Völlig außer Atem erreichten die Träger der flavischen Sänften das Anwesen der Aurelia. Natürlich waren sie nicht zu spät, niemals würde irgendwer wagen, zu erwähnen, dass sie unbotmäßig zu spät kamen, nicht einmal Gracchus' Gemahlin Antonia würde dies wagen, was nichts damit zu tun hatte, dass sie ohnehin selten mit ihm sprach. Wenn es etwas gab, was Gracchus zutiefst verabscheute, so war dies die Lüge, gleichsam aber auch die Unpünktlichkeit. Als weit schlimmeres Übel jedoch, als ob der Verspätung eines anderen zu Warterei gezwungen zu sein, empfand Gracchus die eigene Säumigkeit, und sein Blick ob dessen als er sich seiner bereits auf ihn wartenden Gemahlin in der heimischen Villa zur Seite hatte gesellt, hatte keinen Zweifel aufkommen lassen, dass jedes noch so geringe Wort des Grolles sich seinerseitig durch einen gewaltigen Donnerschlag würde entladen. Aus diesem Grunde hatten sie sich schweigend je in eine Sänfte zurück gezogen - womöglich nicht nur aus diesem Grunde, denn Antonia und Gracchus hatten sich selten mehr als einen vordergründigen Gruß zu sagen - und die Sklaven, welche die Sänften trugen hatten die Zähne zusammen gebissen und sich geeilt, ein wenig der Verspätung auszugleichen, über deren Gründe Gracchus sich hatte ausgeschwiegen. An der Villa Aurelia endlich konnten die Träger aufatmen, nachdem Claudia Antonia und Flavius Gracchus die Sänften hatten verlassen, und einer der sie begleitenden Sklaven die beiden an der Pforte zum Fest der Meditrinalia meldete.
Beiträge von Manius Flavius Gracchus
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Ich werde bis zum Ende des Wochenendes abwesend sein.
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Die leichte Pikiertheit der Dame ignorierend, da er sie ohnehin nicht konnte nachvollziehen - galt seine Bemängelung des Nachrichtenflusses doch der Legion und nicht der Zeitung - wandte sich Gracchus dem Senator zu, welcher bereits mehrmals das Kommando über eine Legion hatte inne gehabt, auch über die Legio I, in welcher Aristides nun diente.
"Ist dies tatsächlich so? Bisherig ging ich davon aus unsere Armee würde sich gerade durch die perfekte Organisation und Disziplin auszeichnen, von dem einzelnen Legionär über die Centurie bis hin zum Legionsverbund. Doch ich muss zugeben, dass ich noch nie größere Aufmerksamkeit auf das Militär verwandte, obgleich die taktisch geschickte Dislozierung der Truppen sicherlich ein äußerst interessantes Themengebiet ist." -
In nun doch ein wenig erstaunter Weise hob Gracchus marginal eine Augenbraue, während er langsam das Ei verzehrte. Obgleich auch er durchaus ein strengeres Auge des Kaisers würde begrüßen, so würde dies doch einen Großteil der Senatorenschaft in Bedrängnis bringen, war immerhin ein unbotmäßig großer Anteil derer nicht verheiratete, geschweige denn seiner Pflicht zur Nachkommenschaft bisherig nachgekommen. Doch er schwieg diesbezüglich, da dies auch auf über die Hälfte der an diesem Abend anwesenden Senatoren zu traf, den Gastgeber inkludiert.
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Die Ankündigung des Tiberius kam denn kaum überraschend, war die Praetur doch eine logische Folge, nicht nur seiner Herkunft, denn auch seiner bisherigen Bemühungen. Gracchus tupfte die Finger an einer Serviette ab und spülte den letzten Bissen des kleinen Nagetiers mit ein wenig Wein die Kehle hinab.
"Eine äußerst begrüßenswerte Entscheidung. Gerade für das kommende Jahr, da noch einige Klagen ob der staatlichen Edikte in Bezug auf die lex mercatus zu erwarten sind, ist es von gravierender Relevanz, Praetoren im Amte zu wissen, welche nicht alleinig nur die amtlichen Voraussetzungen und theoretischen Kenntnisse für jene Position erfüllen, sondern zudem bereits durch Vertretung Kläger wie Beklagter ebenfalls eine praktische Einsicht in die Judikative des Imperium nehmen konnten."
Gracchus' selbst tangierte der Zusatz der lex nur marginal, doch es war von höchster Wichtigkeit, über die Gesetze des Imperium Romanum Eindeutigkeit zu schaffen und jegliche Zweifel an der Auslegung jener zu beseitigen. Indes widmete sich Gracchus selbst vorerst der Angelegenheit, seinen Appetit auf ein halbes Ei zu beseitigen. -
Bis zum Zerreißen waren Gracchus' Nerven angespannt, als der Rex Sacrorum mit lauter Stimme seinen Namen nannte, gefolgt von demjenigen seines Vaters, gefolgt von jenem Amte, welches vor ihm lag. Dass Tiberius Durus nicht etwa ob dessen auf der Arx stand, um die Zeichen der Götter in seiner Funktion als Augur zu lesen, sondern aus gleichem Grunde wie er selbst, dies drang nicht einmal annähernd in Gracchus' Sinne, obgleich Tiberius natürlich ob der nicht vorhandenen augurischen Amtstracht kaum die Zeichen würde deuten - denn viel zu nervös war er, um seine Umgebung noch mit bedachtem Blicke zu bedenken. Doch kaum etwas von jener inneren Unruhe drang bis zu seinem Äußeren hindurch, ruhig, mit geradem Rücken und hoch erhobenem Kopf stand Gracchus, folgte mit festem Blick der Sicht des Auguren und einzig die Anspannung seiner Kiefermuskel mochte davon künden, wie das unverständliche, leise Gemurmel des Annaeus in seinen Ohren rollte wie das ferne Grollen der Brandung, welche gegen kantige Klippen schlug, wie die Schaum gekrönten Wellen seine Sinne aufwühlten und der blasse, leere Himmel auf ihn hinab zu fallen drohte.
