius an seiner Seite gewesen. Gleich eines herbstlichen Blattes auf dem Tiber war das Schiff auf den endlosen Weiten des Meeres hin und her geworfen worden, alsbald war die Küste nah, alsbald fern und niemand hatte ihnen sagen können, was davon besser war gewesen. Zwei Wochen hernach noch hatte er keinen festen Bissen Nahrung zu sich nehmen wollen. War der Gedanke an eine solche Überfahrt an sich bereits mehr als furchterregend, so setzte die Aussicht, Antonia während all dessen an seiner Seite zu wissen, dem wogenden Meer zudem die Schaumkrone auf.
    "Ich fürchte, meine Pflichten werden mich in Rom halten"
    , eilte er sich darum auf Epicharis' Vorschlag zu entgegnen.
    "Viele Festtage stehen bevor, bei welchen das Collegium Pontificium involviert sein wird, der Jahreswechsel dazu, hernach erneut viele Festtage."
    Im Grunde war das gesamte Jahr voller Festtage und Pflichten, so dass es einem Pontifex, welcher dies nicht tun wollte, niemals würde möglich sein, mit ruhigem Gewissen Rom zu verlassen, und Gracchus war ein Pontifex, welcher dies nur allzu gern wollte auf sich nehmen, denn ein jeder Vorwand war ihm nur recht, nicht auf eine Reise sich begeben und insbesondere das Meer nicht überqueren zu müssen.
    "Doch ich bin sicher, Antonia wäre äußerst erfreut, dich auf solch eine Reise begleiten zu können."
    Nicht nur ob der Reise wegen, sondern mehr noch, weil sie ein Meer zwischen sich und ihn damit würde bringen, ein Umstand, welcher natürlich auch seinerseits nicht zu verachten war.
    "Für angemessenes und sicheres Geleit würde ich natürlich Sorge tragen."
    Nicht noch einmal würde eine Flavia geraubt werden vom Angesichte des Oceanos, selbst wenn sie eine Claudia war, vor Gracchus' innerem Auge sammelte sich bereits eine Rotte bestens ausgebildeter und ausgerüsteter Söldner, welche das halbe Schiff allein würde füllen - eine Privatgaleere natürlich, seine Gemahlin würde kaum auf einem Handelsschiffe sich einquartieren - dies war nur agreabel in Zeiten höchster Diskretion, wie zuletzt es für ihn war notwendig gewesen. Jeder denkbare Komfort sollte den beiden Claudia geboten, eine unvergessliche Pläsier indes sollte die Reise sein, so wünschte Gracchus sich dies, denn wenig wünschte er sich tatsächlich mehr in Bezug auf seine Ehe, als dass Antonia würde glücklich sein können, und desperierte dabei sukzessive am Wissen, dass dies in seiner Anwesenheit augenscheinlich nicht war possibel, dass allein er diesem Glück stand im Wege, ohne daran etwas ändern zu können.

    Die Pontifices waren es, welche an diesem Tage Wacht halten mussten am mundus cereris, Gracchus einer von jenen drei, welchen früh am Morgen die Pflicht oblag, die Öffnung der Grube zu beaufsichtigen. Ein kalter Schauer wanderte von seinem Nacken ausgehend die Wirbelsäule hinab, verging jedoch nicht, sondern setzte sich hartnäckig auf seiner Haut fest, als er auf dem palatinischen Hügel der Sänfte entstieg. Gewohnt war er, früh aufzustehen, mit oder gar vor dem Emporsteigen der Sonne noch, doch dieser Tag war einer jener, welche man besser würde verschlafen vom Anbeginn bis zum bitteren Ende. Obgleich der mundus noch war verschlossen, wirbelte bereits das braunfarbene Laub über das Pflaster der Straße als würden die Manen wie Kinder in ihm toben, es empor werfen und darin tanzen. Eiligen Schrittes trat Gracchus zu seinen Amtskollegen hin, den Pontifices Fabius und Sulpicius, beide bereits seit vielen Jahren im Collegium Pontificium tätig und sicherlich auch versiert im Umgang mit den Manen, was Gracchus von sich selbst mitnichten behaupten wollte und konnte. Förmlich konnte er seine Furcht um sich herum spüren, würde irgendwer versuchen, ihn zu berühren, so glaubte er, müsse jener an der unsichtbaren Wand seiner Beklemmung scheitern. Zu deplorabel indes war es, dass die inferiores solcherlei Barriere kaum würde abhalten, gegenteilig, Furcht mochte sie geradezu herbei locken.
