Mit einem zufriedenen Lächeln erhob sich Ibu-Hamin Al'fazar Ben Fasiri von dem Stuhl und kramte einige Augenblicke in einer Kiste an der gegenüberliegenden Wand. Als er unter den wachsamen Augen des Flaviers zurück an die Kline trat hielt er einige Bögen Pergament in seinen Händen.
"Fangen wir zuerst damit an, die Schwere deines Leidens zu bestimmen. Ich werde dir einige Bilder zeigen und du sagst mir, was dir zuerst in die Gedanken kommt."
Er nahm eines der Pergamente und hielt es Gracchus hin. Es zeigte einen undefinierten, ovalen Tintenklecks, von welchem sich Strahlen ausbreiteten, einem insektoiden Leib mit seinen Beinen oder etwa einer undefinierten ovalen Sonne gleich. Gracchus' Stirn legte sich in Falten als er eine Form darin zu erkennen suchte und sich ein wenig unsicher mit der Zungenspitze über die Lippen fuhr.
"Ein Skorpion allfällig"
, bemerkte er nachdenklich und bereits bei der Nennung des Tieres begann eine regelrechte Assoziationslawine sich in Bewegung zu setzten über das Symboltier der Prätorianer bis hin zu Serapio. Er hob seinen Blick und fand sich unter dem bohrenden Blicke des medicus wieder.
"Ein ... Prätorianer."
"Ein Prätorianer?"
Gracchus nickte verunsichert, in keinem Falle wollte er Faustus' Namen nennen, denn trotz allem wollte er nicht, dass irgendwer diese seine Vergangenheit schlecht redete, gar zerstörte.
"Ein Mann also! Sehr interessant"
, bemerkte Meister Fasiri und notierte sich einige Zeichen auf seiner Tabula, ehedem er ein weiteres Pergament hervorholte. Bereits beim ersten Anblicke war Gracchus deutlich, dass dies ganz ohne Zweifel das beste Stück eines Mannes zeigte - kein Klecks, sondern durchaus mit Intention gezeichnet -, und war sich darob gewiss, diesmalig eine eindeutige und darob gänzlich unverfängliche Antwort zu bieten.
"Was erkennst du?"
"Nun … dies ist das Glied eines Mannes."
"Ah!"
rief der medicus beinahe triumphierend aus.
"Wie ich befürchtet habe, deine Krankheit ist sehr schwerwiegend!"
Der Flavier konnte nicht verhindern, dass eine Braue ihm empor wanderte, war ihm doch nicht verständlich wie diese offensichtliche Beobachtung zu einer Diagnose führen konnte.
"Aber … was sonstig sollte ich sehen?"
"Eine Möhre! Das ist eine Möhre!"
"Eine ... Möhre?"
"Natürlich! Und jeder gesunde Mann würde eine Möhre darin erkennen, aber nicht an das Glied eines Mannes denken!"
Gracchus konnte nicht verhindern, dass seine Braue ein wenig empor wanderte.
"Ich bin kein Bauer. Weshalb sollte ich an eine Möhre denken?"
"Weil die Form ganz eindeutig ist"
, bekundete Fasiri aus der erhobenen Position seiner langjährigen Erfahrung heraus, was Gracchus indes nicht überzeugte.
"Ich bin ein wohlhabender Mann, medicus. Die Möhren, deren ich angesi'htig werde, sind in Scheiben geschnitten, gewürfelt oder gestampft. Hättest du mir eine in Scheiben geschnittene Möhre gezeigt, hätte ich ganz unbezweifelt auch eine solche erkannt, doch auch du wirst einräumen müssen, dass die Similarität mit dem Glied eines Mannes ..."
"Tststs!"
Unterbrach ihn Fasiri und schüttelte mitleidig den Kopf, ganz so als säße er einem sterbenden Manne gegenüber.
"Schwerwiegend, mein bester Gaius, anders ist dein Leiden nicht zu beschreiben. Das wird ein hartes Stück Arbeit mit vielen Sitzungen werden. Für heute soll dies genügen, doch ich gebe dir eine Aufgabe mit auf den Weg. Jedes Mal wenn du einen Mann anblickst zu dem du dich hingezogen fühlst, wirst du ab heute an eine Möhre denken!"
"Ah"
, bemerkte Gracchus weder sonderlich eloquent, noch überzeugt.
"Und wozu wird dies dienlich sein?"
"Das, mein lieber Gaius, wird dich vom Stachel des Skorpiones ablenken!"
Beiträge von Manius Flavius Gracchus
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In den Augen des flavischen Senators war der größte Fehler des Helvetiers, dass er sein Tirocinium bei Duccius Vala absolviert hatte, indes schien ihn sonstig wenig mit dem Germanen zu verbinden, ob dessen Gracchus durchaus geneigt war, ihm seine Chance einzuräumen. Darüber hinaus jedoch zeigte auch der Flavier keine Ambition, sich für den Wunsch des Commodus einzusetzen, wiewohl er auch nicht gegen ihn würde stimmen.
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"Aber sicher, Herr, aber sicher! Lass uns direkt beginnen, Gaius. Bitte nimm Platz."
Der medicus wies auf eine Kline, neben der ein Stuhl stand, und die mit dicken Polstern ausgelegt war. Gracchus bemerkte nun, dass der Raum nur ein einziges, winzige Fenster unter der Decke besaß, sonstig erleuchtet wurde durch Öllampen und Kerzen, und ebenfalls erfüllt war von dem merkwürdig süßlich, schweren Duft, welcher ihm bereits im Vorzimmer war aufgefallen. Noch immer war ihm überaus unwohl, dennoch nahm er auf der Kline Platz.
"Es ist wichtig, dass du dich vollkommen entspannst, Herr."
Der Arzt setzte sich auf den Stuhl und nahm eine Tabula zur Hand.
"Und noch wichtiger, dass du absolut ehrlich bist. Alles, was du hier sagst, wird vertraulich behandelt, doch ich kann dir nur dann wirklich helfen, wenn du die Wahrheit sprichst."
Der Flavier nickte, brachte jedoch kein Wort hervor. Obgleich der medicus einen durchaus freundlichen Eindruck erweckte, hatte Gracchus dennoch das Gefühl auf der Schlachtbank eines Metzgers gelandet zu sein. Und letztendlich war dieser Gedanke allfällig nicht einmal abwegig, denn er war schlussendlich gekommen, um einen Teil seiner Selbst zu negieren. Zu korrigieren. Revidieren. Mutieren. Neu definieren. War Veränderung, war Wandel nicht ein Teil von Wachstum und darob dem Stillstand vorzuziehen? Es war gut und richtig, gekommen zu sein. Gewiss. Unbezweifelt.
"Wobei also kann ich dir helfen?"
Gracchus atmete tief ein. Absolute Ehrlichkeit fiel ihm in dieser Angelegenheit bereits gegenüber seiner Familie oder Freunden schwer. Andererseits war es womöglich gar einfacher, dies einem Fremden zu offenbaren, welcher nicht sogleich über ihn urteilen würde aus Sorge um den Ruf der Familie, dessen abschätzigen Blicke er nicht fortan tagtäglich würde ertragen müssen.
"Nun … mein Leib und meine Seelen fühlen sich ... zu Männern hingezogen ... schon immer. Doch dies ... bringt mir nur Ungema'h ein, zudem möchte ich meiner … Gemahlin der bestmögliche Gemahl sein. Ich möchte darob lernen, … eine Frau zu lieben."
Anfänglich runzelte Meister Fasiri die Stirn, dann jedoch nickte er nur weise und tätschelte Gracchus mit der Hand auf den Arm.
