Die Thematik der Damen in Politik und Amt war nichts, was Gracchus disputieren konnte oder wollte, denn unweigerlich brachte dies in seinem Falle, wie bereits geschehen, die Sprache auf seine Mutter, und noch immer konnte er nicht wertfrei über sie und ihren Weg sinnieren und sich darum in neutraler Weise mit der allumfassenden Thematik der Frauenpolitik auseinander setzen. Zwar zürnte er seiner Mutter nicht mehr in jener Weise, wie er dies noch vor wenigen Jahren getan hatte, nicht ob ihrer Karriere, denn mehr ob ihrer persönlichen Familiengeschichte, doch jenes Band war viel zu emotional und viel zu fragil, als dass es bereits einer umfassenden Prüfung Stand halten könnte, ohne dabei zu riskieren, es erneut zu zerreißen, woran Gracchus derzeitig wenig gelegen war, versuchte er doch krampfhaft die familiären Fäden beieinander zu halten, was ihm gerade in letzter Zeit nicht unbedingt leicht fiel. Doch auch den weiteren Ausführungen konnte er nicht gänzlich folgen, glaubte er doch, bei all dem etwas übersehen zu haben, denn das Gesamtbild wollte nicht recht zusammen passen.
"Gestatte mir noch eine Frage, Claudius, denn dieser eine Punkt ist mir bisweilen noch nicht gänzlich luzid. Aus welchem Grunde genau siehst du in der Verlobung deiner Tochter mit meinem Vetter im Maius keinen Bruch der strengen Tradition, während du anderen vorwirfst, in diesem Monat ihre Nuptiae zu begehen? Du kannst nicht ernsthaft einen Unterschied zwischen Sponsalia und Nuptiae ziehen, geht es doch hierbei traditionell nicht um Verbote und Gebote der Familienpolitik, sondern viel eher um die allgemeine Qualifikation der Tage. Nicht von ungefähr sind jene für die Verbindungsschließung importunen Tage solche, an welchen keine öffentlichen Verhandlungen und Abstimmungen geführt werden, ebenso wie kein Mann mit Tradition an solch einem Tag einen Vertrag abschließen würde. Ebenfalls kannst du kaum das Argument des drohenden Krieges gelten lassen. Aristides mag in den Krieg ziehen, doch ist dieser ein Vorwand, die Tradition zu ignorieren? In diesem Falle könnten wir die Tradition gänzlich abschaffen, denn seit ich nach Rom zurückgekehrt bin, könnte ich mich an keinen Tag erinnern, an welchem die Pforten des Tores des Ianus geschlossen waren und ich wollte nicht beschwören, dass sie es je zu meiner Lebzeit waren - was sub specie aeternitatis zugegebenermaßen ein sehr geringer Zeitraum sein mag, doch wie ich finde durchaus lange genug, um der Tradition darin Respekt zu zollen, andernfalls stünde ich kaum dort, wo ich stehe. Wenn diese Verbindung also streng im Sinne der alten Traditionen hätte geschlossen werden sollen, so hätte dies entweder früher getan werden müssen, oder aber man hätte warten müssen, unabhängig, ob die Zeit bis Aristides' Rückkehr womöglich in Jahren gerechnet werden muss."
Beiträge von Manius Flavius Gracchus
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Es war kurz vor Ende der Amtszeit, in welcher Flavius Furianus Praetor urbanus und Flavius Gracchus Decemvir litibus iucandis gewesen waren, als ein Bote eine Tabula zum Officium des Praetoren brachte.
Decemvir litibus iudicandis Manius Flavius Gracchus Praetori urbano Lucio Flavio Furiano s.d.Eine Überprüfung der Erbangelegenheit Marcus Decimus Corbulo ergab die Korrektheit der bereits getätigten Angaben. Das Erbe wurde an die beiden aufgelisteten Erben, die Geschwister des Verstorbenen, Titus Decimus Verus und Decima Pulchra, nach gültigem Gesetz aufgeteilt.
Im Erbfall Sergia Seia fand sich tatsächlich eine Inkorrektheit bei Nennung des Publius Sergius Epulo. Die korrigierten Angaben lauten wie folgt:
Sergia Seia
verstorben: ANTE DIEM XII KAL MAI DCCCLVII A.U.C. (20.4.2007/104 n.Chr.)
Stand: sui iuris
Erbberechtigt: Caius Sergius Curio (Bruder), Publius Sergius Epulo (Bruder); nach Ablauf der vorgegebenen Frist: Staat
Vermögenswerte:
~ 73,81 Sesterzen
~ diverse WarenbeständeM.F.G.
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Wie dies bereits zu erwarten war, da sich dies kaum je vor dem Ende der Welt würde ändern, so begann der folgende Tag mit dem Hereinbrechen des Morgens. Die Strahlen der Sonne schoben sich über das Land, verdrängten mit der Dunkelheit auch jene nächtlichen Jäger, die durch die Laute ihrer Kommunikation Gracchus des nächtens völlig verstört hatten, und wärmten schließlich den Körper der in unruhigem Schlaf unter einem Baum am Wegesrand gefangen war. Ein fideles Paar Rotkehlchen in den Ästen über ihm zwitscherte Gracchus schließlich mit seinen fröhlichen Gesängen aus dem Schlaf heraus zurück in den Tag. Zuerst hatte er das Gefühl, jegliches Gefühl verloren zu haben, doch bald stellte sich heraus, dass dies nur daher kam, da sein ganzer Körper in einem einzigen Gefühl schmerzte, was jegliche andere Empfindung überdeckte. Er ließ seine Schulter- und Nackengelenke ein wenig knacken und stand schließlich auf, schwankte jedoch sogleich und lehnte sich an den Stamm des Baumes, da sein linker Fuß dem restlichen Körper noch nicht gefolgt und noch immer im Schlaf inbegriffen war. Er schüttelte das Bein und trat schließlich vorsichtig auf - was er brauchte war ein Sklave mit einer Schüssel warmen Wassers, der ihn abbürstete und sein Blut in Wallung brachte. Unweit, auf der anderen Seite des Weges, rauschte in friedlicher Eintracht das Wasser des Tibers dahin.
"Oh nein."
Ein unbedarfter Zuschauer hätte vermuten können, dass jene vor Pein triefenden Worte aus dem Grunde aus Gracchus' Mund entwichen, weil er sich soeben der gesamten Situation, in welcher er sich befand, wieder bewusst geworden war, doch dem war mitnichten so, hatte Gracchus doch selbst im Schlaf seine Situation nicht vergessen. Jene Worte, aus welchen das Leid des Erkennens sprach, bezogen sich einzig und allein auf die eisige Kälte, welche der Tiber für jene bereit hielt, welche den Entschluss gefasst hatten, sich in ihm zu waschen, um wieder halbwegs Mensch zu werden. Um sich noch einen kurzen Aufschub zu gewähren, trat Gracchus vorerst hinter den Baum - trotz allem fühlte er sich noch immer beobachtet, um sich zu erleichtern, doch jeder Fluss aus dem Körper eines Menschen fand irgendwann sein Ende, so dass Gracchus schlussendlich wieder vor den Baum trat und verzweifelt zum Rauschen des Flusses blickte. Mit einem Gesicht, als wären dies die letzten Schritte seines Lebens, überquerte er die Straße und begab sich zum Ufer des Flusses hinab an eine Stelle, an welcher dieser bereits nahe des Ufers tief genug war, als dass ein Mann darin bis zur Hüfte konnte stehen. Er zog die einfache Tunika über den Kopf und stand schließlich, schon jetzt am ganzen Leib zitternd, nackt am Ufer des Tiber und blickte auf das im morgendlichen Sonnenlicht so unschuldig glitzernde Wasser hinab. Manchem Römer galt das Waschen mit eisig kaltem Wasser am Morgen als Tugend, doch Gracchus hatte noch nie etwas tugendhaftes daran finden können, sich bereits am frühen Tag dermaßen zu erniedrigen und daher schon immer auf angenehm temperiertes Wasser bestanden, ob beim Reinigen des Körpers nur mit Schwamm, und hernach Öl und Strigilis, oder auch für ein frühes Bad. Vorsichtig streckte er einen Fuß in das Wasser, sog scharf die Luft ein und zog ihn eilig wieder zurück.
"Dius Fidus!"
Er konnte das Bad dringend gebrauchen, waren die Möglichkeiten sich zu waschen im Keller unter den Weinbergen doch eher rudimentär gehalten gewesen. Mit zusammengebissenen Zähnen trat er nach vorn, dass seine Füße vom kühlen Nass umspült wurden, ging dann rasch immer weiter in die Fluten und verkniff sich mühevoll ein Aufquieken, welches einer Flavia zwar zur Ehre gereicht, für einen Flavius jedoch völlig würdelos gewesen wäre, und obgleich kaum irgendwer in der Nähe war um dies indelikate Verhalten zu tadeln, so blieb Gracchus dennoch ein Flavius. In stolzer Entschlossenheit tauchte er schließlich einmal unter, rieb sich den Körper gründlich im Wasser ab und hastete sodann völlig würdelos ans Ufer zurück, wo er bibbernd versuchte, die kühlen Tropfen von seiner Haut zu streichen. Es gelang mehr schlecht als recht, so dass, als er die Tunika schlussendlich wieder über den Kopf zog, diese das restliche Nass in sich aufnahm und klamm an seiner Haut klebte. Da die Sonne sich jedoch anschickte, auch an diesem Tage erneut mit unbarmherziger Heftigkeit auf die Welt herab zu scheinen, würde dies ohnehin nicht mehr lange der Fall sein. Gracchus schüttelte noch einmal mit den Händen die Tropfen aus seinem Haar, schöpfte noch etwas Wasser zum Trinken aus dem Fluss und begab sich schließlich zurück auf den Weg. Für einen Moment zögerte er - war er am gestrigen Tag von rechts oder links her gekommen? Die Berge zur Linken kamen ihm bekannt vor, doch gleichsam die Berge zur Rechten, was vermutlich daran lag, dass alle Berge um ihn herum sich viel zu similär waren, als dass Gracchus einen von ihnen hätte unterscheiden können. Nach einem derangierten Blinzeln wandte sich Gracchus noch einmal zum Fluss um. Der Tiber floss nach Rom, somit musste er nur immer dem Fluss folgen - immerhin soweit funktionnierte sein Geist noch, wie Gracchus zufrieden feststellte, bevor er sich nach links wandte und sich wieder auf den Marsch nach Rom begab. Nach wenigen Schritten stellte er fest, dass seine Füße nach dem Ausruhen der Nacht nicht weniger schmerzten, denn am Vortag, sondern sogar noch mehr, was ihn recht verärgerte, doch waren seine Füße augenblicklich ein eher geringeres Problem, verspürte er doch bereits wieder - oder immer noch - einen äußerst besitzergreifenden Hunger aus seinem Bauch emporsteigen. -
Da sich augenscheinlich keiner der Sodales zum Magister der Salii palatini berufen fühlte, gab es nur eine Alternative, die denn auch keine mehr war, denn die Sodalität konnte sich nicht gegen Gracchus entscheiden, sofern kein anderer bereit war, dies Amt zu übernehmen.