    "Salvete,"
    grüßte Gracchus die Pontifices und bemühte sich dabei, das leise Zittern aus seiner Kehle zu verdrängen, was nicht gänzlich ihm wollte gelingen.
    "Salve, Flavius. Bist du bereit?"
    Er war es nicht. Nie gewesen. Würde es niemals sein. Mochten viele seines Standes dem alten Glauben tief verbunden sein, so einerseits aus Tradition, andererseits aus dem Grunde, da der Glaube das Volk zu lenken vermochte. Gracchus indes suchte nicht nur die Welt hinter der Welt zu ergründen, er respektierte nicht nur, was hinter der Welt lag, er war zudem weitaus abergläubischer als dies bisweilen angebracht und angemessen war.
    "Das bin ich."
    Davon abgesehen, dass dies eine abominabel Lüge war, entsprach es ganz und gar nicht der Wahrheit, doch was blieb ihm, der er geschworen hatte, seine Pflichten mit all seiner Schaffenskraft auszufüllen, auch jene, die inferiores oder Verstorbene betreffend. Ohne weitere Worte, stumm und ernsthaft traten die drei Pontifices von der Straße hinunter, zu dem großen, ovalrunden Stein hin, welcher sonstig unbeachtet blieb, da ohnehin niemand sich außerhalb der Notwendigkeit mit solcherlei wollte befassen, gefolgt von Sklaven des Cultus Deorum, welche den schweren Stein würden von der Öffnung heben - immerhin würde Gracchus nicht das kalte Grau berühren müssen - und jenen, welche die Opfergaben trugen. An der noch verschlossenen Pforte zur Unterwelt angelangt, hielten sie einige Herzschläge lang inne, fast schien es, die Zeit würde stehen bleiben, unbewegt, still, inexistent, und Gracchus fragte sich, ob wahrhaftig es würde möglich sein, dem Orpheus gleich hinab zu steigen in das Reich der Dunkelheit, eine tote Seele daraus zurück zu holen. Augenblicke darauf zog einer der Sklaven in völlig profaner, dem Leben anhaftender Weise laut seine Nase hinauf, die Welt geriet wieder in Bewegung, Gracchus schalt sich selbst ob seiner unsinnigen Gedanken und der Ritus nahm seinen Anfang. Auf einen Wink des Sulpicius hin beugten sich die Sklaven hinab, hoben den schweren Stein und hievten ihn zur Seite hin, wo sie ihn aufstellten. Augenblicklich setzte der Pontifex an.
    "Dii inferiores, haltet im Zaume, was Eurem Reiche zu Entkommen sucht, mäßigt die Euren, die an diesem Tage Einzug halten in unsere Welt, wie Eure Pflicht dies ist. Darum wollen wir, wie unsere Pflicht, Euch Gaben spenden, auf dass Ihr besänftigt, dii inferiores, die Euren, auf dass sie tatenlos mögen zurückkehren wie es geboten ist, nach ihrem Wandel in unserer Welt."
    Eine Kanne wurde dem Pontifex dargereicht, welcher routiniert aus ihr weißfarbene Milch in den Schlund der Welt hinab goss. In eben solch firmer Art und Weise nahm auch Fabius eine Kanne von einem der Sklaven entgegen, goss daraus honigfarbenen mulsum in die Grube und intonierte dazu.
    "Dii inferiores, haltet im Zaume, was Eurem Reiche zu Entkommen sucht, mäßigt die Euren, die an diesem Tage Einzug halten in unsere Welt, wie Eure Pflicht dies ist. Darum wollen wir, wie unsere Pflicht, Euch Gaben spenden, auf dass Ihr besänftigt, dii inferiores, die Euren, auf dass sie tatenlos mögen zurückkehren wie es geboten ist, nach ihrem Wandel in unserer Welt."