"Aha, aha, ich verstehe. Aber - eine Frau zu lieben ist nicht dein Problem, werter Herr."
Ein Schimmer von Mitleid glomm auf im Blick des medicus, seine Stimme wurde eindringlich und ernst.
"Dort, wo ich herstamme, erachtet man dein Problem als eine Krankheit, Herr. Eine sehr schwerwiegende Krankheit!"
Er blickte Gracchus eindringlich an.
"Die gute Nachricht ist - diese Krankheit kann geheilt werden und als Folge dieser Heilung wird sich ganz natürlich ein normales, gesundes Verhältnis zu deiner Frau ergeben. Allerdings ..."
Er hob belehrend den Zeigefinger.
"Es ist eine langwierige Kurierung und es wird dich einiges kosten, nicht nur viel Zeit und Disziplin."
Gracchus presste kurz die Lippen zusammen. Im Tonfall und Blicke des medicus kam er sich tatsächlich überaus krank , wenn nicht gar ein wenig schäbig vor. Und war nicht dies stets eine Furcht in ihm gewesen, dass trotz aller Schönheit, trotz aller Pläsier und Wohlgefallens dies alles nicht richtig war? Weshalb auch sonst fand eine so hehre, untadelige Person wie Prisca nur schmähende Worte - Pathius - für ihn und seine Liebe, weshalb sonst hatte er Antonia dies alles verheimlicht aus Furcht vor ihrer Reaktion, weshalb sonst konnte er seiner Familie nicht in die Augen blicken und ihr schlichtweg verkünden, dass er keine Frau wollte heiraten, sondern sich mit einem Manne liieren? Weshalb sonst endete seine Liebe stets nur in Schmerz?
"Geld spielt keine Rolle." -
Es war bereits später Nachmittag - jene Zeit, in welcher die fleißigen Bürger Roms, welche ihren Unterhalt Kraft ihrer Hände verdienten, in ihre Heimstätten zurückkehrten -, als Gracchus in einen unscheinbaren braunfarbenen Umhang gehüllt hastigen Schrittes durch die engen Gassen hinter dem Circus Maximus in Richtung der Gärten des Maecenas eilte. Die flavische Sänfte wartete nahe des Ludus Magnus, und nurmehr sein Vilicus Sciurus flankierte ihn, respektive schritt ein wenig voran, den Weg weisend. Der Brief an seinen Vetter war erst der Anfang gewesen dessen, was getan werden musste, denn zu lange würde eine Antwort aus Baiae auf sich warten lassen als dass diese Zeit nicht bereits genutzt werden konnte. "Hier ist es", wies der Sklave nach zahllosen Schritten auf ein gänzlich unauffälliges Wohnhaus, an welchem einzig das rostrotfarbene Schild mit goldenen, persischen Schriftzeichen neben der Türe auf eine Besonderheit wies. Niemand hielt sich auf im Innenhof des Hauses und dennoch hatte Gracchus das Gefühl beobachtet zu werden als er die Stufen empor in das erste Stockwerk schritt, wo Sciurus an der Türe klopfte und sogleich eintrat. Auch ein Blick über die Schulter offenbarte dem Flavier keinen klandestinen Zuschauer, so dass er - ein wenig neugierig, wie zweifelsohne furchtsam - seinem Sklaven folgte in einen Raum hinein, der durchdrungen war von einem süßlichen Duft, entfernt erinnernd an eine Räucherung aus Myrrhe, Aloe und Benzoeharz, und doch gänzlich anders als alles, was Gracchus im Laufe seines kultischen Lebens an Rauchwerk hatte gerochen. Zur Linken der Türe saß an einem niedrigen Tisch eine Frau mittleren Alters, mit gebräunter Haut und ausgebleichtem braunfarbenem Haar - als hätte sie zu lange Zeit in der Sonne verbracht - und einem ausgeprägten Schielen, welche sich rasch erhob als die Besucher eintraten. "Mein Herr hat einen Termin", kündigte Sciurus an, woraufhin die Frau den Sklaven sogleich ignorierte und sich Gracchus zuwandte.
"Salve, edler Herr, bitte tritt ein. Deinen Mantel kannst du hier lassen, der Meister erwartet dich schon!"
Sie nahm Gracchus den Mantel ab und deutete auf einen schweren, purpurfarbenen Vorhang an der gegenüberliegenden Seite des Raumes. Als sie jenen zur Seite zog, war dahinter nur Dunkelheit zu erkennen, eine tiefe Schwärze dem Schlund eines mundus gleich, welche den Flavier zögernd vor dem Durchgang verharren ließ.
"Der Meister erwartet dich schon"
, wiederholte die Frau noch einmal und schob Gracchus sanft, aber bestimmt in den dunklen Durchgang.
"Folge einfach dem Licht."
Mit diesen Worten ließ sie das schwere Tuch hinter dem Flavier zufallen, so dass jener inmitten der Dunkelheit stand, mit einem Male nicht mehr wissend, ob dies wirklich die richtige Entscheidung war, Furcht in sich empor steigend, einen Anflug regelrechter Panik. Wie konnte er nur glauben, die Liebe zu Faustus einfach hinfortwischen, wie konnte er nur glauben, das kostbarste Geschenk seines Lebens negieren zu können? Sein Atem beschleunigte sich und er tastete mit den Händen nach vorn und zur Seite hin, griff jedoch nur in dunkle Leere, was die Furcht in seinem Herzen noch mehr schürte, ehedem er sich eines schmalen Steifens Lichtes gewahr wurde, der irgendwo vor ihm schimmerte. Vorsichtig ging er einige Schritte auf das Glimmen zu - drei oder vier allfällig, doch schien es ihm eine wahre Endlosigkeit - als mit einem Male vor ihm ein weitere Vorhang zur Seite wurde gezogen und er von der auf ihn einströmenden Helligkeit einige Augenblicke geblendet war. Wieder fasste ihn jemand bei der Schulter, zog ihn diesmalig etwas nach vorn.
"Willkommen, Herr, tritt nur ein!"
Zu der nasalen Stimme, welche ihn begrüßte, formte sich nach einigem Blinzeln ein schmales, kantiges Gesicht, dessen Zierde eine große, gebogene Nase war, und welches gekrönt wurde von einer kahlen, schimmernden Glatze.
"Ich bin Ibu-Hamin Al'fazar Ben Fasiri, deine Landsleute nennen mich schlicht Meister Fasiri - obwohl das eigentlich mein Vater war"
, lachte der Mann fröhlich und hielt Gracchus seine Hand hin, welche dieser ein wenig zögernd erfasste, noch immer vigilant ob der Art des Eintrittes in diesen Raum.
"Salve, mein Name ist ..."
Er stockte kurz. Sciurus hatte ihm versichert, dass dieser medicus überaus verschwiegen war, doch letztendlich traute Gracchus niemandem in dieser Angelegenheit - außer seinem Vetter.
"Gaius. Das muss genügen." -
Bereits nach einem Tag begann die Ungeduld in Gracchus emporzusteigen, denn selbst in dem Wissen, dass die Nachricht einige Tage würde benötigen, um in Baiae anzugelangen, dass Marcus einige Zeit würde benötigen, eine Antwort zu verfassen, und schlussendlich diese Antwort wieder einige Tage würde bis Rom benötigen, mochte er nicht tolerieren, dass der Erfolg seines Unterfangens derart verzögert wurde. Das Aufeinandertreffen mit Prisca vor der Regia hatte ihn regelrecht beflügelt, seinen Entschluss nurmehr gefestigt, doch ihm gleichsam aufgezeigt, dass sein Gemüt seinem Verstand nicht anstandslos wollte folgen. Aus diesem Grunde instruierte er schlussendlich Sciurus nach weiteren Optionen zu suchen - welche sein Faktotum schon am nächsten Tage ihm offerierte.
