Beiträge von Manius Flavius Gracchus

    Obgleich durch die Beteuerung der Zweifellosigkeit seines Bruders ein wenig verwirrt, nickte Gracchus ernst und versuchte zudem überzeugend zu klingen, um Lucullus seine Zweifel zu nehmen.
    "Wir werden eine geeignete Gattin finden."
    Ob der nächsten Frage seines Bruder schlich sich mehr Verwunderung auf Gracchus' Gesicht, als er normalerweise bereit war, dies zuzulassen, doch er zog nicht nur die Brauen zusammen, zudem lachte er auf.
    "Verzeih, aber das willst du von mir wissen? Wie du im Cultus Deorum vorankommen kannst?"
    Er lehnte sich zurück und schüttelte lachend den Kopf.
    "Aber vielleicht kann ich dir tatsächlich helfen. Sieh mich an, lieber Bruder, und du siehst, was du nicht tun musst. Ich trat dem Cultus Deorum lange vor dir bei, durchlief alle Stufen. Damals war dies noch so, zudem geschah es aus Verpflichtung heraus, hatte ich zuvor doch ein Gelübde dem Iuppiter abgelegt. Nun, ich glaube von mir behaupten zu können, dass ich meine Aufgaben stets gewissenhaft, pflichtbewusst und zum Wohle und zur Freude der Götter und des Staates erfüllt habe. Wenn diese, meine Amtszeit als Vigintivir beendet ist, werde ich in den Dienst an den Göttern zurückkehren, erneut als Sacerdos publicus, der ich zuvor gewesen bin."
    Die Belustigung war aus Gracchus' Gesicht gewichen.
    "Als ich nach Rom kam, hatte ich ein Ziel vor Augen. Doch Roma verdirbt die Männer, sie will nicht umgarnt und umworben werden, sie will nicht deinen Eifer und Elan, sie ist eine Lupa, die bezahlt oder bestochen werden will. Gehe zu deinem Vetter, deinem Patronus, und er wird gewiss die notwendige Summe zu entrichten wissen."

    Zitat

    Original von Lucius Flavius Furianus
    "Was wohl mit all dem herrenlosen Besitz geschieht, er fällt dem Staate zu."


    Mit großer Faszination beobachtete Gracchus seinen Vetter, welcher sein Neffe war, dabei, wie dieser sich über den Stammbaum beugte und begann, die Linien darauf abzulaufen, wie er sich von Tiberius zu Tiberius, von Tiberia zu Tiberia bewegte, im Vorbeigehen ihre Namen aufsammelte, sie ordnete, kategorisierte, womöglich in kleine Schubladen einteilte und ganz in den kleinen pergamentenen Schatz versank. Ein feines Lächeln kräuselte Gracchus' Lippen und vorerst tat er nichts als diesen Anblick zu genießen, war dies formvollendete Stillleben doch ein gar seltenes Gut, sein eigener kleiner Schatz, und er fragte sich, ob er selbst einen ähnlichen Anblick bot, wenn er sich in den Studien der Stammbäume imperial bedeutsamer Familien verlor - eine kleine Freude, welche er sich ob der sonstig so fastidösen Tristesse der Routineangelegenheiten durchaus während seiner Arbeit zugestand. Schließlich jedoch löste er sich von dem deliziösen Anblick, widerstand dem Verlangen, sich nach vorn zu beugen, und flüchtete sich in die juristische Angelegenheit zurück.
    "Die lex Iulia also?"

    "Mehr ist nicht notwendig, nein. Vale, Decimus."
    Mit einem freundlichen Nicken verabschiedete sich Gracchus und wies den Sklaven, dass er gedachte den Heimweg zur flavischen Villa anzutreten, sahen doch noch einige Erbfälle ihrem Abschluss entgegen.