    Im Ansinnen nicht weniger versiert, doch bei genauer Betrachtung mit ein wenig zittrigen Händen - der frische Wind hatte seine Finger erkalten lassen - nahm Gracchus die letzte der drei Kannen.
    "Dii inferiores, haltet im Zaume, was Eurem Reiche zu Entkommen sucht, mäßigt die Euren, die an diesem Tage Einzug halten in unsere Welt, wie Eure Pflicht dies ist. Darum wollen wir, wie unsere Pflicht, Euch Gaben spenden, auf dass Ihr besänftigt, dii inferiores, die Euren, auf dass sie tatenlos mögen zurückkehren wie es geboten ist, nach ihrem Wandel in unserer Welt."
    Behutsam goss er den Inhalt des Gefäßes - gülden schimmerndes Öl - in den mundus hinab und versuchte dabei, einen unauffälligen Blick hinein zu werfen in die Tiefe, eine Ende der Schwärze zu erahnen, doch mehr als indifferente Dunkelheit war nicht auszumachen. Fabius ließ einen wollenen Mantel sich um die Schulter drapieren, Sulpicius sich den seinen reichen, und sie stellten sich neben die Grube hin. An der Straße warteten bereits die ersten Bürger, um ihre Opfergaben hinab in den Schlund der Unterwelt zu werfen.
    "Und nun?"
    fragte Gracchus ein wenig unschlüssig, was weiter würde geschehen.
    "Nun warten wir auf die Ablösung."
    Unübersehbar zog sich Gracchus' rechte Augenbraue in die Höhe.
    "Und geben Acht, dass niemand hinein fällt,"
    ergänzte Sulpicius mit marginal spöttischem Lächeln. Natürlich war Gracchus dies angekündigt worden, doch recht glauben wollen hatte er es indes nicht. Schicksalsergeben ließ auch er seinen Mantel sich aus der Sänfte bringen, kalkulierte, in welchem Zeitraum unter Beachtung der Gesamtzahl der Pontifices und der derzeitigen Tageslänge bei je drei Hütern pro Einheit mit den nächsten Pontifices zu rechen war und wachte gemeinsam mit Sulpicius und Fabius am Rande zur Unterwelt, während die Bürger Roms ihre Gaben den inferiores darboten. Es war nicht immer leicht, ein Pontifex zu sein.

    Ein merkwürdiger Mensch, dies mutete durchaus paradox an im Anblick der Decima, welche einen filigranen Oliven-Käse-Spieß in der Hand balancierte und schließlich Frucht und Milcherzeugnis in ihrem Munde verschwinden ließ. Nicht recht mochte Gracchus sich festlegen, ob sie eher beiläufig klang oder gar ein wenig unwillig. Augenscheinlich wollte oder konnte Decima jedoch nicht viel mehr ihm über Quintus berichten, so dass tatsächlich das Gespräch auf ein informationstechnisches Patt war hinaus gelaufen. Es wäre dies der ideale Zeitpunkt gewesen, das Thema beiläufig in andere Richtungen hin zu lenken, es geschah indes nicht alle Tage, eine solch mächtige Frau wie die Auctrix der Acta Diurna vor sich zu wissen, gänzlich für sich allein in Anspruch nehmen zu können. Doch das klandestine Kribbeln auf Gracchus' Wange, Reminiszenz an die Schlagkraft der Decima, hielt ihn davon ab, dies zu tun. Stille legte sich darob über den Raum, untermalt von ausgelassenem Stimmengewirr aus dem Gastraum des Chez Pollux, welcher sich durch die geschlossene Türe zwängte, und obgleich Gracchus sonstig durchaus das Schweigen und die Harmonie der Lautlosigkeit konnte goutieren, so lag sie in diesem Moment mehr wie ein Kreuz auf seinen Schultern, bewirkte ob dessen gar, dass er einen Anklang von Schuld in sich konnte verspüren, ohne genau zu wissen, weshalb. Er versuchte die Gravation durch einen weiteren Schluck Wein von sich zu spülen, doch in seiner Kehle gefangen und in seinen Magen hinab gedrückt, war es der Flüssigkeit nicht gangbar, seine Schultern zu erreichen.