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Beim Betreten des Eheofficiums fühlte Gracchus beinahe sich bereits wie ein neuer Mensch. Die Anwesenheit Priscas beflügelte seinen Entschluss geradezu - obgleich eine akkurate und differenzierte Bestandsaufnahme seiner Gemütsbewegungen zweifeslohne zu anderem Ergebnisse hätte führen müssen -, so dass er frohgemut dem kultischen Schreiberling entgegen trat. Da er selbst bei den Bediensteten der Regia nicht davon ausging, jenen bekannt zu sein - allein der Gedanke, dies könnte anders sein schien ihm bereits befremdlich -, stellte er sowohl sich selbst als auch die Aurelia samt ihres Anliegens vor.
"Salve. Ich bin Manius Gracchus aus dem Geschlecht der Flavii Romuli, und dies ist Prisca, aus dem Geschle'ht der Aurelii Antonini. Wir möchten unsere Verlobung eintragen lassen." -
Die gewichtigen Worte, welche Prisca bereits auf den Stufen zur Eintragung ihrer Verlobung fand, waren es, welche nun Gracchus ein wenig sprachlos zurückließen. War dies ihre Überzeugung, schlichtweg der gebotene Anstand, eine rechte Täuschung oder gar eine versteckte Drohung?
'Die klauenbewehrte Harpie, die schamlose Schlampe'
, echoten Serapios Worte durch seine Sinne, saßen den Larven gleich in seinem Nacken, nicht sichtbar und doch unumstößlich dort vorhanden.
'Pathicus'
, - wie dies wohl klang, wenn die Aurelia es aussprach, wie es wohl hatte geklungen als sie es Faustus an den Kopf hatte geworfen? Gracchus suchte beides aus seinem Geiste zu verdrängen, denn letztlich hatte der Bürgerkrieg ihnen aufgezwungen, was notwendig war, jede Tat, jedes Wort. Zu seinem eigenen Vorteile mochte gereichen, dass Prisca zwar sich sicher mochte sein, dass er am anderen Ufer Gefallen fand, doch letztendlich nicht, ob er nicht auf beiden Seiten des Flusses beheimatet war.
"Andere gehören der Vergangenheit an"
, warf er mit mehr Überzeugung ein als er selbst verspürte. Ein jedes Mal wenn er diesen Gedanken hegte - und mehr noch so er ihn aussprach - fühlte dies in seinem Inneren sich an als würde er eigenhändig jemanden umbringen. Er konnte spüren wie seine Finger sich kraftvoll um den Hals eines ebenso anmutigen, wie fragilen Menschen sich schlossen, wie seine Hände Kraft aufbauten und unter ihm der zarte Leib zu zucken und sich zu winden begann, wie über die köstlichen Lippen nurmehr ein seufzendes Röcheln seinen Wege fand, wie die einst so strahlenden Augen allmählich fahl hervortraten - nicht, dass Gracchus je eines solchen Todes war angesichtig geworden, geschweige denn ihn hatte herbeigeführt, doch die klandestine Lektüre Sklave Gaius ist der Beste hatte ihn mit so manch phantasievollem Gedankenbilde ausgestattet. Doch während das mentale Abbild seiner Hände den Mord an seiner eigenen Person fortführte, wandte sein Bewusstsein sich ab, suchten seine Augen den Anblick einer Theaterkulisse, welche dem Betrachter die größtmögliche Schönheit versprach, suchten die Verheißungen einer Droge, welche die Schatten der Wahrheit kaschierte.
"Die Zukunft gehört uns."
Es konnte nicht genügend Pathos geben in dieser Angelegenheit, das Ziel nicht hoch genug gesteckt, die Zukunft nicht gülden genug ausgemalt werden! Nach all den vergeblichen Mühen, dem hoffnungslosen Sehnen und von Anbeginn an zum Scheitern verurteilten Beziehungen würde Gracchus diesmalig den einzig erfolgreichen Weg der Liebe bis zu ihrem famosen Zenit beschreiten - er würde Aurelia Prisca lieben, koste es, was es wolle. Und mochte sein Verstand, sein Herz und seine Seele noch so viele Einwände und Bedenken anbringen - er hielt die Zügel seines Leben und er hatte sie lange genug schleifen lassen! Mit einem ein wenig schiefen Lächeln hielt er Prisca seine Hand hin, um sie in die Regia hinein zu geleiten.
"Und nichts wird uns davon abhalten."
Ein eher geringes Hindernis war der Empfang der Regia, denn sofern der Pontifex pro magistro ein Anliegen hatte abzuwickeln, so wurden sonstige Besucher sogleich aus jedem Officium komplimentiert - zumindest sofern nicht der Augustus selbst oder einer der Flamines maiores gerade dort beschäftigt waren -, so dass sie direkt zum Eheofficium konnten gelangen. -
Nach den Vestalinnen folgten die Pontifices und da unter jenen offiziell kein Rangsystem existierte schlichtweg in Reihenfolge ihrer Sitze von rechts nach links. Eine überzeugte Stimme folgte der schlichtweg akzeptierenden, ein Nicken geleitete die nächste, bis dass auch Tiberius gefordert war, seine Zusage zu gewähren.
"Tiberius Lepidus, stimmst Du der Wahl zu?" -
Einem Wesen aus sphärischen Höhen gleich erschien Prisca am Fuße der Regia und umweht von dem weich fließenden Stoffe ihres Kleides schien es beinahe als berührten ihre Füße nicht einmal die Stufen, welche sie empor kam. Tatsächlich betrachtete Gracchus die Aurelia durchaus ein wenig intensiver als sonstig und suchte dabei irgendeine Regung in seinem Leibe oder Gemüt zu verspüren. Sie war anmutig und schön, unbezweifelt außergewöhnlich schön, so dass tatsächlich etwas in ihm anklang - jenes feinsinnige Gespür welches sich am Anblicke der goldrotfarbenen Sonne ergötzte, die hinter einem sanft wogenden Meer vor der Küste Baiaes herabsank und die Wasseroberfläche in einen einzig schimmernden Kristall verwandelte, jenes reagible Gespür, welches das tief purpurfarbene Kribbeln delektierte, das eine in Essig eingelegte Kapaunenleber auf seiner Zunge hinterließ, sich am filigranen Klang eines Zaunkönigs weidete, der seine liebliche Weise durch den Hortus der Villa Flavia trug, oder sich am liebsten baden wollte in der mitreißenden Wonne, welche im Genuss eines pathetischen Theaterstückes ihn überkam. Zweifelsohne hatte der Anblick Priscas eine Wirkung auf ihn, doch sie ging längstens nicht tief genug hinab. Dennoch kräuselte ein veritables Lächeln seine Lippen - denn ein Tor wäre jeder Manne, welcher in Trübsinn würde verfallen ob der Aussicht einer solchen Gemahlin an seiner Seite.
"Werte Aurelia, es ist mir eine überaus große Freude dich zu sehen. Indes sei unbesorgt - deiner angesi'htig zu werden ist mir jeden Augenblicke des Ausharrens wert. Beileibe, Iulius Caesar mag behauptet haben, seine Sippe auf die Ahnherrschaft der Venus be..gründen zu können, doch weitaus wahrscheinlicher scheint mir diese Abstammung im Falle der Aurelia - denn wo würde Venus solche Schönheit tolerieren, wenn nicht unter ihren eigenen Töchtern?"