    "Uaaahhaaaahaaahaa[size=7]aaa..."[/size]Ein unmenschlicher Laut durchdrang für wenige Augenblicke die Villa Flavia, schließlich kehrte wieder Ruhe ein, denn der Unmutsschrei war zu einem leisen Wimmern verkommen. Zusammengekauert lag Gracchus auf seinem Bett, presste seine Hände auf die Wange und winselte wie ein geschlagener Hund. Sein Leibsklave Sciurus hatte ihn an den Schultern gepackt und hielt ihn fest. "Du musst einen Medicus in deinen Mund schauen und diesen Zahn ziehen lassen, Herr."
    "Nein ... nein ... nicht ziehen ..."
    Gracchus presste seine Stirn fest auf die Matratze, doch es half nichts, der Schmerz in seinem Kiefer überflutete jegliche Sinne, explodierte in kurzen Abständen und brachte Gracchus' Welt völlig zum zerbersten.
    "Nicht ... ziehen ..."
    Vor Tagen schon hatte Sciurus ein Kraut von einer der Frauen am Forum gebracht, welche alle paar Wochen ob ihrer obskuren Geschäfte von den Aedilien aus der Stadt verwiesen wurden. Gracchus hoffte, dass diese Frau mehr denn nur der Stadt verwiesen wurde, mochte sie an ihrem eigenen Gifte ersticken, denn nicht nur dass ihr Mittelchen völlig wirkungslos war, gegenteilig, seit er die Blätter zerkaute und zwischen Kiefer und Wange schob war der Schmerz nur angewachsen. Mühsam stemmte er sich auf und setzte sich gegen die Wand. Den gesamten Tag hindurch schon hatte er es vermieden irgend etwas zu essen, hatte nur Milch und verdünnten Wein getrunken, und obgleich sich der Schmerz des Tages in aufrechter Position in Grenzen hielt, so kam er nur um so heftiger, sobald er sich zu Bett legte, vor allem dann, wenn er sich versuchte mit seinem Sklaven zu entspannen.
    "Hast du ... nach einer Defixio gesucht?"
    presste er mühsam zwischen den Kiefern hervor.
    Der Sklave nickte und stand auf, um einen kalten Lappen zu bereiten. "Vor Tagen schon, in deinen Räumen, im Haus, und um das Haus herum. Keine Fluchtafel." Manches mal fragte sich Sciurus, wie ein intelligenter Mensch so abergläubisch sein konnte, gerade einer, welcher die Zusammenhänge des Cultus Deorum kannte und wusste, nach welchen Gesichtspunkten der Wille der Götter gelesen wurde. Doch sobald es um Flüche ging, schien sein Herr jeglichen gesunden Menschenverstand zu verlieren und alles zu vergessen, was er über die Zusammenhänge der Welt wusste. Würde irgendwer ihm gegenüber einen Fluch aussprechen, Gracchus würde mit seinen eigenen Ängsten selbst dafür Sorge tragen, dass er an jenem Fluch zugrunde ging. Doch vermutlich war dies genau der Sinn eines Fluches. Sciurus trat mit dem kühlen Tuch zurück zum Bett und nahm Gracchus' Hände, die jener noch immer fest auf seine Backe presste, von dessen Wange. Stattdessen drückte er das Tuch darauf. Unmerklich bebten die Nasenflügel seines Herrn, jener kräuselte die Nase und ein durchringender Blick traf den Sklaven, zumindest so durchdringend ein Blick bei all dem Leid noch sein konnte.
    "Was hast du in das Wasser hinein?"
    "Nur ein wenig Minze, Herr. Das beruhigt."
    In einem unbewussten Versuch hob Gracchus eine Augenbraue an, doch sogleich brach der Schmerz wieder aus seinem Zahn hinaus. Er hob seine Hand und presste das Tuch, samt Sciurus' Hand fest auf seine Wange.
    "Dieser Zahn ... wird mich ... umbringen,"
    nuschelte er halb hinter der Hand hervor. Der Sklave legte seine Hand auf Gracchus' Nacken und massierte diesen leicht, doch sein Herr wollte keine Entspannung finden. Er schloss die Augen und lehnte den Kopf an die Wand hinter ihm.
    "Ich will keinen Zahn verlieren, Sciurus. Ich habe noch nicht einmal dreißig Jahre verlebt."
    "Viele Menschen auf den Straßen Roms oder auf dem Land darum herum haben in deinem Alter nichteinmal mehr einen einzigen Zahn."
    "Ich bin aber nicht irgendwer! Ich bin ein Flavius! Wollt ihr das nicht verstehen?!"
    Er stöhnte auf.
    "Patrizier haben ein Anrecht auf ihre Zähne ... und zwar auf alle ... mindestens bis sie fünfzig Jahre zählen ... mindestens ..."
    "Du willst also noch über zwanzig Jahre mit diesem Schmerz herumlaufen nur um den Zahn zu behalten?"
    Gracchus heulte leicht auf und gab dem Sklaven einen Stoß.
    "Verschwinde! Schere dich fort und bereite die Reise nach Hispania vor. Wenn du zurück kehrst werden die Schmerzen vorbei und ich noch immer Besitzer all meiner Zähne sein ... und dann werde ich mir überlegen, was ich mit einem Sklaven tue, der mir solch törichte Ratschläge aufschwatzen will! Nun gehe mir aus den Augen und lasse mir meinen Zahn ..."
    Der Sklave erhob sich und verließ wie geheißen das Zimmer. Gracchus ließ seinen Oberkörper zur Seite kippen, gab sogleich wieder einen leisen, heulenden Laut von sich, als der Schmerz erneut durch seine Wange fuhr und setzte sich wieder hin.
    "Oh ihr Götter, was wollt ihr noch von mir? Ist nicht dieser Haushalt schon Strafe genug für all meine Vergehen? Was wollt ihr überhaupt mit meinem Zahn anfangen, ihr, die ihr sowieso euren Nektar und Ambrosia nicht beißen müsst!?"

    Ganz der Darbietung auf der Bühne zugewandt, bemerkte Gracchus seine Base erst, als jene bereits bei ihnen war, sich neben ihn setzte und seine Hand zur Begrüßung leicht drückte. So würde denn die Zeit der Pausen nicht allzu unangenehm werden, zudem gefiel Gracchus der Gedanke durchaus, sich umringt von solcherlei Schönheit zu zeigen, obgleich er dem weiblichen Geschlechte weit weniger abgewinnen konnte, als die meisten Männer, so schätzte er doch den Anblick der Perfektion, wie seine Gattin und seine Base ihn beide boten. Er drehte seinen Kopf und beugte sich leicht zu seiner Base hin, so dass seine Lippen nah an ihr Ohr hin reichten und flüsterte leise.
    "Leontia, teuerste Base, wie schön, dass du noch gekommen bist. Du siehst ganz hinreißend aus, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf. Es wird mir zum Guten gereichen, dass wir im Theater sitzen, denn sollte mir ob der ganzen Schönheit, welche mich nun umgibt, das Entzücken zu Kopfe steigen, so wird man dies dem Schauspiel zuschreiben und mir diese Inadäquatheit darum nachsehen."
    Den Blick wieder nach vorn gerichtet, so dass er die Bühne im Auge behalten konnte, sprach er gleichsam noch immer leicht zu Leontia gebeugt leise weiter.
    "Sie führen die Antigone des Sophokles auf, Antigone tat gerade erst ihr Ansinnen der Ismene kund, du musstest also nicht viel verpassen."