    Die Worte des Aurelius zum Volke hin schwappten an Gracchus vorüber, während noch immer er mit dem Inhalt seines Magens und dem Gleichgewichtssinn in seinem Kopfe kämpfte, bis dass seine Sinne anderweitigen Fokus fanden auf eine bleiche Hand, notdürftig vom Blut gereinigt.
    "Rächen?"
    fragte nur er stupide, schüttelte verneinend den Kopf und stemmte sich aus eigener Kraft in die Höhe, noch immer mehr Zittern im Körper als Standhaftigkeit, legte schließlich eine Hand auf die Schulter des Aurelius, brachte dicht seinen Kopf an den seinen.
    "Begreifst du denn nicht, wer sie ist? Wer sie war? Aquilia Flavia Agrippina - sie war die virgo vestalis maxima ... die virgo vestalis maxima."
    Sie war dies zufürderst und mehr als die familiären Bande, erschütterte Gracchus vorerst die Tat an Rom, der ungeheuerliche Frevel. Er hatte nicht die Spitze des Cultus Deorum angestrebt ob der Macht wegen - nicht nur - sein ureigenstes Drängen hatte ihn auf jenen Weg gebracht, und obgleich er sich über die vordergründige Farce des Cultus Deorum wohl war bewusst, so wusste er ebenso um die metaphysischen Zusammenhänge all dessen.
    "Der Angriff auf einen Consul ist ein Angriff auf den Staat Rom, der Angriff auf einen Prafectus Urbi ist ein Angriff auf die Macht Roms, doch der Angriff auf die virgo vestalis maxima - dies ist ein Angriff nicht nur auf die Grundfeste römischer Ordnung, es ist gleichsam ein Affront wider die Götter! Die virgo vestalis maxima ist die unschuldigste Person des gesamten Imperium Romanum, nein, keine Person ist sie noch, sie ist ein Symbol, die Unschuld selbst in Person. Ihre Ermordung kommt dem Ersticken des vestalischen Feuers gleich, es ist ein Frevel ungeheuerlichen, unsäglichen Ausmaßes! Und dass er konnte geschehen, dass dieser Frevel geschah, dies ist ein fruchtbares Omen! Die Götter wird es nach Satisfaktion dürsten, das allumfassende Equilibrium, die pax deorum, ist aus dem Gleichgewicht geraten. Nicht nur, dass die Schuld ob des Todes der obersten Feuerhüterin die Waagschale zu unseren Ungunsten belastet, gleichsam ist die einzige Unschuld dieser Welt uns geraubt, so dass die Diskrepanz noch gewaltiger ist. Wenn der Staat nicht mehr fähig ist, die unschuldigsten seiner Mitglieder zu Bewahren, wenn der Pontifex Maximus die Verantwortung über die vestalischen Jungfrauen, welche unter seinem Schutze, unter seinem Wort stehen, nicht erfüllen kann, wessen kann sich Rom dann noch sicher sein?"
    Die Worte sprudelten aus ihm heraus, einem inneren Drängen folgen, der Griff um Aurelius' Schulter wurde fester.
    "Doch halte deine Zunge im Zaume und wahre den Anschein des römischen Magistraten, welcher sich in jeder Handlung seines Tuns voll und ganz bewusst ist. Ist das Feuer erst einmal entfacht, wird es nicht mehr zu löschen sein, beginnen die Menschen mit der Hetzjagd auf einen unsichtbaren Mörder, so werden bald Hunderte vermeintliche Mörder auf den Straßen Roms darnieder liegen. Der Staat hat in seinen Pflichten versagt und der Staat muss das Gleichgewicht wieder herstellen, nicht der wütende Mob des Volkes."