"Nun gut, so fühle ich mich geehrt, weiterhin den Vorsitz über unsere Sodalität innehalten zu dürfen. Kommen wir zum nächsten Punkt der Tagesordnung. Es ist mir eine besonders große Freude, Claudius Myrtilus heute zum ersten Mal in diesen heiligen Hallen begrüßen zu dürfen."
Er nickte dem alten Mann freundlich zu.
"Vielleicht möchtest du dich selbst kurz vorstellen, Claudius?" -
Senator Flavius Felix in seiner Ruhe zu stören gehörte nicht unbedingt zu jenen Aufgaben, welche die Sklavenschaft der Villa Flavia sehr gerne übernahm. Dennoch, sollte es vonnöten sein, so mussten sie sich auch dieser Aufgabe stellen, und sollte sich herausstellen, dass es besser nicht vonnöten gewesen sein sollte, so mussten sie auch die absurden Methoden der Strafe des Hausherrn über sich ergehen lassen. Vom Ianitor beauftragt, klopfte der junge Sklave an die Türe des Arbeitszimmers und meldete den Quaestor principis Manius Matinius Fuscus in einem Auftrag des ehrenwerten Imperator Caesar Augustus.
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Zitat
Original von Manius Matinius Fuscus
"Salve," antwortete der Sklave, der geklopft hatte. "Mein Herr, der Quaestor principis Manius Matinius Fuscus wünscht mit Senator Felix, im Auftrag des ehrenwerten Augustus zu sprechen."
Acanthus zögerte nicht lange, denn im Auftrag des ehrenwerten Augustus waren Worte wie Schlüssel, zumal der vermeintliche Quaestor principis nicht den Eindruck erweckte nicht derjenige zu sein, der vorgab. Ein junger Sklave wurde angewiesen, den Gast zum Arbeitszimmer des Hausherrn zu geleiten. -
Obgleich das Gespräch durchaus seinen Reiz hatte und die Distanz zwischen ihnen wieder geschrumpft war aufgrund des Wissens, dass jene Einladungen auf deren Nichtexistenz ihnbezüglich hin Gracchus etwas indigniert gewesen war, mit den Gegebenheiten der Verbindungspolitik zu tun gehabt hatten, so verlor das gerade erst im Entstehen inbegriffene Vertrauensverhältnis von einem Augenblick auf den anderen jegliche Basis mit Vesuvianus' Frage nach Gracchus' Nachkommenschaft. Denn obgleich die Frage in ein Gewand aus unverfänglichen Worten gekleidet worden war, so war sie denn gestellt und blieb eine Frage, wie ein Pirat in der Toga eines Magistraten immer würde ein Pirat und ein Patrizier ohne Schuhe immer ein Patrizier würde bleiben. Gracchus' Miene erstarrte und er biss seine Kiefer aufeinander, bis wieder sein Backenzahn sich meldete, der Schmerz peinvoll in einem kleinen Knall explodierte und Gracchus ob dessen zusammenzuckte, was ihn aus seiner Starre riss. Vermutlich wäre eine humorvolle Antwort die beste alle möglichen Alternativen gewesen, doch gerade in dieser Hinsicht besaß Gracchus nicht das geringste Quäntchen Humor, war er sich dessen nur allzu bewusst, welch öffentliches Versagen auf ihm lastete, solange ein Nachkomme nicht in Aussicht stand, was in Anbetracht der Zeit, welche er bereits mit Antonia vermählt war, schon längstens hätte der Fall sein sollen. Doch wie auch seine Antwort würde lauten, solange er sich nicht in eine Lüge würde flüchten, was er schon aus Prinzip nicht tun konnte und welche ihm ohnehin spätestens in einigen Monaten würde zur Last gelegt werden, solange wäre in jedem Falle deutlich, dass er als Ehemann bisherig versagt hatte, denn obgleich dies durchaus andere Gründe hatte, so hätte er in anderem Falle, bei Unfähigkeit seiner Gattin, sich längst aus der Verbindung lösen können und müssen. Mehr als beschämt griff Gracchus nach dem Becher mit Wein und trank einen größeren Schluck als üblich, um seinem Zahn Kühlung und sich Zeit zu verschaffen. Doch Tiberius Durus bewahrte ihn vor der Notwendigkeit einer Antwort, denn auf Claudius' Wink oder auch auf dessen Worte hin, beteiligte sich dieser nun am Gespräch. Gracchus fragte sich, ob Vesuvianus sich hinsichtlich der Familie seines künftigen Schwiegersohnes kundig gemacht hatte. Augenscheinlich nicht, doch Gracchus sah es nicht als seine Aufgabe, die Familienverhältnisse auf den Tisch zu legen, denn er würde tatsächlich selbst nur marginal besser dastehen als sein Vetter, wenn auch aus anderen Gründen. Natürlich wurden Traditionen in der Flavia hoch gehoben, höher meist, als irgendwer überhaupt noch langen konnte, dennoch wollte Gracchus nicht ganz einleuchten, wie Claudius gerade mit solcherlei Ansichten auf Aristides gekommen war, der zwar durch und durch von Traditionen geprägt war, gerade von seiner Mutter, doch gleichsam so wenig Elan zeigte, sich den dadurch entstehenden Pflichten zu stellen. Sein Eintritt in die Legionen und sein Dienst als Centurio war immerhin nicht unbedingt ganz das, was einem Mann seines Standes zustand, und mochte dies auch durch mehrere Wirrungen begründet sein, so zeigte Aristides zudem auch kaum Ambitionen, dies zu ändern, sondern war rundum zufrieden mit sich und der Welt - durchaus ein Charakterzug, um den Gracchus seinen Vetter beneidete - und vor allem seine Einstellungen und sein Lebenswandel ließen hinsichtlich seines Standes des Öfteren zu wünschen übrig, was ihn jedoch ebenso wenig störte - ein Charakterzug, den Gracchus vordergründig natürlich nicht gut heißen, um den er Aristides jedoch innerlich dennoch ebenfalls ein wenig beneidete. Da gerade solcherlei Dinge nun erörtert wurden und er sich aus seiner Derangierung bezüglich seiner Nachkommenschaft bereits ein wenig erholt hatte, wozu nicht zuletzt der Wein seinen Beitrag leistete, verlagerte Gracchus sein Gewicht vom linken auf den rechten Arm, der Appetit war ihm ohnehin vorerst vergangen, und band sich wiederum in das Gespräch ein, auch um die augenscheinlich ein wenig angespannte Lage zu lösen, denn gegensätzlich zum Nichtvorhandensein seiner Nachkommen, an welchem er selbst die wohl größte Schuld trug, konnte Gracchus die Taten seiner Vorfahren durchaus mit einem gewissen Abstand betrachten, lasteten sie zwar auf seinen Schultern, waren doch gleichsam nicht zu ändern.
