Beiträge von Manius Flavius Gracchus

    Eines Abends fand sich ein Brief auf dem kleinen Tisch neben Aquilius' Bett, welchen ein Sklave dort am Tage drapiert hatte, wie es ihm aufgetragen worden war.



    Gruß und Heil, geliebter Vetter, sterblicher Dioskur,


    Ungern möchte ich dieses Schreiben mit der Bitte um Vergebung beginnen, doch was bleibt anderes? So bitte ich dich denn, mir zu verzeihen, den Schwur, den letzen Abend, dass dies nur geschriebene Worte sind, und doch - obgleich ich alles davon zu tiefst bedauere - sehe ich in meiner Verzweiflung keine andere Möglichkeit und ich hoffe so sehr, dass du mir dies nachsehen kannst, obgleich ich mir dessen gewahr bin, dass dies längstens mir nicht mehr zusteht.


    Wenn du diesen Brief in Händen hältst, habe ich Rom bereits verlassen. Ich erwähnte jenen unglückseligen Umstand des Quintus Tullius, doch was ich zu diesem Zeitpunkt nicht wusste war, dass unsere Base Leontia nicht nach Ravenna zu ihrem Vater reiste, wie wir alle dies glaubten, sondern ihm in meinem Namen folgte, wie sie glaubte nach Aegyptus, doch nur die Götter wissen, wohin er tatsächlich mit ihr zog und welch devastativen Gedanken er nachhängt. Sciurus konnte ihre Spuren bis nach Ostia hin ausmachen und ich sehe keine andere Möglichkeit, denn ihm zu folgen, mir selbst zu folgen, mir nachzujagen gleich einem Larven, zu welchem er mich längstens gemacht hat.


    Drei Bitten habe ich an dich, Caius, und obgleich ich mir dessen gewahr bin, dass es dererlei dreier zu viel sind, so bleibt mir nichts, als sie zu wagen und auf deine Freundschaft zu hoffen und zu vertrauen. Zuerst muss ich dich bitten, dass das Wissen um die Existenz und vor allem die Äußerlichkeit des Quintus Tullius und die Gefahr, in welcher unsere Base schwebt, einzig zwischen uns bleibt, denn niemand sonst weiß bisherig davon und vorerst muss dies so bleiben. Weiters möchte ich dich bitten, ein wenig auf meine Gattin zu achten. Vermutlich wird ihr meine Abwesenheit kaum Sorge bereiten, tut dies meine Anwesenheit doch viel eher, doch sofern es die Umstände erfordern sollten, so weiß ich, dass ich niemandem mehr ihr Wohl anvertrauen könnte als dir. Zuletzt wirst du der einzige Mensch sein, welcher ob meiner Rückkehr entscheiden kann, ob dies tatsächlich noch ich bin und sofern ich es nicht sein sollte, so bitte ich dich inständig darum, dafür Sorge zu tragen, dass auch er es nicht wird sein.


    Es drängt mich danach, dieses Schreiben mit Worten zu beenden, welche ich nicht mit Tinte fixieren kann, doch ich weiß, dass du wissen wirst, welche Worte dies sind, und ich hoffe, du bewahrst sie in deinem Herzen.


    Auf bald,
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    Eines Abends konnte die Claudia auf dem Nachttisch neben ihrem Bett einen Brief ihres Gemahls finden, welchen ein Sklave dort hatte deponiert.



    Werte Gemahlin,


    Unvorhergesehene Ereignisse bedingen unvorhergesehene Maßnahmen, und eben solches ist derzeitig notwendig geworden. Um dir ausführlich zu Berichten fehlt mir deplorablerweise die Zeit, doch eine besorgniserregende Wendung macht es unvermeidlich, dass ich mich fern Roms um familiäre Angelegenheiten zu Kümmern habe.


    Ich bitte dich während meiner Abwesenheit für die Verwaltung des Vermögens und der Ländereien Sorge zu tragen, solltest du auf Schwierigkeiten stoßen, gleich welcher Art, so wende dich vertrauensvoll an meinen Vetter Aquilius, er wird dir in allen Belangen zur Seite stehen wie ich selbst dies nicht besser zu tun in der Lage wäre.


    Auf ein baldiges Wiedersehen,
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    Nun ist es nicht mehr nur deplorabel, nun ist mindestens auch desolat, doch da das Tippen mit Links das Problem nur dorthin verlagerte und gänzlich anderweitiges Tippen denn doch zu umständlich wird, melde ich mich vorerst ganz aus dem SimOn-Geschehen ab. Da die Zwangspause über diverse Ereignisse gleichsam in die Urlaubszeit übergeht, wird dies aktiv denn für etwas längere Zeit sein, voraussichtlich bis Mitte/Ende August. Offene Handlungen werde ich noch zu (schnellem) Ende bringen.

    Die Vorstellung, dass Leontia, dieses grazile, feinfühlige, filigrane, ja beinahe zerbrechlich scheinende Wesen, welches seine Base war, in die Fänge des grobschlächtigen Caeciliers geraten mochte, war wahrhaft degoutant. Minervina würde sich letztlich zu Wehren wissen, dessen war er sich sicher, denn gleich wie Sphinx, Leontias Katze, die einfühlsame Eleganz ihrer Besitzerin teilte, so teilte Minervina augenscheinlich die scharfen Zähne und Krallen ihres Leoparden.
    "Meine Töchter werde ich allesamt zu den Sacerdotes Vestales senden. Und wenn es sechs sein sollten bis der erste Erbe das Licht der Welt erblickt, so werde ich Agrippina schon davon zu überzeugen wissen, dass die Priesterschaft nie aus zu vielen Flavia bestehen kann. Wahrlich, Marcus, diese Heiratspolitik ist anstrengender, als ich vermutet hätte. Vor allem in Hinsicht auf Schwestern, welche ohnehin deinem Rat folgen können oder dies auch nicht. Minervina glaubt, der Caecilier liebe sie und augenscheinlich erwidert sie diese Gefühle, welche ich ihr durchaus nicht absprechen möchte, doch immerhin zeigte sie letztlich die Einsicht, dass dies für eine Ehe nur eine marginale Nebensächlichkeit darstellt."
    Es stellte sich dabei nur die Frage, wie Minervina vom falschen Spiel des Caeciliers zu überzeugen war.
    "Was Arrecina betrifft, so fällt mir auf die schnelle keine geeignete Verbindung ein. Ein Tiberius oder Aurelius womöglich? Andererseits, womöglich könnte dir dein baldiger Schwiegervater bei einer weiteren Verbindung in die Claudia behilflich sein. Nun, ich werde die Augen offen halten."
    Da er dies ohnehin schon bei den Damen des patrizischen Standes tat - nicht aus Eigeninteresse, sondern Caius' und Lucullus' wegen - so konnte er dies auch ausweiten.

