Beiträge von Manius Flavius Gracchus

    "Salve."
    Gracchus grüßte den Scriba mit einem kurzen Nicken und nahm die Schriftrolle entgegen. Er entrollte sie und überflog den Inhalt. Schließlich wandte er sich dem Scriba des Aedils zu.
    "Richte Tiberius meinen Dank aus. Weiters, dass ich noch einmal die notwendigen Unterlagen prüfen werde und den Mann bei meinen Vorschlägen für den Kaiser berücksichtigen werde, sofern er diese Ehre verdient hat."

    Ein verständiges Nicken begleitete Milos Ausführungen. Schließlich legte Gracchus den Kopf ein wenig schief und ließ sich den Betrag durch den Kopf gehen. Keine geringe Summe, welche sein Vetter einforderte, doch für einen vorbildlichen Zweck.
    "Du tust gut daran, jene Prüfung zu absolvieren."
    Es war während eines Festtages gewesen, so erinnerte sich Gracchus, dass Milo schon einmal dargelegt hatte, dass die Belange der Götter für ihn einen hohen Stellenwert einnahmen, der Dienst als Sacerdos jedoch der falsche Weg für ihn war. Darum fragte Gracchus nicht erneut danach, denn hätte sich diese Einstellung geändert, würde Milo nicht um die Sesterzen bitten. Dennoch, Gracchus hielt die Investition tatsächlich für sinnvoll, vielleicht mochte sich Milo eines Tages sehr gut in einem kultischen Collegium machen. Wer wusste schon um die Pläne der Parzen?
    "Bildung besitzt keinen Wert, sie ist unbezahlbar. Die drei Aurei werden dir selbstverständlich zukommen."
    Eine kurze Pause entstand, dann entschloss sich Gracchus die Gelegenheit zum seltenen Gespräch mit seinem Vetter zu nutzen.
    "Wie ist deine Arbeit beim Cultus Deorum? Gibt es viel zu tun?"

    Als er die ungewohnte Stimme wahrnahm, legte Gracchus die Arbeit bei Seite und grüßte seinen Vetter.
    "Milo, salve. Für die Belange der Familie habe ich immer Zeit, wenn nicht, dann nehme ich sie mir."
    Als er vernahm, worum es ging, musste Gracchus an sich halten, die Stirne nicht in Falten zu legen. Verschwendung war ihm ein Dorn im Auge und somit würde es Milo nicht erspart bleiben, ihm offen zu legen, für was er diese größere Summe benötigte. Nicht umsonst wuchs das Familienvermögen stetig, nicht umsonst hielt Gracchus es fest zusammen. Der Hinweis auf Milos Bruder entging ihm nicht, doch er ersparte sich jeglichen Kommentar hierzu. Furianus mochte seine mit plebeischen Posten verdiente Sesterzen im Mare Internum versenken, in Gelage investieren oder sich einen Berg damit errichten und sich obenauf stellen, es tangierte Gracchus nicht. Pecunia non olet - so sprach ihr Ahn Titus Flavius Vespasianus, doch er sprach von öffentlichen Geldern um den Staatshaushalt zu sanieren. Das unredlich verdiente Geld des Furianus dagegen verpestete die gesamte Villa mit seinem Gestank und es zeigte deutlich, wie sehr jener seinen patrizischen Wurzeln zugetan war.
    "An welche Summe hast du dabei gedacht? Wenn dir der Salär des Cultus Deorum nicht ausreicht, so kann ich dafür Sorge tragen, dass dir eine wöchentliche Zulage zukommt."

    Nach der Salutatio hatte sich Gracchus sogleich zurückgezogen, um sich jener Papiere anzunehmen, welche sein Sklave ihm aus dem Tabularium besorgt hatte. Es handelte sich um Lebensläufe von jenen Kandidaten, welche er in seiner Funktion als Quaestor Principis dem Kaiser zur Erhebung in den Senatoren-, beziehungsweise Bürgerstand vorschlagen wollte. Durch das Klopfen ließ er sich vorerst nicht stören, denn außer Sciurus erwartete er niemanden. So ließ er nur ein 'Herein' hören, beließ seine Aufmerksamkeit und seinen Blick jedoch auf dem Papyrus.