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Langsam und bedächtig setzte Gracchus einen Fuß vor den anderen, sog jeden Herzschlag verrinnender Zeit dieses so bedeutsamen Augenblickes tief in sich ein. Der Himmel über Rom war ein wenig getrübt durch gräuliche Wolken, hinter Gracchus lärmte die Stadt, tausend Geräusche, tausend Worte wehten vom Forum zur Curia Iulia hinüber und tauchten ihn in ein Gewirr aus alltäglichem Leben, aus buntem Treiben der ewigen Stadt. Doch nichts war alltäglich an diesem Tage, gleichsam wie der Himmel nicht graufarben genug hätte sein können, um Gracchus in seiner Euphorie nicht das erhabene Strahlen eines erhebenden Tages vorgaukeln zu können, denn dies war es, was der Tag war, erhebend, beinahe indefinibel erhabend. Ein wenig submiss trat er über jene Schwelle, über welche vor ihm bereits so viele große Männer waren getreten, denn sub specie aeternitatis war er nur ein kleiner, unwichtiger Funken am Leuchten des Himmels, und obwohl er nun hier war, hatte er noch immer klandestine Bedenken, ob er dem gewachsen würde sein, was in dieser Halle würde folgen, ob er den Ansprüchen des Imperium Romanum würde genügen können. Dennoch konnte nichts verhindern, dass ein Gefühl des Stolzes jedes noch so feine Härchen auf seinem Körper aufrichtete, nicht die an ihm vorbeieilenden Senatoren, nicht die laute Beschimpfung eines Boten, der sich seinen Weg über das belebte Forum kämpfte, nicht alle Befürchtungen in Gracchus' Innerem. Obwohl dies nur ein kleiner Schritt war für die Menschheit, so war es doch ein großer Schritt für Gracchus, ein großer Schritt auf jenem Weg, für welchen er geschaffen worden, auf jenem Weg, welcher ihm von Anfang an bestimmt gewesen war, und ein großer Schritt in Richtung jener Ziele, welche noch vor ihm lagen. Endlich in seinem Leben hatte Gracchus das Gefühl, seine Ahnen mit Stolz zu erfüllen, den Ansprüchen seines verstorbenen Vaters zu genügen, und dies war ein äußerst erbauliches Gefühl. Jener Augenblick, in welchem er die Schwelle der Tür über- und in die heilige Halle des Senates hinein trat, jener Augenblick hätte nicht lange genug andauern können, doch obwohl er sich in Gracchus' Empfinden bereits aufgrund der überproportionalen Bedeutung hinsichtlich seines Lebens ein wenig länger zog als üblich, so verging er doch wie jeder andere Augenblick und tauchte letztlich unter im Strom der Zeit. Aufmerksam sondierte Gracchus die Sitzreihen der bereits anwesenden Senatores, verschaffte sich einen ersten Überblick über augenscheinliche Gruppierungen. Er hatte immer gehofft, an diesem ersten Tag in den Reihen hinter seinem Vetter Platz nehmen zu können, zuletzt auch hinter seinem Vetter, welcher eigentlich sein Neffe war, doch beide weilten fern der Hauptstadt und des Senates. So suchte er denn letztlich die Nähe einiger anderer ihm bekannter Patrizier, denn für das erste war es sicherlich nicht verkehrt, seinen Platz nahe des eigenen Standes zu suchen, denn für das erste kam sich Gracchus trotz allem vor wie ein Eindringling, wie ein Junge, welcher heimlich vom süßen Nachtisch aus der Küche stahl - obgleich ihm jene Erfahrung fremd war, denn mit süßem Nachtisch hatte Gracchus noch nie viel anfangen können.
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"EGO, MANIUS FLAVIUS GRACCHUS, HAC RE IPSA DECUS IMPERII ROMANI
ME DEFENSURUM, ET SEMPER PRO POPULO SENATUQUE
IMPERATOREQUE IMPERII ROMANI ACTURUM ESSE
SOLLEMNITER IURO.EGO, MANIUS FLAVIUS GRACCHUS, OFFICIO SENATORIS IMPERII ROMANI ACCEPTO,
DEOS DEASQUE IMPERATOREMQUE ROMAE IN OMNIBUS MEAE VITAE
PUBLICAE TEMPORIBUS ME CULTURUM, ET VIRTUTES ROMANAS
PUBLICA PRIVATAQUE VITA ME PERSECUTURUM ESSE IURO.EGO,MANIUS FLAVIUS GRACCHUS, RELIGIONI ROMANAE ME FAUTURUM ET EAM
DEFENSURUM, ET NUMQUAM CONTRA EIUS STATUM PUBLICUM ME
ACTURUM ESSE, NE QUID DETRIMENTI CAPIAT IURO.EGO, MANIUS FLAVIUS GRACCHUS, OFFICIIS MUNERIS SENATORIS
ME QUAM OPTIME FUNCTURUM ESSE PRAETEREA IURO.MEO CIVIS IMPERII ROMANI HONORE, CORAM DEIS DEABUSQUE
POPULI ROMANI, ET VOLUNTATE FAVOREQUE EORUM, EGO
MUNUS SENATORIS UNA CUM IURIBUS, PRIVILEGIIS, MUNERIBUS
ET OFFICIIS COMITANTIBUS ACCIPIO." -
Die Sonne war längst unter gegangen - früh geschah dies bereits, da die Tage kürzer wurden - doch die Tage des Manius Flavius Gracchus wurden entgegen dem Rhythmus der Natur wieder länger. Wo noch er in der Woche zuvor erst spät am Tag sein Cubiculum hatte verlassen und gleichsam früh dorthin zurück gekehrt war, da ohnehin nichts ihn umtrieb, da kehrte er ihm dieser Tage bereits den Rücken wenn die Sonne gerade sich zaghaft anschickte, den Himmel zu erkunden, und fand sich erst spät wieder darin ein, wenn längstens die Dunkelheit Rom in seinem festen Griffe hielt. Noch nie hatte er viel des Schlafes bedurft und nun, da endlich er wieder einen Sinn hatte in seinem Leben, zog nichts ihn in sein Bett, solange sein Geist noch in wachen Sinnen wandelte. In wachen Sinnen jedoch war nicht notwendigerweise immer identisch mit den Räumlichkeiten, welche seine Füße durchschritten, so dass Gracchus seinen Vetter erst bemerkte, als jener in freudiger Euphorie auf ihn zu eilte und ihn mit der seiner Sicht nach frohen Kunde überschüttete. Ein wenig überrascht war Gracchus ob der Tatsache der Vaterschaft seines Freundes, denn in den ersten Augenblicken wusste er nicht, wie Aquilius ohne Gemahlin zu einem Sohn sollte gekommen sein, doch die Erinnerung an jene merkwürdige Episode im Leben seines Caius drängte sich baldig in seine Sinne.
