Beiträge von Manius Flavius Gracchus

    Endlich waren alle Riemen gelöst, ohne, dass Gracchus überhaupt den Sinn Caius' Worte ob der Discipula in sich hatte aufgenommen, und er hob langsam die Füße aus den Stiefeln und setzte sie auf den Boden auf, unschlüssig wie hernach zu verfahren sei, nicht etwa aus dem Grunde, dass er sich noch nie selbst entkleidet hätte, sondern viel eher noch immer Aquilius' Anwesenheit wegen. Sein Vetter jedoch trug bereits dafür Sorge, dass er sich nicht allzu lange mit der Überlegung konnte Zeit lassen.
    "Nein,"
    antwortete er hastig, noch ehe er groß darüber nachdenken konnte, zu hastig womöglich, und stand auf. Für gewöhnlich war es ihm zuwider hinter sich eine Spur des Chaos zurück zu lassen, hierzu gehörte ebenso seine Kleidung im Raum zu verteilen und darauf zu warten, dass ein Sklave dies beseitigte, denn für gewöhnlich waren die Sklaven ihm nicht eilig genug, so dass er sich lieber geduldig aus der Toga auswickeln ließ und die Tunika immer sorgsam gefaltet auf einen Stuhl drapierte als hinterher sich die Unordnung ansehen zu müssen. Doch in diesem Falle musste er ein Opfer bringen, galt es doch in jedem Fall zu vermeiden, dass Caius würde das Becken verlassen, würde bar jeder Hülle vor ihm stehen, ihm mit dem Stoff zu helfen und ihn womöglich dabei mit der Wärme seines Körpers zu berühren.
    "Sie ist ohnehin schmutzig."
    Mit einer raschen Bewegung streift er den Stoff von seiner Schulter, welcher schwer fiel und sich in wogenden Falten um seine bloßen Füße legte, an einigen Stellen die Feuchtigkeit aufnahm, die dem Becken entwichen sich auf dem Boden gesammelt hatte, und dort sich dunkler färbte. Es war beinahe einem Sinnbild der Wirklichkeit gleich, wie lange und aufwändig der Stoff um den Menschen herum drapiert werden musste bis dass er ein ansehnliches Bild komplettierte, und wie schnell gleichsam diese Ansehnlichkeit in Sekunden zerstört war. Zerstörung war oftmals so einfach und ging so rasch vonstatten, diejenige lange mühsam aufgebauter Contenance, diejenige lange fest aufgebauten Willens, gleich derjeniger kunstvoll kreierter Gewandung. Einzig die dunkelgrünfarbene Tunika schützte Gracchus nun vor jenem Augenblick, welchen er am meisten fürchtete. Langsam umrundete er das Becken, sich des bohrenden Blick seines Vetters nur allzu bewusst, trat an die Stufen, die in das Becken hinein führten, und tippte vorsichtig mit der Fußspitze ins Wasser. Es war angenehm warm temperiert, so dass er schnell darin versinken würde können, doch gleichsam war er sich dessen nur allzu bewusst, dass sein Körper seine Schwäche würde verraten, sobald er seinen Leib aus der Tunika würde geschält haben. Die Bewegung seines Fußes hatte kleine Kreise auf der Wasseroberfläche zurück gelassen, welche als winzige Wellen durch das Becken rollten und an Aquilius' Brust brandeten und zerbrachen. Gracchus schluckte und drehte sich um, befürchtete, dass bereits nun unter seiner Tunika sich allzu deutlich würde abzeichnen, welche Gedanken in seinem Kopfe herumspukten. Wie den meisten Menschen seiner Zeit fehlte Gracchus das Schamgefühl aus natürlicher Nacktheit. Zu viele Männer gingen in den Thermen ein und aus, zu vielen trat man mit bloßer Haut gegenüber - in den Sportarealen, in den Becken, in den Dampfräumen - als dass man sich an solcherlei würde stören. Dennoch, vor Caius würde er nicht nur nackt stehen, er würde sich gleichsam nackt vorkommen. Nicht nur dies. Er war nicht mehr in Form, die Magistratur war nicht spurlos an ihm vorüber gegangen und obgleich er ob der bisweilen kargen Kost des maroden Zahnes wegen kaum Fett hatte angesetzt, so waren seine Muskeln doch schlaff ob des spärlichen Trainings, für das sich so selten die Zeit hatte finden lassen. Er trat zu einer der in die Wand eingelassenen Bänke, den Rücken zu Caius gewandt, griff das Gewand am Nacken, zog es sich über den Kopf und begann es ordentlich zusammen zu falten. Es war unvermeidlich an etwas Unverfängliches zu denken, um sich keine Blöße zu geben, etwas Gegensätzliches. Antonia. Die Nacht, welche er erst kürzlich neben ihr verbracht hatte, das Erwachen samt des Erkennens, welches einem Erschrecken gleich kam. Antonia mit ihrem eisigen Lächeln. Antonia, wie sie seinen Praenomen nannte, wie sie ihn ausspuckte wie ein giftiges Mahl. Antonia, wie sie ihn ansah, mit ihrem frostigen Blick, der nichts als Verachtung, Missbilligung und Anklage für ihn barg. Antonia, wie sie sich vor ihm zurück zog, sobald er den Raum betrat, als hätte er ein ansteckendes Gebrechen. Wie sie über sich ergehen ließ, was ihre Pflicht war, weil es ihre Pflicht war, das was er tat, weil es seine Pflicht war. Antonia, die ihm nur immer das Gefühl gab, ein Scheusal zu sein, ihr Leben zu zerstören durch seine bloße Anwesenheit. Und die Furcht, dass eben dies eine Tatsache war, dass er ihr Leben zerstörte durch seine bloße Existenz. Als Gracchus sich dessen gewahr wurde, dass seine Gedanken zu tief abglitten, legte er das gefaltete Gewand ab und drehte sich um, und tatsächlich verriet sein Körper nicht mehr allzu deutlich seine vorherigen Gedanken, wenn auch das körperliche Verlangen nicht gänzlich erloschen war. In einer Geschwindigkeit, die nicht unbedingt als hastig zu bezeichnen war, doch längst nicht so bedächtig, wie er für gewöhnlich das Becken betrat, setzte Gracchus einen Schritt vor den anderen, ging die Stufen hinab, konzentriert den Blick vor sich auf die Wasserfläche gerichtet um keinesfalls Aqulius' Augen zu streifen. Die wohltuende Wärme umfing seinen Körper, sanft wiegten ihn die Wassermassen und gaukelten die Leichtikeit der Existenz vor.
    "Mmmm ..."
    Genießerisch ließ er sich herabsinke, schloss er die Augen und vergaß für einen Moment völlig das Hier und Jetzt. Er atmete tief ein und konnte den Odeur der Verlockung riechen, Caius' Duft zog in seine Nase, Illusion womöglich nur, doch unumstößlich schob sich sein Vetter in seinen Geist. Noch immer mit geschlossenen Augen legte Gracchus den Kopf ein wenig schief, sog noch einmal die von Feuchtigkeit schwere Luft durch seine Nase und versank in den Landschaften anklingender Reminiszenz, dunkles Grün überzogen von einem Himmel aus sattem Blau, durchzogen von lilafarbenen Streifen, dort wo der Horizont die oberen Gefilde von den hiesigen trennte. War es dort gewesen, im saftigen Grün des Frühlings, begleitet vom eintönigen Zirpen der Grillen und einem Hauch nach Granatapfelblüten, als die Unschuld aus ihrer Freundschaft gewichen war? Dort, als Gracchus, die Konturen des Freundes mit seinen Blicken malend, darüber sinnierte, weshalb Caius nicht mit ihm teilen konnte, was Sciurus tat? Als er entschied, dass er alles würde mit Caius teilen, seine Freundschaft, sein Leben, sich selbst? Dass er gleichsam nicht wollte teilen, sondern zusammen fügen? War es der verzweifelte Wunsch gewesen zu komplettieren, was getrennt war? Sein unvollständiges Leben zu komplettieren? Wie er versucht hatte mit seinem Ebenbild zu teilen, zu nivellieren? Wie eine seichte Briese zogen Fetzen anderer Erinnerung in das perfekte Bild, verdrängten es, verbargen es hinter einem feinen Nebelschleier, zerstörten es und zwangen Gracchus schließlich die Augen zu öffnen.
    "Caius,"
    Furcht lag in seinem Blick, die Furcht, einen kostbaren Augenblick verpasst zu haben.
    "Bitte sei ehrlich zu mir. Ist ... ist in der letzten Zeit etwas vorgefallen, bei dem es schien, als wäre ich nicht ... als wäre ich nicht ich selbst gewesen?"

