Obgleich er sich dessen nicht bewusst ist, noch groß darüber nachdenkt, erwidert Gracchus das zufriedene, ehrliche Lächeln seiner Gattin mit gleicher Emotio und für einen winzigen Augenblick scheinen sie tatsächlich jene Ehe zu führen, welche sie nach außen vorgeben. Sodann rollt sich Gracchus von ihr und neben sie und starrt an die Decke in der Dunkelheit über sich, noch immer den zarten Hauch seiner Gattin in der Nase. Diesmal musste es geklappt haben. Die Zufriedenheit schlägt um in Müdigkeit, die ihn mit einem Mal überkommt und obgleich er sich noch im einen Moment anmahnt, in sein eigenes Cubiculum zurück zu kehren, so verspürt er doch schon im nächsten Moment die niederdrückende Schwere des Schlafes über sich hinwegziehen.
Beiträge von Manius Flavius Gracchus
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Da es augenscheinlich keine Unklarheiten zum Ablauf der Res Divinae gab, schloss Gracchus das Thema.
"So erwarte ich euch morgen früh eben wieder hier in der Curia."
Es folgte eine kurze Pause, in welcher Gracchus' Blick zur Wand hinter den Sodales glitt, doch weder dort, noch in jenen Räumen seines Gedankengebäudes, in welchen er gleichsam unterwegs war, fand er weitere Punkte, welche es seinerseits für die Sodalität zu besprechen gab. So blickte er denn durch die Reihe der elf Männer.
"Sofern niemand mehr eine Thematik ansprechen möchte, die es zu erörtern gilt, wären dies alle Tagesordnungspunkte gewesen." -
Nichts konnte Aquilius in Gracchus' Augen sehen, denn noch als er den Kopf umwandte, drehte sich Gracchus fort und strebte langsam dem Schreibtisch zu. Ein leises
"Ja,"
war alles, was er sagte, alles, was er noch sagen konnte, ohne sich selbst zu vergessen. Vergessen. Caius hatte vom verführerischen Vergessen gekostet und Gracchus wünschte, er hätte sich nicht müssen erinnern. Ein einfacher Mann mit einem Weib, das er glaubte zu lieben, einer Familie, seiner einfachen, aber erfüllenden Arbeit - eine Frace, und doch kaum weniger als sein eigenes Leben. Er wollte ihm der Freund, der Vertraute sein, den Caius nun brauchte, doch er stand sich nurmehr selbst im Wege dabei. Konnte er seinen Geist zwingen, ihm zu gehorchen, sein Körper ging doch seiner eigenen Wege, verbarg letztlich auch den Geist hinter einem Schleier wie aus feinem Nieselregen. Für den Bruchteil eines Augenblickes haderte er mit dem Gedanken, den Körper von seiner Last zu befreien, dem unbändigen Drängen nachzugeben, nur ein einziges Mal, nur einmal und dann nie wieder, doch so schnell der Gedanke aufgekommen war, schob er ihn hinfort, wusste er doch selbst nur all zu genau um seine Schwächen und würde er einmal von der verbotenen Frucht gekostet haben, so würde er nicht wieder davon ablassen können und wollen. Und doch musste es einen Weg geben, einen, der ihnen ein Miteinander bot, ohne aneinander zu vergehen, denn ebenso, wie Gracchus wusste, dass er an Caius' Nähe zugrunde gehen konnte, so wusste er, dass er an Caius' Ferne zugrunde gehen würde. Es drängte ihn danach, seinen Vetter um Verzeihung zu bitten, die Worte bahnten sich bereits ihren Weg, doch er schwieg, schluckte sie hinab in die tiefe Dunkelheit seines Selbst, denn wie oft wollte er um Verzeihung bitten für etwas, das keine Vergebung würde finden können? In ihm tobte ein endloser, immerwährender Kampf und Gracchus fürchtete, gleich wie die Schlacht würde ausgehe, er würde nur immer auf der Seite der Verlierer stehen. Je mehr er sich nach Caius sehnte, desto mehr fürchtete er mit jenem allein zu sein, und je mehr er sich davor fürchtete, mit ihm allein zu sein, desto mehr sehnte er sich nach ihm. Er stützte sich auf die Tischplatte, jede Faser seines Körpers angespannt wie die Saiten einer Kithara - eine unachtsame Bewegung nur mochte ausreichen, um sie zum Zerreißen zu bringen - und wartete auf das Geräusch der sich entfernenden Schritte, das Schließen der Tür und die erlösende, doch gleichsam erdrückende Stille des Alleinseins. -
"Politische Tode gibt es augenscheinlich doch auch nur noch wenige. Die Gesellschaft steht Fehltritten oftmals nur noch indifferent gegenüber und selbst jene, die über alle erhaben sind, zeigen nur noch selten Indignation. Ob dies für das Imperium davastativ oder gar subsidiär sein wird, dies sei dahin gestellt und wird sich vermutlich erst aus der Zukunft rückbetrachtet bestimmen lassen. Doch selbst im Falle eines Falles, der politische Tod mag nicht ehrvoll sein, doch dem politisch Toten steht es noch immer frei, einen ehrenhaften römischen Tod zu wählen. Ist der Mensch hierzu nicht in der Lage, so ist dies nicht dem Versagen der Gesellschaft anzurechnen, wie es ihr doch obliegt, darüber zu richten."
Das von Senator Purgitius angesprochene Szenario war keines, welches Gracchus je würde in seinem Leben missen, darum konnte er sich auch Durus' Aussage kaum anschließen. Da dies jedoch nichts war, was er öffentlich zu bekunden dachte, schwieg er hierzu und widmete sich einigen in hauchdünnen Teig eingebackenen Sperlingszungen, welche er vor dem Verzehr in eine Creme aus Obers mit Frühlingskräutern tauchte, die eigentlich zum Tunken des Brotes gereicht wurde und auch nicht wirklich passen mochte, doch hatten ihn solcherlei Essgepflogenheiten noch nie gestört, da er in dieser Hinsicht schon immer einen etwas eigenwilligen Geschmack aufwies - unverkennbares Erbe der Flavia, welches sich auf vielfältige Art und Weise äußerte, dies früher oder später jedoch bei jedem Mitglied der Familie tat. -
Es gab Dinge im Leben, die drückten in ihrer Last schwer auf die Schultern eines Menschen, doch obgleich er täglich mehr unter diesem Gewicht einbrach, so war doch schlimmer, als diese Last zu tragen, sich von ihr zu befreien. Die Verantwortung über die Bannung des Fluches Aristides' Tochter Arrecina war solch eine Last, die auf Gracchus' Schultern lag, ihn hernieder drückte, und um deren Lösung aus seinem Verantwortungsbereich er sich deswegen herum drückte, da dies ein Gespräch ob dessen mit seinem Vetter bedingte. Gleichsam war er sich dessen bewusst, wie auch dies Gespräch würde ausgehen, die Folgen seines Scheiterns würden nicht weniger auf ihm lasten, nicht diejenigen, die seitedem ihren Lauf genommen hatten, noch sein schlechtes Gewissen Arrecina und ihrem Vater gegenüber. Doch die Zeit drängte, es war der Tag nach Aristides' Verlobungsfeier und jener würde schon in Kürze wieder nach Mantua aufbrechen, um bald hernach in den Krieg zu ziehen. Der Vormittag war längstens verstrichen, als Gracchus zögernd vor der
Tür zu Aristides' Cubiculum stand, noch zögerlicher anklopfte und die Türe einen Spalt öffnete.