    Quaestor Consulum M. Tiberius Durus, Villa Tiberia, Roma


    Salve Tiberius Durus,


    Zur Besprechung der Änderungen am Codex Universalis hat der Magister Officiorum uns einen Audienztermin ANTE DIEM XVI KAL NOV DCCCLVI A.U.C. (17.10.2006/103 n.Chr.) um die Mittagszeit eingeräumt.


    Vale bene,
    M. Flavius Gracchus

    Nauarchus A. Ferrius Theodores, Classis Misenensis, Misenum


    Salve Ferrius Theodores,


    Als Quaestor Principis obliegt mir die Aufgabe dem Imperator Caesar Augustus Vorschläge zur Verleihung des römischen Bürgerrechtes an geeignete und verdiente Peregrini zu unterbreiten. Ich bitte dich darum, mir mitzuteilen, ob sich in deiner Einheit Peregrini befinden, welche solcherlei Ehre verdient haben.


    Vale bene,
    M. Flavius Gracchus
    http://www.imperium-romanum.info/tabularium.php?a=g&p=348

    Praefectus Vigilum S. Germanicus Reverus, Castra Vigilum, Rom


    Salve Germanicus Reverus,


    Als Quaestor Principis obliegt mir die Aufgabe dem Imperator Caesar Augustus Vorschläge zur Verleihung des römischen Bürgerrechtes an geeignete und verdiente Peregrini zu unterbreiten. Ich bitte dich darum, mir mitzuteilen, ob sich in deiner Einheit Peregrini befinden, welche solcherlei Ehre verdient haben.


    Vale bene,
    M. Flavius Gracchus
    http://www.imperium-romanum.info/tabularium.php?a=g&p=348

    Zitat

    Original von Gaius Decimus Maior
    Was hältst du vom ANTE DIEM XVI KAL NOV DCCCLVI A.U.C. (17.10.2006/103 n.Chr.) um die Mittagszeit? Der Kaiser könnte euch da mindestens eine Stunde Zeit einräumen.


    "Ein guter Zeitpunkt. Ich werde dies so dem Quaestor Consulum kommunizieren und danke dir für deine Mühe."
    Nachdem Gracchus sich verabschiedet hatte, verließ er das Officium bereits wieder.

    Zitat

    Original von Decimus Claudius Donatus
    "Antonia konnte nicht wissen, dass ich zurück bin. Mein Vorhaben in Germanien war erfolglos verlaufen und so habe ich mich still und heimlich auf den Rückweg gemacht. Der einzige, dem ich hier begegnet bin war Iulianus gewesen, aber lass uns lieber das Thema wechseln.
    Wo werdet ihr nach der Hochzeit wohnen? Planst du für euch einen eigenen Hausstand?"


    Um den Schein zu wahren verzehrte Gracchus ein wenig von der Gemüsevorspeise, auch wenn er kaum Hunger verspürte. Dass auch ein Claudier an einem Vorhaben scheiterte, dies war nicht unbedingt verwunderlich, kam dies doch - wie Gracchus aus eigener Erfahrung nur all zu gut wusste - in den besten Familien vor. Dass Donatus dies jedoch ohne weiteres in der Öffentlichkeit zugab, dies verblüffte Gracchus ein wenig, doch wie sein Gegenüber es wünschte, verzichtete er auf weiteres Nachfragen. Auch die Erwähnung des Namens des zweiten Bruders Antonias überhörte er großzügig, war die Existenz jenes im Familienzweig doch bereits genügend blamabel und es zudem müßig, darüber zu disputieren, waren die Kinder doch seltenst für die Unzulänglichkeiten ihrer Väter verantwortlich, ganz zu schweigen davon, dass einmal geschehen solcherlei kaum rückgängig gemacht werden konnte. Zudem, auch dererlei Schandflecken im Familienstammbaum waren Gracchus zu seinem eigenen Leidwesen nicht unbekannt.
    "Vorerst werden wir in der Villa Flavia in Rom leben. Es ist das Haus meiner Kindheit und auch, wenn der Besitz offiziell in die Hände meines Vetters Felix übergegangen ist, so steht es doch jedem Flavier frei, dort zu wohnen."
    Natürlich nicht jedem Flavier, doch dies war eines jener Themen, welches im flavischen Familienkreis eilig gewechselt wurde, sobald es sich auch nur in weiter Ferne näherte. Gracchus hoffte indes, dass mit dem Einzug der Claudia ein wenig Ausgeglichenheit in die Villa ein, und gleichermaßen mancherlei Unsitte seiner Vettern ausziehen würde.
    "Sollte sich die Notwendigkeit zeigen, so werden wir bei Zeiten über ein eigens Domizil nachdenken."