    Die Spannung, welche im Raum, welche zwischen ihnen herrschte, war beinahe greifbar, wie ein Band aus flüssigem Harz, weich und biegsam, doch ebenso fest klebend und beständig. In jenem unbedachten Moment, in welchem er die Sklaven fort geschickt und die Tür geschlossen hatte, hatte er sich in diesem Spinnennetz verfangen, nun versuchen sich hinauszuwinden würde ihn nur unweigerlich tiefer darin verheddern. Er mied die Augen seines Vetters, blickte in das Wasserbecken, das verlockend, unschuldig sich in feinen Wellen kräuselnde Wasser - unverfängliches Becken gänzlich natürlicher Reinigungstat. Eine Berührung nur, ein nasser Zeh, und es würde ihn verschlingen, dessen war er sich sicher.
    "Ich denke nicht, dass ich ..."
    begann er, stockte jedoch. Dass ich ein Bad mit dir aushalten kann, waren seine Gedanken. Doch es war albern. Wie oft hatten sie gemeinsam in einem Becken voller Wasser gesessen, in der heimischen Villa, in den öffentlichen Thermen, als Jungen, als Heranreifende und auch als Männer? Konnte die Distanz zwischen ihnen geschaffen haben, was die Nähe niemals vermocht hatte zu tun? Es wäre kindisch das Bad zu verlassen ohne getan zu haben, weshalb her gekommen war, ein Bad zu nehmen, nicht mehr und nicht weniger, mit und ohne Caius. Gleichsam wäre es ebenso närrisch die Möglichkeit verstreichen zu lassen mit Caius jenes Gespräch zu führen, welches er sonstig mit niemandem in dieser Villa würde führen können, welches ihm auf dem Herzen brannte, es verbrannte, Asche zurückließ, Tag um Tag seit Tagen. Sie würden das Bad teilen, nichts verfängliches war daran, nichts verwerfliches, tagtäglich geschah solcherlei überall auf der Welt. Doch Gracchus wusste, er würde in diesem Becken untergehen oder ertrinken, letztlich vielleicht beides. Es war unvermeidlich. Dennoch strich er seine letzten Worte mit einer oberflächlich belanglosen Geste hinfort, ging langsam zu einem Stuhl ohne Aquilius aus den Augen zu lassen, trug eine Gelassenheit zur Schau, mit welcher er Caius noch niemals hatte betrogen, und nahm Platz.
    "Geh nicht wegen mir. Diese Villa ist ohnehin viel zu leer."
    Nicht nur leer an Einwohnern, auch leer an sinnhaften Worten, leer an wahrhaftigem Gefühl und leer an Leben. Vornüber gebeugt begann er voll Sorgfalt die Riemen seiner Stiefel zu lösen, langsam und bedächtig, womöglich in der Hoffnung die verstreichende Zeit würde ihm jene Beherrschung schenken, welche er in sich zu schwinden befürchtete, und die Gelenke ein wenig starr, um das verräterische Zittern seiner Finger zu unterdrücken.
    "Ich hörte, du bildest eine Discipula aus. Macht sie gute Fortschritte?"
    Belanglosigkeiten waren immer schon ein probates Mittel gewesen, die eigenen Schwächen, die eigene Unsicherheit zu überspielen. Umständlich nestelte Gracchus weiter an den Riemen, hielt seinen Blick auf die eigenen Füße gesenkt.