Es war durchaus deplorabel, dass die Götter nicht geneigt waren, diese Anmut weitergeben zu lassen - wobei ein einfältiger Mensch dies gar mit dem Neid der Venus würde begründen mögen -, doch in Gracchus' Falle nicht gar so bedauerlich, da ihn diese Tatsache schlussendlich auch von allzu häufiger Ausübung der ehelichen Pflicht würde entbinden - denn wozu sich mühen wenn ohnehin kein Nachkomme in Aussicht stand? Über ihre Schönheit hinaus suchte Gracchus im Antlitz der Aurelia auch deren Gedanken zu erahnen - was ihm wie stets überaus schwer fiel, denn so umfassend und reichhaltig auch sein eigenes Inneres war, das eines anderen zu erspüren gehörte nicht zu seinen Stärken, im Gegenteil. Allfällig härmte sie sich bereits ob ihrer Zukunft an der Seite des Pathicus - ein Gram, welchen Gracchus nach dem endgültigen Abschied von seiner Liebe nun mehr als entschlossen zu beseitigen war, indem er diese Ehe weit über die Aurea Mediocritas würde hinaus führen!
"Gleichwohl bin ich ebenso erfreut, dass wir nun diesen ersten Schritt gehen können. Deplorablerweise haben Domitilla und Tiberius noch keinen neuen Termin für ihre Ho'hzeit bekannt gegeben, doch dies ist zweifelsohne nurmehr eine Frage kurzer Dauer, so dass auch der Zelebrierung der unsrigen nicht mehr viel im Wege steht."
Sofern seine Base und Lepidus sich nicht würden einigen können, würde Gracchus die Hochzeit mit Prisca schlichtweg vorziehen, da er seine Kandidatur um das Consulat nicht mehr allzu lange wollte aufschieben - der Rex Sacrorum wurde schlussendlich nicht jünger und es war nurmehr eine Frage der Zeit, wann dieser Posten würde vakant werden. Er würde nicht zulassen, noch einmal eine Gelegenheit solchen Ausmaßes zu verpassen. -
Nachdem die gewichtige Entscheidung getroffen war hatte Gracchus einige Tage sich darin versucht, die Absicht in die Tat umzusetzen, hatte erprobt das ihm Fremde zu delektieren, hatte Formen und Bewegungen, Worte und Ausdrücke in sich aufgesogen, hatte seinen Horizont durchbrochen und geweitet - doch abgesehen davon, dass dies Unterfangen generell nicht gar so einfach war, gestaltete es im Grunde seines Wesen sich ihm letztlich komplizierter und strapaziöser als er dies hatte angenommen, ob dessen er beschloss, den Rat einer Koryphäe einzuholen. Da er nicht nur diese Angelegenheit, sondern zudem auch die kürzlich vergangene und nun gegenwärtige Lage würde verschriftlichen, war es an diesem Tage Sciurus, der die Worte seines Herrn auf eine Tabula niederschrieb, um sie hernach fein säuberlich auf ein Pergament zu übertragen. Gracchus indes saß lässig zurückgelehnt hinter seinem Schreibtisch und ersann Zeile um Zeile bis dass er letztlich mit der Klangfarbe jedes Satzes zufrieden war - so zufrieden wie mit seinem grandiosen Entschlusse das Notwendige mit dem Angenehmen zu verbinden.
Marcus Flavius Aristides, Villa Flavia, Baiae
Gruß und Heil dir, teuerster Vetter in der Ferne!
Wie geht es dir und der Familie in Baiae? Ich hoffe, ihr alle befindet euch wohl und wart unbehelligt von aller Sorge um den Augustus, welche den Staat zuletzt umtrieb. Erfreulicherweise kann ich dir berichten, dass diese Sorge alsbald ihr Ende finden kann, denn vor kurzem hat der Senat mit Aquilius Severus einen überaus viablen Manne von tadelloser Herkunft und mit den Idealen unseren Standes erfüllt zum nächsten Imperator statuiert. Es ist somit nurmehr eine Angelegenheit von kurzer Dauer, bis dass die innere Stabilität und Sicherheit Roms wieder gänzlich gewährleistet ist.
Zweifelsohne hat euch im Zuge jener Unbeständigkeit auch die Kunde erreicht, dass unter jenen, welche zur Wahl des nächsten Princeps nominiert wurden, auch mein Name genannt worden ist. O Marcus, es scheint mir dies wie ein großer Schalk des Schicksales, denn wie hätte ich mich zum ersten aller Männer erkiesen lassen können wenn es doch unbezweifelt weitaus bessere Kandidaten im Staate gibt, und gleichsam kann ich mir doch sicher sein, dass eine solche Gelegenheit niemals wieder emergieren wird! Die Chance auf eine zweite flavische Dynastie - unwiederbringlich vertan durch all das Zögern und Zaudern meines Lebens, denn in Anbetracht meiner anfänglichen Errungenschaften, in Anbetracht meiner Lebensjahre hätte ich doch längstens viel weiter vorangekommen sein können auf meinem Wege als nur in die Reihen der Praetorier, hätte ich längst meine Tauglichkeit im Consulat und der Verwaltung einer Provinz beweisen können! Unwiederbringlich vertan, nicht nur die Chance Rom in ein neues Zeitalter zu führen - bei Apollo und Angerone, du kannst dir nicht einmal vorstellen, wie sehr es mich danach dürstet und wie viel ich bereits bereit war, dafür zu riskieren! -, auch die Chance für die Familie. Zweifelsohne wäre es auch mit den adäquaten Prämissen nicht einfach gewesen, die Senatoren zu überzeugen, zweifelsohne wäre ein Erfolg der Wahl nicht gewiss gewesen - doch allein die Tatsache, dass der Versuch dessen nicht einmal eine Erwägung wert war in Anbetracht des kümmerlichen Fundamentes, welches ich Rom bieten kann, schmerzt mich zutiefst.
Um so mehr bin ich nun entschlossen, die mir bestimmte Pflicht nicht länger hinauszuzögern, und letztlich gar habe ich bereits vor dem kaiserlichen Dahinscheiden mich dazu durchgerungen, endlich den letzten Schritt des Cursus Honorum zu wagen. Um die Voraussetzungen zu diesem Unterfangen zu erfüllen, habe ich darob Aurelia Prisca, die Witwe des Piso, gebeten, meine Gemahlin zu werden. Sowohl sie, als auch ihr Tutor Aurelius Lupus haben dem zugestimmt, so dass der Eheschließung nichts mehr im Wege steht außer dass wieder gänzlich Ruhe einkehrt in Rom. Wie du dir zweifelsohne gewahr bist basierte dieser Entschluss auf vollkommen rationalen Überlegungen, doch obgleich diese noch immer vorrangig sind und an der Favorabilität dieser Verbindung keinerlei Zweifel besteht, hat das Schicksal entschieden, dass ich zudem bereit bin, dieser Causa eine weitere, neue Dimension zu verleihen - und hierzu benötige ich deine Hilfe.