"Marcus, hast du einen Augenblick Zeit?" -
Das Klappern der Teller und des Servierbestecks der Sklaven hallte nach Durus' Entschuldigung eine Weile einzig durch den Raum, verdrängte die möglicherweise ein wenig unangenehme Stille, obgleich es nicht dazu gereichte, sie vollends auszufüllen. Auch Gracchus ließ sich noch etwas Essen anreichen, trotz allem war der Abend noch jung und über das erste Schweigen hinaus würde die Gesellschaft sich früher oder später von der Stille lösen. Es geschah früher, denn später, als Durus ihn ansprach. Gracchus lies die Hand mit einem Stück Schweinseuter darin sinken, und wandte sich dem Gastgeber zu.
"Nun, der Senat ist natürlich auch Ziel meines Strebens. Doch, ich bin mir nicht recht sicher, ob ich bereits für die Erreichung dieses Zieles geeignet bin. Zwei magistratische Amtszeiten mögen auf dem Pergament genügen, doch prädestinieren sie tatsächlich für einen Sitz in den Hallen des Senates? Es scheint mir hiefür am notwendigen Weitblick, Weisheit und Erfahrung zu mangeln, um Teil dieses Gremiums zu sein. Doch letztlich ist dies ohnehin nicht meine Entscheidung. Ich werde nach Ende der Amtszeit in den Cultus Deorum zurück kehren und dortig weiter meinen Dienst verrichten."
Zwar war dies nicht sein ursprüngliches Ansinnen gewesen, doch band ihn erneut sein Wort den Göttern gegenüber, so dass alles andere vorerst dahinter würde zurückstehen müssen. Er drehte sich seinem Vetter, welcher sein Neffe war zu.
"Welches sind deine weiteren Pläne nach der Praetur, Furianus?"
Einerseits war Gracchus durchaus neugierig, andererseits befürchtete er doch gleichsam, sein Vetter würde sich erneut für ein Amt hergeben, welches ihm kaum gut zu Gesichte würde stehen. Da jedoch der strikteste Ankläger verwerflichen Verhaltens bereits die Runde verlassen hatte, mochte Furianus' Aussage, gleich sie lauten möge, kaum zu Entrüstung führen, würde sich auch Gracchus' doch nicht hier zu dessen Ämter äußern, denn was auch immer seine eigenen Ansichten waren, so lag es in Felix' Verantwortung allein - Furianus' Vater und Gracchus Patron gleichermaßen - dies zu tun. -
Es war warm unter der Decke, viel zu warm, wie Gracchus befand, zudem glühte auch Antonias Körper heiß neben dem seinen. Wie bereits zuvor, als er bei ihr gelegen hatte, faszinierte Gracchus die weiche Haut seiner Gattin, es war von ihrer allgemeinen Wohlgestalt abgesehen, das einzige, was ihn an ihr faszinierte, diese helle Pfirsichhaut, stets bedeckt von einem subliminalen, undefinierbaren Hauch, diese zarte Haut, die so gänzlich anders roch, als alles, was er normalerweise berühren wollte. Er schob seine Nase an ihren Hals, erkundete jene Regionen zwischen Schultern und Ohr, sog genussvoll den Odeur dieses ihm so fremden und unverständlichen Wesens in sich auf, der nun, in der Nacht noch viel unvertrauter schien, als am Tag oder den Abendstunden. Es fiel Gracchus nicht schwer, Verlangen ihn sich zu erspüren - trotz der Anwesenheit seiner Gemahlin - denn seit Tagen staute es sich in ihm auf, suchte ein Ventil, da er bisherig noch nicht bereit gewesen war, sich einen anderweitigen Ersatz für seinen Leibsklaven zu suchen und obgleich Antonia bei gänzlich freier Entscheidung vermutlich kaum dieser Wahl entsprochen hätte, so bot sie doch ebenso Gelegenheit zur Erleichterung wie ein unwilliger Sklave auch. Es dauerte nicht lange, bis auch Gracchus' Körper vor Hitze glühte und schneller, als Antonia wahrscheinlich ihm folgen konnte, drängte es ihn, dem Druck in sich mit einem Aufstöhnen nachzugeben. Schwer atmend ließ er seine Körper auf den seiner Gattin niedersinken, spürte, wie sich die Hitze ihrer beider Leiber vereinte, spürte den feinen Schweißfilm wischen ihnen, roch wieder am Odeur ihres Leibes, erfreute sich an der Veränderung dessen und an der Freiheit des Augenblickes.
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Zitat
Original von Manius Tiberius Durus et Spurius Purgitius Macer
Die jungen Sklaven um sie herum begannen das Essen zu den einzelnen Tischen zu bringen und natürlich hatte sich die Flavia nicht zurückgehalten, was die Qualität der Speisen anging. Nachdem Gracchus einen Schluck seines Weines für die Götter gegeben hatte, legte er ein Stück Fleisch auf den mittigen Teller, um auch den Ahnen gerecht zu werden, bevor er seinem eigenen Wohl gedachte und sich einen vorsichtigen Schluck des Weines genehmigte - hinsichtlich des Mischverhältnisses seines Vetters Aristides war dererlei Vorsicht geboten wenn auch nicht notwendig, war das Verhältnis doch (noch) äußerst moderat. Als Tiberius Durus den Weg zu ihrem Tisch fand, fühlte sich Gracchus bemüßigt, erneut die Vorstellung zu übernehmen, denn obgleich sich die Senatorenschaft sicherlich ohnehin bereits kannte und der Tiberier auch mit seiner Gemahlin bekannt war, so fehlte Arrecina noch immer die Einführung in die Gesellschaft Roms.