    Zitat

    Original von Manius Tiberius Durus
    Ich hatte die zweite Hälfte. Ist mir damals aufgefallen, aber ich wollte Gracchus nicht ins Handwerk pfuschen :D


    Zu meiner Zeit reichte für das große Latinum noch aus, dass man lange genug dem Lateinunterricht beiwohnte, unabhängig davon, wie gut man die Sprache beherrscht (ganz ähnlich dem hiesigen Amts-System). Man möge mir also die Unterlassung der Korrektur lateinischer Fehler bitte nachsehen, denn sie wären mir vermutlich kaum aufgefallen, selbst wenn ich danach gesucht hätte.

    "Titus Decimus Verus, in der Erbangelegenheit des Decimus Corbulo,"
    wiederholte Gracchus zur Seite zu einem der Sklaven gewandt, der eilig auf einer Tabula die Namen notierte. Gracchus drehte sich dem Decimus zu.
    "Ich werde dies in den Unterlagen vermerken, die Verteilung des Erbes kann jedoch erst nach Ablauf der Frist von Statten gehen, oder dann, wenn die anderen Erbberechtigten sich gemeldet haben. Du brauchst jedoch für nichts weiter Sorge zu tragen, das Vermögen wird dir baldigst möglich übertragen werden."

    Die Angelegenheit war damit für Gracchus erledigt, alles weitere würde in der Verantwortung der Sklaven liegen, so, wie es dies bei solcherlei Dingen immer tat. Wieviele Männer sie würden mit sich nehmen, wann sie gedachten abzureisen, wieviel Proviant und Gepäck sie mit sich führen mussten, was sie gedachten zu tun - Gracchus hatte sich noch nie mit solcherlei Nebensächlichkeiten des Lebens abgegeben, nie mit solcherlei abgeben müssen, und dies würde sich auch nicht ändern. Er würde sich um seine Schwester sorgen, darauf warten, dass sie in die Sicherheit der flavischen Villa zurückkehrte, doch ob der Sklaven würde er keinen Gedanken verschwenden. Nun womöglich doch, des Abends oder Nachts, wenn sein Bett leer war, und er bedauerte nun um so mehr, dass der verlockende, gefällige Rutger noch immer im Carcer schlummerte. Andererseits würde ihm die Ferne seines Leibsklaven womöglich die notwendige Überwindung bieten, in absehbarer Zeit wieder einmal seine Gattin mit seiner Anwesenheit zu beehren. Doch noch war es zu früh für solcherlei Gedanken, Sciurus war noch nicht einmal hinfort und Gracchus gedachte die kommende Nacht noch einmal zu genießen, womöglich würde dies bis zu seiner Rückkehr reichen, andernfalls fand sich sicherlich auch im Haushalt noch ein anderer Ersatz denn seine Gattin.
    "Das war alles."
    Die Sklaven verließen das Cubiculum, um sich ihrer Aufgabe zu widmen und Gracchus wandte sich den noch zu schreibenden Schriftstücken zu. Eine Nachricht an seine Schwester war zu verfassen, eine Befugnis für Hannibal und Sciurus und eine Botschaft für den Vilicus der flavischen Villa in Hispania.

    Jener ominöse Vigintivir, Decemvir litibus iucandius um genau zu sein, befand sich nicht weit von jenem ein wenig planlosen Decimus. Ein Officium hatte er nicht in den Verwaltungsgebäuden der Stadt, denn solcherlei gehörte nicht zur Magistratur des Vigintivirates und bevor Gracchus sich in eine jener schmalen Kammern der öffentlichen Gebäude würde zwängen, welche üblicherweise von Scribae bevölkert, aber durchaus auch von einigen seiner Amtskollegen mangels Alternativen als Officia genutzt wurden, bevor er dies tun würde, würde er noch eher im Gartenhaus der Villa Flavia arbeiten, denn dies war nicht nur größer, sondern auch komfortabler. Die Notwendigkeit dazu bestand jedoch nicht, hatte Gracchus doch ebenso ein Arbeitszimmer im Hauptgebäude der Villa, in welchem er den Großteil seiner Pflichten zu erledigen pflegte und in welchem er die Korrespondenz prüfte, welche auf die Benachrichtigungen über die Erbschaften eingingen. Manches mal jedoch war er, wie an diesem Tage zu dieser Stunde, ebenso nahe des oder mitten auf dem Forum Romanum unterwegs, wo er auf den suchenden Magister Scriniorum aufmerksam wurde.
    "Salve, du suchst einen Vigintivir? Mein Name ist Manius Flavius Gracchus, ich bin Decemvir litibus iucandis, womöglich kann ich dir behilflich sein."