    "Ich danke dir, Septemvir. Sonstig gibt es nichts, danke."
    Mit diesen Worten schickte sich Gracchus an, das Officium samt seines Besitzers zu verlassen. Mit diesem Mann hatte sein Weg im Cultus Deorum begonnen, er hatte als Discipulus einst bei ihm, der damalig noch Sacerdos gewesen war, seine Ausbildung erhalten, und mit diesem Mann würde er nun enden.
    "Vale, Septemvir Valerius, mögen die Götter dich auf deinen Wegen stets geleiten und schützen."
    So verließ er denn das Officium und hernach auch die Regia, nicht ohne dass ein Hauch von Wehmut ihn begleitete.

    "Hm?"
    Derangiert betrachtete Gracchus seine Schwester, sein Blick huschte über ihr Gesicht, als würde er sich erst nun ihrer Anwesenheit überhaupt wieder bewusst werden. Was wusste sie? Sie konnte nichts wissen. Sie war weit nach Quintus' Verschwinden geboren worden, immer im Glauben, das fünfte Kind ihrer Eltern zu sein, es konnte nicht anders sein, da selbst er dies hatte geglaubt und Quintus bis vor kurzem nichts von seiner Abstammung hatte gewusst. Es war niemand mehr am Leben aus ihrer Familie, welcher darum wissen konnte.
    "Es ist ... diese Familie."
    Die Andeutung eines Kopfschüttelns bewegte seinen Kopf. Nichts konnte sie wissen, nicht von Quintus, nicht von Caius, nichts von dem Fluch, nichts. Und er konnte nicht ihre Illusionen zerstören.
    "Das ist alles sehr kompliziert, Minervina. Niemand ist ohne Fehler, vergiss das nie."
    Irgendwann würde er es ihr erklären müssen. Wenn es nach ihm ging, niemals, doch irgendwann würde vielleicht der Zeitpunkt kommen, an welchem es geschehen musste. Er wollte sie bitten, ihm zu vertrauen, doch nicht einmal dies konnte er - wegen Quintus, Quintus war seine größte Sorge, ob deren es ihn viel mehr drängte sie zu bitten, ihm niemals zu vertrauen. Ein feines Lächeln kräuselte stattdessen seine Lippen, sein Antlitz geriet zu einer seit langem perfektionierten Maske der Sorglosigkeit.
    "Doch sei ohne Sorge, es ist nichts, was nicht wieder in Ordnung kommen wird. Nun jedoch bitte ich dich, mich zu entschuldigen, Minervina. Ich habe noch einiges zu tun."
    Er musste eine Suche vorbereiten, er würde Sciurus losschicken und die Spur seiner Base und sich selbst - Quintus in Gestalt seiner selbst - verfolgen müssen. Wenn es nur nicht bereits zu spät war, viel zu viele Tage des Vorsprungs hatten sie bereits, sie konnte wer weiß wohin verschleppt sein.

    Wie immer, wenn sich Antonia zu einer ungewöhnlich vertraulichen Geste hinreißen ließ, blickte Gracchus ihr ein wenig verwundert nach, im Grunde gar mehr als verwundert in diesem Falle, da er nicht mit solcherlei intimer Vertraulichkeit in der Öffentlichkeit hatte gerechnet. Nur kurz jedoch wähnte der Augenblick der Derangierung, sodann prüfte Gracchus die Reinheit seiner Toga, ein solch kleines Tier, wie das Lamm dies gewesen war, führte nicht unbedingt dazu, das jene mit Blut befleckt war, was diesfallig der Tatsache entsprach. Darum ließ sich Gracchus ebenfalls seine Sänfte heranbringen, um den Weg in einen der Tempel des Iuppiter anzutreten, in welchem er den Rest des Tages seinen Dienst würde verrichten.

    Erneut zuckte Gracchus unter der Berührung seines Vetters zusammen, doch ohne Zögern ließ er seine Stirn gegen die Brust des Freundes sinken, ließ sich in seine Umarmung sinken, die so fest und zweifellos war wie seit jeher, die ihm immer schon das Gefühl der Sicherheit hatte geboten, gleich ob es tatsächlich war oder nicht. Sein Körper erbebte, zuckte leicht und nun war es sicher, dass das Nass in seinen Händen nicht vom Bad herrührte. Er hatte keine Tränen vergossen, seit er in Serenus' Alter gewesen war und er erinnerte sich seltsamerweise genau, dass es damalig einzig und allein aus Schrecken deswegen gewesen war, da er sich das Knie blutig aufgeschlagen hatte. Wie fern und gleichsam verlockend einfach schien der damalige Schmerz nun im Angesicht wahrer Pein. Wäre nicht ohnehin Gracchus Gemüt aufgrund der Vorfälle der letzten Wochen bereits völlig aus den Fugen geraten, so hätte ihn vermutlich, selbst in zweisamer Einsamkeit mit seinem ältesten und innigsten Gefährten, der Scham überkommen ob seiner Larmoyanz, doch längst brauchte er seine Stärke für Tiefgehenderes als die Aufrechterhaltung einer leeren Maske. Was hatte er nur getan? Er hatte Caius und sich selbst die einzige Hoffnung geraubt, gleichsam die einzige Möglichkeit ergriffen, die im Angesicht ihrer gemeinsamen Schwäche gegeben war, denn Gracchus wusste, dass nur ein Eid ihn auf Dauer würde bewahren. Der Schwur seines geliebten Freundes drang in seine Ohren, zerschmetterte den letzten Rest ihrer Hoffnung, zerbrach den feinen Schimmer und ließ Gracchus' Herz in einem zerbersten. Er wollte fort. Weit fort. Die Pflicht wollte er vergessen, sollte sein Vater brüllen, bis die Stimme ihm versagte, Gracchus würde ihn hören und gleichsam dies nicht tun.
    "Gibt es nichts, das uns bleibt, denn Schmerz und Verzweiflung? Nichts, denn hoffnungsloses Sehnen? Muss alles zwischen uns so enden, jedes Wort, jede Berührung? Mit einem Schwur unter erstickten Tränen? Stein ist unser Verderben, Caius, des Iuppiters, des Tarpeius. Nur einen Schritt will ich gehen, nur einen einzigen Schritt, doch wohin?"
    Langsam drehte er den Kopf, blickte auf, aus schimmernden Augen dem Körper des Geliebten entlang bis in zu dessen Gesicht, dessen gleichsam glitzernden Augen, wie kleine, schimmernde Ozeane. Beschämt senkte er den Blick, kniff die Augen einen Moment zusammen, blinzelte hernach und stand langsam auf, fasste Aquilius an den Schultern, als müsse er sich ein letztes Mal vergewissern, dass dieser tatsächlich wahrhaftig war. Er hob nicht seine Stimme, hob nicht seinen Blick.
    "Verzeih, Caius, verzeih mir. Es war ein Fehler zu bleiben, ich war ... ich hätte es wissen müssen. Verzeih mir, Caius, ich wollte nicht ... "
    Es war ohnehin ohne Sinn. Er schüttelte langsam den Kopf, wandte sich um, ließ die Hände an Aquilius' Schultern, bis dass sie sich zwangsläufig mussten lösen, da sie noch immer seinem Körper zugehörig waren und diesem die Treppe hinauf mussten folgen. Jeder Schritt war eine Qual, jeder Schritt, welcher ihn von Caius entfernte und es schien Gracchus als hätte er Ketten an den Füßen, Gewichte dazu, obgleich er nichts mehr sehnte, als endlich dem Raum zu entkommen. Er machte sich nicht die Mühe, die Haut zu trocknen, nahm nur die Tunika und zog sie über den Kopf. Hastig schob Gracchus den Riegel der Türe zur Seite, zögerte einen letzten Moment, drehte sich doch nicht um.
    "Ich werde nie damit aufhören, Caius, doch ... ich kann nicht."
    Bevor er eine weitere unüberlegte Handlung beginnen konnte, öffnete Gracchus die Türe, trat hinaus in den durch sanften Öllampenschein erhellten Gang und schloss die Türe hinter sich. Gleichsam sperrte er sein Verlangen in den tiefen Keller seines Gedankengebäudes, sperrte seine Gier hinter Gittern, verbarrikadierte noch die Eingänge zu den finsteren Gewölben, schloss alle Türen und grub die Schlüssel weit in die Erde ein. In der Villa Flavia wankte Gracchus durch die Gänge zu seinem Cubiculum und hinterließ feuchte Tropfen auf dem Gang. Er wollte fort, nur fort.