"Mein lieber Tiberius, du würdest staunen, wenn ich dir erzählte, was meine Mutter noch alles in ihrem Leben war, außer Procuratrix der Provinz Aegyptus. Doch es ist beileibe nicht das Desolateste, was eine Flavia je war oder getan hat, wiewohl die Taten der weiblichen Flavia auch nicht das Blamabelste sind, was je überhaupt ein Flavia getan hat. Doch, Tiberius, müssen wir uns derer schämen, die uns aus ihren Samen entspringen ließen, können wir uns überhaupt derer schämen, die uns vorangegangen sind? Gerade Claudius, mein Vetter Furianus und ich, können sich dies kaum leisten, ohne dass wir aus Scham zergehen müssten. Denn wollen wir Anspruch auf die göttlichen Kaiser erheben, so müssen wir gleichsam die verdorbenen ebenfalls anerkennen. In der Tat ist dies ein Dilemma, welches mich selbst ob meiner Verbindung des Öfteren beschäftigt, denn es bereitet mir durchaus Sorge, dass mein Sohn aus dem Spross der Claudia jene Blätter entfalten könnte, die ihn dem Wahn anheim fallen lassen, und aus meinem eigenen Spross zudem jene Blätter, die ihn zum dominus et deus erheben. Um ehrlich zu sein, es würde mir weniger Sorge bereiten, wenn ich mir könnte sicher sein, dass er nur ein wenig zu liberal gedeihen wird. Bezüglich der Traditionen solltest du jedoch selbst nicht zu voreilig sein, Claudius, denn hast nicht auch du die Verlobung deiner Tochter im Maius zugelassen, in einer Zeit zwischen Lemuria und Carnaria? Doch gleichsam, wie könntest du dich erdreisten einen der Vesta zugedachten Tag als einen jenen zu bezeichnen, an welchen keine Verbindung geschlossen werden sollte? Es ist nicht die Tradition, welche glückverheißende Feste im Monat Maius verbietet, Claudius, es ist das Unwissen. Zu viele verbotene Tage liegen im Mai, als dass der einfache Mensch sich der Gefahr will aussetzen, einen derjenigen für den Schluss seiner Verbindung zu wählen, doch da tatsächlich sich niemand um Genauigkeit scheren will, so wird auch hier pauschalisiert und ein gesamter Monat kurzerhand als ungünstig erklärt. Zu vieles, was heute als Tradition gepriesen wird, ist längst nicht mehr verständlich, und wer kann dies als unumstößlich festsetzen, wenn er es nicht erklären, geschweige denn auch nur im Ansatz nachvollziehen kann? Gerade in Bezug auf unsere religiösen Riten halte ich es für unverzichtbar, diese zu hinterfragen, für uns neu erfassbar zu machen und sie so nicht nur zu verklärter Tradition zu erheben, sondern gleichsam zu alltäglichem Gut, welches den Göttern und dem Staat mehr zur Ehre gereicht, denn aus falschem Pflichtgefühl unter dem Siegel der Tradition stupide durchgeführte Handlung." -
Auf diese Worte hin sah sich Gracchus entlassen. Er erhob sich und nickte seinem Vetter, der sein Neffe war, noch einmal zu.
"Wir sehen uns in der Villa, vale Furianus."
Es schien ihm, als würde er sich in offiziellen Angelegenheiten immer wieder solcherart von seinem Vetter verabschieden, doch nie hatten sie hinterher zuhause mehr als ein Nicken oder einen kurzen Gruß füreinander übrig, wenn sie sich durch den Zufall geleitet im Hause begegneten. Vielleicht mochte es daran liegen, dass Furianus trotz allem doch einige Jahre im Kreise der Flavia fehlten, doch andererseits war sein Bruder Milo hinsichtlich dessen auch nicht viel anders und jener hatte von Beginn an all die italischen Festivitäten über sich ergehen lassen müssen, weshalb es wohl doch eher in ihrer Abstammung begründet lag, gab sich Felix doch auch nie sehr familiär. Vor der Tür gestattete sich Gracchus ein kaum sichtbares, erleichtertes Aufatmen, bevor er hektisch nach etwas Beschreibbarem suchte, bis er schließlich einen Scriba abpasste und eine Tabula forderte. Marcus Decimus ... war es Corbulo oder Cordulo gewesen, oder vielleicht Corulo? Warum hatte er auch nur den Sklaven schon vor Ende des Gespräches hinaus gesandt, wo er doch genau wusste, dass er sich solcherlei Banalitäten kaum bis nach Hause würde merken können. Ob dessen schrieb er vorerst alle drei Namen auf und schickte einen seiner vor der Basilica wartenden Sklaven auf den Weg, um alle drei Erbfälle zu verifizieren, bevor er sich auf den Rückweg zu den Archiven machte, da seine dortige Arbeit noch nicht beendet gewesen war. -
Wie ein fernes Lied über Leben und Sterben, über Entstehen, Werden und Vergehen, über die Alltäglichkeit und das Besondere, drang die Geräuschkulisse aus den Straßen, Gassen und Hinterhöfen Roms hinauf auf die Kuppe des Mons Capitolinus, hinauf vor den Tempel der göttlichen Trias hin, der unbeeindruckt von den Sorgen und Nöten der Menschen zu seinen Füßen beständig wie die Götter selbst dort oben über allem thronte. Für seine Rückkehr in den Dienst der Götter hatte Gracchus eine seiner besten Togen ausgewählt, ohnehin setzte sich hier am Tempel der Trias kein Staub am Saum des teuren Stoffes fest, sorgten doch unablässig Tempelsklaven für Sauberkeit und Ordnung. Staub war dieser Tage zwar beileibe nicht die größte Gefahr, doch dass das Gewand kaum mehr lange zu gebrauchen sein würde, da sich das Opferblut nur unbefriedigend daraus entfernen ließ, störte Gracchus wenig, denn einerseits hatten sich die Flavia noch nie groß Gedanken über die Aufstockung ihrer Togenvorräte machen müssen, andererseits war er noch immer oder auch wieder dem Iuppiter in besonderer Weise verpflichtet. Gefolgt von einigen Sklaven betrat Gracchus nach Beendigung seiner Magistratur als Vigintivir des römischen Staates die cella des höchsten und bedeutendsten Gottes der gesamten Welt. Am Becken neben der Pforte wusch er seine Hände, sodann schlug er sich eine Falte der Toga über den Kopf, bevor er dem Bildnis des Gottes entgegen trat. Der Iuppiter war aus weißem Alabaster gemeißelt, vor etlichen Jahrzehnten, Jahrhunderten schon von Catulus gestiftet worden, um das Imperium Romanum vor Verrat und innerem Zerfall zu bewahren. Der Herrscher über die Götter hatte es seinem Volk nicht vergessen, noch immer blickte die bärtige, väterliche Statue aus ihren dunkelblauen Lasuraugen mit Wohlwollen auf Rom hinab, und sein Volk wiederum ehrte ihn wie es ihm gebührte, trug dafür Sorge, dass der Stein poliert und geölt, die hölzernen Teile beizeiten ausgebessert und das Blattgold, welches Haar und Bart durchzog, immer wieder ein wenig ergänzt wurde, abgesehen von all den Gaben, welche tagtäglich zu Füßen des Gottes abgelegt, und den Tieren, welche zu seinen Ehren auf dem marmornen Altar vor dem Tempel geopfert wurden. Als Gracchus den Kopf wandte, um den Blick des Gottes zu suchen, schien es beinahe, als blitzten die Augen im Licht der zahlreichen, flackernden Flammen belustigt auf, weshalb der Sacerdos beschämt den Kopf senkte, eine Hand voll Benzoekörner aus einer der Bronzeschüsseln nahm und sie über die Kohlen warf, welche zu Füßen der Statue auf einem Rost glimmten.
"Iove Capitoline ..."
Noch ehe er recht begonnen hatte, verstummte Gracchus bereits wieder, denn er wusste nicht, wo zu beginnen. In unbewusster weise sog er die Unterlippe zwischen die Zähne und kaute eine Weile darauf herum, während vor ihm die Räucherkörner verbrannten und die Umgebungen in einen feinen, wohlriechenden, grauen Rauch tauchten.
"Iove Capitoline,"
setzte er schließlich erneut an.
"Wie es Dir zusteht, gebührt Dir mein Dank, wie es Dir zusteht, soll meine Gabe dies zum Ausdruck bringen. Mein Schicksal legte ich einst in Deine Hände, gab meinen Dienst Dir im Gegenzug. Mein Schicksal legte ich ein weiteres Mal in Deine Hände, so will ich auch nun meinen Dienst Dir wieder geben im Gegenzug, da Du mein Leben, meine Zukunft mir bewahrt hast. Mag in mir der Zweifel erwachsen sein, ob der Richtigkeit dieses Weges, doch kein Zweifel ist mehr in mir ob der Richtigkeit meiner Entscheidung. Mag mir keine große Zukunft vergönnt sein, Iove, wie könnte ich göttergleiche Entscheidungen anzweifeln? Do ut des - Du hast gegeben, so gebe ich mich in Deine Hände, erneut und ohne Zaudern."
Den Kopf zur Seite gewandt winkte Gracchus den Sklaven mit den Gaben, gab Feigen und Datteln auf den Opfertisch, goss schließlich eine kleine Amphore Wein aus den flavischen Beständen in die Kuhle für die flüssigen Opfergaben hinein.
"Ich gebe, wie Du gegeben hast, Iove Capitoline, wie es Dir zusteht, diese Gaben."
Das warme Licht der Kerzen und Öllampen, die Hitze der Flammen und glühenden Kohlen, der feine Schleier aus Rauch, welcher den gesamten Tempel durchzog, und nicht zuletzt das leise, beruhigende Knistern durchspülten Gracchus' Geist mit einem Gefühl der Sorglosigkeit, einer in den letzten Monaten so selten verspürten inneren Harmonie und Ausgewogenheit, gleichsam seltenen Zufriedenheit mit sich und der Welt. Sein Blick wanderte über die großen Füße des Iuppiter, die Robe aus Porphyr hinauf über die auf den Knien ruhenden Hände, den in feinen Locken gekräuselten Bart bis zu den lasurnen Augen, und als Gracchus sich umwandte und dem Tempelausgang entgegen strebte, lag ein feines Lächeln über seinen Lippen. Draußen vor dem Gebäude warteten bereits die übrigen Sklaven mit dem Opfer, einem weißfarbenem Widder, dessen Hörner und Hufe goldfarben glänzten, und in dessen zotteliges Fell Zinnspähne gerieben worden war, auf dass es silbrigfarben im Sonnenschein glänzte. Gracchus trat an den Altar heran und zog geschickt sein Opfermesser aus der Scheide am Gürtel, die unter der Toga verborgen war.
"Oh Iove, hochgelobter, Iove höchster und größter!
Vater allen Seins, Prinzip, Anfang und Ende von allem,
dessen Deine Macht allmächtig ist, der Du die Welt bewegst,
der Dir alles Sein und alle Natur entspringt!
Glückverheißender, nimm meinen Dank, mit dem ich meine Schuld begleiche,
mit Frieden, Göttlicher, und dem notwendigen Wohlwollen,
wie auch mein Schicksal!"