    Ohne, dass er sich dessen gewahr wurde, wanderte Gracchus' rechte Augenbraue in die Höhe ob des Erstaunens über Serenus' Worte. Der Junge hatte doch einige Onkel in der flavischen Villa, doch dass er selbst von jenen ihm der liebste war, verwunderte Gracchus überaus, hatte er sich bisherig doch kaum weder für einen guten, nicht einmal für einen passablen Onkel gehalten, nicht zuletzt deswegen, dass er sich überhaupt nur ungern als Onkel sah, verband er mit jener Bezeichnung doch selbst einen eher alten Verwandten, der bereits weit über die Mitte seines Lebens hinaus gekommen war. Ob er womöglich diesem Bild aus den Augen des Serenus entsprach? Ein überaus erschreckender Gedanke. Zudem war er sich nicht gänzlich sicher, ob Serenus' Lieblingsonkel zu sein ihn eher erfreuen oder zu denken geben sollte. Letztlich entschied er, dass dies durchaus positiv zu werten war.
    "So will ich dich kaum länger von deinen Pflichten abhalten, Serenus."
    Schon längere Zeit vermutete Gracchus, dass Aristides' Leibsklave durchaus mehr in sich verbarg, als er auf den ersten Blick offenbarte, und durchaus mit dem Kind umzugehen wusste, immerhin stand er bereits lange genug im Dienst der Flavia und musste das Kind schon seit frühester Zeit kennen. Mit einem beinahe ein wenig amüsierten Lächeln betrachtete Gracchus den Abzug seines Neffen samt Gefolgschaft und wandte sich dann seiner Arbeit wieder zu. Bezeiten würde er mit Aristides über die Pläne dessen Sohnes ein Wort wechseln müssen.



    ~ finis ~

    Es blieb nicht viel mehr als Serenus mit dem Blick zu folgen, so eilig war er entschwunden. Aristides war wahrlich zu beneiden um den Jungen, der sich bereits in diesem zarten Alter so pflichtbewusst um seine Familie sorgte. Gracchus streifte die blutbefleckte Toga von seinen Schultern und ließ den Stoff achtlos zu Boden fallen. Sodann verließ auch er den Ort des Geschehens, um sich den übrigen Pflichten zu widmen.


    ~ finis ~

    Die Aufführung war mehr als hölzern, auch nach dem ersten Lied. In der nachfolgenden Pause, welche bereits mehr als gebührend lange dauerte, erhob sich Gracchus indigniert und hielt seinen beiden Damen je eine Hand auffordernd hin.
    "Das genügt. Antonia, Leotia, wir gehen. Ich bin kaum gekommen, um mir solch eine Frechheit bieten zu lassen. Es ist eine Schande, dass unser Neffe seinen Namen für solcherlei hergibt, wahrlich eine deplorable Angelegenheit, um nicht zu sagen ungeheuerlich."