"Senator Tiberius, salve. Senator Purgitius ist dir bekannt, nehme ich an? Meine Gattin Antonia kennst du ja bereits ebenfalls, und die reizende Dame zu ihrer Linken ist meine Nichte zweiten Grades, Flavia Arrecina, die Tochter des Aristides. Senator Purgitius gewährte uns eben Einblick in militärische Belange und zog den Vergleich zwischen dem Schlachtfeld des Militärs und demjenigen der Politik. Glücklicherweise kam er zu dem Ergebnis, dass der Kampf in der Curia Iulia zwar komplexer und schwieriger, doch gleichsam lange nicht so tödlich ist, als jener der Legionen."
Ein Moment des Zögerns folgte und Gracchus runzelte für einen Augenblick nachdenklich die Stirn.
"Wahrlich bedenklich, wenn politische Schlachten mit Legionen geschlagen werden. Glücklicherweise ist das Imperium über solcherlei Zeiten hinaus." -
Träge waberte die warme Luft durch die Straßen und Gassen Roms, der Frühling würde bald auch nominell in den Sommer übergehen, doch die Sonne hatte die heiße Jahreszeit längstens auf den Weg gebracht und kündete davon, dass vermutlich nicht nur die Hundstage würden in der Hauptstadt des Imperium Romanum unerträglich werden. Doch was war heiße Luft denn mehr als heiße Luft, konnte sie doch keinen gewöhnlichen Römer von der Zelebrierung eines Feiertages abhalten, vor allem nicht jenen gewöhnlichen Römer, der für gewöhnlich nur wenig Abwechslung auf seinem Esstisch fand, sofern er überhaupt einen Esstisch besaß, und darum nur um so lieber die Gaben einsammelte, welche nach einer öffentlichen Opferung geboten wurden. Eine andere Gruppe von Männern war an diesem Tage unterwegs, nicht unbedingt um am Opfermahl zu partizipieren, konnten sie sich doch mehr Auswahl leisten, denn sie überhaupt essen konnten, sondern deswegen, da es nicht nur Pflicht, sondern gleichsam Ehre für sie war, am Tage des Regifugium - oder auch Quando Rex Comitiavit Fas - die uralten Waffentänze aufzuführen, welche Jahrhunderte zuvor den Göttern geweiht worden waren.
Als Gracchus aus der kühlen Luft der Curia der Salii palatini heraus trat, konnte er bereits spüren, wie sein Körper unter der roten Tunika und der traditionellen ledernen Rüstung der Salier zu schwitzen begann, ganz ohne dass er auch nur sich übermäßig bewegt hatte. Der heutige Festtag würde zweifelsohne anstrengend werden, doch niemand hatte je behauptet, dass die Mitgliedschaft in einer Sodalität dies nicht war, zumal glücklicherweise die Feiertage unter Beteiligung der Sodalitäten der Salii nur im Herbst und Frühjahr lagen, so dass ihnen immerhin der Waffentanz im Hochsommer erspart blieb. Gleichsam war er froh darüber, nicht tagein, tagaus mit dem Tragen einer Rüstung geschlagen zu sein, obgleich eine Toga an solchen Tagen auch nicht unbedingt vorteilhafter war. Doch er schob solcherlei Gedanken beiseite, hob das ancilium an und nahm seine Position an der Spitze der Gruppe ein. Seinem Vetter Aristides neben sich nickte er aufmunternd zu, sodann wandte er sich nochmals um, um zu sehen, ob alle bereit standen. Sein Blick glitt über Caius, der schräg hinter ihm stand und in der Rüstung einen ausgesprochen anregenden Anblick bot, doch obgleich er sich ein feines Lächeln deswegen gestattete, ließ er den Blick eilig weiter über die übrigen Männer gleiten. Stolz erfüllt ihn, den Sodales vorangehen zu dürfen, als er sich umwandte und drei mal mit dem Schwert auf das Schild schlug, um ihnen anzuzeigen, sich bereit zu halten. Die sie begleitenden Cornicen setzten ihr Spiel ein und die Sodalität der Salii palatini begann mit ihrem Waffenmarsch von der Kuppe des Palatin aus, hinab durch die Stadt zum Comitium hin, wo sie die traditionellen Tänze würden aufführen.
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Die Art und Weise, wie sie seinen Praenomen keuchte hatte nichts von derjenigen, wie sie ihn üblicherweise aussprach, und welche Gracchus' Nackenhaare dazu brachten, sich aufzurichten. Natürlich war es weit davon entfernt, erfreut, liebevoll oder gar erwartungsvoll zu klingen, doch vermutlich hätte ihn dies ohnehin mehr derangiert, als jene Besorgnis, die in Antonias Tonfall mitschwang.
"Nichts, es ist ist nichts,"
beeilte er sich, sie zu beruhigen, da ihm augenblicklich klar geworden war, wie seltsam dies ihr erscheinen musste.
"Ich konnte nicht schlafen."
Obgleich es die Wahrheit war, klang es überaus stupide.
"Nun, ich dachte ..."
Er zögerte. Es war ein äußerst einfältiger Gedanke gewesen.
"Ich bin hier ... um unserer ehelichen Pflicht nachzukommen."
Der Satz hing im Raum und schien sich wie ein schweres, transluzentes Tuch über sie zu legen, der Nachhall klang Gracchus in den Ohren wie das Rauschen des Styx auf der letzten Überfahrt.
"Luna ist im Wachsen inbegriffen, dies ist eine gute Zeit zum Entstehen."
Auch dies war die Wahrheit, doch es klang nicht minder stupide. Was auch immer er würde sagen, es würde nicht besser werden. So zog er sich schließlich seine Tunika über den Kopf und die leichte Decke von Antonias Oberkörper. Ihre blasse Haut hob sich aus der Dunkelheit empor und für einen Moment strich er fast zärtlich über ihre Schulter. Dann drängte er sie ein Stück weiter in das Bett hinein, um selbst dort seinen Platz zu finden. -
Es lag Gracchus kaum mehr daran, weiteres zum Thema beizutragen, denn dies schien augenscheinlich keine Diskussion über Tradition mehr zu sein, sondern ein privater Disput zwischen Tiberia und Claudia, dessen Wurzeln weit tiefer zu reichen schienen, denn bis zu den Worten über Verbindungspolitik, welche all dies hatten angestoßen, und welche Gracchus nun langsam aber sicher zu bedauern begann. Hatte er doch geglaubt, dass solcherlei Thematik kaum dermaßen verfänglich sein konnte wie politische Strömungen oder Handlungen, so war er am heutigen Abend eines Besseren belehrt worden, was durchaus deplorabel war, blieben ihm doch somit bald nur noch Belanglosigkeiten, denn zu einer Debatte über strategische Militärführung war er noch nie geeignet, Gerüchten und Halbwahrheiten wollte er sich nicht verschreiben, religiöse Themen fielen bei Tisch meist unter selbigen, wie sonstig auch, und für philosophische Gespräche fanden sich oftmals nur wenige Bereitwillige - gleichsam wie dies auch bedeutete, dass Verbindungspolitik an anderen Orten betrieben werden musste, deren Örtlichkeit sich Gracchus längstens nicht gewahr war. Er nickte nur auf die Worte des Claudiers hin, und wünschte auch jenem das Wohlwollen der Götter, als er sich verabschiedete.