    So trat er denn in das Officium ein.
    "Salve, Magister Officiorum. Das Ersuchen um einen Audienztermin führt mich heute zu dir. Es geht um die Besprechung der Änderungsvorschläge am Codex Universalis und betrifft daher auch den Quaestor Consulum. Wir würden ein Zeitfenster zum Beginn der kommenden Woche bevorzugen, wenn dies denn möglich ist."

    Zitat

    Original von Decimus Claudius Donatus
    Donatus blickte erfreut. Er hatte mit weniger Entgegenkommen gerechnet, weil es einfach keinerlei Kontakt oder Beziehung gab.


    "Vielleicht können wir das Fest zum Anlass nehmen und einander vertrauter machen. Schließlich ist eure Ehe einer der wenigen Lichtpunkte wenn ich mal die Vergangenheit betrachte."


    "Ich hoffe dies. So lasst uns doch hinüber in das Triclinium gehen."
    Gracchus bot Antonia seinen Arm an und geleitete sie bis zu dem für sie bereitstehenden Korbsessel hin. Nachdem sich die Männer gelegt hatten, wandte sich Gracchus dem Bruder seiner Gemahlin zu.
    "Antonia erzählte mir nicht, dass du in Rom bist. Ich vermutete dich nichteinmal in der Provinz, seit wann bist du zurück?"
    Er konnte sich dunkel erinnern, dass Antonia einst erwäht hatte, dass ihr Bruder außerhalb der Provinz weilte, kam jedoch nicht mehr auf den Zusammenhang.



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    Zitat

    Original von Caius Flavius Aquilius
    Sie trank nichts, mochte sie den unverdünnten Wein vielleicht nicht? Zeit für die nächste charmante Notlüge. "Was meinst Du, ob wir einen Sklaven finden, der uns etwas Wasser zukommen lässt? Mir scheint, in diesem Haus spricht man dem unverdünnten Wein sehr gerne zu und ich möchte schließlich den Brautzug noch in nüchternem Zustand mitbekommen," sagte ich und blickte mich suchend um. Mir wäre zwar nach einem ordentlichen Besäufnis gewesen, aber was tat man nicht alles, um den schönen Schein zu wahren. "Verrätst Du mir Deinen Namen, Claudia? Es wäre schön zu wissen, mit wem ich spreche ..."


    In der Culina des Hauses, fern von Feiern und Fröhlichkeit - und auch fern von schweren Herzen - trug sich unterdessen ganz anderes zu. Portisculus, ein Junge von vielleicht zehn Jahren und seit Geburt im Dienste des Hauses Claudia wurde am Ohr durch die halbe Küche gezogen, so dass er entsetzt sein Tablett fallen ließ.
    "Es tut mir leid, es tut mir leid! Ich habe es in der Aufregung vergessen, es tut mir leid!" stammelte er in einem Anflug von Wahnwitz, wusste er doch genau, dass keines seiner Worte ihn noch retten würde.
    "Nichtsnutziger Bastard! Fluch über dich, du kleines Stück Dreck! Puren Wein an die Gäste auszuschenken! In die Kammer mit dir, und die Kleider vom Leib! Die Peitsche wird dich lehren besser aufzupassen!"
    So wurde der Junge in die Sklavenkammer gleich hinter der Culina gestoßen und wenig später drangen leise seine Schmerzensschreie durch die Tür - unhörbar jedoch in jedem anderen Raum des Hauses.