    Der Tag war lange und anstrengend gewesen, nicht gar so defatigierend wie jene im vergangenen Amt des Cursus Honorum, doch nicht weniger angefüllt mit Aufgaben und Pflichten. Der Tempel der capitolinischen Trias war gut besucht dieser Tage, das Wohl des Imperium Romanum mit der Aussicht auf den bevorstehenden Krieg ein Anliegen vieler Menschen, so dass immer irgend etwas zu tun war und sich dazwischen kaum Ruhe fand, Ruhe, nach welcher Gracchus es förmlich dürstete. Noch immer quälte ihn des Nachts sein Zahn, wenn auch nicht mehr gar so heftig wie vor einigen Wochen, zudem quälten ihn seine Erinnerungen und Gedanken, die Geschehnisse der unlängst vergangenen Zeit, nicht zuletzt die Abwesenheit Sciurus', welche langsam unerträglich wurde. Vieles war geschehen, zu vieles für seinen Geschmack, doch wann hätte sich der Lauf der Zeit je nach seinem Geschmack gerichtet? An diesem Abend trieb es ihn darum in das Bad, womöglich würde sich hier die gesuchte Entspannung finden, umhüllt vom warmen, angenehm weichen Wasser und dem leichten Duft nach Blütenöl. In Gedanken versunken öffnete Gracchus die Türe zum balneum, wo bereits die Wärme des Wassers ihm entgegen schlug. Doch das Bad war nicht leer, wie er hatte angenommen, es war dies nicht im Geringsten. Gracchus' Mund öffnete sich in leichtem Erstaunen, derangiert drehte er sich zu der Tür, durch welche er soeben getreten war als wolle er sich versichern, dass er den Riegel nicht versehentlich durchbrochen hatte. In just diesem Augenblick trat jener Sklave durch sie hindurch, welchen er geschickt hatte, das Bad zu bereiten, mit verkniffenem Gesicht und ängstlich geweiteten Augen. "Herr, ich habe dich überall gesucht, Herr. Das Bad ist schon ... wie du siehst ... Herr," stammelte er vergeblich bemüht um Contenance, wusste er doch nur allzu genau, was unfähigen Sklaven in der Villa Flavia allgemeinhin blühte. Doch Gracchus winkte nur ab.
    "Geh."
    Er überblickte eilends den Raum, dabei äußerst bemüht nicht das Wasserbecken mit seinem Blick zu streifen, wusste er doch nur allzu genau, dass er sich nicht mehr würde davon lösen können, und machte zwei Sklavinnen aus, welche bereit standen, ihrem Herren zu Diensten zu sein.
    "Ihr auch, hinaus."
    Die Strenge seines Tonfalles ließ keinen Zweifel an seinen Worten zu und die Sklaven eilten sich, den Raum zu verlassen. Wie in den öffentlichen Thermen auch war es in den privaten Bädern nicht unüblich, das Wasser zu teilen, und mussten die Sklaven den Raum verlassen, so ließ dies einzig auf Gespräche schließen, die für keinerlei Ohren bestimmt waren. In diesem Falle mochte dies ein wenig anders sein, doch konnte keiner der Sklaven dies ahnen. Nachdem sie das balneum verlassen hatten, schloss Gracchus die Türe, schob den hölzernen Riegel davor und lehnte sich gegen das Holz. Erst nun gestattete er sich, den Badenden genauer in Augenschein zu nehmen. Seit ihrem letzten Gespräch war viel Zeit vergangen, ob all der Geschehnisse hatte Gracchus kaum Gelegenheit gefunden Aquilius zu sehen, womöglich hatte er gleichsam versucht, ihn nicht zu sehen. Sein Vetter war in den Dienst des Cultus Deorum zurück gekehrt, soweit war er informiert, doch war Aquilius' korrekte Pflichterfüllung beinahe das letzte, was ihn an diesem Menschen interessierte, war Caius doch der einzige Mensch, welchem Gracchus bereit war alles zuzugestehen, gleich, was es war - bis hin zur Pflichtvergessenheit, welche er bei jedem anderen Familienmitglied aufs schärfste würde verurteilen. Noch immer war die leichte Bräune nicht von Aquilius' Haut gewichen, sein Haar gleichsam noch immer ein wenig ausgebleicht, doch war es längst geschnitten und sein Kinn wieder täglich sorgsam rasiert. Seine starken Schultern, die muskulöse Brust und Arme ragten aus dem Wasser, unerschütterlichen Felsen gleich, und die Ahnung, was weiter abwärts dem folgte, ließ Gracchus hart schlucken.
    "Salve, Caius."
    Noch einmal schluckte er, versuchte die Trockenheit wie Tonlosigkeit gleichermaßen aus seiner Stimme zu vertreiben. Ein feines Lächeln begann seine Lippen zu kräuseln, eine Regung, die nicht bewusst, darum um so ehrlicher und der nichts entgegen zu setzen war.
    "Wenn du dich so gut fühlst, wie du aussiehst, so kann augenblicklich jegliche Sorge um dich von mir abfallen. Wie geht es deinem Kopf und all den Erinnerungen, die darin stecken?"
    Noch immer machte Gracchus keinerlei Anstalten von der Türe zu weichen, wie festgewachsen stand er.