    "Es sind persönliche Gründe."
    Gracchus zögerte, doch obgleich er nicht gewillt war, dem Septemvir mehr als notwendig zu berichten, fuhr er schließlich fort.
    "Es gibt einige Dinge hinsichtlich meiner Familie, welche zu Regeln sind. Dies wird mich vermutlich auch für einige Zeit aus Rom hinfort führen und ich möchte ungern ein Amt inne halten, welches ich nicht in der Lage bin auszuführen."

    ... denn er liebt mich... hallte es in Gracchus' Geist nach. Konnte er ihr dies verwehren? Immerhin, Caecilius war der Praefectus Praetorio, womöglich würde er sich mit dem Gedanken arrangieren können, sofern niemand erwartete, dass er mit seinem Schwager mehr Kontakt pflegen musste als allgemeinhin notwendig. Die Berührung seiner Schwester riss ihn aus Gedanken, langsam sickerte erneut Aegyptus zu ihm hindurch, schaffte doch dieses mal nicht, an ihm vorüber zu ziehen.
    "Aegyptus? Nein!"
    Es war ihm schneller und dringlicher echappiert, als ihm dies recht war. Er war in Aegyptus, vermutlich, er würde sie verschlingen, wie er Leontia verschlungen hatte. Wenn nur der leiseste Verdacht bestand, dass sie ihm dort in die Arme laufen würde, musste er dies verhindern. Gracchus fasste seine Schwester an den Schultern und redete eindringlich auf sie ein.
    "Minervina, gerade erst bist du aus Hispania gekommen. Reichte denn diese Reise nicht? Musst du dich erneut in Gefahr begeben? Was ist so schlimm an Rom? Bitte, Minervina, bleibe hier und finde deine Wurzeln dort wo sie liegen! Ich werde ohnehin mich aus der Stadt begeben müssen, es sind verschiedenste Angelegenheiten zu regeln Antonia betreffend, Serenus, die Familie, du brauchst also vor mir nicht zu flüchten, noch werde ich dich drängen ... Meinetwegen, wenn es nicht Rom sein soll, so nimm eine der Villen in Italia, oben im Norden oder Baiae, aber bitte, Minervina, bitte nicht noch eine Schiffsreise."

    Der Sklave öffnete die Türe und Gracchus trat ein. Das Officium des Septemvirs glich in keinster Weise jener Vorstellung, welche der Sacerdos von dem Officium eines Collegiummitgliedes hegte, und es war Gracchus ein Rätsel, wie Valerius in dieser Unordnung etwas organisieren konnte. Vielleicht hätte er sich doch an einen anderen Vertreter des Collegium wenden sollen, doch nun war es für dererlei Überlegungen zu spät.
    "Salve, Septemvir Valerius."
    Er trat einen weiteren Schritt in den Raum hinein, war jedoch nicht bestrebt, Platz zu nehmen, wollte er doch nicht lange verweilen. Sein Anliegen war kurz und in keinem Falle wollte er es dazu kommen lassen, dass er sich vor dem Valerier würde rechtfertigen müssen.
    "Ich möchte dich bitten, meine Entlassung aus dem Cultus Deorum zu veranlassen."

    Schweren Herzens trat Gracchus seinen Gang zum Officium des Septemvir Valerius an. Es war ihm bewusst, dass er diesen Schritt nicht zwangsläufig musste tun, denn es gab genügend Sacerdotes im Cultus Deorum, welche weit weniger bestrebt waren ihre Pflichten zu erfüllen und dennoch im Amte standen, doch Gracchus konnte solcherlei nicht mit seinem Gewissen vereinbaren. Er hatte dem Iuppiter geschworen, er hatte dem Iuppiter seinen Dienst gegeben, er hatte die Götter nie vergessen und sich dem Willen des Schicksals und seiner Pflicht gebeugt, doch hatten die Parzen augenscheinlich anderes mit ihm im Sinn als dass er könnte der Pflicht folgen, die seine Abstammung ihm auferlegte. Es gab drei Dinge, welchen er die Treue hielt, seiner Familie, der Wahrheit und Rom, in eben jener Reihenfolge, so dass die Pflicht gegenüber seiner Familie nun jene gegenüber Rom verdrängt hatte. Ein Sklave klopfte an die Türe des Officiums, während Gracchus schweigend und in Gedanken wartete.

    Sim-Off:

    Ein kleiner Faupax am Rande: Die Damen bedeckten beim Opfer nicht ihren Kopf, sondern opferten stattdessen mit offenem Haar.