"Tatsächlich?"
Die Begeisterung auf Gracchus' Antlitz wie auch in seinem Inneren hielt sich in äußerst überschaubaren Grenzen. Was sollte er seinem Vetter und liebsten Freund sagen? Dass Kinder ein schlimmeres Mysterium denn Frauen waren, dass ihm als Vater eine gar furchtbare Zeit würde bevorstehen? Oder das der Junge trotz allem immer nur ein Bastard würde sein, welcher niemals würde in irgendeine Welt Einzug finden, nicht in diejenige der Patrizier und vermutlich auch nicht in diejenige der einfachen Bürger? Er bemühte sich um ein Lächeln und rang sich schließlich eine Umarmung ab, da er wusste, wie viel dieses Ereignis seinem Vetter bedeutete, und immerhin - wäre nicht er selbst längstens über einen Bastard erfreut, da dies die Zweifel um seine persönliche Unfähigkeit zur Zeugung würde endlich hinfort wischen? Wie viele Betten hatte Caius je durchstreift, ohne sein Erbe einer Frau zu hinterlassen - ein glücklicher Umstand natürlich, doch womöglich waren auch in ihm ob dessen Zweifel erwachsen.
"Ich freue mich für dich, Caius."
Kurz nur währte die Umarmung, viel zu kurz die enge Berührung, das leise Knistern zwischen ihren Körpern, der wehende Hauch Aquilius' Odeur, gleichsam konnte Gracchus nicht endgültig sich von ihm lösen, ließ eine Hand auf der Schulter des Freundes ruhen, nur um nicht irgendwann vergessen zu müssen, wie dies sich anfühlte, wie wundervoll, wie überwältigend, wie wahr.
"Es ist schon spät, doch es ist niemals zu spät, ein solches Ereignis zu feiern, nicht wahr? Ich wollte mich ohnehin noch ein wenig dem Thyestes Senecas widmen, doch viel lieber als dem Tyrannen widme ich mich dem Freund. Zudem genießen wir noch immer das Privileg, für einen guten Schluck Falerner keinen Fuß vor die Türe setzen zu müssen, denn Felix hat kaum etwas von seinen Vorräten aus dem Keller mitgenommen, vermutlich lagern die wahren Schätze ohnehin längst auf Sardinia. Zudem gibt es tatsächlich noch mehr freudige Begebenheiten zu feiern."
Ein schalkhaftes Glimmen stahl sich in Gracchus' Augen und seine Lippen kräuselten sich in pueriler Vorfreude. -
Schweigen durchbrach die Stille, begleitet von leisem Rascheln und Rutschen, und während Gracchus seinen Blick erwartungsvoll über die Gesichter der Sodales gleiten ließ, schien auf einmal das Gebäude der curia seinen ganz eigenen, anziehenden Reiz zu gewinnen, denn in diesem Moment wandte sich die Aufmerksamkeit der meisten unter ihnen den Fliesen auf dem Boden zu, den feinen Rissen in der Struktur der Decke oder aber den Dekorationen der Wände. Nur ein einzelner vergrub seine Augen im Weinbecher vor sich und ein anderer ... eine Hand hob sich empor und Gracchus' konnte die elysische Symphonie in seinen Ohren vernehmen, welche diese unscheinbare Bewegung begleitete.
"Caius"
, mehr noch als sonst war Aquilius' Praenomen aus dem Munde seines Vetters von einem erleichterten Seufzen begleitet.
"Flavius Aquilius. Sonstig weitere Kandidaten?"
Es war eine Frage pro forma, denn die Wahl war bereits beendet, dennoch wartete Gracchus einige Herzschläge, bevor er sodann, unendlich erleichtert verkündete.
"Caius Flavius Aquilius, so übergebe ich dir hiermit den Vorsitz über die salii palatini."
Womöglich war es nicht usus, den Kandidaten ohne Abstimmung anzuerkennen, doch Gracchus hatte nicht vor, sich noch einmal zur Wahl zu stellen und da sich niemand sonst anbot, so brauchte auch niemand gegen seinen Vetter zu stimmen. Er erhob sich vom Platz des magisters und durchquerte das Rund, um den Platz seines Vetters einzunehmen. Noch bevor jener an ihm vorbei treten konnte, flüsterte er ein lautloses 'Danke.'. Es war nicht, dass es nicht Gracchus Ehre war, der Sodalität vorzustehen, doch war es keine Ehre, wenn der Vorsitz zum Daueramt verkam. -
~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~
Sanft und samtig bogen sich die wolkenen Fahnen im Wind, beugte sich das weiche Gras unter seinen Füßen dem Echo der Sonne, verblasste der wehende Habicht im Ultramarin des Staubes, in welchem kleine Fußabdrücke von ihrer Anwesenheit kündeten. Befremdlich schien ihm der Augenblick, apart der Ort, denn das ferne, lachende Knistern des Wasserfalles wollte nicht hierher gehören. Die Beklemmung schwand indes, als das gewaltige Ungetüm, die schattige Schlange sich vor ihm aus dem steinernen Grund erhob und den luftigen Raum umrundete - eingesperrt, eingemauert, dem gab es kein Entrinnen und keine Flucht, doch gleichsam gab es keine Okkupation von außen, keine Penetration, keine Invasion, niemand konnte den Frieden und die Stille mit seinen Blicken rauben.
"Jeder ist einsam. Egal womit er sich täuscht."