    Entsetzen schlich sich auf Gracchus' Gesicht und er wich einen Schritt zurück als hätte Aquilius nach ihm geschlagen. Jegliche Spur von Wehleidigkeit war aus seiner Stimme gewichen, durch Ablehnung, ein wenig Ärger und Furcht verdrängt worden.
    "Nicht auch noch du, Caius! Was wollt ihr mir nur alle an meinen Zahn!? Warum reißt ihr nicht gleich den gesamten Kopf ab? Würdet ihr mir auch das Herz herausreißen wollen, wenn es mir schmerzte? Der Zahn bleibt wo er ist! Der Schmerz soll hinfort, nicht der Zahn!"
    Unwirsch schüttelte er den Kopf und verstärkte die Ablehnung durch eine abwehrende Geste mit der Hand, gleichsam ungeduldig und verzweifelt.
    "Ohnehin sind es so viele Wochen auch nicht. Vielleicht zwei, oder drei. Und der Zahn fault auch nicht! Bei den Blitzen des Apollon, Caius, glaubst du etwa ich würde einen faulenden Zahn in meinem Munde ertragen!?"
    Allein der Gedanke an solcherlei ließ Gracchus sich schütteln. Viel größer noch, als die unglaublich große Furcht davor, irgendein Medicus würde mit einer Zange in seinem Mund herumfuhrwerken und ihm den Zahn aus dem Fleische entreißen, viel größer noch als diese Furcht wäre der Ekel vor dem fauligen, übel riechenden Fleisch in jener von Aquilius angedachten Szenerie.
    "Es ist eher ... als würden kleine Geister in meinem Zahn hausen, von innen mit ihren Hämmern und Meißeln dagegen pochen und allenthalben türmen sie ihren Rammbock heran, beginnen den Beschuss mit ihren Katapulten und versuchen die Mauern zu durchbrechen, es ist wie ein ... wie ein Fluch!"
    Noch ehe er den Satz zu Ende gesprochen hatte, stockte er. Die ohnehin schon ob dieser nächtlichen Stunde geringe Farbe in seinem Gesicht wich nun gänzlich daraus, ließ ihn bleich im fahlen Licht der Fackeln und des nächtlichen Nachthimmels stehen. Wie hatte er nur so töricht sein können, diese Möglichkeit nicht längst bedacht zu haben? Er musste sich erinnern, wann genau dies begonnen hatte, Sciurus musste sich erinnern und er musste herausfinden, was an jenem Tage, was an den Tagen zuvor geschehen war. Womöglich hatte Gracchus irgendwem ein Erbe verweigert, aus guten Gründen und nach geltendem römischen Recht, doch womöglich scherte dies diesen jemand nicht, fühlte sich durch eine testamentarische Fügung übergangen, schob die Schuld nun auf die Decemviri litibus iucandis und projizierte seinen Zorn auf ihn. Vielleicht war es die Helvetia, welcher ihr rechtmäßiges Erbe vorenthalten wurde, vielleicht war es der von Helvetius beerbte Agrippa, der ob der Widrigkeiten des Testamentes nun seinen Erbteil nicht ausgezahlt bekam. Dies mochte von der Zeit her durchaus passen, doch gleichsam gab es unzählige Möglichkeiten und womöglich unzählige Personen, welche einen Grund sahen, Gracchus mit einem Fluch zu belegen.
    "Wir müssen das Grundstück absuchen,"
    murmelte Gracchus vor sich hin, sich kaum mehr seines Vetters gewahr.
    "Die Villa auch, ein Sklave, ein Bote könnte eine Tafel mit ins Innere hinein gebracht haben. Die Sänften ebenfalls, dazu braucht nicht einmal jemand in die Nähe des Hauses zu gelangen. Haben wir neue Sklaven gekauft?"
    Fragend blickte er zu Aquilius auf, doch Aquilius würde nichts wissen. Gracchus nickte abwesend.
    "Sciurus wird sich darum kümmern. Du solltest jetzt schlafen gehen, Aquilius, versuche es zumindest. Ich werde dies ebenfalls tun."
    Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um, und strebte aus dem Garten hinaus, floh vor Aquilius und seinem Ansinnen, ihm seinen Zahn zu entreißen, floh vor dem Fluch, der gleichsam fest an ihm hängen musste, in seinem Zahn, floh vor dem Schmerz ohne von ihm hinfort zu kommen, vergaß sogar völlig an Serenus' Cubiculum vorbei zu gehen - wozu auch, das Kind würde sicherlich ohnehin längst friedlich im Schlaf der Unschuldigen schlummern- und eilte in sein eigenes Cubiculum, um augenblicklich und noch in dieser Nacht seinen Leibsklaven auf die Suche nach jener Fluchtafel zu schicken, von deren Existenz er nun überzeugt war, denn sie musste einfach existieren, sie musste vernichtet werden, um seinen Zahn in seinem Leibe zu bewahren.