    Wie ein Schatten folgte Gracchus seiner Gattin, bewegte sich mit einer Mischung aus behutsamer Ehrfurcht durch den Tempel, wie er dies trotz der vielen Anwesenheit in Tempeln noch immer tat, vielleicht auch ob dessen, reinigte sich am Becken neben dem Eingang nach seiner Gattin die Hände, schlug eine Falte der Toga über seinen Kopf und blieb in respektvollem Abstand zu Antonia, doch der Göttin nahe, stehen, beobachtete das Tun seiner Gattin, nur ein wenig aufmerksam ob ihres Tuns, doch viel mehr in Gedanken bei der Göttin selbst. Im Augenblick des Bangens fühlte er sich gleichsam mit seiner Gemahlin durch ihr gemeinsames Bitten verbunden, merkwürdig schien es ihm noch immer um ein Kind zu bitten, das von ihnen beiden wohl einen Anteil würde mitnehmen, von ihnen beiden, die sie so wenig miteinander teilten. Erst als Antonia die Bitte sprach, wurde sich Gracchus wieder gänzlich ihrer gewahr, ließ seinen Blick auf ihrem geraden Rücken, dem erhobenen Haupt ruhen, und kam nicht umhin fest zu stellen wie perfekt sie war, perfekt für seine Pflicht, perfekt für diese Farce, doch viel zu perfekt für ihn selbst. Einzig als die junge Popa an Antonia heran trat und ihr etwas zuflüsterte, hob sich Gracchus' Augenbraue ob dessen Verwunderung ein wenig in die Höhe, noch ein wenig mehr, als Antonia erst fragend zu ihm blickte, der er nur ebenso fragend zurück blicken konnte, da die Worte nicht bis an ihn heran gedrungen waren, und sie schließlich den Sklaven anwies und wartete. Ihr Gemahl wartete ebenso geduldig, erst dann wieder erstaunt, als der Sklave eine weitere Kanne herbei brachte und seine Gattin den Inhalt derjenigen über die Früchte goss. Obgleich seiner leichten Derangierung kräuselte ein feines Lächeln Gracchus' Lippen als seine Ehefrau sich letztlich wieder umwandte, und er nickte ihr leicht zu, bevor sie schließlich wortlos den Weg hinaus aus dem Tempel antraten. Dort vor dem Tempel warteten bereits die Sklaven mit dem blutigen Opfer am Altar, einer von ihnen hielt das junge Lamm auf seinem Arm, war es doch erst wenige Tage alt und konnte sich kaum selbst auf den Beinen halten. Routiniert reinigte sich Gracchus die Hände in einer dargebotenen Schüssel kalten Wassers und trocknete sie, bevor er das Opfermesser entgegen nahm und sorgfältig in einer Falte der Toga verbarg. Ein Sklave blies noch einmal vorsichtig in die bronzene Schüssel voller Kohlen, auf dass die rotfarbene Glut sich aufleuchtend zeigte. Nachdem Gracchus eine Hand voller Weihrauchkörner über die Kohlen gegeben hatte und noch einmal hellfarbener Rauch empor stieg - dieses mal jedoch nicht gerade in die Höhe, sondern durch den sanften Lufthauch über das Forum Holitorium in leichten Schlieren verweht - nahm er das Jungtier entgegen auf seinen Arm, hielt mit der Linken die flauschige Brust des kleinen, weißfarbenen Schafes und strich ihm mit der Rechten beinahe liebevoll über den Kopf, strich kurz über die Ohren des Tieres, bevor er seine Finger in die dargebotene Schale mit Wein tunkte und sodann die Flüssigkeit über den Kopf des Tieres träufelte und schlussendlich ihm über die Stirne strich.
    "Iuno Sospita Mater Regina, helfende Mutter und Königin, wie es Dir gebührt geben wir Dir, mannigfaltige Iuno Sospita Mater Regina, dieses Lamm auf dass Du unsere Bitte erhörst und Deine Gunst uns schenken mögest, Mater Regina Iuno Seispiter, Göttliche, wie es Dir gebührt."
    Aus der Togafalte zog Gracchus hernach das Opfermesser, strich dem Tier mit der stumpfen Seite vom Nacken bis zum Schwanzansatz, bevor er es schließlich ein wenig weiter über den Altar hob, das Messer unter der Kehle ansetzte und mit einem schnellen Schnitt die Schlagader öffnete. Das kleine Lamm hatte keine Zeit mehr zu bemerken, dass sein kurzes Leben bereits zu Ende war, schon erschlaffte der leichte Körper in Gracchus' Armen. Er hob den Kopf des Tieres an, so dass das Blut aus der Kehle in die auf dem Altar stehende Schüssel fließen konnte, hielt es so lange, bis nur noch letzte Tropfen träge hinab fielen, sodann legte er das Tier daneben auf den kalten Stein. Der kleine Leichnam war schnell geöffnet, ohne Zögern zog Gracchus den Bauchlappen zur Seite, schnitt die Organe heraus und legte sie in eine bronzene Schale, welche ein Sklave ihm anreichte. Die Leber sah sehr gut aus, bei einem kaum eine Woche alten Tier nicht verwunderlich, auch das kleine Herz erweckte einen kräftigen Anschein, doch die Nieren ließen Gracchus zögern. Eine davon war etwas kümmerlich, ein Umstand, welcher ihn bei einem öffentlichen Opfer kaum Hader gebracht hätte, doch war ein privates Opfer eine mehr als heikle Angelegenheit und so dies eine etwas prekäre Lage. Da jedoch die übrigen vitalia sich makellos zeigten, wandte sich Gracchus schlussendlich mit blutigen Händen seiner Gattin zu.
    "Die helfende Iuno hat unser Opfer angenommen."
    Hernach gab er die der Iuno zustehenden Organe auf die glühenden Kohlen, so dass es zischte und brutzelte, bevor er auch ein wenig des aufgefangenen Blutes in die Feuerschale gab.
    "Iuno Sospita Mater Regina, helfende Mutter und Königin, gewähre uns Deine Gunst, errettende Mutter Iuno Seispiter, gewähre uns einen gesunden Nachkommen, Mater Regina, für diese Gaben gewähre uns Dein Wohlwollen, Iuno Sospita Mater Regina."
    Damit war das Opfer beendet und Gracchus ließ sich eine Schale kalten Wassers und ein wenig Seife anreichen, um sich die Hände vom Blut zu säubern. Während er die rotfarbene, langsam gerinnende Flüssigkeit von seiner Haut wusch, drängte sich ihm wieder und wieder ein Gedanke auf. Obgleich es ein gemeinsames Opfer gewesen war, so hatte sich Iuno doch dafür entschieden, die durch Antonia dargebotenen Gaben des Voropfers anzunehmen, das durch ihn dargebrachte Lamm jedoch nicht in vollem Umfang, denn spätestens nun stieg in ihm der Zweifel auf, ob die Niere nicht doch zu unzureichend gewesen war. Womöglich zürnte sie einzig ihm, womöglich stand ihm ihre Gunst nicht zu, womöglich war es auch Hinweis darauf, dass Iuno ihnen nicht den Nachkommen wollte verwehren, die Weigerung an anderer Stelle ihnbetreffend lag. Mehr und mehr reifte in Gracchus der Entschluss, einen anderen Weg zu gehen, um die Ursache der Misere zu ergründen.