In den Horizont stand der Schriftzug matt gezeichnet, auf güldenem Pergament mit Tinte aus Pech, verraucht im Augenblick des Erkennens. Nach der Täuschung folgte nur das Ent-täuschen, doch er folgte ihr klandestin auf leisen Sohlen, verwischte sie, blies sie hinfort mit dem sanften, warmen Odem des Zephyrus.
"Träget das Schicksal dich, so trage du wieder das Schicksal.
Folg ihm willig und froh; willst du nicht folgen, - du mußt."
Behutsam beugte er sich zu ihr nieder, hob ihren Körper auf, eine wiegende Feder in seinen Armen, ein kostbares Kleidod in seinem Herz.
"Muss ich."
Je näher er dem gewaltigen Wurm entgegen trat, desto mehr erschloschen von den flackernden Fackeln, welche dort oben auf dem schuppigen Buckel in weißfarbenem Feuer brannten.
"Viel tiefer nur ist zu finden, was des epiphanen Minotaurus' Esprit verbarg und ein einziger Faden nur führt durch das Labyrinth, an dessen Ende des Damokles' Schwert auf uns wartet. Es ist dir überlassen, ob du ihn spinnen, bemessen oder durchtrennen willst."
Weit öffnete die Hydra ihr Maul, entließ nebelfeuchten Odeur ihnen entgegen, welcher Augenblicke nur die Sicht verbarg auf spitze, scharfkantige Zähne und blutiges Fleisch. Unerschrocken trat er über die Grenze hinüber, die steinerne Höhle über sich und setzte sie auf der weichen, rotfarbenen Zunge ab.
"Komm. Wenn der Morgen Gestern wäre, so könnten wir das Heute genießen, doch es bleibt nicht die Ewigkeit beständig."
Er ergriff ihre Hand und wies in die Finsternis hinein, an deren Ende ein glitzerndes Feuer loderte. Ohne einen Schritt zu tun, flog die Welt an ihnen vorüber, Abbild der Wirklichkeit, Spiegelung des Seins, Zerrbild aus Splittern der Unendlichkeit, und fern gleitete der knöcherne Torwächter an ihnen vorbei, lange, nachdem sie längst die Pforte hatten durchbrochen.
"Leid ist das Leben. Nur die Würdigen erheben sich darüber hinweg. Sind wir würdig?"
Merkwürdig. In sonderbarer Manier erhob sich ein filigran gewundener Schlüssel. Fragwürdig. Jeden Tag, jede Nacht erneut im Zweifel geboren. Glaubwürdig. Denn nichts konnte je realer erscheinen als jenes, was der Geist sich selbst hatte erschaffen. Liebenswürdig. Nichts anderes konnte ihr als Panzer angedeihen. Ehrwürdig. Denn nichts war Profanes an ihr, in diesem Augenblick, da die Schönheit sich aus ihrem Wesen erhob.
"Vollendet ist der Mensch. Schön ist er. Wenn er rein und lauter ist. Einem Vogel verwandt erhebt sich seine Seele über die Götter. Sie neiden uns. Weil wir größer als sie sind. Darum strafen sie die Sterblichen."
"Nicht neiden, nicht strafen kann das Prinzip, denn von Emotio ist es frei. Es ist wahrhaftig, nicht mehr, nicht weniger. Wie kann Schönheit über Schönheit sich erheben, wie kann Wahrheit wahrer sein denn wahr? Einzig der unbedarfte Mensch drängt die Götter in eine Hülle, gibt Stimme und Zorn, denn der unbedarfte Mensch ist es, der die Götter braucht, nicht die Götter den unbedarften Menschen."
Seitlich des Weges wuchsen vögelne Köpfe aus der tönernen Erde, schillerten Fragmente eines verlorenen Lebens wie nasse Perlen im Grund. Gleißend spiegelten sich die Strahlen einer nicht vorhandenen Sonne im silbernfarbenen Glanz eines schmalen Dolches, welcher dem Berge im Leibe steckte, welchen eben sie bestiegen.
"Lupus est homo homini, non homo, quom qualis sit, non novit.* Nicht Emotio leitet noch den Episit, denn einzig der Drang nach Leben, ein jener Drang, welcher gänzlich unbekannt der Wahrheit ist."
Vorsichtig hob er seine Hand und strich in zärtlicher Art über die schimmernde Klinge - kalt war sie, gleichsam brannte seine Haut wie von Feuer verzehrt- umrundete die kantige Falte und zog blutend seine Hand zurück, um sie vor ihren Augen zu präsentieren.
"Wann war je der Mensch schön und lauter, der er seinem Gegenüber einzig neidet, weil es größer ist, als er? Wann war rein der Mensch, der zerfressen von Gier und Neid die Schönheit vor seinem Auge nicht zu denken vermag, die Wahrheit aus seinem Ohr vertrieb und die Wahrhaftigkeit aus seinem Munde spuckte?"
Trostlos war die Wahrheit in ihrem Angesicht.
"Die Wahrheit kann ohne die Lüge nicht leben."
Tonlos barst der Spiegel, zersplitterte in Tausende Scherben, welche in sprödem Regenschauer sich auf sie hinab senkten, sie bedeckten mit einem funkelnden Film aus Schuppen, von welchen die mauvefarbene Flut wurde in hauchdünnen Strahlen zurück geworfen in die unwirkliche Welt.
"Das Schöne besteht nicht ohne das Hässliche. Licht ist blass ohne die Dunkelheit. Die absolute Wahrheit ist eine Lüge. Ein obligates Paradoxon."
Nivellierung, Kompensierung, Egalisation, sie war ob seiner Selbst, sie war ob seines Lebens wegen, das Paradoxon seines Selbst zu lösen. Weißfarben ihre Hände, welche die seinen - schwarzfarben - umfassten, kalt ihre Berührung, welche sich mit der Glut seines Körpers vermischte, nah ihr Hauch auf seiner Ferne, leicht durchdrang sie die Schwere.
"Die Vögel tanzen. Die Fische fliegen. Wollen wir ihnen folgen? In das Reich der ewig Lebenden."