    Juristisch betrachtet war Agrippina nicht mehr Mitglied der flavischen Familie gewesen, war Angehörige des außerkaiserlichen Familienbundes, hatte ihre Familie in Gemeinschaft der vestalischen Jungfrauen gefunden. Dennoch hatte sie niemals sich gänzlich von den Flavia abgewandt, war zu Familienfeiern erschienen, hatte immer wieder den Kontakt gesucht, war immer herzlich gewesen - war trotz allem immer seine Schwester gewesen. Kaum hatte Gracchus sie gekannt, doch ihre Wurzeln hatten sie verbunden, ihre Familie und ihre früheste Kindheit. Entwurzelung, dies war es, was er in sich ob ihres Todes verspürte, haltloses Balancieren auf schmalen Graden. Eine Flavia, erneut dem Leben entrissen, durch fremde Hand, nicht durch das Schicksal, nicht durch den Fluch, durch Menschenhand - wie womöglich jene vor ihr? Kraftlos lies Gracchus seine Hand sinken, blickte ihr hernach, an ihr vorbei, auf die blutige Toga des Magistraten. Entscheidungen mussten getroffen werden, Taten folgen, die Urbaner alarmiert, die libitinarii herbeigeholt, die öffentliche Ordnung wiederhergestellt, das Collegium Pontificium in Abwesenheit des Imperators informiert. Irgendwo in seinem Hinterkopf zogen all diese Gedanken vorüber, doch Gracchus war nicht mehr fähig, einen einzigen davon zu denken, geschweige denn zu artikulieren, denn mit seiner Schwester schob sich der ungustiöse, blutüberströmte Anblick in seinen Sinn.
    "Es ..."
    , setzte er an, scheiterte doch bereits am zweiten Wort, welches nicht vorhanden war. Seine Kiefer pressten sich aufeinander, bis dass sie schmerzten, sein Blick verlor sich in der Unendlichkeit, nur immer bemüht, den roten Lebenssaft, welcher nurmehr für den Tode stand, zu ignorieren, den Leichnam zu ignorieren, so als würde er nicht existieren, wenn nur er ihn nicht sah.
    "Aquilia ... sie war ... meine Schwester."
    Desperat blickte er in Aurelius' Augen, warme, braunfarbene Augen, die so konzentriert schienen, wie der Anlass dies verlangte, fern der Hilflosigkeit, welche sich in seinem eigenen Blicke spiegelte.
    "Bitte, Aurelius, ... tue irgendetwas. Ich ... weiß nicht ... was ... "
    Sein Leben lang hatte Gracchus gelernt, sich selbst hinter einer Maske der Contenace zu verbergen, Dignitas und Gravitas zu wahren, doch sobald eine Misere seine Familie betraf, jene, für die er Sorge hatte zu Tragen, sich verantwortlich fühlte - zu recht oder unrecht - schien es ganz so, als hätte er niemals gelebt, als wäre Manius Flavius Gracchus soeben erst einem Ei entsprungen, unbefleckt, unerfahren und hilflos, die Reste der Schale noch an sich klebend.

    Ein sublimes Lächeln kräuselte Gracchus' Lippen als er Lucanus' Wünsche vernahm, sowohl jene profan physischen, als auch jene intellektueller Natur.
    "Es ist nicht nötig, bis Morgen zu warten, um den Staub von deinem Leibe abzuwaschen. Dieser Villa ist ein Bad immanent, natürlich nicht zu Vergleichen in Größe mit den Thermen des Agrippa etwa, doch die Annehmlichkeit eines heißen Beckens ist auch in geringerer Ausführung nicht zu verachten. Ich werde dafür Sorge tragen, dass das Wasser dir geheizt wird, bis du dein Zimmer besichtig hast, wird das Becken gefüllt sein. Indes, wenn es dich dürstet oder du hungrig bist, gleich ob jetzt oder später, so lass es nur die Sklaven wissen."
    Zielsicher pickte Gracchus einen Sklaven mit seinen Blicken aus dem Schatten der Wand, auf dass dieser hervor trat. Es war der dunkelhäutige, kleine Kaïlos, dessen Name sich Gracchus ob des malerisch Klanges dessen merkte.
    "Dies ist Kaïlos, er wird dir dein Cubiculum und alles weitere weisen. Solltest du noch etwas bedürfen, so zögere nicht, danach zu fragen."