    Gleich eines schweren Sommergewitters braute sich der Sturm in Gracchus zusammen, düstere, schwarzfarbene Wolken rangen mit dem seichten, hellen Blau des Himmels um die Vorherrschaft, zuckende, grelle Blitze und böige Winde suchten die Strahlen der Sonne zu überbieten und vertreiben, prasselnder Regen überschwemmte das Land, während sich die Hitze des Tages aus der Erde emporhob und schwer gegen das Unwetter drückte, die Luft sich förmlich voll sog mit stickiger Feuchtigkeit, sich auflud und schwer über der Welt lag, dass es eine Qual wurde nur einen Finger zu rühren. Qual, dies war es, was in Gracchus entstand im Augenblick, da er Caius so nah an sich spürte, sich wollte ergeben in den Augenblick, nicht mehr sehnte als loszulassen, seinen Geist, seinen Körper, sein Leben, Vergangenheit und Zukunft zugleich, und doch nicht konnte. Per Iovem lapidem, bei Iuppiters Stein hatte er geschworen, dem Stein, der so vielen zum lapidaren Versprechen gereichte um ihre Standhaftigkeit zu bekunden, von hundert Schwüren mochte dieser Tage nur ein einziger nicht gebrochen werden, doch wenn es nur einer von Tausenden war, dieser eine musste der seine sein - nicht, weil die Larven ihn ohnehin schon jagten, nicht, weil der Fluch ihm im Nacken saß, nicht, weil er bereits das missbilligende Gesicht seines Vaters vor sich sehen konnte, nicht, weil im anderen Falle die Welt auf ihn herabblicken mochte, nicht einmal, weil Caius ebenso geschworen und mit ihm ins Verderben würde fallen - einzig und allein, weil Gracchus der war, der er war, weil alles, was am Ende blieb, alles, was am Ende noch vorzuweisen war, alles, was zurück blieb einzig und allein ein winziger Funken seines Selbst war, ein kleines, schwelendes Feuer der Achtung, sonst tief verborgen unter der Glut des Zweifels, des Verzweifelns, des Zerwürfnisses mit sich selbst, doch nun, da all dies von Verlangen und Sehnen verzehrt war, nun blieb einzig noch dies.
    "Nein,"
    flüsterte er, wenig überzeugt. Denn noch drängte in ihm alles zu Caius, seine Finger suchten die Haut des Freundes ab als könnten sie dort auf dem Körper finden, nach was es ihm verlangte, seine Nasenflügel bebten unter dem berauschenden Odeur, seine Lippen gruben sich wieder und wieder in die Kuhle zwischen Aquilius' Hals und Schulter, sein Körper spottete seiner Selbst.
    "Bei Iuppiters Stein ..."
    Qual nun war es, welche sich langsam ergoss, Gracchus' Finger krümmten sich unter ihr, sein Griff um den Körper, in die Haut des Geliebten wurde fest, sein Kopf presste sich an Caius' Hals und Schultern als könne er seinen Geist aus sich verdrängen, strafte seine Worte mit dem Hauch der Lüge. Lüge. Nur dieses eine Mal. Eine Lüge. Dieses eine Mal eine Lüge. Immer. Immer lieben. Immer begehren. Immer lügen. Nur diese eine Mal lieben. Nur dieses eine Mal begehren. Nur dieses eine Mal lügen. Unter dem Kampf seiner Sinne bäumte sich Gracchus auf, stemmte sich gegen seine Ratio, gegen seine Emotio, gegen sich selbst, verlor nur, siegte gleichsam, verzweifelte, triumphierte, vergaß und erinnerte sich, brach und stand auf.
    "Bei Iuppiters Stein, Caius, bei Iuppiters Stein! Hör auf damit, hör auf! Bei Iuppiters Stein!"
    Es war gleich einem Mantra, das immer wieder vor seine Augen treten musste, wieder und wieder gesprochen ihn zu Sinnen bringen würde, ihn zur Verzweiflung treiben. Er fasste fest in Aquilius' Haut, packte ihn an den Schultern, schüttelte ihn von sich.
    "Bei Iuppiters Stein!"
    Er hatte geschworen. Nichts gab es, das höher lag als dieser Schwur, nichts gab es, was ihn durfte brechen, kein profanes Verlangen, selbst sinnliche Liebe konnte nicht gegen den sakralen Schwur bestehen. Mit aller Kraft stieß Gracchus seinen geliebten Vetter von sich, stieß ihn zurück ins Wasser, drehte sich fort, taumelte am Beckenrand entlang, kämpfte sich durch das Wasser, wollte dem Ort entkommen, die Flucht antreten, wie so oft, scheiterte doch an der Treppe hinaus aus dem Nass, wo er schlussendlich zusammen sank, noch immer bebend, zitternd, schwer atmend, sich auf der Treppe hin zusammen krümmte, das Gesicht zwischen den Händen verbarg, nass ohnehin, ohne zu wissen ob nur von außen oder auch von innen.
    "Bei Iuppiters Stein ..."
    Er wippte den Körper leicht vor und zurück, suchte sich selbst zu finden, suchte einen Ort der Ruhe und Stille, einen Ort der Erinnerung, suchte den letzten Rest seiner Selbst, doch er fand nicht einmal mehr ein Schimmern, fand sich nur von Sinnen, verloren im Kampf mit sich selbst.