    Irritiert hob Gracchus langsam seinen Kopf. Er hatte den Sklaven nicht eintreten gehört, nicht näherkommen.
    "Spät, wie wahr. Es ist zu spät."
    Er hob seine Hand und wischte sich über die Augen. Doch die Tränen waren längst versiegt, längst eingetrocknet. Einzig die rote Färbung seiner Augen verriet ihn. Er stützt sich am Regal, zog sich nach oben, wagte jedoch nicht einmal Sciurus anzusehen. Was war nur aus ihm geworden, der er sich selbst vor den Blicken eines Sklaven schämte?
    "Geh, Sciurus. Ich brauche dich nicht mehr. Ich möchte heute nacht alleine sein."
    Ein Stich fuhr durch sein Herz, brachte ihm die Weisung doch seine Worte an Aquilius wieder in den Sinn. Doch nicht für eine Nacht, nicht für eine messbare Zeit hatte er jenen aus seinem Leben geschickt, sondern für alle Zeit auf dieser Welt. Weshalb hatten sie nicht weiterleben können wie bisher, in stillem Einverständnis, in stillem Verlangen, unerreichbar, doch immer in Hoffnung? Weshalb mussten sie fordern, was ihnen nicht zustand und damit selbst die Hoffnung zum Sterben verdammen? Gracchus sah nicht das Zögern seines Sklaven, sah nicht das leichte Nicken, er hörte nur die Schritte, die sich entfernten und die Tür, welche sich hinter jenem schloss. Augenblicklich sanken Gracchus' Schultern wieder herab und er musste alle Mühe aufwenden, die notwendige Kraft aufzubringen, um sich zu seinem Bett zu schleppen. Er ließ sich schwer auf das Bett fallen, jenes Bett auf welchem vor kurzem sein Vetter zum Greifen nah gewesen war, in dessen Laken er noch den nachklingenden Duft der Begierde roch. Gracchus bückte sich um die Statue des Iuppiters in seine Hände zu nehmen, welche noch immer vor dem Bett auf dem Boden lag.
    "Wieso?"
    Ein stiller Vorwurf schwang in seiner Stimme an den Gott mit, doch für mehr Worte fehlte ihm die Kraft. Es drängte ihn danach, die Statue in einem Ausbruch der Empörung an die Wand zu schleudern, dem reissenden Verlangen in seinem Herzen Luft zu machen, doch er stellte die Figur nur energisch auf dem kleinen Tisch ab und wandte sich von ihr. Er löste die Riemen seiner Sandalen und streifte seine Tunika über den Körper um sich in das Laken zu wickeln, welches Caius voll bitterer Erinnerung getränkt zurück gelassen hatte. Es war ihm gleich, dass er am nächsten Morgen ungewaschen und ungepflegt aussehen würde, wie die Larvae, die des Nachts herumspukten. Doch an Schlaf war ohnehin nicht zu denken. Wieder und wieder drängte sich nur ein Gesicht in seine Sinne, wieder und wieder brach die Erkenntnis über ihn herein, dass er zerstört hatte, was er liebte, dass er sich selbst zerstört hatte, und noch schlimmer, dass er den zerstört hatte, den er liebte. In der Nacht sind alle Katzen grau, und Tränen verschwimmen mit der Dunkelheit. Dies war es, weshalb Gracchus ihnen nun ihren freien Lauf ließ, und es schien, als würden all jene Tränen nun aus ihm herausfließen, welchen er sein Leben lang die Freiheit verweigert hatte. Der letzte Gedanke, der ihm noch in den Sinn kam, bevor er endlich Schlaf finden konnte - beinahe schon mit Beginn des neuen Tages - dies war ein Carmen des Catull, welches Gracchus schon in jungen Jahren zum ersten mal gelesen und nie vergessen hatte. Immer war es ihm wie voll von Schmerz erschienen, auch wenn ein Dichter sicherlich bereitwilliger Tränen von sich ließ, als ein Patrizier. Dennoch, niemals hatte er es in seinem eigenen Leben verwenden wollen, und doch schien es ihm nun, übermannt von Mattigkeit, geschlagen vom Schicksal, in verlorener Hoffnung so wahr, wie sonst kaum etwas.