    So unverhofft wie es gekommen war, so bald war das beständige Gefühl der Euphorie aus Gracchus' Gemüt gewichen, und erneut hatte sich tiefe, desolate Desperation in ihm ausgebreitet. Caius war der Grund hierfür, das Theaterstück während der Feier zur Meditrinalia im Hause der Aurelia, die Erkenntnis, dass sein Geliebter sein Herz einem anderen hatte zugewandt, hatte zuwenden müssen, der Schmerz ob dessen, dass Aquilius sich nicht flüchtete in seine Liebeleien mit Frauen, nicht seine Begierde stillte mit bedeutungslosen Sklaven, sondern letztlich ihrer beider Sehnsucht hatte aufgegeben, hatte aufgeben müssen, doch gleichsam in eine ebenso aussichtslose Affäre war gefallen - ohne Zweifel konnte nur sein tiefstes Inneres ihn zu solcherlei getrieben haben, war doch die Liaison mit Aurelius Corvinus vom fehlenden Verwandtschaftsgrad einmal abgesehen keinen Deut besser, keinen Deut legitimer und öffentlich auslebbarer, denn jene mit ihm selbst. Da bereits die Sklaven der Aurelia öffentlich ihren Spott hatten dargeboten, so musste Corvinus dem ebenfalls nachgegeben haben, so musste er angenommen haben, was Gracchus stets ob der Unmöglichkeit hatte von sich gewiesen, von sich weisen müssen. Zorn stieg in Gracchus ob dessen auf, Zorn über die Unverantwortlichkeit des Aureliers, welcher seinen Vetter damit in tiefe Schwierigkeiten hinein zog - frei von jeder Schuld musste Caius in dieser Angelegenheit sein, war Gracchus doch unfähig ihm zu zürnen - und mehr noch quälte ihn eine fürchterliche Eifersucht, genährt durch seine unstillbare Sehnsucht, welche dazu angehalten war, ihn zu zermürben. Ein wenig früher am Tage war er der Regia entflohen, da er seine Gedanken unmöglich konnte bei sich halten, unmöglich konnte fokussieren auf etwas, das fern Caius war, suchte die Endlosigkeit des Himmels über der heimischen Villa, um dorthin zu entfliehen, sich in der Unendlichkeit zu verlieren. Verlieren. Verlust. Sein Leben war geprägt von Verlust, von Anfang bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt, und mehr noch als in all den vorangehenden Wochen durch den Verlust der Einzigartigkeit seines Anblickes, durch den schrecklichen Verlust Leontiens, den Verlust des eben erst gefundenen Zwillings, den Verlust der Nichte, mehr als je zuvor wurde dies ihm gewahr durch den mehr als alles andere schmerzenden Verlust des Vetters, des Geliebten - nicht durch Zwänge herbeigeführt, nicht durch Pflicht oder die Unmöglichkeit der Existenz begründet, sondern durch die freie Entscheidung Aquilius'. Dieser Art waren seine Gedanken, als er in ihnen verloren die stille Harmonie des hortus durchwandelte, den Odeur der langsam sterbenden Natur in sich ein sog, über welke Blätter hinweg trat und sich nur langsam dessen wurde gewahr, dass er bereits einige Herzschläge lang hatte inne gehalten und auf die gebeugten Formen einer ansehnlichen Gestalt, en détail auf das wohlproportioniert Gesäß jener Person starrte. Zu kurz war die Tunika, welche sich über den Hintern spannte und knapp darunter endete, einen Blick auf muskulöse Beine Preis gab und den Gedanken nach oben hin Freiraum ließ, um zu einem Bürger Roms zu gehören, ein Freigelassener mochte jener Mann sein, an welchem sie sich spannte, womöglich ein Peregrinus - in anderen Regionen der Welt herrschten durchaus andere Kleidungsgewohnheiten, manche davon nur zum Vorteil für das schöngeistige Gemüt. Für einen einfachen Sklaven indes war der Stoff zu fein und wichtige Sklaven im Hause kannte Gracchus zumindest vom Anblick her, auch und gerade vom rückwärtigen Anblick. Das Bildnis war viel zu delektabel, um die Komposition durch ein Wort zu zerstören, zu süß war das stille, inwendige Goutieren, doch er kam nicht umhin, seine Schritte ein wenig noch näher zu lenken, zerstörte dabei unbedacht die Ruhe, denn schon rückte die Fasson sich gerade, streckte der breite, maskuline Rücken sich durch. Deplorabel.