    Weit im Osten Roms schickte sich die Sonne gerade an, sich aus den Klauen der Nacht zu befreien und sich über die Welt zu erheben, als Gracchus dies ebenso tat - nicht, sich über die Welt erheben, doch aus den Klauen der Nacht befreien. Ob des warmen Körpers an seiner Seite stieg morgendliches Verlangen in ihm auf, er drehte sich mit genussvoll verzogenem Gesicht zur Seite und öffnete langsam die Augen. Erschrocken wich er zurück. Der warme Körper neben ihm gehörte weder Sciurus, noch sonst einem Sklaven des Hauses, wie überhaupt gar keinem Sklaven, sondern Antonia, seiner Gattin. Mit einem Mal war Gracchus hellwach und jegliches Verlangen aus ihm gewichen. Er richtete sich auf und blickte sich im Raum um. Dies war auch nicht sein Cubiculum, sondern jenes seiner Gemahlin. Die Erkenntnis der letzten Nacht dämmerte in seinen Geist, wie sich die seichten Strahlen des heranbrechenden Tages durch das Fenster in den Raum drängten und die Dunkelheit vertrieben. Hastig schob sich Gracchus aus dem Bett, um Klandestinität bemüht, um Antonia nicht aufzuwecken, und suchte seine Tunika, die noch immer dort lag, wo er sie am Abend zuvor hatte achtlos hin geworfen. Wie hatte er sich nur solcherart gehen lassen können? Die gesamte Nacht hindurch hatte er bar jeder Hülle neben Antonia verbracht, die Aussicht war wahrlich erschreckend, nicht ob der fehlenden Hülle, sondern Antonias wegen. Er streifte sich das Gewand über und schlich leise aus dem Zimmer hinaus, bemüht, den hartnäckigen Gedanken zu ignorieren, dass er neben seiner Gemahlin so gut und so tief geschlafen hatte, wie seit langem nicht mehr in diesem Hause, denn dies war ein Gedanke, welcher dazu gereichte ihn zutiefst zu derangieren, ebenso wie die Frage, weshalb ihn Antonia nicht hatte fort geschickt.

    Das leise Schlagen der schweren Türe in den hölzernen Rahmen hallte wie ein Bersten in Gracchus' Kopf wider, es schien ihm, als müsse die Villa um ihn herum in sich zusammen fallen, als müsse die Welt in ihre Bestandteile zerfallen, als würde sie verschlungen in einem Spalt, welchen die Unterirdischen für sie auftaten. Doch nicht die Welt, nicht die Villa zerbarst, nichts um Gracchus herum, einzig in ihm, das Gebäude aus Gedanken und Erinnerungen, der Palast aus tausenden Zimmern, die endlosen Gänge, verborgenen Räume und Archive seines Selbst. Langsam trat er um den Schreibtisch herum, ließ sich schwer in den Stuhl dahinter sinken, stützte die Ellenbogen auf die Knie und ließ seinen Kopf auf die Hände herab. Vor seinem inneren Auge konnte er sie sehen, die Trümmer des Flügels, in welchem alles bewahrt und konserviert war, was Caius betraf, jeder Augenblick mit ihm, jeder Odeur, jeder Anblick, jedes Empfinden und jeder Gedanke. Er hob ein hölzernes Schwert aus dem Schutt heraus, ein Indiz der Leichtigkeit früherer Tage, strich mit den Fingern vorsichtig durch den Staub und malte ein Muster. Einige Schritte weiter fand er eine der Rollen beschrieben mit Literatur aus dem alten Achaia. Wie konnte verwerflich sein, was dort beschrieben stand, wie konnte die ihrige Welt so fern jener sein? Gracchus hob einen Kelch auf, aus welchem rotfarbene Flüssigkeit rann. Wann war aus ihnen geworden, was aus ihnen geworden war? Hätte gar anderes aus ihnen können werden, oder war nicht ohnehin fest bestimmt, wo ihr Weg begann und wo er endete? Gracchus wusste es nicht. Er wusste es nie. So begann er den Staub beiseite zu wischen, all die Erinnerungen aufzuräumen, die Gedanken zu sortieren und Stein um Stein zurück an seinen Platz zu stellen, das Gebäude neu zu errichten, stärker als zuvor, stabiler, und doch unendlich filigran, wie das zarte Geflecht, welches ihn mit seinem Vetter verband, verkettete. Wie oft dies auch notwendig war, würde werden, wieder und wieder würde er dies verrichten, nichts könnte ihn je davon abhalten, die Schätze, welche Caius ihm geschenkt hatte, in seinem Innersten zu bewahren, war ihnen doch mehr nicht vergönnt.