Ich möchte es offen und ehrlich geradewegs herausschreiben, teuerster Vetter - ich bin der Männer überdrüssig. Es schmerzt mich zutiefst, doch eben nichts anderes bringt es am Ende hervor - Schmerz und Quälerei, Pein und Desperation! Was nützen die schillernden Reminiszenzen an wertvolle Augenblicke und schöne Stunden, welche bereits ihr Ende in sich tragen noch ehe sie recht begonnen haben, was nützt die Vollkommenheit der Liaison wenn es doch nur ein klandestines Unterfangen bleibt und darob stets von der Hässlichkeit der Lüge befleckt ist, was nutzt all die Hingabe, wenn nichts als verzehrende Verlassenheit verbleibt? Ich bin der Enttäuschung Leid, Marcus - und wenn ich nun bereit bin, den Männern zu entsagen, so erscheint mir die herannahende Eheschließung gleich einer Prädestination! Denn welche Liebe könnte zuträglicher und gedeihlicher sein als jene zwischen Gemahl und Gemahlin?
Mein Dilemma indes liegt darin begründet, dass selbst nach dem Entschluss der Abkehr vom Manne keine Frau mich anzuziehen vermag, darin inkludiert die Aurelia - weder der Gedanke an jene, noch der Anblick dieser namentlichen, aber auch keiner anderen. Wohl ästimiere ich ihre Anmut und Grazie, ihren Scharfsinn und Verstand, ihre Sittsamkeit und Tugend, doch dies tat ich bereits zuvor, und nichts davon gereicht dazu mich in jene Verzückung zu versetzen, welche meinen Leib und insbesondere mein Herz imstande ist in Flammen zu entfachen. All meine Hoffnung ruht darob auf dir, Marcus, auf dass du mir offenbaren magst, wie dies Mysterium zu lösen ist! Nur zu gut entsinne ich mich des schwarzhaarigen Mädchens, welchem du in Achaia deine unerschöpfliche Liebe schenktest, an jene Frauen in Rom, welche du liebtest wie keine jemals zuvor, und nicht zuletzt kenne ich wohl keinen anderen Manne, welcher seiner Gemahlin je derart in Liebe war zugetan wie du deiner Epicharis. Wenn es auf dieser Welt eine Kapazität in Angelegenheiten der Liebe zwischen Mann und Frau gibt, so bist dies zweifelsohne du, Marcus! Darob bitte ich dich inständig, lieber Vetter, weihe mich ein in dein Geheimnis und lasse mich wissen, wie ich in Liebe entbrennen kann zu einer Frau, nicht nur in physischer Lust, sondern in jener vollkommenen, hehren Liebe zwischen zwei Herzen.Teuerster Vetter, voller Ungeduld erwarte ich deine Antwort, weiters hoffe ich sehr darauf, dass du den Weg wagen wirst und mir in Rom beistehst zur Feier der Eheschließung! Selbstredend werdet ihr noch rechtzeitig eine Einladung erhalten sobald der genaue Tag determiniert ist.
Mögen die Götter dich und die deinen mit ihrer Gunst bedenken und stets über euer Wohl und Glücke wachen!
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Über den Vormittag hinweg hatte die Sonne Rom aus einer milchigweißfarbenen Schicht aus Nebel befreit, so dass sie nun die Straßen der Stadt aufwärmte und bereits in diesen Tagen einen Anflug von erster Sommerlichkeit erahnen ließ. Da indes der Frühling noch nicht vorüber war zirpten in den Kronen der vereinzelten Bäume einige Vögel und freiten umeinander oder aber turtelten bereits munter gemeinsam in ihren Nestern. Obgleich sein Anliegen ganz ähnlicher Natur war hatte Gracchus indes keinen Blick für Vögel und Sommer als er von der Curia Iulia her kommend das Forum überquerte, das zur Mittagszeit nun voller Menschen war, welche von hier nach dort oder von dorthin nach da strömten, voller Händler, welche aus Bauchläden oder kleinen Karren ihre Waren feilboten - vorwiegend essbare Kleinigkeiten -, dazwischen immer wieder selbsternannte Propheten oder Politiker, welche die vorbeigehenden Menschen für dies oder das oder jenes wollten begeistern oder unterrichten. Obgleich Rom seine einzig wahre Heimat war, obgleich er die Stadt und ihr Stadtsein liebte, so hatte Gracchus an den Massen, welche darin wohnten und insbesondere auf den öffentlichen Plätzen sich stets akkumulierten, nur wenig gefallen, selbst dann wenn wie an diesem Tage einige Klienten dafür Sorge trugen, dass er auf seinem Wege nicht einmal mit diesen Massen in Berührung kam. Vor der Regia des Cultus Deorum - ein ihm überaus vertrauter Ort - richtete sein Vilicus noch einmal die toga praetexta, während Gracchus bereits Ausschau hielt nach der Sänfte der Aurelia Prisca. Er war durchaus ein wenig angespannt - einerseits in banger Beklemmung ob der Aussicht auf die neuerliche Ehe, andererseits in freudiger Erwartung, da diesmalig alles anders würde sein. Er hegte nicht den geringsten Zweifel an den Worten Faustus' über Prisca, und doch zwang er sich schlussendlich dazu, sie nicht allzu deutlich in seine Gedanken einfließen zu lassen. Wie auch sollte er der Aurelia einen Vorwurf machen ob einer Erpressung im Bürgerkrieg - er, der er weitaus schlimmere Dinge hatte angestiftet und getan? Die erwähnte Orgie hinwieder war zweifelsohne nur ein Missverständnis, und was den Pathicus anbelangte - auch in Hinblick auf Schmähungen hatten der Bürgerkrieg und seine Nachwehen einiges hervorgebracht - nicht zuletzt Serapio selbst hatte für Gracchus überaus deutliche Worte gefunden, welche schlussendlich nur der Wahrheit hatten entsprochen, und letztendlich war der Flavier selbst sich nicht mehr sicher, was dies überhaupt bedeutete. Er wusste nur, dass all das der Vergangenheit sollte angehören - restlos alles, jede Verfehlung, jede Beleidigung und jede Pression, welche ihn an diesem Tage an diesen Ort hatte geführt. Wie an den Lemuria galt es, keinen Blick zurück zu werfen, um die Geister der Vergangenheit zu bannen - es gab nurmehr einen Blick nach vorn.
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Umsichtig, wiewohl überaus angespannt setzte Gracchus einen barfüßigen Schritt vor den anderen durch die schummrigen Gänge der Villa Flavia, trat ein in den honiggoldfarbenen Schimmer einer Öllampe, durchschritt ihn und verließ ihn zurück in das Dämmerlich. Es war die letzte Nacht der Lemuria, jenem altehrwürdigen Feste, an welchem die Toten der Familie in ihre Heimstätten zurückkehrten, geehrt wurden und besänftig werden mussten. Von all den Lemuren und Larven, welche ihn torquierten, waren jene seiner Familie stets die schlimmsten, die rachsüchtigsten und hartnäckigsten - insbesondere der Geist seines Vaters. Bereits während der familiären Cenae, zu welchen zusätzliche Klinen an den Tisch waren aufgestellt worden, um die Anwesenheit der Larven zu symbolisieren, hatte der Flavier beständig die kritischen Blicke seiner Ahnen auf sich zu spüren geglaubt, hatte das tonlose Wispern und gestaltlose Raunen, das heißere Lachen und säuselnde Flüstern um sich vernommen. Es war an der Zeit, die Geister wieder aus dem Hause zu verbannen - wenn auch Gracchus sich bewusst war, dass diese Austreibung zwar die Verbindung der Ahnen zum Heim der lebenden Flavier würde aufheben, seine eigenen jedoch kaum. Im Vestibulum löste er seine Finger von den Daumenballen - aus jener uralten Abwehrgeste, welche die Lemuren sollten von ihm fernhalten -, um sodann aus einer hölzernen Schüssel eine Hand voll schwarzfarbener Bohnen zu greifen. Sorgsam blickte er nur voraus, denn ein Zurückwenden in diesen Nächten brachte Unglück, und warf sodann die Bohnen hinter sich.