Sie verschlang ihn, er verschlang sie, träge zerflossen ihrer beider Leiber zu graufarbener Existenz, lösten sich in granulare Partikel, lösten sich in kakophonischer Harmonie, einer Kaskade aus Stille unterworfen. Ein Flüstern aus schwerem Hauch, leichter Odem, welcher in der Luft zu Eis gefror, nicht von ihr, nicht von ihm, von irgendwo aus der Unendlichkeit, nahe dem Ursprung, nahe dem Ende, aus ihnen heraus, der homogen divergenten Anomalie im Gefüge der Traumweberei.
"Ich bin die Wahrheit. Ich bin die Lüge. Ich bin die Dunkelheit. Ich bin das Licht. Ich bin der Tod. Ich bin das Leben. Ich bin der Fluch. Ich bin die Hoffnung."
Stille.~~~
Erst ein sanftes, zufriedenes Brummen durchbrach die Stille wieder, ein leises Rascheln und die Wärme eines Körpers. Es war Gracchus, welcher den anbrechenden Tag mit seinem Brummen begrüßte, die mit Schwanendaunen gefüllte warme Decke, welche über den beiden Leibern raschelte und Sciurus' Körper, welcher warm neben dem seines Herrn lag und Grund für dessen Zufriedenheit war. Behutsam strich Gracchus über die feinen, kaum sichtbaren Linien auf Sciurus' Rücken - Spuren eines längst vergangenen Lebens - fuhr den Nacken, den schmalen Hals hinauf, grub seine Hand in das blonde Haar und sog den Odeur des Sklaven ein. Wiederum brummte Gracchus.
"Lass das Frühstück heute außer Acht. Mir steht der Appetit nach anderem"
, flüsterte er begierig in des Sklaven Ohr und begann hernach, sich zu nehmen, nach was es ihm verlangte, ehe der Tag seinen Anfang nahm.Sim-Off: * Plautus: Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, kein Mensch, wenn er nicht weiß, welcher Art [sein Gegenüber] ist.
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Allmählich füllte sich die curia, bis drei Plätze nur noch unbelegt waren, welche leer und gähnend sich in der ohnehin kleinen Runde präsentierten. Der zuletzt eingetroffene Ankömmling, Vitellius Crus, hatte eben erst sein Sitzfleisch gebettet, da räusperte sich Gracchus.
"Werte Sodales, ich eröffne hiermit die Sitzung OCT DCCCLVII A.U.C. Abwesend befinden sich Marcus Flavius Aristides, welcher unter Führung des Imperator Caesar Augustus im Kriegsgebiet Parthia zum Wohle des römischen Imperium kämpft. Weiters Herius Claudius Menecrates, welcher unabkömmlich außerhalb der Stadt weilt. Zudem Galeo Claudius Myrtilus, über dessen gegenwärtigen Aufenthaltsort mir indes nichts bekannt ist. Weiß womöglich einer unter euch darüber etwas?"
"Vermutlich ist er für eine literatio ebenfalls außerhalb der Stadt unterwegs"
"Nun gut, beginnen wir mit dem ersten Punkt der Tagesordnung. Wieder einmal steht die Wahl des Magisters an. Diejenigen unter euch, welche bereit wären, diese Aufgabe zu übernehmen, mögen dies bitte nun Kund tun." -
Kaum hatte sich die Türe hinter Serenus geschlossen, warf Gracchus das Pergament mit einem tiefen Seufzen achtlos auf den Tisch und ließ den Kopf vornüber sinken, bis dass er auf der Platte des Möbelstückes zu liegen kam.
"Er hasst mich,"
murmelte er. "Er hasst dich nicht, Herr, es sind die Launen eines Kindes", warf Sciurus ein.
"Aristides wird mich hassen."
"Niemand hat Grund, dich zu hassen, Herr." Doch die Worte des Sklaven drangen nicht bis zum Sinn seines Herrn vor, denn die Worte seines Neffen hingen Gracchus zu tief nach.
"Dies ist der Grund, weshalb die Götter mir keinen Erben gewähren. Genau genommen sollte ich ob dessen froh sein. Ich werde einen jungen Mann adoptieren, wenn ich alt genug bin, mein Testament aufzusetzen. Er wird ausgewachsen sein, intelligent, klug, kultiviert und ehrgeizig. Er wird nicht tun müssen, was ich ihm sage, denn er wird ohnehin immer genau das richtige tun, so dass es meines strengen Wortes nicht erst bedürfen werden wird. Es ist ohnehin viel besser, wenn dieser flavische Wahn und dieses Unvermögen nicht weiter gegeben werden. Wenn nur Aristides hier wäre, er wüsste, was zu tun ist."
Er richtete sich auf und ein marginal blasser Abdruck hatte sich bereits auf seiner Stirne geprägt.
"Bei Abeona und Satanus, woher soll ich wissen, was mit einem Kind dieser Art anzufangen ist? Da liest man Schriften über Schriften, über den Aufbau der Welt, über das Wesen der Wahrheit, über die Prägung des Seins, über das rechte Sprechen und die gute Rede, gar über die Umwerbung einer Frau - doch wann hat je sich ein Denker mit der Erziehung eines jungen Mannes beschäftigt?"
Aus großen, ratlos fragenden Augen blickte Gracchus seinen Sklaven an, welcher jedoch selbst um eine Antwort verlegen war und sich nur in Mutmaßungen konnte flüchten. "Vermutlich nimmt ein Mann deines Standes dies aus seiner eigenen Kindheit und Erziehung?"
Gracchus' Blick nahm eine völlig entgeisterte Färbung an, er ließ die Schultern hängen und schüttelte abweisend den Kopf.
"Wozu? Dass er zu einem Manne meiner Couleur heranwächst? Die Götter mögen ihn vor diesem Schicksal bewahren, einer meiner Art ist bereist mehr, als diese Familie ertragen kann."
Obgleich er es nicht aussprach, so hatte Serenus kleine psychologische Analyse ihn doch tief getroffen, obgleich er sich dessen natürlich auch bereits zuvor bewusst gewesen war.