Obgleich sein Geschick mit einer Waffe kaum je über die rudimentären Grundlagen des Kampfes mit einem Gladius hinaus gehen würde, so lag das rituelle Messer doch fest und sicher in Gracchus' Griff, nicht nur, als er dem Widder mit der stumpfen Seite der Klinge über den Rücken strich, auch dann, als er mit der Linken eines der Hörner griff, den Kopf des Tieres hob und mit schneller, routinierter Bewegung in die Kehle des Widders stach. Das rotfarbene Blut schoss aus der Wunde hervor, ergoss sich über den steinernen Boden, auf welchem sich bereits die blutigen Spuren Jahrhunderte alter Tradition zeigten, durchzog das reine Fell des Widders mit dunklen Fäden, befleckte auch die Toga des Sacerdos, der das Horn des Tieres lange noch festhielt, selbst als die Hinterläufe des Widders schon einknickten, der tote Körper erschlaffte und mit allem Gewicht nach unten zog, so dass Gracchus' linker Arm zu zittern begann und er mit der Rechten das andere Horn packte, um das Tier so lange zu halten, bis der Blutstrom aus dem Schnitt an der Kehle schließlich versiegte. Erst dann ließ er den Widder langsam auf den blutigen Stein hinab, dass einer der Sklaven ihm die Eingeweide herausschneiden konnte. Gracchus' Blick auf die vitalia war nur von kurzer Dauer, sofern jene nicht völlig schwarz waren, war deren Zustand in Anbetracht des privaten Opfers ohnehin belanglos.
"Litatio,"
sprach er leise, mehr aus Gewohnheit, ließ sodann das Feuer in der bronzenen Schale auf dem Altar entfachen, und wartete geduldig, bis die Flammen in adäquater Weise gen Himmel züngelten, auf dass er die dem Iuppiter zustehenden Fleischstücke dem Reich der Götter übergeben konnte. Als sich der Odor des verbrennenden Fleisches um Gracchus' herum ausbreitete, bebten seine Nasenflügel und er sog für einen Moment das nicht unbedingt wohlriechende Aroma durch die Nase ein, bevor er sich schließlich abwandte und die Togafalte von seinem Kopf zurück schlug. Das Opfer war beendet, Gracchus zog sich den mit Blut befleckten Stoff der Toga von den Schultern, ließ ihn achtlos zu Boden gleiten, und wusch sich die Hände in einer bereitgehaltenen Schüssel. Sodann breitete er die Arme aus, auf dass seine Sklaven ihm eine neue, saubere Toga um den Körper drapieren konnten und wandte sich dem Tempel zu, um seinen nun wieder regulären Dienst als Sacerdos publicus des Imperium Romanum aufzunehmen - erneut und ohne Bedauern. -
Die unerwartete vertraute, beinahe zärtliche Geste seines Vetters ließ Gracchus' einen Augenblick schwanken, wie so oft, ließ gleichsam Begierde und Bedauern erwachsen, Empfindung aus Scham und Schwärmerei, Gefühl von Verlangen und Verlust. Ein Herzschlag nur, eine Hand auf seinem Arm, und alle Mauern brachen um ihn herum, als würde die Erde sich um ihn auftun und sie verschlingen, alle Barrieren zerbarsten wie unter dem Ansturm einer Armee, und all jene fest gefassten Entschlüsse und Vorsätze zerplatzen wie schimmernde Seifenblasen. Würde sein Innerstes sich nach Außen kehren, von Gracchus wäre in diesem Augenblick nicht mehr übrig geblieben, als ein Häufchen Staub, zu welchem er zerfallen war, doch da noch immer der Körper als Hülle des Menschen bestehen blieb, stand er nur da, ungerührt, den Blick starr auf Aquilius gewandt, der mit seinen eigenen Augen längst sein Heil in der Flucht in den Garten suchte. Tiefer Scham überkam Gracchus, als er sich schlussendlich derangiert blinzelnd des Geschehens in sich selbst bewusst wurde, denn immer wieder gab er sich der trügerischen Hoffnung, dem allen widerstehen zu können, dies endgültig aus sich vertrieben zu haben, nur um schlussendlich ob solch marginaler, unbedeutender Nebensächlichkeiten völlig die Contenance zu verlieren. War er darauf vorbereitet da er seinem eigenen Antrieb folgte, so konnte er genießen, was nicht durfte sein, doch plötzlich unerwarteten Überraschungen war Gracchus seit jeher nicht gewachsen. Aquilius' Worte ob dergleichen Schwachsinnigkeiten zogen durch seinen Geist, als würde Caius sein Innerstes blicken und ihn zu Anstand mahnen.
"Du ... magst Recht haben."
Trockenheit hatte sich in Gracchus' Kehle ausgebreitet ob des vielen Staubes seiner Person, er schluckte und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, noch immer leicht derangiert und nicht mehr sicher, was es noch zu sagen galt. Hochzeiten, Vermögen, Erbschaften, Erben - Farce auf Farce, Belanglosigkeiten, und doch alles, was zählte. Es drängte Gracchus mit einem Mal, dem allen zu entkommen, doch im Grunde versuchte er nur, seinem Vetter zu entkommen.
"Sorge dich nicht allzu sehr darum, keine Familie kann es sich leisten, dich abzuweisen. Doch nun sollte dies alles ohnehin deine geringste Sorge sein, Caius, du solltest erst einmal wieder ein ganzer Patrizier werden, bevor du über solche Dinge nachdenkst."
Ein feines Lächeln kräuselte Gracchus' Lippen, versuchte die Spur des Bedauerns in seinen Augen zu überdecken, denn wäre nicht alles so viel einfacher, könnte Aquilius seinem Stande entkommen, könnte er gleichsam mit ihm seinem Stande entkommen? Doch gleichsam waren allein solcherlei Gedanken bereits zu müßig, um sie anzudenken, was Gracchus doch nie davon abhalten konnte, sie immer wieder zu denken. -
Langsam zog sich im fernen Westen die Sonne hinter die Berge zurück, umrahmte ihre Konturen mit flammendem Schein und ließ das Land um Gracchus herum immer tiefer in Schatten versinken. Lief er tatsächlich erst seit den frühen Mittagsstunden in dieser tristen Einöde, oder spielte sein Geist ihm bereits Streiche? Zumindest kam es ihm hinsichtlich seiner Füße bereits so vor, als müsse er Tage, vielleicht auch Wochen unterwegs sein. Einige kleine Höfe und Landgüter hatte er am Wegesrand vorüberziehen lassen, hatte den Protest seines Magens ignoriert, jenes Organ nur wieder und wieder darauf hingewiesen, dass es zum Körper eines Patriziers gehörte und er trotz allem, trotz der Tatsache, dass er nicht wie ein solcher scheinen mochte, dass er trotz der misslichen Lage, der mangelnden Aussicht auf ein feudales Mahl und dem durchaus anzuerkennenden Gefühl der Mattigkeit, dass er trotz alldem nicht wie ein zerlumpter Bettler an der Türe eines Hauses klopfen und um Essen flehen würde. Er mochte bis auf die Knochen abmagern, bevor er einen Ort mit einer Taberna würde erreichen, doch er würde diese mit erhobenem Haupte betreten und die paar kläglichen Asse, die Dardashi ihm hatte zugestanden, für ein kärgliches Mahl eintauschen. Falls er überhaupt so weit würde kommen, bevor er nicht nur die Sandalen, sondern gleichsam seine Fußsohlen würde durchgelaufen haben. Es war Gracchus hundeelend zumute und als die Sonne ihre letzten Lichtstrahlen von der Welt abzog, hatte er noch immer keine Ortschaft erreicht, stand mitten in der Prärie, einsam und verlassen. Er suchte unter einem Baum Schutz, schlang die Arme um die Beine und blickte mit weit geöffneten Augen in die Dunkelheit hin.
"Achaia war nichts dagegen,"
murmelte er und erschrak sogleich über den lauten Hall seiner Stimme in der Stille. Doch als er genauer horchte, bemerkte er, dass um ihn herum längst nicht die Stille herrschte, welche er bevorzugt hätte. Noch immer zirpten Grillen, doch dazwischen hallten allerlei merkwürdige Geräusche durch die Dämmerung, von denen er besser nicht genauer bestimmen wollten, was sie verursachte, unterlegt vom stetigen nahen Rauschen und Glucksen des Tibers.
"Aus deinen Söhnen sind Feiglinge geworden, Vater, oder aber Piraten. Wer könnte dir verübeln, dass dein Geist rastlos ist? Ich kann es nicht."
Nun endlich bekam das tiefe Seufzen die Möglichkeit, aus Gracchus' Innerem zu entweichen, doch viel besser fühlte er sich hernach dennoch nicht. Er spürte die harte Rinde des Stammes an seinem Rücken, spürte den harten Boden unter seinem Gesäß, die langsam aufziehende Kälte auf seiner Haut, und mehr noch als all dies spürte er die aufkommende Furcht, die nicht aus der Nacht heraus kam, sondern aus ihm selbst, tief aus seinem Inneren. Firmitas, Gravitas, Prudentia und Dignitas, all die tief verinnerlichten Tugenden nützten nicht das Geringste in dieser verlassenen Einöde. Irgendwo unweit von Gracchus' Position knackte ein Ast, zur anderen Seite hin stieß ein Tier - sicherlich war dies ein Tier, obgleich, was konnte ihm versichern, dass dies keine Larven waren? - einen gellenden Laut aus, während über ihm die Blätter des Baumes raschelten, als würden dort die Lemuren durch das Geäst klettern, und der Fluss auf der anderen Seite des Weges unermüdlich rauschte, als würde dort der Styx die Seelen der Verstorbenen mit sich hinab in den Hades ziehen. War es dies, was Quintus hatte erreichen wollen, dass Gracchus sich völlig nackt und schutzlos fühlte in dieser von den Göttern verlassenen Welt, dass er völlig auf sich allein gestellt erfuhr, dass der Mensch in sich zerfiel, wenn niemand mehr um ihn herum war, der ihn konnte als Menschen anerkennen? Nein, vermutlich hatte Quintus Tullius ihn nur demütigen wollen, doch auch dies hatte er womöglich erreicht, denn je dunkler die Nacht und mehr Lichtpunkte am Himmel sichtbar wurden, desto mehr verfiel Gracchus in völlig irrationale Furcht und ob dessen vor sich selbst in Scham.