    Stille hatte sich über der Villa Flavia ausgebreitet, kaum ein Laut drang durch die leeren Gänge des Hauses, die Sklavenschaft schien bemüht über den Boden zu schweben und wisperte ihre Worte nur noch im Flüstern. Die Carnaria waren das letzte Totenfest einer Reihe, die sich durch den Frühling zog, doch dies machte sie nicht minder bedrohlich für alle Arten abergläubischer Hausbewohner, zu welcher die Sklavenschaft - zumindest die römische - in jedem Falle zu zählen war, daneben durchaus sicherlich auch der ein oder andere gebildetere Bewohner der Villa, zweifellos zumindest jener, welcher sich anschickte, das die Göttin Carna milde stimmende Opfer einzuleiten. Carna war nicht nur die Göttin, welche über Herzen und Organe wachte und diese gleichsam ebenso leicht zerquetschen wie bei Funktion halten konnte - eine Göttin daher, welche der Mensch nie zu gut stimmen konnte - sondern gleichsam diejenige, welche Kinder in der Nacht vor den striges bewahrte, jenen grauenerregenden Kreaturen, halb Mensch, halb Vogel, welche den unschuldigen kleinen Römern mit ihren spitzen Zähnen das Blut aussaugten und ihnen die Eingeweide heraus rissen. Obgleich das einzige Kind des Haushaltes - Flavius Serenus - als verschollen galt, so war es doch umsichtig, der Carna Opfer darzubringen, gleichsam Gracchus natürlich nicht an solcherlei Schauermärchen wie die striges glaubte, obgleich er sich eingestehen musste, dass sie ihm manche Nacht im Kindesalter geraubt hatten und auch in heutiger Zeit in ihm ab und an der klandestine Zweifel an ihrer Nichtexistenz wuchs, allen voran in den seltenen Nächten, in welchen heftige Gewitterstürme über die Hauptstadt hinweg zogen und die Existenz grauenvoller Gestalten nicht mehr gar so abwegig schien wie am hellichten Tag. Doch am heutigen Tage ging es ihm natürlich hauptsächlich ohnehin vorwiegend um das Wohlwollen der Carna in ihrer Funktion als Göttin der Organe und Herzen. Er trat vor das lararium im Atrium hin, zog sich eine Falte seiner gebleichten, weißfarbenen Toga über den Kopf und streute einige der granulösen Räucherkörner über die bereits rotfarben glühende Kohle der Räucherschale. Sogleich zog der vertraute Odeur, eine herbe Note mit leicht süßlichem Nachklang, in sich kräuselnden weiß-graufarbenen Bahnen hinauf in die Luft, schlängelte sich unter die Decke hin und zerfaserte schlussendlich in der Weite des Raumes. Als der Rauch sich langsam verzog, nahm Gracchus die beiden Schalen mit Speck und Bohnenbrei von einem Sklaven entgegen, erhob seine ernste, feierliche Stimme und brachte das Opfer dar.
    "Dea Carna, Dich bitte ich flehentlich, dass Du wohlwollend und geneigt seiest mir, meinem Hause und unserer Hausgemeinschaft, wessenthalben ich Dir Speck und Bohnen darbringe, auf dass du die Geistervögel aus unseren Räumen vertreibest, ihre blutdürstigen Rachen von unseren Kindern fernhaltest; und dass du Unheil und Zerbrechen von unseren Organen fernhaltest, abwehrst und abwendest, sie in ihrer guten Verfassung bewahrst und uns gutes Heil gibst und Gesundheit mir, meinem Hause und unserer Hausgemeinschaft. Dieser Dinge halber, der sicheren Nächte in unserem Hause, der guten Gesundheit unserer Herzen und Organe halber, wie ich gesagt habe, sei geehrt durch dieses Opfer aus Speck und Bohnen. Dea Carna, der gleichen Dinge halber sei geehrt durch diesen Speck und Bohnen!"
    Ein Lufthauch wehte durch das Atrium, ließ die Flammen hinter den imagines maiorum und der Kerzen auf dem Hausaltar flackern, und trug den Dunst der Räucherung mit sich fort. Gracchus wandte sich nach rechts herum um, trat von der Nische mit dem lararium fort und schlug im Weggehen die Toga zurück. Die Besänftigung der Unterirdischen ließ immer wieder einen kalten Schauer über seinen Rücken ziehen, doch zumindest würde diese Nacht sicherlich ohne Anwesenheit der striges vergehen.

    Als hätte er dies erwartet, was er gewissermaßen durchaus getan hatte, nickte Gracchus.
    "Immer noch also. Nun gut."
    Mehr gab es dazu nicht zu sagen, weshalb er dies auch nicht tat. Mit indefiniblem Gesichtsausdruck blickter er seinen Bruder an.
    "Kann ich sonstig noch etwas für dich tun?"

    Trauben interessierten Gracchus augenscheinlich wenig, diese Früchte waren zu süß für seinen Geschmack, zudem bevorzugte er Früchte, deren Kerne sich ausspucken ließen, statt dass man sie musste herunterschlucken, sei es im ganzen oder zuvor mit den Zähnen zermahlen. Zum Abschluss der Hauptmahlzeit griff er darum nur einige schwarze Oliven, kam jedoch nicht umhin, erneut eine gewisse klandestine Diskordanz in sich ob seines Vetters zu bemerken, der augenscheinlich lieber in fremden Gärten erntete, denn in seinem eigenen. Manches mal zweifelte er doch sehr daran, ob sich Furianus den Pflichten bewusst war, welche sein Name ihm auferlegte, manches mal wiederum zweifelte er an den Pflichten, die ihr Name ihnen auferlegte und an dem Weg, den er ob dessen ging. Letztlich blieben nur Zweifeln, wie so oft im Leben, und eine Olive, um jene hinunter zu schlucken.

    Zitat

    Original von Spurius Purgitius Macer
    "Zweifellos steht dieser Weg jedem ehrenhaften Menschen offen. Wer die Politik zu seinem Leben gemacht hat, für den erscheint dieser Schritt konsequent. Ob die Gesellschaft darüber zu richten hat, möchte ich nicht beurteilen. So wie es Männer gibt, die auf dem Feld eine Schlacht gewinnen und den Krieg trotzdem verlieren oder umgekehrt, so lässt sich die Tragweite einer politischen Niederlage vielleicht auch erst von unseren Kindern beurteilen."