    Vermutlich ohne dass Aquilius sich dessen bewusst war, trafen seine Worte Gracchus tief. Er senkte den Blick, starrte gleichsam seines Vetters auf die Tafel als wäre dort der Weisheit letzter Schluss verborgen, als würde darin Freiheit liegen, als wäre ein solches Schicksal der Garant für Glück. Doch er wusste, dass dem nicht so war, und Aquilius würde dies früher oder später erkennen, erkennen müssen. Was würde dann bleiben? Freundschaft würde bleiben, immerhin, und die Bereitschaft seines Freundes ihm mit seinem auf solche Weise vermachten Erbe aushelfen zu wollen, ehrte Gracchus, doch gleichsam zeigte es ihm, dass sein Vetter noch immer nicht bereit war, irgend einen Weg für sich selbst anzudenken.
    "Du bist hier zuhause, Caius. Dein Großvater wurde in diesem Hause geboren, dein Vater wurde hier geboren und war hier zuhause, bevor es ihn nach Hispania zog. Ihnen kannst du im Atrium in die Augen blicken, selbst dein Vater gehört ebenso in diesen Haus, wie dies der meinige oder jener von Aristides und Felix tut. Du bist hier nicht weniger zuhause als ich, denn was nützen mir die paar Jahre, welche ich gegensätzlich zu dir zu Beginn meines Lebens in diesem Hause verbrachte? Flavier kommen und gehen, und immer geht der Besitz an den ältesten von ihnen, gleich welcher der Stammlinien, denn dies hier ist unser Ursprung, in diesem Haus keimten schon die Samen der flavischen Kaiser, hier war es, wo sich die ersten zarten Blätter des Vespasianus aus der Erde empor hoben und hier war es, wo er seinen Sohn Titus vom Boden hob, welcher ihm später auf den Kaiserthron folgte. Villen gibt es viele, in Hispania, in Italia, Achaia, sogar Gallia, doch zuhause werden wir immer in Rom sein, gleich wo es uns hin zieht. Werde dir deiner Wurzeln bewusst, Caius, und du wirst weder irgendwer sein, noch ein hispanischer Flavier, sondern Caius Flavius Aquilius, Sohn des Aulus Flavius Atticus, Sohn des Marcus Flavius Romulus, Spross einer Familie, aus deren Mitte Götter entsprangen."
    Ein mildes Lächeln kräuselte Gracchus' Lippen ob dieser Worte, um ihnen ein wenig die Schwere zu nehmen.
    "Deine Ahnen lass meine Sorge sein. Ich erwähnte bereits, dass Minervina in Hispania ist? Ich werde dafür Sorge tragen müssen, dass sie sicher zurückkehrt, dabei wird sich auch die Gelegenheit finden, die Ahnenmasken mit nach Rom zu holen, denn hier ist ihr Platz, gleichsam dem deinen. Dem Vilicus der Villa kannst du einen Brief schreiben, wenn du dies möchtest, werde ich mich auch darum kümmern. Das Haus und die Ländereien aufzugeben wäre töricht, eines Tages wirst du vielleicht tatsächlich Gefallen daran finden, und selbst wenn nicht, so ist es überaus fruchtbares Land, welches dich noch in deinem Alter nähren wird. Doch deine persönliche Anwesenheit und ein übereilter Aufbruch sind sicherlich nicht vonnöten. Warte, bis Minervina wieder hier ist, falls deine Person in Tarraco wider Erwarten von dringender Notwendigkeit ist, so wird sie dies berichten. Wegen der Betriebe wirst du dich bei den Aedilen melden müssen, sie werden die Überschreibung tätigen und die Einhaltung der diesbezüglichen Gesetze beaufsichtigen. Die Überschreibung des Vermögens und der Ländereien werde ich veranlassen."

    "Beiderlei. Zufürderst brauche ich Gewissheit bezüglich der Verteilung, hernach möglicherweise deine Zustimmung und Entscheidung."
    Ein Lächeln kräuselte seine Lippen, als er den Sklaven wies, den Stammbaum auf dem Tisch auszurollen, was sich als nicht einmal gar so einfach heraus stellte, da das Pergament ob der vielen Verzweigungen etwas überdimensionierte Ausmaße angenommen hatte.
    "Dies ist ein Teil des Stammbaumes der Tiberia. Etwa mittig findest du Tiberia Claudia, einige Knoten links davon Publius Tiberius Maximus und dessen Tochter, welche laut Tiberias Testament mit einem Drittel ihres Vermögens bedacht werden soll. Dessen ich mir jedoch nicht sicher bin, dies ist die Verwandtschaftlichkeit zwischen Tiberia und Rediviva. Die lex Iulia gestattet innerverwandtschaftliche Vererbungen bis zum sechsten Verwandtschaftsgrad, zusätzlich der sobrino sobrina natus. Tiberius Maximus wäre Tiberias Cousin im sechsten Grad der Agnation, Rediviva Minervina also im siebten, allerdings wäre sie keine Cousine, sondern eine Nichte."
    Ein kurzes Zögern schlich sich ein, denn Gracchus war ob dieser Familiengeschichten ein wenig überfordert. Obwohl er in anderen Dingen ein überaus penibler Mensch war, so war es ihm bereits zu mühsam, seine eigene Familie in verwandtschaftliche Grade aufzuteilen, er bezeichnete Furianus ebenso als seinen Vetter wie dessen Vater, obgleich er Furianus' Vetter wiederum als seinen Neffen bezeichnete. Verwandschaftliche Grade oder Grade der Agnation zu zählen war ihm ein Graus und er war froh darüber, dass dies während seiner Amtszeit selten solch exorbitante Formen hatte angenommen wie in diesem Fall.
    "Mag dies also ein Erbe außerhalb der Verwandtschaft sein, so fordert die lex Iulia, dass die junge Dame binnen einhundert Tagen nach den Sitten und Gesetzen des Imperium Romanum heiratet, doch unabhängig davon, ob sie dies tun wird oder nicht, wird sie die Hälfte ihres Anteiles verlieren. Da jedoch das Testament ausdrücklich die Verteilung des Vermögens der Tiberia in drei Teile vorsieht, was geschieht somit mit jenem Sechstel, welches in keinem Fall verteilt werden kann?"

    Zitat

    Original von Claudia Antonia


    Deine Verwandten wollten das Stück nicht sehen?


    Antonia schien diese Ehe tatsächlich von kurzweiligem Charakter zu sein, doch Gracchus konnte die bereits mit seiner Gattin verlebte Zeit nicht unbedingt solcherlei werten oder dem zustimmen, dass die Hochzeit erst vor kurzem stattgefunden hatte, obgleich ihre Ehe würde man die Minuten kummulieren, welche sie bisherig gemeinsam im Angesicht des anderen verbracht hatten, durchaus von recht kurzer Dauer wäre. Der Blick zu Boden entgeht Gracchus nicht, weshalb er ihm folgt, dort doch nichts weiter vorfindet, als Antonias Füße, umhüllt von dunkelfarbenen Sandalen. Da er jedoch nicht sagen konnte, ob dies neue Sandalen waren - vermutlich mussten sie dies sein, wofür sonst gab seine Gattin all das Geld aus, welches sie verbrauchte? - oder ob sie womöglich nur den kleinen goldenen Halbmond bewunderte, enthielt sich Gracchus jeglichen Kommentars, lehnte sich zufrieden zurück und genoss stattdessen die Stille zwischen ihnen, die doch allzu bald erneut von Antonia durchbrochen wurde.
    "Ich hatte gehofft, du wüsstest, ob sie dem Schauspiel beiwohnen wollen. Bis ich heute morgen das Haus verließ, hatten sie sich noch nicht entscheiden können."
    Endlich unterbrach die Ankündigung der Aufführung das ohnehin völlig belanglose Gespräch.
    "Sieh an, die Antigone. Wie überaus passend, ein wahrhaft zeitloses Stück."