"Das werde ich, Claudius. Mögen die Götter dich geleiten."
Zwar war es zweifelhaft, dass er Antonia die Grüße baldig würde ausrichten, denn es war immer zweifelhaft, ob er überhaupt baldig würde mit seiner Gattin einen Anlass zu einem Gespräch finden, doch irgendwann kam die Notwendigkeit, so wie sie immer kam, wie der Tag auf die Nacht folgte, und dann würde sich Gelegenheit dazu finden. -
Wie feine Fäden zog sich die dunkle Maserung über das Holz der Tür, wirkte im dämmrigen Schein der Öllampen auf dem Flur beinahe wie kleine, giftige Schlangen, die nur darauf warteten, dass Gracchus das Cubiculum betrat, um hernach die Tür mit ihren tausenden Körpern zu überziehen, zu verriegeln, auf immer und ewig. Es war schon weit nach Sonnenuntergang, doch Gracchus fand keine Ruhe, war ob der Einsamkeit seiner Nacht schließlich wieder aufgestanden, hatte versucht zu arbeiten, doch die Rastlosigkeit in ihm blieb, bis er sich schließlich zu seiner Gattin aufgemacht hatte, nicht um Trost zu suchen bei ihr, doch um zumindest die Nacht nicht sinnlos zu vergeuden. Nun, bereits in spürbarer Nähe zu ihr, drängte alles in ihm nur danach, umzukehren, in sein eigenes Cubiculum zurück, und wieder ruhelose Zeit allein zu suchen, doch er zwang sich, seine Hand an den Griff zu legen, die Türe zu öffnen.
"Antonia?"
Seine Stimme hallte laut durch das schummrige Licht, viel zu laut, als dass sie es hätte überhören können, doch nicht ganz so fest, wie er sich dies gewünscht hätte. Er wusste nicht, ob Quintus Tullius sich genommen hatte, was er selbst ihm hatte angeboten, wusste nicht, ob sein Zwilling der Vater seines Kindes würde werden, doch wenn ein Kind enstehen sollte, so musste er Gewissheit verhindern, musste er selbst ebenfalls als Vater in Frage kommen, denn wie könnte er noch mit ruhigem Gewissen ein Kind annehmen, dessen er sich eines Piraten als Erzeuger sicher, gleich ob dies sein Bruder oder sein Feind war?
"Antonia?"
fragte er nochmals, leiser nun, als er an das Bett heran trat, in welchem die schlanke Gestalt seiner Gattin lag. Er fühlte sich wie ein Aggressor, ein Eindringling in seinem eigenen Haus, ein Fremdkörper in seinem eigenen Fleisch. Vorsichtig streckte er die Hand aus, um sie an der Schulter zu berühren. -
Dunkelheit lag längstens über Rom, die Bewohner der Villa Flavia hatten sich in ihre Cubicula zurück gezogen, die meisten schliefen womöglich schon. Doch in Gracchus' Zimmer brannte Licht, er hatte versucht zu Schlafen, war schließlich wieder aufgestanden und hatte eine Lampe entzündet, versuchte mit Gedanken sich von seinen Gedanken abzulenken. Er saß in einem bequemen Stuhl, eine Tabula in der Linken, einen Griffel in der Rechten, diesen jedoch nur noch zwischen Ringfinger und kleinen Finger geklemmt, brauchte er Daumen und Zeigefinger doch, um seine Unterlippe knetenderweise zu bearbeiten. Es war eine schlechte Angewohnheit, doch sie half ihm beim Denken, als würde er so seine Gedanken ankurbeln können, gleichsam war er sich dessen nicht einmal bewusst. Das Wachs der Tabula hatte er bereits mehrmals beschrieben und wieder gelöscht, denn nichts, was er in die weiche Masse ritzte, gereichte Gracchus letztlich zur Zufriedenheit. Vermutlich taugte er weder zum Philosophen, noch zum Dichter, wie auch sonstig zu nichts, und dies lag kaum nur an der späten Stunde. Indem er den kleinen Finger spreizte, ließ er den stylus aus seinem Griff gleiten, ihn achtlos zu Boden fallen, ohne mit der knetenden Bewegung aufzuhören, warf als das Klackern des Schreibgerätes, welches auf dem Boden aufschlug, verklungen war, auch die Tabula unachtsam von sich weg, dass sie durch das halbe Zimmer schlitterte und erst damit aufhörte, als sie an einem Stuhlbein hängen blieb. Seit seine Schwester entführt worden war, fehlte Gracchus Zuversicht, seit der Begegnung mit seinem Zwilling fehlte ihm eine gerade Linie und seit der Abreise seines Leibsklaven fehlte ihm jegliche Orientierung. Mit Mühe hatte er die letzten Tage der Amtszeit als Vigintivir hinter sich gebracht, war zufrieden zurück in den Tempeldienst getreten, doch mehr und mehr hatte er das Gefühl, dass in seinem Leben nichts mehr so war, wie es sollte sein. Nicht nur, hinsichtlich eigener Wünsche, die ohnehin nur marginal waren, sondern auch hinsichtlich an ihn gestellter Erwartungen und Pflichten. Alles war seinen Händen entglitten, was er versuchte zu Greifen löste sich in Wohlgefallen auf. Es war wie ein Fluch, womöglich war es noch immer sein Fluch, denn alles war erst aus den Fugen geraten, seit er versucht hatte Arrecina von ihrem Bann zu befreien. Er hatte sie spüren können, die Unterirdischen, die nach seinem Leben griffen, hatte sie hören können, die Infernalischen, die seinen Namen flüsternd die Spur wieder aufgenommen hatten. Einmal war er ihnen entkommen, hatte seine Spuren verwischt, auf dass sie ihn beinahe vergaßen, doch in jener mondlosen Nacht, als er in ihr Reich geplatzt war wie ein Licht in die Dunkelheit, in jener Nacht hatten sie sich an ihn erinnert und hatten sich wieder an seine Essenz geheftet wie ein Wolf, der einem verletzten Schaf nachfolgte. Er brachte die ganze Herde in Gefahr, gleichsam war er solchermaßen derangiert, dass er kaum vernünftig über alles nachdenken konnte, Sciurus fehlte ihm als Agenda, Schlaf fand er noch immer nur unzureichend ob seines immer wieder schmerzenden Zahnes, die Sorge um Minervina zehrte an ihm, das schlechte Gewissen hinsichtlich Arrecina, die Furcht vor Quintus, nicht zuletzt die deplorable Situation seiner Ehe. Seine Ehe - Farce und Tartarusqual, immer wenn er nach den Früchten über sich griff, zog der Wind die Äste hinfort, immer wenn er das Wasser zu seinen Füßen schöpfen wollte, zog sich das Meer zurück - und wenn es dies nicht tat, so schlürfte er das salzige Wasser, ertrank daran, wie er an der Luft um sich herum erstickte. Ruckartig stand er auf. Wenn er keinen Schlaf fand, so brauchte auch seine Gemahlin dies nicht zu tun, denn dafür war sie immerhin seine Gemahlin.