"Dennoch, ich verstehe es nicht, Sciurus. Mag sein, ich war nur ein einziges Mal mit ihm bei den Wagenrennen, doch dies ist bereits mehr Wagenrennen, als ich in den letzten Jahren zuvor mir habe angedeihen lassen. Und habe ich ihn nicht mit in den Tempel genommen, habe ich nicht ihm das Opfer und die Götter erklärt, ihm all seine Fragen beantwortet? Was will dieser Junge, Respekt oder wie ein Mädchen behandelt werden? Ich verstehe es nicht. Es ist mir mehr noch schleierhaft denn die Wünsche meiner Gemahlin."
Er stockte und winkte ab.
"Nein, dies nehme ich zurück. Nichts ist mir unbegreiflicher und ominöser denn Antonia. Nichtsdestotrotz ..."
Gedankenverloren stützte Gracchus seine Ellenbogen auf den Tisch, verschränkte die Hände vor seinem Gesicht und begann, auf den Kuppen der Daumen herum zu kauen. Tief wanderte er durch die weitläufigen Flure seines Gedankengebäudes, blickte durch Schlüssellöcher verschlossener Türen, auf der Suche nach einem Kind. Auch er war einst ein Kind gewesen, doch seit dem Augenblick, da seine Eltern ihn nach Achaia hatten gesandt, war dieses Kind hin und her geworfen zwischen dem Zwang ein tugendhafter Mann zu sein und dem Drang, mit seinem Vetter und Freund Aquilius gemeinsam der kindlichen Natur nachzugeben. Stück um Stück war das Kind zurück gedrängt worden, Stein um Stein hinter einer Mauer versteckt, seltener die Freiheiten mit Caius. Zuletzt, seit er jenen in Achaia hatte verlassen, hatte er nie wieder sich eine solche Art von Freiheit gegönnt und obgleich er längst den Kinderjahren war entkommen, so war das Kind in ihm doch noch immer verloren, da es nie eine Chance hatte gehabt, sich selbst zu entwachsen.
"Ich werde dafür Sorge tragen, dass das Zimmer des jungen Herrn gerichtet und ihm die alltäglichen Belange nicht länger verwehrt bleiben, Herr." Da Gracchus nicht den Anschein erweckte, eine Entscheidung treffen zu wollen, tat Sciurus dies selbst.
"Ja, tue dies."
Leise verließ der Sklave das Zimmer, um im Hause geordnete Verhältnisse wieder her zu stellen, ließ seinen Herrn in desperater Gemütslage zurück, welcher noch immer auf der Suche nach jenem Punkt war, an welchem er das Kind hatte verloren - sich selbst, gleichsam wie auch Serenus. -
Das Thema der Zensur des Schriftverkehrs aus den Kriegsregionen konnte Gracchus kaum nachvollziehen, denn an dem Schriftstück, welches er von dort von seinem Vetter erhalten hatte, war ihm keinerlei Zensur ins Auge gefallen, doch Aristides hatte auch kaum für Feindesaugen relevante Informationen preisgegeben.
"Es scheint mir eher, es wird zu wenig darauf geachtet, welche Informationen die Legionslager verlassen. Nicht anders ist es doch zu erklären, dass die Acta Diurna letztlich gar falsche Informationen erhält, wie jene Verlustliste der vorletzten Ausgabe. Gerade in solchen Belangen, so möchte ich meinen, sollte besser auf korrekte Informationsweitergabe geachtet werden, denn ob nun ein Scharmützel vor Edessa oder aber Nikephorion gelegen stattfand, dies mag in Rom kaum von Interesse sein, gegenteilig zu einem totgeglaubten Verwandten."
Er versuchte sich an den von Senator Purgitius erwähnten Artikel über Entscheidungen in Hispania zu erinnern, doch mochte ihm nichts dementsprechendes zu Sinne gelangen, außer, dass er vermutlich nicht bis dorthin hinvor gedrungen war, da er sich die entsprechende Ausgabe nach der horriblen Nachricht nicht mehr hatte zu Gemüte geführt. -
Zitat
Original von Manius Tiberius Durus
"Planst du ein weiteres politisches Engagement, Flavius?"Die Zeit Durus' Frage reichte gerade aus, um einen weiteren Bissen zu sich zu nehmen, hernach winkte Gracchus mit der freien Hand ab.
"Aber nein, nicht doch für die kommende Amtszeit. Es lag nicht in meiner Absicht, solcherlei damit zum Ausdruck zu bringen, vielmehr sah ich mich selbst in meine Aussage in- und daher aus potentiellen Kandidaten exkludiert, da auch ich ein Klient meines Vetters Felix bin. So dies missverständlich war, bitte ich, dies mir zu verzeihen."
Durchaus konnte Gracchus die Überraschung des Tiberiers nachvollziehen, immerhin hätte ein weiteres politisches Engagement eine Quaestur bedeutet, worüber Gracchus zwar tatsächlich hatte nachgedacht, allein um der Tristesse der Tatenlosigkeit zu entgehen, doch letztlich wäre dies für einen Mann seines Standes mehr als nur blamabel.
"Wie steht es um deine Pläne, Tiberius? Wirst du den weiteren Weg des Cursus Honorum beschreiten?"Sim-Off: Ja.
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Auch Gracchus ließ sich von den appetitlich anmutenden Siebelschläfer ein wenig anreichen und wandte sich nachdem er einen ersten kleinen Bissen goutiert hatte, Durus ihm gegenüber auf der anderen Seite des Tisches zu.
"In der Tat hat mein Vetter sich erneut nach Sardinia zurück gezogen."
Er unterschlug dabei, dass Felix nur auf Weisung des Imperators überhaupt zuletzt nach Rom zurück gekehrt war.
"Es war kein überaus besorgniserregendes Leiden, welches ihn zu diesem Schritt führte, doch die römische Luft und der Trubel der Stadt waren seiner Salubrität zuletzt doch ein wenig zu abträglich."
Im Grunde genommen wusste Gracchus nicht, was genau Felix zu diesem Schritt hatte veranlasst, möglicherweise war es nicht einmal seine Gesundheit, doch dies war etwas, worüber selbst im flavischen Hause nicht wurde gesprochen, zudem gab es andererseits kaum einen Grund, welcher die Vernachlässigung seiner Pflichten würde sonstig rechtfertigen.