    Titus Decimus Verus, Roma



    Decemvir litibus iudicandis Manius Flavius Gracchus Tito Decimo Vero s.d.


    Tiefes Mitgefühl über den Verlust deines Bruders Marcus Decimus Corbulo sei dir mit diesem Schreiben versichert. Die Erinnerungen an jene Zeit, welche wir mit ihnen teilen durften, sind sicherlich das Wertvollste, was die Verstorbenen uns zurücklassen. Doch obwohl es dir im Augenblicke womöglich unerheblich erscheinen mag, so hat dein Bruder gleichsam weltliche Güter hinterlassen, deren Verteilung unter den Erben meine Aufgabe als Decemvir litibus iudicandis ist. Nach den gesetzlichen Richtlinien kommt dir als Bruder des Verstorbenen ein Anteil von 263,06 Sesterzen, welchen es dir gestattet ist, abzulehnen.


    Ich bitte dich, mir bis zum Tag ANTE DIEM XVII KAL IUN DCCCLVII A.U.C. (16.5.2007/104 n.Chr.) mitzuteilen, ob du gewillt bist, dieses Erbe anzutreten, welches gleichsam keinerlei weitere Verpflichtungen nach sich zieht. Solltest du diesen Termin versäumen, so wird dein Anteil dem zu verteilenden Erbe hinzugefügt werden, ebenso wie sich der deinige Anteil durch den Verzeicht eines der anderen Erben erhöhen kann.


    Zum Trost über den erlittenen Verlust bleiben letztlich einzig die Worte der Weisen unserer Welt, so sprach denn schon Seneca: »Der Tod ist die Befreiung und das Ende von allem Übel, über ihn gehen unsere Leiden nicht hinaus, der uns in jene Ruhe zurückversetzt, in der wir lagen, ehe wir geboren wurden.«


    M.F.G.



    Decima Pulchra, Roma



    Decemvir litibus iudicandis Manius Flavius Gracchus Decimae Pulchrae s.d.


    Tiefes Mitgefühl über den Verlust deines Bruders Marcus Decimus Corbulo sei dir mit diesem Schreiben versichert. Die Erinnerungen an jene Zeit, welche wir mit ihnen teilen durften, sind sicherlich das Wertvollste, was die Verstorbenen uns zurücklassen. Doch obwohl es dir im Augenblicke womöglich unerheblich erscheinen mag, so hat dein Bruder gleichsam weltliche Güter hinterlassen, deren Verteilung unter den Erben meine Aufgabe als Decemvir litibus iudicandis ist. Nach den gesetzlichen Richtlinien kommt dir als Bruder des Verstorbenen ein Anteil von 263,06 Sesterzen, welchen es dir gestattet ist, abzulehnen.


    Ich bitte dich, mir bis zum Tag ANTE DIEM XVII KAL IUN DCCCLVII A.U.C. (16.5.2007/104 n.Chr.) mitzuteilen, ob du gewillt bist, dieses Erbe anzutreten, welches gleichsam keinerlei weitere Verpflichtungen nach sich zieht. Solltest du diesen Termin versäumen, so wird dein Anteil dem zu verteilenden Erbe hinzugefügt werden, ebenso wie sich der deinige Anteil durch den Verzeicht eines der anderen Erben erhöhen kann.


    Zum Trost über den erlittenen Verlust bleiben letztlich einzig die Worte der Weisen unserer Welt, so sprach denn schon Seneca: »Der Tod ist die Befreiung und das Ende von allem Übel, über ihn gehen unsere Leiden nicht hinaus, der uns in jene Ruhe zurückversetzt, in der wir lagen, ehe wir geboren wurden.«


    M.F.G.

    Lucius Octavius Detritus, Casa Octavia, Roma


    Decemvir litibus iudicandis Manius Flavius Gracchus Lucio Octavio Detrito s.d.


    Mit Bedauern muss ich dir vermelden, dass Manius Pompeius Trimalchio seinen Weg hin ins Elysium angetreten hat. In seinen Hinterlassenschaften fand sich die Kopie eines Briefes, welcher an dich gerichtet war und dich seinem Willen nach als seinen Erben ausweist, eine Kopie dieses Schriftstückes findest du dieser Nachricht beiliegend. Es ist meine Aufgabe als Decemvir litibus iudicandis für den Vollzug des testamentarischen Willens und die Verteilung des Erbes Sorge zu tragen. Die Erbmasse des Pompeius Trimalchio umfasst insgesamt zwei Betriebe, einen Bäcker (1) und einen Bauernhof (2).


    Nach den Gesetzen der lex Iulia bist du als unverheirateter Bürger nicht dazu berechtigt, dieses Erbe anzutreten, da dich keine nähere verwandtschaftliche Beziehung mit Pompeius Trimalchio verband. Es bleibt dir daher eine Frist von 100 Tagen, bis ANTE DIEM XVI KAL SEP DCCCLVII A.U.C. (17.8.2007/104 n.Chr.), eine Ehe nach den Gesetzen des Imperium Romanum einzugehen und dahin folgend im Sinne des Gesetzes die Hälfte des Erbes zugesprochen zu bekommen. Natürlich steht es dir ebenso frei, das Erbe abzulehnen.