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Nach dem Mittag wurde die Straße belebter, je näher sie Rom kamen, desto mehr Wägen und Wanderer überholten sie, desto mehr Pferde zogen an ihnen selbst vorbei, desto mehr stieg die Spannung, die Aufregung in Gracchus. Bald waren die Mauern, die Häuser der Stadt in der Ferne auszumachen, ein stinkender, dampfender Moloch aus Leben, gekrönt von Palästen und Tempeln - Juwel im Sumpf eingebettet, Juwel aus dem Sumpf emporgewachsen. Reges Treiben herrschte überall um die Stadt herum, in ihr war es nur zu erahnen, und obgleich ihn kaum jemand würde erkennen, so wünschte sich Gracchus eine paenula, um sich darunter zu verbergen. Ein Stück vor dem Stadttor verabschiedete er sich mit reichhaltig ausgeschmückten Dankesworten von dem Viehhändler, denn er wollte nicht die Via Flaminia nach Rom hinein kommen, lieber einen letzten kleinen Umweg nehmen und sich der Stadt von Osten her nähern, so dass er nicht allzu weit durch die Straßen und Gassen müsste laufen, um die Villa Flavia zu erreichen. Seine Füße schmerzten, sein Gesäß schmerzte, im Grunde schmerzten ihm alle Knochen, doch gleichsam war kein Gefühl größer als die Furcht in ihm. Je näher er dem heimischen Anwesen kam, desto größer wurde diese Furcht, die Furcht, Quintus Tullius zu begegnen, desto größer wurde die Furcht, nur Scherben vorzufinden, winzig kleine Splitter, die nichts und niemand würde je wieder zusammen setzen können. Wie ein Bettler schlich er um die Mauern der Villa herum, klopfte schlussendlich am Eingang der Dienstboten und vergewisserte sich bei dem erstaunten Sklaven, welcher ihm öffnete, dass er nicht augenblicklich in der Villa anwesend war.
"Salve, ... Herr?"
"Schaue nicht so dumm. Lasse mich hinein und sage mir, bin ich heute schon einmal gekommen? Durch die Porta?"
Der Sklave blickte seinen Herrn derangiert ob der merkwürdigen Gewandung, der Bartstoppeln in seinem Gesicht und der seltsamen Verhaltensweise mit Staunen in den Augen an. "Nein ... nein ... Herr ... ich glaube nicht."
"Gut, und bin ich gestern gekommen und seitdem nicht mehr weg?"
"Nein, Herr, du bist ... vor Tagen fort."
"Du würdest mich also nicht innerhalb der Villa vermuten?"
"Nun, nein, Herr, augenscheinlich nicht."
"Wann genau hast du mich zuletzt gesehen? Wann hat irgendwer mich zuletzt gesehen?"
"Vor drei oder vier Tagen, Herr, vermutlich in magistratischen Pflichten unterwegs."
Quintus Tullius war also nicht mehr hier. Ein eisiger Schauer kroch Gracchus' Wirbelsäule hinauf und breitete sich von dort aus über den gesamten Körper.
"Sind sonst alle wohlauf?"
"Ja, Herr, ich nehme es an."
Eine Woge der Erleichterung folgte dem kalten Schauer, obgleich noch immer ein leiser Gedanke in Gracchus' Hinterkopf zur Vorsicht riet.
"Am Tag, an welchem ich zuletzt hier war, was habe ich getan? Erzählt man sich merkwürdige Sachen unter euch?"
Der Sklave schien ehrlich erstaunt und verwundert. "Nein, Herr, nicht dass ich wüsste."
"Gut, gut. Schick den Barbier auf mein Cubiculum."
Der verwirrte Sklave blickte seinem Herrn hinterher, entschied jedoch nach kurzem, dies nicht weiter zu beachten. Dies war ein Haus, das früher oder später verrückt machte wenn man alles zu genau zu ergründen suchte, weshalb er dies besser unterlassen wollte. Gracchus eilte durch das Haus und flüchtete in sein Cubiculum. Quintus Tullius war fort und wo auch immer er war, Gracchus hoffte, es würde so weit weg von Rom sein wie nur möglich und er würde lange dort bleiben. Doch die Furcht ließ nicht von ihm ab.~ finis ~
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Es dauerte an diesem Tage nicht mehr allzu lange, bis die Götter endlich Erbarmen mit Flavius Gracchus zeigten. Zuerst glaubte er ob der bereits am Vormittage unbarmherzig brennenden Sonne, dass jenes Geräusch, welches er weit hinter sich vernahm, nur in seinem Kopfe würde existieren, schließlich jedoch, als es immer lauter zu ihm drang, wurde er sich dessen gewahr, dass es in seinem Kopfe noch niemals so laut hatte gedröhnt und jenes Klappern um ihn herum musste sein. Kaum wagte er zu hoffen als er sich umdrehte, doch die Hoffnung wurde nicht enttäuscht. Es klapperten acht Pferdehufe auf dem steinernen Boden, zugehörig zu zwei Ackergäulen, einer dunkelbraunfarben wie torfige Erde, der andere ein graufarbener Schimmel mit schwarzfarbenen Füßen und weißfarbenem Kopf, hinter ihnen ein Karren, beladen mit Kisten und oben auf dem Bock ein Mann in einfacher, heller Tunika, das dunkle Haar von einem ledernen Sonnenhut bedeckt. Anstatt zu warten, bis der Wagen ihn eingeholt und erreicht hatte, drehte sich Gracchus gänzlich um und strebte ihm mit großen Schritten entgegen, überwältigt von Freude, einem Menschen zu begegnen, einem Menschen mit fahrbarem Untersatz wohlgemerkt, der augenscheinlich das gleiche Ziel hatte wie er, zumindest in ähnlicher Richtung unterwegs war. Die Ladung des Karren bestand aus Käfigen voller Hühner, die nun, da der Eigentümer auf Gracchus' Winken die Pferde zum Stehen brachte, in protestierendes und lautes Gegacker ausbrachen, was den Mann zu einem derben Fluch verführte, dessen Wortlaut kaum zur Wiedergabe geeignet scheint, bevor er sich Gracchus zu wandte und zur Begrüßung ansetzte, noch bevor jener zu eben jener kam. "Salve, Junge, soll ich dich ein Stück mitnehmen? Siehst aus, als wärst du schon 'ne Weile unterwegs. Na komm' hoch, ich fahr' nach Rom, morgen kommen die Schreihälse da hinten aufs Forum Boarium."