"Diese werfe ich, um mich und die Meinen loszukaufen!"
Jener Ritus wiederholte sich noch sieben Male - einmal im oberen Stockwerk, sodann im Lararium, im kleinen und im großen Triclinium, in seinem Officium und im Peristyl, bis dass er schlussendlich - zum neunten Anlaufe im Atrium zu stehen kam. Dort hatten sich bereits Familienmitglieder und ein Teil der Sklavenschaft versammelt, in ihren Händen eiserne Pfannen, Töpfe und Besteckstücke aus der Küche. Neuerlich warf der Hausherr eine Hand voll schwarzfarbener Bohnen hinter sich.
"Diese werfe ich, um mich und die Meinen loszukaufen!"
Sodann reinigte er seine Hände in einer hölzernen Schüssel gefüllt mit reinstem Quellwasser, um hernach einen Topf und einen Löffel von seinem Vilicus in Empfang zu nehmen.
"Manes exite paterni!"
skandierte er laut, schlug sodann mit dem Löffel auf den Topf und gab einen - wenn auch recht taktlosen - Takt vor, in welchem auch die übrigen auf ihre Gefäße schlugen. Achtmalig noch forderte Gracchus die Ahnengeister auf, das Haus zu verlassen, gefolgt stets vom Lärm des Kücheninventares, bis dass endlich das Ritual abgeschlossen und die Lemuren der Villa Flavia für ein weiteres Jahr waren gebannt. -
~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~
Blutrotfarben schimmernd ergoss sich der Wein aus dem Brunnen in das Impluvium, aus dem besten Stücke des marmornen Bacchus strömend, welcher neckisch dazu eine Kithara zupfte. An den Wänden des Atrium wachten die wächsernen Masken der Ahnen und was sie sahen ließ immer wieder in Schrecken sie ihre Miene verziehen, alsbald die hohlen Augen zukneifen, alsbald ein stöhnendes Weh! oder Oh! aus ihren schattenschwarzen, leeren Mündern entweichen. O tempora, o mores! erklang eine erquickende Elegie aus den Mäulern goldblondgelockter Löwen, welche in endlosem Kreise eine der Säulen umrundeten, an welcher ein kecker Faun sich von oben herab hängen und von einem geflügelten Amor purpurfarbene Trauben füttern ließ. Zur anderen Seite hin reihten sich tanzende Leiber, muskulös und wohlgeformt, dem des Hephaistion similär, doch gekrönt von Köpfen aus gleichgültigem Desinteresse, welches im Takte der Musik sich zwischen Apathie und Lethargie wiegte. Überall dazwischen, auf den Klinen, den Stühlen, dem steinernen Boden, an und um Säulen, auf Tischen und im Geäst der Weinranken an der Decke tummelten sich Sklaven, nackt bis auf die Haut, allenfalls mit goldglänzend blinkendem Schmucke oder bunten Mustern und Zeichnungen verziert. Er war dieser Sklave, er war all diese Sklaven - jener auf der Kline, jener zwischen den dunklen, grünen Weinblättern, jener auf dem Tisch zwischen Obst und Fleisch, jener um die Säule neben dem Bacchus. Er war ein Sklave und er war alle - und er liebte einen Sklaven und er liebte alle. Wenn er küsste, so küsste er sich selbst, wenn er umarmte, so lag er in seinen Armen, wenn er einen Leib liebkoste, so war es der seine. Inmitten dieses orgiastischen Treibens thronte Aurelia Prisca, ihr schwarzfarbenes Haar den Schlangen der Medusen gleich, ihre blaufarbenen Augen eisig funkelnd und feurig glühend zugleich, in der einen Hand einen Kelch mit seinem Blute schwenkend, in der anderen eine lederne Peitsche schwingend.
"Tanz, Pathicus, tanz!"
lachte sie lauthals und ließ das Leder im Takte der Musik knallen, dass er angespornt durch ihre Macht seinen Leib schneller drehte, in ekstatischem Reigen seine Glieder bewegte bis dass das Blut in seinen Ohren rauschte, bis dass der Atem ihm beinahe ausblieb.
"Tanzt, Pathici, tanzt!"
gebot sie ihm, gebot sie ihnen allen, dass alle sich regten und wandten, dass er im Rausch der Musik starb, dem Takt ihrer Peitsche sich alle unterwarfen, die Pathici, die Sklaven, er und alle, selbst die kopflosen Leiber des Hephaistion.~~~
Ohne seiner nächtlichen Träume sich gewahr zu sein beschloss Gracchus am folgenden Tage, dass es an der Zeit war, den Schmerz über die Vergangenheit durch eine freudvolle Zukunft zu ersetzen. Genau genommen pressierte ihm dieses Unterfangen mit einem Male recht heftig, denn der reine Entschluss zur Entsagung seiner Sehnsucht hatte diese deplorablerweise nicht im Geringsten mindern können. Aus diesem Grunde ließ er Sciurus ein Schreiben an Aurelia Prisca aufsetzen. -
Von der nahen Villa Flavia her erschien ein Bote, um eine Nachricht abzugeben für Aurelia Prisca.
Teuerste Prisca!Nun da die Zeiten des Umbruches vorüber sind und Rom eine goldene und insbesondere friedvolle Zukunft bevor steht, so können auch wir der unsrigen uns wieder widmen.
So dies dir agreabel ist, möchte ich den sechzehnten Tage vor den Kalenden des Iunius* zur Mittagszeit proponieren, um unsere Verlobung in das Eheregister eintragen zu lassen.
Sofern dieser Termin dir nicht zusagt, lasse es mich schlichtweg wissen, andernfalles werde ich frohgemut dich vor der Regia des Cultus Deorum erwarten.
Mögen die Götter stets über dich wachen!
Sim-Off: * 17.5., SimOff wie stets so flexibel wie notwendig
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Ein Bote aus der Villa Flavia - dies jedoch in keinem Falle erwähnend - erreichte die Casa Decima und übergab dort eine Nachricht für Faustus Decimus Serapio. Das Pergament war zwar gesiegelt, der Abdruck indes recht vage, allfällig entfernt an den einer Walnuss erinnernd.
Faustus,
In deinen Küssen will ich ertrinken,
dem Schiffbrüchigen gleich im Meer,
will nie mehr daraus emportauchen,
Nimmermehr.In deiner Berührung will ich versinken,
dies ist noch mein einzig Begehr,
will nie wieder von dir lassen,
Nimmermehr.Deinen Leib will ich kosten und schmecken,
den Früchten gleich, die ich verzehr',
will nie mehr darben und hungern,
Nimmermehr.Mit deiner Seele will ich verschmelzen,
die des Heroens gleich rein ist und hehr,
will nie mehr nur ein Teil sein,
Nimmermehr.Mit deinem Selbst will ich vereint sein,
danach sehnt es mich so sehr,
will nie wieder ohne dich sein,
Nimmermehr. -
An einem der folgenden Tage saß Gracchus in seinem Officium, ein Pergament und Tinte vor sich, ein leises Seufzen auf den Lippen, ein trüber Schatten auf seiner Seele, eine endlose Schwere um sein Herz. Um seiner Beziehung zu Faustus endgültig ein Ende zu setzen musste alles gesagt und alles gegeben sein, was für diesen bestimmt gewesen war. Eine geraume Weile starrte er nur auf das unbefleckte Pergament bis dass er schlussendlich nach dem kühlen, bronzenen Kalamos griff und langsam Wort und Wort aufmalte. Sorgsam verfasst er die Zeilen, suchte seiner Schrift den Schwung aus alten Tagen zu verleihen, doch auch nach all den Jahren war sie noch immer unpräzise und krakelig. Einige Augenblicke gab er sich der Überlegung hin, ob nicht besser Sciurus diese Nachricht sollte aufsetzen, doch letztlich entschied er sich dagegen - Faustus würden diese Worte ohnehin nicht mehr bedeutsam sein, zudem konnte er nur loslassen, was er selbst vergab.