    Aufgrund des baldig anstehenden Wechsels der Amtszeit des Cursus Honorum muss die Meldung über eine geschlossene Ehe in der Basilica Ulpia eingehen.


    Zum Trost über den Verlust eines Freundes bleiben letztlich einzig die Worte der Weisen unserer Welt, so sprach denn schon Seneca: »Der Tod ist die Befreiung und das Ende von allem Übel, über ihn gehen unsere Leiden nicht hinaus, der uns in jene Ruhe zurückversetzt, in der wir lagen, ehe wir geboren wurden.«


    M.F.G.


    An Lucius Octavius Detritus
    Casa Octavia
    Rom - Italia


    Von Manius Pompeius Trimalchio
    Habitatio Trimalchionis
    Colonia Claudia Ara Agrippinensium - Germania


    Trimalchio Detrito S.D.


    S.V.B.E.E.Q.V.


    Nein ich benötige kein Material zwar bin ich gerade dabei die Thermen von Colonia Claudia Ara Agrippinensium zu renovieren doch kümmert sich der duumvir um die Materiallieferungen. Eigentlich schreib ich dir aus einem ganz anderen Grund ich möchte dir hiermit all meinen Besitz vererben falls mir mal was zustossen sollte. Das heißt du bekommst meine zwei Betriebe, all mein Geld und alle Waren.


    Vale


    Manius Pompeius Trimalchio
    D. ante diem XI Kal. Mai. - (21.4.2007/104 n.Chr.)

    Ob der Art und Weise wie Antonia seinen Namen sprach fuhr Gracchus ein kalter Schauer über die Haut, ganz der Empfindung ähnlich, die den Körper beim Sprung in das kalte Becken des Frigidarium durchzog, und er fragte sich, ob seine Gattin diesen Tonfall wohl würde ewig beibehalten und wie lange er dies würde aushalten können, ob womöglich er sich zuerst daran gewöhnen oder eher die Nerven verlieren würde. Seite an Seite schritten sie umringt von einigen Sklaven zum Eingang des Theaters hin, perfektes Bildnis eines perfekten patrizischen Paares, zumindest dem äußerlichen Anschein nach.
    "Sophokles ja, doch ich bin deplorablerweise nicht darüber informiert, welches Stück genau."
    Es genügte der marginale Hauch eines Blickes, um einen der Sklaven hinfort eilen zu lassen, um eben dies in Erfahrung zu bringen.
    "Vielleicht die ruhmreiche Geschichte des Philoktetes, womöglich die Epigonoi, jene waren äußerst beliebt in den letzten Jahren. Andererseits wird es womöglich gerade aus diesem Grunde etwas gänzlich anderes sein, Sophokles' Verse über den Kerberos oder die Sphyrokopoi wären sicherlich auch äußerst erbaulich, denkst du nicht, meine Liebe?"
    Sie erreichten die Plätze und Gracchus wartete, bis sein Gattin saß, dann setzte er sich neben sie, in Gedanken auf die baldige Eröffnung des Schauspieles hoffend.

    Da sein Amt von ihm auch nun in den letzten Tagen noch einmal Pflichterfüllung abverlangte, trafen sich die beiden Sänften aus dem flavischen Haushalt zur verabredeten Stunde hinter dem Forum Boarium. Kein Wort wurde gesprochen, die Vorhänge blieben unberührt, als die Träger ihren Weg zum Theatrum Marcelli fortsetzten. Ein wenig Enttäuschung machte sich in Gracchus breit als er durch einen Spalt nur eine einzige Sänfte sah, hatte er doch gehofft, sein Vetter Caius oder seine Base Leontia würden sich seiner Gattin und ihm anschließen, nicht nur allein deswegen, da er andernfalls die gesamte Zeit mit Antonia alleine verbringen musste. Glücklicherweise führte ihr Weg sie zu einer szenischen Aufführung, bei welcher allgemeinhin Ruhe herrschte, so dass immerhin eine Unterhaltung mit seiner Gemahlin nicht würde notwendig werden. Womöglich würden die anderen auch erst ein wenig später nach kommen, immerhin erreichten sie das Theater recht zeitig, und im besten Falle saß ohnehin nicht Antonia in jener Sänfte, welche von der flavischen Villa her gekommen war, vielleicht war dies Leontia oder Caius, da sich Antonia wieder einmal ob furchtbarer Migräne entschuldigen hatte lassen, da sie den Tag nicht mit ihm verbringen wollte. Das zarte, filigrane Gerüst dieser Hoffnung zerplatzte, als die Träger stoppten, Gracchus der Sänfte entstieg, sich aus der anderen eine feingliedrige Hand zwischen den Stoffbahnen hindurch schob - noch konnte dies Leontia sein - die Vorhänge schließlich zur Seite glitten und die Dame dahinter preis gaben. Erstaunen zeigte sich auf Gracchus' Gesicht, nicht ob seiner Gattin und noch weniger aus Ehrlichkeit heraus.
    "Antonia, meine Liebe, hätte ich geahnt, welch überwältigender Anblick mich erwartet, so hätte ich schon viel eher an diesem Tage die Pflicht, Pflicht sein lassen. Wie kann es nur sein, dass die Götter solch Schönheit auf Erden gewähren, die ihnen doch so nahe kommt?"
    Er hielt ihr galant eine Hand hin, um ihr beim Verlassen der Sänfte behilflich zu sein.