    Ach so früh, so früh der Bruder dem Bruder geraubt
    Nimm lieber Bruder mein Opfer von Tränen nass
    und lebe wohl, leb wohl auf ewig.

    Jene, welche Gracchus nicht kannten und ihm dahingehend nicht mit ihren Hoch-Rufen zuprosteten, waren ihm lieber, als jene welche dies taten. Es war nicht in seinem Ansinnen gelegen, die Menschen mit Wein zu kaufen, zumindest nicht ihre Stimmen für ihn. Einzig, sie zu den Meditrinalia zu locken, auf dass sie den Göttern huldigten, war seine Intention dabei gewesen, den Weinausschank nach der Zeremonie finanziell zu unterstützen. Doch wie es von ihm verlangt wurde, erwiederte er die ihm geltenden Grüße mit lächelndem Nicken und wandte sich schließlich Antonia zu, nun doch einigermaßen froh, sie als Ablenkung bei sich zu haben.
    "Es wäre unhöflich, sich bereits jetzt zurück zu ziehen. Beliebt es dir, mit den Bürgern noch ein Glas Wein auf die Gesundheit des Imperiums zu trinken?"
    Natürlich war er sich dessen bewusst, dass eine Ablehnung ihrerseits Antonia nun als unhöflich deklarieren würde und er war einigermaßen neugierig auf ihre Reaktion. Eine Frau hatte sich den Wünschen ihres Mannes unterzuordnen, so lehrte es die Tradition, doch jene Ehe, welche Gracchus zuerst geprägt hatte, war eine gänzlich andere gewesen. Seine Mutter war eine starke Frau mit eigenem Kopf gewesen und hatte sich nie seinem Vater untergeordnet. Viel eher war es eine Beziehung aus Einigkeit gewesen, und statt aufoktroyierten Zwängen war immer der Konsens gesucht worden. Gracchus wusste nicht, ob seine Eltern sich geliebt hatten, denn entsprechende Gefühle hatten sie sich in der Öffentlichkeit und selbst vor ihren Kindern nicht erlaubt. Doch in diesem Augenblick hätte er gerne seinen Vater um Rat gefragt, wie jene Ehe funktioniert hatte, schien ihm die Aussicht auf gegenseitige Achtung doch viel gefälliger, als die Aussicht auf unterschwellige Verachtung, welche er befürchtete, sollte Antonia die Rolle der sich fügenden Ehefrau nicht so sehr behagen, wie dies von ihr erwartet wurde.

    Es war kein weiter Weg vom Officium des Quaestor Principis hinüber zum Officium des Magister Officiorum. Dennoch nutzte ihn Gracchus ein jedes Mal, um dabei die Schönheit des Palastgebäudes zu bewundern, die herrlichen Statuen und Büsten, welche auf marmornen Säulen ruhten, und die akkurat gefertigten Wandmalereien. Er dachte darüber nach, ob sich noch ein anderer Weg zu seinem Officium finden ließe, um andere Teile dieses perfekten Bauwerkes besichtigen zu können, da stand er bereits vor der Tür, welche ihn zu Decimus Maior führen würde. Er klopfte an.

    Dem Ritus folgend vergoss Gracchus einen nicht geringen Schluck des Weines auf dem Boden für die Götter und hob dann, nachdem der Flamen Dialis die Schüssel an den Mund hob, ebenfalls seinen Becher.
    "Novum vetus vinum bibo, novo veteri morbo medeor."
    Neben körperlichem Gebrechen und Krankheit, welche ihn ohnehin nicht plagten, hoffte Gracchus, dass jener Ritus, jener Tropfen auch denen half, die an ihrer Seele krankten, an ihren Gedanken und Erinnerungen zerbrachen, denen schlimmer als jegliches Körperteil ein Teil ihres Selbst geraubt worden war. Er schluckte die Flüssigkeit, welcher aufgrund des beigemischten neuen Weines viel zu süß war, gleichsam jedoch ob des puren Gemisches aus Wein ihm wohlig in der Kehle brannte. Ebensowenig, wie der Flamen Dialis die gesamte Schüssel leerte, leerte Gracchus seinen Becher zu Gänze, sondern goß noch einmal einen großen Teil zu Boden und dankte den Göttern für all jenes, das dankenswert war.