"Contenance, Manius, es ist niemand hier."
Wie zur Bestätigung dessen gellte wiederum ein hoher Laut durch die Nacht, eine Eule auf Beutezug nur, doch ein Gracchus völlig unbekannter Laut.
"Salve? Ist da jemand? Gib er sich zu erkennen!"
Lange war seine Stimme nicht so unbeirrt, wie er dies sich wünschte, denn unüberhörbar schwang ein leises Zittern in ihr. Mit weit aufgerissenen Augen starrte Gracchus in die Schatten der Dunkelheit, während das Zittern sich auch seines Körpers bemächtigte. Bewegte sich dort an der Biegung des Weges etwas? Hatte es nicht gar die Umrisse eines Wolfes oder vielleicht sogar eines Bären? Mit einem Schaudern dachte Gracchus an Ludi, bei denen solcherlei wildes Getier die Männer in der Arena in Stücke und Fetzen zerriss - Sklaven und Verbrecher, schutzlos den Gewalten der Natur ausgeliefert, wenn auch in gewisser Hinsicht vom Menschen kontrolliert. Doch hier kontrollierte niemand die Natur, niemand würde verhindern, dass solcherlei wilde Bestien über ihn herfielen, einen Bürger des Imperium Romanum zerfleischten und sich an seinem Leib gütlich taten. Doch womöglich war dies kein Tier, je weiter der Schatten sich näherte, desto eher schien es Gracchus, als war dies nichts Greifbares, nichts aus dieser Welt. Seit der misslungenen Bannung des Fluches seiner Nichte hatte Gracchus fortwährend das Gefühl, eine Brücke zwischen der Welt der verlorenen Seelen und der hiesigen geschlagen zu haben, eine Brücke, welche genau vor seiner Nase endete und die rastlosen Manen und Laren direkt zu ihm hin führte, mehr noch, dass auch jener Fluch, der einst in Achaia auf ihn gesprochen worden war wieder begonnen hatte, seine Wirkung zu entfalten, er in der untergründigen Welt wie eine Kerzenflamme aufleuchtete, welche die rachsüchtigen Geister wie Fliegen anzog. Angstvoll knetete Gracchus seine zitternden Finger und als er seinen verzweifelten Blick und seine Stimme zu den glitzernden Sternen hinauf wandte, lag mehr Furcht und weinerlicher Tonfall in seiner Intonation, als er dies normalerweise hätte ruhigen Gewissens ertragen können, doch in dieser Nacht war sein Gewissen längst auf der Strecke geblieben.
"Oh, Iove, erhabener Götterfürst, verlass mich nicht! Einmal schon hast Du mir deine Gust erwiesen, wäre es vermessen, sie ein zweites Mal zu erbitten? Es war unrecht von mir, den Dienst in Deinem Tempel als zu gering zu erachten, verzeih mir, höchster und größter der Götter, der Du am hellsten erstrahlst. Ich ersuche Dich, Iove, nimm meine Bitte um Verzeihung an, denn gleichsam will ich mein Leben noch einmal in Deine Hände legen, so wie ich gleichsam Dir noch einmal offeriere, den Dienst in Deinem Tempel im Anschluss an die Magistratur weiter zu verrichten, mit all meinem Eifer und all meinem Elan, und möge es bis ans Ende meiner Tage sein. Ich werde mich auch nicht wieder beklagen, dies assekuriere ich Dir, oh Iove, bei den Seelen meinen Vorfahren, nur halte Deine gütige Hand über mein wertloses Leben, ich bitte Dich!"
Nichts tat sich, was Gracchus hätte angezeigt, dass der Götterfürst ihn erhört hatte, überhaupt nur gehört hatte, doch was konnte er schon mehr tun, als sein Leben in die Hände der Götter zu legen. Er würde die Nacht überleben oder nicht, doch dies lag fern seines Einflusses. Ob des angestrengten Starrens in die Dunkelheit, der Verfolgung der Schatten, die entstanden und zerfielen, und dem konzentrierten Horchen in die Geräuschkulisse der Nacht fiel Gracchus erst weit nach Mitternacht in einen unruhigen Schlaf, schreckte nur noch einmal auf, als ein dumpfes Grummeln durch die Nacht erschallte, welches sich doch schließlich als aus seinem Bauch kommend identifizieren ließ, da es sich noch einmal wiederholte. -
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Original von Herius Claudius Vesuvianus
All jenen Dingen, welche die Fischer aus dem Meer zogen, hatte sich Gracchus schon immer mit besonderer Hingabe widmen können, vor allem mit den verschiedensten Tunken - je schärfer, desto besser - garniert, so ließ er sich beim nächsten Gang reichlich Muscheln, Fisch und geschnittene Octopustentakeln auf seinen Teller häufen, verschmähte dagegen völlig das Brot, welches ohnehin nur dazu beitrug, den Magen zu stopfen.
"Es zieht dich tatsächlich nach Germania? Warst du bereits einmal dort?"
Kaum ein Land konnte sich Gracchus vorstellen, welches ihn weniger reizte als das ferne Germanien, obgleich ihn ohnehin kaum ein Land reizte, zu dessen Erreichen er eine Reise länger als einen halben Tag würde zurücklegen müssen, was deplorablerweise auf alle Länder der Welt im Allgemeinen und des Imperium Romanum im Besonderen zutraf, und ihn so selbst von der Reise in jene Länder abhielt, welche ihn zu reizen vermochten - Achaia, ferne Remineszenz an Kinder- und Jugendtage, oder vielleicht auch Aegyptus mit seinem berühmten Hort des Wissens. Mit einer hinfort wischenden Geste schob Gracchus das weitere Thema Cursus Honorum bei Seite, denn eine Erfahrung konnte man keinem Mann nehmen, weder Vesuvianus die seinige, noch Gracchus die seine, und da beide augenscheinlich kaum miteinander vergleichbar waren, so würden sie kaum einen gemeinsamen Nenner für ein weiteres diesbezügliches Gespräch finden. Doch auch das nächste Thema gereichte Gracchus zur Verwirrung, weshalb er in marginaler Weise eine Augenbraue hob.
"Einen Aurelius würdest du in deiner Familie dulden, einen Tiberius jedoch nicht? Nun, ich sehe mehr Vorteile in einer Verbindung zur Tiberia, denn zur Aurelia, obgleich natürlich nichts über eine Verbindung zur Claudia hinausgeht."
Ein feines, humorvolles Lächeln kräuselte Gracchus' Lippen, bevor er mit einer bereits geleerten Muschelschale den Inhalt aus einer weiteren Muschelschale herausnahm und in seinem Mund verschwinden ließ. Würden sich aus einer generellen Verbindung zur Claudia keine Vorteile ziehen lassen, so hätte er die Ehe mit Antonia vermutlich längst gelöst, erst recht, nachdem ihre unmittelbare Familie augenscheinlich kaum jedweden Einfluss, geschweige denn Vermögen besessen hatte und der ersehnte Erbe noch immer ausstand, was natürlich nicht unbedingt Antonias alleinige Schuld, dies jedoch eine Tatsache war, welche Gracchus gerne in die hintersten Winkel seines Selbst verdrängte, war der darauf folgende Gedankenschluss doch zu erschreckend, als dass er ihn auch nur anzudenken vermochte. Als das glitschige Muschelgetier seine Speiseröhre hinabgerutscht war, blinzelte Gracchus ein wenig derangiert, als er sich nun erst gänzlich des Inhaltes Claudius' letzten Satzes bewusst wurde. Claudius Vesuvianus hatte zu jener Feier auf seinem Landgut unverheiratete Patrizier geladen, um Verbindungen für seine Töchter zu arrangieren - und dabei hatte er Gracchus' Vetter, Marcus Flavius Aristides, zu seinem Schwiegersohn auserkoren. Augenscheinlich war es doch mehr wert mit Felix verwandt zu sein, als Gracchus bisherig hatte angenommen, denn so sehr er seinen Vetter mochte und schätzte, es fiel ihm nicht viel mehr ein, was ihn sonstig als favorable Verbindung charakterisierte, konnte Vesuvianus doch kaum von irgendwelchen fernen Ideen ahnen, welche Aristides eines Tages möglicherweise einmal in den Cursus Honorum würden ziehen, und sein Vetter ob dessen doch eher nach Außen hin den Anschein eines ewig deplatzierten Soldaten gab.
"Mein Vetter muss einen guten Eindruck hinterlassen haben, wenn du ihn einem Senator vorziehst, denn obgleich Tiberius zu dieser Zeit noch nicht ein solcher war, so war dies doch immerhin seit Beendigung seiner letzten Amtszeit schon abzusehen. Verstehe mich bitte nicht falsch, ich begrüße diese erneute Festigung der Beziehung zwischen unseren Gentes sehr, doch ein wenig neugierig bin ich doch allemal wie dies zustande kam, war mir doch bis vor kurzem nicht einmal bekannt, dass Aristides nach einer erneuten Verbindung ausschau hielt."