    Zitat

    Original von Lucius Flavius Furianus
    "Natürlich erhälst du meine Zustimmung, Gracchus."


    Kaum anderes als die Zustimmung des Praetors hatte Gracchus erwartet, war dies doch ohnehin eher eine Entscheidung, welche pro Forma getroffen werden musste. Ohne, dass es eines Wortes bedurft hätte, rollte der Sklave das Schriftstück zusammen, nahm es samt der Tabula vom Tisch und reichte es an den zweiten Sklaven weiter, welcher dem Decemvir in das Officium hernach gefolgt war. Von diesem nahm er stattdessen nun zwei weitere pergamentene Rollen und eine andere Tabula entgegen und wartete darauf, dass sein Herr aussprach, wozu sie gebraucht wurden. Dieser jedoch nahm sich Zeit.
    "Ich hatte bisherig noch keine Gelegenheit, dir mein Bedauern über den Tod deiner Verlobten auszudrücken, Furianus, daher möchte ich dies hiermit nachholen. Es war kaum ein Geheimnis, dass so favorabel diese Verbindung auch war, euch mehr verband als einzig politisches Kalkül, daher mag dies für dich noch schwerer zu ertragen sein, als nur eine verlorene Ehe. Niemand kann je einen Menschen ersetzen, Furianus, doch wie schwer dies vielleicht auch für dich sein mag, das Leben wird trotz dessen unbarmherzig weiter gehen."
    Mit einem marginalen Nicken wies er den Sklaven an, das erste der Pergamente zu öffnen.
    "Dies ist das Testament, welches Tiberia Claudia in Obhut der vestalischen Jungfrauen hinterlassen hat."



    TESTAMENTVM TIBERIAE CLAUDIAE




    Hiermit erkläre ich, Tiberia Claudia, Tochter des Marcus Tiberius Fabianus, was nach meinem Tode mit meinem Vermögen geschehen soll. Dies soll von Manius Tiberius Durus, Sohn des Manius Tiberius Ahala, als Testamentsvollstrecker überwacht werden.


    Ein Drittel des Barvermögens soll dem Staate zufallen zum Dank für den Schutz und die Hilfe des Imperator Caesar Augustus, des Senates und des Volkes von Rom.
    Ein weiteres Drittel spreche ich Rediviva Minervina, Tochter des Publius Tiberius Maximus, zu.
    Das letzte Drittel des Barvermögens soll von Quintus Tiberius Vitamalacus, Sohn des Marcus Tiberius Fabianus, zugunsten der Familia Tiberia Romae verwaltet werden.


    Mein gesamter Landbesitz hingegen soll Manius Tiberius Durus, Sohn des Manius Tiberius Ahala, zufallen.


    Dies alles verfüge ich im Vollbesitz meiner geistigen und körperlichen Kräfte und freiwillig.



    Nachdenklich hob Gracchus seine Hand, begann an seiner Unterlippe zu kneten und blickte sinnierend hinauf zur Zimmerdecke, genauer gesagt dorthin, wo Wand in Decke über ging, so als würde dort die Antwort auf Hannibals Frage geschrieben stehen. Natürlich tat sie dies nicht, Gracchus hätte sie längstens von dort entfernen lassen, legte er doch Wert auf ein einwandfrei sauberes Cubiculum, zudem war dies jener Bereich über seinem Bett und obgleich selten eine Öllampe die gesamte Nacht hindurch brannte, so konnte er die Decke bei ausreichend Mondesschein dennoch sehen und er sah sie oft, starrte er doch des Abends meist noch lange Löcher in die Decke bevor er die Augen schloss, und bei solcherlei Betrachtung wären die Worte nur irritierend, da sie seine Gedanken immer wieder in sie hinein würden pressen. Eine ganze Weile tat sich nichts als das Starren mit leerem Blick und das unermüdliche Kneten, Ausdruck einer inneren Wanderung durch die Gefilde seines Gedankengebäudes, auf der Suche nach Für und Wider. Schließlich kehrte Gracchus' Aufmerksamkeit zurück in das Cubiculum und seine Hand sank auf den Tisch zurück.
    "Tragt dafür Sorge, dass Minervina nichts damit zu tun hat. Ihre Sicherheit muss bei all eurem Tun oberstes Gebot bleiben."
    Einen Moment schwankte er in der Entscheidung, ob die kleine flavische Delegation sich zwecks dessen mit den örtlichen Behörden in Verbindung sollte setzen. Doch Gracchus hielt weder viel von Hispania, noch von den dortigen Behörden, von welchen sich möglicherweise irgendwann zu Unrecht aufgestellte Vorurteile nur immer wieder bestätigt sahen, weshalb eine Zusammenarbeit in seinen Augen nur verschwendeter Zeit gleich kommen würde. Insgesamt gefiel ihm die gesamte Aussicht der Selbstjustiz nicht, doch ein Mitglied der flavischen Familie, ein Mitglied seiner Familie, war aufs ärgste diffamiert und erniedrigt worden, und würden die Täter dafür im Tartarus schmoren, so würde dies noch ein zu mildes Urteil für sie sein. Auf die staatlichen Organe in Hispania war kein Verlass - denn hatte nicht erst die praetorianische Garde in die Provinz einziehen müssen, um seine Schwester zu befreien? - so dass Genugtuung mit anderen Mitteln gesucht werden musste. Dass dabei diskret vorzugehen war, dies brauchte Gracchus nicht weiter zu erwähnen, wusste er doch darum, dass Sciurus darum wissen würde.