osculum supremum
Faustus,
Viel zu lange bereits gären diese Verse in mir, erschaffen in einer Zeit als die Ferne uns trennte, als - noch ungeahnt - unser Ende bereits determiniert war. Ihre Bedeutung mag verblasst sein und doch gieren sie nach Freiheit, welche ich zur Erreichung der meinen ihnen gewähren muss. Dir waren sie bestimmt, und zweifellos wirst du verstehen, dass Worte, welche einem Menschen bestimmt sind, keinem anderen zuteilwerden können, darob bist du der einzige Akzeptant, welcher ihr Fatum erfüllen kann schlichtweg in dem Augenblicke, da sie ein einziges Male gelesen werden. Die Vergangenheit bleibt vergangen, doch ich hoffe, du kannst sie zumindest in guter Erinnerung behalten.
Nachdenklich betrachtete der Flavier die Worte, las sie noch einmal - leise artikulierend und dabei ihre Klangfarbe abschmeckend -, seufzte wiederum und zerriss schlussendlich das Pergament. Er wollte nicht Faustus' Gegenwart durch die Vergangenheit molestieren, denn schlussendlich hatte jener diese längst beschlossen. Er allein war es, welcher des erlösenden Abschlusses bedurfte. So begann er noch einmal, zensurierte jedwede Explikation, jede Andeutung der Gegenwart, entließ nur jene Worte in Freiheit, welche der Vergangenheit entstammten - und welche doch, so sehr er auch dies suchte zu supprimieren, in ihrer gegenwärtigen Wahrheit ihn unendlich torquierten. Verstohlen - als könne irgendjemand ihn beobachten - wischte er mit dem Daumen einen Tropfen aus dem Augenwinkel, ehedem er das Schriftstück faltete und einen Flecken heißes Siegelwachs auftrug. Zuletzt blies er sorgsam über das blutrotfarbene Wachs bis dass es genügend erkaltet war - könnte nur sein Herz in gleicher Weise erkalten -, um einen Abdruck seiner Lippen darin zu verewigen - zweifelsohne würde Faustus sich ohnehin dieser Form nicht mehr entsinnen. Nur wenig Augenblicke ließ er noch in stiller Einkehr vorüber ziehen, sodann sandte er eilig einen Boten aus, die Nachricht zu überbringen, ehedem er sie noch einmal würde zurückhalten. Doch auch als dieser letzten Pflicht endlich war genüge getan konnte Gracchus nicht die Leichtigkeit von Freiheit in sich verspüren, lastete der endgültige Abschied seiner geliebten Seele ihm schwer auf dem Herzen. Eine Ewigkeit von Schwermut und eine Unendlichkeit von Melancholie später fasste er schlussendlich einen Entschluss, welcher alles würde verändern, welcher jeglichen künftigen Schmerz noch im Keime würde annihilieren: Nie wieder würde er einem Manne sein Herz und seine Seele schenken, nie wieder einem Manne Herz und Seele sich ergeben.
"Nimmermehr." -
~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~
Umflossen von graufarben, trübem Wasser wogte sein schwereloser Leib inmitten einer von bleichem Schaum gekrönten Welle, welche unbeeindruckt von menschlichem Darben und Hoffen durch den Fluss des Lebens sich dahinschlängelte ohne dass er ihre Richtung konnte bestimmen. Fest umschloss seine bleiche Hand sich um die des Geliebten, der aus der Sonnenbarke heraus sich über ihn beugte, auf dessen Antlitz die vom Wasser reflektierten Sonnenstrahlen ein ganz eigentümliches Spiel vollführten als zeigten sie dessen Gedankenstürme nach außen hin.
"Du musst loslassen, Manius."
Seine Füßen traten in die endlose Leere der Tiefe, fanden keinen Halt, während in weiter Ferne das öde Festland vorbei zog, auf welchem nichts je wert gewesen war, dort zu verharren, nur Ruinen und Fragmente eines Heimes, ein grünfarbenes Feuer, das zu kalt war, um daran sich zu wärmen.
"Ich kann nicht! Ich kann nicht schwimmen ohne dich! Bitte lasse mich nicht los, Faustus, nehme mich zu dir, gewähre mir einen Platz in deinem Boot, dass wir den Rest des Weges gemeinsam fahren!"
Serapio blickte über die Schulter, ein Lächeln aus Zufriedenheit und Glück auf seinen Lippen tragend, welches vor unendlich langer Zeit einst ihm hatte gegolten, nun jedoch verflog als der Heroe sich wieder dem tosenden Flusse zuwandte.
"Ach Manius. Hier ist kein Platz mehr für dich. Hier sitzt schon jemand. Lebe wohl."
Bestimmt löste Faustus seine Finger aus seiner Hand, wandte sich ab von ihm und ließ sein Boot auf den Kuppen der Stromschnellen reiten, welche mit jedem Augenblicke es weiter und weiter fort von ihm entrissen. Er wollte nach ihm rufen, wollte ihm hernachschwimmen, doch sein Atem war kraftlos, seine Beine und Arme zu schwer, ausgezehrt und müde - unendlich müde - sein Leib zu starr, um noch sich über Wasser zu halten. Wie die Nacht in den Tag eindrang und sukzessive übernahm, drang die Kälte in seinen Geist, überkam ihn die Leere der Hoffnungslosigkeit und zerbrach ihn. Und während der kühle Nordwind aufzog und die Einzelteile seines Wesens über die Welt hin verstreute ohne dass irgendjemand bereit war, sie zu suchen und durch seine grenzenlose Liebe zurück ins Leben zu erwecken, tauchte die knöcherne Hand des Charon in das Wasser und zog ihn empor, zog ihn mit Leichtigkeit auf ein Floß aus Haut und Knochen, gefertigt aus den Überresten der Toten seines Lebens.
"Vergiss den Decimer, Herr"
, drang die vertraute Stimme seines Faktotums an sein Ohr, und es schien ihm als hätte er geschlafen - zu lange geschlafen - und darob die Grenze verpasst.