    "Womöglich lässt sich solcherlei nicht einmal von unseren Kindern wertfrei gewichten, ist doch gerade die direkt nachfolgende Generation meist diejenige, welche der vorherigen gegenüber voller Ressentiments ist und nach Diskulpation verlangt."
    Nicht nur politische Belange und Entscheidungen betraf dies, wie der kleine Zwischenfall zu Beginn der Feierlichkeit gezeigt hatte, doch gerade auch politisch motivierte Taten, wie Gracchus nur allzu gut selbst als Teil der sich echauffieren Nachkommenschaft wusste.
    "Sub specie aeternitatis mag jedoch so manch angeprangerte politische Entscheidung noch zu einer Leistung erhoben werden. Anerkennung ist das Kraut, welches nur auf Gräbern wuchert."


    Zitat

    Original von Lucius Flavius Furianus
    So legte er sich auffällig langsam auf die ihm zugewiesene Kline und blickte sich sogleich um, ob sein Haupthaar keine Blätter ließ.


    In just diesem Moment nahm Gracchus' Vetter Furianus, welcher eigentlich sein Neffe war, Platz auf einer der Klinen. Diesmalig erübrigte sich die Vorstellung, würden sich die Senatoren doch untereinander kennen, ebenso wie die familiären Bekanntschaften vorhanden waren. Es schien, als würde Furianus etwas vermissen, blickt er doch suchend um sich herum.
    "Salve, Furianus. Sucht du etwas? Wenn es Wein ist, so lass dir nur einschenken, dein Onkel war in dieser Hinsicht äußerst spendabel. Ist es Nahrung, so lass dir etwas auftischen, denn auch hiervon ist genügend da, und wenn es ein Gespräch ist, so beteilige dich an dem unsrigen."

    Es schien Acanthus, dass in den letzten Tagen vermehrt wichtige Besucher in der Villa eintrafen, Magistrate, Pontifices, nun ein Septemvir. Alle konnten sie nicht bereits an der Türe abgewiesen werden. Er wies daher einen der jungen Sklaven an, den Priester in das Haus hinein zu führen, einen anderen, den Herrn Aquilius zu benachrichtigen.

    Der junge Sklave führte den Septemvir in das Atrium der Villa Flavia hinein. "Bitte gedulde dich einen Moment, Flavius Aquilius wird bereits benachrichtigt. Darf ich dir etwas zu trinken anbieten?" Er goss, ohne die Antwort abzuwarten, aus einer bereitstehenden Kanne frisches mit Wein angereichertes Wasser in einen Becher und bot diesen auf einem Tablett dem Valerius an.

    Nicht minder überrascht als sein Vetter, welcher sein Neffe war, dies hatte ob seiner Frage sein können, blickte Gracchus seinen Verwandten an, und seine rechte Augenbraue zog sich derart in die Höhe, dass sie bereits mehr als auffällig auf ein gewisses Maß an Indignation hinwies. Noch eben schwebten familiäre Fehltritte über dem Tisch der Tiberia und Gracchus hatte geglaubt, die Flavia wäre über solcherlei hinweg, da wurde er bereits eines besseren belehrt. Nachdem er alles einmal gekostet und wieder ausgespuckt hatte, verzehrte es seinen Neffe nun also nach dem Gusto des Götterdienstes, und obgleich die Absicht als solche für einen anderen Mann nobel sein mochte, so empfand Gracchus die bloße Aneinanderreihung der Dienste bereits als Beleidigung gegenüber der vita romana. Nichts schien Furianus gelernt zu haben, wie ein Plebeier hangelte er sich von Arbeit zu Arbeit ohne gleichsam dahinter seine Pflicht zu erkennen, nur immer auf der Suche nach ... Gracchus wusste nicht, was der Sohn seines Vetters suchte, und er bezweifelte, dass er es je würde verstehen.
    "Ich hoffe doch, dies hat dich nicht dazu bewogen, dich in den Dienst der Libitina zu stellen?"
    Mehr als jene halb scherzhafte Bemerkung wollte sich Gracchus nicht erlauben, hielt er doch an seiner Ansicht fest, dass es der Gens kaum dienlich war, gegenseitige Despektion in die Öffentlichkeit zu tragen. Ein wenig widerwillig widmete er sich erneut beiläufig dem Euter auf seinem Teller.

    Der Odeur nach verbranntem Fleisch hing noch eine Weile in der Luft, hatte sich längst in den Stoff der Kleidung verbissen, doch Gracchus befand dies nicht für lästig, konnte er sich an diesem Duft doch erfreuen wie Felix sich an dem seiner Rosen.
    "Es gibt Dinge, mit denen beschäftigt sich ein Römer nicht. Etruskische Divination ist eines davon, gleichsam wie auch die Haruspicer als solche mit Vorsicht zu genießen sind, hat diese Zunft doch zu viele Scharlatane hervorgebracht. Natürlich wirst du nach Verstreichen der Zukunft immer herausfinden, ob die Vorhersage jener korrekt war, doch der diese voraussehende Haruspicer wird zu dieser Zeit längst mit deinen Sesterzen das Weite gesucht haben."
    Was sodann zu einem Problem wurde, sahen diese Männer doch alle gleich aus. Ohnehin, wie weit konnte man schon Männern trauen, welche Spitzbärte trugen wie die die Totengöttin Libitina begleitenden Helfer?
    "Natürlich hat ein Tier im Leben immer ein Herz. Doch im Augenblick der consecratio, dann wenn das Tier in den Bereich des Göttlichen übertritt, dann ist längst nicht alles mehr so wie es scheint."
    Zumindest für den einfachen Bürger und Zuschauer nicht. Gracchus warf einen Blick auf das Opferfeuer, nur kleine verkohlte Reste kündeten noch vom getanen Opfer.
    "Die Organe, die vitalia sind der Anteil für die Götter. Niemandem ist es in dieser profanen Welt gestattet, sie zu verzehren, keinem Menschen, keinem Tier und keinem Sklaven. Auch in den einfachsten Bevölkerungsschichten wird dies respektiert, andernfalls wäre ein Opfer völlig widersinnig. Sie werden verbrannt oder im Nachhinein vergraben. Nun, ich hoffe doch, dass die Götter dies Opfer zu würdigen wissen, und Lucullus' Leid von ihm nehmen. Bei Bauchschmerzen oder Zahnschmerzen genügt für gewöhnlich eine kleinere Gabe, doch es schadet nie, den Göttern zu opfern."