"Vermutlich wird er jedoch der Stadt auf längere Sicht fern bleiben."
Zumindest dies war gesichert, denn nicht umsonst hatte Felix nicht nur seine offiziellen Pflichten nieder gelegt, sondern gleichsam unmissverständlich verdeutlicht, dass er ebenfalls sich nicht weiter um die Belange der Familie würde kümmern können.
"Ein Umstand welcher mich persönlich sehr dauert, da durch seine amtlich bedingte Abwesenheit derzeitig ja auch sein Sohn Furianus der Stadt und dem Senat fern weilt, was mir gerade in Hinsicht auf die baldig anstehenden Wahlen des Cursus Honorum ein wenig desolat scheint, obgleich sich ohnehin keiner der flavischen Klienten zur Wahl stellen wird."
Zumindest nicht, sofern Gracchus darüber informiert war und hätte Furianus anderes im Sinne, so hätte er den Kandidaten sicherlich längst nach Rom gesandt.editiert: Signatur angepasst
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Alles an diesem Morgen wies auf einen goldenen Oktobertag, an welchem die herbstliche Sonne mit ihre Strahlen würde mild und warm über die Stadt streichen, in welcher bald schon der Trubel des Alltages die Straßen würde mit dem bunten Treiben des Lebens befüllen, während weit draußen vor den Mauern die Bauern ihre Ernten würden einfahren, um dieses Volk zu nähren. Somit war dies ein völlig normaler Tag im Leben der schönen Roma, nicht mehr oder minder gewöhnlich denn jeder andere zuvor oder hernach. Für Manius Flavius Gracchus indes war dieser Tag nicht auch nur im Ansatze gewöhnlich. Er stand an einer Schwelle und übertrat jenen Punkt, welcher bisherig das Ziel all seiner eigenen Bemühungen hatte markiert, gegen alle Pläne seines Vaters, gegen jegliche Pflichten, welche sich aus seiner Position innerhalb der Familie herleiten mochten, gegen jegliche äußere Zwänge, Dränge oder Enge. Seit er Erinnerung an sein Denken bewahrte, war er dem leisen Klingen dieser fernen Melodie gefolgt, wie ein Traumwandler dem Ruf der Nacht, welche nun endlich sich aufbäumte zu reißendem Stakkato, welche anschwoll, um die Choräle im Refrain zu einen. Fast auf der altehrwürdigen Arx angelangt, verließ Gracchus die Sänfte, um die letzen Schritte persönlich zu tun. Hier war er, aus sich selbst heraus, aus seinem eigenen Antrieb und seinem eigenen Verdienst und allein die Tatsache anwesend sein zu dürfen überwältigte ihn bereits und ließ sein ob der Geschehnisse der letzen Wochen ohnehin viel zu ausgezehrtes Selbst in Gravitas und Dignitas wanken. Eilig bemühte er sich durch ein Blinzeln jenen Tropfen aus seinem Augenwinkel zu vertreiben, welcher sich klandestin dorthin hatte gestohlen, doch es war vergebliche Mühe.
"Sciurus!"
herrschte er den Sklaven an, welcher ihm wie üblich folgte und sogleich heran trat, um ihm ein seidenes weißfarbenes Tuch mit goldfarbener Borte dar zu reichen. Gracchus ergriff es und tupfte die Flüssigkeit hinfort.
"Ein Fliegengetier"
, erklärte er dem Sklaven bestimmt und mit einem Tonfall, welcher keinerlei Widerspruch duldete, nicht einmal von jenem Sklaven, welcher sein Bett mit ihm teilte und daneben noch einiges mehr an Freiheit genoss.
"Man sollte den Tiber im Sommer austrocknen, dass sich dieses absonderliche Gezücht nicht jedes Jahr aufs Neue vermehren kann."
Nachdem alle verräterischen Spuren waren ausgemerzt, hielt Gracchus das Tuch seinem Sklaven hin und hoffte gleichsam, dass solch blamable Larmoyanz ihn nicht noch einmal würde überkommen. Ein feines Lächeln ob seiner inneren Entzückung kräuselte seine Lippen, als Gracchus schlussendlich auf die Pontifices und Augures hin zu trat, und sie mit gebührendem Gruße bedachte. -
In stillem Schweigen hörte Gracchus die Worte des procurator bis zum Ende hin, bis zu jenem für ihn so überaus bedeutsamen Satz. Obgleich dies von Beginn an eine logische Konsequenz seiner Existenz war gewesen, obgleich von Anfang an nichts anderes war möglich gewesen, so war im Grunde seines Selbst er doch niemals tatsächlich darauf vorbereitet gewesen, denn zu groß waren die eigenen Zweifel und der devastative Defätismus. Das Schriftstück in seinen Händen jedoch strafte all dies Lügen.
"Ich danke dir zutiefst, Aelius Callidus. So du ein wenig Platz auf dem nächsten Schreiben an den Imperator Caesar Augustus kannst entbehren und ihn derartige Nebensächlichkeiten nicht von den wichtigen Dringlichkeiten des Krieges abhalten, so möchte ich dich bitten, auch unserem Kaiser meine tiefste Dankbarkeit für jene überaus großzügige Ehre, welche er mir hat zuteil werden lassen, mitzuteilen. Mit größtem Eifer wird auch mein künftiges Streben weiter dem Wohle unseres Imperium gelten." -
Kontradiktion und Antinomie schlugen Gracchus entgegen, ob derer ihm kaum mehr blieb, als in Stillschweigen sich zurück zu lehnen und den wirren Ausführungen des Jungen zu lauschen, welcher ohnehin kaum war zu unterbrechen. Wahrlich waren Kinder ihm mehr noch ein Rätsel, denn Frauen, denn so Frauen allen Entscheidungen nur zustimmten, obgleich sie des öfteren im Grunde das Gegenteil ihrer Aussage im Sinne hatten, so stimmten Kinder zu und lehnten ab in einem Atemzug, so dass letztlich ihre Worte sich gegenseitig nivellierten und darob überhaupt nichts übrig blieb, an welchem zu festhalten war. Eines jedoch war beiden gleich, Frauen wie Kindern, jegliche ernsthaften, eindringlichen Worte prallten an ihnen ab, ohne dass auch nur die geringste Hoffnung bestand, nur ein Teil dessen würde bis hin zu ihrem Verstande dringen.