"So bin ich verloren"
, rekapitulierte er wortlos seinen Zustand, über sich den silbrigen Flügelschlag des Graureihers am düsteren Horizont ausmachend, der stets unbeeindruckt mit beiden Beinen im Wasser stand und jederzeit bereit war, zuzustoßen oder zu fliehen.~~~
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Einem Wesen gleich aus einer anderen Sphäre schwebte Domitilla in den Raum, leichtfüßig und luftig, erhaben und hehr - und für einen Augenblick trieb Gracchus dies einen Stich in sein Herzen, da es einer jener Momente war, in welchen sie ihrer Schwester Leontia so überaus ähnlich war. Nach Alexandria hatte diese segeln wollen, mit ihm gemeinsam, und hatte es letztendlich auch in gewisser Weise getan, war letztlich mit ihm - respektive seinem Bruder - untergegangen. Nachdem Gracchus seine Base begrüßt hatte - ein feines Lächeln lag dabei um seine Lippen -, blickte er einen kurzen, nachdenklichen Augenblick auf seinen Sohn, was neuerlich ihm einen Stich versetzte. Beinahe war er dazu bereit, dessen Reise nach Alexandria noch eine geraume Zeit zu retardieren, denn ungeachtet aller Distanz die zwischen ihnen lag, so war und blieb Minor sein Sohn, der wichtigste Bestandteil seiner Familie und seiner Zukunft, und diesen in das endlose Reich Neptunus' zu verlieren mochte der Vater nicht einmal sich ausdenken. Doch Minor schien bereits überaus interessiert an Dexters Zeit in der fernen Provinz, dass Gracchus eher fürchtete, durch ein Verbot dieser Reise neuerlich den Zorn seines Sohnes auf sich zu ziehen. Nicht minder Sorge bereitet auch seine Tochter ihm, welche alsbald ebenfalls das Triclinium betrat - fiel doch dem Vater jeden Tag mehr und mehr auf, dass sie auf der Schwelle zwischen Kindsein und Frau stand, dass es alsbald notwendig würde sein, sie an einen Ehemann abzutreten. Gänzlich unbefangen, durchaus wohlgefällig, quittierte Gracchus indes Scatos Eintreffen - denn all sein Zorn über die unsägliche Ehe Domitillas richtete sich noch immer gegen deren Vater und über seines Neffen Verhältnis zu Aurelia Prisca wusste er nicht das geringste. Während der Vorspeise lauschte er überaus interessiert den Worten Dexters, welche bereits ihn in eine blühende Zukunft Minors blicken ließen, denn zweifelsohne würde auch sein Sohn in Alexandria sich ausgiebig den großartigen Möglichkeiten der Philosophie widmen.
"Nun, es ist nicht einzig der kaiserliche Besitzstand, welcher Aegyptus zu Exzeptionalität erhebt"
, quittierte Gracchus den Einwand seines Sohnes.
"Sondern noch immer der Reichtum an Nahrungsmitteln, respektive Getreide. In keiner anderen Provinz ist es gelungen, einen derartigen Überfluss zu er..wirtschaften, und wie nicht zuletzt der Bürgerkrieg gezeigt hat, ist Roms Grundversorgung in großem Maße abhängig von den Kornkammern im Süden. Ein Mann, welcher sich aufschwingt Aegyptus unter seine Hand zu bringen, kann darob durchaus zur Gefahr Roms werden. Indes mag ich dir durchaus zustimmen, Minimus, dies wird wohl kaum einem Manne gelingen, welcher schli'htweg das Land bereist. Ich bin ebenfalls der Ansicht, dass diese Restriktion überaus deplorabel ist, denn tatsächlich wäre Alexandria einer der wenigen Orte der Welt, welcher zu einer weiten Reise mich verleiten könnte."
Genau genommen war es wohl der einzige Ort der Welt, welchen Gracchus freiwillig würde bereisen.
"Scato, wie steht es mit dir? Vermag der Reiz Alexandrias dich zu locken? Die Zeit, in welcher dir eine Reise nach Aegyptus möglich sein wird, neigt sich schlussendli'h ihrem Ende zu." -
Als Gracchus nach dem Gespräch mit Serapio zu Hause angelangte suchte er umgehend sein Cubiculum auf. Bereits den kurzen Weg über die Alta Semita aus der Lokalität zurück zur Villa Flavia war er in sich versunken, hatte seine Kiefer aufeinander gepresst, die goldfarben gemusterten Kissen der Sänfte mit seinem Blicke gelöchert und an sich halten müssen, nicht die Fassung zu verlieren über das Ende der Welt, welches über ihn war hereingebrochen.
Ich bin wieder mit jemandem zusammen.
Aller ungestüme Hass, aller aufbrausende Zorn den Faustus ihm nach dem Bürgerkriege hatte entgegen gebracht - Gracchus sehnte sich nun nach dieser Heftigkeit zurück, denn dies war zumindest leidenschaftliche Emotionalität gewesen, welche Serapio für ihn hatte erübrigt. Gleichgültigkeit war allfällig der falsche Ausdruck, den derzeitigen Zustand zwischen ihnen zu beschreiben, doch selbst die Verve, welche ab und an in ihren Worten hatte mitgeschwungen, selbst die freundschaftlichen Berührungen konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihre Liaison endgültig und unwiederbringlich beendet war.
Ich bin wieder mit jemandem zusammen.
Standesdifferenzen, unendliche Distanz, gar ein Bürgerkrieg auf differenten Seiten hatte ihre Liebe auseinander gerissen - doch was auch geschehen war, ein Funke von Hoffnung hatte stets vermocht in Gracchus' Herzen zu glühen, während seine eigene Sehnsucht ungebrochen war. Doch jemand - Borkan - erstickte endgültig jedes Glimmen. Serapio sehnte sich nicht im Mindesten nach der Vergangenheit, er hatte sie längst begraben und ein neues Fundament darüber gepflastert.
Borkan.
Was war er nur für ein törichter Narr? Wie hatte er glauben können, dass kein anderer Faustus würde begehren - ausgerechnet Faustus, den hehren Heroen? Wie hatte er annehmen können, Faustus würde nicht wieder einen anderen begehren? Aus Serapios Sicht war diese Liaison längst beendet, vor Jahren bereits, nur er hatte wie ein alberner Jüngling, wie ein alter Tor noch sich an klägliche Hoffnung und kümmerliche Zuversicht festgeklammert.
Ach Manius.
Zusammengekauert auf seinem Bett, das Gesicht im Kissen verborgen suchte Gracchus die in sich aufsteigenden Gefühlswallungen zu unterdrücken, den Vulkan aus Schmerz und Trauer in sich zu ersticken. Doch ein jedes Mal so er sich in das kostbare Kleinod seiner Erinnerungen flüchtete, jene wertvollen Gelegenheiten rekapitulierte, welche in ungestümer, in zarter oder elysäischer Liebe ihnen vergönnt waren gewesen, hallten Faustus' Worte wieder und wieder durch die Hallen seines Gedankengebäudes, zerbrachen ihm neuerlich das Herz, zerbrachen ihm seine Seele - jene Seele, welche er geglaubt hatte mit Serapio zu teilen -, und mit jedem neuerlichen Klang stieg die glühende Lava der Desperation in ihm empor, biss dass sie sich endlich in salzigen Tränen über die Hänge seiner Wangen hinab eruptierte. Als endlich die erlösende Defatigation der Nacht ihn übermannte war Gracchus mehr als überzeugt, dass auch er dies würde beenden müssen, Faustus ziehen lassen und einen Schlussstrich unter diese Liaison setzen - endgültig. -
Einen wundervollen Augenblick lang schien es als könnten sie die Vergangenheit heraufbeschwören, als müsse er nur Serapio in den Arm schließen, einen Kuss auf seine Lippen setzten um alles hinfortzuwischen, was zwischen ihnen lag. Doch dieser Augenblick war nur ein Traum, ein Sehnen seines Herzens, denn nichts weniger als Indignation würde er zu Tage fördern, eine Ohrfeige allfällig, und womöglich den Bruch dieser fragilen Freundschaft dazu. Während Gracchus heimlich noch die Berührung des einstigen Geliebten genoss, fasste er den Entschluss, dass dies ein Ende musste finden - dass auch er das Ende musste finden, welches Serapio längst hinter sich hatte gelassen.
"Vale bene, ..."
, carbunculus meus,
"Faustus."
Gracchus eilte sich, den Raum, das Etablissement zu verlassen. Es war weit mehr als der Abschied von einem freundschaftlichen Treffen, und es fühlte sich an wie das Ende der Welt.