    Beinahe mechanisch widerlegte Gracchus ihren leisen Einwurf mit Worten, die so lange in seinen Geist waren eingetrichtert worden, dass er längst an sie glaubte, dass er aus tiefstem Herzen daran glauben mochte, denn alles andere würde ihn nur noch tiefer in Verzweiflung stürzen.
    "Eine Ehe geht man nicht aus Liebe ein, eine Eheschließung folgt politischen und gesellschaftlichen Gesichtspunkten. Wir alle haben uns unseren Verpflichtungen zu stellen. Liebe wirst du anderswo finden, Minervina, nicht in deiner Ehe."
    Er hoffte, sie würde jene Art von Liebe nicht innerhalb der Familie suchen, denn auch dies führte nur zu Bitterkeit, wie er selbst nur all zu genau wusste. Eine andere Art von Liebe vielleicht, eine solche, wie sie selbst für ihre Familie zu hegen schien, jene unumstößliche familiäre Liebe, welche jener so ähnlich sein musste, wie auch ihre Mutter sie gehegt hatte, ohne dass Gracchus sich dessen bewusst gewesen war. Doch noch konnte sie dies auch von ihm nicht erhoffen, denn dieses bedingungslose Gefühl, welchem gleichsam eine Art öffentlicher Existenz gestattet war, war ein äußerst kostbares Gut, einem Samen gleich, aus welchem eine schillernde Blume erwachsen konnte, ebenso wie ein winziges Schattengewächs, doch gleichsam was würde daraus entstehen, in Gracchus wuchsen die Pflanzen nur äußerst langsam. Er zwang sich dazu, sich nicht von ihr abzuwenden, als sie die Träne von ihrer Wange strich. Sein Verhältnis zu seiner Schwester war ein äußerst merkwürdiges, er konnte ihrer unumstößlichen schwesterlichen Liebe nichts entgegen setzen, sie weder annehmen, noch von sich weisen, doch ihre Tränen ließen in ihm ein Gefühl des Schames aufkommen wie auch jenes Gefühl des Zweifels, welches ihn im Angesicht seiner Gattin immer wieder überkam, die zwar nicht mit Tränen auf ihn reagierte, doch ebenfalls auf keine sonderlich erfreuliche Weise, und welches dazu führte, dass er sich wie ein Unmensch fühlte. Wenn nur er nicht derzeitig so derangiert und sich seiner Selbst wie seiner Umgebung so unsicher wäre. Seit dem Fluch verlor er die Kontrolle über seine Familie, selbst seine Arbeit, seine Pflicht begann darunter zu leiden, doch stand noch immer die Familie vor der Pflicht. Caius überforderte ihn, seine Gattin brachte ihn ohne ihr Wissen und Zutun zur Verzweiflung, an seinen Bruder mochte er gar nicht denken. Zudem musste irgendwer sich um Serenus kümmern, doch wer sollte dies tun, wenn nicht er? Aristides stand mit einem Fuß bereits in Parthien, auf seinen Bruder konnte er kaum bauen, zog es doch Felix schon sonstig kaum aus seinen Gemächern, Furianus jagte seinen Ämtern hinterher, Lucullus vergrub sich in Schriften und Tempeln, Aquilius ... womöglich, doch versuchte er gerade selbst sein Leben zu ordnen, seine Karriere voran zu bringen. Dazu Leontia, teuerste Base Leontia, nicht zu wissen, wo sie war, nicht zu wissen, wo er war, brachte Gracchus beinahe um den Verstand. Er musste sich um Leontia kümmern, er musste sich um Serenus kümmern, er musste das Problem Quintus aus der Welt schaffen, er musste sich um Minervina kümmern, und zudem stand noch immer die Reise mit seiner Gattin nach Mantua aus, er musste sich auch um Antonia kümmern. Aegyptus zog an Gracchus Ohren vorbei, in seinen Geist ein, streifte ihn doch nur leicht, ohne ihn recht zu tangieren, denn andernfalls hätte er seiner Schwester sicher erneut widersprochen, anderenfalls hätte ohnehin nur erneut eine Diskussion auf sie beide gewartet, über Grundsätze und Grundsätzliches, über Vergangenes und Zukünftiges. Crassus zog in seinen Geist ein, Crassus - als wäre er schon mit ihm verschwägert - um ihn musste er sich ebenfalls kümmern.
    "Weiß Caecilius, dass du seinetwegen in Hispania warst?"

    Vermutlich hatte Aristides Recht, was seinen Sohn anbelangte, doch immerhin waren sie wohl alle kaum in ihrer Kindheit und Jugend ohne Flausen gewesen. Selbst Caius und er hatten ihre Lehrer das ein oder andere mal bis zur Weißglut getrieben, doch letztlich war es ihnen allen vergangen. Vermutlich versuchte Serenus nur aus Trotz und Furcht bis zu seiner Großmutter nach Baiae zu gelangen, zumindest war dies der einzige Ort, welcher Gracchus einfiel, wohin seinen Neffen es ziehen könnte. Allenfalls konnte er noch versuchen, zu seinem Vetter nach Sardinia zu gelangen, doch er war sich dessen nicht sicher, wie innig die Beziehung zwischen Serenus und Milo, welcher eher den Stellenwert eines Onkels bei dem Jungen einnahm, war. Doch von jenen Gedanken wurde Gracchus, welcher sich ein wenig Brot genommen hatte und dies eben mit pikant gewürztem Streichkäse beschmierte, bald von seinem Vetter abgelenkt, welcher sich in seiner ferventen Art über den Caecilier echauffierte. Noch einmal fuhr Gracchus sorgsam mit dem Messer um das Brot herum, um jenen Käse, welcher über den Rand hinaus zu ragen gewagt hatte, von der Kruste zu kratzen und oben auf die vorhandene Schicht Käse zu platzieren, und ließ sich derweil die Worte seines Vetters durch den Geist ziehen. Nun erst dämmerte ihm das Ausmaß des Geschehens, Caecilius' Werben um Arrecina, Aristides' Abweisung, eine zufällige Bekanntschaft auf einem zweifelhaften Fest, Minervinas Reise, die Entführung, Caecilius' Bemühen um ihre Freilassung, ihr Aufenthalt im Lager der prätorianischen Garde und Aristides' Vermutungen wahren wahrhaft erschütternd. Langsam ließ Gracchus das Brot sinken, noch immer das Messer fest in der Hand, seine Kiefermuskeln spannten sich und obgleich er nicht die glühende Farbe der Empörung annahm, welche Aristides in solchen Situationen aufbrachte und welche er auch in diesem Moment nur schwerlich von seinem Antlitz verdrängen konnte, fühlte auch Gracchus in sich die Hitze des Ärgers aufsteigen.
    "Möge der Blitz des Iuppiter Fulgor ihn ..."
    Es geschah nicht oft, dass Gracchus sich weitere Rede mitten im Satz verbat, doch dies war solch ein Moment, denn zu groß war seine Echauffage, und jene Worte, welche ihm im Mund lagen und darauf drängten jenem zu echappieren, gereichten nicht seinem Anspruch laut ausgesprochen werden zu dürfen, fielen sie doch in den äußerst privaten Bereich der körperlichen Erleichterung. Er knallte das Messer mit der flachen Seite auf den Tisch und bog den Fluch ein wenig um.
    "... dann treffen, wenn er dies am wenigsten erwartet! Oh, Marcus, wenn dies wahr ist, und bei den Ohren der Veritas, dies hört sich mehr als nur schlüssig an ... und ich habe Minervina Vorhaltungen gemacht! Oh, Marcus, wie konnte ich nur!? Meiner eigenen Schwester, die gleichsam doppeltes Opfer dieses intriganten Spieles geworden ist, während ich darüber nachsann, wie dem Caecilier angemessen zu danken sei. Welch Tor war ich nur!"