Womöglich trafen auch auf die Familie des Vesuvianus die Gerüchte der Verarmung der Claudia zu - immerhin, Aristides würde keinerlei Schwierigkeiten haben, eine größere Summe an den Vater seiner zukünftigen Braut für deren Hand zu entrichten, obgleich Gracchus nicht einleuchten wollte, was dies Aristides für Vorteile bringen mochte. -
Über das Ende der zurückliegenden Amtszeit durchaus ein wenig erleichtert, betrat Gracchus guter Dinge die Rostra, um sein Amt traditionellerweise mit der res gestae abzuschließen.
"Bürger Roms,
Wie es noch immer die Pflicht der Magistrate des Cursus Honorum ist, will ich, Manius Flavius Gracchus, euch Rechenschaft ablegen, über meine Tätigkeit als Vigintivir der vergangenen Amtszeit. Manch einem von euch mag mein Name geläufig sein, denn als Decemvir litibus iucandis war es meine Aufgabe, die Hinterlassenschaften verstorbener Römer an die nach den Gesetzen unseres Imperium berechtigten Erben zu verteilen, und es waren derer nicht wenige Erbschaften und damit gleichsam nicht wenige Briefe, welche, gezeichnet mit meinem Siegel, in alle Ecken des Imperium Romanum gesandt wurden.
Bis auf wenige Erbfälle, deren endgültige Abarbeitung aufgrund einzuhaltender Fristen oder anderweitiger Impedimente noch aussteht, kann ich euch mitteilen, dass die monatlichen Lectiones der vergangenen Amtszeit von meinen Amtskollegen und mir vollständig abgearbeitet wurden. Dazu hinzukommend redigierten wir ebenfalls bereits weit zurückliegende Angelegenheiten, welche, wie den imperialen Aushängen zu entnehmen war, vor einiger Zeit in den Archiven des Tabularium entdeckt worden waren. Aufgrund der enormen Masse jener Erbfälle war es uns deplorablerweise nicht möglich, jeden Erbberechtigten einzeln zu benachrichtigen, durch die reichsweiten Aushänge und die Bekanntgabe in der Acta Diurna sollte es jedoch möglich sein, alle Bürger des Imperium Romanum zu erreichen. Auch in dieser Angelegenheit kann ich berichten, dass die ersten Erbschaften, bei welchen eine direkte Bearbeitung möglich war, bereits an die berechtigten Erben überstellt wurden. Die weiteren Fälle werden natürlich an die sukzedieren Decemviri litibus iucandis weiter gegeben und im Laufe der nächsten Amtszeit bearbeitet werden.
Meinen Dank aussprechen möchte ich den Mitarbeitern der imperialen Finanzabteilung, denn nur durch ihre unermüdliche Arbeit konnten jene Erbschaften, welche wir Decemviri litibus iucandis den berechtigten Erben zuteilten, letztlich auch an jene überstellt werden, was sicherlich mitnichten ein geringer Aufwand ist und gleichsam großes Lob verdient.
Sofern noch Fragen zu meiner Amtszeit, oder auch noch ausstehenden Erbschaften bestehen, steh ich gerne zu deren Beantwortung bereit." -
"Natürlich, ich verstehe dies."
Es graute Gracchus bereits jetzt vor der Vorstellung, eines Tages jene verantwortungsvolle Last sich auf die Schultern zu laden, welche sein Vetter bereits heute trug, und welche er mit jener sorglosen Leichtigkeit balancierte, die den Nachkommen des Flavius Corvinus so viel mehr gegeben zu sein schien, denn jenen des Vespasianus. Gerade hinsichtlich der vergangenen Amtszeit quälten Gracchus wieder vermehrt Zweifel, ob er diesen Weg tatsächlich bis zum Ende hin gehen konnte, doch mehr noch als alle Zweifel quälte ihn noch immer das Erbe seiner Familie und er wünschte sich manches mal, dass auch hierfür würde ein Brief genügen, um dies ablehnen zu können.
"Den Erben wird eine Frist gesetzt, bis zu welcher sie das Erbe antreten oder ablehnen können. Meldet sich ein einer dieser Erbberechtigten bis zum Ablauf der Frist nicht, so gilt dies als Ablehnung des Erbes. Zum Zeitpunkt der Benachrichtigung beziehen sich die berechneten Summen auf den Fall, dass alle Erben ihren Anteil annehmen. Lehnt einer jedoch den ihm zustehenden Anteil ab, so fließt dieser zurück in die Gesamterbmasse, deren Aufteilung nach Beendigung der Frist unter denjenigen Erben aufgeteilt wird, welche ihren Anteil annehmen. Wo also weniger Namen nach dem Fristzusatz aufgelistet sind, denn es Erbberechtigte gab, so wurde das Erbe nur unter jenen Verteilt, welche sich meldeten und ihren Erbanteil annahmen. Nimmt keiner der nach dem Gesetz Berechtigten das Erbe an, so geht die Erbmasse an den Staat über." -
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Original von Spurius Purgitius Macer
"Flavius Gracchus," begrüßte er zunächst den zweiten, den ihm der Gastgeber vorstellte, denn ihn kannte er schon "du kannst erfolgreich auf deine Amtszeit zurückblicken? Dein Name war ja häufiger zu hören."
...
Mit großer Sorge, mehr als er dies irgend einer anderen Frau würde entgegen bringen können, selbst oder gerade seiner Gattin nicht, bedachte Gracchus die Vorgänge um seine Base Leontia. Doch war jene augenscheinlich bereits in guten Händen, abgesehen von jenem unfähigen Sklaven. Kurz trat Gracchus an seinen Vetter Aquilius heran und hauchte ihm leise Worte ins Ohr.
"Es ist gut zu wissen, dass die Frauen dieser Welt deinem umwerfenden Wesen nicht gänzlich schutzlos ausgeliefert sind, mein lieber Vetter, sondern du gleichsam jederzeit dazu bereit bist, sie auch aufzufangen."
Langsam begann die festliche Gesellschaft sich nach dem kurzen Schock und der darauffolgen Schwäche wiederum der eigentlichen Feierlichkeit zuzuwenden, die Gespräche lockerten sich allmählich und gingen in übliche Konversation über. Gracchus selbst sah sich in einer Konversation mit Senator Purgitius, dem Curator Aquarum, welchen er als einen sehr religiösen und pflichtbewussten Mann im Sinn hatte, sah man den Senator doch häufig an vorderster Front bei den Feiertagsriten, und mit welchem er bei eben solchen Festlichkeiten bereits das ein oder andere Mal ein paar Worte gewechselt hatte.
"Salve, Senator Purgitius. Du kennst meine Gattin Claudia Antonia bereits? Antonia, dies ist Senator Purgitius Macer, Curator Aquarum der urbs aeterna."
Nachdem Epicharis ihre Fassung zurückgewonnen hatte, hatte sich Gracchus dazu durchgerungen, seine Besitzansprüche geltend zu machen und sich seine Gemahlin an die Seite zu nehmen, würde alles andere doch inmitten dieser Gesellschaft ein wenig eigentümlich anmuten.
"Nun, ich hoffe doch sehr, dass meine Amtszeit erfolgreich war, zumindest gab es bisher keinerlei Beschwerden jedweder Erben, welche sich über zu viel oder zu wenig der Hinterlassenschaft beklagt hätten, zumindest nicht mir gegenüber, so dass ich gleichsam hoffe, mein Name fiel nicht in solcherlei Zusammenhang?"
Dass sein Name irgendwo fiel, verunsicherte Gracchus meist mehr, denn es ihm zur Ehre gereichte, vermutete er doch meist direkt ein Versäumnis seinerseits. Mehr noch als die Äußerung des Senators verunsicherte Gracchus jedoch das plötzliche Auftauchen seiner Nichte Arrecina, die Macer beinahe umrannte. Seit den Ereignissen um den Bann des sie belegenden Fluches war Gracchus ihr aus dem Weg gegangen, hatte ihre Anwesenheit gemieden und hatte nicht selten einen Vorwand gesucht, an den abendlich familiären Essen ihretwegen nicht teil zu nehmen. Denn mehr noch als er sich ob seines Versagens vor sich selbst schämte, mehr noch, als es ihm bereits davor graute, dies Versagen vor Aristides' eingestehen zu müssen, mehr noch konnte er seiner jungen Nichte nicht mehr ruhigen Gewissens unter die Augen treten, welche er nicht hatte von ihrem Fluch befreien können, und von welcher er gleichsam immer die Befürchtung hegte, dass er sie ebenfalls hatte noch tiefer in jene Dinge hinein gezogen, welche ein unschuldiges Kind ihres Alter nicht einmal in entferntester Weise sollten tangieren.
"Arrecina, nicht so ungestüm, meine Liebe,"
lächelte er trotz allem in perfekter Farce, mied jedoch ihren Blick und wandte sich stattdessen wieder dem Senator zu.
"Dies ist meine Nichte zweiten Grades, Aristides' Tochter Arrecina. Arrecina, dies ist Senator Purgitius Macer." -
Konzentriert folgte Gracchus dem schlanken Finger seines Vetters, der sein Neffe war, und betrachtete den hellen, gepflegten Nagel, bevor sein Blick weiter auf den Name des Verstorbenen und dessen Hinterlassenschaft rutschte. Seine Augenbraue kletterte ein weiteres, winziges Stück empor.
"Nun, augenscheinlich wurde das Erbe von den Erbberechtigten angenommen und an jene verteilt. In diesem Falle ist eine Angabe über den Ablauf der Frist nicht vonnöten, denn die Frist musste in solchen Fällen meist nicht einmal ablaufen."
Wieder ein wenig überzeugter von seiner Arbeit lehnte sich Gracchus zurück, denn er wusste, dass er sich solcherlei Fehler nicht würde erlauben.