Gracchus gestattete sich ein erleichtertes Ausatmen und kletterte hastig auf den Wagen hinauf.
"Ich danke dir, du kannst dir gar nicht vorstellen wie sehr. Ich danke dir."
Der Mann lachte und schüttelte an den Zügeln nachdem Gracchus saß, auf dass die Pferde sich in Bewegung setzten. "Früher war ich auch zu Fuß unterwegs, vom Hof bis nach Rom mit 'nem Handkarren."
Beiläufig nickte Gracchus, war in Gedanken doch längst in Rom.
"Morgen, sagst du, werden die Hühner in Rom verkauft? Wann werden wir dort sein?"
"Gegen heut' Nachmittag. Ich quartier' mich außerhalb der Stadtmauern ein und morgen früh, wenns noch dunkel is', fahr' ich mit dem Wagen zum Forum. Anders kommt man ja nicht rein."
Wieder nickte Gracchus, schwieg jedoch, was auch den Viehhändler schließlich wieder in Stille versinken ließ ob dessen Gracchus dankbar war, hätte er doch nicht gewusst, was er sollte auf Fragen nach seinem Ziel oder seiner Herkunft antworten. Sie waren kaum die Hälfte einer Stunde unterwegs, als sie eine kleine Ortschaft passierten und Gracchus sich von den Überirdischen wahrlich verhöhnt glaubte. Voller Begehren streiften seine Blicke über voll beladende Marktstände, über frisch gebackene Brote, von welchen ein unglaublich verlockender Duft ausging, über saftige Früchte, verschiedene Backwaren und getrocknetes Fleisch. Er schluckte, doch er wagte nicht darum zu bitten, den Wagen anzuhalten, denn er wollte die Gelegenheit für den schnellen Transport nach Rom nicht riskieren. Der Viehändler zügelte nicht einmal die Pferde, so dass sie bald den verlockenden Duft hinter sich ließen, doch es dauerte nicht lange, dass Gracchus' leerer Magen sich mit einem lauten Grollen über jene Gegebenheit zu beschweren begann. Gracchus zog den Bauch ein und blickte beschämt in die Landschaft hin, versuchte seinen Magen alleinig mit seinem Willen Einhalt zu gebieten, doch sein Retter in der Not ließ nur ein tiefes, dröhnendes Lachen vernehmen. "Hohoho, das hört sich aber gefährlich an! Hier, Junge, nicht, dass du dich noch an den Hühnern vergreifst! Haha!" Er holte schräg hinter sich ein zu einem Säcklein gebundenes Leinentuch hervor und reichte es Gracchus. "Greif nur zu, meine Frau packt mir immer mehr ein, als ich auf drei Fahrten essen könnte!"
"Danke."
Vorsichtig, mit vor Begierde zittrigen Händen öffnete Gracchus den Knoten und faltete das Tuch auf und betrachtete das Fladenbrot darin, als wäre es wahrhaftiges Ambrosia. Er brach es hastig auseinander, biss in eine Hälfte und schlang die ersten Bissen gierig herunter, beinahe ohne zu Kauen. Nie in seinem Leben hatte er ein wohlschmeckenderes Brot gekostet. Er aß eine Hälfte des Brotes auf, knotete sodann das Tuch wieder zusammen und reichte es dem Viehhändler zurück, da er nicht unhöflich erscheinen wollte, gleichgültig dessen Versicherung, dass er mehr als genug habe. Hernach verfielen sie wieder in Schweigen und Gracchus sann über das nach, was ihn würde in Rom erwarten. Noch immer wusste er keine Lösung für die Angelegenheit bezüglich seines Bruders, vor allem nicht, was mit jenem geschehen sollte, was überhaupt geschehen sollte, wäre jener noch immer in der Villa. Womöglich würde er versuchen, die Familie davon zu überzeugen, dass er der richtige Gracchus und Gracchus selbst der falsche war? Einzig Aquilius würde dem widersprechen können, sofern dieser sich an gewisse Details erinnerte, und wer wusste, ob Aquilius in einem solchen Falle noch im Leben weilte, hatte Gracchus seinem Zwilling doch bereitwillig von seinen Bindungen zur Familie erzählt, zumindest vordergründig, doch tief genug, als dass Tullius wissen würde, auf wen er müsste achtgeben. Wie hatte er ihm nur in solcher Weise sein Vertrauen schenken können? Doch, wie hätte er dies nicht? Noch immer, wieder oder beginnend, wusste Gracchus nichts mit Quintus Tullius anzufangen, wusste ihn nirgendwo hin zu schicken, wusste nichts zu tun, zu fragen, zu wollen, zu verlangen, aufzugeben. Der parthische Freud seines Zwillings hatte ihn gewarnt, eindringlich gewarnt - gleichsam war und blieb Tullius ein Pirat, weshalb ihm nicht weniger nicht zu trauen war. Doch blieb er ebenso Gracchus' Bruder, mehr noch, blieb sein Ebenbild. Hinsichtlich seines Bruders Animus war Gracchus froh, dass jener bereits verschieden war, denn dies ersparte derartige Überlegungen, doch Quintus Tullius würde vermutlich ihm noch recht lange im Nacken sitzen. Sollte er einen gleichartigen Mann beauftragen, seinen eigenen Zwilling zu beseitigen? Es würde gleichsam sein eigenes Urteil sein, denn er würde zugrunde gehen an jenem rachsüchtigen Larven, der zweifellos aus Quintus würde entstehen. -
Während sein Bruder sich um Geld oder nicht Geld sorgte, sorgte sich Gracchus um gänzlich andere Dinge, die zwar nebensächlich auch mit Geld zu tun hatten, doch nicht in jener Weise, dass man dies anhäufen, sondern dass man dies aufwenden musste für jede Art von Gegenleistung, unabhängig ob dies vordergründig mit den kaiserlichen Metallstücken zu tun hatte oder nicht. Er war sich dahingehend im ersten Moment nicht ganz sicher, auf was Lucullus sodann ansprach, es schien ihm, als hätte er ohnehin Mühe, den Gedankengängen seines Bruders zu folgen, fehlte ihm doch gleichsam derzeitig auch die notwendige Konzentration für etwaige Subtilitäten, vor allem hinsichtlich seiner Familie. Er wägte kurz ab, ob er die augenscheinlich verklärte Sicht des Lucullus ihnbezüglich sollte revidieren, entschied sich jedoch dagegen.