    Für einen Moment zögerte Gracchus, ließ sich die Vorstellung durch den Kopf gehen, Antonia könne anders empfinden, als er glaubte, dass sie dies tat, fühlte sich augenblicklich schuldig, ihr Gefühle zu unterstellen, welche sie nicht hegte, gleichsam damit durch sein Tun ihr Leben noch mehr zerstörte, denn er dies ohnehin schon glaubte zu tun. Doch er schüttelte den Kopf.
    "Du irrst dich, Marcus. Es ist eine patrizische Ehe, wie du bereits sagtest, und sie versteht ihre Pflicht sehr gut. In dieser Hinsicht kann ich mich wohl wahrlich glücklich schätzen."
    Ohne Aristides' Nachschenken bewusst wahrgenommen zu haben, trank Gracchus einen Schluck aus seinem Becher und verzog kurz die Miene, da nun, mit purem Wein aufgefüllt, die Mischung stärker war, als dies für die Uhrzeit gut war, gleichsam störte dies ihn nur marginal, obwohl er sich dessen durchaus bewusst war. Die Erwähnung Aristides' Mutter erinnerte ihn an seinen eigene Vater, denn obgleich sein Vetter den Satz nicht zu Ende führte, so wusste Gracchus doch, wie er enden musste, so dass die Stärke des Weines nur den bitteren Geschmack aus seinem Munde vertreiben konnte. Schließlich, womöglich auch mit jenen Gedanken im Nacken, winkte er ab.
    "Du solltest nicht so über deinen Sohn urteilen, Marcus. Er ist noch so jung, er trägt die Unschuld der Kindheit in seinem Herzen, und ich kann wahrlich nicht glauben, dass er versuchen würde, mich zu täuschen, gerade nicht in den Belangen einen Paedagogus betreffend, ist er doch so wissbegierig und wissensdurstig."
    Ein Lächeln kräuselte Gracchus' Lippen in Erinnerungen an die Opferungen, denen sein Neffe beigewohnt hatte.
    "Es ist unglaublich, auf welche Fragen er kommt. Wir tätigten ein Opfer für die Gesundheit meines Bruders als jener mit einem Leiden darnieder lag, und Serenus nahm nichts als Tatsache hin, hinterfragte jeden Handgriff und jedes Tun, war erst dann zufrieden, als ich ihm alles genauestens erklärte und er jede Handlung in ihrem Ursprung und Wirken hinterfragt hatte. Tatsächlich glaube ich, bist du um diesen Sohn zu beneiden, Marcus, nun, sieht man einmal von der gestrigen Verfehlung ab."
    Auf Hilfe oder nicht Hilfe wollte Gracchus nicht weiter eingehen. Er wusste bereits, was er eines Tages von seinem Vetter würde fordern, doch dies war weder der rechte Augenblick, noch Ort für jene Forderung, viel eher würde sie Aristides selbst zur Freude gereichen, würde er in ferner Zeit aus dem Krieg zurückgekehrt sein oder in den Fängen seiner Gattin stecken. Gleichsam bedauerte Gracchus ein wenig, dass er ob dessen selbst so lange musste warten, doch war er dafür gern bereit, sich in Geduld zu üben.
    "Ich habe bereits heute Morgen gefrühstückt, kurz nach Aufgang der Sonne. Doch gegen eine kleine Zwischenmahlzeit habe ich nichts einzuwenden."
    Während seiner Quaestur hatte sich Gracchus angewöhnt, den Tag in seiner gesamten Länge vollstens auszunutzen, und jene Gewohnheit auch hernach nicht mehr abgelegt, boten sich doch so um so mehr Stunden. Aristides' Mangel an Ehrgeiz quittierte er mit einem zustimmenden Murmeln, jener war auch ihm nicht unbekannt, gleichsam glaubte er zu wissen, wo der seine abgeblieben war.
    "In der Tat fiel Minervina den Räubern in die Hände, sie entführten sie und verlangten ein Lösegeld. Frage mich nicht, in welcher Höhe, ich bin selbst noch nicht völlig über die gesamte Sachlage informiert. Der Praefectus Praetorio Caecilius löste sie aus und nahm sie hernach mit in das Lager, immerhin war er dort, um den Aufstand in Corduba nieder zu schlagen und nicht, um eine Dame, mag es auch eine Flavia sein, in Sicherheit zu geleiten. Er ließ sie später nach Tarraco bringen, wo sie sich in die Villa Flavia zurück zog. Ich wollte sie selbst abholen, doch fand ich wahrlich keine Gelegenheit, so dass ich schließlich nur eine Abordnung entsandte."
    Er seufzte tief, spielte untypischerweise mit dem Becher in seiner Hand herum und blickte schlussendlich zu Aristides auf.
    "Dies ist allerdings nicht das gesamte Ausmaß jener Misere. Bereits im Vorfeld versuchte ich Minervina davon abzubringen diese Reise zu unternehmen, drängte sie bis in den Frühling zu warten, doch schlussendlich blieb mir nichts, als sie ziehen zu lassen, schob sie doch ihren unstillbaren Wissensdurst vor, ihren Drang das Imperium zu bereisen bevor sie durch eine Verbindung daran gehindert sei, und letztlich habe ich ihr ohnehin nichts zu sagen, doch wollte ich gleichsam nicht, dass sie in Ärger die Hauptstadt verlässt. Doch es war nicht ihr Wissensdurst, sie reiste aus einer fixen Idee heraus Caecilius Crassus hinterher, welchen sie zuvor auf der Feier eines ausländischen Kultes kennengelernt hatte. Ich hatte ihr auch vom Besuch dieser Feier abgeraten."
    Betrübt blickte er in die rote Flüssigkeit, verfolgte die feinen Schwingungen auf der Oberfläche des Weines und wollte sich in keinster Weise, nicht einmal im Ansatz vorstellen, was dort auf jener Feier der Göttin der körperlichen Triebbefriedigung mochte geschehen sein.
    "Ich weiß es nicht, Marcus, mein Vater hat von mir verlangt, die Verantwortung für meine jüngeren Geschwister zu übernehmen, bis denn sie ihre eigenen Familien gegründet haben, gleichsam war ihm bewusst, dass sie nach ihm in niemandes Verantwortung würden stehen. Auf der einen Seite habe ich das Gefühl, sie verlangen von mir, nun, da sie in Rom sind, meinem Eid zu entsprechen, doch auf der anderen Seite folgen sie ohnehin nicht meinem Rat. Ich würde alles für diese meine Familie tun, denn immer kam die Familie noch vor der Pflicht gegenüber dem Imperium, doch ..."
    Das Ende des Satzes verlor sich in der unendlichen Tiefe des Weines, erst in seinem Anblick, hernach im bitteren Geschmack, als Gracchus einen Schluck durch seinen Mund kreisen und schließlich die Kehle hinabrinnen ließ. Die junge Sklavin kam bald herein und brachte ein Tablett voller Essen, eine durchaus willkommene Ablenkung, obgleich sich kaum einer der Anwesenden von solcherlei würde ablenken lassen, doch mochten die herbeigebrachten Speisen auch verhindern, dass der Wein Gracchus allzu bald allzu schwer auf den Magen würde schlagen.