    Als die Tür des Raumes hinter Aquilius ins Schloss fiel, sank Gracchus langsam zu Boden. Er hatte alles zerstört, was zwischen ihnen gewesen, hatte zum zweiten Mal alles verloren, was ihm bedeutsam gewesen war. Er schlang die Arme um die Beine, spürte Kälte in sich aufsteigen, und fühlte sich so verlassen wie der kleine Junge, der er einst gewesen war, als man ihm eröffnet hatte, dass er in der Fremde in Achaia auf das Leben vorbereitet werden sollte. Aquilius hatte dort seine Sehnsucht gemindert, vom ersten Tag an, selbst als Dinge wie Verlangen und Liebe noch ihrem Spielzeug gegolten hatten.
    "Was habe ich nur getan?"
    Sein Kopf sank auf die Knie herab und Gracchus spürte, wie das salzige Nass, welches aus seinen Augen drang, dort langsam seine Tunika befeuchtete. Er hatte das Band zerstört, dass ihn näher an einen Menschen gebunden hatte, als an jeden anderen. Mochte er in den Spiegel sehen, mochte er die Maske seines eigenen verlogenen Lebens anblicken können, doch wie sollte er zukünftig Aquilius noch gegenüber treten? Wie sollte er jemals wieder mit ihm seine Gedanken teilen, wie losgelöst von allen Zwängen mit ihm scherzen, wie philosophieren und debattieren, ringen, banalen Kummer in Wein ertränken, Tris spielen, Ideen voranbringen, gemeinsam verwerfen, die Thermen besuchen, allein nur den selben Raum mit ihm teilen?
    "Caius!"
    Er schluchzte leise, doch Caius konnte ihn nicht mehr hören, Caius war längst fort, mit seinem eigenen Schmerz gegangen. So brachte nicht nur die Liebe nur Schmerz, sondern auch die Trennung, und Gracchus dämmerte die Erkenntnis, dass jene Beziehung bereits zum Scheitern verurteilt gewesen war, noch ehe sie vor Jahren begonnen hatte. Niemals wollte er noch einen Menschen wieder so nahe an sich heran lassen, wie er dies getan hatte, und doch nur so bitter dafür bezahlen musste. Die Liebe besiegt alles - hatten nicht auch einst die Römer über Carthago gesiegt, dabei die ganze Stadt jedoch zerstört? Die Liebe mochte gesiegt haben, allein dadurch, dass sie sich ihren Weg in Freiheit erkämpft hatte, und doch hatte sie alles zwischen Aquilius und Gracchus zerstört. Vielleicht konnten sie auf den Trümmern ihres Schlachtfeldes etwas neues erbauen, wie die Stadt, die in Africa längst wieder erblühte, doch dies würde nur die Zeit, würde nur die Zukunft zeigen. Gracchus indes glaubte nicht daran, er glaubte nicht an Neues, nicht an Zeit und Zukunft, nicht an den Phönix, der sich aus der Asche erhob. Seine Welt war einzig Asche.