"Nein. Doch sind die Möglichkeiten augenscheinlich begrenzt, soll dies nicht nur der Erwartung genüge tun, sondern gleichsam Vorteil für die Zukunft bringen. Es gibt wenige patrizische Gentes, deren Einfluss tatsächlich noch beachtenswert ist und deren einflussreiche Mitglieder nicht nur anderen verpflichtet sind."
All zu viele patrizische Senatoren stimmten nur noch einem anderen nach dem Mund, und war dieser andere nicht ihr Vetter Felix, der durchaus einen großen Anteil der Patrizier im Senat hinter sich versammeln konnte, so würde eine Verbindung schlimmsten Falles nur zu Komplikationen führen.
"Möglicherweise bietet sich auch die Gelegenheit, eines der bestehenden Klientelverhältnisse zu festigen. Wir sollten ohnehin auch Felix mit in diese Überlegungen einbeziehen." -
Worte seines Vaters kamen Gracchus in den Sinn, dass nicht selten statt der Anzahl der Soldaten allein deren Feldherr über Sieg und Niederlage entschied, nicht nur durch seine Strategie, sondern gleichsam durch Führungsstärke, denn folgten die Männer einem Mann bedingungslos, so kämpften sie weitaus furchtloser als jene, die nur einer Pflicht folgten. Er konnte dies durchaus nachvollziehen, folgte er selbst der Pflicht doch auch nicht immer aus gänzlicher Überzeugung, gleichsam war er froh, dieser von seinem Vater geforderten Pflicht nicht gefolgt zu sein, denn für geschickte, strategische Erwägungen brauchte er ausnehmend viel Zeit, welche in einer Schlacht nicht immer gegeben war, zudem hielt er sich kaum für einen überzeugenden Anführer, welcher hinter, oder eher vor sich bedingungslos kämpfende Soldaten könnte sammeln, ganz abgesehen von seinen Schwierigkeiten beim Anblick menschlichen Blutes.
"Der Kampf auf dem Schlachtfeld scheint letzten Endes doch ganz ähnlich dem in der Politik zu sein. Auch hierbei kommt es meines Erachtens nicht auf Stärke allein an, und eine Stellung zu halten scheint mir einfacher, als mit geschickten Argumenten gegen sie anzugehen. Allerdings muss ich deplorablerweise zugeben, dass es mir sowohl auf dem einen, wie auch auf dem anderen Gebiet an Erfahrung fehlt. Wo sind die Schlachten denn einfacher zu führen, Senator, auf dem Feld oder in den Hallen der Curia Iulia?" -
Da Gracchus ohnehin keine langen Worte erwartet hatte, hatte er nicht erst Platz genommen, so dass er nun nicht wieder musste aufstehen.
"Obgleich es nicht gänzlich unerwartet kommen mag - die dies festae stehen immerhin seit Jahrhunderten fest - so hoffe ich, dein Einsatz am morgigen Tag der Res Divinae wird dich nicht gänzlich unvorbereitet treffen, Claudius. Wir werden eine Aufstellung in vier Dreierreihen einnehmen, damit du in jeder Lage einen Sodalis zur Orientierung um dich hast, schlage ich vor, du nimmst die mittlere Position der dritten Reihe ein. Aristides, dir fällt die Position rechts vorne zu."
Obgleich sich Gracchus es zur Angewohnheit gemacht hatte, die vordersten, und damit ehrvollsten Positionen reihum zu verteilen, so durchbrach er für diese Gelegenheit die Folge, denn Aristides würde in der nächsten Zeit alle Aufmerksamkeit des Kriegsgottes gebrauchen können, und obgleich Gracchus versuchte, den Gedanken zu verdrängen, so schlich er sich doch ein, dass dies immerhin Aristides' letzter Einsatz im Kreis der Salii palatini sein konnte. Er hielt einen Augenblick ob solch düsterer Überlegungen inne, blinzelte hernach kurz, um die Derangierung aus sich zu vertreiben, und fuhr fort.
"Claudius Vesuvianus kommt die Position zu meiner Linken zu, in der zweiten Reihe hinter ihm folgt Cornelius Drusus, mittig Iulius Castus, rechts außen Flavius Aquilius, ..."
Position um Position wurde verteilt, bis alle zwölf Plätze zugeordnet waren.
"Gibt es soweit noch Fragen zum morgigen Ablauf?" -
Ein sanfter Windhauch wehte über den Platz vor der Regia, fuhr mit einem Rascheln durch die Blätter der wenigen Bäume rundherum, und brachte die Flammen in den großen Feuerschalen zum Erzittern. Das Agonium des Veiovis war Bestandteil jener Feste, welche sich über den gesamten Maius zogen und die Götter und Geister der Unterwelt besänftigen und zufrieden stellen sollten, denn der dem Iuppiter entgegen gesetzte Diovis galt als Gott der Sühne und auch der entlaufenden Verbrecher. Wie zu den Agonalia üblich schickte sich der Rex Sacrorum an, einen Widder als Gabe zu opfern. Jenes Tier, welches dem Veiovis dargebracht wurde, war nicht nur in natürlicher Weise schwarz, es war zudem mit Kohlenstaub eingefärbt, um den Ansprüchen des Unterirdischen zu genügen.