"Mein einziges Versäumnis ist, dass ich bisherig dich als vollwertiges Mitglied dieses Haushaltes erachtete. Doch womöglich war dies ein Fehler. Wenn du dich entschieden hast, was in diesem Hause du sein möchtest, Kind oder Mann, so können wir dieses Gespräch fortführen, denn beides zugleich ist nicht möglich, so desolat dies für dich sein mag."
Er beugte sich marginal vor, um jenes Pergament aufzugreifen, welches er vor Serenus' Ankunft hatte gelesen, und blickte kaum mehr auf, als er einen weiteren Satz anfügte.
"Nebenbei bemerkt unterliegst du einem Irrtum, so du davon ausgehst, dass nichts ob deiner Abwesenheit wurde unternommen, ebenso dass du in zwei Jahren ein in deiner Entscheidung freier Mann sein wirst."
Unwillkürlich und unbewusst spannte Gracchus die Kiefermuskeln an, vor seinem Auge verschwommen die Worte der Elegie, die Sätze mochten nicht mehr ihren Sinn ihm eröffnen, denn längst waren seine Gedanken ausgefüllt von anderem Sinn. -
Die Hände vor sich auf dem Schreibtisch ineinander verschränkt betrachtete Gracchus das Trauerspiel, welches sein Neffe darbot. Er hatte wahrlich dem Jungen mehr zugetraut, doch nachdem Serenus seine Person ein mal selbst kompromittiert hatte, schien ihm nichts daran gelegen, diesen Umstand zu nivellieren, eine Tatsache, welche Gracchus aufs äußerste dauerte. Dennoch verriet weiter nichts seine inneren Reflexionen.
"Voreilige Schlussfolgerungen sind ein Laster, dessen man nur schwerlich wieder entkommen kann, du solltest dir dies nicht zur Gewohnheit werden lassen. Doch widmen wir uns den von dir angesprochenen Punkten, der Reihe nach. Lasse dir eine weitere Decke zur Nachtruhe geben, die Fußbodenheizung braucht vorerst nicht in Betrieb genommen zu werden, bis die Notwendigkeit besteht, zu heizen, denn alles andere wäre nur Verschwendung. Zu deiner sozialen Stellung als Patrizier im Haushalt habe ich dir zu sagen, dass du jenen Anspruch verwirkt hast. Deine infantile Reaktion während der Verlobung deines Vaters hat uns gezeigt, dass du noch nicht reif bist, die Privilegien eines patrizischen Mannes zu genießen. Du zeigtest die Unüberlegtheit eines patrizischen Kindes, Serenus, und dies ist es, wie dir ob dessen begegnet wird. Deiner geistigen und kulturellen Gesundheit können wir uns darob widmen, wenn du wieder den Willen zu Geist und Kultur vorweisen wirst."
Erst nun war es, da sich Enttäuschung auf Gracchus' Miene wiederspiegelte, als sich in leichtem Ansatz seine Stirne in Falten zog.
"Hast du denn auch nur mit der kleinsten Faser deines Verstandes antizipierend bedacht, welche Auswirkungen dein Handeln für die Familie hat, in öffentlicher wie in privater Natur? Ist dir auch nur im Geringsten in die Sinne gedrungen, welch enorme Sorge wir ob dessen auszutragen hatten, da nicht einmal deine Großmutter wusste, wo du dich befandest? Dein Handeln war unverantwortlich, Serenus, und es gibt keine Diskulpation dafür. Wenn du möchtest, dass diese Familie dich als vollwertiges Mitglied respektiert, so wirst du dieser Familie selbst Respekt entgegen bringen müssen. Bist du dessen nicht gewillt, so bin auch ich nicht gewillt, nur die geringste Impertinenz zu dulden."
Nur eine marginale Pause hing im Raum, bevor Gracchus fortfuhr.
"Womit wir bereits beim nächsten Punkt angelangt wären. Es ist indisputabel inakzeptabel, dass die Bibliothek durch deine Person einzig belegt wird. Die gesammelten Schriften sind ein Teil unseres Familienerbes und stehen jedem Angehörigen dieses Haushaltes zur freien Verfügung. Ich werde veranlassen, dass dir ein Studienzimmer zur Nutzung überlassen bleibt, sofern du für weitere Studien bereit bist. Zudem werde ich nicht länger konnivieren, dass in diesem Hause das Chaos herrscht."
Es war beinahe wie ein Stichwort, ein kleiner Schalter, welcher um schwang und all die Wirren der letzten Wochen und Monate erneut auf Gracchus hernieder prasseln ließ. Zwar nahm die Echauffage längst nicht jenes Ausmaß an, welchem er sich in Aquilius' Cubiculum hatte hin gegeben, doch war sie deutlich in der Strenge seines Tonfalles zu vernehmen.
"Dies ist ein patrizisches Haus, dies ist das Haus der Flavia und diejenigen Personen, welche sich als Teil dieser privilegierten Familie sehen wollen, werden sich an die hier geltenden Regeln halten, welche der Harmonie unabdingbar sind! Wer dazu nicht bereit ist, dem steht es jederzeit frei zu gehen, der kann in eine plebeische Familie einheiraten, der kann mit einem Sklaven durchbrennen oder sich als Bischof der Chistianer dorthin absetzen, wo der Pfeffer wächst, doch er braucht nicht zu glauben, dass er hernach auch nur einen kleinen Zeh wieder in diese Villa hinein setzen wird! Ich bin ein äußerst konzilianter Mensch und wir können über alles sprechen, Serenus, gerade dir gegenüber bin ich zu mehr Zugeständnissen an deine kindliche Natur bereit als gegenüber sonst irgendwem in diesem Haushalt. Doch glaube nicht, dass du die Menschen in deiner Umgebung gegeneinander ausspielen kannst, denn ich lasse mich nicht Düpieren in diesem Hause und glaube mir, meine Sinne sind ob dessen bereits bis zum Zerreißen angespannt."