    In einer harschen Bewegung stand Gracchus auf und wandte sich mit wenigen Schritten zum Fenster hin, die Kiefer wieder fest aufeinander gepresst, bis er einen leichten Schmerz auf der rechten Seite spürte. Ihre Worte trafen ihn hart, doch er war nicht bereit, ihr dies gegenüber einzugestehen. Das Verhältnis zu seiner Schwester war ein äußerst seltsames, nicht von jener wachsamen Vorsicht geprägt, mit welcher er seinem Bruder Lucullus begegnete, nicht von jener ehrfurchtsvollen Bewunderung, welche er seiner Schwester Agrippina entgegen brachte, die für ihn viel mehr die Virgo vestalis maxima denn seine Schwester war, und natürlich auch nicht von jenem zweifelnden Unmut, welcher in ihm seinem Zwilling gegenüber schwelte. Für jene Beziehung zu Minervina fehlten ihm die Begrifflichkeiten, gleichsam er sich für sie und ihr Wohl verantwortlich fühlte, so war er nicht bereit, ihr entgegen zu treten, nicht nach den Geschehnissen der letzten Wochen. Draußen im Garten lag die Welt friedvoll und in Harmonie da, die Bäume trugen ihre blassen Früchte und streckten sie der Sonne hin, auf dass sie sie zur Reife bringe, das Gras leuchtete satt und grünfarben dem blaufarbenen Himmel entgegen, welchen kaum eine Wolke trübte und Gracchus wünschte sich, man müsse Menschen nur hinaus in die Sonne stellen, auf dass die dort reiften. Schließlich nickte er, sprach mehr zu der Welt dort draußen, denn zu seiner Schwester.
    "Ganz recht, du bist eine Patrizierin. Doch du bist nicht irgendeine Patrizierin. Du bist eine Flavia, Tochter des Vespasianus und der Diva Nyreti. Du jagst einem Larven hernach, wenn du glaubst, einem Mann durch das Imperium folgen zu müssen, ganz gleich, welchem Mann, so es nicht der Imperator selbst ist. Es ist demütigend und beschämend und bei allen Göttern, wir sollten besser darauf achten, dass dies Geständnis diesen Raum nicht verlässt. Er zieht in den Krieg und du ziehst ihm hernach wie ..."
    Er beendete nicht den Satz, sondern drehte sich um, um sie anzublicken. Wie hatte er nur so töricht sein können?
    "Werde dir endlich deiner Pflicht bewusst, Minervina. Du magst der Pflicht eines Weges wie deine Schwester diesen einschlagen musste entgangen sein, doch dies befreit dich nicht gleichsam von dem, was du bist. Versuche nicht etwas anderes zu erzwingen, als das Schicksal dir zugedacht hat, versuche nicht besseres zu sein, als deine Familie es dir gewährt. Animus wollte dies, besser, schlauer und erhabener sein als wir alle, doch sieh nur, was es ihm gebracht hat: Schande, Vergessenheit und den Tod. Wenn dir nur ein Funken an dieser Familie liegt, dann höre auf mit diesem Intrigenspiel. Wenn dir an meiner Meinung gelegen ist, dann akzeptiere sie so wie sie ist und höre auf damit, sie mir vorzuwerfen, denn es bindet dich ohne nichts an mein Wort. Im anderen Fall, bitte mich weder um meine Meinung, noch um meine Hilfe."

    Ganz allgemein ist zu sagen, dass an all jenen Tagen Hochzeiten verboten waren, welche mit den Toten oder der Unterwelt in Verbindung standen, da dies als schlechtes Omen galt und oftmals angenommen wurde, dass an diesen Tagen die Tore zur Unterwelt weit offen stehen. An jenen Tagen waren meist auch alle öffentlichen Handlungen verboten, manches mal waren gar die Tempel geschlossen. Der März fällt aus diesem Grunde aus, doch gilt er als der Monat des Kriegsgottes Mars, vermutlich sah man es als nicht besonders verbindungsfördernd an, wurde eine Ehe im Namen des Kampfes geschlossen. Ebenfalls nicht geheiratet wurde an öffentlichen Festtagen, wobei mir keine Information vorliegt, ob dies nur die dies nefasti, nefasti publici oder auch andere betrifft (was allerdings ein wenig zu viele Tage würden werden).
    Die Kalenden, Nonen und Iden jeden Monats sind ohnehin spezielle Tage, nicht nur, da an ihnen der gesamte Monat ausgerichtet wird, dies bezeugen ebenso die monatlich wiederkehrenden Opfer der höchsten religiösen Würdenträger - Monatsopfer durch den Rex Sacrorum zu den Kalenden, Opfer eines Schafes(!) des Flamen Dialis an den Iden und Opfer eines Widders(!) durch die Flaminica Dialis an den Nonen.


    13. - 21. Februar:
    An diesen Tagen wurden die Parentalia gefeiert, ein Fest zu Ehren der Totengeister (di manes). Die Feierlichkeiten fanden in privatem Rahmen statt, den Vorfahren wurden Opferungen gebracht, unter anderem wurde teilweise sogar das familiäre Mahl auf/an die Gräbern außerhalb der Stadt verlegt, um so die gesamte, lebendige wie tote, Familie beisammen zu haben. Tempel waren geschlossen, offizielle Amtshandlungen verboten und die Würdenträger legten ihre Standeszeichen ab. Nur der letzte Tag (Feralia) wurde öffentlich zelebriert.


    März:
    der Monat des Krieges.


    Mai:
    Vermutlich war hier nicht der gesamte Monat verboten, doch in jedem Falle die Tage vom 9. bis 13. März, fanden hier doch die Lemuria statt. Dies war ein Totenfest, an welchem die bösartigen Totengeister besänftigt wurden, auf dass sie das römische Volk das restliche Jahr über in Frieden lassen mochten.


    Erste Iuni-Hälfte:
    Der Iuni begann sogleich mit den Carnaria, ein Festtag zu Ehren der Carna, einer Göttin, welche die bösartigen striges, eine Art untoter Vogel mit Menschenkopf (Vampire der Antike) von den Kindern fern hielt. Vermutlich wurde Carna auch selbst als Unterweltsgöttin betrachtet, da man ihr an diesem Tag Speck und Bohnenbrei opferte, wobei speziell Bohnen den Unterirdischen zugeschrieben werden.
    Der weitere Verlauf des Monats ist vermutlich deswegen tabu, da viele Tage der Vesta zugesprochen wurden, unter anderem die Vestalia vom 9. bis 15.


    24. August, 5. Oktober und 8. November:
    An diesen Tagen wurde der mundus patens geöffnet. Der mundus patens war eine unterirdische Ritualgrube, von welcher die Römer glaubten, sie führe direkt in die Unterwelt. In Rom war dies der mundus Cereris, der Ceres vermutlich deswegen zugeordnet, da sie die Mutter der unterirdischen Proserpina war. Dieser war üblicherweise verdeckt, nur drei Mal im Jahr, eben an jenen Tagen, wurde die Abdeckung entfernt, da diese Tage als schlechte Omen angesehen wurden. Es handelte sich in der Tagesqualifikation bei diesen Tagen nicht um dies nefasti, an welchen öffentliche Handlungen (Senatssitzungen, Gerichtsverhandlungen, etc.) generell verboten waren, dennoch waren diese an diesen Tagen nicht erlaubt. Denn die Abdeckung wurde als Sperre zur Unterwelt angesehen und wurde sie entfernt, so konnten die Manen frei auf den Straßen Roms herumstreifen.



    Nachzulesen ist dies unter Zuhilfenahme eines Kalenders in Dictionary of Roman Religion, Lesley & Roy. A. Adkins, Oxford University Press, 1996