    Mit einer Miene gleich einer Maske nickte Gracchus langsam.
    "Der schlaueste und beste Flavier, nun, daran wirst du noch ein wenig arbeiten müssen, denn der Akt der Hybris mag zu früheren Zeiten durchaus den ein oder anderen Imperator gestützt haben, doch in den heutigen Zeiten ist es indispensabel für den Augustus tatsächlich klug zu sein, antizipierend zu handeln und weise zu regieren."
    Langsam beugte sich Gracchus herab, bis dass sein Gesicht auf einer Höhe mit dem des Serenus war, legte seinem Neffen beide Hände auf die Schultern und blickte ihn ernst an.
    "Überdies hinaus, Serenus, ist es unabdingbar, dass du solcherlei Gedanken für dich behältst. Es wird nicht mehr allzu lange dauern, bis du die Bulla ab und die Männertoga anlegen darfst und hernach wird man jedes Wort, welches du öffentlich sprichst, äußerst genau prüfen. Du kennst die Geschichte unserer Gens, davon gehe ich zumindest aus, und die praetorianische Garde fragt nicht erst lange nach deiner Legitimation, bevor sie dich beiseite schafft. Sprich darum diese Absichten niemals außerhalb dieser Familie aus, hörst du, niemals."
    Er richtete sich wieder auf, und die völlige Ernsthaftigkeit fiel ein Stück weit von ihm ab.
    "Darüberhinaus obliegt einem Kaiser eine Menge Verantwortung für sein Volk. Tyrannen haben noch nie lange genug überlebt, um sich an ihren Spinat- und Gerstenfreien Tagen erfreuen zu können, bedenke dies."

    Ohne es zu ahnen hatte der junge Serenus eine äußerst wichtige Erkenntnis über das Menschsein gewonnen, denn hatte man erst die magische Grenze von zwanzig Jahren überschritten, so ging es nur noch bergab, in jeder Hinsicht. Natürlich versuchte der Mensch aus Instinkt heraus diese Erkenntnis sukzessive um weitere zehn Jahre hinaus zu zögern, so dass Gracchus augenscheinlich davon ausging, dass das Leben erst ab dreißig Sommern dahin schwand, doch in den tiefen seiner Selbst ahnte er, dass er den schmalen Grad des Gipfels bereits überschritten hatte, obgleich es eine ruchlose Ungerechtigkeit des Lebens war, dass der Mensch nur wenige Schritte hinauf, doch dann eine solch immense Weglänge hinab gehen musste. Glücklicherweise ahnte Gracchus nichts von solcherlei Gedankengängen, so dass sie ihm gleichsam selbst erspart blieben, war er doch bereits mehr als betrübt ob des vorangegangenen Scheiterns hinsichtlich der Bildung seines Neffen, so dass weitere Tristesse sich nurmehr äußerst niederschlagend auf ihn hätte ausgewirkt. Die großen, unschuldigen Kinderaugen gingen ihm nach gleich eines Urteils über seine Unfähigkeit und nur mit Mühe konnte sich er dazu zwingen, seine Arbeit wieder aufzunehmen.


    ~ finis ~

    "Seit der göttliche Augustus versuchte mit seinen Gesetzen den Diskordanzen des Bevölkerungspegels entgegen zu wirken, scheint sich deplorablerweise kaum viel geändert zu haben. Dennoch kann dies kein Freibrief sein, dem Zeitgeist und dem Verfall der familiären Werte folgen zu wollen. Doch ich assekuriere dir, ich werde kaum mehr von dir verlangen, als unser Vater es tun würde."
    Das schloss im Grunde genommen so gut wie nichts aus, denn ihr Vater hatte allerhand von ihnen verlangt. Dass Gracchus seinem Bruder jedoch keine Verbindung aus den unteren Schichten würde nahelegen, dies war ohnehin selbstverständlich, gleichsam hatte er kaum Beziehungen in die oberen Schichten, weshalb auch dies vermutlich außen vor blieb und er sich bei seinen Bemühungen auf ihren eigenen Stand würde beschränken.
    "Sag, wo wir gerade von traditionellen Verpflichtungen sprechen, wie ist es derzeitig um die Salii collini bestellt? Wer führt den Vorsitz?"