Obgleich sich Gracchus eher dem Iuppiter zugehörig fühlte, so war Diovis doch nicht nur Gegenpart dessen, sondern gleichsam Teil des Ganzen, weshalb ihm die Teilnahme am Agonium Veiovis nicht nur Pflicht, sondern gleichsam Ehre war. Gemeinsam mit einigen weiteren Sacerdotes wartete er vor der Regia auf das Erscheinen des ehrwürdigen Rex Sacrorum und betrachtete ein wenig abwesend die jungen Ministri dabei, wie sie dafür Sorge trugen, dass beständig Weihrauchkörner über den glimmenden Kohlen lagen und der feine weiße Rauch in den Himmel zog. Er erinnerte sich, dass das Agonium Veiovis einst das erste öffentliche Ritual gewesen war, an welchem auch er als kleiner Junge als Minister hatte teilnehmen dürfen. Wer hätte damalig gedacht, dass er knapp zwei Jahrzehnte später erneut hier stehen würde, als Sacerdos publcius, der nicht mehr nur das Weihrauchkästchen durfte anreichen, sondern gar die rituellen Worte an den Unterirdischen richten? Er selbst damalig zumindest nicht.
Das Einsetzen des Spiels der Tibicines kündete vom Eintreffen des Rex Sacrorum und eine kleine Welle der Bewegung zog sich durch die Wartenden, als sie alle sich gerade aufrichteten und ihre volle Aufmerksamkeit auf die Opferung legten. Ohne weitere Verzögerung trat der Priester zum Opferplatz hin und wartete nur kurz, dass die rituelle Reinigung vollzogen wurde, bevor er begann das Tier mit Wein und mola salsa dem Veiovis zu weihen, begleitet von seinem leisen Gemurmel, welches vom beständigen Spiel der Tibicines völlig übertönt wurde. Nachdem er sich die Hände gereinigt hatte, nickte der Opferkönig Gracchus zu, welcher daraufhin vor trat, die Rolle mit den traditionellen Worten öffnete und zu lesen begann. Obgleich es hier keinerlei Zuschauer gab, die es zu beeindrucken galt, hallte seine Stimme laut und volltönend.
"Veiovis, Diovis, höchster und größter in Inversion!
Dir weihen wir unsere heiligen Riten,
Unsere Gebete und Entsühnungen, erhabener König,
Für alle Dinge die Du uns erlassen hast.
Ende und Anfang ist Dein, dessen Macht aus den Tiefen kommt,
Dein Zorn halte im Reich Deines Schaffens,
Mannigfaltiger, nimm Du unsere Gabe,
Glückverheißender hör unser Gebet, gib uns schluldloses Heil,
Mit Frieden, Göttlicher, und dem notwendigen Wohlstand."
Nachdem Gracchus die zeremoniellen Worte beendet hatte, trat er zurück in den Kreis der Sacerdotes. Der Rex Sacrorum hatte längstens das Opfertier symbolisch entkleidet und den Schmuck von dessen Kopf genommen, stand nun starr wie eine Statue und erwartete die Frage nach dem unausweichlichen Opferbeginn.
"Agone?", tönte diese vom Cultrarius, und mit einem Nicken begleitete der Opferkönig sein "Age!". Der Cultrarius stieß das Messer in die pulsierende Halsader des Widders, der noch in einem glucksenden Gurgeln versuchte zu protestieren, bevor er zusammenbrach und zu Boden fiel. In aller Ruhe wartete der Opferhelfer darauf, dass das Tier sein Blut über den Boden ausließ, erst dann kniete er sich hinab um mit einem geübten Schnitt den Bauch zu öffnen und die Eingeweide aus dem toten Körper hinaus zu nehmen. Der Rex Sacrorum ließ sich ausnehmend viel Zeit, um die vitalia zu begutachten und Gracchus fragte sich bereits, ob die Organe derart beschädigt waren, dass das Opfer nicht konnte als erfolgreich tituliert werden, doch schließlich nickte der Opferkönig und sprach ein leises "Litatio", drehte sich nochmals zu den Sacerdotes und wiederholte laut "Litatio!", worauf doch ein leises Aufatmen durch jene Reihen ging. Die Gaben für den Unterirdischen wurden dem Feuer übergeben, wie auch der Rest des Tieres nicht verteilt werden, sondern vergraben werden würde, galt ein dem Diovis gegebenes Tier doch als zu unrein, um es hernach noch zu verzehren. Mit knappen Worten schloss der Rex Sacrorum die Zeremonie, schlug die Falte seiner Toga vom Kopf und verließ den Ort, gesäumt von seinen Liktoren. -
Die wechselseitigen Entschuldigungen und Beteuerungen der Unversehrtheit zwischen seiner Nichte Arrecina und Senator Purgitius ließ Gracchus recht unbeeindruckt an sich vorüber ziehen, Arrecinas Worte bezüglich unangenehmer Begegnungen jedoch trafen ihn tief, denn sie zeigten ihm, dass sie sich noch immer an nichts erinnerte und gleichsam alles, was ihr seitdem in den Räumen dieses Hauses widerfuhr als fremd und unangenehm aufnahm. Auf sich selbst bezogen war dies wahrlich nicht verwunderlich, wenn auch äußerst deplorabel. Doch dass sie auch die Anstrengungen der übrigen Hausbewohner, ihr die Sicherheit ihrer Familie zu bieten, gar nur als unangenehm auffasste, dies war mehr als nur desolat, gleichsam wie es letztlich wiederum ob seines Versagens in seiner Schuld lag. Ein kurzer Blick voller Unbehagen suchte seinen Vetter Aristides' zu erreichen, doch jener war augenscheinlich völlig in den Gedanken um seine Sponsalia gefangen, immerhin sein Recht an diesem Tage. So reihte sich denn auch Gracchus wieder in die patrizische Farce, waren ihm Gespräche über militärische Strategien und Schlachten doch gänzlich ohne Reiz.
"War dies Porcius Laeca, Senator? Ich erinnere mich an diese Angelegenheit, obgleich die Nachrichten in Achaia damals eher spärlich eintrafen, und war es die Nachricht einer bevorstehenden Schlacht, so war diejenige über den Ausgang dieser bereits meist mit angehängt. Vielleicht möchtest du uns beim Essen darüber berichten? Ich war mir bisherig gar nicht dessen bewusst, dass du der Mann gewesen bist, welcher die römischen Truppen damalig anführte."
Er deutete zu den Klinengruppen hin und achtete darauf, dass auch Arrecina sich anschloss. Die infantile Reaktion ihres Bruders war bereits genügend der Rebellion für einen Abend, und gerade da Gracchus wusste, wie sehr Aristides' an seiner Tochter gelegen war und wie viel ihm ihre Anwesenheit bedeuten würde, wollte er dafür Sorge tragen, dass sie zumindest bis zur Beendigung des Mahles blieb, gleichsam ihm nicht verborgen geblieben war, dass sie augenscheinlich wenig Gefallen an all dem fand - doch da sie ihm ohnehin bereits abweisend gegenüber stand, wie Gracchus glaubte, so konnte ihr Verhältnis kaum mehr darunter leiden.