    In Gedanken jedem Handgriff des Flamen Dialis folgend, wischte sich Gracchus beiläufig einen Tropfen des reinigenden Wassers von der Stirn, welcher sich dazu anschickte über den Augenwinkel herab zu fließen und sich dabei sicherlich auf störende Weise bemerkbar machen würde. Schließlich nahm er von einem der Tempelsklaven zwei Becher voll des gemischten Weines entgegen und reichte einen davon mit einem feinen, doch nicht ganz aufrichtigen Lächeln seiner Gattin. Er wusste um das claudische Weingut, ein etabliertes Gut, von welchem man behauptete, dass die besten Weintrauben Italias dort gediehen. Auch wenn dieses im Besitz und der Verwaltung von Antonias Vetter Vitulus war, so mochte es nicht schaden, den Göttern für die dortigen Erträge zu danken. Zudem sollte alter und neuer Wein für das eigene Wohl sorgen und selbst, wenn er nicht Liebe oder Zuneigung für Antonia verspürte, so hatte Gracchus doch bei den Göttern geschworen, sie zu ehren und für sie Sorge zu tragen.

    Gracchus wandte sich um, dem Regal an der Wand zu. Er schloss die Augen, biss die Kiefer aufeinander und massierte sich mit einer Hand die Nasenwurzel. Er wünschte sich, auch seine Ohren verschließen zu können, denn alles, was Aquilius sagte, schmerzte ihn so sehr. Es erinnerte ihn daran, wie unterschiedlich sie in manch seltenen Dingen waren, wie einfach sein Vetter sich gegen alles stellen konnte für ein Gefühl, für ein Gefühl, das zu Empfinden Gracchus zwar fähig, dessen Einzugestehen er jedoch niemals in der Lage sein würde, nicht einmal vor Aquilius. Jede Sekunde, die sein Vetter länger verweilte, ließ ihn mehr und mehr verzweifeln. Dieses Kapitel ihres Lebens würde sich nicht durch eine Ehe schließen lassen, was war schon eine Ehe in ihren Kreisen? Niemand würde Gracchus daran hindern, sein Vergnügen auch zukünftig mit anderen zu suchen, doch sein Vetter war nicht irgendein anderer, er war sein Vetter. Es stimmte, was er sagte, Gracchus konnte ihm nicht verbieten zu lieben, auch wenn er sich dies egoistischerweise um seinetwillen gewünscht hätte, doch dies konnte ein jeder nur für sich selbst. Er ließ die Hand sinken, die Augen geschlossen und blieb abgewandt. Seine rechte Hand hielt sich auf Brusthöhe am Regal vor ihm, er krallte die Finger regelrecht in das Holz.
    "So ... tue ich es ..."
    Es war nur ein stockendes Flüstern, womöglich nicht einmal laut genug, um bis zu Aquilius zu gelangen.
    "... per Iovem ... lapidem."
    Wieder biss er die Kiefer aufeinander, um nicht mehr zu sagen, nicht mehr sagen zu müssen, seine Worte zurück zu halten, das Flehen, das Klagen, das Verfluchen. Er hielt den Atem an, nur drauf wartend, dass Aquilus das Zimmer verlassen, die Tür schließen würde, ihn zurücklassend mit all dem was war und noch mehr mit dem, was nicht war.

    Einen Moment lang stellten sich Gracchus' Nackenhaare auf, denn es schien wahrlich, als wolle Antonia etwas sagen. Doch sie wandte sich ab und beließ die Situation wie sie war. Andererseits würden jegliche Gesprächsthemen vor der Öffentlichkeit wohl lange nicht so unangenehm werden, wie jene, welche ihn in mehr oder weniger trauter Zweisamkeit noch erwarten würden. Doch seine Gedanken wurden vorerst abgelenkt durch einen an ihnen vorbeigehenden, grüßenden Bürger. Gracchus erwiderte den Gruß freundlich.
    "Salve."
    Er grübelte noch darüber nach, ob ihm jener Mann bekannt sein müsste, als aus einer anderen Richtung der Septemvir Valerius an ihnen vorbeieilte. Gracchus erwiderte auch hier das grüßende Nicken.

    "Ich danke dir für die guten Wünsche, Valerius. Doch dein Versäumnis braucht dich nicht zu grämen, als Septemvir hast du sicher schon viele Eheschließungen erlebt und für die Gäste ist wohl eine wie die andere."
    Er erhob sich.
    "Wir sehen uns sicherlich noch an den Festtagen. Vale, Septemvir."
    Nachdem er sich verabschiedet hatte, verließ Gracchus das Officium.