"Es mag vorkommen, dass sich ein Buchstabe den Kopisten einschleicht, sie mögen womöglich auch einen verlieren, doch ich habe die Liste über die Erbschaftsverteilungen äußerst akribisch geführt, ein wenig zu akribisch vielleicht, denn ich sage dir, wenn du tagelang nichts anderes mehr tust, als nur Namen aufzulisten und Stammbäume mit deinen Augen abzusuchen, dann verfolgen dich diese Namen noch im Schlaf und dass es die Namen Verstorbener sind, macht diese ganze Angelegenheit nicht wirklich besser, vor allem nicht, wenn du ob der Wichtigkeit dieser Angelegenheit die Listen doppelt und dreifach führen und selbst die Arbeit der Scribae noch nachprüfen musst, doch ..."
Gracchus stockte. Er hatte den Anfang seines Satzes verloren und wusste nun nicht mehr recht, wo das Ende hin führen sollte. Seit er Sciurus nach Hispania gesandt hatte, um seine Schwester nach Hause zu holen, hatte er das Gefühl, dass um ihn herum nur Chaos und Konfusion herrschte, erst recht, nachdem in den Archiven des Tabularium Listen von Jahre zurückliegenden Erbfällen aufgetaucht waren, doch womöglich war dies mehr in ihm selbst, als um ihn herum. Er sehnte das Ende dieser Amtszeit herbei, denn sie war nicht nur äußerst arbeitsreich, sondern auch für ihn persönlich äußerst ereignisreich, beinahe ein wenig zu ereignisreich gewesen. Gracchus stützte seinen Ellenbogen auf die Lehne des Stuhles und rieb mit Zeige- und Mittelfinger seine Schläfe. Obgleich Furianus sein Neffe war, war es nicht tolerabel, vor jenem die Haltung zu verlieren, saß sein Neffe doch als Praetor vor ihm und er als Decemvir vor jenem.
"Ich werde es nachprüfen, du verstehst sicherlich, dass ich nicht all die Erbfälle in meinem Kopf habe." -
Seltsamerweise war Gracchus das Fehlen seines Vetters Aristides zuerst nicht aufgefallen, hatte er doch zuvor geglaubt sich versichert zu haben, dass alle Sodales anwesend waren. Seit in den Archiven des Tabularium jene gewaltige Masse unbearbeiteter Erbfälle aufgetan worden war, welche zum Ende der Amtszeit hin noch einmal einen Berg an Namen, Stammbäumen, Vermögenssummen und Warenbestandslisten auf seinen Schreibtisch gebracht hatte - ausgerechnet nachdem er seinen Leibsklaven und persönliche Agenda nach Hispania gesandt hatte um seine Schwester zurück nach Rom zu geleiten - seitdem fühlte er sich organisatorisch ein wenig derangiert.
"Salve, Aristides. Verzeih, ja, ich begann bereits, und ganz recht, es geht um die Wahl."
Er breitete seine Hände in unbestimmter Geste aus.
"Nun, es ist nicht, dass ich nicht wollte. Es ist mir eine große Ehre den Vorsitz über diese Sodalität inne zu haben und sie bei den Feierlichkeiten anzuführen, doch es ist gleichsam meine Pflicht, diese Ehre weiter zu geben, sofern einer aus euren Reihen sich berufen fühlt."
Dass Aristides dies nicht würde sein, verwunderte Gracchus nicht, nicht etwa, da er ihn für unfähig dazu hielt, was er nicht tat, da er um die Qualitäten seines Vetters durchaus wusste und jener jeglichen Mangel an Talent zum Magister durch unerbittlichen Elan würde wettmachen, sondern da Aristides immerhin baldig auf unbestimmte Zeit Italia würde verlassen. -
Das Rauschen des Flusses war schon lange zu hören bevor Gracchus ihn überhaupt zu sehen bekam. Er hatte den kleinen Feldweg erst kurz zuvor verlassen, als er an eine gepflasterte Straße gelangt war. Unmerklich beschleunigte er seinen Schritt, denn ein unumstößliches Naturgesetz war, dass wo ein Fluss da auch Wasser. Eine flache, hölzerne Brücke führte über das Wasser hinweg, doch Gracchus ließ sie links liegen und strebte dem Ufer entgegen, rutschte unkoordiniert die Böschung hinab und stand schon halb mit den Füßen im kühlen Nass, als er sich hinab beugte und mit seinen Händen das erfrischende Wasser zu seinem Mund schöpfte. Mit einem erleichterten Ausatmen ließ er sich schließlich rücklings auf der blanken Erde nieder, als sein Durst gestillt war, und blickte sinnierend auf die spiegelnde, sich in feinen Wirbeln kräuselnde Oberfläche hin. Ein wenig belustigt dachte er daran, dass wäre Caius nun bei ihm, er könnte einen Fisch fangen und vermutlich sogar ausnehmen und zubereiten. Hätte er doch nur auf seinen Vater gehört und wäre zum Militär, abgesehen davon, dass er vermutlich niemals in diese absurde Situation wäre geraten, sondern hätte Quintus Tullius von Anfang an unter Kontrolle gehabt, abgesehen davon wüsste er sich sicherlich besser im freien Feld zurecht zu finden, als ein Diener der Götter. Das kühle Wasser umspülte seine bereits ein wenig schmerzenden Füße und der Schatten der Büsche verschaffte angenehme Kühlung, die ihm auf dem langen Weg, den er bereits zurückgelegt hatte, am meisten fehlte. Er hatte noch nie gerne eine Reise auf sich genommen, nicht auf dem Schiff, nicht auf einem Wagen, nicht in einer Sänfte oder auf einem Pferd und erst recht nicht zu Fuß, und allem voran nicht ohne Wasser und etwas zu Essen. Lange Zeit - vielleicht erschien es ihm auch nur so - saß Gracchus am Ufer und ließ seine Gedanken gleich den Fluten des Wassers treiben, mal hierhin, mal dorthin, doch in keine bestimmte Richtung, bemerkte darüber nicht das Herannahen eines kleinen Kahnes, nicht mehr als ein großes Floß, das von einem Pferd am gegenüberliegenden Ufer gezogen sich den Fluss hinauf bewegte. Erst, als das Gefährt schon vor seiner Nase trieb, erschien es ihm merkwürdig und er sprang hastig auf, kämpfte sich durch das Gebüsch zum Weg hinauf zurück, klopfte sich den Staub von der einfachen Tunika, überquerte eilig die Brücke und folgte dem Pferd, welches von einem schmalen alten Mann mit einem großen Strohhut geführt wurde, dem ersten Menschen, dem er begegnete, seit Dardashi ihn allein in der Wildnis zurück gelassen hatte.
"Salve, guter Mann. Gestatte mir eine Frage, kennst du den Namen dieses Flusses?"
Der Alte entblößte ein beinahe zahnloses Gebiss als er grinste und Gracchus lief ein Schauer über den Rücken, denn eine seiner größten Sorgen - selbst in diesem Augenblick war sie nicht ganz aus seinem Geist - war es, eines Tages selbst all seine Zähne zu verlieren.
"Aber natürlif, daf ift der Tiber, der Fluff der Roma."
"Der Tiber?"
Es war mehr eine erstaunte Feststellung, denn eine Frage. Wenn dies der Fluss Tiber war, so führte er direkt nach Rom hinein und Gracchus musste nur mehr seinen Laufe folgen, um nach Hause zu gelangen. Mit marginalem Bedauern stellte er fest, dass der Alte mit seinem Floß in die falsche Richtung zog, doch wenn Schiffe hinauf fuhren, so fuhren vielleicht manche auch hinab.
"Fahren oft solche Kähne wie der deine auf dem Fluss abwärts in Richtung der Hauptstadt?"
Der Alte wiegte seinen Kopf unentschlossen hin und her. "Waf ift oft? Ein paar am Tag, nicht fo viele wie zwifen Rom und Oftia."
Ein etwas derangiertes Blinzeln kündete einzig von Gracchus' Schwierigkeit, die Worte des Mannes korrekt aufzunehmen. Über die zahnlose Aussprache des alten Mannes hinaus bemerkte Gracchus zudem, dass sein Geist ob der dauerhaften Sonneneinstrahlung bereits ein wenig zähflüssig geworden war, wie erwärmter Honig, womöglich gar schon die Konsistenz fauligen Obstes angenommen hatte. Es kam immerhin nicht von ungefähr, dass Menschen seines Standes für Gewöhnlich den Schatten des Lebens suchten, die direkte Sonne und zu viel der Bewegung in freier Natur mieden, schlug sich dies doch früher oder später auf den Geist hernieder. Womöglich brauchte er sich darum ohnehin nicht zu eilen nach Rom zu gelangen, denn dortig wäre am Ende gar schon alles verloren, da sein Geist bis zu diesem Zeitpunkt nur noch aus einer breiigen, verklebten Masse würde bestehen.
"Ich danke dir,"
murmelte er geistesabwesend und wandte sich dem alten Manne ab, sein Weg führte trotz allem in die entgegengesetzte Richtung. Müde und niedergeschlagen ob der deprimierenden Erkenntis der Zersetzung setzte Gracchus seinen Weg fort, noch immer aufrechten Ganges, doch nun mit gesenktem Haupt und hängenden Schultern und immer bemüht, im Schatten der Bäume zu gehen. Denn was blieb noch von ihm, wenn sein Geist in der Sonne verdunstete? Kaum mehr, als eine leere Hülle, war sein Geist doch alles, was ihm je zum Vorteil gereicht hatte. Das Deplorabelste an all dem jedoch war die Tatsache, dass langsam aber sicher auch seine Hülle ihren Tribut forderte, ihm nicht nur die Füße schmerzten, sondern er auch ein mehr als großes Gefühl des Hungers verspürte. -
Dass die Sonne unbarmherzig auf das Land hinab brannte, dies bemerkte Gracchus nicht erst, als der Sack von seinem Kopfe entfernt war und die hellen Strahlen des Himmelsgestirns ihn blendeten. Bereits die gesamte Fahrt über war es ihm heiß und stickig gewesen, so dass er nun aufatmete, wenn auch nicht über sein Schicksal, so doch über die frische Luft erleichtert, welche er tief in seine Lungen sog. Worte für Dardashi, den Freund des Piraten, fand er keine. Lange blickte er dem davonziehenden Wagen nach, stand unschlüssig mitten auf dem Weg in der Einsamkeit und ließ die Sonne weiter auf sich herab scheinen. Er war kein Mann, der Hass empfinden konnte, denn für solch abgründig, hartes Gefühl war er viel zu feinfühlig, doch jene Empfindung, welche er in diesen Augenblicken seinem Zwilling Quintus Tullius entgegen brachte, diese kam nahe an die des Hasses heran. Schließlich jedoch seufzte er jeglichen Affekt hinfort und begann, einen Fuß vor den anderen zu setzen, immerhin stand er auf einer römischen Straße und früher oder später führten alle Wege nach Rom. Und er würde Rom erreichen. Quintus Tullius hatte ihn diesbezüglich unterschätzt, denn Gracchus hatte schon einmal einen Weg ohne alles zurückgelegt, mit nichts als dem Gewand am Leib hatte er die Flucht angetreten, selbst das Gewand hatte er später gegen einfachere Kleidung eingetauscht, um dem Blick seiner Häscher zu entgehen. Zwar hatte er damalig den flavischen Siegelring getragen, doch er hatte bald bemerkt, dass auch ein Siegelring in gewissen Kreisen nicht alle Türen öffnete, dass andererseits ein Patrizier jedoch immer ein Patrizier blieb, gleich, ob er einen Halbmond an seinen Schuhen trug, oder selbst mit bloßen Füßen kam. So blieb er denn auch an diesem Tage ganz seinem Stande treu, ging hoch erhobenen Hauptes die Straße entlang, ließ sich nur marginal von seiner Furcht, in dieser Einöde zu vergehen, überwältigen und blickte nur immer dem ungewissen Ziel in der Ferne entgegen. Er trug sich eine Weile mit dem Gedanken in der nächsten Stadt zu einer der offiziellen Stellen zu gehen, dortig einen Überfall anzugeben, wie er alle Tage lang auf den Straßen des römischen Imperium stattfinden mochte, ein Raub womöglich, man würde zumindest seinen Angaben nachgehen, mit Rom in Kontakt treten. Doch was, wenn Quintus Tullius bereits völlig Manius Flavius Gracchus annektiert hatte, wenn er vollends Manius Flavius Gracchus war? Man würde erfahren, dass der Vigintivir in Rom seiner Arbeit nachging oder in seiner Villa saß und ihn, den wahrhaftigen Besitzter dieses Namens, dieser Person, für einen Hochstapler halten. Diese Idee war darum nicht wirklich geschickt, er musste allein nach Rom gelangen. Es war tatsächlich ganz wie damals, als er Achaia fluchtartig verlassen hatte und aus Furcht, dass seine Häscher ihm auf die Spur kommen würden, nirgendwo seinen Namen genannt hatte. Nur, dass es ihn bei diesem Male nicht eilte, um sein eigenes Leben zu retten, sondern womöglich das seiner Familie, wenn es hierfür nicht bereits zu spät war. Irgendwo in der Ferne grollte ein Wesen, welches Gracchus an seinem Laut nicht einmal konnte identifizieren, geschweige denn ihm näher kommen wollte, um dies an seiner Erscheinung zu tun. Nicht nur in dieser desperaten Lage stand es einem Menschen gut zu Gesicht, sich den Göttern anzuvertrauen, doch gerade in solch einer desperaten Lage mochte es helfen, etwas zu geben, so dass die Götter im Gegenzug gaben. Gracchus wusste nichts mehr zu geben, dennoch wandte er sich dem Himmel zu.
"Was, Iove, kann ich dir noch bieten, da ich dir mich längst offeriert habe? Was, höchster aller Götter magst du noch von mir verlangen? Den Dienst meiner Söhne? Wie, oh Iove kann ich dir meine Söhne versprechen, deren Herannahen sich nicht einmal abzeichnet, wie kann ich dir Leben versprechen, das ich womöglich nicht zu geben befähigt bin? Oh, Iove, wie lange willst du mir noch mein Versagen nachtragen?"
Unbeeindruckt zirpten die Grillen am Wegesrand, unbarmherzig brannte die Sonne herab, desinteressiert zog der laue Wind durch das Land, bewegte Blätter und Gräser in seichtem Schwung, nichts tat sich, um anzuzeigen, dass die Götter auch nur ihren Blick auf jenen verlassenen Landstrich gerichtet hatten.
"Länger noch, als dieser Tage wohl."
Tief aus Gracchus' Innerem bahnte sich ein exorbitantes Seufzen seinen Weg hin an die Oberfläche, drängte durch seine Luftröhre und wollte sich schließlich vergnügt in einem lauten Ausatmen Luft machen - denn was nützte noch, die patrizische Strenge hoch zu halten, wo doch dies Umland, die ganze Szenerie, selbst seine eigene Erscheinung so wenig patrizisches an sich hatten - doch Gracchus schluckte dies Seufzen verärgert nieder, noch bevor es aus seiner Kehle entwichen konnte. Mochte Quintus Tullius seinen Hohn über ihm ausgießen, er würde nicht erreichen, dass sich Manius Flavius Gracchus vor sich selbst erniedrigte, nicht in dieser von den Göttern verlassenen Einöde und nicht sonst irgendwo auf der Welt.
"Was glaubst du wohl, wer du bist, Quintus?"
rief Gracchus zornig den Bergen entgegen.
"Was soll das für ein Spiel sein? Was hast du davon, dass ich mich hier durch die Prärie schlage während du dich in Rom vergnügst? Hältst du dich für einen Gott, der dies von oben herab begutachten kann? Du bist ein Nichts, Quintus Tullius, ein medioker Gauner und dies wirst du immer sein! Die Götter wussten, warum sie dich meiner Familie entzogen! Denn einer wie du, einer wie du kann niemals ein Flavier sein! Niemals!"
Er hob die Faust und drohte gegen die Berge, doch Quintus Tullius zeigte sich nicht. Energischen Schrittes setzte Gracchus seinen Weg fort, denn er würde sich nicht von einem minderwertigen Piraten unterkriegen lassen, von einem Römer sicherlich jederzeit, doch nicht von einem gesetzlosen Piraten. -
Anstatt Gracchus' Gemahlin Antonia betrat zuerst seine Base Leontia die Szenerie, zart schimmernd wie ein diaphanes Juwel schwebte sie gleich einer transluzenten Epiphania durch das Peristylium und einmal mehr fragte sich Gracchus, weshalb seine Ehefrau nicht ein bisschen mehr wie Leontia sein konnte, die nicht nur eine angenehme Erscheinung aufwies, sondern gleichsam ein offenes Wesen und wunderbar erfrischenden Esprit ihr Eigenen nennen konnte. Gerade erst hatte Gracchus seine Aufmerksamkeit von seiner Base ab- und dem Eingang zugewandt, da schwebte seine Gattin heran, doch jegliche Noblesse, jegliche Grazie ihrer anmutigen Person wurde zerstört durch das eisige Lächeln, mit welchem sie ihn bedachte, das Lächeln eines Episiten, der ihn in jedem Augenblicke zu Verschlingen suchte. Gracchus' eigenes Gesicht war ob dessen zu einer Maske erstarrt und das marginale Nicken, von einem ebenso marginale Lächeln begleitet - Erwiderung ihrer Farce - folgte erst, als sich Antonias Blick schon beinahe wieder hinfort gewandt hatte und sie dem glücklichen Paar zustrebte. Das Lächeln verblasste langsam in Angesicht der Begrüßung zwischen Nichte und Tante zweiten Grades*, die gleichsam Gracchus' Befürchtung noch verstärkte, zukünftig der Feind in seinem eigenen Haus zu sein. Dennoch machte sich Gracchus auf den Weg an die Seite seiner Gemahlin, denn dies war der Platz, welchen ihm die Plicht gebot und mochte es noch so viel Überwindung kosten, so war dies doch etwas, wovon er nicht lassen konnte. Er war noch nicht ganz an seinem Ziel angelangt, als die Geschenke des Serenus präsentiert wurden, die Temperatur im Garten augenblicklich ein wenig abfiel und sich eine lastende Stille über die Gesellschaft ausbreitete, die bedrückender nicht hätte sein können. Als das tote Tier entblößt wurde, öffnete sich Gracchus' Mund einen Spalt weit und sorgte dafür, dass die ihm die wohl geübte Contenance verloren ging, gleichsam spürte er den Anflug eines schlechten Gewissens in sich aufsteigen, denn dass der junge Serenus in Rom völlig verwahrloste und der Degeneration Anheim fiel, dies war nicht zuletzt Gracchus' Schuld, der sich unfähig sah, dem in ihn gesetzten Vertrauen seines Vetters gerecht zu werden, und für eine angemessene Erziehung dessen Sohnes Sorge zu tragen. Einzig Vorteilhaft an all dem Geschehen war letztlich nur, dass Antonia ihm wiederum entkam, als jene zu ihrer Nichte trat, um dieser Stütze zu sein. Gracchus selbst hielt einen vorbeieilenden Sklaven fest und flüsterte ihm eindringlich ins Ohr.
"Die Musiker sollen weiterspielen, sonst brauchen sie heute nicht mehr anfangen, und trage dafür Sorge, dass allen Gästen Getränke geboten werden, bringe etwas Bewegung in diese Starre, eile dich."Sim-Off: *Korrektur der Verwandtschftsgrade, über deren Bestimmung ich eines Tages noch meinen Verstand verlieren werde.